[♪ | ⚑] »Die Andere«
von - Leela -
Kurzbeschreibung
Ralph verhält sich seit ein paar Tagen äußerst merkwürdig. Das bleibt gerade Melissa nicht verborgen, hat sie doch manchmal das Gefühl, er wolle sie abwimmeln. Kann sie den Grund dafür herausfinden?
GeschichteLiebesgeschichte / P12 / Gen
Bert Raccoon
Melissa Raccoon
Ralph Raccoon
Sophia Tutu
02.09.2014
02.09.2014
1
4.635
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02.09.2014
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Dies ist mein Beitrag zum Wettbewerb »Geheimnisse« von Jugolas. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen. ^^
Allgemeine Hinweise:
● Geschrieben, wie immer, nach alter Rechtschreibung
Ralph schrak zusammen und wirbelte herum, als die Tür zum Raccoonhaus aufging, und atmete anschließend erleichtert durch. „Ach, du bist es, Bert.“
„Was ist denn mit dir los? Wen hast du denn sonst erwartet?“ fragte sein Jugendfreund.
„Einen Augenblick hatte ich Angst, es könnte Melissa sein.“ gestand Ralph.
Bert sah ihn konsterniert an. „Vor Melissa hast du so eine Angst?“
„Nein!“ lachte er. „Aber wir haben doch bald Jubiläum! Und dazu habe ich mir etwas Besonderes für sie überlegt. Sie darf es nur vorher nicht wissen.“ Während seiner Erzählung packte er weiter das Material aus einer Tüte aus, die vor ihm auf dem Tisch stand. Er hatte farbiges Folienpapier eingekauft, Kleber und einen großen Bilderrahmen, und er hatte einen Stapel Fotos herausgesucht und auf dem Tisch bereitgelegt. „Sie ist ja heute mit Sophia unterwegs, von daher rechne ich nicht so früh mit ihr, aber man weiß ja nie!“
Bert sah sich das Material an. „Was für ein Jubiläum ist es denn? Der Tag, an dem ihr euch kennengelernt habt, wo ihr euch wiedergesehen habt, als ihr zusammen gekommen seid, euer erster Kuß, euer erster Erdnußbuttereisbecher…?“
„An den Tag, wo wir uns kennengelernt haben, erinnere ich mich kaum. Das war damals im Kinderspielkreis. Die nächsten drei liegen alle auf ein und demselben Datum, und das letzte existiert nicht.“ erklärte Ralph. „Nein, ich meine den Tag, als ich ihr den Heiratsantrag gemacht habe!“
„Eure Verlobung!“ kombinierte Bert messerscharf. Er hätte von selbst darauf kommen können. Er kannte niemanden, der so sentimental war wie Ralph, und die Verlobung immer noch feierte, obwohl er und Melissa längst verheiratet waren.
„So könnte man es kurz ausdrücken, ja!“ Ralph sortierte bereits die Bilder, die er auf dem Tisch ausgebreitet hatte. „Meinst du, sie würde sich darüber freuen, wenn sie eine Collage aus unseren schönsten Momenten bekommt, die sie an ihrem Lieblingsplatz aufhängen kann?“
„Wenn du es nicht weißt, wer dann?“ lachte Bert.
Ralph atmete leicht durch. „Eigentlich hast du ja Recht. Ich wäre ja auch gar nicht auf die Idee gekommen, wenn ich mir nicht sicher wäre, daß es ihr gefallen würde. Aber das hier soll etwas ganz großartiges werden, etwas, das sie wirklich aus den Schuhen haut.“
Bert lehnte sich an das Treppengeländer und warf Ralph einen tiefgründigen Blick zu. „Du meinst, so wie alles, wenn es Melissa betrifft?“
Ralph spürte die Verlegenheit in seine Wangen steigen und konnte sich ein vielsagendes Lächeln nicht verkneifen.
Plötzlich hörten sie Stimmen von draußen: Sophia, und Melissa! Alarmiert schreckte Ralph auf. Ohne nachzudenken schob er die Fotos zusammen. Auch Bert reagierte sofort und schnappte sich die Tüte, um sie ihm aufzuhalten. Ralph schmiß die Fotos auf den Rahmen und ließ alles schnell in der Tüte verschwinden, genau zum rechten Zeitpunkt, als die Frauen das Haus betraten. Der Raccoon mit dem weißen Schal drehte sich fließend zu ihnen um und lächelte gewinnend, in der Hoffnung, daß keiner der beiden Verdacht schöpfte. „Hi Melissa, hi Sophia!“
„Hi, ihr zwei!“ grüßte Melissa zurück und warf Bert einen interessierten Blick zu, der verlegen grinste und die Tüte hinter seinem Rücken versteckte. „Was treibt ihr Jungs so?“
„Öhm…“ Ralph und Bert wechselten einen Blick. „Nichts Besonderes!“
Bert unterdrückte ein Schmunzeln. Er hatte Ralph noch nie so schamlos lügen hören.
„Ihr seid aber früh zurück!“ bemerkte Ralph so neutral wie möglich.
„Ich finde, wir waren lange genug unterwegs!“ schmunzelte Melissa.
„Wie wäre es mit einer Erdnußbuttersoda?“ schlug Bert vor, während er kameradschaftlich den Arm um seinen Kumpel legte, ohne den Frauen Beachtung zu schenken.
„Danke, für mich nicht.“ begann Ralph, als Bert versuchte, unauffällig mit dem Kopf in Richtung der Küche zu nicken. Da schaltete er. „Aber ich nehme einen Cappuccino!“
Bert drehte sich geschickt so um, daß die Mädchen die Tüte nicht zu sehen bekamen, und verschwand schnell mit Ralph in der Küche.
Melissa und Sophia warfen sich einen ratlosen Blick zu.
„Was war das denn jetzt?“ fragte Sophia.
„Wenn ich das wüßte!“ kommentierte die Waschbärfrau.
Sophia kicherte. „Aber die Idee mit dem Cappuccino ist nicht schlecht, oder?“
„Ja!“ bestätigte Melissa. Sie ging voran, war aber kaum bei der Küchentür angekommen, als sie plötzlich innehielt. Sie konnte durch die Tür die Stimmen der Jungs hören. Eigentlich war sie nicht der Typ, der lauschte, aber diesmal wurde sie doch aufmerksam und legte ein Ohr an die Tür.
Ralph hatte die Küchentür geschlossen und lehnte sich von innen dagegen, während er tief durchatmete. „Das war knapp! Zu knapp! Ich muß doch vorsichtiger sein!“
„Wer hätte denn aber auch damit gerechnet, daß die beiden so schnell zurück sein würden?“ bemerkte Bert. „Frauen und Shopping – da geht man doch davon aus, daß das den ganzen Tag dauert!“
„Ganz egal! Melissa darf nichts mitkriegen! Nur das zählt!“ erklärte Ralph bestimmt.
„Schon verstanden! Absolute Geheimhaltung! Du kannst auf mich zählen!“
Auf der anderen Seite der Tür machte Melissa ein ratloses Gesicht.
„Was hast du, Melissa?“ fragte Sophia.
Die Raccoonfrau drehte sich nachdenklich zu ihr um. „Es geht gerade um irgend etwas, was ich nicht wissen soll… Ich möchte wissen, was das ist!“
„Naja, aber du sollst es ja nicht wissen!“ kicherte Sophia.
„Hm.“ Die Aardvark sah ihrer Freundin an, daß ihr das gar nicht so recht paßte.
„Ach, bestimmt ist es nichts wildes!“ meinte Sophia. „Komm, laß uns noch einen schönen Abend mit den Jungs verbringen.“
So ganz schien es Melissa nicht loszulassen, doch sie ließ es dabei bewenden. „Du hast recht. Zeit für Cappuccino!“
Als die beiden Frauen in die Küche kamen, hatten die Männer sämtliche Spuren beseitigt. Und so schwer es der Raccoonfrau auch fiel, sie sprach das Thema nicht an.
Ralph hatte das Bastelmaterial auf seinem Schreibtisch in der Redaktion ausgebreitet. Hier würde er sich keine Sorgen darum machen müssen, daß Melissa ihm in die Quere kam. Heute war sie den ganzen Tag auf einer Fotosession bei einer Soiree von Lady Baden-Baden; und glücklicherweise schrieb Sophia die Klatschkolumnen für die immergrüne Zeitung, so daß er nicht einmal für einen Bericht vor Ort zu sein brauchte. Das gab ihm Zeit genug, seine Collage auszuarbeiten. Jetzt überlegte er, was er aus dem Material machen wollte.
Er sah sich das rote, schimmernde Folienpapier an und nahm eines der Fotos. Probeweise legte er es übereinander. Ja, das Bild würde sich wunderbar dazu eignen, um es in Herzform auszuschneiden und mit dem Papier einzufassen.
Hinter ihm ging die Tür auf. „Hi Schatz!“
Ralph wirbelte elektrisiert herum und versuchte automatisch, die Sicht auf den Schreibtisch zu verbergen. „Oh, hi!“ Der Raccoon spürte sein Herz rasen. Schnell schob er das Material hinter seinem Rücken zusammen.
Melissa betrachtete ihn nachdenklich.
Ralph tastete hinter sich, ohne Melissa aus den Augen zu lassen, mußte aber einsehen, daß er die Schublade des Schreibtisches, die auf der anderen Seite lag, von seiner Position aus nicht würde erreichen können. Er merkte selbst, daß er gerade anfing, ziemlich blöd und verräterisch zu grinsen. So unauffällig wie möglich setzte er sich auf den Schreibtisch, dann lehnte er sich nach hinten, um die Schublade zu öffnen und alles in einem Rutsch dort hineinzuschieben, bevor er sie schnell wieder schloß. Anschließend setzte er sich bequem auf die Schreibfläche und begegnete dem skeptischen Blick seiner Frau, die das Szenario wortlos beobachtet hatte. Er konnte knapp ein weiteres verräterisch verlegenes Lächeln vermeiden. „Mit dir hätte ich ja noch gar nicht gerechnet!“ meinte er fröhlich und versuchte, seine Nervosität zu überspielen.
‚Offensichtlich!‘ schoß es ihr durch den Kopf. „Irgend etwas, das ich wissen müßte?“ fragte sie nur.
„Nein!“ erwiderte er schnell. „Nein, gar nichts!“
„Hm.“ Das war ihre einzige Erwiderung, dann ging sie in die Dunkelkammer.
Ralph sah ihr nach, bis er sich sicher war, daß sie beschäftigt war. Dann schnellte sein Blick zu der Schublade. Er mußte das Zeug hier rausschaffen, bevor Melissa es noch fand!
Er suchte schnell nach der Tüte und hatte knapp die Schublade geöffnet, als Melissa mit einigen Bilderserien zu ihm in den Raum zurückkehrte. „Sag‘ mal, kannst du…“ Das Zuschlagen der Schublade unterbrach Melissa in dem, was sie hatte sagen wollen, und die Raccoonfrau sah ihren Mann konsterniert an, der sie jetzt verdächtig angrinste, als könne er so von seinem merkwürdigen Verhalten ablenken. „Sag‘ mal, geht es dir gut?“
„Ja, sicher!“ bestätigte er. „Was wolltest du gerade sagen?“
Melissa mußte sich erst aus einem Moment der Sprachlosigkeit fangen. „Ich wollte nur fragen, ob du dir die Bilder mal ansehen kannst. Lady Baden-Baden möchte ein paar davon für eine Ausstellung haben, und ich frage mich gerade, welche davon ich vergrößern soll.“
„Na klar, zeig mal her!“ Es beruhigte den Redakteur sehr, als er den Fokus auf ein unverfängliches Thema lenken konnte.
Während Ralph die Bilderserien begutachtete, ging Melissa zu seinem Schreibtischstuhl herüber und machte es sich dort bequem. Während sie wartete, schickte sie sich an, fast wie beiläufig die Schublade aufzuziehen.
Ralph unterdrückte ein elektrisierendes Gefühl, ging so unbedarft wie möglich um den Schreibtisch herum, um sie keinen Verdacht schöpfen zu lassen und lehnte sich gegen die Schublade, während er weiter die Bilder durchsah. Melissa ließ von ihrer Neugierde ab und betrachtete ihn dafür, während er sich nichts anmerken ließ. „Also, ich würde auf jeden Fall das Pavillonbild nehmen. Das beleuchtete Herrenhaus ist auch schön. Und das hier!“
Melissa sah ihn bittend an. „Zeichnest du sie mir einfach an?“
‚Sie ist nicht blöd!‘ schoß es ihm durch den Sinn. ‚Sie weiß genau, daß alle Stifte in der einen Schublade liegen!‘ „Ach, Schatz, du kannst dir meistens doch ganz gut Dinge merken. Das ist eine der Sachen, für die ich dich bewundere!“
Melissa maß ihn mit einem skeptischen Blick.
„Ähm, ich bin gerade etwas im Zugzwang mit einem Bericht!“ wich Ralph aus. „Können wir sonst nachher noch mal drüberschauen?“
„Ich habe eine bessere Idee.“ sinnierte Melissa, schon etwas reserviert. „Ich nehme die Bilder einfach mit und gehe sie mit Lady Baden-Baden persönlich durch.“
Ralph jubelte innerlich auf. „Ja, mach das, Schatz!“ erwiderte er neutral. „Das ist bestimmt das Beste.“
Der Moment der Stille, der folgte, erdrückte ihn beinahe. Keiner der beiden regte sich für einen fürchterlichen, scheinbar ewig andauernden Augenblick. Dann nahm sie wortlos die Bilder und verließ die Redaktion. Ralph atmete tief durch und sah sich hastig um. ‚So funktioniert das nicht! Sie hat schon zu viel mitbekommen. – Ich muß unbedingt mit Bert sprechen!‘
Melissa war seit den letzten zwei Tagen immer mehr in eine in sich gekehrte, nachdenkliche Stimmung verfallen. Seit wann hatte Ralph Geheimnisse vor ihr? Was konnte das nur zu bedeuten haben? Sie konnte nicht verhindern, daß sie immer skeptischer wurde und jede seiner Bewegungen beobachtete, obwohl sie es gar nicht wollte. Aber die merkwürdigen Begebenheiten der letzten zwei Tage gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Und wenn sie ihn direkt ansprach, dann wurde sein Verhalten noch merkwürdiger; er wich ihr aus, gab keine richtigen Antworten und versuchte, sie abzuwimmeln. Meinte er wirklich, sie würde nicht merken, daß hier etwas vor sich ging?
Sie schüttelte leicht den Kopf, um die mißtrauischen Gedanken loszuwerden. Sicher war es nur eine harmlose Sache, und sie interpretierte gerade zu viel da hinein. Vielleicht sollte sie ihn doch noch mal konkret darauf ansprechen und damit konfrontieren. Gerade diesen Entschluß gefaßt, kam sie beim Raccoonhaus an und wollte just hineingehen, als sie Ralphs Stimme von drinnen hörte. Sie hielt erstarrt inne, den Türknauf schon fast in der Pfote, während sich ihre Gedanken überschlugen. Wenn sie wirklich erfahren wollte, was hier vor sich ging, dann war dies eine Chance! Schnell suchte sie Schutz in einem der Büsche unter dem Fenster und spähte von draußen herein.
Ralph lief im Wohnzimmer auf und ab, während Bert seinen Kumpel sorgenvoll musterte. „Wie soll ich nur jemals zurande kommen, wenn Melissa ständig in der Gegend ist! Ich kann ja keine Minute mit ihr allein sein!“
Bert machte eine hilflose Geste. „Sag‘ ihr doch konkret, daß sie dich mal für ein paar Stunden in Ruhe lassen soll!“
„Und sie damit genau Verdacht schöpfen lassen! Toll, Bert!“ entrüstete sich der Redakteur.
„Na, wesentlich unauffälliger bist du jetzt gerade auch nicht!“ bemerkte Bert.
Ralph seufzte. „Ja, ich weiß. Aber… Sie ist so wichtig für mich! Ich kann sie nicht einfach fallen lassen. Und für Melissa schon gar nicht, verstehst du?“
Melissa schnappte vor dem Fenster erschrocken nach Luft. Bedeutete das gerade, was sie vermutete?
„Natürlich verstehe ich es. Sie ist einfach großartig, Ralph. Laß es dir doch nicht kaputtmachen! Wie wäre das: Du fragst Cedric einfach mal, ob du mit ihr zu ihm kommen kannst! Da wärst du mit Sicherheit ungestört!“
Ralph schnappte begeistert nach Luft. „Bert, das ist eine phantastische Idee!“ lobte er. „Warum bin ich da nicht drauf gekommen? Da wird mir Melissa sicher nicht in die Quere kommen!“
„Ja, und du kannst es endlich in vollen Zügen genießen, anstatt dich ständig vor Melissa verstecken zu müssen!“ fügte Bert mit einem tiefgründigen Lächeln an.
Melissa spürte, wie sich alles in ihr verkrampfte, und sie konnte es nicht mehr aufhalten, daß ihr die Tränen in die Augen schossen. Mit knapper Not unterdrückte sie ein Schluchzen und verschwand schnell vom Fenster, bevor sie den Männern ihre Anwesenheit verriet. Sie mußte irgendwo hin, wo sie allein war, weit weg von Ralph. Schnell und lautlos verschwand sie im Wald.
Von alldem hatten die beiden Raccoons im Haus nichts mitbekommen.
„Ja, das kannst du wohl sagen!“ lachte Ralph. „Du glaubst gar nicht, wie übel es ist, Fotos ausschneiden zu wollen, wenn du in jeder Minute damit rechnest, daß du wieder alles verschwinden lassen mußt.“
„Komm, dann laß uns doch gleich mal zu Cedric rübergehen!“ schlug Bert vor. „Du kannst in Ruhe deine Collage für Melissa fertig machen, und Cedric und ich können das neue Computerspiel ausprobieren!“
Ralph lächelte strahlend. „Ja, das ist eine phantastische Idee!“
Melissa war einige Zeit durch den Wald gelaufen, konfus und mit den Nerven am Ende. Das war es also gewesen! Ralph hatte eine Affäre, von der sie nichts wissen durfte. Diese Erkenntnis war mehr, als sie ertragen konnte. Nie hätte sie gedacht, daß ausgerechnet sie einmal in diese Situation kommen würde; daß ausgerechnet Ralph sie betrügen würde… Sie hielt die Tränen nicht länger zurück, und in ihren Atem mischte sich Schluchzen. Eine Welt brach für sie zusammen.
In ihre konfusen Gedanken hinein überlegte sie immer wieder, wie sie jetzt weitermachen sollte. Konnte sie Ralph überhaupt noch unter die Augen treten? Würde sie ihn anschreien, oder einfach zusammenbrechen? Wollte sie weglaufen, und ihn nie wieder sehen? Sicher, es wäre nicht die eleganteste Variante, aber vielleicht die bessere, bevor sie sich ihm noch gedemütigt stellen mußte! Es würde ihr die bittere Konfrontation ersparen, und ihr das letzte bißchen Würde belassen, das sie jetzt noch hatte. Wenn sie nur nicht so viel Wut, Trauer und Enttäuschung in sich spüren würde, die den Wunsch in ihr schürten, es ihm heimzuzahlen!
‚Ruhig, Melissa!‘ gemahnte sie sich selbst. ‚Jetzt bloß nichts überstürzen!‘ Sie ging in Gedanken noch einmal ihre Möglichkeiten durch. Dann faßte sie einen Entschluß. Sie würde ein paar Sachen zusammenpacken und für ein paar Tage zu Sophia gehen. Dann konnte sie in Ruhe überlegen, wie sie vorgehen wollte, um ihm mit Würde gegenüberzutreten und die Sache zu klären.
Sie drehte um und ging zum Haus zurück. ‚Was mache ich, wenn er noch da ist?‘ schoß es ihr durch den Sinn. ‚Wenn ich ihm jetzt über den Weg laufe?‘ Sie biß die Zähne zusammen. Sie hatte einen Entschluß gefaßt, der für ihre jetzige Situation der beste war, und den würde sie auch durchziehen. Im Zweifel würde sie Ralph einfach ignorieren, ihre Tasche packen und wieder gehen. Womit wollte er sie aufhalten? Besser noch, wenn sie gegangen war, konnte er sich das Haus mit seiner neuen Liebschaft teilen!
Als das Haus in Sicht kam, atmete sie ruhig durch. Sie würde sich trotz allem ein wenig vorbereiten müssen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Vorsichtig sah sie sich um und spähte noch einmal durch das Fenster, doch das Haus schien gerade verlassen zu sein. Sie schlüpfte schnell hinein und lief hoch zu ihrem Schlafzimmer. Dort packte sie hastig ein paar Sachen zusammen. Noch während sie dabei war, hörte sie plötzlich die Haustür und wurde aufmerksam. Zitternd lehnte sie sich an die Wand neben der Schlafzimmertür und lauschte.
„Und, wie war es, Ralph?“ erkundigte sich Bert.
„Es war phantastisch! Endlich konnte ich mich richtig um sie kümmern! Das wurde auch Zeit!“ erklärte Ralph strikt, während er die Tüte mit der fertigen Collage neben der Treppe an die Wand lehnte.
„Ja, das mit Cedric solltest du dir merken! Bei ihm kann man für alles mögliche Unterschlupf finden. Und Melissa kommt nie darauf!“
„Ja, und selbst wenn, Cedric kann einem dann sogar genug Zeit verschaffen, um die Spuren zu verwischen!“ lachte Ralph.
Melissa atmete schwer und wartete so lange, bis es wieder ruhig wurde im Wohnzimmer. Wenn es eben ging, dann wollte sie Ralph jetzt nicht über den Weg laufen. Wenn sie es richtig deutete, waren die beiden Männer gerade in die Küche gegangen. Diese Chance nutzte sie. Sie schnappte sich ihren Koffer und rannte die Treppe hinunter.
Ralph unterhielt sich tatsächlich in der Küche weiter mit Bert. „Jetzt muß ich sie nur noch einpacken. Ich denke aber, das kann ich zwischendurch noch…“ Er unterbrach sich, als er die Haustür ins Schloß fallen hörte und sah sich verwundert um. „Melissa?“ rief er, bekam aber keine Antwort. Irritiert gingen die beiden Raccoons zurück ins Wohnzimmer, doch es war niemand da.
„Sie muß hier gewesen sein!“ kombinierte Bert. „Wahrscheinlich hat sie nicht einmal mitbekommen, daß wir zurück sind.“
Melissa lief ein Stück, doch Tränen verschleierten ihre Sicht. Sie spürte, wie ihr die Beine den Dienst zu versagen drohten, so daß sie viel zu nah am Haus bei einem umgestürzten Baum Halt machen mußte. Sie ließ den Koffer fallen und setzte sich, vergrub das Gesicht in den Händen und ließ ihren Emotionen freien Lauf. Sie bemerkte nicht einmal, daß jemand gerade den Weg hochkam.
Als Sophia ihre Freundin nicht weit entfernt sitzen sah, die sich gerade in Tränen auflöste, stockte ihr fast das Blut in den Adern. Bestürzt lief sie zu der Raccoonfrau herüber. Melissa registrierte sie nicht einmal, als sie direkt vor ihr stand, oder sie ignorierte sie, das konnte das Aardvarkmädchen nicht eindeutig sagen. Wahrscheinlich war die Fotografin sich nicht einmal sicher, wer vor ihr stand, so daß sie eine automatische Schutzhaltung einnahm, und sie wirkte, als wäre sie nicht ansprechbar. Sophia kniete sich vor sie und faßte sie bei den Armen. „Melissa, was ist passiert?“
„Oh, Sophia!“ brachte Melissa knapp heraus, als sie ihre Freundin erkannte und brach erst richtig in Schluchzen aus. „Wie gut, daß du da bist. Ich wollte ohnehin gerade zu dir.“
„Aber was ist nur geschehen?“ fragte die Aardvark ruhelos.
„Ralph hat eine andere!“ stieß Melissa bitter hervor und vergrub sich an Sophias Schulter.
„Was?“ hauchte das Aardvarkmädchen, als wäre die Nachricht noch gar nicht richtig bei ihr angekommen. Doch Melissa schluchzte sich bereits die Seele aus dem Leib und konnte gar nicht mehr darauf antworten. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen, nicht von Ralph.“ sinnierte Sophia verwirrt.
„Ich auch nicht.“ brachte Melissa gebrochen hervor. „Aber es ist so. Ich habe mitbekommen, wie er mit Bert darüber gesprochen hat. Seit ein paar Tagen geht es schon so.“
Sophia hatte den Schock noch gar nicht richtig verarbeitet, als sie ihre Freundin tröstend an sich drückte. Dann hatte Melissa also doch Recht gehabt, als sie in den letzten Tagen bei dem merkwürdigen Verhalten ihres Ehemannes mißtrauisch geworden war…
Indes hatte Ralph beschlossen, nachzusehen, ob er Melissa draußen noch erwischte. Jetzt, da er, nachdem sein Jubiläumsgeschenk fertig war, wieder ein wenig mehr Ruhe hatte, brauchte er einfach mal wieder ein bißchen Zeit mit ihr allein. Als er sich draußen umsah, stellte er fest, daß er zu spät war. Er sah sie nicht mehr. Sie mußte längst unterwegs zu einem anderen Ziel sein. Er seufzte. Es war auch nicht mehr als ein Versuch gewesen.
Als er schon umkehren wollte, hörte er plötzlich ein Schluchzen, nicht weit entfernt. Er stockte und folgte irritiert dem Impuls, um nur wenig später seine Frau weinend in Sophias Armen zu finden. Dieses Mal durchfuhr ihn ein richtiger Schock. Nicht einer von der Sorte, als er versucht hatte, sein kleines Geheimnis vor Melissa zu wahren; dies hier griff mit eisernen Klauen nach seinem Herzen. Bestürzt lief er zu ihr herüber und kniete sich zu ihr. „Melissa, was ist passiert?“ hauchte er und wollte sie tröstend in die Arme zu ziehen, als sie ihn mit einer forschen Geste von sich wegstieß. Entsetzt starrte er Melissa an, unfähig etwas zu sagen.
Unter Tränen funkelte sie ihn an. „Du Ratte!“
Er schnappte nach Luft. „Bist du jetzt völlig verrückt geworden? Was habe ich dir denn getan?“
„Das fragst du noch?“ brachte sie schluchzend hervor. „Meinst du etwa, ich kriege das nicht mit, wenn du dir eine andere anlachst?“
Ralph sah sie völlig perplex an. Dann machte er eine hilflose Geste. „Ich habe keine andere! Wie kommst du auf den Blödsinn?“
„Meinst du, sie würde sich hier die Seele aus dem Leib weinen, wenn nichts wäre?“ schoß Sophia ärgerlich zurück, welche die am Boden zerstörte Melissa wieder tröstend in den Arm genommen hatte.
Ralph sah das Mädchen geschockt an. Nie hatte er Sophia so erlebt! „Aber ich habe nichts mit einer anderen! Ich schwör’s!“ verteidigte er sich aus dem Konzept gebracht. „Warum sollte ich auch, wenn ich den größten Schatz zu Hause habe?“
„Willst du mich für blöd verkaufen?“ schrie Melissa ihn an. Sie zitterte.
Der Redakteur fühlte sich so hilflos wie nie zuvor und wußte gar nicht mehr, was er denken sollte. So hatte er seine Frau nie sehen wollen, und wie er jetzt - unschuldig - in diese Situation hatte geraten können, war ihm ein Rätsel. Diese unwirkliche Szene vor ihm zog ihm schier den Boden unter den Füßen weg, vor allem, weil er keine Möglichkeit hatte, an Melissa heranzukommen, und nicht einmal ansatzweise wußte, wie er die groteske Situation auflösen sollte. „Melissa, ich weiß nicht, wo du diese Informationen herhast, aber nichts davon ist wahr!“ beschwor er sie. Als er es wagte, sich neben sie zu setzen, rückte sie ein Stück von ihm fort, ohne noch einmal darauf einzugehen.
Sophia funkelte ihn an. Nie war sich Ralph so bewußt darüber geworden, wie vernichtend der Blick des sonst so lieben Aardvarkmädchens sein konnte. Er konnte nicht verhindern, daß er schauderte.
In dem Augenblick kam Bert auf die Szene zu. „Ralph, was hältst du von Pizza heute abend? – Was ist denn hier los?“
Ralph machte eine hilflose Geste. „Wenn ich das wüßte!“
„Jetzt tu doch nicht so, als wäre nichts gewesen. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“ schoß Melissa zurück.
Bert sah ratlos von Ralph zu Melissa und wieder zurück.
„Und du weißt auch genau, worum es geht!“ Melissa zeigte mit strafendem Blick auf Bert. „Du hast das ganze ja noch unterstützt!“
Bert schnappte überfordert nach Luft. „Äh… Was habe ich unterstützt, Melissa?“
Ralph kniete sich ohne Bert zu beachten vor sie und sah sie flehentlich an. „Melissa, ich weiß nicht, woher du dieses angebliche Wissen nimmst, aber wenn ich eines nicht habe, dann eine Affäre!“
Bert sah die Gruppe entgeistert an. „Eine Affäre? Ralph?“ Er konnte nicht verhindern, schier in Lachen auszubrechen.
Melissa funkelte die beiden Raccoons deutlich fernab jeglichen Humors an. „Ach ja? ‚Sie ist so wichtig für mich!‘ ‚Frag Cedric einfach mal, ob du mit ihr zu ihm kommen kannst! Da wärst du mit ihr ungestört!‘ ‚Da kommt mir Melissa nicht in die Quere!‘ ‚Du kannst es endlich in vollen Zügen genießen, anstatt dich ständig vor Melissa verstecken zu müssen!‘ Klingelt da was?“ schmetterte sie den beiden Jungs entgegen. Sie sah Ralph mit tränenverschleierten Augen an und schluchzte: „Du wolltest mich loswerden! Wozu brauchst du mich überhaupt noch, wenn es mit ihr so toll ist? Damit ich deine Wäsche wasche?“
Ralph sah sie verblüfft an. „Das hast du gehört?“
Melissa ballte die Hände zu Fäusten. „Offensichtlich!“
Ralph atmete tief durch und konnte knapp ein Schmunzeln unterdrücken, als er sich endlich einen Reim auf ihre Anschuldigung machen konnte. Er sah sie sanft an. „Das kann ich dir erklären, Schatz!“ erklärte er ruhig.
Melissa sah ihn mißtrauisch an. „Ach ja?“
Er konnte sich nicht helfen, er hatte noch nie zwei Worte erlebt, die so wehgetan hatten. Er reichte ihr die Hand. „Komm mal mit, Schatz, ich zeige dir mal etwas.“ Als sie nicht reagierte, fügte er an: „Laß mich bitte zumindest versuchen, es dir zu erklären. Wenn du mir danach immer noch böse bist, dann nehme ich es so an. Gib mir eine Chance, Melissa, bitte!“
Noch immer etwas skeptisch richtete sie sich auf, ohne seine Geste anzunehmen und ließ sich lieber von Sophia helfen. Ralph nahm es demoralisiert zur Kenntnis, aber immerhin schien sie ihm folgen zu wollen, und so führte er seine Freunde zurück ins Haus. Im Wohnzimmer angekommen nahm er seufzend die Tüte mit der noch nicht verpackten Collage und drehte sich zu ihr um. „Weißt du, was übermorgen für ein Tag ist?“
„Natürlich!“ erwiderte sie. Allein ihr Tonfall und die Art, wie sie seinem Blick auswich zeigte, daß diese Tatsache es für sie noch schwerer machte.
In seinen Augen lag ein Ausdruck des Bedauerns. „Ich zeige dir mal, auf wen du eifersüchtig bist.“
Melissa spannte sich unwillkürlich an, als er den Bilderrahmen aus der Tüte zog, und Bert schnappte perplex nach Luft. „Ralph, willst du das wirklich tun…?“
„Ich habe keine andere Wahl, Bert.“ sagte Ralph. Er drehte das Bild um und zeigte Melissa die Collage mit den verschiedenen Fotos von ihr und ihm, den Wünschen zum Jahrestag und seiner Liebesbekundung. „Dafür brauchte ich Zeit, eine ungestörte Umgebung und Ruhe vor dir. Und du kannst mir glauben, sie ist wirklich wichtig für mich. Weil sie für dich ist.“
Melissa sah ihn groß an, unfähig ein Wort zu sagen.
Ralph lächelte gequält. „Und jetzt tu mir bitte einen Gefallen, und vergiß es bis übermorgen wieder.“ bat er, als er die Collage wieder in die Tüte zurückpackte.
Melissa standen die Tränen in den Augen, doch dieses Mal aus anderen Gründen als noch Minuten zuvor. „Oh mein Gott!“ Sie atmete zitternd durch, als sich das Puzzle in ihrem Kopf zusammensetzte. „Oh mein Gott! Ich habe dir alles kaputt gemacht.“
Er ging zu ihr herüber und nahm ihre Pfoten. „Aber jetzt kann ich verstehen, warum du so aufgelöst warst. Es tut mir leid, Melissa. Das hätte nie passieren dürfen.“ Schmerzlich wurde ihm bewußt, wohin ihn seine Heimlichtuerei gebracht hatte. Er machte eine auffordernde Geste. „Komm‘ mal her. Das brauche ich gerade. Mehr denn je!“
Sophia lächelte und gab Melissa einen sanften Schubs. Nachdem sich die Sache aufgeklärt hatte, war zumindest sie wieder gut gestellt.
Noch immer schluchzend sank Melissa in Ralphs Arme. „Es tut mir so leid.“ hauchte sie. „Wenn ich so etwas nur geahnt hätte…“
„Na, genau das hattest du ja eigentlich nicht gesollt.“ schmunzelte er, während er sie an sich drückte. „Dich trifft sicher keine Schuld. Ich hätte nie gedacht, daß so etwas daraus werden könnte. Das war wirklich keine Meisterleistung von mir.“ erklärte er ernst. „Bitte vergib‘ mir, Liebling. Das habe ich sicher nicht gewollt.“
Sie fing sich etwas und sah ihn mit Tränen, aber auch einem Lächeln an. „Aber es ist ja gar nichts passiert.“
„Doch, zu viel!“ widersprach er. „Denn allein, daß du in Erwägung gezogen hast, daß ich zu so etwas fähig wäre, und das auch noch mit gutem Grund, kann ich mir nicht verzeihen.“
Mittlerweile konnte selbst sie wieder lachen. „Ach, Blödsinn. Solange das alles nicht mehr als ein blödes Mißverständnis war, ist doch alles gut. Und übermorgen können wir herzlich darüber lachen.“
Die beiden tauschten einen gleichermaßen erleichterten Blick und sanken in eine feste Umarmung.
Bert und Sophia wechselten schmunzelnd einen Blick, und ließen das Pärchen in ihrer neu wiedergewonnenen Harmonie allein.
2. Platz von 24 Teilnehmern und 10 eingreichten Beiträgen.
Allgemeine Hinweise:
● Geschrieben, wie immer, nach alter Rechtschreibung
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»Die Andere«
Ralph schrak zusammen und wirbelte herum, als die Tür zum Raccoonhaus aufging, und atmete anschließend erleichtert durch. „Ach, du bist es, Bert.“
„Was ist denn mit dir los? Wen hast du denn sonst erwartet?“ fragte sein Jugendfreund.
„Einen Augenblick hatte ich Angst, es könnte Melissa sein.“ gestand Ralph.
Bert sah ihn konsterniert an. „Vor Melissa hast du so eine Angst?“
„Nein!“ lachte er. „Aber wir haben doch bald Jubiläum! Und dazu habe ich mir etwas Besonderes für sie überlegt. Sie darf es nur vorher nicht wissen.“ Während seiner Erzählung packte er weiter das Material aus einer Tüte aus, die vor ihm auf dem Tisch stand. Er hatte farbiges Folienpapier eingekauft, Kleber und einen großen Bilderrahmen, und er hatte einen Stapel Fotos herausgesucht und auf dem Tisch bereitgelegt. „Sie ist ja heute mit Sophia unterwegs, von daher rechne ich nicht so früh mit ihr, aber man weiß ja nie!“
Bert sah sich das Material an. „Was für ein Jubiläum ist es denn? Der Tag, an dem ihr euch kennengelernt habt, wo ihr euch wiedergesehen habt, als ihr zusammen gekommen seid, euer erster Kuß, euer erster Erdnußbuttereisbecher…?“
„An den Tag, wo wir uns kennengelernt haben, erinnere ich mich kaum. Das war damals im Kinderspielkreis. Die nächsten drei liegen alle auf ein und demselben Datum, und das letzte existiert nicht.“ erklärte Ralph. „Nein, ich meine den Tag, als ich ihr den Heiratsantrag gemacht habe!“
„Eure Verlobung!“ kombinierte Bert messerscharf. Er hätte von selbst darauf kommen können. Er kannte niemanden, der so sentimental war wie Ralph, und die Verlobung immer noch feierte, obwohl er und Melissa längst verheiratet waren.
„So könnte man es kurz ausdrücken, ja!“ Ralph sortierte bereits die Bilder, die er auf dem Tisch ausgebreitet hatte. „Meinst du, sie würde sich darüber freuen, wenn sie eine Collage aus unseren schönsten Momenten bekommt, die sie an ihrem Lieblingsplatz aufhängen kann?“
„Wenn du es nicht weißt, wer dann?“ lachte Bert.
Ralph atmete leicht durch. „Eigentlich hast du ja Recht. Ich wäre ja auch gar nicht auf die Idee gekommen, wenn ich mir nicht sicher wäre, daß es ihr gefallen würde. Aber das hier soll etwas ganz großartiges werden, etwas, das sie wirklich aus den Schuhen haut.“
Bert lehnte sich an das Treppengeländer und warf Ralph einen tiefgründigen Blick zu. „Du meinst, so wie alles, wenn es Melissa betrifft?“
Ralph spürte die Verlegenheit in seine Wangen steigen und konnte sich ein vielsagendes Lächeln nicht verkneifen.
Plötzlich hörten sie Stimmen von draußen: Sophia, und Melissa! Alarmiert schreckte Ralph auf. Ohne nachzudenken schob er die Fotos zusammen. Auch Bert reagierte sofort und schnappte sich die Tüte, um sie ihm aufzuhalten. Ralph schmiß die Fotos auf den Rahmen und ließ alles schnell in der Tüte verschwinden, genau zum rechten Zeitpunkt, als die Frauen das Haus betraten. Der Raccoon mit dem weißen Schal drehte sich fließend zu ihnen um und lächelte gewinnend, in der Hoffnung, daß keiner der beiden Verdacht schöpfte. „Hi Melissa, hi Sophia!“
„Hi, ihr zwei!“ grüßte Melissa zurück und warf Bert einen interessierten Blick zu, der verlegen grinste und die Tüte hinter seinem Rücken versteckte. „Was treibt ihr Jungs so?“
„Öhm…“ Ralph und Bert wechselten einen Blick. „Nichts Besonderes!“
Bert unterdrückte ein Schmunzeln. Er hatte Ralph noch nie so schamlos lügen hören.
„Ihr seid aber früh zurück!“ bemerkte Ralph so neutral wie möglich.
„Ich finde, wir waren lange genug unterwegs!“ schmunzelte Melissa.
„Wie wäre es mit einer Erdnußbuttersoda?“ schlug Bert vor, während er kameradschaftlich den Arm um seinen Kumpel legte, ohne den Frauen Beachtung zu schenken.
„Danke, für mich nicht.“ begann Ralph, als Bert versuchte, unauffällig mit dem Kopf in Richtung der Küche zu nicken. Da schaltete er. „Aber ich nehme einen Cappuccino!“
Bert drehte sich geschickt so um, daß die Mädchen die Tüte nicht zu sehen bekamen, und verschwand schnell mit Ralph in der Küche.
Melissa und Sophia warfen sich einen ratlosen Blick zu.
„Was war das denn jetzt?“ fragte Sophia.
„Wenn ich das wüßte!“ kommentierte die Waschbärfrau.
Sophia kicherte. „Aber die Idee mit dem Cappuccino ist nicht schlecht, oder?“
„Ja!“ bestätigte Melissa. Sie ging voran, war aber kaum bei der Küchentür angekommen, als sie plötzlich innehielt. Sie konnte durch die Tür die Stimmen der Jungs hören. Eigentlich war sie nicht der Typ, der lauschte, aber diesmal wurde sie doch aufmerksam und legte ein Ohr an die Tür.
Ralph hatte die Küchentür geschlossen und lehnte sich von innen dagegen, während er tief durchatmete. „Das war knapp! Zu knapp! Ich muß doch vorsichtiger sein!“
„Wer hätte denn aber auch damit gerechnet, daß die beiden so schnell zurück sein würden?“ bemerkte Bert. „Frauen und Shopping – da geht man doch davon aus, daß das den ganzen Tag dauert!“
„Ganz egal! Melissa darf nichts mitkriegen! Nur das zählt!“ erklärte Ralph bestimmt.
„Schon verstanden! Absolute Geheimhaltung! Du kannst auf mich zählen!“
Auf der anderen Seite der Tür machte Melissa ein ratloses Gesicht.
„Was hast du, Melissa?“ fragte Sophia.
Die Raccoonfrau drehte sich nachdenklich zu ihr um. „Es geht gerade um irgend etwas, was ich nicht wissen soll… Ich möchte wissen, was das ist!“
„Naja, aber du sollst es ja nicht wissen!“ kicherte Sophia.
„Hm.“ Die Aardvark sah ihrer Freundin an, daß ihr das gar nicht so recht paßte.
„Ach, bestimmt ist es nichts wildes!“ meinte Sophia. „Komm, laß uns noch einen schönen Abend mit den Jungs verbringen.“
So ganz schien es Melissa nicht loszulassen, doch sie ließ es dabei bewenden. „Du hast recht. Zeit für Cappuccino!“
Als die beiden Frauen in die Küche kamen, hatten die Männer sämtliche Spuren beseitigt. Und so schwer es der Raccoonfrau auch fiel, sie sprach das Thema nicht an.
Ralph hatte das Bastelmaterial auf seinem Schreibtisch in der Redaktion ausgebreitet. Hier würde er sich keine Sorgen darum machen müssen, daß Melissa ihm in die Quere kam. Heute war sie den ganzen Tag auf einer Fotosession bei einer Soiree von Lady Baden-Baden; und glücklicherweise schrieb Sophia die Klatschkolumnen für die immergrüne Zeitung, so daß er nicht einmal für einen Bericht vor Ort zu sein brauchte. Das gab ihm Zeit genug, seine Collage auszuarbeiten. Jetzt überlegte er, was er aus dem Material machen wollte.
Er sah sich das rote, schimmernde Folienpapier an und nahm eines der Fotos. Probeweise legte er es übereinander. Ja, das Bild würde sich wunderbar dazu eignen, um es in Herzform auszuschneiden und mit dem Papier einzufassen.
Hinter ihm ging die Tür auf. „Hi Schatz!“
Ralph wirbelte elektrisiert herum und versuchte automatisch, die Sicht auf den Schreibtisch zu verbergen. „Oh, hi!“ Der Raccoon spürte sein Herz rasen. Schnell schob er das Material hinter seinem Rücken zusammen.
Melissa betrachtete ihn nachdenklich.
Ralph tastete hinter sich, ohne Melissa aus den Augen zu lassen, mußte aber einsehen, daß er die Schublade des Schreibtisches, die auf der anderen Seite lag, von seiner Position aus nicht würde erreichen können. Er merkte selbst, daß er gerade anfing, ziemlich blöd und verräterisch zu grinsen. So unauffällig wie möglich setzte er sich auf den Schreibtisch, dann lehnte er sich nach hinten, um die Schublade zu öffnen und alles in einem Rutsch dort hineinzuschieben, bevor er sie schnell wieder schloß. Anschließend setzte er sich bequem auf die Schreibfläche und begegnete dem skeptischen Blick seiner Frau, die das Szenario wortlos beobachtet hatte. Er konnte knapp ein weiteres verräterisch verlegenes Lächeln vermeiden. „Mit dir hätte ich ja noch gar nicht gerechnet!“ meinte er fröhlich und versuchte, seine Nervosität zu überspielen.
‚Offensichtlich!‘ schoß es ihr durch den Kopf. „Irgend etwas, das ich wissen müßte?“ fragte sie nur.
„Nein!“ erwiderte er schnell. „Nein, gar nichts!“
„Hm.“ Das war ihre einzige Erwiderung, dann ging sie in die Dunkelkammer.
Ralph sah ihr nach, bis er sich sicher war, daß sie beschäftigt war. Dann schnellte sein Blick zu der Schublade. Er mußte das Zeug hier rausschaffen, bevor Melissa es noch fand!
Er suchte schnell nach der Tüte und hatte knapp die Schublade geöffnet, als Melissa mit einigen Bilderserien zu ihm in den Raum zurückkehrte. „Sag‘ mal, kannst du…“ Das Zuschlagen der Schublade unterbrach Melissa in dem, was sie hatte sagen wollen, und die Raccoonfrau sah ihren Mann konsterniert an, der sie jetzt verdächtig angrinste, als könne er so von seinem merkwürdigen Verhalten ablenken. „Sag‘ mal, geht es dir gut?“
„Ja, sicher!“ bestätigte er. „Was wolltest du gerade sagen?“
Melissa mußte sich erst aus einem Moment der Sprachlosigkeit fangen. „Ich wollte nur fragen, ob du dir die Bilder mal ansehen kannst. Lady Baden-Baden möchte ein paar davon für eine Ausstellung haben, und ich frage mich gerade, welche davon ich vergrößern soll.“
„Na klar, zeig mal her!“ Es beruhigte den Redakteur sehr, als er den Fokus auf ein unverfängliches Thema lenken konnte.
Während Ralph die Bilderserien begutachtete, ging Melissa zu seinem Schreibtischstuhl herüber und machte es sich dort bequem. Während sie wartete, schickte sie sich an, fast wie beiläufig die Schublade aufzuziehen.
Ralph unterdrückte ein elektrisierendes Gefühl, ging so unbedarft wie möglich um den Schreibtisch herum, um sie keinen Verdacht schöpfen zu lassen und lehnte sich gegen die Schublade, während er weiter die Bilder durchsah. Melissa ließ von ihrer Neugierde ab und betrachtete ihn dafür, während er sich nichts anmerken ließ. „Also, ich würde auf jeden Fall das Pavillonbild nehmen. Das beleuchtete Herrenhaus ist auch schön. Und das hier!“
Melissa sah ihn bittend an. „Zeichnest du sie mir einfach an?“
‚Sie ist nicht blöd!‘ schoß es ihm durch den Sinn. ‚Sie weiß genau, daß alle Stifte in der einen Schublade liegen!‘ „Ach, Schatz, du kannst dir meistens doch ganz gut Dinge merken. Das ist eine der Sachen, für die ich dich bewundere!“
Melissa maß ihn mit einem skeptischen Blick.
„Ähm, ich bin gerade etwas im Zugzwang mit einem Bericht!“ wich Ralph aus. „Können wir sonst nachher noch mal drüberschauen?“
„Ich habe eine bessere Idee.“ sinnierte Melissa, schon etwas reserviert. „Ich nehme die Bilder einfach mit und gehe sie mit Lady Baden-Baden persönlich durch.“
Ralph jubelte innerlich auf. „Ja, mach das, Schatz!“ erwiderte er neutral. „Das ist bestimmt das Beste.“
Der Moment der Stille, der folgte, erdrückte ihn beinahe. Keiner der beiden regte sich für einen fürchterlichen, scheinbar ewig andauernden Augenblick. Dann nahm sie wortlos die Bilder und verließ die Redaktion. Ralph atmete tief durch und sah sich hastig um. ‚So funktioniert das nicht! Sie hat schon zu viel mitbekommen. – Ich muß unbedingt mit Bert sprechen!‘
Melissa war seit den letzten zwei Tagen immer mehr in eine in sich gekehrte, nachdenkliche Stimmung verfallen. Seit wann hatte Ralph Geheimnisse vor ihr? Was konnte das nur zu bedeuten haben? Sie konnte nicht verhindern, daß sie immer skeptischer wurde und jede seiner Bewegungen beobachtete, obwohl sie es gar nicht wollte. Aber die merkwürdigen Begebenheiten der letzten zwei Tage gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Und wenn sie ihn direkt ansprach, dann wurde sein Verhalten noch merkwürdiger; er wich ihr aus, gab keine richtigen Antworten und versuchte, sie abzuwimmeln. Meinte er wirklich, sie würde nicht merken, daß hier etwas vor sich ging?
Sie schüttelte leicht den Kopf, um die mißtrauischen Gedanken loszuwerden. Sicher war es nur eine harmlose Sache, und sie interpretierte gerade zu viel da hinein. Vielleicht sollte sie ihn doch noch mal konkret darauf ansprechen und damit konfrontieren. Gerade diesen Entschluß gefaßt, kam sie beim Raccoonhaus an und wollte just hineingehen, als sie Ralphs Stimme von drinnen hörte. Sie hielt erstarrt inne, den Türknauf schon fast in der Pfote, während sich ihre Gedanken überschlugen. Wenn sie wirklich erfahren wollte, was hier vor sich ging, dann war dies eine Chance! Schnell suchte sie Schutz in einem der Büsche unter dem Fenster und spähte von draußen herein.
Ralph lief im Wohnzimmer auf und ab, während Bert seinen Kumpel sorgenvoll musterte. „Wie soll ich nur jemals zurande kommen, wenn Melissa ständig in der Gegend ist! Ich kann ja keine Minute mit ihr allein sein!“
Bert machte eine hilflose Geste. „Sag‘ ihr doch konkret, daß sie dich mal für ein paar Stunden in Ruhe lassen soll!“
„Und sie damit genau Verdacht schöpfen lassen! Toll, Bert!“ entrüstete sich der Redakteur.
„Na, wesentlich unauffälliger bist du jetzt gerade auch nicht!“ bemerkte Bert.
Ralph seufzte. „Ja, ich weiß. Aber… Sie ist so wichtig für mich! Ich kann sie nicht einfach fallen lassen. Und für Melissa schon gar nicht, verstehst du?“
Melissa schnappte vor dem Fenster erschrocken nach Luft. Bedeutete das gerade, was sie vermutete?
„Natürlich verstehe ich es. Sie ist einfach großartig, Ralph. Laß es dir doch nicht kaputtmachen! Wie wäre das: Du fragst Cedric einfach mal, ob du mit ihr zu ihm kommen kannst! Da wärst du mit Sicherheit ungestört!“
Ralph schnappte begeistert nach Luft. „Bert, das ist eine phantastische Idee!“ lobte er. „Warum bin ich da nicht drauf gekommen? Da wird mir Melissa sicher nicht in die Quere kommen!“
„Ja, und du kannst es endlich in vollen Zügen genießen, anstatt dich ständig vor Melissa verstecken zu müssen!“ fügte Bert mit einem tiefgründigen Lächeln an.
Melissa spürte, wie sich alles in ihr verkrampfte, und sie konnte es nicht mehr aufhalten, daß ihr die Tränen in die Augen schossen. Mit knapper Not unterdrückte sie ein Schluchzen und verschwand schnell vom Fenster, bevor sie den Männern ihre Anwesenheit verriet. Sie mußte irgendwo hin, wo sie allein war, weit weg von Ralph. Schnell und lautlos verschwand sie im Wald.
Von alldem hatten die beiden Raccoons im Haus nichts mitbekommen.
„Ja, das kannst du wohl sagen!“ lachte Ralph. „Du glaubst gar nicht, wie übel es ist, Fotos ausschneiden zu wollen, wenn du in jeder Minute damit rechnest, daß du wieder alles verschwinden lassen mußt.“
„Komm, dann laß uns doch gleich mal zu Cedric rübergehen!“ schlug Bert vor. „Du kannst in Ruhe deine Collage für Melissa fertig machen, und Cedric und ich können das neue Computerspiel ausprobieren!“
Ralph lächelte strahlend. „Ja, das ist eine phantastische Idee!“
Melissa war einige Zeit durch den Wald gelaufen, konfus und mit den Nerven am Ende. Das war es also gewesen! Ralph hatte eine Affäre, von der sie nichts wissen durfte. Diese Erkenntnis war mehr, als sie ertragen konnte. Nie hätte sie gedacht, daß ausgerechnet sie einmal in diese Situation kommen würde; daß ausgerechnet Ralph sie betrügen würde… Sie hielt die Tränen nicht länger zurück, und in ihren Atem mischte sich Schluchzen. Eine Welt brach für sie zusammen.
In ihre konfusen Gedanken hinein überlegte sie immer wieder, wie sie jetzt weitermachen sollte. Konnte sie Ralph überhaupt noch unter die Augen treten? Würde sie ihn anschreien, oder einfach zusammenbrechen? Wollte sie weglaufen, und ihn nie wieder sehen? Sicher, es wäre nicht die eleganteste Variante, aber vielleicht die bessere, bevor sie sich ihm noch gedemütigt stellen mußte! Es würde ihr die bittere Konfrontation ersparen, und ihr das letzte bißchen Würde belassen, das sie jetzt noch hatte. Wenn sie nur nicht so viel Wut, Trauer und Enttäuschung in sich spüren würde, die den Wunsch in ihr schürten, es ihm heimzuzahlen!
‚Ruhig, Melissa!‘ gemahnte sie sich selbst. ‚Jetzt bloß nichts überstürzen!‘ Sie ging in Gedanken noch einmal ihre Möglichkeiten durch. Dann faßte sie einen Entschluß. Sie würde ein paar Sachen zusammenpacken und für ein paar Tage zu Sophia gehen. Dann konnte sie in Ruhe überlegen, wie sie vorgehen wollte, um ihm mit Würde gegenüberzutreten und die Sache zu klären.
Sie drehte um und ging zum Haus zurück. ‚Was mache ich, wenn er noch da ist?‘ schoß es ihr durch den Sinn. ‚Wenn ich ihm jetzt über den Weg laufe?‘ Sie biß die Zähne zusammen. Sie hatte einen Entschluß gefaßt, der für ihre jetzige Situation der beste war, und den würde sie auch durchziehen. Im Zweifel würde sie Ralph einfach ignorieren, ihre Tasche packen und wieder gehen. Womit wollte er sie aufhalten? Besser noch, wenn sie gegangen war, konnte er sich das Haus mit seiner neuen Liebschaft teilen!
Als das Haus in Sicht kam, atmete sie ruhig durch. Sie würde sich trotz allem ein wenig vorbereiten müssen, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Vorsichtig sah sie sich um und spähte noch einmal durch das Fenster, doch das Haus schien gerade verlassen zu sein. Sie schlüpfte schnell hinein und lief hoch zu ihrem Schlafzimmer. Dort packte sie hastig ein paar Sachen zusammen. Noch während sie dabei war, hörte sie plötzlich die Haustür und wurde aufmerksam. Zitternd lehnte sie sich an die Wand neben der Schlafzimmertür und lauschte.
„Und, wie war es, Ralph?“ erkundigte sich Bert.
„Es war phantastisch! Endlich konnte ich mich richtig um sie kümmern! Das wurde auch Zeit!“ erklärte Ralph strikt, während er die Tüte mit der fertigen Collage neben der Treppe an die Wand lehnte.
„Ja, das mit Cedric solltest du dir merken! Bei ihm kann man für alles mögliche Unterschlupf finden. Und Melissa kommt nie darauf!“
„Ja, und selbst wenn, Cedric kann einem dann sogar genug Zeit verschaffen, um die Spuren zu verwischen!“ lachte Ralph.
Melissa atmete schwer und wartete so lange, bis es wieder ruhig wurde im Wohnzimmer. Wenn es eben ging, dann wollte sie Ralph jetzt nicht über den Weg laufen. Wenn sie es richtig deutete, waren die beiden Männer gerade in die Küche gegangen. Diese Chance nutzte sie. Sie schnappte sich ihren Koffer und rannte die Treppe hinunter.
Ralph unterhielt sich tatsächlich in der Küche weiter mit Bert. „Jetzt muß ich sie nur noch einpacken. Ich denke aber, das kann ich zwischendurch noch…“ Er unterbrach sich, als er die Haustür ins Schloß fallen hörte und sah sich verwundert um. „Melissa?“ rief er, bekam aber keine Antwort. Irritiert gingen die beiden Raccoons zurück ins Wohnzimmer, doch es war niemand da.
„Sie muß hier gewesen sein!“ kombinierte Bert. „Wahrscheinlich hat sie nicht einmal mitbekommen, daß wir zurück sind.“
Melissa lief ein Stück, doch Tränen verschleierten ihre Sicht. Sie spürte, wie ihr die Beine den Dienst zu versagen drohten, so daß sie viel zu nah am Haus bei einem umgestürzten Baum Halt machen mußte. Sie ließ den Koffer fallen und setzte sich, vergrub das Gesicht in den Händen und ließ ihren Emotionen freien Lauf. Sie bemerkte nicht einmal, daß jemand gerade den Weg hochkam.
Als Sophia ihre Freundin nicht weit entfernt sitzen sah, die sich gerade in Tränen auflöste, stockte ihr fast das Blut in den Adern. Bestürzt lief sie zu der Raccoonfrau herüber. Melissa registrierte sie nicht einmal, als sie direkt vor ihr stand, oder sie ignorierte sie, das konnte das Aardvarkmädchen nicht eindeutig sagen. Wahrscheinlich war die Fotografin sich nicht einmal sicher, wer vor ihr stand, so daß sie eine automatische Schutzhaltung einnahm, und sie wirkte, als wäre sie nicht ansprechbar. Sophia kniete sich vor sie und faßte sie bei den Armen. „Melissa, was ist passiert?“
„Oh, Sophia!“ brachte Melissa knapp heraus, als sie ihre Freundin erkannte und brach erst richtig in Schluchzen aus. „Wie gut, daß du da bist. Ich wollte ohnehin gerade zu dir.“
„Aber was ist nur geschehen?“ fragte die Aardvark ruhelos.
„Ralph hat eine andere!“ stieß Melissa bitter hervor und vergrub sich an Sophias Schulter.
„Was?“ hauchte das Aardvarkmädchen, als wäre die Nachricht noch gar nicht richtig bei ihr angekommen. Doch Melissa schluchzte sich bereits die Seele aus dem Leib und konnte gar nicht mehr darauf antworten. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen, nicht von Ralph.“ sinnierte Sophia verwirrt.
„Ich auch nicht.“ brachte Melissa gebrochen hervor. „Aber es ist so. Ich habe mitbekommen, wie er mit Bert darüber gesprochen hat. Seit ein paar Tagen geht es schon so.“
Sophia hatte den Schock noch gar nicht richtig verarbeitet, als sie ihre Freundin tröstend an sich drückte. Dann hatte Melissa also doch Recht gehabt, als sie in den letzten Tagen bei dem merkwürdigen Verhalten ihres Ehemannes mißtrauisch geworden war…
Indes hatte Ralph beschlossen, nachzusehen, ob er Melissa draußen noch erwischte. Jetzt, da er, nachdem sein Jubiläumsgeschenk fertig war, wieder ein wenig mehr Ruhe hatte, brauchte er einfach mal wieder ein bißchen Zeit mit ihr allein. Als er sich draußen umsah, stellte er fest, daß er zu spät war. Er sah sie nicht mehr. Sie mußte längst unterwegs zu einem anderen Ziel sein. Er seufzte. Es war auch nicht mehr als ein Versuch gewesen.
Als er schon umkehren wollte, hörte er plötzlich ein Schluchzen, nicht weit entfernt. Er stockte und folgte irritiert dem Impuls, um nur wenig später seine Frau weinend in Sophias Armen zu finden. Dieses Mal durchfuhr ihn ein richtiger Schock. Nicht einer von der Sorte, als er versucht hatte, sein kleines Geheimnis vor Melissa zu wahren; dies hier griff mit eisernen Klauen nach seinem Herzen. Bestürzt lief er zu ihr herüber und kniete sich zu ihr. „Melissa, was ist passiert?“ hauchte er und wollte sie tröstend in die Arme zu ziehen, als sie ihn mit einer forschen Geste von sich wegstieß. Entsetzt starrte er Melissa an, unfähig etwas zu sagen.
Unter Tränen funkelte sie ihn an. „Du Ratte!“
Er schnappte nach Luft. „Bist du jetzt völlig verrückt geworden? Was habe ich dir denn getan?“
„Das fragst du noch?“ brachte sie schluchzend hervor. „Meinst du etwa, ich kriege das nicht mit, wenn du dir eine andere anlachst?“
Ralph sah sie völlig perplex an. Dann machte er eine hilflose Geste. „Ich habe keine andere! Wie kommst du auf den Blödsinn?“
„Meinst du, sie würde sich hier die Seele aus dem Leib weinen, wenn nichts wäre?“ schoß Sophia ärgerlich zurück, welche die am Boden zerstörte Melissa wieder tröstend in den Arm genommen hatte.
Ralph sah das Mädchen geschockt an. Nie hatte er Sophia so erlebt! „Aber ich habe nichts mit einer anderen! Ich schwör’s!“ verteidigte er sich aus dem Konzept gebracht. „Warum sollte ich auch, wenn ich den größten Schatz zu Hause habe?“
„Willst du mich für blöd verkaufen?“ schrie Melissa ihn an. Sie zitterte.
Der Redakteur fühlte sich so hilflos wie nie zuvor und wußte gar nicht mehr, was er denken sollte. So hatte er seine Frau nie sehen wollen, und wie er jetzt - unschuldig - in diese Situation hatte geraten können, war ihm ein Rätsel. Diese unwirkliche Szene vor ihm zog ihm schier den Boden unter den Füßen weg, vor allem, weil er keine Möglichkeit hatte, an Melissa heranzukommen, und nicht einmal ansatzweise wußte, wie er die groteske Situation auflösen sollte. „Melissa, ich weiß nicht, wo du diese Informationen herhast, aber nichts davon ist wahr!“ beschwor er sie. Als er es wagte, sich neben sie zu setzen, rückte sie ein Stück von ihm fort, ohne noch einmal darauf einzugehen.
Sophia funkelte ihn an. Nie war sich Ralph so bewußt darüber geworden, wie vernichtend der Blick des sonst so lieben Aardvarkmädchens sein konnte. Er konnte nicht verhindern, daß er schauderte.
In dem Augenblick kam Bert auf die Szene zu. „Ralph, was hältst du von Pizza heute abend? – Was ist denn hier los?“
Ralph machte eine hilflose Geste. „Wenn ich das wüßte!“
„Jetzt tu doch nicht so, als wäre nichts gewesen. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“ schoß Melissa zurück.
Bert sah ratlos von Ralph zu Melissa und wieder zurück.
„Und du weißt auch genau, worum es geht!“ Melissa zeigte mit strafendem Blick auf Bert. „Du hast das ganze ja noch unterstützt!“
Bert schnappte überfordert nach Luft. „Äh… Was habe ich unterstützt, Melissa?“
Ralph kniete sich ohne Bert zu beachten vor sie und sah sie flehentlich an. „Melissa, ich weiß nicht, woher du dieses angebliche Wissen nimmst, aber wenn ich eines nicht habe, dann eine Affäre!“
Bert sah die Gruppe entgeistert an. „Eine Affäre? Ralph?“ Er konnte nicht verhindern, schier in Lachen auszubrechen.
Melissa funkelte die beiden Raccoons deutlich fernab jeglichen Humors an. „Ach ja? ‚Sie ist so wichtig für mich!‘ ‚Frag Cedric einfach mal, ob du mit ihr zu ihm kommen kannst! Da wärst du mit ihr ungestört!‘ ‚Da kommt mir Melissa nicht in die Quere!‘ ‚Du kannst es endlich in vollen Zügen genießen, anstatt dich ständig vor Melissa verstecken zu müssen!‘ Klingelt da was?“ schmetterte sie den beiden Jungs entgegen. Sie sah Ralph mit tränenverschleierten Augen an und schluchzte: „Du wolltest mich loswerden! Wozu brauchst du mich überhaupt noch, wenn es mit ihr so toll ist? Damit ich deine Wäsche wasche?“
Ralph sah sie verblüfft an. „Das hast du gehört?“
Melissa ballte die Hände zu Fäusten. „Offensichtlich!“
Ralph atmete tief durch und konnte knapp ein Schmunzeln unterdrücken, als er sich endlich einen Reim auf ihre Anschuldigung machen konnte. Er sah sie sanft an. „Das kann ich dir erklären, Schatz!“ erklärte er ruhig.
Melissa sah ihn mißtrauisch an. „Ach ja?“
Er konnte sich nicht helfen, er hatte noch nie zwei Worte erlebt, die so wehgetan hatten. Er reichte ihr die Hand. „Komm mal mit, Schatz, ich zeige dir mal etwas.“ Als sie nicht reagierte, fügte er an: „Laß mich bitte zumindest versuchen, es dir zu erklären. Wenn du mir danach immer noch böse bist, dann nehme ich es so an. Gib mir eine Chance, Melissa, bitte!“
Noch immer etwas skeptisch richtete sie sich auf, ohne seine Geste anzunehmen und ließ sich lieber von Sophia helfen. Ralph nahm es demoralisiert zur Kenntnis, aber immerhin schien sie ihm folgen zu wollen, und so führte er seine Freunde zurück ins Haus. Im Wohnzimmer angekommen nahm er seufzend die Tüte mit der noch nicht verpackten Collage und drehte sich zu ihr um. „Weißt du, was übermorgen für ein Tag ist?“
„Natürlich!“ erwiderte sie. Allein ihr Tonfall und die Art, wie sie seinem Blick auswich zeigte, daß diese Tatsache es für sie noch schwerer machte.
In seinen Augen lag ein Ausdruck des Bedauerns. „Ich zeige dir mal, auf wen du eifersüchtig bist.“
Melissa spannte sich unwillkürlich an, als er den Bilderrahmen aus der Tüte zog, und Bert schnappte perplex nach Luft. „Ralph, willst du das wirklich tun…?“
„Ich habe keine andere Wahl, Bert.“ sagte Ralph. Er drehte das Bild um und zeigte Melissa die Collage mit den verschiedenen Fotos von ihr und ihm, den Wünschen zum Jahrestag und seiner Liebesbekundung. „Dafür brauchte ich Zeit, eine ungestörte Umgebung und Ruhe vor dir. Und du kannst mir glauben, sie ist wirklich wichtig für mich. Weil sie für dich ist.“
Melissa sah ihn groß an, unfähig ein Wort zu sagen.
Ralph lächelte gequält. „Und jetzt tu mir bitte einen Gefallen, und vergiß es bis übermorgen wieder.“ bat er, als er die Collage wieder in die Tüte zurückpackte.
Melissa standen die Tränen in den Augen, doch dieses Mal aus anderen Gründen als noch Minuten zuvor. „Oh mein Gott!“ Sie atmete zitternd durch, als sich das Puzzle in ihrem Kopf zusammensetzte. „Oh mein Gott! Ich habe dir alles kaputt gemacht.“
Er ging zu ihr herüber und nahm ihre Pfoten. „Aber jetzt kann ich verstehen, warum du so aufgelöst warst. Es tut mir leid, Melissa. Das hätte nie passieren dürfen.“ Schmerzlich wurde ihm bewußt, wohin ihn seine Heimlichtuerei gebracht hatte. Er machte eine auffordernde Geste. „Komm‘ mal her. Das brauche ich gerade. Mehr denn je!“
Sophia lächelte und gab Melissa einen sanften Schubs. Nachdem sich die Sache aufgeklärt hatte, war zumindest sie wieder gut gestellt.
Noch immer schluchzend sank Melissa in Ralphs Arme. „Es tut mir so leid.“ hauchte sie. „Wenn ich so etwas nur geahnt hätte…“
„Na, genau das hattest du ja eigentlich nicht gesollt.“ schmunzelte er, während er sie an sich drückte. „Dich trifft sicher keine Schuld. Ich hätte nie gedacht, daß so etwas daraus werden könnte. Das war wirklich keine Meisterleistung von mir.“ erklärte er ernst. „Bitte vergib‘ mir, Liebling. Das habe ich sicher nicht gewollt.“
Sie fing sich etwas und sah ihn mit Tränen, aber auch einem Lächeln an. „Aber es ist ja gar nichts passiert.“
„Doch, zu viel!“ widersprach er. „Denn allein, daß du in Erwägung gezogen hast, daß ich zu so etwas fähig wäre, und das auch noch mit gutem Grund, kann ich mir nicht verzeihen.“
Mittlerweile konnte selbst sie wieder lachen. „Ach, Blödsinn. Solange das alles nicht mehr als ein blödes Mißverständnis war, ist doch alles gut. Und übermorgen können wir herzlich darüber lachen.“
Die beiden tauschten einen gleichermaßen erleichterten Blick und sanken in eine feste Umarmung.
Bert und Sophia wechselten schmunzelnd einen Blick, und ließen das Pärchen in ihrer neu wiedergewonnenen Harmonie allein.
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