Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Planet der Affen: Revolution - Heartwarming

Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P18 / Gen
08.09.2014
21.09.2017
10
20.860
15
Alle Kapitel
23 Reviews
Dieses Kapitel
4 Reviews
 
 
21.09.2017 3.869
 
Hallo meine lieben Leserinnen und Leser!

Lange ist es her, dass ich an dieser Geschichte weitergearbeitet habe. Doch es ist geschehen: ich habe ein neues Kapitel geschrieben! :-)
Ich würde euch bitten, bevor ihr das neue Kapitel "Rage" lest, noch einmal das Kapitel "Fear" zu lesen. Inhaltlich habe ich dort ein paar Änderungen vorgenommen, sodass die Handlung noch ein bisschen logischer ist. U.a. wurden ein paar Dialoge erweitert etc.
Ihr müsst es aber auch nicht lesen. :-)

Die Updates werden unregelmäßig kommen, aber ich werde diese Geschichte NICHT aufgeben!

Dieses Kapitel ist ein bisschen düster geworden. Vermutlich hat mich der dritte Teil von Planet der Affen beeinflusst. Hat ihn jemand gesehen? Wenn ja, erzählt mir doch in einer Review, wie ihr den Film fandet! :-) Ich fand ihn soooooo traurig, aber großartig!!!

Ich hoffe, ihr freut euch so sehr, wie ich mich darüber freue, dass diese Geschichte fortgesetzt wird. :-)
Viel Spaß beim Lesen & ein herzliches Dankeschön für eure Geduld (die ihr auch in Zukunft bitte bitte mit mir weiterhin haben müsst)!

Vielen lieben Dank an alle, die diese Geschichte lesen, favorisieren, empfehlen und kommentieren!

_______________________________________________________________________________________________________________________________________



Ich hörte zunächst nichts anderes außer einen hohen Ton, der augenblicklich nach dem niederschmetternden Knall aufgetreten war. Er war unerträglich laut und raubte mir jegliche Sinne. Nur dumpf drangen aufgeregte Rufe an meine Ohren. Ich lag noch immer auf dem dreckigen Boden.

Was war geschehen? Wo waren die Männer?

Wo war Blue Eyes?

Wie in Trance stützte ich mich mit meinen Händen vom Boden ab. In einer Hand hatte ich noch immer den großen Revolver von John fest umklammert. Langsam hob ich den Kopf. Mir war schwindelig. Ruhig versuchte ich auszuatmen. Allmählich wurde meine Sicht klarer und das Piepen ließ nach. Mit pochendem Herzen sah ich mich nervös um. Endlich fand ich das vertraute blaue Augenpaar, um das ich mich so sehr sorgte. Erleichterung wollte sich in meinem Körper ausbreiten, bis ich merkte, das etwas nicht stimmte. Blue Eyes starrte mich völlig teilnahmslos mit aufgerissenen Augen an. Jegliche Wärme war aus seinem Blick verschwunden. Wie angewurzelt stand er auf seinen Hinterbeinen und bewegte sich keinen Millimeter.

“Blue Eyes... was-“

Meine Stimme war nur ein Krächzen. Ich löste meinen Blick von seinen Augen und streifte seinen Körper. Ich erkannte, dass das schwarze Fell auf seiner linken Seite nass war. Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen. Es hatte doch nicht geregnet. Weit und breit waren keine Pfützen zu sehen. Plötzlich tropfte es von seinem Fell auf den Boden. Die dunkle Flüssigkeit sammelte sich in einer Lache. Was zum...

Und mit einem Schlag wurde mir eiskalt. Nur langsam begriff ich, was geschehen war. Nur langsam drang Klarheit durch die klebrigen Fäden meines vernebelten Verstandes. Blue Eyes schien aus seiner Schockstarre zu erwachen und berührte mit einer Hand vorsichtig seine Seite. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht. Als er sie wieder von seinem Körper nahm, war sie scharlachrot. Es war Blut.

Ich musste zu ihm. Ich musste zu Blue Eyes. Meine Knie waren weich. Jeder Versuch einen Fuß auf den Boden zu setzen, mich  aufzurichten scheiterte. Immer wieder entwich mir jegliches Gefühl aus den Gliedern und ich fiel zurück auf den harten Boden.

Blue Eyes! Bleib, wo du bist. Bewege dich nicht! Ich komme zu dir! Warte! Meiner Kehle entwich kein einziger Ton. Ich spürte, dass meine Augen feucht wurden und die ersten Tränen über meine heißen Wangen rollten. Ich sah mich um. Die Männer waren noch da. Sie schrien. Ihre Münder bewegten sich, doch ich konnte nichts hören. Dieses Mal, weil das Pochen meines Herzens meine Ohren erfüllte. Ihre Gesichter waren verzerrt. Ihre Augen weit aufgerissen. Mit Hass, Abscheu und Panik erfüllt. Vor mir entdeckte ich John. Er humpelte auf seine Kameraden zu. Gestikulierte mit den Händen. Versuchte seinen Männern etwas zu befehlen. Er ging auf Blue Eyes zu.

Lass die Finger von ihm! Rühre ihn nicht an! In meinen Gedanken schrie ich verzweifelt. Ich erkannte, dass John vor Blue Eyes stehen blieb. Blue Eyes blickt zu ihm auf. Sein Blick völlig müde. Er hatte bereits so viel Blut verloren. Er konnte sich nicht wehren.

Plötzlich boxte ihn John in seine verwundete Seite. Ich keuchte auf und musste mit zusehen, wie Blue Eyes zusammenbrach. Seine scharfen Zähne zusammengebissen, seine Schmerzenslaute unterdrückte er. Völlig gekrümmt lag er auf dem Boden und atmete schwer. Noch immer hielt ich Johns Revolver fest umklammert.

Erschrocken sah ich, dass John seinen Fuß hob und nach Blue Eyes trat. Blue Eyes schrie auf. Aufhören! Ich sah, wie meinem liebsten Schimpansen die Tränen über das Gesicht flossen. Und als John erneut zu einem Tritt ausholte, durchzuckte mich mit einem Schlag ein Stoß voller Lebensenergie. Wutentbrannt schrie ich auf. Ich stützte mich vom Boden auf, kam auf die Beine, lud den Revolver und richtete ihn auf den schwarzen Riesen vor mir.

John drehte sich mit einer vor Zorn verzerrten Fratze in meine Richtung. In seinen Augen spiegelte sich der blanke Wahnsinn wider. Angewidert von seiner Person und ohne weiteres Zögern gab ich den ersten Schuss frei. Abermals ertönte ein lauter, ohrenbetäubender Knall die Luft. John war zu Boden gefallen. Ich ging auf den Rest der Gruppe zu. Und dann war noch ein zu hören. Und noch einer. Noch einer. Ich fühlte nichts. Nur dumpfe Wut. Und reinen Hass. Nach und nach fielen die Männer zu Boden. Als nur noch einer von ihnen übrig war, verließ mich der letzte Funke Menschlichkeit. Es war Tom, der auf der Ladefläche des Trucks geklettert war. Vor ihm lag eine weitere Waffe. Vermutlich war sie in einer der Kisten gelagert worden. Er hatte sie genommen, nachdem Blue Eyes ihn seiner eigenen entledigt hatte. Er hatte auf Blue Eyes geschossen. Als ich in sein erbärmliches Gesicht sah, empfand ich kein Mitleid. Ohne mit der Wimper zu zucken drückte ich ein letzte Mal ab. Mit einem dumpfen Aufprall kam letztendlich auch Tom zu Fall.

Alles war leise.

Die Stille war aufgewühlt, wie von einer geräuschlosen Schlacht und den stillen Schreien Sterbender. Die Geister aller, die der Affengrippe erlegen waren, erhoben sich aus den Gemäuern San Franciscos und schlichen durch die leeren und zerstörten Straßen.

Ich blinzelte. Es war, als würde ich mich von einem Monster zurück in einen Menschen verwandeln. Ich fühlte mich benommen. Wie unter Drogen. Der Wutrausch löste sich langsam auf. Nachdem meine Seele endlich von meinem inneren Dämon freigegeben wurde, ließ ich augenblicklich die Waffe fallen und stürmte zu Blue Eyes.

Er lag schwer atmend auf dem Boden. Sein schönes, glänzendes Fell matt und verklebt von Blut. Als ich neben ihm kniete und mich über ihn beugte, tropften heiße Tränen auf seine samtweiche Schnauze.

“Blue Eyes, es tut mir so Leid... ich... es tut-, es tut mir so Leid“, schluchzte ich und berührte mit zitternden Händen sein Gesicht, das völlig blass und kalt war. Kaum merkbar schüttelte er den Kopf.

“Nicht. Deine. Schuld“, signierte er schwach, bevor er vor Schmerzen abermals die Augen schloss, den Kopf zurückwarf und in seiner Bewegung innehielt.

Sanft schob ich seinen Arm von seiner verletzten Seite, um die Wunde zu betrachten. Vorsichtig legte ich sie von all dem verklebten Fell frei. Blue Eyes sog zischend die Luft ein. Als ich mich noch näher vorbeugte, erkannte ich, dass die abgefeuerte Kugel nicht tief steckte. Ich erkannte das silberne Ende. Tom hatte zum Glück nicht gut gezielt und nicht gut geschossen. Ein winziger Funken Hoffnung breitete sich in meinem Geist aus. Ich musste jetzt zügig handeln. Also versuchte ich meinen aufgewühlten Geist zu beruhigen. Ich wischte mit meinem Ärmel über die tränennassen Augen.

“Blue Eyes, ich muss die Kugel entfernen. Sie steckt nicht tief. Doch wenn ich sie nicht raus hole, wird die Verletzung vielleicht schlimmer. Es wird für einen Augenblick wehtun.“

Ich erhob mich. „Ich bin gleich wieder da!“

Als ich mich umdrehte, bemerkte ich nur flüchtig, wie sich Angst in seinem Gesicht widerspiegelte. Ich hielt inne und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Brust.

“Ich gehe nur kurz zu dem Truck. Ich bin sofort wieder bei dir. Sei stark, mein Großer!“ Blue Eyes nickte schwach. Er wurde müde.  

Augenblicklich rannte ich zu dem Truck, riss die Türen auf, durchsuchte Fahrerkabine und Ladefläche. Bitte. Bitte, lass sie etwas dabei haben. Meine Hände begannen abermals zu zittern, als ich zunächst nichts finden konnte. Verzweifelt schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen, bis mir eine große Flasche ins Auge fiel. Bingo! Hochprozentiger Alkohol! Ich griff danach und rannte sodann zurück zu Blue Eyes. Auf dem Weg zu ihm, klaubte ich meinen Rucksack auf, den ich achtlos auf den Boden geschmissen hatte. Darin befanden sich weitere Dolche in unterschiedlichen Größen und andere nützliche Dinge, die ich für einen Notfall wie diesen jetzt gut gebrauchen konnte.

Ich setzte mich wieder neben Blue Eyes und benetzte die Klinge eines kleineren Dolches mit Alkohol, um sie zu desinfizieren. Mein Herz klopfte gegen meine Brust. Ich war keine Ärztin. Das, was ich vorhatte, war für meine Verhältnisse lebensmüde. Und ich hatte nur einen Versuch. Ich holte Luft.

“Pass auf, Blue Eyes. Ich werde jetzt die Kugel entfernen. Dafür muss ich mit der Klinge in die Wunde eindringen. Es wird schmerzen. Versuche dich nicht all zu sehr zu bewegen. Sonst verletze ich dich vielleicht noch mehr. Bitte bleibe stark!“

Blue Eyes versuchte zu lächeln. Er schnaufte. „Habe schon. Schlimmeres ertragen.“ Ich musste abermals aufschluchzen. Wie konnte er in solch einer Situation noch scherzen? Der Versuch zurück zulächeln, scheiterte kläglich. Dann holte ich noch einmal tief Luft, um mich zu beruhigen.

“Bist du bereit?“ Blue Eyes nickte und schloss die hellblauen Augen.

Sobald ich mit dem Dolch in die Wunde eingedrungen war, schrie Blue Eyes auf. Er schmiss den Kopf zur Seite. Zähne gebleckt. Seine Nasenflügel bebten aufgrund seiner angestrengten Atemzüge. Ihn so zu sehen, brach mir erneut das Herz. Doch ich schob die Klinge tiefer in die Wunde. So weit, bis ich das Ende der Kugel ertastete und die Klinge leicht darunter schob. Blue Eyes fauchte und schrie. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Tränen liefen über seine Wangen.

“Es ist gleich vorbei! Halte noch einen Augenblick durch, mein Liebster!“

Ich versuchte die Kugel mit dem Dolch aus dem Fleisch zu schieben und ich atmete erleichtert aus, als ich sah, dass es klappte. Mit vorsichtigen Bewegungen schob ich weiter, bis die Kugel so weit aus der Wunde hervor guckte, dass sie greifbar war. Ich griff nach einem Tuch, mit dem ich letztlich die Kugel herauszog. Anschließend tränkte ich es mit Alkohol und tupfte damit die Wunde ab. Blue Eyes verzog noch einmal schmerzerfüllt das Gesicht. Zum Glück hatte ich mich so geschickt angestellt, dass die Wunde nicht größer geworden war und somit nicht stark blutete. Trotzdem musste er mit seinen Bewegungen vorsichtig sein.

Ich zog mein Oberteil aus und verband damit so gut es ging seine Wunde. Seine Gesichtszüge entspannten sich, als der Schmerz sodann etwas nachließ. Obwohl die Luft kühl war und ich nur noch in Top neben ihm saß, holte mich eine Hitzewelle nach der anderen ein. Schließlich ließ ich erschöpft den Kopf hängen. Schweiß tropfte von meiner Stirn. Mein Atem verließ in groben Stößen meine Brust. Das Größte war geschafft.

Eine sanfte Berührung an meinem Knie ließ mich aufschauen. Ich begegnete Blue Eyes liebevollem Blick. Sanft berührte ich seine Wange und strich mit meinem Daumen über seine raue Haut. Für eine Weile sahen wir uns schweigend an.

Währenddessen überschlugen sich meine Gedanken. Wie hatte ich so naiv sein können? Tief im Inneren hatte ich die gesamte Zeit gewusst, dass die Idee, nach überlebenden Menschen zu suchen, völlig hirnverbrannt gewesen war. Insbesondere, die Idee, dass Blue Eyes, ein hochintelligenter Schimpanse und derzeit größte Feind des Menschen, mich auf diese Mission begleitete.

Nie im Leben hatte ich daran geglaubt, dass wir auf Menschen treffen würden. Immer wieder hatte mich der Zweifel beherrscht. Letzten Endes hatten wir welche getroffen. Warum hatte ich mir keinen Plan überlegt, falls die Lage zu eskalieren drohte? Schließlich waren die meisten der noch lebenden Menschen nicht gut gesonnen. Die Vorstellung, dass sie Blue Eyes mit offenen Armen empfangen hätten, war so grotesk, dass ich mich über meine eigene Dummheit noch mehr ärgerte. Am liebsten hätte ich vor Wut aufgeschrien.

Doch der Gedanke, dass ich Blue Eyes beinahe verloren hatte, ließ mich verstummen. Sollte in diesen Zeiten irgendein Gott oder eine höhere Macht noch existieren, dann wollte ich ihnen danken, dass er noch lebte und ich ihn weiterhin an meiner Seite hatte.

Der nächste Gedanke ließ allerdings meinen Körper gefrieren. Wie sollte ich das alles nur Caesar erklären? Wie sollte ich Caesar erklären, was geschehen war? Dass sein Sohn beinahe gestorben wäre? Sie würden mich aus dem Dorf verbannen. Die Vorstellung trieb mir Tränen in die Augen. Ich wollte sie auf keinen Fall verlassen! Ich wusste doch, wo ich hingehörte.

Traurig sah ich Blue Eyes an. In seinen Augen spiegelte sich Verständnis und Akzeptanz wider. Er wusste, worüber ich nachdachte. Doch bevor er etwas erwidern konnte, wischte ich mir über die Augen und holte Luft.

“Lass uns nach Hause gehen, Blue Eyes“, sagte ich leise.  

Er nickte zustimmend und wollte sich erheben, was ihm jedoch sehr schwer fiel. Sanft drückte ich ihn zurück.

“Warte noch einen Moment. Bevor wir gehen, muss ich noch etwas erledigen.“

Ohne ein weiteres Wort, stand ich auf und ging zu den fünf Leichen der Männer. Angewidert betrachtete ich ihre leblosen Körper. Sie konnten hier nicht liegenbleiben. Wenn sie irgendjemand entdeckte, waren wir alle in Gefahr. Das Szenario, das sich hier abgespielt hatte, würde als Kriegserklärung der Affen gedeutet werden. Ich musste die Körper vorübergehend verstecken. Ich musste sie gut verstecken. Ich musste sie fortschaffen. Raus aus der Stadt.
Also packte ich nach und nach jeden einzelnen von ihnen und hievte sie auf die Ladefläche des Trucks. Ich wusste nicht, woher ich die Kraft nahm, um die schweren Männer auf die Fläche zu zerren. Natürlich hatte ich meine Muskeln trainiert, seitdem ich in Caesars Dorf lebte, doch ich spürte, dass es die nackte Angst und der reine Überlebenswille waren, die mich antrieben. John entpuppte sich als schwerwiegendes Problem. Wortwörtlich. Bei ihm dauerte es lange, bis ich ihn letzten Endes auf die Fläche gehoben hatte.

Nachdem die schwere Arbeit erledigt war, machte ich kurz eine Pause. Dabei ließ ich meinen Blick über die Ladefläche schweifen. Schaufeln und Spitzhacken waren zu einem Haufen zusammengetragen und verstaut worden. Dies würde mir den nächsten Schritt erleichtern. Folglich stieg ich in den Truck ein. Der Schlüssel steckte noch im Zündschloss. Laut grölte der Motor auf. Folglich lenkte ich so gut es ging den Truck in die Richtung von Blue Eyes, der von dem lauten Geräusch aus seinem Halbschlaf gerissen wurde. Verwirrt drehte er den Kopf in meine Richtung, als ich auf ihn zufuhr und letzten Endes neben ihm anhielt.

Ich stieg aus und hielt Ausschau nach unseren Pferden, die ich einige Meter entfernt von uns entdeckte. Brav, dachte ich und musste lächeln. Trotz des Lärms, den ich verursacht hatte, waren sie in der Nähe geblieben und hatten auf uns gewartet. Ich holte die beiden und befestigte ihre Zügel am Truck. Danach ging ich wieder zu Blue Eyes.  Als er mich sah, wollte er gerade etwas signieren, doch ich nahm seine Hand in meine und stoppte ihn.

“Hey“, flüsterte ich. „Du musst mir jetzt kurz helfen. Wir müssen in das Fahrerhäuschen des Trucks steigen. Kannst du aufstehen?“

Er stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Boden ab und erhob sich langsam. Die Bewegung verursachte ihm Schmerzen. Er biss die Zähne zusammen und schnaufte. Sofort schob ich meine Arme unter seinen Rücken und half ihm.

“Und jetzt einen Fuß nach dem anderen...“

Ich legte seinen Arm um meine Schultern und umfasste mit meinem seinen Oberkörper, mit Bedacht die Wunde nicht zu berühren.

„Gut. Stütze dich auf mich. Es ist nicht weit.“

Zusammen schleppten wir uns zu dem Truck und Blue Eyes schaffte es mit der letzten Kraft, die ihm noch blieb, in das Fahrerhaus zu klettern. Kurz nachdem er sich erschöpft auf dem Beifahrersitz niederließ, lehnte er den Kopf zurück und atmete tief aus. Er war völlig am Ende. Schnell holte ich meinen Rucksack und wühlte nach dem Wasserbeutel, den ich eingesteckt hatte. Bei der ganzen Aufregung hatten wir vollkommen vergessen, etwas zu trinken.

“Hier, trink etwas, Blue Eyes. Du brauchst es“, sagte ich sanft, während ich ihm die Öffnung des Beutels an die Lippen drückte. Kaum hatte er einen Tropfen Wasser gekostet, trank er in gierigen Schlucken, sodass ihm das kalte Nass die Mundwinkel herab floss. Nachdem er genug hatte, lehnte er sich seufzend zurück.

“Danke“, signierte er knapp und schloss wieder die Augen.

Ich trank daraufhin die letzten Schlucke Wasser aus, packte den Beutel zurück in den Rucksack und legte diesen unter Blue Eyes Füße. Anschließend schloss ich die Beifahrertür. Bevor ich einstieg, sah ich mich noch einmal um. Es war alles ruhig. Nichts bewegte sich. Der Tot hing in der Luft. Wenn wir wegfuhren, würde alles so aussehen, wie wir es vorgefunden hatten. Ich sah gen Himmel hinauf. Dunkle Wolken zogen auf und ihre mit Regen gefüllten Bäuche hingen so tief, dass sie augenblicklich platzten, sollten sie von einer Kirchturmspitze berührt werden. Das Blut, das den Boden benetzte, würde mit dem Regen fort gewaschen werden. Wir hinterließen keinerlei Spuren.

Ich widmete der Straße und der Stadt vor mir ein letztes Mal meine Aufmerksamkeit. Ich würde vorerst nicht zurückkehren. Ich konnte nicht. Nicht, nachdem all das geschehen war. Wenn mir eines klar geworden war, dann, dass ich Blue Eyes und seine Familie nicht verlieren konnte. Die heutigen Ereignisse, konnte ich mir niemals verzeihen. Caesar würde mir niemals verzeihen, wenn wir nach Hause kamen. Blue Eyes würde mir niemals verzeihen.

Darüber wollte ich jedoch noch nicht weiter nachdenken. Ich schüttelte den Kopf, stieg schließlich in den Truck und fuhr in einem angemessenen Tempo los, damit die Pferde hinter dem Fahrzeug her traben konnten. Ich beobachtete im Rückspiegel, wie die Straße hinter uns kleiner, allmählich von Nebel eingehüllt und letzten Endes vollständig von ihm verschluckt wurde. Es war, als hätte die Stadt nie existiert.

Geisterstadt.

Nach einer Weile erreichten wir die Golden Gate Bridge. Vorsichtig schlängelte ich unseren Truck durch die leeren Fahrzeuge, die auf der Straße zurückgelassen worden waren. Ich fuhr bis zum Rand des Waldes. Bis zu der Grenze, die das Reich der Affen markierte. Dorthin würde sich kein Mensch wagen. Schließlich lenkte ich den Truck vorsichtshalber noch tiefer in den Wald hinein und stellte ihn hinter einem großen Hügel ab, sodass man ihn nicht sofort entdecken konnte.
Und dann begann der zweite Teil der schmutzigen Arbeit.  Nach und nach grub ich tiefe Löcher, um in diese die Leichen zu verscharren. Mich hatte die letzten Stunden immer wieder die Frage eingeholt, ob es richtig gewesen war, dass ich die Männer umgebracht hatte. Ich kam zu dem Ergebnis, dass es so hatte sein müssen. Hätte ich sie am Leben gelassen, wären sie zu den anderen Überlebenden gegangen, hätten ihnen alles erzählt. Die Menschen hätten nicht lange gezögert und Caesars Dorf angegriffen. Was dann alles geschehen wäre, wollte ich mir nicht weiter ausmalen. Ich verdrängte alle weiteren Gedanken. Doch es änderte nichts an der Tatsache, dass ich eine Mörderin war. Ich würde die Tage hier hin zurückkehren und das, was von den Körpern übrig war, verbrennen. Dann erfuhr niemand, dass es zu einer Auseinandersetzung gekommen war.

Jegliches Zeitgefühl war mir entwichen und ich stöhnte erleichtert auf, nachdem ich es geschafft hatte, die toten Körper zu vergraben. Durch das auf die Grabstellen geworfene Laub und Geäst, konnte man nicht erkennen, dass dort unter der Erde Leichen verborgen waren. Ich sah an mir herab. Meine Kleidung war voller Erde und Schlamm. Wenn wir in das Dorf zurückkamen, würde ich als erstes Baden müssen.

Anschließend durchsuchte ich die Kisten auf der Ladefläche des Trucks. Ich fand etwas Proviant, Stoff und Kleidung, Messer und anderes Werkzeug. Alles Beute, die sie aus den verlassenen Stadtteilen zusammengetragen hatten. Die Waffen und Munition, die ich gefunden hatte, vergrub ich an einer anderen Stelle. Vielleicht konnte man sie in Zukunft noch gebrauchen.

Nachdem ich alles erledigt hatte, sah ich zu Blue Eyes. Er war wach. Vorsichtig beugte ich mich über ihn, um zu gucken, wie es seiner Verletzung ging. Mein Oberteil, dass ich ihm umgebunden hatte, wurde langsam von Blut durchtränkt. Der Verband musste bald gewechselt werden. Gerade, als ich mich wieder aufrecht hinstellen wollte, spürte ich einen festen Griff in meinem Nacken, der mich daran hinderte. Blue Eyes zog mich an sich heran, sodass meine Stirn sanft seine berührte. Ich schloss meine Augen und genoss die Berührung.

“Wie geht es dir?“, flüsterte ich und streichelte seine Wange.

“Okay. Habe noch Schmerzen. Der Angriff des Bären war schlimmer, wenn ich mich richtig erinnere...“, antwortete er in Zeichensprache. Seine Bewegungen waren schwerfällig.

“Glaubst du, du schaffst das letzte Stück nach Hause auf dem Pferd? Wir müssen den Truck hier lassen. Wenn wir mit dem Ding in das Dorf fahren, werden Fragen wie Hagel auf uns niederprasseln. Und ich muss Caesar-“

Meine Stimme versagte. Ich begann zu weinen.

“Gott, Blue Eyes, mir tut alles so furchtbar Leid. Ich kann deinem Vater nie wieder in die Augen sehen. Ich kann dir nie wieder in die Augen sehen. Ich-“

Die sanfte Berührung seiner kalten Lippen auf meiner Stirn brachten mich zum Schweigen. Ich hielt die Luft an. Eine ganze Weile verharrten sie auf meiner warmen, verschwitzten Stirn. Ich versuchte mir das Gefühl einzuprägen. Mir in meine Seele zu brennen. Dann wanderte sein Mund weiter über meine Nase, er küsste meine Nasenspitze. Er streifte meine Wangen. Seine Lippen waren so sanft. Er küsste meinen linken Mundwinkel. Ich schloss die Augen. Mein Herz klopfte irgendwo in meiner Kehle.

Und viel zu schnell verließen mich seine zärtlichen Berührungen wieder. Verwirrt sah ich ihn an.
“Konnten nicht ahnen, dass so etwas passiert“, begann er. „Wäre dir etwas passiert, hätte ich es mir niemals verziehen. Menschen waren böse. Musste dich beschützen. Es ist meine Schuld.“

“Blue Eyes...“ Er unterbrach mich, indem er den Kopf schüttelte.

“Nein. Nicht jetzt reden. Ich schaffe den Rest auf dem Pferd. Aber du musst mir helfen.“ Ich nickte stumm, mit Tränen gefüllten Augen.  

Ich half Blue Eyes aus dem Fahrzeug. Er hatte wieder einen Arm um meine Schultern gelegt und ich versuchte so gut es ging, das meiste von seinem Körpergewicht zu stützen. Folglich band ich unsere beiden Pferde los und führte sie zu einem umgestürzten Baumstamm. So konnte Blue Eyes darauf klettern und das Aufsitzen würde ihm leichter fallen. Mir entging nicht, dass ihm jede Bewegung Schmerzen bereitete und ich war froh, als er auf seinem Hengst saß. Ich holte meinen Rucksack und schwang ihn auf den Rücken.

Der Weg zum Dorf war nicht mehr weit. Ich hatte den Truck tief in den Wald fahren können. Meine Stute hatte ich dicht neben seinen Hengst geführt, sodass ich Blue Eyes auf dem Heimweg einigermaßen halten konnte. Seine Körperhaltung war völlig schlaff, er konnte sich gerade noch so auf dem Rücken seines Hengstes halten. Außerdem musste er sich dringend ausruhen. Er brauchte viel Schlaf.

Schließlich ritten wir los. Wir ließen die bösen Geister hinter uns. Doch tief im Inneren wusste ich, dass sie mich bald wieder einholten.

Mit Beklommenheit starrte ich geradeaus. Irgendwann begrüßten uns die riesigen und bedrohlichen Vogelscheuchen aus Stämmen und Ästen, die wie stumme, bewegungslose Riesen das Revier der Affen bewachten.

Ich begrüßte sie als meine Henker.
Review schreiben
 
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast