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Planänderung

Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / MaleSlash
30.07.2014
25.12.2014
31
103.814
117
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30.07.2014 3.524
 
V


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»Okay, also ... Was brauchst du alles?«, frage ich, während Adrian noch nach einem Parkplatz sucht. Wer hätte gedacht, dass es hier bereits zehn Minuten nach Öffnung dermaßen rappelvoll ist?
»Ähm, lass mich überlegen ... Kleiderschrank, Esstisch, Stühle, Bett und ein bisschen Kleinkram. Bettwäsche, Lampen, vielleicht ein paar Pflanzen. So was halt. Ach, ja: einen Schrank fürs Badezimmer. Hm, ich wollte einfach durchgehen und dann fällt mir schon auf, was fehlt, denke ich.«
Ich seufze. Das hatte ich befürchtet. Ade, schöne Planung!
»Was?«, grinst er und sieht mich kurz von der Seite an, bevor er endlich in den vermutlich vom Eingang am weitesten entfernten Parkplatz überhaupt einbiegt.
»Nichts. Schon okay.«
»Was hast du da?«, hält er meine Hand fest, bevor ich den Zettel mit dem Lageplan wieder verschwinden lassen kann. Sein etwas belustigter Blick lässt mich rot werden.
»Ah, du wolltest die kürzeste Route festlegen, was?«
Ich zucke beiläufig mit den Schultern, wohl wissend, dass er mir die Gleichgültigkeit nicht abnimmt. Hm, der Blick aus dem Fenster ist aber auch nicht zu verachten.

»Hey!« Seine Hand an meinem Kinn lässt mich zusammenschrecken. »Finde ich eine gute Idee. Aber es tut mir leid. Ich hatte diese Woche so viel um die Ohren, dass ich mir noch nicht viele Gedanken darum machen konnte. Daher sollten wir einfach der Reihe nach durchgehen, okay?«
Wer kann diesem Hundewelpenblick schon widerstehen? Ergeben nicke ich.
»Gut. Wir können aber die Küchenabteilung auslassen. Da brauche ich tatsächlich nichts.«
»Okay«, krächze ich. Meine Stimme ist seltsam belegt.
»Na, dann. Auf in den Kampf!«

›Kampf‹ trifft es ganz gut, wenn man zwischen den ganzen Menschen, herumspielenden und kreischenden Kindern, streitenden oder frisch verliebten Paaren hindurchmanövrieren muss.
»Meine Güte! Gibt es hier irgendwas umsonst?«, fragt Adrian ungläubig, als die Menschenmassen immer mehr werden.
»Nur schlechte Laune«, antworte ich halb im Ernst.
Wohn- und Arbeitszimmer haben wir schon geschafft. Durch die Küche sind wir durchgelaufen, abkürzen geht in Spandau leider nicht, und jetzt haben wir uns gerade alle Esstische angesehen.
»Ich denke, ich nehme den hier. Den kann man ausziehen und das Holz gefällt mir«, erklärt Adrian. Mein Enthusiasmus hat sich offenbar ins Småland verabschiedet. Zumindest ist er momentan nicht hier. Ich schreibe lediglich auf, wie das Teil heißt, und wo wir das unten finden.
»Und diese Stühle«, deutet er auf die Sorte, die ich auch habe.
»Hm«, nicke ich. »Dann mal ins Schlafzimmer.«
Doch Adrian nimmt meinen Arm und zieht mich woanders lang. »Ich weiß was Besseres«, grinst er. Halbherzig versuche ich, mich los zu machen und bleibe überrascht vor dem Restaurant stehen.
»Äh...«
»Du brauchst jetzt Koffein und Zucker«, beschließt er und packt kurzerhand zwei Stücke Schokoladenkuchen und zwei Tassen auf ein Tablett.
Ich seufze und verkneife mir das Argument, dass so alles noch viel länger dauern wird.

Nachdem ich den Kuchen regelrecht verschlungen habe, muss ich zugeben, dass die Idee gar nicht mal so übel war. Adrian grinst mich wissend an.
»Besser?«
»Hm«, brumme ich. Ich mag es nicht, so durchschaubar zu sein. Ja, das sagt der mit den Plänen, ich weiß.
»Ich habe allmählich auch keine Lust mehr, aber lass uns wenigstens noch bei den Betten vorbei schauen, ja?«
»Wie? Schläfst du momentan auf dem Fußboden oder was?«, witzle ich, langsam wieder besser gelaunt.
»Wäre vermutlich sogar klüger für meinen Rücken. Ne, auf meiner Couch.«
Das unbequeme Ding?
»Ja, guck mich nicht so an. Ich hab nicht allzu viel von Lars mitgenommen. Wollte nicht zu viel schleppen.«
Ich nicke. »Okay. Dann lass uns mal Probe liegen.«

»Wie breit soll es denn sein?« Vielleicht können wir so die Auswahl ein wenig einschränken.
»Weiß nicht. Einssechszig würde ich sagen. Größer passt nicht in mein Schlafzimmer und schmaler find ich blöd, wenn man zu zweit drin liegt.«
Ich schlucke und zwinge mich, woanders hin zu sehen. Er geht also davon aus, häufiger Besuch zu haben, der über Nacht bleibt?
»Das ist doch ganz hübsch«, lässt er sich auf eines der Betten fallen. Wohlig brummend streckt er sich und hält sich an den Stäben am Kopfende fest. Ob er wohl auf so etwas steht? Fesseln, Augen verbinden...
»Was sagst du?«, holt er mich aus meinem Kopfkino.
»Hm, ja. Sieht gut aus.«
Adrian nickt. »Das da finde ich aber auch nicht schlecht.« Schnell liegt er auf dem nächsten Bett, das völlig schlicht ist. Keine Bettpfosten, dafür ein Adrian, der sich auf den Bauch legt. Wieder streckt er sich und gibt dabei den Blick auf einen recht breiten Streifen Haut seines Rückens frei. Man kann einen Teil einer Tätowierung sehen. Kein Arschgeweih, vielmehr scheint es von einem der Schulterblätter auszugehen. Filigrane Linien. Sehr hübsch, so weit ich das sehen kann. Wenn das T-Shirt nur noch ein Stück höher rutschen würde...
»Ich glaub, das andere war besser.« Erneut steht er am anderen Bett, bückt sich, um drunter zu schauen. Will der mich umbringen? Der hat doch absichtlich diese Hose angezogen! Die ist so eng, spannt sich jetzt noch mehr um seinen Hintern und wieder sieht man ein paar verschlungene Linien hervorblitzen.
Ich merke, wie ich zu schwitzen beginne. Dank der Klimatisierung hier drin, kann ich das nicht einmal dem Sommer anlasten.
Was zur Hölle ist mit mir los? Okay, ich bin nicht so vermessen, zu behaupten, die Antwort nicht zu wissen. Aber sie zu kennen und sie kennen zu wollen sind unterschiedliche Dinge.
Ich meine: Hallo? Adrian ist ein Kerl und ich werde meinem Grundsatz treu bleiben, nie etwas mit einem Kerl anzufangen. Das bin ich meiner Familie schuldig. Außerdem, wer sagt mir denn, dass er ähnlich fühlt? Im Grunde kann ich mir die Antwort selbst geben, denn er war es schließlich, der mit Schleimi verschwunden ist.
Noch einmal atme ich tief durch. Okay, also weiter im Programm. Und nachher frage ich Sonja nach Biancas Nummer.

Es ist das Fesselbett geworden. Bei der Auswahl der richtigen Matratze sollte ich ebenfalls helfen, wobei er das Argument, dass schließlich er darauf schlafen müsse und nicht ich, nicht hat gelten lassen.
Die größte Herausforderung war die Markthalle gewesen. Wer hätte gedacht, dass ein Mann schlimmer als Sonja sein kann? Da wurde hier geguckt und da überlegt, ob sich die Vase/Decke/Kunstblume/whatever als Deko eignet. Ich wurde auch schon von den anderen Ehemännern stumm in den Kreis der Leidenden aufgenommen, so wie ich mit einem gequälten Lächeln wissend angesehen wurde.
Hatte er nicht vorher behauptet, nicht lange Zeit in der Markthalle verbringen zu wollen? Offenbar definieren wir ›nicht lange‹ ein wenig unterschiedlich.

Wir haben uns darauf beschränkt, das Bett aufzubauen und den Rest auf später verschoben.
»Du hast ernsthaft über einem Monat auf diesem Ding geschlafen?«, frage ich, ein wenig auf der Sitzfläche wippend. Das Sofa hat sicher schon bessere Zeiten gesehen. Adrian zuckt nur mit den Schultern, während mir bereits vom Gedanken daran der Rücken schmerzt.

»Also, was soll ich tun?«
Adrian deutet auf den Schrank mit seinen Töpfen. »Mach mal einen Liter Brühe fertig. Darin wird Reis gekocht.«
Die Zutaten stehen alle schon auf der Arbeitsplatte. Also: Wasser, das Glas mit der Brühe. »Einen Teelöffel auf einen viertel Liter Wasser.« Okay, das bekomme ich hin. »Wie viel Reis?«
»150 Gramm. Hab ich schon abgewogen.« Konzentriert kippe ich die Zutaten zusammen und stelle den Topf auf den Herd.
»Zwiebeln oder Möhren?«, stellt er mich vor die Wahl. Wir arbeiten Hand in Hand, als täten wir seit Jahren nichts anderes.

Als der Reis fertig ist, bekomme ich die Aufgabe, diesen mit den Möhren und Semmelbröseln zu vermengen. Als richtiger Mann mache ich so etwas natürlich mit den Händen, was Adrian kopfschüttelnd zur Kenntnis nimmt.
»Was gibt es überhaupt?«, wundere ich mich langsam über diese obskure Mischung, die es vorzieht, an meinen Fingern zu kleben, statt eine einheitliche Masse zu bilden.
Adrian schmunzelt mich an. »Gemüsefrikadellen.«
Ein ordentliches Steak wäre mir nach der ganzen Schufterei eigentlich lieber. Dabei fällt mir etwas ein:
»Ähm ... sag mal, bist du Vegetarier?« Wenn ich so darüber nachdenke, habe ich ihn noch nie Fleisch essen sehen.
»Was dagegen?« Er klingt amüsiert.
»Ne, hat mich nur gewundert. Also, ja?«
»Ja«, bestätigt er knapp. »Und bevor du fragst: Ich bin es nicht, weil mir die armen Tiere so leid tun, sondern weil es mir einfach nicht schmeckt. Wenn es sein muss, esse ich es schon mit. Da mach ich dann keinen Aufstand, aber wenn ich es mir aussuchen kann, lebe ich lieber ohne.«
Jedem das seine. »Oh, je!«, seufze ich gespielt theatralisch. »Schwul und Vegetarier.«
Grinsend schubst er mich von der Seite an. »Na, warte! Ich zeig dir mal, was so eine doppelte Randgruppe alles kann!« Im nächsten Moment kitzelt er mich brutal durch und ich kann mich nicht wehren, weil meine Finger völlig verklebt sind.
»Hör auf!«, lache ich, doch das spornt ihn nur noch mehr an. »Ich ... ah ... ich warne dich!« Die Drohung scheint nicht bei ihm anzukommen. Kurzerhand beschließe ich, dass es seine eigene Schuld ist, und kitzle ihn meinerseits und verteile dabei die klebrige Masse aus Reis, Möhren und Semmelbröseln auf seinem T-Shirt.
»Ey!« Lachend rennt er in den Flur, versucht aber nicht ernsthaft vor mir zu fliehen. Ist ja auch kaum möglich. Im Wohnzimmer in der Ecke muss er sich geschlagen geben. Kapitulierend hält er seine Hände hoch. »Gnade!«, lacht er, während ich immer noch seine Seiten reize. Inzwischen bin ich auf seiner nackten Haut angelangt, was deutlich effektiver ist.

Adrian lacht mit einem Mal nicht mehr, atmet dafür durchaus heftig. Als ich ihn ansehe, ist da etwas in seinem Blick, das mich vergessen lässt, ihn weiter zu kitzeln.
»Du hast gewonnen«, flüstert er. »Was möchtest du als Preis?«
Ich starre ihn an, auf seine Lippen. Nein, nein, nein! Ganz blöde Idee! Aber wie es wohl wäre? Nein, ich werde das nicht tun, auch nicht, wenn er sich über die Lippen leckt und sein Mund leicht geöffnet ist, weil er von der Anstrengung immer noch heftiger atmet.
Streichelt er meine Hand? Fühlt es sich wirklich so gut an? Ich kann meinen inneren Kampf fast hören: ›Tu’s! - Nein, bist du vollkommen durchgedreht? Du setzt alles aufs Spiel! - Es muss doch niemand erfahren. - Ich werde das nicht tun!‹

Mit einem Ruck reiße ich meine Hände los.
»Ähm, du lädst mich heute Abend ein und ich suche die Location aus«, erwidere ich schließlich.
»Das sind zwar zwei Dinge, aber ich will mal nicht so sein.«
Bianca! Ich brauche dringend ein Date mit dieser Unbekannten.


Okay, die Gemüsefrikadellen waren wirklich gut. Dennoch möchte ich ungern auf ein ordentliches Stück Fleisch verzichten müssen.
Die Abendgestaltung liegt ja nun in meiner Hand. Ruhiger dieses Mal; ohne Tanzfläche. Die Bar ist relativ klein und unscheinbar von außen. Das Schild an der Tür, dass nur Personen über 18 Zutritt erhalten, ließ Adrian mich fragend ansehen, gesagt hat er nichts. Wir haben Glück, dass wir noch zwei Plätze in der hinteren Ecke bekommen. Ich mag das Ambiente hier, wenn ich auch erst einmal da war. Die Auswahl ist riesig.
Der Barkeeper kommt mit zwei Gläsern Wasser. »Möchtet ihr etwas bestellen?«
»Ähm, ja. Was ...?«, fängt Adrian an, doch ich unterbreche ihn. »Für den Anfang nehmen wir zwei ›Glenmorangie‹
Der Typ lächelt und nickt, wirft einen kurzen Seitenblick auf Adrian. »›Original‹ oder lieber den ›Quinta Ruban‹? Der ist für Anfänger immer sehr empfehlenswert.«
Ich überlege einen Moment. »Der ist in Portweinfässern nachgereift, oder? Ich glaube, der ist mir zu süß. Habt ihr den ›Signet‹ da?«
Der Barkeeper lächelt wissend. »Gerne.«
Adrian schaut mich ungläubig an. »Ich habe noch nie erlebt, dass sich zwei Menschen in meiner Sprache unterhalten und ich dennoch kein Wort verstehe. Was hast du bestellt? Und warum darf ich nicht erst in die Karte schauen?«
Ich lehne mich zurück. »Weil es keine Karte gibt. Hast du das Regal über der Bar beim Reinkommen gesehen?« Er nickt. »Das ist die Karte, sozusagen. Oder zumindest ein kleiner Teil davon. Im Keller haben die noch mehr.«
Adrian schüttelt amüsiert den Kopf. »Letzte Woche wolltest du mir noch weismachen, dass du nie weggehst und jetzt?«
»Ich war auch erst einmal hier. Da wollten Holger und ich ins Kino und mussten noch Zeit überbrücken. War eher Zufall.«
Unsere Getränke kommen. »Lasst es euch schmecken.« Ich nicke dem Barkeeper zu.
»Vorsicht!«, erkläre ich Adrian. »Der erste Schluck ist immer etwas scharf.« Er riecht an seinem Glas und nippt vorsichtig dran.
»Huh!«
Ich tue es ihm gleich und bedeute ihm nach kurzer Zeit, noch einmal zu trinken. »Behalte den Schluck ein wenig im Mund; spiele mit der Zunge hin und her, damit alle Rezeptoren benetzt werden können, bevor du runterschluckst.«
Aufmerksam beobachte ich ihn. »Und?«, frage ich schließlich.
»Gefällt mir. Ist das etwa Whisky?«
»Ja, und zwar einer, der den Namen auch verdient.«
»Wow! Der schmeckt ganz anders, als ...«
»Als bei dem Typ letzte Woche?«, vervollständige ich seinen Satz, ohne mir die Mühe zu machen, den verächtlichen Tonfall zu unterdrücken. Adrian nickt. »Ähm, ja. Aber fehlt da nicht das Eis? Und was sind das für komische Gläser? Sehen aus wie Grappagläser.«
Ich muss unwillkürlich schmunzeln. »Du musst noch viel lernen. Erstens: In einen Whisky gehört kein Eis. Whisky trinkt man bei Zimmertemperatur oder leicht darunter. Kälte oder eben Eiswürfel führen dazu, dass man weniger schmeckt. Wenn man also meint, in einen Whisky Eis reingeben zu müssen, ist er so schlecht, dass man ihn erst gar nicht trinken sollte. Und die Gläser ...« Ich nehme meins wieder hoch und drehe es ein wenig. »... sind sogenannte ›Nosing-Gläser‹. Die Aromen können sich im bauchigen Teil entfalten und wenn man den Teil mit der Hand ein wenig anwärmt ...« Ich halte meine Hand darunter und zeige, was ich meine. »Dann kann man sie mit der Nase richtig gut wahrnehmen. Wichtig ist dabei: Es ist kein Wein. Das heißt, Whisky wird nicht geschwenkt. Sonst entweicht zu viel Alkohol und der überlagert schnell mal feinere Aromen.«
Adrian hebt beide Augenbrauen. »Du bist ja ein richtiger Fachmann.«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich mag halt Whisky.«

Er scheint es tatsächlich zu genießen. Jeden Schluck trinkt er beinahe andächtig.
»Olli?«, fragt er vorsichtig.
»Hm?«
»Ähm, mir liegt da schon seit einer Woche etwas auf dem Herzen, aber ich wollte nicht zwischen Tür und Angel mit dir reden.«
»Noch ein Outing?«, versuche ich die Situation aufzulockern, doch er schüttelt nur den Kopf.
»Wegen letztem Samstag, ich ...« Ich winke ab. Von dem Thema will ich nichts mehr hören.
»Nein, bitte. Ich möchte das los werden. Es tut mir leid, dass ich dich da allein gelassen hab. Wir wollten zusammen weggehen und ich hab nichts Besseres zu tun, als ...« Er holt einmal tief Luft. »Das war nicht in Ordnung.«
Ich zucke mit den Schultern. »Jeder hat halt Bedürfnisse und jeder lebt sie anders aus.«
»Nein. Ich mache so etwas sonst nicht. Ich ... es war nur so eine komische Situation und die Anspannung ... Es war einfach eine Kurzschlussreaktion.«
»Adrian, das ist in Ordnung. Gut, ich hätte vielleicht schon gerne vorher gewusst, worauf ich mich einlasse, aber ich hab’s ja überlebt. Dass mich gleich irgendwelche Kerle anspringen, konntest du schließlich auch nicht ahnen. Nur sag mir nächstes Mal vorher Bescheid, dass es eine Schwulenbar ist, okay? Dann kann ich mich darauf einstellen.«
»Versprochen.«
»Gut. Dann lass uns die Sache vergessen und den Abend genießen«, schlage ich vor.

»Sag mal, wie ist das eigentlich, wenn man mit dem eigenen Onkel zusammenarbeitet?«, fragt er mich irgendwann. »Ich kann mir das so gar nicht vorstellen.«
»Ach, das hat sich so ergeben. Wir waren ja schon immer sehr eng. Ich meine, nachdem meine Eltern damals gestorben sind, hatte ich ja nur noch ihn und meine Oma.«
»Ich erinnere mich. Die Schule hatte damals sogar eine Gedenkminute abgehalten. Das hast du gar nicht mitbekommen, oder?«
Mein überraschter Blick ist wohl Antwort genug. »Dass du das noch weißt«, flüstere ich. Wir kannten uns doch gar nicht.
»Ich ... ähm, hab eben ein gutes Gedächtnis.«
»Trotzdem. Die meisten erinnern sich bestimmt nicht mehr daran oder wessen Eltern das waren.«
Adrian presst die Lippen aufeinander, sagt aber nichts weiter.
»Was ist eigentlich mit deinen Eltern?«, frage ich, um die Stille zu durchbrechen.
Zur Antwort bekomme ich nur ein Schulterzucken.
»Ah, wird Zeit, dass sich da mal wieder jemand meldet, was?«, scherze ich.
»Ich werd’ mich hüten«, antwortet er gepresst und starrt mich an. Oh, oh! Da bin ich wohl mit Anlauf in ein Fettnäpfchen gesprungen.
Adrian seufzt. »Sie wollen keinen Kontakt mehr.« In einem Zug kipt er den restlichen Whisky herunter, was mir ein wenig leidtut um den guten Tropfen.
Er lacht trocken auf, bevor er erklärt: »Okay, das war die harmlose Variante. Als ich einen Studienplatz hatte, habe ich ihnen gestanden, dass ich schwul bin. Das passte wohl nicht zu dem, was sie von ihrem Sohn erwarteten.« Seufzend streicht er sich durch die Haare.
»Nachdem ich ihnen klar machen konnte, dass es kein Scherz ist und auch keine der immer so gern erhofften Phasen, fing meine Mutter zu weinen an. Mein Vater verpasste mir eine Ohrfeige und meinte im nächsten Augenblick, dass er jetzt keinen Sohn mehr hätte. Ich solle mir nicht einbilden, irgendwann wieder angekrochen kommen zu können, wenn ich mich wieder beruhigt hätte. Wir haben uns noch eine Zeit lang angeschrien, meine Mutter begann, erst sich und dann mir Vorwürfe zu machen und eine Stunde später haben sie mich mit einem Koffer und ohne Geld vor die Tür gesetzt. Ende der Geschichte.«
»Adrian«, ist das Einzige, was leise über meine Lippen kommt. Meine Hand legt sich von selbst auf seine, was ihn zumindest ein bisschen lächeln lässt. Zwar etwas gequält, aber immerhin.
»Ist schon okay. Das ist jetzt zehn Jahre her. Ich hab’s allein geschafft und darauf bin ich ziemlich stolz.«
»Das kannst du auch sein.« Wenn ich bedenke, ich hätte mich im Studium komplett alleine durchschlagen müssen ...
»Danke.« Jetzt lächelt er tatsächlich richtig und ich fühle mich erneut bestätigt, dass die Entscheidung, mich nicht zu outen, die richtige war. Mein Onkel würde vermutlich noch schlimmer reagieren.

»Ich glaub, am meisten hat ihnen zu schaffen gemacht, dass ich, als einziges Kind, keine Erben beibringen werde. Meine Eltern lieben Kinder, nur war es schon schwer genug gewesen, mich zu bekommen. Meine Mutter durfte aus gesundheitlichen Gründen nach mir nicht mehr schwanger werden und eine Adoption kam für sie nicht infrage. Also, haben sie wohl alle Hoffnung in mich gesetzt, dass ich ihnen eine Fußballmannschaft Enkel produziere.«
»Aber man kann doch als Eltern nicht über das Leben der Kinder bestimmen wollen. Die müssen ihren eigenen Plan entwickeln.«
Adrian legt den Kopf schief. »Klingt so, als wüsstest du schon genau, wie dein Leben verlaufen soll.«
»Naja, nicht hundert prozentig konkret, aber im Großen und Ganzen«, bleibe ich vage.
»Erzähl.«
»Ähm, naja, ich möchte eine nette Frau kennenlernen, Kinder. Am besten zwei. Vielleicht auch drei. Meine Kinder sollen jegliche mögliche Förderung erhalten, ohne überfordert zu werden. Sie sollen dabei auch Kinder sein dürfen. Ein kleines Haus im Grünen. In ein paar Jahren übernehme ich die Praxis meines Onkels und dann wollen Holger und ich uns zusammen tun. Ich als Zahnarzt und er als Oralchirurg. Ich würde mich gerne spezialisieren auf Kinder und Angstpatienten.«
»Wow! Das nennst du ›nicht konkret‹
»Nun, ja. Mir fehlt noch die richtige Frau. Ich dachte, sie in Janina gefunden zu haben. Nun, gut. Muss ich eben umdisponieren.«
Grinsend schüttelt er den Kopf. »Meinst du nicht, dass du dir selbst im Weg stehst, wenn du solch starre Pläne verfolgst? Was ist mit den überraschenden Wendungen des Lebens? Es gibt so viel Schönes links und rechts vom Hauptweg und manche Abzweigungen können sich auch als viel spannender und sinnvoller erweisen.«
»Mag sein. Ich bleibe lieber dabei, dann habe ich zumindest die Sicherheit, einen Teil meines Lebens selbst in der Hand zu haben.«
»Das glaubst du wirklich, nicht wahr?«
Ich weiß nicht so recht, worauf er hinaus will.
»Oliver, das meiste im Leben lässt sich nicht planen. Du bestimmst vielleicht, ob du heute die blaue oder die schwarze Jeans anziehst. Du kannst Termine machen, aber jeden einzelnen Tag passiert so viel Unvorhergesehenes. Das ist doch das Schöne.«
»Schön?« Hört sich für mich eher nach einer Horrorvorstellung an.
Adrian nickt bekräftigend. »Ja, das heißt nicht, dass man nur in den Tag hinein lebt und gar nichts macht, weil man auf den Zufall wartet. Aber du wirst ja schon nervös, wenn Holger sich Montag Mittag verspätet.«
Ich schlucke. Bin ich tatsächlich so unflexibel?
»Versteh mich nicht falsch, Olli. Ich finde ein gewisses Grundmaß an Organisation durchaus gut. Hätte ich auch gerne stärker. Ich bin zwar kein totaler Chaot, aber gemessen an deinen Maßstäben, wohl schon auf dem besten Weg dahin. Man darf sich aber nicht selbst die Sicht auf die Möglichkeiten versperren. Pläne können schließlich geändert werden.«
»Geändert?«
»Den jeweiligen Situationen angepasst. So, wie es bei kleinen Dingen geht, wenn man zum Beispiel nicht den Rasen mäht, weil es gerade regnet und es aber auf dem Plan steht, sondern stattdessen - keine Ahnung - Staub wischt. Blödes Beispiel, ich weiß. Aber so, wie man Pläne für so etwas ändern kann, geht es auch mit den größeren Dingen.«
Ich schlucke und starre Adrian an. Ich fühle mich, wie in einen Strudel gezogen. Unsere Hände, die immer noch beieinander liegen, machen die Situation nicht besser. Adrians Daumen, der mich völlig selbstverständlich nebenbei streichelt noch weniger.
Pläne ändern? Einfach so? Okay, nicht einfach so, dennoch: Gibt es diese Option wirklich?
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