Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Stories of their lives (Songs of my life)

Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P16 / Gen
14.11.2014
07.12.2015
21
19.213
1
Alle Kapitel
3 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
14.11.2014 874
 
„Und Berlin war wie New York, ein meilenweit entfernter Ort…“
(Schönste Zeit-Bosse)

Luis´ Geschichte

Ich weiß, dass es nicht so weh tun sollte. Ich weiß es, und doch zerstört es mich innerlich. Die ganze Zeit denke ich an dich, an dein Lächeln, an deine Augen, die mich immer so fixiert haben. Ich denke an unsere Nähe zueinander und diese ganz bestimmte Wärme, die mit dir gegangen ist. Du hast dich entschieden: gegen die Nähe, gegen die Wärme. Gegen mich. Eigentlich ist es unfair, so etwas zu behaupten, denn ein klarer Abschied war es ja nicht. Du hast gesagt, dass du wiederkommst. Irgendwann. Und dennoch zerbreche an der Frage nach dem „Wann?“ Ich schaue auf den Kalender in meiner Küche, und komme mir im nächsten Moment so lächerlich vor. Als wenn das helfen würde… Vor deinem Abschied hast du gesagt, dass ich dich jederzeit besuchen kann. „So weit weg ist das ja nicht…“, das waren deine genauen Worte. Ich sehe das anders. Die paar Kilometer reichen mir, um zu glauben, dass wir auf zwei verschiedenen Planeten wandeln würden. Es ist wie bei diesen Dosentelefonen, die man sich früher immer als Kind gebastelt hat: da reichen auch nur ein paar Meter, um die Leitung zu kappen. So fühlt es sich jetzt auch an: wie ein Dosentelefon mit einer gekappten Leitung. Natürlich könnte ich dich besuchen, doch was würde es bringen? Es würde nur ein weiteres „Bis bald!“ folgen. Es gibt Leute, die sagen: „Auf jedem Abschied folgt ein Wiedersehen.“ Doch es hat niemand die andere Seite betrachtet. „Auf jedem Wiedersehen folgt ein Abschied.“, so lautet meine Devise. Ich drehe immer beide Seiten der Münze um, anstatt eine Seite verdeckt zu lassen.

Nenne mich pessimistisch, denn vermutlich hast du recht. Wahrscheinlich hast du auch recht mit der Annahme, dass ich alles viel zu tragisch sehe. Mag sein, dass diese Thesen alle stimmen. Aber ich bin nicht nur ein Pessimist und ein Dramatiker, ich bin auch ein Realist. Solange wir noch beieinander waren, hatten wir die Kontrolle über uns. Wir wussten, was richtig und was falsch ist, in dem Augenblick, in dem wir uns in die Augen sahen. Doch nun ist das Beieinander fort, und die Kontrolle somit auch. Ich weiß nicht, was du machst, und du weißt nicht, was ich mache. Du kannst in diesem Moment zuhause sein, und ein gutes Buch auf der Couch lesen, ganz allein und nur für dich. Oder du bist in einer Bar oder einem Club, und fragst dich, warum dich dein Herzschlag verdoppelt, sobald du der Person an der Theke auch nur eines Blickes würdigst. Ich könnte gerade in derselben Situation sein, ohne dass du auch nur etwas davon ahnst. Das ist es, was mich zerfrisst: diese Ungewissheit. In der Zeit, in der wir uns nicht sehen, könnten wir uns von einem Moment auf den nächsten schlagartig verändern, ohne dass es überhaupt uns selbst auffällt. Kleine Veränderungen fallen einem selbst meist kaum auf, dem jeweils anderen dafür umso mehr. Bei unseren Wiedersehen könnten sich zwei vollkommen andere Personen gegenüberstehen, die sich nicht mehr als diejenigen erkennen, die sie mal waren. Ich sehne mich nach dir, so sehr, dass mir das Herz zerspringt, und dennoch ist es möglich, dass ich kurz vor meinem Ziel einen Rückzieher machen könnte. Sehnsucht und Angst: zwei Gefühle, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Vereint man sie, ist das entstandene Gefühl verheerend: Unerträglichkeit. Ich weiß nicht, ob sich bei dir dieses Gefühl ebenfalls entwickelt hat. Wenn ich dir nicht in die Augen sehen kann, dann kann ich dir erst recht nicht in die Gedanken sehen.

Und doch spricht da der Egoist in mir, der sich wünscht, dass du wenigstens ansatzweise so fühlst wie ich es tue. Ich will nicht alleine mit diesem Gefühl sein. Wer will das schon? Wem wünscht man schon schlaflose Nächte, in denen er sich geistig an diesem kilometerweit entfernten Ort befindet, und sich endlose Szenarien ausmalt, wie das Wiedersehen wohl aussehen könnte? Ich wünsche niemandem solche Nächte, weiß ich doch, wie sehr sie mich schon plagen. Die Szenarien in meinem Kopf bilden ein kunterbuntes Durcheinander zwischen Freude, Wut, Verzweiflung und Hysterie. Vielleicht mache ich mir zu viele Gedanken. Viel Wirbel um nichts. Vielleicht sehen wir uns wieder und fallen uns schluchzend in die Arme, weil uns die Entfernung nur näher zueinander gebracht hat. Vielleicht sind wir dann dankbar für den Abstand, der uns schlussendlich wieder wie Magneten angezogen hat, und durch den wir dann fester denn je verankert sind. Vielleicht. Vielleicht bewahrheiten sich auch meine Theorien, und wir werden uns wie zwei Fremde gegenüberstehen. Vielleicht wollen wir miteinander reden, doch es gibt nichts, was wir zu sagen haben. Vielleicht merken wir dann, dass es richtig war, sich Lebewohl zu sagen und getrennte Wege zu gehen. Vielleicht. Ein Wort, zehn Buchstaben, und eine Bedeutung, die einen zum Rande des Wahnsinns treiben kann.  Wir sind nicht weit weg, doch wir sind zu weit weg, um uns klar zu werden, was Sache ist. Ich könnte einfach zu dir fahren, und all meine Fragen beantworten. Oder aber ich könnte es sein lassen, und warten, bis nichts als die Erinnerung bleibt. Die Erinnerung an eine Zeit, in der es noch nicht die Entfernung zwischen uns gab. Eine Zeit, die vielleicht nie wieder kommen wird. Vielleicht…
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast