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Memories at Christmas Eve

von GinaRayne
Kurzbeschreibung
GeschichteÜbernatürlich / P12 / Gen
Derek Rayne Nick Boyle OC (Own Character) Philip Callahan Rachel Corrigan Reed Horton
28.10.2014
07.01.2021
11
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28.10.2014 2.161
 
Memories at Christmas Eve



"Fröhliche Weihnachten wünsche ich euch!" Mit diesen Worten und einem freundlichen Lächeln betrat Präzeptor Derek Rayne am frühen Abend des 24. Dezembers die geräumige Küche des Legatshauses auf Angel Island. Seine Kollegen und engsten Freunde erwiderten den Gruß in einem mehrstimmigen Chor, während er seinen Platz an der Stirnseite des Tisches einnahm und die anwesenden Personen der Reihe nach musterte. Vereint in einer Aufgabe, die mehr als jede andere gegenseitigen Rückhalt und bedingungsloses Vertrauen voraussetzte, standen sich diese Menschen näher als direkte Verwandte. Dieses Team war Dereks Familie. Und so bemerkte der erfahrene Anführer denn auch sofort, dass zwei seiner Mitglieder noch in der Runde fehlten: Seine Tochter und deren Freund. "Wo sind Gina und Reed?"

"Gina müsste in ihrem Zimmer sein, nehme ich an", erwiderte Rachel Corrigan, die blonde Psychologin, und strich sich mit einer raschen Geste das Haar aus dem Gesicht. "Soll ich sie holen gehen?"

"Nein, lass nur", winkte Derek ab. "Lass sie ruhig noch ein paar Minuten für sich sein. Dazu hatte sie in der letzten Zeit weiß Gott selten genug Gelegenheit."

"Woran Horton wohl auch nicht ganz unschuldig ist", bemerkte der ehemalige Navy SEAL Nick Boyle trocken. "Ich gehe davon aus, dass er das Holen nachher gern übernehmen wird."

"Da magst du Recht haben", nickte Rayne. "Hat jemand von euch eine Ahnung, wo er ist?"

Einstimmiges Kopfschütteln war die Antwort.

"Aber er wird kommen", meinte die junge Afroamerikanerin Alexandra Moreau bestimmt. "Er war immer schon ein Einzelgänger, und das wird sich wohl auch nie ändern... aber er wird kommen, um Ginas Willen. Sie wartet auf ihn. Das weiß er."

"Hätte ich ihm nie im Leben zugetraut, wenn ich ehrlich bin", sagte Nick kopfschüttelnd. "Dass ausgerechnet die zwei ein Paar werden... Nach dem, was du uns erzählt hast, Derek, muss ihr erstes Kennenlernen ja recht abenteuerlich verlaufen sein!"

"Es muss für sie auch ein ziemlicher Schock gewesen sein", warf Alex ein.

"Für sie?" schmunzelte Derek. "Nein... Eher für ihn!"

"Auf jeden Fall hat alles das, was sie in ihrem ersten Jahr hier erlebt hat, nicht ausgereicht, um sie einen Rückzieher machen zu lassen", sinnierte Rachel. "Ihr muss von Anfang an klar gewesen sein, dass sie wirklich hierher gehört. Anscheinend hat sie nie ein Problem gehabt zu akzeptieren, dass ihre Eltern nicht ihre Eltern waren und sie in Wahrheit deine Tochter ist... obwohl sie es erst so spät erfahren hat."

Ein feines, kaum wahrnehmbares Lächeln spielte um Dereks Lippen. "Nein, ein Problem war es nie. Dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen waren, hat sie gewusst... und der Rest war ja schließlich ihre eigene Idee."

"Wie meinst du das?"

"Wie ich es gesagt habe. Es war Ginas eigene Idee, meine Tochter zu werden. In Wahrheit ist sie das ja eigentlich gar nicht."

"Was ist sie dann?"

"Meine Halbschwester. Die uneheliche Tochter meines Vaters. Sie ließ sich von mir adoptieren, nachdem sie sich dafür entschieden hatte endgültig im Legat zu bleiben, um auch nach den Vorschriften des Legats offiziell mein Erbe sein zu können. Allerdings war das erst über ein Jahr nach ihrem Beitritt." Er fing einen Blick des fünften anwesenden Legatsmitglieds auf, dem katholischen Priester Philip Callahan, der bisher noch kein Wort zu der Unterhaltung beigetragen hatte, und nickte: "Ja, Philip, auch Gina hat gezweifelt."

Erstauntes, beinahe erschrockenes Schweigen folgte dieser unerwarteten Eröffnung, mit der Derek ein bisher gut gehütetes Geheimnis offenbart hatte. Wie so oft war es Nick, der als Erster die Sprache wiederfand: "Unsere Gina ist die Tochter von Winston?! Davon hat mein alter Herr ja nie etwas gesagt!"

"Jonathan wusste nichts davon", entgegnete Derek. "Niemand hat davon gewusst. Horton hat es herausbekommen, aber das habe ich selbst auch erst vor Kurzem erfahren."

"Und er hat den Mund gehalten?!"

"Offensichtlich, ja."

"Es scheint, als gäbe es da in eurer Geschichte noch ein paar Teile, die ihr uns bisher vorenthalten habt", bemerkte Alex halb scherzhaft, halb vorwurfsvoll.

"Mir war nicht bewusst, dass die Einzelheiten von so großem allgemeinen Interesse sind, Alex", gab Derek zurück. "Aber es gibt keinen Grund sie euch vorzuenthalten. Gina ist schließlich auch von Anfang an offen damit umgegangen, wer und vor allem was sie ist. Teilweise offener als ich." Sein Blick wanderte ins Leere, als er sich in der Erinnerung verlor. Er schüttelte sacht den Kopf: "Sie war nicht einmal schockiert, als sie es erfahren hat. Ich glaube, ich war viel geschockter als sie... Sie muss es geahnt haben."


Zur selben Zeit saß die Person, die den Gegenstand dieser Unterhaltung bildete, eine Etage höher in ihrem Zimmer am Schreibtisch und tat, ohne es zu wissen, das Gleiche wie ihr Vater in der Küche im Erdgeschoss: Sie schwelgte in Erinnerungen. Vor ihr lag ein Fotoalbum, seit Kindertagen ihr Begleiter und ihre persönliche Art des Tagebuchs. Gedankenverloren blätterte sie durch die Seiten, und mit jeder Fotografie, die ihr ins Auge fiel, wurde ein Stück Vergangenheit für sie wieder lebendig. Mit einem Mal war es, als erlebe sie alles noch einmal neu...




Derek Rayne


"Gina! Hast du den Aushang gelesen?" Unerbittlich schreckte die laute, nicht zu überhörende Stimme die fünfzehnjährige Gina Clark aus ihren Gedanken auf. Ohne sich umzudrehen, wusste sie auch sofort, wem diese Stimme gehörte, die in diesem Moment nicht nur sie, sondern auch die Hälfte der restlichen High School auf die Ruferin aufmerksam gemacht hatte: Claire Watson, ihre beste Freundin, seit sie beide Kleinkinder gewesen waren. Die Mädchen standen sich näher als Schwestern, dabei waren sie äußerlich und vom Charakter her wie Feuer und Wasser: Auf der einen Seite die ruhige, introvertierte Gina, groß gewachsen, schlank und durchtrainiert, mit schulterlangem, graublondem Haar und graublauen Augen, deren intensiver Blick den Menschen das Gefühl gab, sie könnten ihnen direkt in die Seele sehen; der sichere, unerschütterliche Fels in der Brandung, der jedem sofort absolutes Vertrauen einflößte und der Welt und den Personen in seinem Umfeld mit wacher Intelligenz und stiller, aber tiefer Teilnahme begegnete, die ihn viel älter erscheinen ließen, als er war. Dem entgegen stand die extrovertierte, lebenslustige, aber oberflächliche Claire; kleiner als ihre Freundin, schmal und drahtig, mit langem schwarzem Haar, meist im Nacken zum Knoten gebunden, und ebenso schwarzen, stets unternehmungslustig funkelnden Augen; ein Energiebündel mit der Fähigkeit andere zu begeistern, das aber genauso schnell das Interesse an einer Person oder Sache wieder verlor und sich anderen Dingen zuwandte. Gina bildete hierin die große Ausnahme als einzige Konstante in Claires rastlosem Leben.
Wie so oft entlockte Gina die Impulsivität der Freundin ein belustigtes, aber nachsichtiges Lächeln. "Claire, was ist denn los?"

"Hast du den Aushang gelesen?" Mittlerweile hatte Claire sie erreicht und starrte die andere aufgeregt und auffordernd an.

"Welchen Aushang?"

"Den, der seit heute früh am Schwarzen Brett hängt! Über die Projektwoche!"

Die Historische Projektwoche war seit Tagen schon Thema Nummer Eins in ihrem Jahrgang, geschuldet der Tatsache, dass im Zuge dessen Lehrer und Dozenten verschiedenster Fachrichtungen aus den unterschiedlichsten Bundesstaaten der USA Vorträge halten würden. Gina ging der darum entstandene Hype gehörig auf die Nerven. Entsprechend reserviert fiel ihre Reaktion aus. "Na und? Was ist damit?"

Claire öffnete den Mund zu einer Antwort, überlegte es sich aber anders, griff nach Ginas Hand und zog sie mit sich. "Komm mit, ich zeigs dir!" Vor einer Aushangtafel blieb sie stehen und tippte hastig auf einen Zettel: "Lies das!"

Gina studierte die Notiz und warf der Freundin einen fragenden Blick zu. "Ja und? Wer ist das?"

"Mann, du checkst aber auch gar nichts! Hast du Mr Thanner gestern nicht zugehört?! Er hat doch von der Luna Foundation gesprochen, erinnerst du dich?"

Gina nickte, verstand aber offensichtlich immer noch nicht.

"Derek Rayne", fuhr Claire fort, vor Aufregung fast aus dem Häuschen, "ist der Vorstand der Luna Foundation!"

Gina starrte die Freundin an, als sei sie nicht ganz gescheit. "Der kommt hierher?!"

Claire nickte und hüpfte vor Aufregung auf der Stelle. "Den müssen wir uns anhören, oder?"

"Ja, auf jeden Fall!" Ganz gegen ihre sonstige Gewohnheit war jetzt auch Gina aufgeregt - allerdings aus einem völlig anderen Grund als Claire. Die Luna Foundation, beheimatet im kalifornischen San Francisco, besaß auch hier im weit entfernten Boston einen Namen als Sammlungs- und Forschungseinrichtung für altertümliche Artefakte. Gina und Claire teilten das Interesse an derartigen Dingen. Was jedoch den Namen Derek Rayne für Gina so spannend machte, hatte weniger mit Historie zu tun als vielmehr mit seinem zweiten Beschäftigungsfeld, denn die Luna Foundation widmete sich außerdem auch der Erforschung übersinnlicher Phänomene. Claire wusste von Ginas Begeisterung für das Paranormale. Den wahren Grund dafür kannte sie jedoch nicht.

Beide Mädchen konnten den Beginn der Projektwoche kaum erwarten, in die Derek Raynes Vortrag den Einstieg bilden sollte. Sie erreichten den Veranstaltungsraum an dem entsprechenden Tag viel zu früh und befanden sich daher ganz allein in dem Saal, als Rayne nur Augenblicke nach ihnen hereinkam.

Der junge Mann war nervös. Zum ersten Mal hielt er außerhalb San Franciscos einen Vortrag im Namen der Luna Foundation, noch dazu vor Schülern einer High School statt wie sonst vor Studenten. Er blieb auf der Türschwelle stehen, sah sich langsam um und ließ die Örtlichkeit auf sich wirken. Am Fenster in der ersten Reihe stand ein Mädchen, das sich, durch ihre Begleiterin auf seinen Eintritt aufmerksam gemacht, zu ihm herumdrehte. Ihre Blicke begegneten sich, und er erstarrte wie unter einem Bann.

Zu Claires Überraschung machte Gina, nachdem sie sie auf den gutaussehenden jungen Mann aufmerksam gemacht hatte, der den Raum unmittelbar nach ihnen betreten hatte, eine jähe, abrupte Bewegung - fast so, als wollte sie weglaufen. In Wirklichkeit hatte Gina in diesem Moment, als sie Derek Rayne zum ersten Mal sah, Mühe, den Impuls zu unterdrücken zu ihm hin zu laufen und ihm einfach um den Hals zu fallen. Ein überwältigendes Gefühl von Vertrautheit und Zuneigung zu diesem Mann überkam sie, dem sie nie zuvor begegnet war und der ihr doch auf unerklärliche Weise bekannt vorkam.

Derek war diese Reaktion nicht entgangen, doch sie war nicht, was ihn selbst mitten in der Bewegung erstarren ließ. Es waren ihre Augen. Etwas Einnehmendes, Vertrautes war in den tiefen Augen dieser Schülerin; etwas, das ihm das Gefühl gab sie, die er vorher noch nie gesehen hatte, schon jahrelang zu kennen. Es kostete ihn große Mühe sich von ihr loszureißen und sich auf seinen Vortrag zu konzentrieren.

Gina versetzte seine Redezeit buchstäblich in eine andere Welt, obwohl sie von dem, was er erzählte, praktisch nichts mitbekam. Sie ließ den jungen Dozenten nicht eine Sekunde aus den Augen, als sei nun ihrerseits sie unter einen Bann geraten. Erst lange nach Ende des Vortrags, als Rayne den Raum bereits verlassen hatte, gelang es Claire die Freundin in die Realität zurück zu holen: "Sag mal, was ist denn los mit dir?! So kenne ich dich überhaupt nicht!"

"Ich weiß nicht..." Gina starrte an Claire vorbei ins Nichts und schüttelte den Kopf, als versuche sie sich aus einem Traum zu befreien. "Ich...ich habe das Gefühl, ich kenne diesen Mann..." Langsam, noch immer wie in Trance, drehte sie sich um und ließ die verdutzte Freundin einfach stehen.

Claire sah ihr nach und versuchte vergeblich sich einen Reim auf Ginas merkwürdiges Verhalten zu machen. Und auf die augenfällige Ähnlichkeit zwischen ihr und diesem Derek Rayne...

Wie betäubt verließ Gina das Schulgelände und lief nach Hause, das nicht weit von der Schule entfernt lag. Sie musste mit ihrer Mutter sprechen.

Caroline Clark sah ihre Tochter schon von weitem und wusste sofort, dass etwas vorgefallen war; etwas, das die Fünfzehnjährige, die ihr Leben normalerweise bereits weit über dieses Alter hinaus im Griff hatte, tief erschüttert haben musste. Sie empfing sie unter der Eingangstür, führte sie ins Wohnzimmer und ließ sich die Geschichte erzählen, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen.

Fragend sah Gina die Mutter danach an: "Glaubst du, ich kann mit ihm darüber sprechen?"

Es war nicht so sehr der Eindruck gewesen Derek Rayne zu kennen, der Gina so sehr aus der Fassung gebracht hatte, sondern das überwältigende Gefühl in ihm endlich jemanden gefunden zu haben, dem sie ihr größtes Geheimnis anvertrauen könnte.

"Wenn du das Gefühl hast, dass er es versteht, dann sprich ihn an." Caroline legte dem Mädchen beide Hände auf die Schultern und sah ihr fest in die Augen: "Vertraue deinen Gefühlen, Gina. Sie sind dein verlässlichster Ratgeber, das weißt du."

Die Fünfzehnjährige nickte, umarmte die Mutter dankbar und verließ den Raum.

Caroline sah ihr nach und wusste, dass die Zeit gekommen war den Schleier zu lüften.
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