Nichts mehr zu retten.
von Neonschwarz
Kurzbeschreibung
"Der letzte auf der Liste ist Olli. Ich will seinen Segen. Und mit genügend Welpenblick und Anspielungen auf meine beschissene Kindheit, meine beschissene Jugend, meine halbbeschissene Zeit in der Schwebe zwischen alt genug und noch nicht alt genug wird er sich eine Träne aus dem Augenwinkel wischen und mir das Beste wünschen." [komplett überarbeitet in 2022]
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
Jan Böhmermann
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
OC (Own Character)
Olli Schulz
07.02.2015
19.05.2015
121
145.077
18
Alle Kapitel
188 Reviews
188 Reviews
Dieses Kapitel
2 Reviews
2 Reviews
05.05.2015
1.394
Leni
Noch ist im Hause Böhmermann/Ravend-Bahl, Namen, die auf dem Klingelschild zu Unterbringungsproblemen geführt haben, nicht die Eiszeit ausgebrochen. Noch ist Klaas nicht nach Freiburg gezogen, begleitet von den bärtigen Kameramännern und hilfsbereiten Frauen von Goodbye Deutschland. Und noch habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er es nicht tut. Nie tut. Ist das Strategie? Soll ich vor seiner Tür stehen, bettelnd und heulend, und ihn anflehen? Wie soll ich Felix ohne dich großziehen? Wer erklärt ihm, dass das TS in Burger Royal TS für Tomate und Salat steht? Wer zum Teufel beantwortet meine ellenlangen SMSen, indem er spontan vorbeikommt und mir O-Saft mitbringt?
Am Abend nach meiner ersten After-Baby-Radiosendung bin ich aufgekratzt und voll motiviert, also schwinge ich mich auf mein Rad, das kurz nach seinem Kauf in Jokos Kellerabteil verschwand und erst jetzt wieder auftauchte, als Zoe den Rest ihrer Sachen abholte, und fahre zu Klaas. Ich bin auf alles gefasst. Auf eine leere Wohnung. Auf gepackte Kartons, die sich sorgsam beschriftet im Flur stapeln. Nur was ich sagen will, das habe ich mir nicht überlegt. Die besten Ideen kommen einem sowieso spontan.
Heute lege ich einen sportlichen Sprint die Treppen hoch hin, wo Klaas bereits in der offenen Tür steht. Alles beim Alten. Und doch könnte es das letzte Mal sein, dass wir uns hier und so gegenüberstehen. Das letzte Mal in diesem Flur, in diesem Haus, in dieser Stadt.
„Die Sendung war echt gut“, sagt er zur Begrüßung, „du fährst wieder Rad?“
„Du hörst die Sendung?“, frage ich überrascht und betrete die Wohnung mit einem flauen Gefühl im Magen, „ich dachte, du bist zu beschäftigt damit, zu packen.“
„Bin schon fast fertig“, er blickt in die leeren Zimmer.. Ja, er hat recht. Alles sauber. Alles ordentlich. Alles leer.
„Hm“, meine Begeisterung hält sich in Grenzen. Aber wider meines eigenen Erwartens stürze ich mich nicht sofort in einen Redeschall. Ich leiste keine hitzige Überzeugungsarbeit. Für eine Sekunde denke ich, ich kann es zulassen, ich kann ihn ziehen lassen.
„Willst du was trinken? Wasser? Tee?“
„Ob ich Tee will?“, wiederhole ich halb verächtlich, halb irritiert, „nein, ich will keinen Tee, Klaas. Ich will dich davon abhalten, nach Freiburg zu ziehen.“
„Das überrascht mich jetzt. Ich dachte, du räumst ein paar Küchenschränke aus“, erwidert er locker.
„Du könntest die Wohnung hier wenigstens behalten“, protestiere ich, „das ist dein Zuhause. Sowas findest du in Berlin nie wieder.“
„Ich wohne ja auch nicht mehr in Berlin, ich wohne in Freiburg“, korrigiert er mich freundlich.
„Du wohnst in Berlin.“
Jaja, leg die letzten Tage ruhig auf die Goldwaage, du Idiot. Du verstehst nicht, was es für mich heißt, nicht mehr spontan bei dir vorbeifahren zu können. Du suchst dir in Freiburg eine neue Leni und ich bin „ein Mädchen, mit dem ich damals, als ich noch in Berlin gewohnt habe, ziemlich eng war, aber –“. Man lebt sich auseinander. Jeder Kilometer steht für ein Treffen weniger. Und wenn wir uns dann alle zwei, drei Jahre treffen, sind wir älter geworden, Felix größer und alles anders. Du wirst bei den wichtigen Momenten nicht da sein. Keine „bin gerade um die Ecke, Lust was essen zu gehen?“ Nachrichten mehr.
„Warum fällt dir das so schwer, Leni?“
„Du weißt genau, wieso. Du bist einer meiner besten Freunde. Wir vier. Hier in Berlin“, sage ich, „so sollte es immer sein, oder? Ich bin für euch hierher gezogen. Weil ich bei euch sein wollte.“
„Aus den Augen aus dem Sinn?“, fragt Klaas amüsiert. Halb amüsiert. Im Grunde meint er es ernst. Im Grunde wird genau das passieren und ich kann nichts dagegen tun. Vielleicht will er das ja gar nicht. Vielleicht will er mich einfach vergessen. Das ist sein Weg des geringsten Widerstands.
Ich kann mir ja seine neue Sendung anschauen und zu meinem Sohn sagen „guck mal, das ist dein Onkel Klaas“. Ich bin froh, dass er die Couch nicht schon vorgeschickt hat, denn ich muss mich dringend setzen. Sitzstreik.
„Als du nach Köln gezogen bist, haben wir uns trotzdem fast jede Woche gesehen“, erinnert er mich, „Leni ...“
Woah, woah, woah. Warum schlägt Herr Heufer-Umlauf plötzlich diesen ernsten Ton an? À la „wir müssen reden“. Ich weiß das. Deswegen bin ich hier. Nur mag ich die Richtung, in die es abdriftet, nicht. Schmeckt nach schlechtem Gewissen und „erinnerst du dich an meine total verkorkste Geburtstagsfeier?“ Denn das tue ich. Mehr als das. Sie hat sich mir eingebrannt.
„Ja?“
Ich mache gute Miene zu bösem Spiel. Klaas ist nicht der Typ, der jetzt auf längst Vergangenes anspielt. Ihm ist das mindestens so unangenehm wie mir.
„Du hast jetzt deine eigene Familie“, erklärt er in diesem Psychologen-Tonfall, „Jan und du, ihr seid zusammengezogen. Dein Lebensmittelpunkt hat sich verlagert.“
„Was soll das heißen? Dass ich Hausfrau werden soll? Ja, Felix ist mein Lebensmittelpunkt, aber er braucht euch alle, um behütet aufzuwachsen. Er braucht dich. Jan ist nicht der Mittelpunkt der Welt.“
„Du wolltest ihn unbedingt haben. Jetzt hast du ihn, kümmer dich drum.“
„Redest du von einem Hund oder von Jan?“, will ich wissen. Meine Nasenflügel beben wütend.
„Ich denke, man muss ihn immer beschäftigen, sonst langweilt er sich.“
„Man könnte meinen, du gönnst mir mein Glück nicht.“
Klaas gönnt mir mein Glück nicht, Jan mir keinen besten Freund. Ätzend. Und verständlich und in 50% der Fälle sogar berechtigt, aber das weiß ja niemand. Außer Klaas. Womit diese unterschwellige Wut von allen Seiten eine 100%ige Daseinsberechtigung hätte. Verdammt. Ich bin so ungerne im Unrecht.
„Du weißt, dass das nicht wahr ist. Ich gönne dir alles Glück der Welt“, erwidert er gelassen.
„Jan geht’s gut. Bestens. Du brauchst dir keine Sorgen um ihn zu machen“, murmle ich, „er ist ein Vorzeigevater. Ein verdammter Vorzeigefreund. Ja, ich habe ihn gewollt und ich bin froh, dass ich ihn habe.“
„Und er hat sicher nichts gegen den Umzug“, sagt Klaas, „es ist das Beste für euch, wenn ich nicht ständig in eurer Wohnung rumhänge und mit eurem Kind spiele. Gerade jetzt, wo alles noch frisch ist. Und wenn du jetzt mal eine Sekunde ehrlich bist, weißt du das auch, Leni.“
„Du ziehst also für mich weg?“, frage ich skeptisch. Klaas sieht mich lange an. Zu lange. Und mit jeder Sekunde, die sich elend lang zieht, kristallisiert sich die Antwort mehr heraus. Nicht, dass sie das gemusst hätte. Ich habe mir mit meiner Frage selbst eine Grube gegraben. Es ist das Beste für ihn, wenn er nicht ständig in unserer Wohnung rumhängt und mit unserem Kind spielt.
„Wegen mir“, schließe ich. Man kann sich viel einreden, aber solange niemand die dunkelste Vorahnung bestätigt, steht sie bloß im Raum. Und man kann sie zwar nicht ignorieren, aber neben ihr existieren. Sobald sie real wird, sobald sie nicht länger eine bloße Vorahnung ist, kann man nicht mehr zurück.
„Leni –“
„Wegen mir. Scheiße. Ich hätte diese scheiß Pause respektieren sollen, aber ich konnte es nicht!“, fluche ich und springe auf, „alles, was ich getan habe, tut mir leid, Klaas. Wirklich, ich könnte – es tut mir so, so leid.“
Ich wusste, diese Pause würde mich schneller wieder einholen als mir lieb ist. Und jetzt ist sie zurück. Und offenbar hat sie sich ausgedehnt. Auf, ich weiß nicht, für immer?
„Nein, warte“, hält er mich auf, „das soll unser Abschied sein?“
„Ich wusste nicht, dass er das schon ist“, gebe ich zu, „ich dachte, das machen wir dann beschämt im Freundeskreis. Zwei Minuten vor Abreise.“
Gutmütigkeit gepaart mit Enttäuschung ist eine Mischung, die hochgehen kann wenn man nicht damit rechnet. Genau genommen könnte sie Gewaltausbrüchen führen. Oder zu Heulkrämpfen. Zu langen Umarmungen oder harten Ohrfeigen.
„Ich finde in Freiburg mich Sicherheit weder einen neuen Olli, noch einen neuen Joko und schon gar keine neue Leni. Die Wahrscheinlichkeit, dass es solche Menschen zweimal gibt, ist verschwindend gering, oder?“, verspricht Klaas, „ihr werdet mir wahnsinnig fehlen.“
Aber du bist jetzt mit Jan zusammen und in deinem Leben ist jetzt kein Platz mehr für mich. Sie werden niemals co-existieren können. Bevor du mich ins Tierheim bringst, lass mich wenigstens auf einem Gnadenhof leben.
„Du mir auch“, versichere ich ihm. Ich hasse den Prä-Umarmungs-Moment. Soll man, soll man nicht? Links oder rechts? Die Arme oben oder unten? Wie lange? Wie fest?
„Hey“, sagt Klaas und kommt seinerseits auf mich zu, „wir sind doch keine Fremden.“
Und ich werde nicht zulassen, dass wir das werden.