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Gottes Spiel

von C-Sor
Kurzbeschreibung
GeschichteFantasy, Übernatürlich / P16 / Gen
Engel & Dämonen
15.10.2014
03.02.2015
5
9.706
 
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15.10.2014 1.089
 
„ Gabriel!“, tönte der donnernde Ruf durch das Himmelsreich. Die Wolken schienen zu erstarren und die Flügel der tausend fliegenden Wesen stoppten mitten in ihren Bewegungen. Sie alle richteten ihre Augen hinauf zu dem goldenen Licht, das ihre Welt erleuchtete. Wie lange war es her, seit diese Stimme sie erreicht hatte?
Ein tosender Wind erhob sich, als sich unter kräftigen Flügelschlägen eine der Kreaturen nach oben begab, während alle seine Brüder und Schwestern ihm begierig hinterher blickten. Ihre Augen und Ohren lechzten geradezu danach zu erfahren, was der Grund für das Erwachen war.
„ Was wünscht ihr, mein Herr?“, flüsterte die fliegende Gestalt, während seine Füße sanft auf einer Wolke landeten und er sich in einer tiefen Verbeugung klein machte. Eine prachtvolle goldene Rüstung bedeckte seinen Körper, auch wenn er ohnehin keines Schutzes bedarf. Seit hunderten von Jahren schon brauchte seinesgleichen sich vor nichts mehr zu schützen, seit sie die Erde verlassen hatten und in Gottes Licht ein Leben als Beobachter begonnen hatten.
Langsam erstarben die Bewegungen seiner Flügel, die selbst nach seiner Landung noch angedauert hatten und die weißen Schwingen schmiegten sich elegant an den Rücken seines Brustharnisches an.
Das braune Haar des Engels hing in wirren Strähnen um die, von purem Gehorsam erfüllten Augen, die wartend, aber nicht so begierig wie die seiner Artgenossen in das Licht starrten. Sein Gesicht war schmal, der Mund ausdruckslos, die Haut so makellos, wie sie bei einem Menschen wohl niemals sein könnte.
„ Sag mir, mein Sohn.“, ertönte die allesumfassende Stimme erneut. Bei diesem Mal donnerte sie jedoch nicht quer durch das ganze Reich, sondern erhob sich lediglich als ein fremder Gedanke im Kopf des Mannes, „ Wann hast du das letzte Mal hinab zur Erde gesehen?“
„ Ihr wisst besser, als jeder andere, dass mein wachsames Auge nie von ihr abweicht, es sei denn ihr befiehlt es mir.“, erwiderte der Engel wahrheitsgemäß, auf die belanglose Frage, auf die sein Vater ohnehin die Antwort kannte. Die Blicke der Himmelswesen waren, so zahllos sie auch waren, nicht genug um die das ganze Reich der Menschen zu erfassen, das Augenmerk ihres Vaters allerdings reichte um sogar noch jedes Mitglied in den Völkern des Himmels zu beobachten.
„ Du musst längst erblindet sein von diesem Anblick.“
„ Meine Augen bleiben offen, bis ihr mir befiehlt sie zu schließen.“
„ Du bist wahrlich ein dummes Kind. Hast du mich nie hinterfragt? Hast du nie mein Wissen und meine Macht angezweifelt?“
„ Wie könnte das Kind es wagen, die Größe seines Vaters anzuzweifeln?“, stellte der Mann die Gegenfrage. Das Gespräch war so frei von jedem Sinn, wie jedes andere, dass er bisher geführt hatte. Sein Gesprächspartner wusste doch ohnehin jede seiner Antworten, bevor die Frage überhaupt gestellt war. Er konnte die Engel lesen wie ein Buch, wie ein Buch welches er selbst vor unzähligen Jahren erschaffen hatte und mit dessen Seiten er nur noch spielte.
„ Wieso denkst du dann habe ich den Menschen erschaffen?“, schallte die Stimme durch Gabriels Verstand.
„ Der Mensch ist das freiste aller Wesen, mit der Fähigkeit seine Zukunft jeder Zeit zu ändern und mit jeder Entscheidung eine andere Zukunft hervorzurufen.“, gab er die simple Antwort, wie sein Vater sie ihm bei seiner Geburt schon gelehrt hatte.
„ So ist es. Selbst ich kann nicht lesen, was sie denken. Selbst ich kann nicht wissen, was sie tun werden. Selbst mir entzieht sich die Zahl wie oft sie ihr Schicksal wählen können und doch ist dein Gehorsam und Verehrung für mich so ermüdend wie eh und je, wo du doch um meine fehlende Allmacht weißt.“
„ Ihr habt mich wohl kaum zu euch gerufen, um mir das zu sagen, nicht wahr?“, stellte Gabriel endlich die Frage und erhob sich aus seiner tiefen Verbeugung.
„ Nein.“, kam Gottes Antwort und es schien als würde ein Hauch der menschlichen Emotion, die man Trauer nannte, in ihr mitklingen, „ Ich habe die Menschen unzählige Jahre beobachtet. Habe gesehen wie neue geboren wurden und wie alte gestorben sind. Habe gesehen wie ihre Kriege sie dezimiert haben und wie der Frieden sich wie ein Deckmantel über die Welt gelegt hat.“
Eine Pause folgte, in der Gabriel sich sicher war, dass sein Vater seinen Blick für einen Augenblick wieder auf die Erde richtete, bevor er fortfuhr: „ Ich habe mich an ihrem gewöhnlichen Leben und an seinen Grenzen satt gesehen. Ihre Entscheidungen ermüden mich, ihr Mitgefühl für einander, alles was sie erbaut haben ist von keiner Bedeutung mehr für mich.“
„ Heißt das, Ihr wollt von vorne anfangen?“, erkundigte sich sein Engel, weiterhin mit ausdrucksloser Miene. Anders als viele andere der Engel und sogar anders als sein Vater hatte er nie jene Eigenschaften der Menschen übernommen, die sie Gefühle nannten. Sie sollten eigentlich absolut unerheblich sein für die Himmelsbewohner.
„ Nein.“, stoppte der Herr den apokalyptischen Gedankengang in Gabriels Kopf, „ Ich will, dass du zur Erde hinabsteigst, gemeinsam mit elf weiteren an deiner Seite. Jedem von euch werde ich einen Teil meiner Kraft überreichen und ihr sollt einen geeigneten Menschen finden, der sich dieser Macht annimmt.“ Nun zeichnete sich sogar auf dem ruhigen Gesicht Gabriels für einen Augenblick die Überraschung der Menschen ab. Er sollte hinabsteigen? Seit mehreren tausend Jahren hatte kein Engel mehr einen Fuß hinab aus den Wolken gesetzt. Sie hatten nur still gewartet und zugeguckt, während die Jahre über die Welt gekommen waren. Selbst für das Ende hätten sie nicht hinabsteigen müssen. Sie hätten aus den Wolken herab Stürme und Fluten, Beben und Zerstörung, Tod und Verderben gebracht.
So schnell, wie die Überraschung gekommen war, verschwand sie auch wieder von dem schmalen Gesicht und ließ nur die leere Fassade zurück, als er sprach: „ Welche Aufgabe sollen die Auserwählten für euch erfüllen?“ Sollten dieses Mal etwa nicht die Engel das Ende bringen? Er wartete doch es folgte keine Antwort. Aus den Sekunden wurde eine Minute, bis das Licht über ihm kurz noch heller als zuvor erstrahlte und sich ein winziges Stück aus ihm löste und langsam zu ihm hinab sank. Er ergriff die goldene Kugel und betrachtete sie einen Augenblick, doch weiterhin schien Gott sein Schweigen bewahren zu wollen. Er würde wohl erst später preisgeben, aber wer war er auch zu glauben, er könne die Beweggründe eines Gottes verstehen.
Langsam breiteten sich seine Flügel aus und einige weiße Federn lösten sich aus dem Federkleid, während er sich in die Luft erhob und sich auf den Rückweg zu seinen Brüdern und Schwestern und von dort aus hinab in das winzige Reich der Menschen machte. Gott hatte seinen ersten Zug getan, hatte das Spielfeld ausgebreitet auf dem sein Spiel stattfinden würde, nun fehlten nur noch die Figuren die seiner Langeweile ein Ende bereiten würden.
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