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Planänderung

Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / MaleSlash
30.07.2014
25.12.2014
31
103.814
118
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30.07.2014 3.458
 
VIII


Erklärungen




Dieses Mal renne ich nicht weg. Wäre auch blöd, aus der eigenen Wohnung.
Ich möchte lachen und schreien vor Glück. Nur würde das bedeuten, dass ich Adrian loslassen und mit dem Küssen aufhören müsste. Ganz schlechte Idee.
Als Adrian sich schließlich doch von mir löst, brumme ich unwillig und kralle mich in seine Oberarme. Nicht weggehen. Niemals wieder!
»Olli«, flüstert er mit brüchiger Stimme und seufzt. »Olli ...« Er streichelt noch einmal über meine Wange, bevor er mich in eine erneute Umarmung zieht.
Wow! Ich dachte ja schon, mein Herz rast, aber das, was seins da veranstaltet kann nicht gesund sein. Nur gut, dass mein letzter Ersthelfer-Kurs nicht mal ein halbes Jahr her ist - für den Fall, er kippt um. Dann könnte ich meine Lippen auf seine legen und vielleicht müsste ich ihm das T-Shirt ausziehen, für den Fall der Fälle...
»Lass uns kochen«, nuschelt er in meine Haare.
Mist, kein medizinischer Notfall.

Ständig schaut er mich an, aber ich will jetzt nicht darüber reden. Ich möchte einfach nur in dieser heilen Welt auf Zeit bleiben und ihn angucken und zwischendurch küssen. Immer wieder küssen.
»Hey!«, protestiert er schwach. »So wird das nie was mit dem Essen.« Wen interessiert das Essen? Ihn offensichtlich auch immer weniger. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu grinsen. Wieso kann es nicht einfach immer so sein? Warum habe ich so eine beschissene Angst, dass ich nicht zu meinen Gefühlen stehen kann?
Der Gedanke an mögliche Konsequenzen lähmt mich. Da ziehe ich es vor, diesen Aspekt vorerst zu ignorieren.

Als das Telefon klingelt, bin ich versucht, nicht ran zu gehen. Aber so viele Leute rufen mich nicht an.
»Oliver? Ich bin’s.« Ich seufze lautlos. Ich hätte es doch klingeln lassen sollen.
»Frau Ehrenreich. Alles in Ordnung?«
»Nein, eigentlich nicht.« Schlagartig hat sie meine gesamte Aufmerksamkeit. »Herbert geht es nicht gut. Er braucht ein paar Dinge aus der Apotheke. Ich habe schon dort angerufen. Die warten auf dich.«
Na, super! Kann sie nicht selbst hingehen?
»Es sind verschreibungspflichtige Medikamente«, erklärt sie, als wüsste sie um meinen stummen Einwand. Wahrscheinlich tut sie das sogar. »Also denk an deinen Arztausweis.«
Ich seufze. »Okay. Welche Apotheke?«
»Die Sonnen-Apotheke in der Lilienallee. Weißt du, wo das ist?«
»Ja«, versichere ich ihr, während ich Adrian schon entschuldigend ansehe.

Er stellt den Herd aus, während ich kurz erkläre, wo ich hin muss.
»Ich fahr dich.«
»Musst du nicht«, wehre ich ab. Er lächelt, als er auf mich zukommt und sanft küsst.
»Möchte ich aber.«

Zwanzig Minuten später bin ich heilfroh, dass er dabei ist. Frau Ehrenreich hätte mich ruhig vorwarnen können, dann hätte ich eventuell nicht ganz so geschockt ausgesehen, als die Apothekerin mir die Packung gab.
»Was ist los?« Zur Antwort halte ich Adrian die Schachtel entgegen.
»Granisetron?«, fragt er ungläubig. »Bist du dir sicher, dass das das Richtige ist?«
Das habe ich die Apothekerin eben auch gefragt. Kein Zweifel.
Ich nicke.
»Aber ist das nicht ...?«
»... gegen starke Übelkeit und Erbrechen im Zuge einer Chemo- oder Strahlentherapie, ja«, bestätige ich.
»Ich wusste gar nicht, dass dein Onkel ...«
»Ich auch nicht.«
Adrian nickt. Den Rest der Fahrt reden wir nicht. Ich fass es nicht! Warum hat er kein Wort gesagt?

»Bin gleich wieder da«, gebe ich ruhig von mir, als wir bei Herbert ankommen. Doch Adrian steigt ebenfalls aus und folgt mir wortlos. Eigentlich finde ich das keine gute Idee. Zumal ich nicht vor habe, lange zu bleiben.
»Hallo Oliver«, begrüßt mich Frau Ehrenreich. »Schön, dass du so schnell kommen konntest. Hast du alles bekommen?«
Beklommen nicke ich und halte ihr die Tüte entgegen. Sie nimmt sie, schaut aber an mir vorbei.
»Guten Tag! Ich bin Adrian Gebauer. Ein Freund von Oliver. Ich war gerade bei ihm, als Sie anriefen, und habe ihn gefahren.«
Kann er nicht einfach den Mund halten? Oder noch besser: Im Auto warten?
Doch Frau Ehrenreich lächelt freundlich. »Gertrud Ehrenreich. Das ist aber sehr nett von Ihnen, vielen Dank!«
Findet sie das nicht merkwürdig? Offensichtlich nicht.
»Wie ... geht es ihm?«, frage ich, um die Aufmerksamkeit wieder von Adrian abzuziehen.
Frau Ehrenreich seufzt. »Die Chemo macht ihm zu schaffen. Anfangs hatte er überhaupt keine Probleme, aber seit dem letzten Mal ... Ich bring ihm eben die Tabletten. Entschuldige, Oliver.«
Ich starre ihr hinterher. Es ist also tatsächlich wahr. Mein Onkel hat Krebs und hat mir nichts davon gesagt. Ich fühle mich so ... Am liebsten würde ich mit der Faust irgendwo gegen schlagen. Ganz fest und immer wieder. Alternativ wäre Aufwachen aus diesem Albtraum auch nicht schlecht.

Ich spüre etwas in meinem Rücken. Adrian.
»Alles okay?«, fragt er leise. Ich zucke mit den Schultern, denn ich weiß es wirklich nicht. Er drückt kurz meine Schulter. »Ich bin für dich da«, verspricht er mir leise, bevor Frau Ehrenreich wiederkommt.
»Er ist erschöpft und schläft jetzt. Lass uns später telefonieren. In Ordnung?« Ich nicke benommen, bevor Adrian sich für uns beide bedankt und ihr versichert, dass sie jederzeit anrufen kann, wenn irgendetwas sein sollte.
Ich fühle mich, wie in Watte gepackt und bekomme kaum etwas mit. Nur, dass Adrian überhaupt nicht durchblicken lässt, welche Art von Freundschaft wir pflegen. Okay, das haben wir bisher nicht mal selbst definiert.

Mir ist die Lust aufs Kochen vergangen. Hunger habe ich ebenfalls keinen. Trotzdem kocht Adrian noch zu Ende. Vermutlich weiß er auch nicht, was er stattdessen machen soll.
Erst habe ich in einem alten Lehrbuch nachgeschlagen. Dann lief ich stumm hin und her.
Jetzt stehe ich an die Arbeitsplatte meiner Küche gelehnt und schaue ihm zu.
Es zerreißt mich, dass einerseits mein Onkel offenbar gerade mit dem Leben ringt und ich mich andererseits so duselig glücklich fühle, wenn ich Adrian nur ansehe. Wäre ich ein gläubiger Mensch, würde ich bestimmt vermuten, dass das meine Strafe sei. Bin ich aber nicht. Ich bin Realist genug, um zu wissen, dass die beiden Dinge sich nicht kausal bedingen.

»Danke, dass du nichts gesagt hast.«
Ich glaube, ich habe noch kein Wort gesagt, seit wir wieder zurück sind. »Also, von uns, meine ich.«
Adrian dreht sich zu mir um. »Also gibt es ein ›uns‹?«, fragt er vorsichtig. Berechtigte Frage.
Zittrig atme ich ein. Er soll mir nicht ständig Hintertüren offen halten!
»Offensichtlich«, flüstere ich und beiße mir auf die Unterlippe. »Sofern du auch ein ›uns‹ möchtest.«
»Du ahnst nicht, wie sehr«, erwidert er leise und zieht mich in seine Arme.
Oh, Mann! Ich könnte heulen! Vor Glück, vor Angst, vielleicht auch ein wenig vor Schmerz, weil Adrians Griff viel zu fest ist.

»Möchtest du essen?«, fragt er schließlich. Ich schüttle den Kopf.
»Okay. Wollen wir uns nicht ins Wohnzimmer setzen?« Man könnte meinen, das sei seine Wohnung und er der Gastgeber, aber ich denke, unter den gegebenen Umständen ist das zu verzeihen.

»Erzählst du mir, warum es niemand weiß? Das mit ... dir.«
Ich ziehe meine Füße auf die Sitzfläche der Couch und umklammere meine Knie.
»Ich ... naja, ich bin ... bisexuell«, beginne ich. Mein Herz rast, wie bekloppt. Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich diese Tatsache laut ausspreche. Adrian sagt nichts.
»Ich hatte bisher angenommen, dass ich das im Griff habe.«
»Wie ›im Griff‹
»Naja, ich war immer der Meinung, ich würde mit einer Frau glücklich werden. Den Teil mit den Männern habe ich einfach ausgeklammert.« Ich seufze. Adrian rutscht näher und legt einen Arm um meine Schultern. Sofort werde ich ruhiger und aufgeregter zugleich.
»Zumal ich mich eh nicht outen kann.«
Unsicher blicke ich zur Seite.
»Wieso nicht?« Er klingt gefasst, nicht anklagend, wie befürchtet.
»Naja, mein Umfeld hat es nicht so mit Schwulen«, versuche ich zu erklären. Adrian hebt nur eine Augenbraue.
»Meine Oma ist noch aus einer anderen Generation und mein Onkel ... man könnte sagen ›homophob‹ ist eine viel zu schwache Beschreibung für ihn. Ich kann mich noch daran erinnern, dass er mir mal gesagt hat, dass er mich aus der Familie ausschließen würde, wenn ich beschließen sollte, schwul zu werden.«
»Aber zu so etwas entschließt man sich doch nicht«, wirft Adrian ein.
»In der Welt meines Onkels schon. Er meidet Supermärkte, wenn ihm zu Ohren kommt, dass einer der Angestellten schwul sei oder wenn er ein schwules Paar dort einkaufen sieht. Er wechselt die Straßenseite. Er meidet sogar Fernsehsender, wenn dort mal etwas über Schwule lief.«
Adrian schüttelt fassungslos den Kopf. »Das ist doch ...«
»Vollkommen bekloppt, ich weiß. Aber ich komme damit zurecht. Ist halt seine Macke.«
»Macke?!«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich kann es ihm nicht sagen, verstehst du? Ich würde nicht nur meinen Job verlieren. Er würde auch dafür sorgen, dass ich so schnell nirgends mehr Fuß fassen kann. Irgendwie hat er seine Finger in vielen Bereichen drin. Sein Bekanntenkreis ist groß.«
»Aber sind die auch alle so drauf?«
»Das weiß ich nicht. Vermutlich würde er ihnen irgendeinen anderen Grund auftischen. Ich hätte keine Familie mehr. Oma und Herbert sind alle, die ich noch habe. Ich will sie nicht verlieren. Verstehst du?« Ich klammere mich fester an meine Knie.
»Ja«, haucht er und küsst sanft meine Schläfe.
»Das heißt, du kommst damit klar?« Bitte sag ›ja‹.
»Vorerst«, räumt er ein. Okay, besser als nichts. Wenn er am eigenen Leib Herberts Sprüche mitbekommt, versteht er mich sicher besser.
»Wir warten ab, bis es deinem Onkel besser geht und dann sehen wir weiter, okay?«, schlägt er vor. Mir ist im Moment alles egal, solange er nicht geht, also nicke ich stumm.

»Ich verstehe immer noch nicht, warum ich nicht vorher erkannt habe, was mit Herbert ist. Es ging ihm schleichend schlechter. Schon, als er nicht mehr in die Praxis gekommen ist, hätte ich hellhörig werden sollen. Und ich hab letztens noch Scherze gemacht, dass er bald eine komplette Glatze hat. Kann ich denn ahnen, dass er eine Chemo macht? Warum redet er nicht mit mir?«
Adrian drückt mich fester an sich und seufzt. »Wenn ich sarkastisch wäre, würde ich jetzt sagen: Das scheint in der Familie zu liegen.«
Na, danke auch! Ich werfe ihm einen finsteren Blick zu und rücke ein Stück ab.
»Hey! Das war doch nicht ernst gemeint. Entschuldige, ich bin manchmal ein gefühlloser Trottel. Komm her!« Er schlingt seine Arme um mich und zieht mich zu sich heran. Ist zwar ein wenig unbequem, mir aber im Moment vollkommen egal. Ich atme seinen Duft ein und schmiege mich fester an ihn. Es fühlt sich einfach gut an.
»Sag mir, was ich für dich tun kann«, höre ich ihn leise an meinem Ohr.
»Festhalten ist für den Anfang schon mal nicht schlecht.«
Adrian drückt mich noch etwas stärker. »Das bekomm ich hin und weiter?«
»Ich weiß es nicht. Meine Gedanken drehen sich im Kreis, auch wenn ich weiß, dass ich jetzt keine Antworten bekomme. Lenk mich ab«, schlage ich vor.
»An welche Art von Ablenkung hast du gedacht?«
Ich tue das einzig Naheliegende, beuge mich vor und drücke meine Lippen auf seine. So gut! Ich will mehr, seine Zunge spüren, doch Adrian schiebt mich von sich weg. Mein Herz rast. Habe ich etwas falsch gemacht?
Er lächelt. Okay, so schlimm kann es nicht sein.
»Versteh mich nicht falsch«, erklärt er. »Ich habe definitiv nichts gegen diese Art von Ablenkung, nur weiß ich nicht, ob das gerade das Richtige ist.«
Adrian hält mich nicht davon ab, mich auf seinen Schoß zu setzen, sondern sieht mich nur aufmerksam an. Erneut nähere ich mich seinem Gesicht. Kurz bevor sich unsere Lippen berühren, erwidere ich: »Das weiß ich auch nicht, aber ich will jetzt einfach etwas anderes spüren.«


Frau Ehrenreich versichert mir abends, dass sie Herbert immer wieder gebeten hat, mir etwas zu sagen.
Auch, dass Oma nicht Bescheid weiß, liegt uns beiden schwer im Magen, aber das muss mein Onkel schon selbst machen. Die Tabletten haben geholfen, wie Frau Ehrenreich mir erzählt.
Wenigstens etwas.
Gegen Mitternacht verabschiedet sich Adrian. Uns ist beiden nicht nach Weggehen, außerdem muss er morgen früh raus. Das ist der Nachteil, wenn man in einem Krankenhaus arbeitet: Der Sonntag ist genau so ein Arbeitstag, wie jeder andere auch.

Ich glaube, ich habe in meinem bisherigen Leben noch nicht so viel geküsst, wie in den letzten paar Stunden. Es ist einfach unglaublich, auch wenn es mir mehr als unangenehm war, dass er mit Sicherheit meine Erektion gespürt hat, als ich auf seinem Schoß saß. Der Versuch, etwas abzurücken, wurde mit einem Brummen und noch stärkerem Festhalten seinerseits beantwortet und ich habe mich schließlich ergeben.

Jetzt, wo ich alleine bin, fange ich das Grübeln wieder an. Da ich nicht über meinen Onkel nachdenken möchte, kreisen meine Gedanken um das andere zurzeit vorherrschende Thema.
Was, wenn Adrian mehr möchte? Schließlich sind wir beide erwachsen und Männer. Uns sagt man ja gemeinhin nach, dass wir in der Hinsicht unkomplizierter sind. Ich finde das gerade aber ziemlich kompliziert. Nicht, dass er mich nicht erregen würde, das habe ich ja selbst vorhin widerlegt.
Aber wie läuft so etwas? Geht man gleich aufs Ganze? Schließlich sind wir ja keine Teenies mehr, die ein bisschen herumexperimentieren und Adrian hat zudem schon Erfahrung. Was mich zum nächsten Punkt bringt: Wie einigt man sich, wer aktiv und wer passiv ist?
Ja, ich weiß, dass auch ein ›Passiver‹ durchaus aktiv sein kann und umgekehrt, aber irgendwie muss man das ja bezeichnen, nicht?
Analverkehr ist ein Thema, mit dem ich mich noch nie auseinander gesetzt habe. Gut, ich lese Geschichten darüber, aber man weiß doch, dass Fiktion und Realität gerne mal ordentlich auseinander klaffen.
Die Tatsache, dass man als Passiver immer sofort und völlig bewusstseinsverändernd einen Orgasmus der Extraklasse erlebt, bezweifle ich doch stark.

Ich merke, dass es mich nicht weiter bringt, darüber nachzugrübeln. Ich brauche einen Gesprächspartner, der mehr Erfahrung auf dem Gebiet hat.
Rudi schwebt gerade ebenfalls auf der Verliebtheitswolke, wie er mir schreibt.

Rudi: ›Dann haben wir wohl beide das große Los gezogen.‹

Lasse: ›Im Großen und Ganzen ...‹

Rudi: ›Okay, ich kann verstehen, wenn es nervt, dass man sein Glück nicht offen zeigen kann. Aber glaube mir, es gibt Wichtigeres. Genieße, was ihr habt und ganz wichtig: Dränge ihn zu nichts. Das geht im Zweifel nur nach hinten los.‹

Rudi denkt ja immer noch, dass es mein Partner ist, der ungeoutet ist und nicht ich. Vielleicht sollte ich ihn mal Adrian vorstellen, wenn der ungeduldig werden sollte.

Lasse: ›Ich hoffe, das klappt. Darf ich dich mal etwas ... Intimeres fragen?‹

Rudi: ›Klar ;-)‹

Lasse: ›Was macht man, wenn der andere noch keine Erfahrungen mit Männern hat? Wie geht man da am besten vor?‹

Rudi: ›Uff, oh je! Du krallst dir auch gleich die ganz schweren Fälle, was? Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen: Lass euch Zeit und lass deinen Freund das Tempo bestimmen.‹

Lasse: ›Und wenn er vielleicht manchmal nur zu schüchtern ist, um den nächsten Schritt zu wagen?‹

Rudi: ›Weißt du, dass es so ist, oder hättest du nur gern, dass es so ist?‹

Lasse: ›Ich weiß es.‹

Rudi: ›Äh, er hat dir gesagt, dass er zu schüchtern ist, um über Sex zu reden? Dann hat er es doch schon getan. Hm, aber wenn er sich von sich aus nicht traut, dann musst du ganz genau auf seine Signale achten und Hilfestellung leisten.‹

Lasse: ›Und wie?‹

Rudi: ›Naja, wenn er erregt ist, zum Beispiel, fass ihn vorsichtig an und frag ihn, ob das okay ist. Mach ihm vorher klar, dass es ihm nicht peinlich sein muss, wenn er ›nein‹ sagen möchte.‹

Ich kann nur hoffen, dass Adrian ähnlich verständnisvoll ist, denn ich weiß nicht, ob ich es immer schaffe, ihm den nächsten Schritt zu signalisieren.

Lasse: ›Also, immer nur ganz kleine Schritte, ja?‹

Rudi: ›Grundsätzlich ja. Aber vielleicht machst du dir auch zu viele Gedanken. Erzwinge nichts und sei nicht enttäuscht, wenn er etwas nicht will. Eine Beziehung ist nun mal ein Geben und ein Nehmen, wo man Rücksicht auf die Bedürfnisse des Anderen nimmt. Das gilt genauso für dich. Ich meine, du sollst nicht ständig zurückstecken, nur um ihn zu schonen.‹

Lasse: ›Okay. Hört sich irgendwie kompliziert an.‹

Rudi: ›Ach, was. Die meisten Dinge ergeben sich von selbst, glaub mir. Als ich meine große Jugendliebe nach Jahren zufällig wieder getroffen habe, hätte ich im Traum nicht gedacht, dass aus uns noch mal was wird.‹

Lasse: ›Okay. Ich werd’s versuchen ;-)‹

Rudi: ›Genau und vergiss nicht: Reden ist der Schlüssel zum Erfolg.‹

Ich schlucke. Klar weiß ich, dass wir über gewisse Dinge reden müssen, dennoch weiß ich nicht, wie. Ich bekomme ja schon eine rote Birne, wenn ich nur darüber nachdenke.



»Hey.«
Adrian lächelt mich sanft an. In meinem Bauch kribbelt es, wie verrückt. Sind das die berühmten Schmetterlinge? Wow! Ich dachte immer, das wär so eine Erfindung für schnulzige Frauenromane.
»Hey«, erwidere ich genauso leise, bevor ich mich hinsetze.
Mittagessen in der Kantine. Wie immer. Naja, fast.
Erwartet er jetzt eigentlich, dass ich ihn anders begrüße? Eine Umarmung? Vielleicht sogar einen Kuss? Mein Herz bollert, wie verrückt. Was soll ich jetzt sagen? Worüber reden Männer denn, wenn sie in einer Beziehung stecken?
Ich sollte heute Abend dringend recherchieren.

»Alles gut?«, fragt Adrian vorsichtig, dennoch zucke ich ein wenig zusammen. Ich möchte ihn so gerne berühren. Nur ganz kurz. Ich habe das Gefühl, schon fast vergessen zu haben, wie er sich anfühlt oder schmeckt.
Hektisch schaue ich auf mein Mittagessen und nicke schließlich. Als ich wieder aufsehe, versuche ich mich an einem Lächeln, das nicht mal ein Blinder mir abkaufen würde.
Dementsprechend zuckt Adrians Augenbraue auch skeptisch. Ohne darüber nachzudenken, lege ich meine Hand auf seine und murmle ein »Wirklich«, um ihn zu überzeugen.
»Oh, seid ihr schon beim Händchenhalten angekommen?«, spottet Holger neben mir. Wo kommt der denn plötzlich her? Hektisch ziehe ich meine Hand zurück und suche verzweifelt nach einer Antwort, die nicht so offensichtlich erlogen ist. Adrian schüttelt ganz leicht den Kopf. Ja, vielleicht ist es wirklich besser, das umkommentiert zu lassen.

Holger erwartet wohl auch gar keine Antwort, weil er sofort das Thema wechselt.
»Das Wetter soll ja super werden am Samstag, aber was soll man auch anderes erwarten, wenn ich Geburtstag habe, nicht wahr?«
Ich verdrehe nur die Augen und Adrian grinst.
»Sag mal, Adrian, Olli meinte, du bist Vegetarier?«
Adrian nickt.
»Okay, ähm, ich wollte nämlich Grillen, aber ich muss gestehen, mit diesem Tofu-Kram kenne ich mich nicht so aus. Am besten du bringst dir dein Essen selbst mit«, erklärt Holger.
»Okay.«
Beide nicken sich zu und ich freue mich, wie bekloppt, dass die sich so gut verstehen. Wenn ich da an Holger und Janina zurückdenke ... Die konnten sich nicht wirklich leiden, um es mal vorsichtig auszudrücken.

»Ach, was ich dich noch fragen wollte ...«, richtet Holger sich jetzt an mich. Ich ahne schon Schlimmes. Wahrscheinlich darf ich irgendwelche Salate oder dergleichen für ihn machen.
»Wie lief’s eigentlich den Freitag noch?«
Wovon redet der?
»Na, das Blind Date mit Sonja und mir als Anstandsdamen«, hilft er mir auf die Sprünge. »Wir haben uns ja seit dem nicht mehr gesehen.«
Stimmt. Dadurch, dass ich Adrian aus dem Weg gegangen bin, bin ich es automatisch auch Holger. Auch sonst haben wir kaum Kontakt gehabt in der letzten Zeit, woran er auch nicht ganz unschuldig war.

»Ähm, da ähm, läuft nichts«, versuche ich beiläufig zu erwidern. Viel schwieriger ist es, dabei nicht zu Adrian zu sehen.
»Warum denn nicht? Die sah doch scharf aus!«, wundert er sich.
»Nicht mein Typ. Außerdem ...« Ich schaue zu Adrian, der gerade konzentriert seinen Salat aufspießt. »Hab ich’s grad nicht so mit Frauen.«
Holger bleibt für die nächsten Minuten merkwürdig stumm. Mist, ich war zu auffällig! Schließlich ist er nicht blöd. Erst unsere komische Handhaltung, dann mein Kommentar. Ich kann förmlich sehen, wie die Zahnräder in seinem Hirn ineinandergreifen.
»Du hängst immer noch an Janina, oder?« Holgers Stimme ist ganz leise und ich habe Mühe, ihn zu verstehen.
Janina? Wie kommt er denn da drauf? Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht zu grinsen und schüttle den Kopf.
»Sicher?«
Warum glaubt er mir denn nicht?
»Ja. Hab halt grad andere Dinge um die Ohren«, versuche ich so allgemein, wie möglich zu bleiben.
»Ist dein Onkel immer noch krank?«, tippt er.
Ich nicke. Auch, wenn das nicht der Grund für mein Desinteresse an Bianca ist, entspricht es ja dennoch der Wahrheit.
»Wird wohl auch noch ein wenig so bleiben. Wir bekommen aber ab morgen eine Aushilfskraft, frisch von der Uni.«
Damit hat mich Frau Ehrenreich heute überrascht. Herbert hat sich umgehört, weil es offensichtlich doch noch etwas länger dauern wird mit ihm und ich auf Dauer die Praxis nicht alleine stemmen kann.
Das Mädel ist gerade mit ihrem Facharzt fertig und hat noch nichts gefunden, obwohl sie ein Zeugnis vom Feinsten hat. Naja, soll mir recht sein.
»Eine Frau?«, fragt Holger und ich nehme den lauernden Unterton durchaus wahr.
»Ja?«
Holger zwinkert mir als Antwort zu, was mich die Augen verdrehen lässt.
»He, ich wollte nur sagen, dass so ein junges, knackiges Ding dich vielleicht ganz gut ablenken kann.«
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