Kompliziert
Kurzbeschreibung
Immer wieder verlangt Mary Vetsera von Rudolf, doch endlich mit seinem Vater zu reden - um die Welt zu verändern. Doch was geschieht, wenn es auf einmal ihre Aufgabe ist, den Kaiser umzustimmen, wenn sie sein Leben führen muss? Ist es wirklich so kompliziert? | Mein Beitrag zur ersten Runde des Fandom-Tuniers 2014/15
KurzgeschichteAllgemein / P12 / Gen
Kronprinz Rudolf
Mary Vetsera
30.07.2014
30.07.2014
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30.07.2014
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Diese Geschichte ist mein Beitrag zur ersten Runde des Fandom-Tuniers 2014/15 von Pooky.
Vorgabe war es, zwei Charaktere für einen Tag die Rollen tauschen zu lassen. Außerdem mussten die Worte "Wein, Zeitalter, Frechheit, Abendsonne, Tablett" eingebracht werden und der OS durfte nicht mehr als 2000 Worte haben.
Mein OS schließt direkt an eine Szene des Musicals an, daher habe ich den Teil, den ich aus dem Musical übernommen habe und der den Einstieg der Story bildet kursiv markiert.
Viel Spaß beim Lesen!
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„Dann verstehe ich nicht, was du hier tust.“ Mary lehnte sich etwas zurück, während ein trauriger Blick auf ihm ruhte.
„Das kannst du auch nicht“, war alles was er antwortete, „Es ist zu kompliziert.“ Da war es wieder, dieses Wort. Er sah sie nicht einmal an. Sie trat einen Schritt nach vorne.
„Was? Was ist so kompliziert?“ Ruckartig drehte er sich um.
„Mein Leben!“ Seine Stimme war zu einem Schreien angeschwollen und fast glaubte sie, er würde nun auf sie los gehen. Sie wich einen Schritt zurück. So hatte sie ihn nie zuvor erlebt.
„Mein Leben ist kompliziert“, fuhr er fort, nun plötzlich leiser. Einen Moment lang sah er sie stumm an. „Ich wünschte, du würdest es verstehen. Wenn du nur einen Tag lang in meinen Schuhen stecken würdest, das tun müsstest, was du von mir verlangst…“ Sie ließ ihn nicht ausreden.
„In Ordnung“, sagte sie, ohne dass sie wirklich darüber nachdachte, welche Worte aus ihrem Mund purzelten, „Dann lass uns tauschen. Einen Tag lang.“ Er sah sie verständnislos an. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und beugte sich nach vorne.
„Bis die Abendsonne hinter dem Horizont verschwindet, werde ich Kronprinz sein, versuchen die Welt zu verändern und du… du genießt es, einmal ein weniger kompliziertes Leben zu führen.“
Noch immer etwas irritiert nickte er und lächelte. Vorsichtig setzte er ihr einen Kuss auf die Stirn, doch als sie sich wieder aufrichtete konnte sie nicht recht sagen, ob es ein fröhliches oder ein trauriges Lächeln war, das sein Gesicht zierte.
Ein seltsames Gefühl von Unbehagen breitete sich in Rudolfs Magengegend aus, als er an diesem Tag vor einer ihm nur zu bekannten Tür stand. Mary war, nachdem sie ihren aberwitzigen Plan ausgesprochen hatte sofort verschwunden, doch er hatte noch eine Weile in der Kneipe gesessen, ohne recht zu wissen, ob das ganze nun ein Scherz war oder nicht. Schließlich war er aufgestanden, hatte den Wein auf dem Tisch stehen lassen und war gegangen. Gut, hatte er gedacht, er würde ihr Spiel mitspielen. Einen Tag lang ihren Platz einnehmen. Doch sobald er zu dieser Entscheidung gelangt war, war er auf das nächste Problem gestoßen. Was überhaupt war „Marys Platz“? Ja, was tat sie den lieben langen Tag, während er sich mit seinem Vater und Graf Taafe herumärgerte? Wo war sie, wenn sie sich nicht grade mit ihm verstohlen auf dem Eislaufplatz herumtrieb? Schließlich war er zu Gräfin Marie Larisch aufgebrochen. Immerhin wohnte Mary bei ihr, so viel wusste er.
„Und was genau tust du hier?“, fragte Marie sichtlich verwirrt. Sie zog eine Augenbraue hoch und betrachtete ihren Cousin, der an diesem Vormittag so unerwartet vor ihrer Tür gestanden hatte. Eigentlich hatte sie mit Mary gerechnet, doch stattdessen hatte sich der Kronprinz in ihr Wohnzimmer verirrt, als sie die Tür geöffnet hatte.
Dieser ließ sich nun auf das grüne Sofa fallen.
„Nun“, sagte er und legte den Kopf in den Nacken, „Mary übernimmt heute meinen Platz, spielt den Kronprinzen.“ Er machte eine Pause, in der Marie nichts weiter tun konnte, als perplex zu beobachten, wie Rudolf nach einer Weintraube von dem Tablett, das auf dem Wohnzimmertisch stand, angelte. „Ich soll ihren Platz einnehmen. Das hier“, sagte er und streckte die Beine aus, „Ist mein Tag um zu entspannen.“
Marie konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Entspannen, dachte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie betrachtete ihren Cousin eine Weile, wie er dort auf dem Sofa lag.
„Soso“, sagte sie schließlich und riss ihn aus seinen Tagträumen, „Entspannen? Na wenn du meinst. Aber wenn du schon hier bist, um Marys Pflichten nachzukommen: Sie ist eingeladen.“ Diese Nachricht ließ den Kronprinzen erschrocken hochfahren. Er blickte sie verwirrt an. Mit einer schnippischen Geste warf Mary sein Jackett nach ihm.
„Der Herzog von Braganza, er hat sie – hat dich – zum Mittag eingeladen. Ich habe zugesagt.“
Mary schluckte und hob die Hand um an die schwere Tür zu klopfen. Was war nur in sie gefahren? Was hatte sie sich dabei gedacht, hier her zu kommen, einfach in den Palast zu marschieren, um den Kaiser zu sprechen? Sie schüttelte den Kopf. Was bildete sie sich denn ein, das er ihr überhaupt zuhören würde? Wer glaubte sie zu sein? Er hörte ja nicht einmal seinem Sohn zu. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Nein, heute war sie sein Kind. Heute hatte sie das Recht hier zu sein, das Recht ihn auf all die Missstände hinzuweisen. Entschlossen ließ sie die Hand sinken und ein dumpfes Pochen ertönte.
Der Kaiser war sichtlich verwirrt, als sich die Tür des Thronsaals öffnete und er nicht, wie erwartet seinen Sohn zu Gesicht bekam. Nein, stattdessen stand dort ein junges Mädchen und beäugte ihn misstrauisch. Eigentlich eine Frechheit, dachte er, sie hatte kein Recht, den Kaiser einfach so anzublicken. Ja, er kannte sie nicht einmal. Was wollte sie hier? Wer hatte ihr erlaubt hier her zu kommen? Ja, wie war es ihr überhaupt gelungen bis zum Thronsaal vorzudringen? Eigentlich hätte man sie bereits am Tor abweisen müssen.
Es waren wohl diese Fragen, die den Kaiser dazu brachten, das junge Mädchen nicht gleich fortzuschicken. Nun gut, er würde hören, was sie zu sagen hatte. Fragend blickte er sie an und bedeutete ihr, näher zu treten. Nun senkte sie doch den Kopf, bevor sie zögerlich den riesigen Raum betrat.
Mary war sichtlich angespannt, während sie durch die große Halle ging. Jeder ihrer Schritte hallte von den hohen Wänden wieder. Sie presste die Lippen aufeinander, zwang sich, den Kaiser anzusehen. Immerhin war sie hergekommen, um ihn zur Rede zu stellen. Dann müsste es doch ein Leichtes sein, ihn anzusehen, oder?
„Du bist dieses Mädchen, oder?“, sagte der Kaiser. Plötzlich. Mary hatte damit nicht gerechnet.
„Natürlich! Du bist Rudolfs…“ Weiter kam er nicht. Oder vielleicht wusste er auch gar nicht, wie er sie zu betiteln hatte.
„Ich bin heute an seiner Stelle hier“, sagte Mary trotzig, doch der Kaiser lachte bloß. Lachte laut und schallend. Ein eisiger Stich durchfuhr ihre Brust. Ihre Augen verengten sich zu schlitzen.
„An seiner Stelle?“, fragte er prustend, „Und was hast du vor? Willst du mich etwa auch davon überzeugen, die Ehe annullieren zu lassen?“ Wieder lachte er und für einen Moment stockte Mary. Das hatte sie nicht gewusst.
„Nein“, sagte sie trocken, „Kaiserliche Hoheit, ein neues Zeitalter bricht an. Es ist unsere Pflicht, eure Pflicht, das Volk…“
„Nein.“ Das Wort war leise und dennoch bestimmt. Kalt. Mary wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Nun sah der Kaiser sie an, ja er betrachtete sie mit einem Blick, der wohl eine Mischung aus Spott und Abneigung zeigte.
„Hat mein Sohn dir diese Flausen ins Ohr gesetzt? Dachte er, er könnte seine Dirne schicken, um mich mit diesem Schwachsinn zu belästigen? Ist es ihm nicht genug der Blamage, mich selbst immer wieder zu stören?“ Mary schluckte und wich noch einen Schritt zurück.
„Richte meinem Sohn aus, es braucht keinen hübschen Boten, damit seine Worte bei mir gehör finden. Ich habe ihn verstanden. Offensichtlich hat er nicht verstanden, dass es einiges an Erfahrung braucht, um politische Entscheidungen – richtige Entscheidungen – zu treffen. Das Reich braucht eine starke Hand, die es führt, nicht die fixen Ideen, eines kleinen Jungen.
Und jetzt raus. Sie haben nicht einmal das Recht, hier zu sein.“
Die Arme eng um den Körper geschlungen stand Mary unter einer Straßenlaterne. Es war bereits dunkel und eine eisige Kälte hatte sich über der Stadt ausgebreitet. Sie fror, wollte am liebsten nur noch nach Hause, doch das war nicht möglich. Immerhin musste sie Rudolf noch von ihrer Niederlage berichten. So ungern sie dies auch tat, sie musste sich eingestehen, dass er recht hatte. Er hatte keine Chance, seinen Vater umzustimmen und sie erst recht nicht. Alles in allem war dieser Tag in der Haut des Kronprinzen ganz und gar nicht schön gewesen. Ja, sie verstand ihn nun besser, wusste, wieso er sich lieber in einer Bar verkroch, statt Prinz zu sein. Auch wenn das natürlich nicht richtig war. Es musste doch einen Weg geben.
Es sollte noch eine gute Stunde dauern, bis Rudolf endlich auftauchte. Er hielt den Blick gesenkt, sah sie nicht an als er neben ihr zum Stehen kam. Verwirrt legte sie den Kopf schief. Damit hatte sie nicht gerechnet.
„Ich fürchte, ich habe deine Chancen auf eine Beziehung mit Braganza zerstört“, sagte Rudolf leise und Mary musste an sich halten, um nicht zu lachen. Sie runzelte die Stirn.
„Was?“
„Nun“, sagte Rudolf und hob nun doch den Kopf, „Ich hatte ein sehr interessantes Gespräch mit ihm. Er war nicht sehr begeistert von unserem Rollentausch. Aber meine wahre Identität – und meine Beziehung zu dir – gefielen ihm wohl noch weniger.“ Ein entschuldigender Ausdruck legte sich in seine Züge und nun musste Mary doch lachen. In gewisser Weise war sie Rudolf dankbar dafür. Auch wenn das natürlich bedeutete, dass der Plan ihrer Tante Marie, um ihre Familie vor dem Ruin zu retten, nun zunichte gemacht worden war. Aber war das wirklich so wichtig? Hatte sie jemals wirklich daran gedacht, Braganza zu heiraten?
„Lass uns fortgehen“, sagte sie plötzlich. Die Worte sprudelten aus ihrem Mund, ohne dass sie zuvor daran gedacht hatte. Es passierte einfach. Rudolf sah sie irritiert an.
„Ich weiß, dass du deinen Vater gebeten hast, mich zu heiraten“, sagte sie und lächelte, „Vielleicht sollten wir einfach gehen. Irgendwohin, wo sie uns nicht finden können. Wo wir leben können.“ Lächeln strich er ihr über die Wange. Sie griff nach seiner Hand. Ja, er würde das nicht wollen, hielt es bestimmt für eine dumme Idee. Aber, war es das? Hastig setzte sie zu einem weiteren Satz an, doch zu ihrer Überraschung nickte Rudolf bloß.
Vorgabe war es, zwei Charaktere für einen Tag die Rollen tauschen zu lassen. Außerdem mussten die Worte "Wein, Zeitalter, Frechheit, Abendsonne, Tablett" eingebracht werden und der OS durfte nicht mehr als 2000 Worte haben.
Mein OS schließt direkt an eine Szene des Musicals an, daher habe ich den Teil, den ich aus dem Musical übernommen habe und der den Einstieg der Story bildet kursiv markiert.
Viel Spaß beim Lesen!
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Kompliziert
„Dann verstehe ich nicht, was du hier tust.“ Mary lehnte sich etwas zurück, während ein trauriger Blick auf ihm ruhte.
„Das kannst du auch nicht“, war alles was er antwortete, „Es ist zu kompliziert.“ Da war es wieder, dieses Wort. Er sah sie nicht einmal an. Sie trat einen Schritt nach vorne.
„Was? Was ist so kompliziert?“ Ruckartig drehte er sich um.
„Mein Leben!“ Seine Stimme war zu einem Schreien angeschwollen und fast glaubte sie, er würde nun auf sie los gehen. Sie wich einen Schritt zurück. So hatte sie ihn nie zuvor erlebt.
„Mein Leben ist kompliziert“, fuhr er fort, nun plötzlich leiser. Einen Moment lang sah er sie stumm an. „Ich wünschte, du würdest es verstehen. Wenn du nur einen Tag lang in meinen Schuhen stecken würdest, das tun müsstest, was du von mir verlangst…“ Sie ließ ihn nicht ausreden.
„In Ordnung“, sagte sie, ohne dass sie wirklich darüber nachdachte, welche Worte aus ihrem Mund purzelten, „Dann lass uns tauschen. Einen Tag lang.“ Er sah sie verständnislos an. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und beugte sich nach vorne.
„Bis die Abendsonne hinter dem Horizont verschwindet, werde ich Kronprinz sein, versuchen die Welt zu verändern und du… du genießt es, einmal ein weniger kompliziertes Leben zu führen.“
Noch immer etwas irritiert nickte er und lächelte. Vorsichtig setzte er ihr einen Kuss auf die Stirn, doch als sie sich wieder aufrichtete konnte sie nicht recht sagen, ob es ein fröhliches oder ein trauriges Lächeln war, das sein Gesicht zierte.
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Ein seltsames Gefühl von Unbehagen breitete sich in Rudolfs Magengegend aus, als er an diesem Tag vor einer ihm nur zu bekannten Tür stand. Mary war, nachdem sie ihren aberwitzigen Plan ausgesprochen hatte sofort verschwunden, doch er hatte noch eine Weile in der Kneipe gesessen, ohne recht zu wissen, ob das ganze nun ein Scherz war oder nicht. Schließlich war er aufgestanden, hatte den Wein auf dem Tisch stehen lassen und war gegangen. Gut, hatte er gedacht, er würde ihr Spiel mitspielen. Einen Tag lang ihren Platz einnehmen. Doch sobald er zu dieser Entscheidung gelangt war, war er auf das nächste Problem gestoßen. Was überhaupt war „Marys Platz“? Ja, was tat sie den lieben langen Tag, während er sich mit seinem Vater und Graf Taafe herumärgerte? Wo war sie, wenn sie sich nicht grade mit ihm verstohlen auf dem Eislaufplatz herumtrieb? Schließlich war er zu Gräfin Marie Larisch aufgebrochen. Immerhin wohnte Mary bei ihr, so viel wusste er.
„Und was genau tust du hier?“, fragte Marie sichtlich verwirrt. Sie zog eine Augenbraue hoch und betrachtete ihren Cousin, der an diesem Vormittag so unerwartet vor ihrer Tür gestanden hatte. Eigentlich hatte sie mit Mary gerechnet, doch stattdessen hatte sich der Kronprinz in ihr Wohnzimmer verirrt, als sie die Tür geöffnet hatte.
Dieser ließ sich nun auf das grüne Sofa fallen.
„Nun“, sagte er und legte den Kopf in den Nacken, „Mary übernimmt heute meinen Platz, spielt den Kronprinzen.“ Er machte eine Pause, in der Marie nichts weiter tun konnte, als perplex zu beobachten, wie Rudolf nach einer Weintraube von dem Tablett, das auf dem Wohnzimmertisch stand, angelte. „Ich soll ihren Platz einnehmen. Das hier“, sagte er und streckte die Beine aus, „Ist mein Tag um zu entspannen.“
Marie konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Entspannen, dachte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie betrachtete ihren Cousin eine Weile, wie er dort auf dem Sofa lag.
„Soso“, sagte sie schließlich und riss ihn aus seinen Tagträumen, „Entspannen? Na wenn du meinst. Aber wenn du schon hier bist, um Marys Pflichten nachzukommen: Sie ist eingeladen.“ Diese Nachricht ließ den Kronprinzen erschrocken hochfahren. Er blickte sie verwirrt an. Mit einer schnippischen Geste warf Mary sein Jackett nach ihm.
„Der Herzog von Braganza, er hat sie – hat dich – zum Mittag eingeladen. Ich habe zugesagt.“
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Mary schluckte und hob die Hand um an die schwere Tür zu klopfen. Was war nur in sie gefahren? Was hatte sie sich dabei gedacht, hier her zu kommen, einfach in den Palast zu marschieren, um den Kaiser zu sprechen? Sie schüttelte den Kopf. Was bildete sie sich denn ein, das er ihr überhaupt zuhören würde? Wer glaubte sie zu sein? Er hörte ja nicht einmal seinem Sohn zu. Sie schloss die Augen und atmete tief ein. Nein, heute war sie sein Kind. Heute hatte sie das Recht hier zu sein, das Recht ihn auf all die Missstände hinzuweisen. Entschlossen ließ sie die Hand sinken und ein dumpfes Pochen ertönte.
Der Kaiser war sichtlich verwirrt, als sich die Tür des Thronsaals öffnete und er nicht, wie erwartet seinen Sohn zu Gesicht bekam. Nein, stattdessen stand dort ein junges Mädchen und beäugte ihn misstrauisch. Eigentlich eine Frechheit, dachte er, sie hatte kein Recht, den Kaiser einfach so anzublicken. Ja, er kannte sie nicht einmal. Was wollte sie hier? Wer hatte ihr erlaubt hier her zu kommen? Ja, wie war es ihr überhaupt gelungen bis zum Thronsaal vorzudringen? Eigentlich hätte man sie bereits am Tor abweisen müssen.
Es waren wohl diese Fragen, die den Kaiser dazu brachten, das junge Mädchen nicht gleich fortzuschicken. Nun gut, er würde hören, was sie zu sagen hatte. Fragend blickte er sie an und bedeutete ihr, näher zu treten. Nun senkte sie doch den Kopf, bevor sie zögerlich den riesigen Raum betrat.
Mary war sichtlich angespannt, während sie durch die große Halle ging. Jeder ihrer Schritte hallte von den hohen Wänden wieder. Sie presste die Lippen aufeinander, zwang sich, den Kaiser anzusehen. Immerhin war sie hergekommen, um ihn zur Rede zu stellen. Dann müsste es doch ein Leichtes sein, ihn anzusehen, oder?
„Du bist dieses Mädchen, oder?“, sagte der Kaiser. Plötzlich. Mary hatte damit nicht gerechnet.
„Natürlich! Du bist Rudolfs…“ Weiter kam er nicht. Oder vielleicht wusste er auch gar nicht, wie er sie zu betiteln hatte.
„Ich bin heute an seiner Stelle hier“, sagte Mary trotzig, doch der Kaiser lachte bloß. Lachte laut und schallend. Ein eisiger Stich durchfuhr ihre Brust. Ihre Augen verengten sich zu schlitzen.
„An seiner Stelle?“, fragte er prustend, „Und was hast du vor? Willst du mich etwa auch davon überzeugen, die Ehe annullieren zu lassen?“ Wieder lachte er und für einen Moment stockte Mary. Das hatte sie nicht gewusst.
„Nein“, sagte sie trocken, „Kaiserliche Hoheit, ein neues Zeitalter bricht an. Es ist unsere Pflicht, eure Pflicht, das Volk…“
„Nein.“ Das Wort war leise und dennoch bestimmt. Kalt. Mary wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Nun sah der Kaiser sie an, ja er betrachtete sie mit einem Blick, der wohl eine Mischung aus Spott und Abneigung zeigte.
„Hat mein Sohn dir diese Flausen ins Ohr gesetzt? Dachte er, er könnte seine Dirne schicken, um mich mit diesem Schwachsinn zu belästigen? Ist es ihm nicht genug der Blamage, mich selbst immer wieder zu stören?“ Mary schluckte und wich noch einen Schritt zurück.
„Richte meinem Sohn aus, es braucht keinen hübschen Boten, damit seine Worte bei mir gehör finden. Ich habe ihn verstanden. Offensichtlich hat er nicht verstanden, dass es einiges an Erfahrung braucht, um politische Entscheidungen – richtige Entscheidungen – zu treffen. Das Reich braucht eine starke Hand, die es führt, nicht die fixen Ideen, eines kleinen Jungen.
Und jetzt raus. Sie haben nicht einmal das Recht, hier zu sein.“
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Die Arme eng um den Körper geschlungen stand Mary unter einer Straßenlaterne. Es war bereits dunkel und eine eisige Kälte hatte sich über der Stadt ausgebreitet. Sie fror, wollte am liebsten nur noch nach Hause, doch das war nicht möglich. Immerhin musste sie Rudolf noch von ihrer Niederlage berichten. So ungern sie dies auch tat, sie musste sich eingestehen, dass er recht hatte. Er hatte keine Chance, seinen Vater umzustimmen und sie erst recht nicht. Alles in allem war dieser Tag in der Haut des Kronprinzen ganz und gar nicht schön gewesen. Ja, sie verstand ihn nun besser, wusste, wieso er sich lieber in einer Bar verkroch, statt Prinz zu sein. Auch wenn das natürlich nicht richtig war. Es musste doch einen Weg geben.
Es sollte noch eine gute Stunde dauern, bis Rudolf endlich auftauchte. Er hielt den Blick gesenkt, sah sie nicht an als er neben ihr zum Stehen kam. Verwirrt legte sie den Kopf schief. Damit hatte sie nicht gerechnet.
„Ich fürchte, ich habe deine Chancen auf eine Beziehung mit Braganza zerstört“, sagte Rudolf leise und Mary musste an sich halten, um nicht zu lachen. Sie runzelte die Stirn.
„Was?“
„Nun“, sagte Rudolf und hob nun doch den Kopf, „Ich hatte ein sehr interessantes Gespräch mit ihm. Er war nicht sehr begeistert von unserem Rollentausch. Aber meine wahre Identität – und meine Beziehung zu dir – gefielen ihm wohl noch weniger.“ Ein entschuldigender Ausdruck legte sich in seine Züge und nun musste Mary doch lachen. In gewisser Weise war sie Rudolf dankbar dafür. Auch wenn das natürlich bedeutete, dass der Plan ihrer Tante Marie, um ihre Familie vor dem Ruin zu retten, nun zunichte gemacht worden war. Aber war das wirklich so wichtig? Hatte sie jemals wirklich daran gedacht, Braganza zu heiraten?
„Lass uns fortgehen“, sagte sie plötzlich. Die Worte sprudelten aus ihrem Mund, ohne dass sie zuvor daran gedacht hatte. Es passierte einfach. Rudolf sah sie irritiert an.
„Ich weiß, dass du deinen Vater gebeten hast, mich zu heiraten“, sagte sie und lächelte, „Vielleicht sollten wir einfach gehen. Irgendwohin, wo sie uns nicht finden können. Wo wir leben können.“ Lächeln strich er ihr über die Wange. Sie griff nach seiner Hand. Ja, er würde das nicht wollen, hielt es bestimmt für eine dumme Idee. Aber, war es das? Hastig setzte sie zu einem weiteren Satz an, doch zu ihrer Überraschung nickte Rudolf bloß.