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Licht oder Schatten 1 - Kindheitsmagie

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P12 / Gen
Albus Dumbledore Harry Potter Lord Voldemort / Tom Vorlost Riddle
02.01.2015
24.01.2015
6
21.385
11
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Dieses Kapitel
3 Reviews
 
11.01.2015 4.573
 
AN: Es ist extrem viel dazwischengekommen, aber dennoch ein Kapitel noch in dieser Woche.

Verfolgungsjagd



I

Es war erschöpfend, diesem Achtjährigen hinterherzurennen. Nicht so sehr, weil er so unglaublich schnell war, sondern weil er wusste, wohin er gehen musste, wenn er sich verstecken wollte. Harry hatte, weil sie ihm ja unbedingt erst hatten Flüche nachfeuern müssen, anstatt ihm gleich hinterher zu laufen (wirklich, warum kannte keiner von ihnen einen Zauber, der einen schneller rennen ließ?), einen gewissen Vorsprung bekommen, der für ihn vollkommen genügte, um zum nächsten Spielplatz zu rennen.

Es war noch immer ein Schock, dass es ausgerechnet Harry Potter war, den sie jagten. Inzwischen war wohl auch klar, dass er etwas mit dem brennenden Haus zu tun hatte. Niemand, der vollkommen unschuldig war, reagierte auf die Art auf eine höfliche Frage. Aber wo war der Junge jetzt? Es wäre wirklich ausgesprochen peinlich, gegen ein achtjähriges Kind ein Wettrennen zu verlieren, auch wenn es Harry Potter war und wirklich niemand damit rechnen konnte, dass er sich gegen Ganzkörperklammern wehren konnte.

Was war eigentlich, wenn der Junge längst schon von diesem Spielplatz verschwunden war? Oh, wir haben Harry Potter und ein brennendes Haus getroffen und Harry Potter war leider viel zu schnell für uns. Tolle Geschichte für die Vorgesetzten. Flowerrain fluchte leise, während er in den Raum unter dem Klettergerüst lugte. Natürlich war da nichts, er hatte immerhin schon zweimal dort hineingesehen, aber er war so verzweifelt in seiner Suche, dass sein Gehirn ihm regelmäßig Signale sendete, er könnte ja etwas übersehen haben.

„Harry, komm doch raus!“, rief er einer Eingebung folgend. „Wir wollen dir doch nichts Böses!“ Erstaunlicherweise kam keine Antwort. Er hörte sich ungefähr so überzeugend an wie Rufus Scrimgeour auf seiner letztjährigen Halloweensrede, in der er allen erzählt hatte, wie furchtbar dankbar er für ihre Arbeit sei. Gab es nicht irgendetwas, was sie tun konnten, um den Jungen durch Magie herbeizuzwingen? Offenbar eher nicht. Einen Accio-Zauber konnten sie nicht verwenden, zu groß die Gefahr, dass es den Jungen, der überlebt hatte, verletzten würde. „Wo ist dieser verdammte Junge nur?“, flüsterte er Shacklebolt zu, nur um seine Frustration zu teilen. „Der muss doch immer noch hier auf dem Spielplatz sein, sonst hätten wir ihn doch wegrennen sehen.“

Shacklebolt deutete einfach nur auf die drei Bäume, die als kleiner „Wald“ am Spielplatz angrenzten. Einer davon war theoretisch bekletterbar, zumindest, wenn man Übung darin hatte. Es war eine alte Kastanie, deren Früchte noch immer vom letzten Herbst als plattgedrückte Streusel auf dem Boden verfaulten. „Falls Sie da nicht schon nachgesehen haben, ist das wohl die einzige Möglichkeit.“ Es schien, als hätten die Äste im mittleren Drittel des Baumes sie gehört, denn sie fingen plötzlich bedenklich  zu wackeln an.

Der Junge war eindeutig dort, aber er kletterte nicht herunter, sondern immer weiter nach oben. Nicht gut. Natürlich könnten sie die Kiefer problemlos fällen, aber dem Jungen dort oben würde es nicht allzu gut ergehen. Damit drohen konnten sie allerdings. „Wenn du nicht sofort dort herunterkommst, werden wir den Stamm kappen müssen!“, rief Flowerrain nach oben und sah aus dem Augenwinkel, wie sein Kollege die Augen verdrehte. Im selben Moment erkannte er selbst, dass er ein wenig übereifrig gewesen war. Jetzt würde Harry mit Sicherheit absolut alles tun, um ihnen nicht in die Hände zu fallen.

Nun bewegte sich nichts mehr auf dem Baum, aber das hieß wahrscheinlich nur, dass der Junge abwartete, ob sie ihre Drohung tatsächlich wahrmachen würden. Das war das Dumme mit solch drastischen Behauptungen: Meistens stimmten sie nicht. Offensichtlich hatte Harry diese Erfahrung bereits gemacht. Und wenn sie bewiesen, dass sie stimmten, würden sie damit nur umso mehr die Angst des Jungen auf sich ziehen. Es war zum Verrücktwerden!

Shacklebolt empfand die Situation offenbar als weitaus weniger vertrackt als Flowerrain. Kurz entschlossen begann er, mit geübten Bewegungen nach oben zu klettern. Der Vorteil an solchen Bäumen war, dass derjenige, der sich auf ihnen befand, irgendwann an einer Stelle anlangte, an der er nicht weiterkonnte. Der Junge würde da oben wahrscheinlich riesige Ängste ausstehen, aber wo sollte er denn schon noch hin?



II

Nur wenige Minuten, nachdem er das Büro verlassen hatte, erschien ein eindeutig gezeichneter Albus Dumbledore erneut darin. Das Bild des fallenden Vernon Dursley, der höchstwahrscheinlich aufgrund der Rauchvergiftungen sterben würde, stand ihm noch immer deutlich vor Augen. Wie hatte Harry nur so etwas tun können? Die Dunkle Magie schien auf ihn überdurchschnittlich starke Auswirkungen zu haben, anders war ein solch extremes Verhalten nicht zu rechtfertigen. Natürlich, die Dursleys hatten ihn vernachlässigt und benachteiligt, aber sie hatten ihn weder jemals missbraucht noch in ernsthafte Gefahr gebracht. Wenn man einmal von seinem schweinsähnlichen Cousin absah, der Harry durchaus den ein oder anderen blauen Fleck beigebracht hatte. Dennoch, es war nichts weiter gewesen als pures Unglück, das derart schlimme Folgen hinterlassen hatte. Dumbledore hoffte bloß, dass Harry nicht schon jetzt allzu sehr vereinnahmt von dem euphorischen Rausch war, den die Dunkle Magie mit sich brachte.

Kurz entschlossen wandte er sich zu der Vogelstange um, die sich hinter seinem Schreibtisch befand, kurz vor der Treppe, die zu den privaten Gemächern Dumbledores führte. Fawkes sah nicht besonders gut aus; er stand kurz vor seiner nächsten Wiedergeburt. Dennoch, er musste nun etwas für ihn tun, ansonsten hätte er Harry für´s Erste an das Ministerium verloren. „Fawkes, mein Junge, könntest du für mich ein wenig nach Harry suchen?“ Der Phönix ließ ein leises Trillern ertönen, das sich in Dumbledores Ohren ein wenig unwillig anhörte.

„Er sieht so ähnlich aus wie ein gewisser James Potter, den du vor 17 Jahren hier ab und zu mit schuldbewusstem Gesicht hast stehen sehen, und besitzt eine blitzförmige Narbe auf der Stirn. Momentan dürfte er sich gerade ein wenig östlich von London befinden. Ich hoffe wirklich, dass du ihn finden kannst.“ Dumbledore war sich, wie immer, wenn er mit Fawkes sprach, vollkommen sicher, dass er ihn verstand, auch wenn er es nicht besonders deutlich zeigte. Der Phönix war eine der intelligentesten magischen Kreaturen und wenn er die nötigen anatomischen Beschaffenheiten dazu besäße, beispielsweise eine größere Mundhöhle, könnte er vielleicht sogar sprechen.

Aber ein Phönix war keine Eule und das bedeutete vor allem, dass er mit Adressen nicht so viel anfangen konnte, wie eine magische Posteule das könnte. Insofern würde es vermutlich ein wenig dauern, bis er Harry gefunden hatte, wäre aber in jedem Falle schneller als ein alter Mann, der ebenfalls die genaue Richtung nicht kannte. „Ich schlage vor, du beginnst an der Stelle, an der sich Haus mit einiger Rauchentwicklung befindet. Auch, wenn ich denke, dass Harry sich schon ein wenig von dort entfernt haben wird.“

Der Phönix gab keinen Laut von sich, sondern verschwand auf einmal einfach in einer Stichflamme. Dumbledore konnte nur beten, dass es ihm gelänge, Harry zu finden, bevor die Auroren ihn ergriffen.



III

Schneller, immer schneller trug das unsichtbare Gebilde aus Luft den mühsam zusammengehaltenen schwarzen Rauch, der sich darin ballte. Voldemort verspürte die schlimmsten Schmerzen seit Ewigkeiten, aber er zwang sich zur Konzentration. Eine Seele ertrug es nicht, außerhalb eines Körpers gefangen zu sein, so viel hatte er inzwischen gemerkt. Sie wollte fliehen, dorthin, wo er niemals wollte: In den Tod. Aber sie konnte nicht, wurde von seinem Willen und den fehlenden Teilen, an die Erde gefesselten Teilen, am Leben erhalten. Hätte Voldemort einen Körper, er hätte geschrien, so stark war der Schmerz, den dieses immerwährende Verlangen nach einer Flucht aus dieser Welt hervorrief, das nur in einem richtigen Körper nicht stattfand. Aber er musste reisen. Endlich hatte er wieder eine Perspektive, nach sieben ewigen Jahren der Qual, des Nichtseins. Die konnte er unmöglich fortwerfen. Mit allergrößter Willenskraft, für die er sich flüchtig selbst bewunderte, trieb er die Luft weiter nach vorn und flog über Wälder, Flüsse, Täler und Seen zu dem einen Ziel, das er so schnell wie möglich erreichen musste. Zu seinem neuen Körper, der noch gar nicht wusste, was für eine große Ehre ihm bald zuteilwürde.

Und er spürte, wie er sich ihm mehr und mehr näherte.



IV

Harry hörte, wie die Äste unter ihm sich zu bewegen begannen. Bang schaute er noch oben. Er konnte unmöglich weiterklettern, die Äste über ihm waren zu dünn und würden auf jeden Fall brechen. Schon jetzt befand er sich auf einem eher mäßig vertrauenswürdigen Ast. Das unverkennbare Knacken und Knarzen, das jeden Bekletterer dieses Baumes begleitete, kam unaufhaltsam näher. Seine Konkurrenz war nicht besonders schnell, aber das musste sie ja auch nicht sein. Harry war in einer Sackgasse gefangen.

So ein Mist! Er wollte nicht ins Gefängnis, wollte nicht eingesperrt werden für was immer es war, was er da getan hatte. Eigentlich konnte er doch überhaupt nichts dafür! Es war wie im Rausch gewesen, fast, als sei er nur ein stummer Beobachter, ein Zuschauer, der nicht wollte, dass die Vorführung endete … und dieses Gefühl … Als sei alles, was er tat, vollkommen richtig und müsse genau so und nicht anders sein. Und jetzt wollte man ihn einsperren.

Eine kleine, düstere Stimme, die er schon oft gehört, aber fast nie beachtet hatte, schien ihm Mut zuzusprechen: „Sie haben es doch nicht anders verdient. Denk an den Schrank …  an die Bevorzugung von Dudley … daran, wie sie dir nie geglaubt haben, egal, wie richtig du gelegen hast.“ Und er hatte sie dafür umgebracht. Vielleicht würde er irgendwann verstehen, was diese Tat wirklich bedeutete, aber jetzt war dieser Zeitpunkt auf keinen Fall gekommen. Es war wie etwas, das man in den Nachrichten sah und was auch dort blieb, nur schwach mit der Realität verknüpft. Die Dursleys waren tot. Und er hatte es getan. Das war so unwirklich, so unglaublich weit weg, dass er es sich einfach nicht vorstellen konnte. Seine verhassten Verwandten sollten einfach wie vom Erdboden verschluckt sein, weil er es gewollt hatte. Und nun würde er dafür vermutlich für sein gesamtes restliches Leben eingesperrt werden.

Ein lautes Knacken riss ihn aus seinen Tagträumen. Der Ast, auf dem er stand, bewegte sich ein beinahe unmerkliches Stück nach unten. Hastig stieg er auf einen anderen Ast, der nicht viel dicker aussah. Und blickte nach unten. Es war der Dunkelhäutigere von den beiden. Der schwarze Mann kam immer näher an ihn heran und würde in spätestens einer Minute oben bei ihm sein. Wieder erklomm er ohne Schwierigkeiten einen weiteren Meter des Baumes. Verzweifelt blickte Harry sich um. Die anderen beiden Bäume in seiner Umgebung waren viel zu weit entfernt, um herüberzuspringen. Er hoffte dennoch so sehr, dass irgendetwas passieren würde, irgendetwas, das bewirkte, dass er entkommen konnte. So weit, über die Sinnlosigkeit dieses Wegrennens nachzudenken, kam er nicht. Sein einziges Denken war einfach darauf ausgerichtet, hier und jetzt vor diesen beiden Männern zu fliehen, irgendwohin, um nicht wieder in ein Gefängnis gesperrt zu werden, nachdem er erst heute auf denkbar brutalste und endgültigste Art aus dem Vorherigen entkommen war.



Shacklebolt kletterte schnell, aber an den panischen Blicken des Jungen und an der Art, wie er sich angstvoll an den Stamm klammerte, konnte man bereits erahnen, bevor es geschah, dass es nicht schnell genug sein würde. Als er gerade kurz abrutschte und den Blick nach unten richtete, ertönte über ihm der typische Knall, der charakteristisch war für jede Apparation. Verflucht! Es war nichts besonderes, dass magische Kinder, die Angst hatten, plötzlich apparierten, aber er hatte gehofft, oben zu sein, bevor der Junge genug Panik hatte, um so etwas zu tun.

„Kannst du sehen, wohin er appariert ist?“, rief er nach unten, während er sich bereits auf den Rückweg machte. Aber in dem Moment hörte er auch schon die sich schnell entfernenden Schritte seines Kollegen. Wunderbar. Damit war er nun erst einmal nutzlos. Wenn er sich wenigstens selbst schweben lassen könnte, aber das war zu unkontrollierbar. Einen speziellen Spruch für den Fall, dass jemand auf einem Baum festhing und eigentlich keine Zeit für den Abstieg hatte, existierte leider nicht. Fluchend beschleunigte er sein Klettertempo, in der Hoffnung, Flowerrain würde es allein gelingen, den Jungen endlich einzufangen. Je länger das hier dauerte, desto peinlicher wurde es nur.

Als er endlich vom Baum hinabgestiegen war, waren sowohl Flowerrain als auch Harry wie vom Erdboden verschluckt.



V

Harry hatte furchtbare Angst, als er sich plötzlich auf dem Dach eines Hauses wiederfand, unweit entfernt von der Kastanie, auf der er zuvor gewesen war. Was geschah hier mit ihm? Erst diese seltsamen Kräfte bei den Dursleys und jetzt auch noch das! Es war fast wie … wie … Zaube-“ Er brachte das Wort nicht zu Ende, weniger wegen seiner Angst vor der Reaktion von Onkel Vernon (aus der Richtung war nun wirklich nicht mehr allzu viel zu erwarten), sondern vielmehr, weil er aus den Augenwinkeln erkennen konnte, wie der weiße Auror – eine andere klare Unterscheidungsmöglichkeit als die Hautfarbe besaß er leider nicht – plötzlich auf genau das Haus zulief, auf dem er sich befand.

Es war glücklicherweise kein besonders steiles Dach, sondern verlief in sehr weitem Winkel zur Dachspitze nach unten. Er konnte zwar nicht aufrecht stehen, aber es reichte, wenn er sich mit den Fingern auf den Schindeln abstützte, die wegen ihrer starken Porosität guten Halt boten. Harry, der sich sicher war, dass er ihm unmöglich hier hoch folgen konnte, sah sich in Ruhe nach einer Möglichkeit um, ungesehen vom Dach zu kommen. Plötzlich ertönte jedoch ein leiser Knall nur wenige Meter hinter ihm und der Mann tauchte auf, wo vorher bloß Luft gewesen war. Harry blieb keine Zeit zu hinterfragen, wie das möglich war, denn das war der Moment, in dem Harry das offene Dachfenster entdeckte.

Der andere sah es auch, aber wenn er schnell genug war- „Hör doch endlich auf, vor uns wegzulaufen“, sagte der Mann und hielt plötzlich eine Art Stock in den Händen, was wohl eine Drohung darstellen sollte. „Wir sind Auroren vom Zaubereiministerium, das musst du doch erkennen. Wir wollen dir doch nichts tun.“ Auroren? Zaubereiministerium? Der Mann sprach, als müsste es ihm bekannt sein, aber diese komischen Begriffe sagten Harry überhaupt nichts. Was sollte das sein, ein Auror? Nun, er würde später darüber nachdenken, jetzt hatte er keine Zeit.

Mit drei entschlossenen Schritten erreichte er das Dachfenster, das glücklicherweise ziemlich weit offen stand, und schwang sich problemlos hinein. Der Mann – Auror – was immer er auch war, er fluchte jedenfalls. Harry meinte, noch bevor er den Raum so unbefugt betrat, ein „willst du wirklich, dass wir dir wehtun müssen?“ zu hören, aber es war ihm egal, denn er hatte nicht bedacht, dass direkt unter dem Dachfenster wohl nicht sofort der Boden sein würde.

Stattdessen trat er ins Leere, verlor das Gleichgewicht und prallte schmerzhaft auf ein klappriges, mit Papier bedecktes Tischchen, das unter dem plötzlichen Gewicht augenblicklich zusammenkrachte. Obwohl er einen dumpf pochenden, hartnäckigen Schmerz in seinem linken Knie spürte, auf dem er zuerst gelandet war, raffte er sich auf und sprintete augenblicklich zur Tür, ohne seine Umgebung auch nur im Ansatz wahrzunehmen. Die völlig erstarrte Frau zu seiner Rechten, die offenbar gerade das Fenster wieder hatte schließen wollen, übersah er ebenfalls.



Flowerrain stieg weitaus vorsichtiger durchs Fenster, und auch, wenn er überlegte, ob er wohl wirklich dazu befugt war, ließ er sich trotzdem nicht aufhalten. Sein erster Auftrag als Auror, da konnte er sich doch nicht ernsthaft von einem Achtjährigen überlisten lassen! Wenn sie ihn von Anfang an einfach betäubt hätten – aber nein, es musste ja so laufen. Er sprang wesentlich eleganter durch das offene Fenster als Harry und wäre auch deutlich eleganter gelandet, wenn die Frau nicht noch immer mit großen Augen und geringfügig konsterniert unter das Fenster getreten wäre, um es endlich zu schließen. So begrub er sie mit einem Aufschrei unter sich und stürzte ebenfalls zu Boden. Auch das noch! Das gab bestimmt Bonuspunkte beim Vorgesetzten.

„Tut mir leid“, nuschelte er, zog erneut den Zauberstab, den er für den Sprung weggesteckt hatte und rief: „Obliviate!“ Noch während die Frau glasige Augen bekam, hechtete auch er zur Tür, riss sie auf und sprintete hinaus. In genau diesem Moment fiel auch die Haustür mit einem lauten Knallen ins Schloss. Verdammt, der Junge war wirklich schnell!



VI

Fawkes sah das brennende Haus schon aus weiter Ferne und hielt ohne zu zögern darauf zu. Dort versammelte sich zwar eine Menschentraube, aber der Schulleiter hatte ja angekündigt, dass Harry vermutlich ein wenig weitergelaufen sein würde – wenn er überhaupt noch da war und die Auroren ihn nicht längst geschnappt hatten. Aber bei Kindern gingen sie eigentlich grundsätzlich mit deutlich sanfteren Methoden vor, daher konnte es durchaus sein, dass sie ihn noch nicht bekommen hatten.

Phönixe sahen hervorragend, ihre Augen waren ähnlich denen eines Adlers aufgebaut. Fawkes sah also, kaum war er nach kurzem Flug über dem nun beinahe völlig niedergebrannten Haus angekommen, auf das dennoch von der Feuerwehr fleißig Wasser gespritzt wurde, nur zwei Straßen weiter, was einem Menschen aus derselben Perspektive vollkommen unmöglich zu sehen gewesen wäre: Wie ein Mann versuchte, in ein ihm unbekanntes Haus mit einem recht flachen roten Dach einzusteigen.

Dieser Mann hatte nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem Jungen, den Albus Dumbledore beschrieben hatte, aber der Junge, der kurz darauf aus dem Haus herauskam, besaß diese Ähnlichkeit durchaus, sofern Fawkes das erkennen konnte. Er beschloss, augenblicklich und so schnell es ihm möglich war in diese Richtung zu fliegen.



VII

Shacklebolt hatte zwar seinen Kollegen noch immer nicht entdeckt, aber er sah, wie sich eine Tür im Haus direkt gegenüber vom Spielplatz öffnete und ein Junge mit schwarzen, chaotischen Haaren in panischer Hast hinausgelaufen kam. Es blieben nicht allzu viele Möglichkeiten, wer das wohl sein könnte. Seine vernachlässigte körperliche Fitness verfluchend, die zwar nicht schlecht war, aber auch schon bessere Tage gesehen hatte, lief Shacklebolt auf den Jungen zu, der anscheinend erst wieder hatte zum Spielplatz rennen wollen, aber nun aus vollem Lauf abbremste und umdrehte.

Shacklebolt zückte seinen Zauberstab, aber der Stupor verfehlte Harry und schlug stattdessen in ein parkendes Auto neben ihm ein, dessen Erbauer dankenswerter Weise auf eine Alarmanlage verzichtet hatten. Trotz des heftigen Kontakts mit dem Spruch, der sogar eine kleine Delle hinterließ, blieb es vollkommen still.

Harry unterdessen lief deutlich langsamer als zu Beginn dieser Verfolgungsjagd. Verständlicherweise verließen auch ihn allmählich seine Kräfte und Shacklebolt holte deutlich auf. Flüchtig fragte er sich, was mit seinem Kollegen geschehen war, aber der befand sich wahrscheinlich noch in dem Haus, aus dem Harry Potter – er konnte es immer noch kaum fassen, dass es ausgerechnet diese Berühmtheit war, die er da jagen musste – soeben gekommen war. Wahrscheinlich hatte er irgendwas umgerannt. Sein werter Kollege tendierte dazu, ein wenig zu ungestüm an Dinge heranzugehen. Jeder Gedanke war für Flowerrain ein verschwendeter Moment, in dem man genausogut hätte handeln können.

Der Junge schien absolut keine Idee mehr zu haben, wohin er laufen sollte, den plötzlich blieb er einfach stehen und Shacklebolt lief keuchend die letzten 20 Meter zu ihm hin, um diese ziemlich peinliche Verfolgungsjagd endlich beendet zu sehen.



Harry keuchte und war völlig außer Atem. Er wusste genauso gut wie sein Verfolger, dass er dieses Tempo unmöglich halten konnte. Gegen Dudley hätte er nun längst schon gewonnen gehabt, so schnell war er vor seinem fetten Cousin noch nie weggelaufen. Abgesehen davon brannte sein Knie und er befürchtete, es könnte verstaucht sein. Er wollte nicht gefangen genommen werden! In der verzweifelten Hoffnung, dass es vielleicht seinen Verfolger abschütteln könnte, konzentrierte er sich auf eine am Straßenrand stehende Laterne und versuchte, den Schmerz und alles andere auszublenden, um sie dazu zu bringen, gegen den schwarzen Mann zu fliegen.

Er hatte Vernon Dursley fliegen lassen. Er hatte ein Haus in Brand gesteckt. Er hatte ohne sich bewegen zu müssen Entfernungen überwunden. Da würde es doch wohl mit dieser Straßenlaterne auch noch klappen. Es klappte auch. Die Straßenlaterne löste sich aus ihren Angeln und Harry merkte auf einmal, wie sich etwas in seinem Bauch vor Schmerz zusammenballte und seine Glieder noch schwerer wurden, als sie es ohnehin schon waren.

Was immer es war, das er da gerade nutzte, es schien, als hätte er es überlastet. Aber das durfte ihn jetzt nicht aufhalten. Der Mann hielt noch immer genau auf ihn zu, irgendetwas musste er doch tun! Die Laterne drehte sich wie von Geisterhand und schoss mit der Leuchte voraus auf den Schwarzen zu, während Harry aufkeuchte, weil sich das, was immer dort in seinem Bauch so schmerzte, nun umso mehr beschwerte.

Er sah, wie der Schwarze einfach ungerührt weiterrannte, wenn auch mit einem recht überraschten Gesichtsausdruck, direkt auf die Laterne zu. Im Laufen holte er irgendetwas aus der Tasche, aber egal, was es war, es würde ihm nicht helfen, die Laterne war zu nah, er konnte unmöglich ausweichen – und dann prallte die Laterne gegen etwas wie eine unsichtbare Wand direkt vor dem Mann und zerbrach in mehrere Teile.

Harry riss entsetzt die Augen auf angesichts dieser schier unmöglichen Tat – wobei, an dem heutigen Tag war wohl überhaupt nichts unmöglich – und brach entkräftet auf der Straße zusammen. Obwohl er physisch nicht wirklich völlig ausgelaugt war, hatte er etwas anderes überanstrengt, das tief in ihm schlummerte. Schon beim plötzlichen Auftauchen auf dem Dach hatte er einen Stich im Bauch verspürt, und jetzt war dieser eine Stich zu vielen, vielen weiteren geworden. Er hörte, wie der schwarze Mann nun direkt vor ihm war; er hatte seinen Schritt deutlich verlangsamt, weil er sah, dass hier keine Flucht mehr zu erwarten war.



Kingsley Shacklebolt stand vor Harry Potter und wusste, dass diese Verfolgungsjagd vorbei war. Mit einem Blick auf den Jungen schwor er sich, dass davon niemals irgendjemand erfahren würde. Eine solch lange Jagd auf ein gerade einmal achtjähriges Kind. Seine magischen Fähigkeiten waren durchaus beachtlich für einen Jungen seines Alters (vor allem, wenn man davon ausging, dass er dieses Feuer gelegt hatte, aber ganz sicher war das ja noch nicht), aber andererseits hatte er auch permanent sehr starke Emotionen verspürt.

Shacklebolt hörte, wie hinter ihm Schritte ertönten; offenbar war nun auch Flowerrain endlich draußen angekommen. Jetzt mussten sie den Jungen nur noch betäuben und zum Ministerium bringen und dann – eine kleine Gestalt sauste aus den Augenwinkeln heran und direkt auf den Jungen zu und ohne, dass Shacklebolt oder Flowerrain auch nur die geringste Chance hatten zu reagieren, loderte eine hohe Flamme vor ihnen auf und hinterließ nichts bis auf geschwärzten Asphalt.



VIII

Harry erschien in einer Stichflamme in einem Raum, der so absonderlich war, dass jegliche Beschreibung eigentlich nicht ausreichen konnte. Am Imposantesten war der Schreibtisch, vor dem er erschienen war; er bestand aus dunklem Holz undefinierbarer Herkunft. Im gesamten Raum standen kleinere Tische mit vollkommen abstrusen Instrumenten meist silberner Farbe. An der runden Wand standen Regale mit teilweise ziemlich bröckligen Büchern und einem außerordentlich zerschlissenen Hut. Und über diesen Regalen hingen in Gold eingerahmte Porträts oftmals älterer Herren, die … die sich bewegten.

Harry war so völlig perplex, dass er den alten Mann mit dem langen Bart, der sich hinter dem großen, ebenfalls mit Büchern bedeckten Schreibtisch befand,  zunächst gar nicht richtig wahrnahm. „Einen angenehmen guten Nachmittag wünsche ich“, sagte der alte Mann lächelnd. „Ich würde dir gern ein paar der Kuriositäten erklären, die dir heute widerfahren sind, aber ich fürchte, du bist momentan nicht unbedingt in der richtigen Verfassung dafür.“ Er bewegte einmal kurz die Hand, und bevor Harry, vollkommen überwältigt von den Eindrücken, anfangen konnte Fragen zu stellen oder sich auch nur vor dem Mann zu fürchten, vor dessen krummer Nase er so unverhofft aufgetaucht war, fielen ihm auch schon die Augenlider zu und er setzte sich auf den Boden. Leichter Schwindel überfiel ihn und bevor er es auch nur seltsam finden konnte, dass eines der Porträts sich auch noch räusperte, schlief er bereits ein.

Dumbledore schwang kurz entschlossen seinen Zauberstab und Harry wurde sanft in die Luft gehoben und schwebte wenige Zentimeter vor ihm in der Luft. Er sah trotz seiner verdreckten Erscheinung im Schlaf vollkommen friedlich aus; kein Hinweis mehr auf das, was ihm widerfahren war. Dumbledore hoffte nur, Harry würde heute noch ohne Alpträume auskommen, die durchaus eine mögliche Folge dieser furchtbaren Ereignisse sein könnten.

Während der Junge wie von Geisterhand in Richtung seiner Gemächer zu schweben begann, wo er dann auf Dumbledores Himmelbett abgelegt wurde, wandte sich Dumbledore bereits seinem Phönix zu. „Ich danke dir, mein Freund. Es überrascht mich wirklich immer wieder, wie schnell und präzise du solche Aufgaben erledigen kannst, obwohl es das nun wirklich nicht mehr sollte. Ich schätze, wir Menschen sind einfach nicht besonders gut darin, die Intelligenz anderer Lebewesen auch nur im Ansatz richtig einzuschätzen – vor allem dann, wenn sie der unseren überlegen sein könnte.“

Fawkes beschränkte sich auf ein undefinierbares leises Zwitschern und Dumbledore runzelte leicht die ohnehin stark gefurchte Stirn. „Ich hoffe nur, dass Harry sich nicht allzu sehr von diesen Ereignissen beeinflussen lässt“, sagte er unvermittelt. Und es stimmte: Wer einmal bemerkt hatte, wie leicht es war, welche Euphorie es sogar verursachte, mit der Dunklen Magie anderer Leute Leben zu vernichten, der neigte schnell dazu, den Wert des Lebens dieser Leute kaum mehr richtig einschätzen zu können. Wenn er Harry nur ein wenig besser kennen würde, dann könnte er vielleicht abschätzen, wie er sich verhalten würde, aber so war das unmöglich. Jeder Mensch reagierte vollkommen unterschiedlich auf solche Dinge. Er hätte wirklich öfter bei Arabella vorbeischauen sollen. Oder bei diesem verfluchten Überwachungszauber, den zu nutzen er sich kaum getraut hatte, aus Angst vor der psychischen Vernachlässigung, deren Zeuge er zweifelsohne werden würde. Oder, am besten, wenigstens ein einziges Mal bei Harry selbst.

Aber es war nicht zu ändern, Konjunktive hatten noch nie irgendwo besonders helfen können. In diesem Fall würde er einfach abwarten müssen, bis Harry sich ausgeschlafen hatte. Und in der Zwischenzeit musste er wahrscheinlich dem Ministerium so einiges erklären.



IX

„Also, ich fasse das noch einmal zusammen: Sie sind einem Jungen begegnet, der zu 99% ausgerechnet Harry Potter sein könnte, dieser Junge ist vermutlich für die Menge an Magie verantwortlich, die wir aufgespürt haben und Sie haben es dann tatsächlich geschafft, gegen diesen kleinen Junge – 7, 8 Jahre alt … also, Sie haben es dann tatsächlich geschafft, den entkommen zu lassen?“ Scrimgeour war relativ fassungslos angesichts dieser vollkommen kruden Geschichte. Nicht, dass er es ihnen nicht glaubte, aber es war absolut unfassbar, dass ihre Abteilung in den sieben Jahren ohne Krieg dermaßen eingerostet sein sollte. Gegen einen Achtjährigen ohne Zauberstab! Reife Leistung …

„Ohne den Phönix hätten wir ihn gehabt“, wiederholte Shacklebolt, was er zuvor schon berichtet hatte. „Aber plötzlich taucht dieser Vogel auf und, bei allem Respekt, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand etwas dagegen hätte unternehmen können.“ Shacklebolt, der bei dem ersten Versuch dieses Protokolls zu entsetzt über dieses geradezu unfassbare Versagen seiner Auroren gewesen war, um das Ende noch wirklich zu registrieren, blickte auf. „Ein Phönix, sagen Sie?“

„Nun ja, zumindest hat Mr. Flowerrain das gesagt, der einen besseren Blick auf die Ereignisse hatte – es ging alles verdammt schnell – und außerdem sind sowohl Harry Potter als auch das Ding, was ich gesehen habe, in einer Stichflamme verschwunden. Ich glaube nicht, dass es noch ein anderes Lebewesen gibt, was auf die Art reisen kann“, antwortete Shacklebolt.

„Ja, es war größtenteils rot, hatte Federn und konnte eben … so reisen“, fügte Flowerrain hinzu, dem man seine Nervosität deutlich anmerken konnte. Sein erster Einsatz und er war ein solch unfassbares Fiasko gewesen! Würde man ihn jetzt aus dem Ministerium rausschmeißen? Er hoffte nicht; es waren ja auch wirklich extrem unglückliche Umstände gewesen. Beide standen im Büro des Leiters der Aurorenzentrale und versuchten gerade, vor Scrimgeour die Ereignisse der Verfolgungsjagd zu rekonstruieren.

„Wenn das wirklich ein Phönix war, dann möchte ich Sie, Mr. Shacklebolt, bitten, augenblicklich Kontakt mit Dumbledore aufzunehmen. Ansonsten kenne ich niemanden, der einen Phönix zufällig mal in Little Whinging auftauchen lassen kann.“

Kaum waren diese Worte gesprochen, machte sich Shacklebolt augenblicklich auf den Weg in das Büro, das er derzeit mit Dawlish teilte.
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