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Planänderung

Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / MaleSlash
30.07.2014
25.12.2014
31
103.814
118
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30.07.2014 4.152
 
VI


Eifersucht




Nein, nicht für mich. Ich habe nun wahrlich keinen großen Bekanntenkreis, aber so ganz ohne, wenn es hart auf hart kommt? Nein. Auch, wenn meine Gedanken in letzter Zeit leider wirklich oft in Adrians Richtung abschweifen und das nicht in jugendfreier Variante. Nein, das ist nicht meine Welt.
Dennoch ...
»Bin ich dein Typ?«, rutscht es mir raus, bevor ich weiter darüber nachdenke.
Die Frage beschäftigt mich, ehrlich gesagt, schon eine ganze Weile und ich hoffe, die Antwort lautet: ›Tut mir leid. Ich steh mehr auf den blonden, großen Adonis-Typ mit mehr Muskeln als Hirn.‹ Dann gelingt es mir vielleicht leichter, ihn aus meinen Gedanken und - viel wichtiger - aus meinen Träumen zu verbannen.

Adrian starrt mich überrascht an.
»Was ...?« Wahrscheinlich fragt er sich, ob ich ihn veräppeln will.
»Naja«, beginnt er nach einer halben Ewigkeit und stockt dann wieder. Ich will schon abwinken, denn im Grunde ist sein Zögern Antwort genug.
»Schon«, fügt er gedehnt hinzu.
Meine sämtlichen Körperfunktionen scheinen für einen kurzen Moment inne zu halten. Was will er denn damit sagen?
Er lacht etwas gequält. »Mensch, Olli. So was fragt man doch nicht einfach so. Klar, du siehst gut aus.« Gut? Ich?
»Du bist ein eigener Charakter, keine durchgestylte, aalglatte Type, an der man abrutscht. Und auch, wenn meine bisherige Wahl meiner Partner anderes vermuten lässt, stehe ich eigentlich weniger auf charakterlose Arschlöcher. Du hingegen bist ehrlich, liebenswert, hilfsbereit und du weißt, was du willst. So etwas mag ich, ja«, endet er schließlich.
Shit!
»Noch dazu siehst du einfach verboten gut aus und weißt es nicht einmal. Du hast die ganzen Blicke der Kerle letzten Samstag gar nicht mitbekommen. Wenn du auch nur ansatzweise auf Männer stündest und deine Vorzüge ein wenig ausspieltest - dir läge vermutlich das halbe schwule Berlin zu Füßen.«
Der spinnt doch!
»Du verarschst mich!«, empöre ich mich, doch er schüttelt den Kopf.
»Nein. Ich finde es echt schade, dass du - aus meiner Sicht - am falschen Ufer fischst. Trotzdem brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich werd dir nicht an die Wäsche gehen. Du bist ein Freund und ich nicht so vermessen zu glauben, dass ich jemanden ›umpolen‹ könnte.«
»Gut«, erwidere ich, unsicher, ob ich das auch wirklich gut finde.


»Oma! Dein Lieblingsenkel ist da!«, rufe ich, als ich ihre Haustür aufschließe. Ich habe so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr.
Die Angst, dass meine Träume schlimmer werden, jetzt, wo ich weiß, dass ich theoretisch Adrians Typ bin, hat sich glücklicherweise nicht bestätigt. Im Gegenteil. Ich habe nicht mal geträumt, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.

Meine Oma kommt aus der Küche und wischt sich die Hände an der Schürze ab.
»Hallo mein Großer!« Ungeachtet der Tatsache, dass die Flecken auf ihrer Schürze auf meine Klamotten übergehen könnten, werde ich fest umarmt.
»Du bist früh!«, freut sie sich.
»Ja, ich wollte heute die Hecke trimmen«, erinnere ich sie.
»Ach, so. Das ... ist nicht mehr nötig.«
»Oma!«, entgegne ich etwas tadelnd. »Du sollst das doch nicht machen.«
»War ich auch nicht!«, wehrt sie ab. »Ein neuer Nachbar.«
»Und der macht einfach so die Gartenarbeit? Pass bloß auf. Nicht, dass der hier nur ausspionieren will, was du an Wertsachen hast. Oder noch schlimmer: ein Erbschleicher«, erwidere ich skeptisch, doch Oma lacht lediglich.
»Ach, Oliver. Ludger ist 72. Da fragt sich wohl, wer wen beerben würde«, lacht sie. »Er ist wirklich nett. Seine Frau ist vor zwei Jahren gestorben und jetzt ist er hierher gezogen, um näher bei seiner Familie sein zu können. Seine Enkelin ist übrigens sehr nett. Etwa in deinem Alter.«
»Oma«, erwidere ich gequält.
»Schon gut! So, wie du heute strahlst, habe ich eh das Gefühl, dass ich damit zu spät dran wäre, was?«
»Was meinst du?«
»Du siehst frisch verliebt aus.«
»Ach, Oma«, schüttle ich den Kopf, »ich glaube, du brauchst eine neue Brille.«

Also wirklich, ich und verliebt. Mir geht es gut, unbestritten. Ich habe mich schon ewig nicht mehr so wohl gefühlt, wie gestern Abend. Mit Adrian ist alles so einfach. Ich habe nicht das Gefühl, mich irgendwie verbiegen zu müssen. Denn je nachdem, wer gerade in meiner Nähe ist, verhalte ich mich anders. Es gibt den Oma-Olli, den Arbeits-Olli, den Sonja-Olli und den Holger-Olli. Den Olli-Olli kennt keiner. Manchmal glaube ich, ich kenne ihn nicht mal selbst. Aber der Adrian-Olli kommt dem schon recht nahe, abgesehen von der Tatsache, dass die Sache mit den Männern nicht dabei ist. Aber das ist sie ja bei keinem. Nicht mal wirklich beim Olli-Olli. Nur ganz selten.

Ich schüttle über mich selbst den Kopf. Das hört sich fast so an, als litte ich unter multiplen Persönlichkeiten. Aber so ist das nicht. Das bin alles ich, nur dass ich in Gegenwart bestimmter Personen, gewisse Eigenschaften in den Hintergrund treten lasse. Ich meine, der Weiberheld, der jede Woche eine andere im Bett hat, erzählt das auch nicht fröhlich beim Sonntagsessen mit seiner Mutter. Anders ist es bei mir auch nicht. Jeder bekommt fein säuberlich verpackt das, was zu ihm passt und was er von mir erwartet. Das gibt mir eine Sicherheit, die mich diesen ganzen Wust an Erwartungen und Emotionen überleben lässt.

Ich komme nicht umhin, mir die Hecke dennoch anzusehen, muss aber zugeben, dass dieser Ludger das recht gut hinbekommen hat.
»Was kann ich denn noch tun?«, frage ich, denn nur herumsitzen mag ich nicht.
»Der Rasen könnte mal wieder gemäht werden«, ruft Oma durch das Küchenfenster.
»Schon wieder?« Ich hasse Rasenmähen.
»Naja, in zwei Wochen ist es zu spät. Der wächst gerade ziemlich viel.«
Seufzend nicke ich, denn ich weiß, dass es stimmt. Also, was soll’s? Dann eben Rasenmähen. Dafür habe ich dann aber auch eine Riesenportion Nachtisch verdient.

Als ich abends mit einer übergroßen Vorratsdose mit Omas selbst gemachtem Schokoladenpudding nach Hause komme - sie weiß eben mich zu bestechen - blinkt mein Anrufbeantworter wild.
Ja, ich bin wohl einer der letzten Menschen in Deutschland, die noch so ein Ding haben. Meistens spricht auch keiner drauf. Heute offensichtlich schon.
Es ist Onkel Herbert.
»Hallo Oliver! Entschuldige, dass ich dich an einem Sonntag störe, aber ich werde morgen nicht zur Arbeit kommen können. Du hast ja bereits gemerkt, dass es mir in letzter Zeit nicht gut ging und bevor ich noch jemanden anstecke, bleibe ich die nächsten Tage zu Hause, um mich auszukurieren. Frau Ehrenreich weiß Bescheid und kümmert sich um die Verlegung meiner Termine. Ich hoffe, ich mache dir nicht zu viel Arbeit. Ich wünsche dir noch einen schönen Sonntag!«
Ich starre den Anrufbeantworter an. Mein Onkel ist krank? Er war noch nie krank. Zumindest nicht so sehr, dass er nicht zur Arbeit erschienen ist. Es muss ihn echt heftig erwischt haben, hörte sich eben auch recht schwach an. Na, das kann ja was werden. Genervte und gestresste Patienten, super!

Frau Ehrenreich hat alles gut im Griff. Bis auf zwei Patienten, die sie telefonisch nicht mehr erreichen konnte, waren alle sehr verständnisvoll. Die beiden habe ich dann noch dazwischen geschoben und sah meine Mittagspause schon schwinden.
Aber jetzt sitze ich hier, mit zehn Minuten Verspätung.
»Ich dachte schon, es sei etwas passiert«, begrüßt mich Adrian. Die Besorgnis in seiner Stimme ist sicher nur Wunschdenken.
»Nur Stress. Mein Onkel ist krank«, winke ich ab.
»Oh! Was Ernstes?«
Ich zucke mit den Schultern und nicke schließlich. »Vermutlich. Mein Onkel bleibt nur zu Hause, wenn es gar nicht mehr geht. Im Grunde habe ich mein ganzes Leben noch nicht erlebt, dass er wegen Krankheit nicht gearbeitet hätte.«
»Fährst du heute Abend vorbei? Vielleicht kann er ja was gebrauchen. Essen oder so.«
Die Idee ist gar nicht schlecht. Warum bin ich da selbst noch nicht drauf gekommen?

»Na, ihr Luschen!«, kommt Holger ebenfalls verspätet an unseren Tisch. Der hat in letzter Zeit auch verboten gute Laune. Liegt sicher an dieser Unbekannten.
Mein Handy vibriert. Ich habe es meistens auf lautlos, sogar zu Hause.
»Hallo Sonja! Was gibt’s?«, begrüße ich sie. Adrian grinst mich augenblicklich an. Der freut sich offenbar wirklich darauf, sie wieder zu sehen.
»Hey, Großer! Was hast du Freitagabend vor?«
Die Scheinheiligkeit kann sie sich sparen. Ich kenne sie lange genug.
»Was führst du im Schilde?«
»He!«, lacht sie. »Nicht so misstrauisch! Ich dachte, wir könnten uns mal wieder treffen. Wir haben uns so lange nicht gesehen.«
»Liegt nicht an mir«, brumme ich.
»Autsch! Ja, ich weiß.« Sie lacht immer noch. Sonja ist glücklicherweise nicht nachtragend. »Also, was ist, Olli?«
Eben mal überlegen: Für Freitagabend ist nichts geplant. Kochstunde ist, wie üblich, am Samstag.
»Äh, ja. Meinetwegen. Soll ich zu dir kommen?«
»Ne, ne. Ich dachte da vielmehr an ein nettes Treffen.«
»Spuck’s schon aus!« Ich mag es nicht, wenn die Leute lange um den heißen Brei herumreden.
»Naja, zum einen könnte Adrian ja mitkommen ...?«
»Moment, ich frag ihn mal. Adrian? Hast du Lust, Freitagabend mit deiner alten Flamme wegzugehen?«
»Lust, ja. Muss nur leider arbeiten.«
»Gehört?«, frage ich Sonja.
»Ja, leider«, seufzt sie. »Gut, dann sind wir nur zu dritt.«
»Ach, kommt Daniel auch mit?« Zum Glück! Ich verstehe mich recht gut mit ihrem Mann und zu zweit schaffen wir es manchmal sogar, diese Östrogenbombe in Schach zu halten.
»Daniel? Ne, der muss auf Maya aufpassen. Ich bring Bianca mit.«
»Und du gibst den Anstands-Wauwau, oder wie?« Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht mit ihr treffen wollte. Hatte ich ja schließlich schon am Samstag beschlossen, aber mit Sonja dabei ...
»Kannst ja sonst Holger noch mitbringen. Aber nur, wenn er auch brav ist.«
»Hm, ich frag ihn.« Brauch ich gar nicht. Er hat nämlich zugehört und nickt schon, wie wild. »Bin dabei«, ruft er extra laut, damit Sonja es auch hört.
»Super! Bis Freitag, Großer!«
»Oh, Mann!« Stöhnend schalte ich das Handy aus.


Onkel Herbert sieht aus, wie der Tod auf Latschen und das ist noch höflich ausgedrückt.
Als er eben nicht aufgemacht hat, habe ich meinen Ersatzschlüssel genommen, weil ich annahm, er sei nicht zu Hause. Ich wollte wenigstens die Einkäufe verstauen und ihm einen Zettel schreiben.
Gerade als ich den Kühlschrank schließe, höre ich ein Geräusch hinter mir.
»Onkel Herbert. Ich dachte, du bist nicht da. Ich ...« Mir verschlägt es kurz die Sprache, als ich mich umdrehe. »Frau Ehrenreich?«, frage ich reichlich dümmlich.
»Oh, hallo Oliver. Ich wusste nicht, dass du vorbei kommst.« Frau Ehrenreich, die in der Praxis immer im Kostüm herumläuft, steht jetzt in Jeans und T-Shirt barfuß im Türrahmen und fühlt sich augenscheinlich genauso deplatziert, wie ich.
»Gertrud?«, höre ich Herberts kratzige Stimme aus dem Flur, zusammen mit schlurfigen Schritten. »Ist alles in Ordnung? Oh, hallo Oliver!«
Frau Ehrenreich dreht sich zu ihm um. »Herbert! Ich hab dir doch gesagt, dass du liegen bleiben sollst. Du musst deine Kräfte schonen.« Ihr Blick ist sanft. »Ich bring dir gleich den Tee.«
Herbert brummt irgendetwas, schaut mich noch einmal kurz an und seufzt, bevor er sich wieder umdreht.
Frau Ehrenreich füllt bereits den Wasserkocher. Ich stehe immer noch wie angewurzelt da.
»Hör zu, Oliver«, beginnt sie schließlich zu erklären, »wir wollten sicher nicht, dass du es auf diese Weise erfährst. Aber eigentlich bin ich ganz froh, dass es jetzt raus ist«, lächelt sie mich gequält an.
»Wie ...« Ich räuspere mich. »Wie lange ...?«
»Ein paar Monate.«
Monate?!
»Obwohl wir schon seit Jahren umeinander herumschleichen«, lacht sie.
Und ich dachte immer, ich hätte eine gute Menschenkenntnis!

»Was ist mit ihm?«, frage ich schließlich.
Frau Ehrenreich seufzt. »Hat ihn ziemlich heftig erwischt. Dauert sicher noch ein paar Tage, bis er wieder bei Kräften ist.«
»Okay«, nicke ich, auch wenn ich jetzt immer noch nicht schlauer bin. »Danke für die ... Hilfe. Ich ... ähm ... werd jetzt gehen. Genug zu essen ist auf jeden Fall da.«
»Danke, Oliver.«
Ich nicke noch einmal, bevor ich zur Tür gehe.
»Warte!«, hält sie mich zurück. »Eins noch: Hast du ein Problem damit?«
Da brauche ich nicht lange zu überlegen. »Grundsätzlich nicht. Der Gedanke ist nur ungewohnt.« Sie lächelt mich erleichtert an.
»Gute Besserung!«, rufe ich extra laut, bevor ich die beiden wirklich allein lasse.


Ich hätte wissen müssen, dass arrangierte Dates schief gehen. Naja, hinterher ist man bekanntlich immer schlauer. Oder währenddessen.
Denn wir vier sitzen hier jetzt schon seit zwei Stunden und abgesehen davon, dass Bianca in natura so aussieht, wie auf dem Foto, weiß ich nicht all zu viel von ihr. Sie ist sehr still. Vielleicht ist sie schüchtern oder aufgeregt. Dennoch finde ich, wenn man jemanden kennenlernen will, sollte man schon etwas von sich preisgeben. Wenn ich da an die vergangenen Wochen mit Adrian denke: Wir kennen uns auch noch nicht in- und auswendig, aber selbst wenn wir schweigen, ist die Grundstimmung eine andere.
Im Grunde reden hauptsächlich Holger und Sonja. Letztere bedenkt mich immer mal wieder mit einem Blick, der mir wohl sagen soll, ich solle mich mehr mit Bianca unterhalten. Es ist nur eben sehr ernüchternd, wenn man auf jede Frage nur knappe Antworten bekommt und das ›Gespräch‹ dann wieder abebbt. Vielleicht hätte ich einen Fragenkatalog ausarbeiten sollen und den abarbeiten.
Sonja versucht es auch immer wieder. »Olli hat aber auch immer lustige Anekdoten auf Lager«, ist einer der Versuche. »Erzähl doch mal von dem Typ, der nur mit seinem Dackel auf dem Schoß behandelt werden wollte.« Tja, das ist im Grunde schon die ganze Geschichte. Bianca lächelt wenigstens, als ich sie erzähle. Adrian hatte gelacht, bis er Schluckauf bekam.

Um Punkt 21 Uhr klingelt Sonjas Handy. »Hallo mein Schatz! Was gibt’s? Wirklich? Oh, nein! Ich komme sofort nach Hause!«, spielt sie wenig glaubwürdig die Überraschte.
»Es tut mir leid, meine Lieben, aber Maya hat auf einmal Fieber und Bauchweh bekommen. Ich muss dringend zu ihr.« Habe ich schon erwähnt, dass ihr Mann Kinderarzt ist?
Bianca scheint das Spiel nicht zu durchschauen und versteht ihre Besorgnis.
»Oh, ich ähm ...«, meldet sich zudem Holger, »ich bin auch noch verabredet.« Auch, wenn das offensichtlich von den beiden abgesprochen ist, sehe ich ihm an, dass er mich nicht anlügt.
»Lerne ich sie eigentlich bald mal kennen?«, frage ich daher.
»Weiß nicht. Ich ... bis Montag!«, klopft er mir auf die Schulter. »War nett, dich kennenzulernen«, richtet er sich an Bianca und streckt ihr die Hand hin. Sie kichert, als sie sie nimmt. Okay, sie ist eideutig schüchtern.
Als wir alleine sind, atme ich tief durch.
»Na, das haben die sich ja toll ausgedacht«, versuche ich zu scherzen.

Der Rest des Abends verläuft recht ruhig. Bianca taut noch ein wenig auf und ich muss zugeben, dass sie wirklich nett ist.
Im Grunde sollte ich mir wohl nicht vorschnell ein Urteil bilden, schließlich bin ich ebenfalls nicht der Kommunikativste.
Wie es sich gehört, bringe ich sie nach Hause. Wir tauschen die Telefonnummern und als wir vor ihrer Haustür stehen, herrscht eine merkwürdige Stimmung.
Wir haben uns bereits verabschiedet, aber so jetzt zu gehen, fühlt sich falsch an. Also tue ich das, was man nach einem Date macht. Ich trete vorsichtig auf sie zu und als sie nicht zurückweicht, küsse ich sie. Ganz keusch und kurz.
»Gute Nacht«, sage ich noch einmal. Ihre Wangen überzieht ein leichter Rotschimmer, was beinahe niedlich ist. Aber in mir regt sich nichts. Bei Janina damals hatte ich wenigstens ein gewisses Kribbeln, als wir uns das erste Mal geküsst haben. Bianca hätte ebenso gut meine Oma sein können. Zumindest ist ein Kuss mit ihr genauso erotisch.

Es ist nicht mal elf Uhr, als ich zu Hause ankomme. Auf dem Rückweg hat Sonja mir bereits eine SMS geschrieben: ›Viel Spaß noch! ;-) Meld dich, wie es noch war!‹
Werd ich, aber nicht mehr heute. Das, was ich jetzt brauche, ist Testosteron. Wenn auch nur in meinem Kopfkino.
Rudi hat tatsächlich wieder ein neues Kapitel hochgeladen. Viel zu schnell habe ich das durchgelesen. Da kommt es mir gerade recht, dass er ebenfalls online ist.

Rudi: ›Hey! Na, was machst du denn zu Hause?‹

Lasse: ›Könnte ich dich auch fragen. Komm grad von 'nem Date.‹

Rudi: ›Ui, und?‹

Lasse: ›Nichts. War ganz nett. Blöderweise habe ich häufiger an jemand anderen denken müssen.‹

Rudi: ›Und warum warst du nicht mit dem anderen weg?‹

Lasse: ›Das ist kompliziert.‹

Rudi: ›Ist es das nicht immer?‹

Lasse: ›Hm, erinnerst du dich, dass ich dich mal gefragt habe, ob du schon mal was mit einem Ungeouteten hattest?‹

Rudi: ›Oh, je. Ich verstehe. Aber das ist doch nicht grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Ich meine, auch, wenn man erwachsen ist, kann man das ja immer noch nachholen.‹

Lasse: ›In dem Fall nicht. Es gibt gewisse Umstände, die das unmöglich machen.‹

Rudi: ›Aber auch das kann funktionieren, wenn die Liebe stark genug ist.‹

Lasse: ›Du bist eben ein Romantiker. Aber mein Lebensplan sah eigentlich anders aus.‹

Rudi: ›Das ist das Schöne an Plänen: Man kann sie ändern ;-)‹

Nicht er auch noch!


Adrian schaut mich prüfend von der Seite an. Überhaupt guckt er mich schon die ganze Zeit, seit ich zu unserer Samstags-Kochstunde gekommen bin, so komisch an.
»Was?«, frage ich schließlich. An den Möhren, die ich gerade klein schnipple, kann es nicht liegen. Das mache ich sehr gut, wie ich finde.
Er räuspert sich, bevor er fragt: »Wie war’s gestern?«
Ich zucke mit den Schultern. »Okay.« Ich finde, das fasst es ganz gut zusammen.
»Wie ›okay‹? Werdet ihr euch wieder sehen?«
»Denke schon. Wir haben zumindest unsere Nummern ausgetauscht«, erwidere ich. »Sie ist sehr still, aber ganz nett.«
»Ganz nett?« Mit einer Handbewegung wirft er das ganze Gemüse in das kochende Wasser. Heute gibt es Gemüsecurry.
»Viel kann ich noch nicht sagen, aber sie wäre sicher eine gute Mutter.« Das Gemüse köchelt und Adrian lässt mich die Soße machen. Na, der ist ja mutig heute.
»Aha. Und das reicht dir?«
»Ich finde das schon recht viel.«
Adrian schnaubt. »Was ist mit Liebe?«
Was haben denn immer alle mit Liebe? Ist es nicht viel wichtiger, dass man sich versteht und vertrauen kann?
»Das kommt dann sicher noch«, erwidere ich.
»Oh, Mann! Ich hätte dich nicht für so unromantisch gehalten.«
Ich wirble zu ihm herum. »Unromantisch? Das sagt der, der in irgendein Hinterzimmer mit irgendeinem Typen verschwindet?«
Adrian verzieht kurz das Gesicht. »Ich dachte, das Thema wäre durch. Meine Güte! Manchmal braucht man als Mann einfach nur schnelle, billige Triebbefriedigung. Das weißt du doch sicher auch!«
Ich wollte das Thema gar nicht wieder aufbringen, zumal ich es doch war, der es für ›beendet‹ erklärt hat.

»Wie hast du eigentlich herausgefunden, dass du schwul bist?«, versuche ich das Thema zu wechseln.
Adrian schaut mich kurz überrascht an, erklärt dann aber lächelnd: »Einen genauen Moment kann ich gar nicht benennen. Ich war 15 oder 16. Ich merkte, dass ich die gleichen Männer hübsch fand, wie die Mädels und dass die anderen Jungs so etwas nicht als Gesprächsthema hatten. Außerdem haben Marcel und ich mal rumgefummelt, da war es relativ eindeutig.«
»Marcel?!« Ungläubig starre ich ihn an. »Du meinst ...?« ›... den Supermacho der Schule?‹, lasse ich unausgesprochen.
Adrian nickt grinsend. »Genau der. Wir waren besoffen. Das war nach dem Scheunenfest damals. Er hat angefangen. Wir haben uns gegenseitig einen runter geholt. Das war das Geilste, was ich bis dato erlebt hatte.«
Ich schüttle den Kopf. »Aber Marcel ...«
»Der hatte ein ziemliches Problem damit. Hat einen riesigen Aufstand gemacht. Wir sind dann übereingekommen, es niemandem zu sagen.«
Ich glaub das immer noch nicht. Okay, Menschenkenntnis ade! Nun aber wirklich.

»Du bist tatsächlich der Erste, dem ich das je erzählt habe.«
Ich schlucke. »Ist Marcel denn auch ...?«
Adrian zuckt mit den Schultern. »Das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht. Wundern würde es mich nicht. Er hat es ein Jahr später noch mal versucht, aber ich hatte keine Lust auf das zwingend folgende Drama. Kurz darauf sind er und seine Eltern ja auch weggezogen.«

»Warst du schon mal mit einer Jungfrau zusammen?« Warum frage ich ihn das eigentlich?
»Du meinst jemanden, der vorher noch nichts mit einem Mann hatte?«
»Ja.«
»Ja«, antwortet er genauso schlicht.
»Und?« Konzentriert rühre ich die Soße, obwohl das gar nicht nötig ist.
»Was ›und‹
»Hat der sich irgendwie blöd angestellt?« Es interessiert mich nur theoretisch. Nicht, dass sich hier noch jemand falsche Hoffnungen macht.
»›Blöd‹ ist vielleicht das falsche Wort. ›Unsicher‹ trifft es eher, aber ist man das nicht immer zu Beginn einer Beziehung?«
»Es hat dich also nicht abgeschreckt?« Meine Güte! Warum kann ich nicht aufhören?
»Nein, wieso? Was sollen eigentlich diese ganzen Fragen?«
»Ähm ...« Ob ich es wohl der Soße zuschreiben kann, dass mir die Röte plötzlich ins Gesicht schießt?

Ein paar Stunden später sitzen wir wieder im ›Einerlei‹. Also, ich sitze. Adrian tanzt. Ich hab’s nicht so mit Tanzen.
Nach meinen merkwürdigen Fragen vorhin war die Stimmung irgendwie seltsam. Er wollte noch ein paar Mal wissen, warum mich das alles interessiere. Meine Antwort, dass ich ihn einfach nur besser kennenlernen wolle, hat er mir wohl nicht geglaubt. Wenigstens hat er nicht weiter nachgebohrt.
Hier ging es auch nicht besser mit einer Unterhaltung. Adrian hat ein paar Mal angefangen und ich hab immer nur recht einsilbig geantwortet. Irgendwie ist grad alles zu viel. Pläne ändern. Ich ändere aber nicht gerne meine Pläne, zumal ich nie offen mit einem Mann zusammen sein könnte. Bisher befand sich das alles auch mehr im Reich meiner Fantasie, doch wenn man plötzlich die Möglichkeit praktisch direkt vor der Nase hat ...

Ich meine, er sagte doch, dass er mich gut aussehend findet - warum auch immer. Außerdem ist er momentan sowieso nicht auf eine Beziehung aus, nach dem Desaster mit Lars. Nur weil ich mich jeden Tag, wie ein Kleinkind auf das Mittagessen mit ihm freue und mein Herz schneller schlägt, nur weil er mich ansieht oder noch besser: anlächelt, heißt es ja nicht, dass es ihm genauso geht. Aber um vielleicht einmal die Erfahrung zu machen ...
Nein! Was denke ich denn da bitte? Ich bin doch völlig übergeschnappt! Da trinke ich lieber meinen Mai Tai auf Ex und einen zweiten noch gleich hinterher.

Als ich mit dem dritten von der Bar zurückkomme, tanzt Adrian nicht mehr alleine. Nicht, dass er die ganze Zeit alleine auf der Tanzfläche, die mit den maximal zehn Quadratmetern auch eher eine ›Balzfläche‹ darstellt, gewesen wäre. Aber jetzt klebt ihm so ein Typ im Rücken, eindeutig zu eng und überhaupt zu eindeutig.
Ich keuche, als ich in ihm Schleimi wiedererkenne. Das kann doch wohl nicht wahr sein! Hat er mir nicht gesagt, dass er so etwas normalerweise nicht macht? Und dann der gleiche Typ. Jetzt hat der seine Hände auch schon unter Adrians T-Shirt! Dreh dich doch mal um und sag ihm, dass er aufhören soll!
Ich nehme noch einen großen Schluck, um mich abzulenken, da stehen die beiden auch schon einander zugewandt und Schleimi reibt sich wie ein räudiger Hund an Adrians Oberschenkel. Jetzt reicht es aber!

Etwas zu heftig knalle ich mein Glas auf den Tisch und stehe im nächsten Moment bei den beiden. Schleimi guckt mich verwirrt an, als ich ihn unsanft zur Seite schiebe. Adrian hebt lediglich eine Augenbraue, tanzt aber weiter. Und da ich schon mal hier bin, kann ich schlecht stur in der Gegend herumstehen, sondern bewege mich so gut ich kann zur Musik.
»Ich dachte, wir wollten uns unterhalten«, rufe ich ihm durch die Musik zu und deute mit dem Kopf zu unserem Tisch, der mittlerweile anderweitig besetzt ist.
»Ich hatte nicht den Eindruck, du wärst an einer Unterhaltung sonderlich interessiert.« Schleimi tanzt inzwischen wieder hinter Adrian und beginnt erneut mit seinen eindeutigen Bewegungen.
»Ach, so nennt man das, was ihr hier veranstaltet, ja?«
Adrian packt mich am Arm und zieht mich zum Rand der Tanzfläche, was den Typen etwas irritiert schauen lässt.
»Oliver, was ist eigentlich los? Wenn du keine Lust hast, wegzugehen, dann sag das bitte vorher und versau nicht die ganze Stimmung.«
Schleimi ist wieder bei uns angekommen, schaut verwirrt von Adrian zu mir und zurück.
»Ich versau die Stimmung? Oh, verzeih! Hab ich dein Betthäschen verscheucht?«
»Hey!«, meldet der sich jetzt.
»Du hältst dich da raus!«, fahre ich ihn an. »Verschwinde!«
»Nein«, erwidert Adrian, »ich denke, du bist derjenige, der verschwinden sollte. Du hast eindeutig zu viel getrunken. Du weißt doch gar nicht mehr, was du da tust.«
Das ist doch die Höhe! »Ach, nein? Soll ich dir mal was sagen? Ich habe noch nie so klar gesehen. Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich, was ich will und gleichzeitig werde ich es nie bekommen. Weißt du, wie weh das tut? Wenn man sein vermeintliches Glück jeden Tag vor der Nase hat und es trotzdem nicht haben kann?«
Ich glaube, ich habe mich noch nie so gehen lassen, aber es tut einfach gut, ihm das jetzt entgegen schreien zu können.
»Was hindert dich denn daran? Dein dämlicher Lebensplan? Überraschung! Das Leben hält sich nicht an Pläne.«
Was für ein Arsch! Er hat doch keine Ahnung! Er kann schließlich machen, was er will. Nur einmal würde ich das auch gerne.
Wir funkeln uns gegenseitig an. Von irgendwoher höre ich jemanden was von »Beziehungskrise« reden. Ich trete einen Schritt auf Adrian zu und weiß nicht einmal, warum. Im Gegensatz zu einem der Außenstehenden, der genervt ruft: »Meine Güte! Jetzt küsst euch endlich!«
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