90 Minuten
von Yvaine19
Kurzbeschreibung
90 Minuten - so lange dauert ein reguläres Fussballspiel. Und 90 Minuten können sehr lange sein, wenn auch bei den Zuschauern Deutsche und Amerikaner aufeinander treffen. Mir ist die Idee beim Spiel GER:USA gekommen und sie hat mich einfach nicht mehr losgelassen. Ich musste mir einfach vorstellen, dass Logan, Amelie, Dean und Saskia sich das Spiel zusammen anschauen. Es ist nur ein OS, aber ich hoffe, er gefällt euch trotzdem / Anhang zu "Flug ins Glück" (http://www.fanfiktion.de/s/50cf431f0002bf5406d01396/1/Flug-ins-Glueck)
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
29.06.2014
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3.871
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90 Minuten
„Mach dir keine Hoffnungen, Serientyp. Als ob ihr das Spiel gewinnt. Ihr habt doch keine Ahnung von Fußball.“ Saskias braune Augen blitzten mutwillig, ehe sie die Schuhe von den Füßen kickte, die Knie anzog und sich gemütlich in die Sofakissen drückte. „Eher gewinne ich 'America's Next Topmodel', als dass ihr unsere 11 besiegt!“
Dean verdrehte die Augen und rutschte dann neben Saskia auf unser Sofa.
„Wart's ab, Bavaria Girl, wart's ab. Du wirst gleich weinen, wenn wir das erste Tor schießen. Und beim zweiten Tor wirst du vor mir auf den Knien liegen und um Verzeihung bitten. Und beim dritten ...“
„Beim dritten springe ich von den Hollywood Buchstaben.“ Saskia fiel ihm – wie immer ins Wort und winkte ungeduldig ab. „Deal. Genau so machen wir es.“
Dean strich sich die blonden Haaren aus den Augen und legte dann den Arm um Saskia. Sie schmiegte sich an ihn und er gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. Ich war mittlerweile wirklich Profi darin, in ihrer Mimik und Gestik zu lesen und gerade hatte ich wieder das Kapitel 'frisch verliebt' vor mir. Erfahrungsgemäß würde dieses noch ca. 4 Wochen halten, wobei ich irgendwie auch das dumpfe Gefühl hatte, dass heute Abend ebenfalls nicht ganz unwichtig für den weiteren Beziehungsstatus sein könnte.
„Wo ist Amelie?“ Dean sah mich fragend an und wie immer, wenn ich auf sie angesprochen wurde, machte mein Herz einen winzig kleinen Hopser. Und ja, sogar jetzt noch, nach fast vier Jahren.
„Sie müsste jeden Augenblick runter kommen, sie hat L ins Bett gebracht.“
Ich hatte den Satz noch nicht ganz ausgesprochen, als Saskia auch schon neben mir stand.
„Sie ist noch wach? Warum sagt mir denn niemand was? Ich dachte, die kleine Quappe schläft schon lange? Sonst wäre ich doch rauf gegangen. Himmel, sie ist zum anbeißen, ich könnte sie auffressen, ich ...“ Noch während sie redete, stürmte sie zur Treppe und polterte die Stufen hinauf.
Dean rieb sich durch das Gesicht und hob dann fast entschuldigend die Achseln.
„Ja, na ja, du kennst sie ja.“
Jaaa, allerdings. Und ich konnte mich noch immer nicht wirklich daran gewöhnen. Obwohl man zu Saskias Ehre ja sagen musste, dass sie zwar noch immer redete wie ein Wasserfall – aber mittlerweile blieb sie fast immer im Englischen, es mischten sich nur noch ab und an ein paar deutsche Worte darunter. Ja, ich konnte es selbst nicht glauben.
Dean hatte ihr nachgeschaut und drehte mir nun wieder den Kopf zu. Wir hatten uns länger nicht mehr gesehen, teils, weil er nach der Beendigung des Colleges versuchte, seine Karriere voran zu treiben, und teils, weil Amelie und ich wirklich mit L absolut ausgelastet waren. Und hier muss ich leider zu meiner Schande sagen, dass das Meiste an Amelie hängen blieb, denn, nun, auch ich musste arbeiten und das auch nicht gerade wenig. Doch ich hatte Carly und meiner Mom eingetrichtert, dass meine Familie absoluten Vorrang hatte und ich würde auch nur Filmangebote annehmen, die dies akzeptieren würden. Und zum Glück hatte es bis jetzt auch noch keine Probleme gegeben.
Doch jetzt hatte ich endlich frei und diese Zeit würde ich mir auch nicht nehmen lassen. Mein nächster Film „Fury“ sollte erst im Herbst erscheinen und bis dahin blieb noch ein ganzer langer Sommer – und dieser gehörte uns dreien.
Okay, und Dean und Saskia, denn, nun, das WM-Spiel Deutschland gegen USA wollten wir uns nicht entgehen lassen.
Ich bin ehrlich: ich hatte keinen blassen Schimmer von Fußball – Dean auch nicht – aber das hier war alleine schon eine Sache der Ehre. Und daher lief heute zum allerersten Mal auf meinem Fernseher ein Fußballspiel. Verwunderlich? Nein, eigentlich nicht. Ich bin Amerikaner. Ich mag Basketball und Football, aber Fußball? Hm, nein, nicht wirklich. Aber wie gesagt, eine Frage der Ehre.
Dean blickte ebenfalls nachdenklich auf den Bildschirm.
„Ich hab keine Ahnung davon. Na ja, ich denke mal, ich werde schon erkennen, wenn ein Korb fällt, oder?“
„Tor, Dean. Beim Fußball fallen Tore.“
Mein bester Freund gab nur ein Schnaufen von sich und griff dann nach einer Dose Ale.
„Ich hab das dumpfe Gefühl, dass wir die beiden heute nicht mehr zu Gesicht kriegen, oder?“
„L schläft im Augenblick ungern ein. Sie hat die Augen überall und es ist schon wirklich eine Kunst, sie zum schlafen zu kriegen.“ Mein Blick wanderte zur Treppe und tatsächlich war leises Weinen zu hören. „Ich sehe mal nach ihr. Wir waren heute Nacht bestimmt vier Mal auf, weil die Kleine nicht schlafen wollte.“
Dean nickte nur und griff nach der Fernbedienung. Mit großen Schritten stieg ich die Treppe hinauf und trat dann vor die angelehnte Tür des Kinderzimmers. Leises Quäken mischte sich unter ebenso leises „Sssschhht“ und ein breites Lächeln zog über mein Gesicht, wie immer eigentlich, wenn ich die beiden ansah.
Meine Amelie. Sie saß im Schneidersitz im Schaukelstuhl und hielt L im Arm. Saskia hockte vor ihr auf dem Boden. L war jetzt schon zehn Monate alt und ich konnte nicht fassen, wie schnell doch die Zeit vergangen war. Es kam mir noch wie gestern vor, als sie geboren wurde und ich um Amelies Hand angehalten hatte. Und nächsten Monat würden wir heiraten. Heiraten. Unglaublich.
Amelie strich sich eine Haarsträhne aus den Augen und L krähte sie vergnügt an. Meine Tochter würde definitiv ein Nachtschwärmer werden, soviel stand fest. Sie streckte die kleinen Händchen in die Luft und umfing damit Amelies Finger, mit der sie ihr auf die Nase stupste. Ich hätte den Beiden stundenlang zusehen können.
„Du musst schlafen, Quappe“, murmelte Amelie leise auf Deutsch und beugte sich über sie. „Sonst bist du morgen müde.“ Sie gab ihr einen Kuss auf die Stirn und nahm sie dann auf. Sie legte sich die Kleine an die Schulter und massierte ihr sanft den Rücken.
'Kaulquappe' war unser Kosename für die Kleine. Wir waren relativ früh mit ihr zum Babyschwimmen gegangen und beim ersten Mal im Becken hatte sie ausgesehen wie eine kleine unbeholfene Kaulquappe – und dabei war es geblieben.
Saskia legte den Kopf schief und flüsterte:
„Was hat sie denn? Wieso schläft sie nicht?“
Amelie grinste.
„Sturkopf. Wie ihr Vater.“ Sie klopfte der Kleinen leicht auf den Po und stand dann auf.
„Sturkopf, hö?“ Leise betrat ich den Raum und mein Herz begann zu hämmern, als L mir den Kopf zudrehte und anfing zu strahlen. Sie hatte die dunkelblauen Augen behalten und auch ihre Haare waren fast schwarz geblieben. Sie fielen ihr in sanften Wellen um das kleine Gesicht und wann immer ich sie ansah, erkannte ich Amelie in ihr wieder. Sie war perfekt. „Hey, Kaulquappe, du sollst schlafen, hast du verstanden?“ Ich nahm sie Amelie ab, die dankbar die Arme ausschüttelte. Ja, sie hatte auch deutlich an Gewicht zugelegt.
L – ja, für mich blieb sie einfach immer L, ich glaube, ich habe sie noch nie Leni genannt – drückte ihr Köpfchen an meine Schulter und hatte die Augen weit aufgerissen. Vom Schlafen war sie weit entfernt.
Amelie seufzte und legte mir dann eine Hand auf den Arm.
„Sie hat dich vermisst.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. „Sie hat nicht gut geschlafen, während du in San Francisco warst.“
Zerknirscht wollte ich etwas erwidern, doch in dieser Sekunde platzte Dean ins Kinderzimmer – und wenn L geschlafen hätte, wäre sie jetzt definitiv wieder wach.
„Leute, in zehn Minuten ist Anstoß. Kommt ihr? Wir wollen doch nicht verpassen, wenn wir euch platt machen!“
Amelie sah ihn verdutzt an.
„Platt machen? Ihr wollt uns platt machen? Genau!“ Sie tippte sich vielsagend gegen die Stirn und drehte mir dann wieder den Kopf zu. „Was machen wir mit ihr, Laufbursche? Jetzt schläft sie sowieso nicht mehr.“
Damit hatte sie recht, denn nach Deans Auftritt war sie wirklich wach. Sie quietschte und gluckste an meiner Schulter, kugelte und wand sich wie eine Raupe und dachte wohl an alles mögliche – außer ans Schlafen. Ich zog sie nach vorne, hielt sie mir vors Gesicht und fragte leise:
„Magst du mit Fußball gucken, Quappe? Was hältst du davon? Sollen wir zusammen schauen, wie Mommy den süßen Hintern versohlt kriegt?“ Amelies entsetztes 'Laufbursche' überhörte ich jetzt einfach mal!
Sie sah mich mit großen Augen an und streckte mir die Händchen entgegen. Okay, das war wohl ein 'Ja'.
Das Klingeln an der Tür ließ uns zusammenfahren und Deans' „Oh, die Pizza“, wurde von einem lauten und freudigen Bellen unterbrochen. Und dann raste etwas Blondes an mir vorbei, was L ein lautes begeistertes Kreischen entlockte.
Ja, ich muss es zugeben. L war verliebt. Und das Schlimme war: ICH war nicht ihre Nummer 1. Nope. Ja, kleine Mädchen lieben ihre Väter. Haha, weit gefehlt. L war verliebt in ein blondes Fellknäuel, das sich jetzt schon seit fast zwei Wochen bei uns aufhielt.
Levon war Alex' Hund, die mittlerweile auch hier in Los Angeles lebte. Doch da sie im Augenblick einen Film in Australien drehte, hatten wir uns angeboten, den Hund während ihrer Abwesenheit zu sitten. Und das war so ziemlich das beste Geschenke, das wir unserer Kleinen machen konnten. Stundenlang saßen sich L und Levon gegenüber, stupsten sich mit Händchen und Pfote an, kugelten sich zusammen auf dem Boden herum und schliefen nebeneinander auf der Couch. Ich wusste jetzt schon, dass es L das Herz brach, wenn Alex ihr Haustier wieder abholen würde.
Dean hatte sich an mir vorbei geschoben und als wir jetzt ebenfalls die Treppe hinunter kamen, hatte er die diversen Pizzakartons bereits auf dem Wohnzimmertisch verteilt und kaute an einem Stück Brot herum. Wie hatte er das denn so schnell geschafft? Keine Ahnung.
„Leute, los.“ Ungeduldig winkte er Saskia neben sich und nahm sie in den Arm.
Ich ließ mich mit L in die andere Couchecke fallen und sofort saß Levon neben mir. Ganz vorsichtig stupste er L mit der Nase an und sie quietschte vor Freude.
„Lass sie runter, Laufbursche. Vielleicht wird sie dann müde.“ Amelie ließ sich neben mich sinken und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie sah erschöpft aus und ich drückte ihr schnell einen Kuss auf die Schläfe, ehe ich L auf den Boden setzte, wo sie sofort anfing, sich mit Levon hin und her zu kugeln.
Saskia griff nach einem Stück Pizza und blinzelte dann Richtung Bildschirm.
„Ami? Was glaubst du? 4:0 würde ich sagen, oder?“
Amelie grinste neben mir und nahm sich ebenfalls etwas zu essen.
„Nur 4:0? Nicht höher?“ Sie lehnte sich an mich und ihre weichen Haare kitzelten meinen Oberarm.
„Na, es ist am regnen, da sollen sie lieber kein Risiko eingehen. 4:0 ist ausreichend! Es zählt ja nachher auch das Torverhältnis und da liegen sie wirklich gut im Moment.“
Dean wechselte einen Blick mit mir und zog die Nase kraus. Doch aus mir unerfindlichen Gründen schwieg er tatsächlich. Vielleicht, damit Saskia nicht merkte, dass er so gar keine
Ahnung von Fußball hatte? Ich wusste es nicht.
Jetzt liefen die Spieler aufs Feld auf und Saskia hatte recht: es schüttete wie aus Eimern. Okay, dann doch lieber hier auf der Couch, Amelie im Arm neben mir und unsere kleine Kaulquappe vor uns auf dem Boden. Viel besser!
Amelie murmelte leise:
„Auf der Arbeit haben sie jetzt bestimmt wieder gewettet. Und irgendwer, von dem man es gar nicht erwartet hätte, führt.“
Ich zog sie noch ein wenig enger an mich und sie legte ihren Kopf an meine Brust. Ich wusste, dass es in den letzten Monaten nicht einfach für sie gewesen war. Zwar fühlte sie sich heimisch hier, aber manchmal hatte sie trotzdem Heimweh. Als ich in England für „Fury“ vor der Kamera gestanden habe, hatte sie eigentlich während dieser Zeit nach München fliegen wollen, doch L hatte unsere Pläne über den Haufen geworfen, denn sie konnte wegen einer starken Erkältung nicht fliegen. Fast eine Woche lang hatte sie Fieber, starken Husten und Schnupfen und Amelie war rund um die Uhr auf den Beinen gewesen. Meine Mom war bei ihr, hatte sie unterstützt und ihr geholfen, doch das Ganze war schon anstrengend und ermüdend für sie. Und ich saß in England und grämte mich, weil ich ihr nicht beistehen konnte.
„Motek, hey, sieh mich an“, bat ich ganz leise und sie hob verwundert den Kopf. Zärtlich gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn und sie lächelte. „Ich liebe dich.“
Sie reckte sich zu mir auf und erwiderte meinen Kuss. Und ganz leise flüsterte sie zurück:
„Ich liebe dich auch, Laufbursche.“
Der Anfang des Spieles war, nun, schleppend. Doch leider musste ich doch zugeben, dass, nun, das deutsche Team besser war als unseres. Und ich musste noch viel mehr leider zugeben, dass Amelie und Saskia alle Spieler kannten – ich hingeben, nun, keinen. Fehlender Nationalstolz? Ja, vielleicht. Aber wie gesagt, ich interessierte mich auch nicht wirklich dafür. Doch je mehr die Uhr Richtung Halbzeit tickte, je mehr die Deutschen gegen unser Tor vorrückten, umso unruhiger wurde ich dann doch.
Dean stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Saskia kommentierte jeden Spielzug auf die ihr eigene Art und Weise: laut, zusammenhanglos und mit vielen Worten. Und sie hatte definitiv mehr Ahnung als wir beide zusammen.
„Sas. Verrate mir mal, warum du dich so mit Fußball auskennst?“ Meine Neugierde ließ mir keine Ruhe mehr und sie drehte mir den Kopf zu.
„Hallo? Ich komme aus München. Mein Vater hat mich schon mit ins Stadion geschleift, als ich so groß wie die kleine Quappe war. Und da bleibt … aaaaaaah, das war ein Foul!“ Sie ballte die Faust und wütete gegen den Fernseher.
Amelie kicherte neben mir und setzte sich dann wieder auf, nachdem sie die letzten zehn Minuten in meinem Arm gedöst hatte. Sie schielte zum Bildschirm und dann zog ein breites Grinsen über ihre Gesicht.
„Oh, da, Sas, schau. Der ist doch ein Häschen, oder?“ Sie hatte es auf Deutsch gesagt, doch ich konnte mit Recht behaupten, dass ich darin mittlerweile wirklich viel besser geworden war. Sprich: Ich verstand mittlerweile fast komplette Gespräche und ich konnte irgendwie deuten, dass sie mit 'Häschen' jetzt nicht das Tier gemeint hat!
Ich zog die Stirn kraus und lauschte ihrem Gespräch bemüht heimlich weiter.
„Der da?“ Saskia beugte sich ein Stück nach vorne und nahm einen dunkelhaarigen Spieler in Augenschein. „Der Hummels? Ich weiß nicht? Götze ist doch viel goldiger.“
„Nein.“ Amelie lächelte breit. „Mats Hummels ist schon süß.“
„Macht ja nix. Hummels für dich, Götze für mich!“ Saskia lehnte sich wieder halb gegen Dean, der ihr ebenfalls überrascht zugehört hatte – ja, auch Dean hatte merklich Deutsch gelernt.
„Alter“, knurrte er in meine Richtung. „Machen sie das gerade direkt vor unserer Nase? Sie schmachten die Ballfutzis an?“
„Scheint so“, gab ich zurück und tatsächlich beugte sich auch Amelie weiter gen Fernseher, als der schwarzhaarige Spieler wieder eingeblendet wurde.
„Das gibt es doch nicht.“ Dean schien persönlich beleidigt zu sein, denn er nahm den Arm zurück und sah Saskia konsterniert von der Seite an – was sie jedoch noch nicht einmal bemerkte.
Amelie blickte jetzt konzentriert nach vorne, doch in diesem Augenblick pfiff der Schiedsrichter die erste Halbzeit ab. 0:0.
„Grund Gütiger. Das kann doch nicht sein.“ Saskia drehte sich zu Dean um, als wäre es ein persönlicher Affront gegen sie. „0:0, was soll denn das? Wir hätten euch schon in Grund und Boden stampfen müssen. Euer Team ist eine Gruppe von ungehobelten Typen. Ich warne dich, Serientyp. Wenn nochmal einer von euren Spielern einen von uns anfasst, dann …“ Sie ließ ihre Drohung unausgesprochen, doch ihre Augen blitzten wild.
Dean fiel vor Überraschung die Kinnlade nach unten und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu lachen. 'Eine Gruppe von ungehobelten Typen!' Dieser Satz aus Saskias Mund war wirklich Gold wert.
Seine Antwort bekam ich jedoch nicht mehr mit, denn etwas zupfte an meiner Jeans und dann quietschte L direkt vor mir. Sofort drehte ich ihr den Kopf zu und die Diskussionen zwischen Dean und Saskia waren vergessen. Entgeistert starrte ich meine Kleine an, die sich an meinem Hosenbein hochgezogen hatte und jetzt mit konzentriertem Blick vor mir stand, Levon als treuer Bodyguard schweifwedelnd neben ihr.
„Sie … sie …Motek, du liebe Güte, sieh nur!“
L strahlte mich schwer atmend an, dann begann sie jedoch zu schwanken und plumpste zurück auf ihren Po. Doch sofort rappelte sie sich wieder auf.
Amelie lächelte.
„Ja, sie hat fleißig geübt, während du weg warst. Sie hat es schon ein paar Mal geschafft, aber immer nur ganz kurz.“
„Warum hast du mir das nicht gesagt?“ Entsetzt starrte ich sie an und sie zwinkerte mir zu.
„Das sollte eine Überraschung werden. Und es hat ja funktioniert.“
Erneut zog sich L an meinem Hosenbein nach oben und sah mich dann fast triumphierend an.
„Daaaaaa“, piepste sie und mein Herz schlug hart gegen den Brustkorb.
„Hat sie gerade 'Daddy' gesagt?“
Saskia brummte neben mir:
„Klar. Natürlich. Ganz eindeutig.“ Sie beugte sich zu L und stupste ihr zart in die Seite. „Ihr erstes Wort wird definitiv 'Tante Saskia' sein, habe ich recht, Quappe?“
„Das sind zwei Wörter“, knurrte Dean säuerlich und schwang sich dann von der Couch.
„Was ist denn mit dir los?“ Saskia drehte ihm irritiert den Kopf zu und er funkelte sie wütend an.
„Was mit mir los ist? Spring doch in den Fernseher!“
Saskia zog die Augenbrauen nach oben.
„Hörst du dir gerade selber zu, Serientyp?“ Sie tippte sich gegen die Stirn und ich kannte Dean lange genug um zu wissen, was jetzt kommen würde.
„Hör auf damit! Du weißt, dass ich das zum Tod nicht ausstehen kann.“ Dean baute sich vor Saskia auf und stemmte die Hände in die Seiten.
„Gah?“ L klammerte sich bei dem plötzlichen lauten Tonfall an meinem Knie fest und ihre Unterlippe begann zu zittern. Sie begann bedenklich zu schwanken und ich zog sie in meine Arme.
„Alles gut, Prinzessin. Die beiden spinnen wieder ein wenig rum!“ Ich hob den Kopf und warf den beiden Streihähnen einen giftigen Blick zu. „Hey. Kommt runter, okay? L kriegt ja Angst!“
L schob sich zwei Finger in den Mund und sah ihre Paten – ja, wir waren wohl in der Sekunde nicht ganz bei Trost gewesen – mit großen Augen an. Und anscheinend half das, um die erhitzten Gemüter ein wenig abzukühlen.
Dean beugte sich zu ihr und gab ihr einen schnellen Kuss auf die Wange.
„Tut mir leid, Kleines. Aber deine Tante Saskia ist manchmal ein wenig verrückt, weißt du?“
L's Blick war skeptisch und dann drehte sie mir den Kopf zu. Sie drückte sich gegen meine Brust und schloss dann die Augen. Okay, Diskussion für sie beendet.
„Sie wird müde.“ Amelie hatte unseren Freunden schweigend zugehört, ich meine, hey, das ging jetzt schon so seit fast vier Jahren, was blieb uns auch anderes übrig? Sie streckte die Hände nach ihr aus, doch L kugelte sich in meinen Armen ein und seufzte zufrieden.
„Lass sie hier, Motek. Ich halte sie fest.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und wiegte sie leicht. Und tatsächlich schien sie einzuschlafen.
Amelie stand auf und streckte sich.
„Ihr beiden seid verrückt.“ Sie stieß Saskia in die Seite. „Alle beide!“
„Was jetzt? Ich auch?“ Dean zog die Augenbrauen zusammen. „Das kann nicht dein Ernst sein?“
Amelie warf ihm einen eindeutigen Blick zu und ging dann Richtung Küche. Sofort war ihr Levon auf den Fersen. Ich musste dringend ein ernstes Wörtchen mit Alex sprechen, dieser Hund war gnadenlos verfressen!
Saskia ließ sich wieder auf die Couch fallen und blickte zum Bildschirm.
„Ich hoffe, wir schießen gleich zehn Tore und ihr könnt in Schimpf und Schande das Turnier verlassen!“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und würdigte Dean keines Blickes mehr.
Dean schnaufte nur und ging dann ebenfalls Richtung Küche.
Ich warf einen Blick auf meine schlafende Tochter und fragte dann:
„Seid ihr das nicht irgendwann leid?!“
Saskia drehte mir den Kopf zu und in ihren Augen funkelte es – vor Schalk?
„Man, Typ, du kennst uns doch. Wir brauchen das manchmal.“ Sie rutschte zurück und zog die Knie an. „Amelie und du, ihr beiden seid langweilig. So könnte ich niemals sein! Lass uns unsere kleinen Kämpfe, das muss sein!“
„Das MUSS sein? Ich weiß nicht. Bei mir muss das nicht sein.“ Ich schüttelte den Kopf. Im gleichen Moment liefen die Spieler wieder auf den Platz auf und ich rief halblaut: „Motek, Dean, zweite Halbzeit.“
Die zweite Halbzeit verlief noch schlimmer als die erste – für Dean und für mich. Denn, nun, in der 55. Spielminute schoss Thomas Muller – verdammte Pünktchen über dem 'u', was soll denn das?! - ein Tor. Und leider spielte Thomas Muller NICHT für unser Team!
Saskia veranstaltete einen kleinen Tanz im Wohnzimmer und auch L zeigte, dass sie zur Hälfte Deutsche war, denn sie wurde wach und streckte die Hände Richtung Fernseher. Toll. Jetzt stand ich sogar noch hinter einem dämlichen Spiel! Grrr. Da sollte man keine Komplexe kriegen.
Amelie biss sich auf die Unterlippe, kicherte aber trotzdem leise, als sie Ls Reaktion beobachtete.
„So ist das richtig, Quappe. Die Amerikaner können nicht Fußball spielen. Das können die Deutschen viel viel besser.“
L nickte ernsthaft und reckte sich dann in Amelies Richtung, in deren Armen sie sich dann einkugelte. Ja, danke auch, Kaulquappe.
Dean verschränkte die Arme vor der Brust und starrte bitterböse Richtung Bildschirm.
„So ein dämliches Spiel. Das macht doch alles überhaupt keinen Sinn. Dämliche Regeln, unlogisch, unfair, total verworren!“
„Verworren und unlogisch?“ Saskia sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren. „Unlogisch?! Hast du dir mal die Regeln von Football angeguckt? DIE sind unlogisch!“
Amelie schielte zu mir und verdrehte die Augen. Aber wir hatten ja gewusst, auf was wir uns einlassen würden, als wir entschieden hatten, das Spiel zusammen zu gucken.
Dean schnappte nach Luft und wollte gerade zu einem längeren Monolog ansetzen, als einem unserer Spieler – keine Ahnung, wie er hießt – eine Gelbe Karte gezeigt wurde.
„Ha! Das hat der Typ verdient!“ Saskia lehnte sich befriedigt zurück und beachtete Dean nicht weiter. Sie nahm sich ein Stück Pizza und schien von jetzt auf gleich friedlich zu sein. „Der hätte eigentlich Rot verdient, aber das ist schonmal ein Anfang.“
Dean ließ sich grummelnd ebenfalls wieder auf die Couch fallen und streckte sich aus. Er murmelte noch leise „Dämliches Spiel“, doch in den nächsten Minuten blieben beide ruhig.
Amelie rutschte wieder in meinen bereitwillig erhobenen Arm und ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Wie normal das hier doch mittlerweile alles für mich war? Ich konnte es selbst nicht glauben.
Der Rest des Spieles dümpelte so vor sich hin und ich hatte so das dumpfe Gefühl, dass wir wohl kein Tor mehr schaffen würden. Dafür war die deutsche Elf einfach zu stark – Mist. Allerdings würde ich das vor Amelie niemals zugeben, denn sie würde mir das auf Ewig vorhalten.
Doch in den letzten drei Minuten sprangen Dean und ich fast gleichzeitig auf, denn wir schafften tatsächlich einen Run auf das deutsche Tor.
Saskia stieß einen lauten Schreckensschrei aus, als wir einen Angriff versuchten und L zuckte in Amelies Armen zusammen.
„Nein, nein, nein, nein …. aaaaaahhhh, gut gehalten!“ Saskia sackte wie eine Puppe zusammen und Dean fiel fast in Ohnmacht.
„Das gibt es doch nicht. 1:0, wie kann das sein?! Wie kann das sein! Logan, Alter, man, wie kann das sein?“
Das Spiel war aus und wir hatten verloren. Das würden uns Amelie und Saskia niemals mehr vergessen lassen!