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Nichts mehr zu retten.

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann Joachim "Joko" Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf OC (Own Character) Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
145.077
18
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Dieses Kapitel
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07.05.2015 1.196
 
Leni




Eine Umarmung ist ja wohl noch drin. In dem plötzlich so winzig kleinen wir-sind-oder-waren-sowas-wie-Freunde-Universum. Körperkontakt, Körperkontakt, Körperkon - was ist das mit Männern und diesem unangestrengt gutem Geruch? Nicht aufdringlich, aber eindringlich. Und wieso fühlt sich eine Umarmung von Klaas immer an wie die die erste Umarmung des ersten Kerles, auf den ich stand? Gut unbehaglich, schlecht angenehm?

„Klaas –“

„Leni, egal, was du tun oder sagen willst, lass es.“

Leni, egal, wie sehr du diese Schokolade willst, du wolltest abnehmen. Eigentlich. Jan, mein  Weight Watchers, Klaas der Cheatday? Mir ist eine Sicherung durchgebrannt. Nicht erst gerade, aber erst jetzt spüre ich, welche Ausmaße mein unberechenbarer Charakter mittlerweile angenommen hat. Sind das Nachwirkungen der Schwangerschaft? Ein hormonelles Ungleichgewicht?

Ich küsse ihn. In dem besseren Wissen, es besser zu wissen. Und mit der edlen Absicht, es dabei zu belassen und ihn gehen zu lassen. Und das, was auch immer zwischen uns war, nicht mehr war als eine überstrapazierte Freundschaft. Bereit, zuzugeben, dass es immer und jedes Mal von mir ausging, bereit, die Schuld auf mich zu nehmen und mich von ihm stoßen lassen. Aber er tut es nicht und es wird von Sekunde zu Sekunde schwieriger, das als ''Abschiedskuss'' zu verbuchen, denn er stößt mich nicht von sich und beharrt auf mein Verschwinden. Wir sind so verkorkst. Wir machen das nicht richtig. So sollte das nicht laufen. Das ist nicht erwachsen.  

Immer, wenn du in der Nähe bist, weckst du in jedem Kerl den Beschützerinstinkt. Mit deinen großen Augen, der unbeholfenen Art, dem Stottern, wenn du nicht weißt, was du sagen sollst. Ich kann das im Moment nicht brauchen.

Wenn er es nicht macht, dann musst du eben. Ich muss mich abstoßen. Ein- für allemal. Für mich, aber, weil es mir aus diesem Blickwinkel leichter fällt, für ihn. Vor allem für ihn.

„Ich muss gehen“, jetzt sofort für immer!, „und das mit der Pause müssen wir durchziehen. Wir müssen! Wir rufen uns nicht an. Wir schreiben uns nicht. Nur ... bei wirklich wichtigen Sachen. Leb dich gut ein in … Freiburg.“

Jeder Kilometer, der uns trennt, kommt mir plötzlich vor wie ein Segen. Er nickt stumm. Was ist das nur, was mich dazu bringt, ihn  ständig zu küssen? Obwohl mein Familienglück zuhause auf mich wartet? In meinem Zuhause. In einer wunderschönen großen Wohnung rutscht Jan über einen frisch gestaubsaugten, unverschämt teuren Naturfasereppich und arbeitet hartnäckig daran, Felix zum am frühsten sprechenden Kind seines zukünftigen Kindergartens zu machen. Und ich weiß, dass er später noch die Zeit finden wird, über meine Sendung zu sprechen.  Weil er sich diese Zeit nimmt, so wie ich sie mir nehme, um Klaas zu küssen.

Meine Flucht aus der Wohnung ist übereilt und kein schöner Anblick, aber sie ist das einzig Richtige, was ich heute tun werde. Wer weiß, was passiert wäre, wenn ich weiter mitgeschwommen wäre. Einmal ist ein Ausrutscher, zweimal ist Betrug. Ich lebe nicht tatsächlich nach dieser Weisheit, aber ich will! Ich will, dass ein Kuss nichts mehr bedeutet, außer man will, dass er das tut. Ich will, dass Sex ohne Liebe kein Mythos mehr ist, der bis aufs Kleinste Frauenzeitschriften diskutiert wird. Wieso gibt es Ehen des Geldes wegen, aber Sex ohne Liebe ist ein Staatsverbrechen? Wieso kann ich es nicht? Wieso kann ich es verdammt nochmal nicht trennen?

Ich kann nicht direkt nach Hause gehen. Ich fürchte, dass Jan mir augenblicklich ansieht, was passiert ist oder was nicht passiert ist und ich will mir die Enttäuschung ersparen. Nein, vor allem ihm. Für dich habe ich mich scheiden lassen und du? Du erzählst mir nicht mal die halbe Wahrheit. Du predigst von Vertrauen, aber wem vertraust du, Leni? Und wer zum Teufel soll dir noch vertrauen?

Das Bild, das sich mir bietet, ist zwar Balsam für all den Selbsthass, der sich in mir anstaut, aber es ist auch Öl in einem lodernden Feuer. Jan liegt vollkommen entkräftet auf der Couch, alle Viere von sich gestreckt, und verfolgt das Geschehen auf dem Fernseher mit halbgeschlossenen Augen. Aber das erste, was mir auffällt, ist die Jogginghose. Karl Lagerfeld hat keine Ahnung, was gut ist. Man hat nicht die Kontrolle über sein Leben verloren, wenn man sie trägt, man ist erst richtig angekommen.

„Hey“, ich beuge mich über die Sofalehne und küsse ihn, „schläft er?“

„Ja, endlich. Tief und fest und hoffentlich länger als eine Stunde“, sagt er, „wo warst du denn so lange? Ich habe dich angerufen.“

Noch einkaufen, will ich sagen, aber das Fehlen von Lebensmitteln wird ihn stutzig machen.

„Ich habe mich noch von Klaas verabschiedet“, sage ich, „er hat so viel zutun, sonst wären wir gar nicht mehr dazu gekommen.“

Jan setzt sich schwerfällig auf. Bitte halt jetzt keine Rede darüber, dass wir erwachsen genug sind, eigene Wege zu gehen und das sich in meinem Leben so viel verändert hat, dass ich gar nicht merken werde, wenn er in Freiburg ist. Als sei mein Leben plötzlich zu eng geworden. Kein Platz mehr für Klaas. Aber das stimmt nicht. Und das wird es nie. Aber Jan und einer ausbleibenden Diskussion zuliebe würde ich es abnicken. Ich würde brav nicken, wenn er behaupten würde, es sei der Gang der Dinge, dass sich Freundschaften verlaufen. Klaas hinterlässt eine nicht zu füllende Lücke. Das will Jan nicht hören, das will ich mir nicht eingestehen, aber am Ende bleibt da diese Lücke.

„Ah“, sagt er, „ihr verliert euch schon nicht aus den Augen.“

Merkwürdig, dass zwei so unterschiedliche Menschen dieselben Ansichten teilen können. Wir werden uns nicht aus den Augen verlieren, aber aus den Herzen vielleicht.

„Ich weiß“, sage ich und rutsche neben ihn. Er riecht nach Baby und frisch gestrichenen Wänden.

„Schon komisch“, er greift nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher aus. Die plötzlich eintretende sonntagabendliche Stille schlägt mir aufs ohnehin melancholisch gestimmte Gemüt.

„Was meinst du?“

„Vor einem Jahr hätte ich mich nicht hier gesehen“, sagt Jan, „aber was lange währt, wird endlich gut, oder?“

Mir ist schlecht. Ich ziehe meine Knie an den Bauch und starre auf den schwarzen Bildschirm, in dem wir uns schwach spiegeln. Lächelt er etwa verträumt vor sich hin? Will ich das hier mutwillig zerstören? Es ist so verdammt schön, in ein warmes Nest zu kommen, aber es liegt sich unbequem, wenn man eben noch im Begriff war, in einem anderen Nest zu landen.

„Du bereust es also nicht? Gar nichts?“

„Fiona vielleicht“, sagt er, „ich liebe Leonard, aber ich hätte sie nicht heiraten dürfen. Das war für niemanden fair.“

Ich möchte nicht, dass er solche kitschigen Dinge sagt. Er soll sagen ''ich bereue es, gestern diesen Wrap gegessen zu haben und nicht den Burger'' oder ''ich bereue es, dass wir die Wand lavendel gestrichen haben'', aber nichts tiefgründiges. Kein Beziehungsgeplänkel. Bitte.

„Und du?“

In dem Regal, in dem wir die DVDs aufbewahren, steht nur ein einziger Film. Teen Lover.

„Nein, ich auch nicht“, sage ich und muss wider Erwarten nicht sofort in Tränen ausbrechen. Er legt mir seinen Arm um die Schultern und zieht mich dichter zu sich.

„Deine Sendung heute war richtig gut“, sagt er. Oh mein Herz, mein blödes Herz.
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