Nichts mehr zu retten.
von Neonschwarz
Kurzbeschreibung
"Der letzte auf der Liste ist Olli. Ich will seinen Segen. Und mit genügend Welpenblick und Anspielungen auf meine beschissene Kindheit, meine beschissene Jugend, meine halbbeschissene Zeit in der Schwebe zwischen alt genug und noch nicht alt genug wird er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und mir das Beste wünschen." [komplett überarbeitet in 2022]
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
OC (Own Character)
Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
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18
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10.05.2015
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Joko
„Alter!“
Bei dem Versuch, einen Umzugskarton möglichst galant und locker aus der Hüfte zu heben, kugele ich mir beinahe die Schulter aus. Wir helfen unserem besten Freund, unser Leben zu verlassen, während Felix friedlich dabei zusieht und sich nicht anmerken lässt, dass ihm seine Eltern möglicherweise fehlen.
„Was ist da drin?“
„Steht doch drauf“, sagt Klaas, „Bücher.“
„Wer bitte braucht im digitalen Zeitalter noch Bücher?“, murre ich, „hättest du so einen neumodischen eReader, müsste ich jetzt nicht zur Krankengymnastik. Weißt du, wie lange man da auf einen Termin warten muss?“
„Stell dich nicht so an“, Olli marschiert mit zwei übereinandergestapelten Kartons an mir vorbei nach unten. Er war nie besser in Form Ich nutze seine Abwesenheit, um Klaas zur Rede zu stellen.
„Ist das alles hier wegen Leni?“, frage ich ohne Umschweife. Olli wird unten noch eine rauchen, genug Zeit, endlich Licht ins Dunkel zu bringen. Klaas, der gerade damit beschäftigt ist, die letzten Kartons mit Packband zuzukleben, sieht auf. Ins Schwarze getroffen.
„Sie hat mir alles erzählt“, sage ich, „alles, alles. Erklärs mir, Klaas. Ich kapiers nicht.“
„Was gibt’s da zu erklären?“, erwidert er, „Bienchen, Blümchen.“
Wenn er denkt, er kommt mit ein paar schlechten Witzen aus der Nummer raus, kennt er mich schlecht. Es ist eine Sache, dass sie Böhmermann hintergangen haben, aber mir nichts davon zu erzählen?
„Nur weil ihr – was weiß ich miteinander gemacht habt, wirfst du unsere gemeinsame Karriere über den Haufen?“, frage ich, „wieso? Liebst du sie?“
Entweder, er haut mir eine rein oder er gibt zu, dass er sich verknallt hat. Beides dürfte in etwa gleich schmerzhaft werden.
„Selbst wenn es so wäre“, sagt Klaas, „trägst du jetzt den Karton nach unten oder soll ich dich vorher noch massieren?“
„Klaas“, tiefsinnige Männergespräche sind nicht das, worauf ich um elf Uhr morgens und stocknüchtern scharf bin, aber Klaas ist mein bester Freund und das verpflichtet mich dazu, zumindest einen Vorstoß zu wagen. Als Lenis bester Freund habe ich mich in dem Moment disqualifiziert, als ich das Café verlassen habe. Wort- und ratlos. Ich dachte, sie hätte sich dazu entschieden, Jan in den Wind zu schießen und sie erzählt mir … das muss ich immer noch verarbeiten.
„Du hättest mit mir reden können. Wieso redet eigentlich niemand mehr mit den anderen?“
„Joko, bring diesen verdammten Karton in den Umzugswagen!“, er hantiert unbeholfen mit dem Klebeband und wirft es schließlich frustriert in die Ecke des leeren Schlafzimmers.
„Okay, ist ja schon gut.“
Im Hausflur laufe ich Olli über den Weg. Und beschließe, dass ich das Problem nicht alleine angehen sollte.
„Klaas hat nach oder während dem Radioaward mit Leni geschlafen und sie haben sich Sonntag geküsst und deswegen zieht Klaas weg“, umreiße ich die Situation kurz, „rede mit ihm. Mit mir will er nicht sprechen.“
Olli starrt mich entgeistert an.
„Das mit dem Wütendsein, weil uns niemand mehr etwas erzählt, habe ich schon erledigt“, schlage ich vor.
Ich werfe den Karton lieblos in den Wagen und quäle mich dann die Treppen heraus nach oben. Schon im Flur höre ich Olli und Klaas streiten. Wie hat Schulz das innerhalb weniger Minuten geschafft?
„Du hättest um sie kämpfen sollen! Jan hätte niemals auch nur die kleinste Chance gehabt!“, brüllt Olli, „hunderttausend Mal hat er sich benommen wie der letzte Vollarsch und du warst da. Du warst immer für sie da, du hättest eine Chance gehabt, wieso hast du sie nicht genutzt?“
„Was ist denn jetzt auf einmal los?“, ich bin verwirrt. Okay, würden Klaas und Jan an einer Klippe hängen, würde Olli mit Sicherheit Klaas retten, aber zu Jans Beerdigung würde er trotzdem gehen. Aber Klaas Vorwürfe zu machen, weil er keinen Keil zwischen die beiden getrieben hat?
„Musste das sein?“, knurrt Klaas.
„Ja, das musste sein.“
„Als ich Leni und Jan meinen Segen gegeben habe, wusste ich nicht, dass du die Alternative bist“, klagt Olli bitter.
„Weil ich nie die Alternative gewesen bin“, widerspricht Klaas genervt, „können wir dieses Thema jetzt endlich abarbeiten?“
„Nein, können wir nicht! Du ziehst nach Freiburg“, er zieht nach Freiburg. Er zieht ans andere Ende des Landes. Und das nur, weil er dieses instabile zeitbegrenzte Glück von Leni und Jan nicht zu ertragen bereit ist. Wo sind wir hier? Bei Wie ein einziger Tag?
„Ich ziehe nach Freiburg. Richtig. Und zwar heute.“
Wir schweigen. Wieso diskutieren wir eigentlich darüber? Er wird wegziehen und ich muss wahrscheinlich auch eine Radiosendung machen, weil das offenbar der einzige ist, was mir übrig bleibt. Aber das Schlimmste daran ist, dass sich diese kleine Freundesgruppe nicht mehr treffen wird können. Es wird immer zwischen ihnen stehen. Und auch wenn wir jetzt sagen „wir verlieren uns nicht aus den Augen“ und „wir sehen uns nächstes Wochenende und lassen die alten Zeiten wieder aufleben“, wird einer immer abspringen. Und der andere wird sich deswegen mies fühlen.
„Noch die letzten Sachen und dann haben wirs. Ich muss sagen, Felix war keine besonders große Hilfe“, Klaas dreht sich einmal um sich selbst. Olli und ich wechseln einen Blick.
„Tut mir einen Gefallen und bringt Leni und ihn nicht auseinander, nur weil ihr glaubt, ihr würdet mir damit einen Gefallen tun“, bittet Klaas, „sie liebt ihn. Sie liebt ihn wirklich und sie haben Felix und wir machen ihnen das nicht kaputt. Niemand von uns.“
Daran habe ich keinen Zweifel. Aber ich zweifle daran, dass Leni ihre Gefühle einfach abstellen kann. Dass sie das, was zwischen ihr und Klaas gelaufen ist, vergessen kann, sobald er aus Berlin verschwunden ist. So funktioniert das nicht. Das hat bei Jan auch nicht funktioniert.
„Bringen wir deinen Kram runter“, Olli reibt sich die Hände, „du wirst hier echt fehlen, man.“
Kaum das Klaas das Zimmer verlassen hat, verändert sich Ollis gesamte Körperhaltung. Vom verständnisvollen friedvoll gestimmten Umzugshelfer zum Rächer der unglücklich Verliebten.
„Die beiden bringen es fertig und trennen sich nächste Woche von alleine wieder“, sagt er, „aber dann ist er schon weg und hat ein neues Leben angefangen. Dabei sollen wir tatenlos zusehen?“
„Dabei werden wir tatenlos zusehen“, korrigiere ich ihn, „du mischt dich da nicht ein, Olli. Tu ihnen das nicht an.“
„Zwei unserer besten Freunde könnten ein glückliches sorgenfreies Leben führen und wir lassen beide in ihr sicheres Unglück rennen?“
„Er hat Recht. Sie liebt ihn. Wir sind vielleicht nicht damit einverstanden und er ist ganz sicher ein Arschloch, aber wir halten uns da schön raus.“
Wir brauchen hier nämlich keinen Held. Wir brauchen ein wenig Zeit, um Gras über die Sache wachsen zu lassen. Wie sagt man so schön: kommt Zeit, kommt Rat? Wer weiß, wie das Ganze in ein, zwei Jahren aussieht.
Der Abschied vorm Umzugswagen gestaltet sich schwierig.
„Ruf an, wenn du angekommen bist“, sage ich, „und wir kommen zur Einweihungsparty.“
„Für Bier fahrt ihr auch überall hin“, grinst Klaas, „ihr baut keinen Mist, ja?“
Als würden wir, kaum dass wir nicht mehr unter seiner Aufsicht stehen, die halbe Stadt in Schutt und Asche legen. Olli übergibt mir Felix, reißt Klaas in seine Arme und schleudert ihn hin und her.
„Wehe, du vergisst mich!“
Ich umarme Klaas ein wenig sanfter.
„Werde nicht erfolgreicher ohne mich“, sagt er.
„Unmöglich.“
Und als der Umzugswagen um die Ecke biegt und aus unserem Sichtfeld verschwindet, wird mir bewusst, dass ich keine Ahnung habe, wie lange es dauern wird, bis wir uns wiedersehen.