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Planänderung

Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P18 / MaleSlash
30.07.2014
25.12.2014
31
103.814
116
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
2 Reviews
 
30.07.2014 3.347
 
Hallo ihr Lieben!

Eigentlich war für heute kein neues Kapitel geplant. Aber weil die liebe Ehlena Geburtstag hat, gibt es bereits heute Kapitel 2 (was eigentlich für Mittwoch geplant war).
Ich wünsche euch viel Spaß und noch ein schönes Restwochenende!

Eure Sitala

P.S.: Keine Angst, es wird nicht jedes Mal ein Vorwort von mir geben ;-)









II


von Geschenken und unterdrückten Gefühlen



Ich bin froh, als ich am Abend endlich die Tür hinter mir schließen kann. Petra hat mich natürlich auch noch einmal aufgehalten, aber sie hat mir heute echt geholfen. Da sollte ich wohl nicht so sein.
Dennoch freue ich mich über die Ruhe jetzt und auf mein Essen vom Japaner.
Endlich wieder der gewohnte Abendablauf! Computer hochfahren und essen. Das Telefon hindert mich nur leider. Der Gedanke, es einfach klingeln zu lassen hält nicht lange. Schließlich könnte es auch Oma sein. Grundsätzlich ist sie zwar fit, aber jünger wird sie auch nicht, wie sie selbst immer gerne betont.
Sie ist es nicht.
»Hallo Sonja!«, begrüße ich meine beste Freundin kauend.
»Hey, Großer! Guten Appetit!«, lacht sie. Ich mag ihre unkomplizierte Art. »Und? Wie geht es dir? Gestern gut überstanden?«
Sonja war schon immer direkt. Eine Eigenschaft, die ihr nicht nur Freunde bereitet.
»Alles in Ordnung. Werd demnächst ein paar Möbel kaufen müssen.«
Ich öffne mein E-Mail-Programm: nur Spam oder andere unnütze Mails.
»Soll ich mitkommen? Oh, ich war schon so lang nicht mehr bei IKEA«, schwärmt sie.
»Äh... Danke, aber das dauert noch etwas. Hab grad nicht all zu viel Zeit.«
Ich beneide ihren Mann keinesfalls, wenn ich daran denke, wie sie, wie wohl alle Frauen, Stunden in der Markthalle des schwedischen Möbelhauses vertrödeln kann.
»Oh, schade! Was liegt denn an?«
Ich kratze die Reste der gebratenen Nudeln aus der Thermobox. »Ach, meine Oma wollte den Garten fertig bekommen. Das bedeutet, dass ich die kommenden Wochenenden in Klein-Kuhdorf verbringen werde.«
»Ey! Nichts gegen unseren Heimatort!«, empört sie sich wenig aufrichtig. Diese Heimatverbundenheit hat sich mir nie erschlossen. Die Anonymität der Großstadt ist mir bedeutend lieber. In dem Dorf, wenn man eine Ansammlung von einer Handvoll Häusern und, ich glaube, aktuell 146 Einwohnern denn schon als Dorf bezeichnen kann, kennt einfach jeder jeden. Auch, wenn wir offiziell ein Gemeindeteil einer größeren Ortschaft sind, sieht sich der Ort doch eigenständig.

»Okay. Das heißt, du hast am Wochenende keine Zeit, zum Grillen vorbei zu kommen?«

Beim Öffnen der Seite des Schreibforums poppt sofort eine neue Nachricht auf und ich kann das Grinsen nicht unterdrücken. Rudi ist wieder da und hat mich nicht vergessen!

»Erde an Olli!?«
»Oh, ähm, sorry. Was meintest du?«

Rudi: ›Hey! Entschuldige, dass ich mich so lange nicht gemeldet hab. Internetprobleme und viel zu tun auf der Arbeit. Hast du mich vermisst?‹

Die Nachricht hat er vor etwa einer Stunde geschickt und er ist online. In mir beginnt es, zu kribbeln. Das alles hat den Charme des Verbotenen. Vor allem, wenn ich gleichzeitig mit Sonja telefoniere.

»Ich hatte gefragt, ob du keine Zeit zum Grillen hast am Wochenende.«
»Ne, wohl nicht.«

Ich überlege kurz, bevor ich ihm antworte:

Lasse: ›Jede Sekunde. Hab mir schon Sorgen gemacht. So stressig grad?‹

Lasse ist mein Nickname, was man sich vermutlich bereits denken kann.

»Okay. Aber sag Bescheid, wenn du Ablenkung brauchst, ja?«
»Hm.«

Rudi: ›Hm, hatten nen heftigen Fall. Kleiner Junge, der bei einem Autounfall verletzt wurde.‹

Lasse: ›Schlimm?‹

Rudi: ›Wie man’s nimmt. Querschnittsgelähmt. Dafür hat er überlebt. Im Gegensatz zu seiner Mutter und Großmutter.‹

»He! Bist du schon eingeschlafen?«, reißt mich Sonja aus meinem Chat. Ups, die ist ja auch noch da...
»Oh, sorry! Ist grad nur alles sehr stressig. Meinem Onkel geht's momentan nicht so gut. Bin ziemlich erledigt.« Das ist im Grunde nicht mal gelogen. Dennoch ziehe ich einen Chat mit Rudi jederzeit dem Schlaf vor.

Lasse: ›Wow! Das ist bestimmt nicht nett anzusehen. Wie kommst du denn mit solchen Fällen klar?‹

Ehrlich, ich bin froh über die Wahl meiner Fachrichtung. Und nein, ich bin kein Sadist von Haus aus, auch wenn das Zahnärzten gern unterstellt wird. Zwar geht es bei uns vereinzelt auch blutig zu, aber alles in allem bedeutend deutlich harmloser, als bei ihm, möchte ich schätzen.

»Okay, Großer! Dann schlaf gut! Und vergrab dich nicht so sehr!«
»Ja. Nein. Tschüss«, erwidere ich eher mechanisch.

Rudi: ›Naja, grundsätzlich kann ich solche Dinge ganz gut von mir fern halten. Nur dieses Mal will es mir offenbar nicht so gut gelingen. Bin ja auch nicht aus Stein. Aber lass uns über etwas anderes reden. Was sagst du zu meinem neuen Kapitel? Sei ehrlich...‹

Ich schmunzle, als ich die Antwort tippe. Rudi ist so dermaßen unsicher. Dabei hab ich selten Besseres gelesen. Er schreibt drei Sätze und man ist voll im Geschehen drin. Das ist mehr als Talent. Das ist Kunst und Leidenschaft in Reinform. Und ich bin sein sabbernder Groupie.

Lasse: ›Bin ich doch immer.‹

Rudi: ›Ich weiß. Ich bin mir nur nicht immer sicher, ob ich das gut finden soll...

Lasse: ›Doch das weißt du ;-) und ich frage mich ernsthaft, wo du immer deine Ideen hernimmst oder hast du das alles selbst erlebt?‹

Im Grunde sind es meist alltägliche Situationen. Zugespitzt, sicher, aber nicht unrealistisch.

Rudi: ›Äh, nein. Aber ich bin gut darin, Dinge aufzuschnappen.‹

Lasse: ›Ich frage mich nur, warum deine Texte immer so düster sind.‹

Rudi: ›Düster?‹

Lasse: ›Ja. So hoffnungslos. Depressiv.‹

Rudi: ›Oh, ist mir gar nicht aufgefallen. Wird wieder besser, versprochen.‹

Lasse: ›Aber nur, wenn es passt. Dieses Melancholische passt zum Protagonisten.‹

Rudi: ›Ja? Eigentlich sollte der lebenslustig werden...

Lasse: ›Hm, da hatte wohl wer andere Pläne.‹

Rudi: ›Sieht so aus. Aber mir kommt gerade eine geniale Idee. Okay, bin dann mal weg. Idee aufschreiben. Nicht vergessen, mir nachher noch deine Meinung mitzuteilen.‹

Lasse: ›Wie könnte ich? Viel Spaß.‹

Grinsend schalte ich den Computer aus.
Hätte mir jemand heute Morgen oder noch heute Mittag gesagt, dass der Tag doch noch ganz gut wird, den hätte ich vermutlich mit einem Blick getötet. Aber so gesehen ist doch alles wieder in Ordnung: Wasser, Türschloss, Rudi ist wieder da und mit meinem Onkel hab ich auch geredet.
Beim Anblick seines Lieblingskuchens ist, hat er mich betreten angesehen. Ich habe meinen Onkel noch nie verlegen erlebt, glaube ich.
»So schlimm?«, hatte er gefragt und geseufzt.
Er hat sich zwar gewunden und was wirklich los war, wollte er mir nicht sagen. Nur, dass wir uns bald zusammensetzen sollten. Wegen der Praxis. Ich frage mich, was genau er meint. Finanzielle Probleme können es nicht sein. Ich habe genau so den Überblick über die Finanzen, wie er. Um nicht zu sagen, ich kümmere mich um alle Geldangelegenheiten.
Die Übernahme ist auch erst in ein paar Jahren geplant. Ob er irgendwelche Veränderungen plant? Noch jemanden Neues? Neue Gerätschaften?
Ich habe schließlich bereits häufiger angedeutet, dass man die eine oder andere Sache modernisieren könnte.
Nun, gut. Alles ist wieder in geordnete Bahnen gelenkt und ich kann unbesorgt zu meiner Routine zurückkehren. Ein befreiendes Gefühl.


»Ist hier noch frei?«
Ich muss nicht aufsehen, um zu sehen, dass es Adrian ist. Unser gemeinsames Mittagessen hat sich in den letzten drei Wochen zur Routine entwickelt und ich habe mich schon ein paar Mal dabei ertappt, nach ihm Ausschau zu halten.
»Findest du nicht auch, dass der Witz langsam echt abgelatscht ist?«
»Nö«, grinst er frech. »Außerdem hatte ich den Eindruck, du wärst ein Gewohnheitsmensch.«
»Hm, aber bei lahmen Witzen mache ich eine Ausnahme«, brumme ich.
»Das nennst du schon lahm? Oh, je. Dann erzähl ich dir wohl besser nie die ganzen anderen, die ich noch auf Lager habe.«
Ich grinse. Selbstironie gefällt mir.
»Ist heute nicht Holger-Tag
Ich schaue auf die Uhr. »Er kommt in etwa zehn Minuten.«
»Bei dir läuft wirklich alles nach Plan, oder?« Er klingt beeindruckt. Nicht belustigt, wie die meisten anderen Menschen. Holger und Sonja mit eingeschlossen.
Ich zucke mit den Schultern. »Nach Möglichkeit.« Ich begreife nicht, wie andere das nicht verstehen können. Schließlich ist man doch viel effizienter, wenn alles nach Plan verläuft. Außerdem ist es nervenschonender.

»Sieht man schon an deinem Essen. Ich beobachte jetzt schon seit drei Wochen, dass du jeden Tag diese komische Pampe isst. Das macht mir Sorgen.«
»Sorgen?«
»Du kannst mir nicht erzählen, dass du abends noch was Vernünftiges isst.«
»Ähm, kommt darauf an, was du als ›vernünftig‹ bezeichnest«, weiche ich aus. Ich habe gerade das Gefühl, mit Oma zu reden. ›Junge. Du musst dich besser ernähren. Iss doch wenigstens mal einen Apfel oder einen Salat.‹

»Essen, bei dem die Bestandteile noch erkennbar sind und dessen Nährstoffe nicht komplett zerkocht sind«, erklärt er und schiebt sich eine Gabel mit Salat in den Mund.
Seit Janina ausgezogen ist, ist mein Essensplan tatsächlich nicht mehr so ausgewogen.
»Wenn du dir solche Sorgen um meine Gesundheit machst, kannst du ja für mich kochen«, grinse ich und winke Holger, der bereits an der Kasse steht.
»Okay.«
Adrian sieht völlig unbeeindruckt aus, als ich ihn überrascht ansehe. »Äh, das war ein Scherz.«
»Schade eigentlich«, grinst er. Wie jetzt...?
»Hey Jungs! Alles klar?« Holger setzt sich neben mich und klaut mir als Erstes meine Cola.
»Ja«, antworte ich langgezogen, immer noch Adrian musternd. Der nickt Holger lediglich zu.
»Sicher?« Triumphierend wedelt Holger mit der Colaflasche vor meinem Gesicht herum. Auch so ein Ritual jeden Montag. Nur sonst halte ich ihn entweder davon ab oder motze ihn so lange an, bis er sie mir wieder zurückgibt. Ohne die Koffeindosis am Mittag, bin ich nachmittags einfach nicht arbeitsfähig und der Kaffee hier in der Kantine reiht sich geschmacklich in die restlichen Speisen und Getränke ein.

»Nimm ruhig«, erwidere ich beiläufig. Adrian schaut mich lange an, ohne mir die Möglichkeit zu geben, eine Emotion aus seinem Gesicht abzulesen.
»Ähm, komme ich ungelegen?« Nicht, dass Holger aufstehen würde, wenn dem denn so wäre; das nur mal so am Rande erwähnt.
»Wieso?«, frage ich abwesend. Hat Adrian mich gerade angezwinkert? Und warum rast mein Herz plötzlich? Jetzt lächelt er auch noch. Der kann doch nicht einfach lächeln!

Meine Hände schwitzen. Ich verstehe meinen Körper nicht mehr. Unauffällig versuche ich, sie an meiner Jeans zu trocknen. Adrians Blick klebt immer noch an mir. Warum schaut der mich die ganze Zeit an? Hab ich irgendetwas im Gesicht kleben?
»Ah, ich verstehe. Wer zuerst blinzelt, hat verloren, richtig?« Irgendwann sollte ich Holger mal erklären, dass es bei anderen nicht gut ankommt, wenn man mit vollem Mund spricht.
Adrians Grinsen wird breiter, mein Mund trockener. Ich bereue, Holger meine Cola überlassen zu haben.
Abrupt wendet Adrian den Blick ab und sieht zu Holger. »So etwas in der Art.«
Holger nickt. »Und? Wer hat gewonnen?«
»Ich glaube, das ist noch nicht entschieden.« Diesmal zwinkert er mich tatsächlich an.

Den gesamten Nachmittag frage ich mich, was das bedeuten sollte. Hat er etwa irgendetwas gemerkt? Aber das kann nicht sein. Niemand merkt etwas. Ich verhalte mich schließlich ganz normal. Gut, möglicherweise habe ich ihn in den vergangenen drei Wochen immer mal wieder beobachtet, wenn er es nicht gemerkt hat, denn er ist wirklich attraktiv. Ganz objektiv betrachtet natürlich. Und schöne Menschen schaut doch jeder gerne an, oder?
Sein morgendliches Jogging zahlt sich offenbar aus. Vielleicht sollte ich sein Angebot, ihn zu begleiten, doch mal annehmen. Andererseits überkommt mich das kalte Grauen, wenn ich daran denke, zwei Stunden früher aufzustehen, nur um durch die Gegend zu rennen. Ohne Frühstück; und noch viel schlimmer: ohne Kaffee.
Ne, ich glaube, da habe ich lieber ein Auge auf meine Ernährung und bleibe dabei, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Zumindest solange es nicht regnet. Oder schneit. Oder Temperaturen unter zehn Grad herrschen. Ja, ich bin nicht nur ein Warmduscher, sondern auch ein Schön-Wetter-Fahrer! Und das mit der Ernährung funktioniert bekanntermaßen auch nicht wirklich.

»Oliver?« Frau Ehrenreich steckt vorsichtig den Kopf durch die Tür. Unsere Sprechstundenhilfe. »Kann ich Ihnen den nächsten Patienten hereinschicken?«
Sie kennt mich schon gefühlt seit meiner Geburt, weshalb sie mich auch beim Vornamen nennt, während sie mich aber siezt. War nicht meine Idee. Sie bestand darauf, als ich vor drei Jahren hier anfing. War gewöhnungsbedürftig und fühlte sich wahrscheinlich ähnlich komisch an, wie wenn Kleinkinder ihre Kindergärtnerin mit »Du, Frau Müller« ansprechen. Aber man gewöhnt sich ja an alles.
Ich nicke und atme tief durch, um Adrian aus meinem Kopf zu verbannen.


Auch die nächsten Tage erfahre ich nicht, was er mit seinem Kommentar sagen wollte. Während er mit dem Thema nicht erneut anfängt, traue ich mich einfach nicht, nachzufragen. Dämlich, oder?
Ja, ich weiß. Aber ganz ehrlich: Er gefällt mir. Rein optisch auf jeden Fall, das ist vermutlich schon deutlich geworden. Doch auch sonst sind wir auf einer Wellenlänge. Spricht also nichts gegen eine Freundschaft, bis auf das Problem, dass ich schlecht darin bin, Freundschaften zu schließen und noch schlechter, sie auch zu halten. Der Umstand, dass ich die letzten paar Male, als ich mir, meist bei Rudis Geschichten, einen runtergeholt habe, an ihn gedacht habe, macht es auch nicht einfacher. Ist ja fast so, als würde ich mir auf Sonja oder Holger einen runterholen. Wuah! Ne, danke!
Ich wüsste auch nicht, wie ich noch eine weitere Person in meinen Wochenplan unterbringen sollte.

Dazu habe ich momentan ein anderes Problem, für welches ich jetzt noch etwa achtzehn Minuten Zeit habe. Dann ist die Mittagspause rum. Daher bin ich fast schon froh, dass Adrian heute nicht aufgetaucht ist.
Die unendlichen Weiten des Internets helfen dabei auch nicht wirklich. ›Endlich‹ wäre mir im Moment durchaus lieber.
Das ist doch alles nur Mist! Ich finde nichts Passendes und mein Essen wird immer kälter.
»Muss ja spannend sein«, werde ich aus meinen Überlegungen gerissen. Ich zucke zusammen.
»Adrian!? Was...?« Seit wann sitzt der denn hier?
»Du sahst so... vertieft aus. Da wollte ich dich nicht stören«, grinst er. Ich brumme lediglich zur Antwort und verfluche mein Herz, das bei seinem Anblick zu hüpfen beginnt und das nicht nur aus Schreck, wie ich mir gerne selbst weismachen würde. Das passt jetzt echt nicht. Sich in einen... Bekannten vergucken ist wohl mit das Dümmste, was man tun kann. Vor allem in meinem Fall. Denn mal abgesehen davon, dass Adrian sicher nicht auf Kerle steht, ist es mir unmöglich, mich jemals zu outen.
Natürlich leben wir in einer toleranten Zeit - zumindest toleranter als noch vor dreißig Jahren. Damals hätte bestimmt keine Drag-Queen mit Bart den Grand Prix gewonnen, geschweige denn überhaupt antreten können.
Dennoch würde meine Oma bei einem solchen Geständnis vermutlich einen Herzinfarkt bekommen. Davon, dass mein Onkel mich im besten Fall enterben würde und im schlimmsten Fall... - ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich kann mir alles vorstellen, von vollkommen ausrasten, obwohl er die friedliebendste Person ist, die ich kenne, bis hin zu sozialer Ächtung und Isolation, Ruinierung meines Rufs und meiner Person an sich. Hört sich übertrieben an? Möglich. Aber nur für Außenstehende, die Onkel Herbert nicht kennen.
Zwar wusste ich schon immer, dass er nicht die beste Meinung von Homosexuellen hat, aber seit dieser Sache mit dem Dentallabor bin ich noch vorsichtiger geworden. Wenn er schon bei Fremden so reagiert, wie dann bei seiner eigenen Familie? Dass es so weit reicht, wusste ich vorher nämlich nicht. Ebenso wenig, wie ich geahnt habe, dass er dermaßen unbelehrbar ist, dass es nicht ansteckend ist. Auch das Argument, dass ich schließlich auch auf Frauen stehe, würde er nicht gelten lassen. Jeder Mann, der auf Schwänze steht, ist widerwärtig, krank und abgrundtief schlecht. Unabhängig davon, ob man »nur« oder »auch« auf Männer steht.
Natürlich könnte ich sagen: Was interessiert mich die Meinung meines Onkels? Ja, mir geht es ganz gut und ich bin finanziell abgesichert und werde irgendwann eine florierende Praxis erben. Das möchte ich tatsächlich nicht aufgeben müssen, wäre aber sicher auch alleine lebensfähig.
Zu der Tatsache, dass mein Onkel aber durchaus gewissen Einfluss in allen möglichen Bereichen hat, kommt aber, dass ich ein Familienmensch bin und meine ganze Familie eben aus mir, Oma und Onkel Herbert besteht.
Ich verdanke den beiden mein Leben. Schließlich haben sie alles getan, um mich aufzunehmen und groß zu ziehen, als meine Eltern starben. Obwohl es ihnen damals auch alles andere als rosig ging. Das könnte ich ihnen nicht antun. Wie undankbar wäre ich denn? Nein, Outing ist keine Option. Männer damit auch nicht. Punkt.

»Na, du hast ja eine Laune heute«, lacht Adrian.
Ich schließe den Browser auf meinem Smartphone. Wird eh nicht besser. »Ich such nur händeringend ein Geschenk für Holger«, seufze ich.
»Oh! Geburtstag?«
Sein Strahlen löst eine gewisse Skepsis in mir aus.
»Hm. Der Dreißigste«, antworte ich vorsichtig.
»Uh-hu! Na, dann sollte es wohl etwas Besonderes sein.«
Ich brumme nur. Die Ideen im Internet sind echt nicht das Wahre.
»Was macht er denn gerne? Irgendwelche Hobbys?«
»Außer arbeiten?«, scherze ich. »Er liest viel, geht tanzen, ins Fitnessstudio. Ein Buchgutschein wäre vielleicht etwas...«, überlege ich.
»Buchgutschein? Oh, Mann!«
»Was denn?«
»Du kannst von Glück sagen, dass du jetzt mich hast: den weltbesten Geschenkefinder schlechthin.«
Skeptisch ziehe ich eine Augenbraue hoch.
»Naja, besser als ein Buchgutschein wird es allemal. Wie viel Zeit haben wir noch?«
»Ähm, Samstag in fünf Wochen«, rechne ich nach.
»Ach, so. Und dann bist du jetzt schon so hektisch?«
»Ich mag es eben, wenn die Dinge schnell erledigt sind. Ich schiebe solche Sachen ungern auf die lange Bank.«
Etwas amüsiert schüttelt Adrian den Kopf. »Wie auch immer. Vorschlag: Ich helfe dir mit dem Geschenk und du zeigst mir dafür am Samstag das Berliner Nachtleben.«
Ich schlucke. »Ähm..«
»Ach, so. Hast du schon etwas vor? Dann Freitag?«
»Nein, nein! Es ist nur...« Etwas aufwendig falte ich meine Serviette zusammen. »Ich glaube, ich bin dafür der Falsche.«
»Wieso denn? Ich will ja kein großartiges Unterhaltungsprogramm. Die letzten Wochen hab ich’s nur noch nicht geschafft. Bin immer nach Hamburg gependelt, um alles zu erledigen.« Er räuspert sich. »Du gehst hin, wo du immer hingehst und ich komm einfach mit.«
»Das ist das Problem«, gebe ich leise zu.
Ich weiß, dass ich auf die meisten Menschen langweilig wirke, aber gerade fühle ich mich auch so. Nur stört es mich sonst nicht.
»Privatclub
Wie man’s nimmt... »Genau. Bei mir kommst du nur mit der richtigen Losung rein«, versuche ich zu scherzen.
»Wie?« Sein Blick ist etwas ungläubig. »Du gehst nicht weg?«
Ich schüttle den Kopf. Super, jetzt schäme ich mich auch noch.
»Gar nicht?«
»Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Ich hab wohl in seinen Augen soeben den Preis ›Langweiler des Jahrhunderts‹ gewonnen.
»Warum? Ich meine, hast du Probleme mit Alkohol oder so?« Wenn er nicht so ernst schauen würde, würde ich lachen.
»Nein, ist halt nicht so mein Ding. Bin mehr der Stubenhocker. Ist mir meist zu laut, zu viele Leute«, zähle ich auf.
»Und deine Freunde?« Er lässt aber auch nicht locker.
»Holger geht jedes Wochenende weg, wenn er nicht arbeiten muss. Bei Sonja ist es weniger geworden, seit Maya da ist.«
»Sonja hat ein Kind?« Wow, kann Adrian strahlen!
»Äh, ja.«
»Schön.«
»Außerdem«, nehme ich das vorherige Thema wieder auf, »bin ich am Wochenende oft bei meiner Oma. Sie schafft das alles nicht mehr alleine, auch wenn sie es nie zugeben würde.«
»Wohnt sie auch noch in unserem alten Kaff?«
»Hm, ja.«
»Ich sag dir was.« Adrian legt wie selbstverständlich seine Hand auf meine. Eine einfache Geste, die so viele verschiedene Emotionen gleichzeitig auslöst: Schock, den Wunsch, meine Hand wegzuziehen, wohlige durchströmende Wärme, Hoffnung, dass diese Berührung nie wieder endet, Kribbeln mit direkter Verbindung zu meinem Herz und meinem Unterleib. Unwillkürlich spanne ich mich an, als ich merke, dass diese unbedachte Berührung tatsächlich eine gewisse Erregung in mir auslöst.
Vermutlich sehe ich gerade wie ein hirnloser, schwitzender, sabbernder Idiot aus, der in eine Schockstarre verfallen ist. Zumindest fühle ich mich so.
Adrian scheint das nicht zu merken, fährt stattdessen unbeeindruckt fort: »Samstag gehen wir beide shoppen. Wir werden das weltbeste Geschenk für Holger kaufen und weil du mir hinterher unendlich dankbar sein wirst, wünsche ich mir, dass wir abends weggehen. Wir entdecken Berlin einfach gemeinsam. Nicht zu lange - dann kannst du am Sonntag noch zu deiner Oma, wenn du möchtest. Einverstanden?«
Ich mache eine abwägende Kopfbewegung und nicke schließlich, denn er macht nicht den Eindruck, sich abwimmeln zu lassen.
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