Licht und Schatten liegen dicht beieinander
von Liliwynaliena
Kurzbeschreibung
Van, ein kyralischer Magier, und Aliena, eine teilweise kyralische Magierin, beginnen einige Zeit nach Sonea ihr Studium an der Gilde. Begleitet die beiden Novizen bei ihren Abenteuern und seht selbst, was die zwei in Imardin erleben.
GeschichteFantasy, Liebesgeschichte / P16 / Gen
05.05.2014
03.10.2016
7
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05.05.2014
5.995
Vorrede
Diese Geschichte verdankt ihr dem User Akkarin1701, der mir netterweise gestattet hat seinen Charakter Van mit zu verwenden. Ohne diesen jungen Magier und den Verlauf der mittlerweile gelöschten MMFF, die ihn und Aliena zu Verbündeten machte, gäbe es diese Geschichte nicht. Jetzt
Habe ich aber genug geredet. Viel Vergnügen die Abenteuer der beiden jungen Menschen in Imardin in Zeiten des Umbruchs zu lesen, die alles auf die Probe stellen, an was sie zuvor glaubten.
I Ankunft an der Gilde
Eine Wüstenlandschaft lag im ersten Licht des anbrechenden Tages verlassen und still da. Erst bei genauerer Betrachtung bemerkte man Eidechsen oder eine Schlange, die sich in einer schlängelnden Bewegung durch den wärmer werdenden Sand bewegte. Je mehr Licht den Boden erleuchtete, desto wärmer wurde es und desto mehr kleine schwer zu sehende Tiere bewegten sich durch den Sand oder an verfallenen steinernen Grundmauern entlang. Plötzlich durchbrachen schnelle Hufschläge die natürliche Stille, die keine war, wenn man sehr genau zuhörte. Die Tiere waren für den aufmerksamen Zuhörer zu vernehmen und erzählten von Leben an diesem unwirtlichen Ort mit der verbrannten Erde und den rußbedeckten Grundmauern. Bald war ein zierliches weißes drahtiges Pferd zu erkennen, was eine elegante stolze Haltung hatte und an das Wüstenklima angepasst schien. Es gab kein besseres Pferd für eine Bewohnerin der Gegend und selbst überall in der bekannten Welt hätte es einen edlen Eindruck gemacht, so effizient war es auf Geschwindigkeit und Genügsamkeit gezüchtet, auch wenn es kaum größer war als ein Pony, auf das man Kinder setzen konnte. Ganz knapp über der Mähne liegend saß eine Reiterin auf dem Rücken des rasant galoppierenden Pferdes und trieb es zu noch höherer Geschwindigkeit an während ihr schwarzes Haar wie eine Fahne hinter dem eingespielten Team her wehte in dem leisen Wüstenwind, der ebenso mit ihrem dunkelvioletten Seidenkleid spielte. Kein Signal war zu sehen, so dass das Pferd auf die Gedanken der Reiterin zu hören schien. Plötzlich erklang ein klopfendes Geräusch als würde ein schwerer Ast gegen die Steine prallen. Erschreckt scheute das Pferd und bäumte sich auf die Hinterbeine auf, wodurch die Reiterin sich dem entgegenwerfen musste, um nicht auf den Sandboden zu fallen. Als die feingliederige Stute dann auch noch buckelte verlor die Reiterin dann doch das Gleichgewicht und fiel zu Boden.
Nur um schlagartig aufzuwachen als der Traum wie eine Seifenblase zerplatzte und sich in ihrem Bett aufzusetzen. Neben dem Bett stand ihr Vater und sah sehr ernst drein. Verschlafen rieb sich die Schwarzhaarige die Augen. ‘Was war das nur für ein seltsamer Traum.‘ Durch die Ödlande hatte sie nie reiten dürfen und so ein langes unpraktisches Kleid hätte sie nie getragen. Solche Kleider trug man hier nicht einmal dann, wenn man den Kaiser treffen würde. „Gut, du bist wach, Aliena. Du musst fliehen. Reite zu deiner Mutter nach Kyralia.“ Im ersten Moment war Aliena vollkommen überrascht, aber rasch fand die Schwarzhaarige ihre gewöhnliche nicht zu erschütternde Fassung wieder, die sie so kalt und ungerührt wirken ließ. Ganz egal was passierte. „Reite als würde dein Leben davon abhängen. Ich hoffe ich kann dir später erzählen was hier geschehen ist. Ashaki Rashiko klang sehr angespannt, was seine Tochter alarmierte. „In fünf Minuten bin ich im Stall.“ „Zieh dir dieses Kleid an. Damit wirst du bei deiner Mutter nicht auffallen. Ich sattle derweil Nayeli.“ ‘Hoffentlich ist meine Tochter bei ihrer Mutter in Sicherheit.‘ Er wollte seine Tochter und einziges Kind in Sicherheit wissen. Momentan war Kyralia für sie der sicherste Ort, auch wenn es zu den Ländern der Gilde gehörte. Sobald ihr Vater den Raum verlassen hatte zog Aliena sich rasch an, wobei nur das blasse Mondlicht ins Zimmer schien und alles in ein gespenstisches Licht hüllte. ‘Vater hat so ungewohnt dringlich geklungen‘, dachte sich die junge Frau nervös und beeilte sich damit sich anzuziehen. Aufgrund der anscheinend gegebenen Dringlichkeit ließ sie ihr hüftlanges Haar einmal offen und eilte wenig später zum Stall, um die weiße feingliedrige Stute zu satteln. „Rasch Aliena! Du musst heute Nacht noch so weit reiten wie es möglich ist.“ „Das werde ich, Vater.“ Ein Versprechen aus der Zuneigung zu ihm, der sie aufgezogen und besser ausgebildet hatte als es für Frauen ihres Landes üblich war. Dieses Geheimnis zu wahren war zu einem kleinen Teil für ihren kühlen arroganten Charakter verantwortlich, den das Natternnest der Gesellschaft noch weiter geformt hatte. Bald führte Aliena ihre Stute auf den Hof, umarmte den Vater ein letztes Mal, schwang sich elegant in den Seitsattel und lenkte Nayeli vom Hof. „In den Satteltaschen findest du alles, was du brauchst“, vernahm sie die Stimme ihres Vaters noch einmal ehe der Hof hinter ihr zurückblieb. „Auf Wiedersehen, Vater.“ Für diesen letzten Abschied drehte die junge Frau sich noch einmal im Sattel um und blickte ein letztes Mal zurück. Erleichtert beobachtete Rashiko seine Tochter bis die Dunkelheit sie verschluckt hatte. Er hatte ihr nicht erzählt, dass sich die politische Lage zuspitzte und er mit etwas Pech zum Ichani werden würde. Wie jeder hochrangige Mann des Landes hatte er seine Feinde, in deren Hand er sein einziges Kind nicht wissen wollte. So gesehen war es ein Glück, dass sie sich gerade nicht in der Hauptstadt aufhielten.
Für Aliena vergingen angespannte Minuten in der Stille der nächtlichen Wüste, als wüssten alle Lebewesen um eine unbekannte drohende Gefahr und versteckten sich in den letzten verbliebenen steinernen Grundmauern zerstörter Gebäude, während die Stute sich aufwärmte und dafür langsam gehen musste. Selbst ein auf den ersten Blick erkennbares Wüstenpferd musste sich aufwärmen. Aliena zählte die Zeit bis sie der weißen zierlichen, aber auch ausdauernden, Stute die Sporen geben konnte, damit diese auf der Stelle angaloppierte. Zum Glück war es so dunkel, dass selbst Nayelis reinweißes Fell nicht zu erkennen war. Nicht einmal die Sterne oder der Mond spendeten viel Licht. Es war gerade genug um den Weg zu erahnen. Es war alles ruhig, zu ruhig, während die Stute in raumgreifenden Galopp durch das karge Land fegte und ihre Reiterin der Sicherheit des Gebirges näher brachte, aber erst nach der Grenzüberquerung würde sie wirklich in Sicherheit gewesen sein. Dafür verbarg Aliena sich auf allen Ebenen, so dass ein fremder Magier nur Nayelis Geist wahrgenommen haben würde. Zum Glück hatte die Schwarzhaarige es getan, da sie irgendwann während einer der Pausen für Nayelis Wohl ein leises Surren auf der magischen Ebene wahrnahm, was für die Anwesenheit eines Magiers sprach. Zum ersten Mal war die junge Frau dankbar für die Dunkelheit, in der sie sich allein auf das Gespür der Stute für eine sicheren Weg verlassen musste. Eng an den warmen Körper des Pferdes gepresst entging die Schwarzhaarige der Aufmerksamkeit des fremden Magiers und konnte sich wenig später wieder im Sattel aufrichten.
Dank des Flusses Krikara hatten sie immer etwas Wasser in der Nähe als sie durch das Ödland ritten. Höchstens kurze Pausen für die Stute waren drin, damit diese trinken und etwas karges Gras essen konnte, während Aliena im Sattel sitzend nahrhaftes Dörrfleisch aß. Dieses hatte sie in einer Satteltasche gefunden. Zusammen mit einem weiteren Kleid, etwas Geld und ein paar persönliche Dinge wie ihren wenigen Schmuck und die Erinnerungsstücke aus ihrem Zimmer wie ein Bild von ihrem Zuhause, ihrem Vater und ihr sowie einen kleinen geschnitzten Würfel, der ein Geduldspiel war. Jeder Galoppsprung brachte die Dunkelhaarige dem Gebirge näher, dass schon immer am Horizont zu sehen gewesen war, und ließ es immer größer wirken. Vor allem war es deutlich besser zu erkennen, da es mit jeder Minute heller wurde. Erschreckt bemerkte Aliena, dass seit ihrem Aufbruch bereits einige Stunden vergangen waren. Je wärmer es wurde, desto regelmäßiger sah die Reiterin sich um, um ein schattiges Plätzchen für die wärmsten Stunden des Tages zu finden. Es gab aber nur dürre Bäumchen am Ufer des Flusses, die etwas Schutz boten. Während Nayeli döste würde Aliena um jeden Preis wach geblieben. Der Preis bestand in einem Einsatz ihrer Magie, um sich selbst zusätzliche Kraft zu geben, um den Schlaf zu vertrieben. Es war eine Art Selbstheilung bei starker Erschöpfung, die die magischen Kräfte aufzehrte und die Müdigkeit auf Dauer noch verstärkte, wenn man es über längere Zeit häufiger machte. ‘Ich werde erst schlafen können, wenn ich mein Ziel erreicht habe und in Sicherheit bin.‘ Aliena vertraute nur wenigen Personen und schlief nur an Orten, an denen sie sich sicher fühlte da ihr nichts unbemerkt passieren könnte oder der Ort so beschaffen war, dass sie ihn gegen Eindringlinge sichern konnte. Keines von beiden galt für jenes schattige Plätzchen unter den Blättern des Bäumchen, weshalb die Dunkelhaarige, während die Sonne über den Himmel wanderte, alle paar Stunden zu dem magischen Trick der Selbstheilung. Der Sand flimmerte immer stärker in dem Sonnenlicht und blendete immer stärker. Tagsüber war die Wüste halt alles andere als ein angenehmer Aufenthaltsort. In der nächsten Nacht würde sie das Gebirge erreicht und die Grenze zu Kyralia überquert haben. Dafür war Nayeli ausdauernd genug, wie es bei einem Wüstenpferd nicht überraschend gewesen sein sollte. Wie alle Pferde Sachakas war Nayeli extra darauf gezüchtet worden lange Strecken möglichst effizient mit wenig Nahrung zurücklegen zu können, wenn es sein musste.
Zeitgleich sehr weit von dem verwüsteten Ödland entfernt war ein dunkelhaariger junger Mann schon seit einigen Stunden wach. Am Abend würde seine Mutter nämlich einen Ball in der Familienvilla in Imardin geben, für den noch einiges vorbereitet werden musste, um die gesellschaftlichen Pflichten einer Familie der Häuser zu erfüllen. Gerade der Frau mit dem silberweißen Haar kam den Pflichten wirklich liebend gerne nach. Wegen des anstehenden Balls lag seine feine schwarze Kleidung bereit, die er später nach einem Bad anlegen würde. Vorher würde er aber noch einen Ausritt machen. „Van! Wo willst du hin?“ Mahnend klang die Stimme seiner Mutter hinter ihm. „Ich werde einen Ausritt auf Sheitan machen.“ Im Haus würde er bei den letzten Vorbereitungen sowieso nur im Weg herum gestanden haben. „Wenn du meinst. Sei pünktlich zurück.“ Die Adlige war wenig begeistert von dem Vorhaben ihres Sohnes, aber der er das Familienoberhaupt war konnte sie da nicht viel gegen tun. Innerhalb der Familie stand niemand mehr über ihm, was viele rechtliche Dinge betraf. Frauen waren zuerst Ehefrauen oder Mütter, wenn sie der Gilde nicht beitraten.
Geduldig wartete der junge Mann darauf, dass sein Pferd ihm gesattelt und gezäumt auf den Hof geführt wurde. Ein Adliger sattelte seinen Hengst nicht selbst. Es war noch ein angenehm warmer Herbsttag kurz vor Beginn des nächsten Wintersemesters der Gilde und die Sonne wärmte nach wie vor, obwohl es bereits erste Vorboten des nahenden Winters gab. Nicht mehr lange und die Saison würde als beendet erklärt werden. Darauf freute Van sich bereits, da seine Mutter dann keine weiteren Bälle, Soireen oder Picknicke veranstalten konnten. Dann aber war Sheitan gesattelt und er konnte aufbrechen. Langsam lenkte der junge Adlige den braunen großen Hengst durch die vollen Straßen der Hauptstadt Kyralias. Jeder Bürger wurde von ihm ignoriert, was erst recht galt, als er die Hüttenviertel im äußeren Ring erreichte, die er durchqueren musste, um das ländliche Gebiet vor der Hauptstadt Kyralias zu erreichen. Überall erwies man ihm den Respekt, den er als Adliger verdiente. Selbst die Wachen grüßten ihn höflich und ließen ihn ohne Probleme passieren. Noch im Schatten der großen Stadttore wieherte Sheitan und stellte die Ohren auf. Der Hengst wollte laufen. Außerhalb der Stadt gab Van ihm die Zügel frei und galoppierte in raschem Tempo über eine große Wiese vor Imardin. Erde wurde aufgewirbelt und bildete braune kleine Erdflecken auf der grünen Fläche. Van genoss es den kühlen Oktoberwind in seinem kurzen dunklen Haar zu spüren, der für ihn Freiheit von den strikten Vorstellungen seiner Mutter bedeutete. Leider hatte er niemanden, mit dem er gemeinsam ausreiten konnte, der mit Sheitan mithalten konnte. Für die meisten kyralischen Pferde war der Hengst mit einem Einschlag einer sachakanischen Pferderasse einfach zu schnell. Irgendwann in der weit zurückliegenden Vergangenheit müssen Pferde von dort nach Kyralia oder in die anderen verbündeten Länder gelangt sein. Spätestens bei dem Unabhängigkeitskrieg von Kyralia gegen Sachaka als die Ödlande entstanden.
Ein paar Stunden später am Abend stand Van neben seiner Mutter und begrüßte die Gäste der Feierlichkeit. Alle waren prächtig gekleidet und stellten ihren Reichtum und den Einfluss ihrer Familien zur Schau. Bald würde ein weiterer Jahrgang zur Gilde gehen, um zu studieren, und hatte daher heute den letzten Ball vor dem Beginn des Semesters an der Universität. Der junge Mann trug seine übliche schwarze Kleidung mit silbernen Familienincals an den Ärmeln und die schwarzen Stiefel seines Vaters. Folglich war er ein dunkler Fleck in den farbenfrohen Kleidern der anderen Menschen, aber trug niemals hellere Farben. Schwarz stand dem jungen Mann einfach am besten. Alle Familien der Häuser waren gekommen und füllten den Saal so sehr, dass man kaum noch seinen Weg bahnen oder ungestört tanzen konnte. Jeder kleine freie Platz wurde gebraucht und beim Tanz würde man sich an eine strikte Formation gehalten haben müssen, um sich nicht gegenseitig auf den Fuß zu treten. Erst als alle Gäste begrüßt worden waren war es für Van an der Zeit den Ball zu eröffnen. Formvollendet aber mit arroganter Miene bat er eine junge Frau, deren Namen er sofort wieder vergaß, um den ersten Tanz. Für ihn hatte sie keine weitere Bedeutung, wo er noch kein Interesse an einer Ehe hatte. Er wollte Magier werden und achtete aus diesem Grund nicht weiter darauf, wie sie aussah. Für den schwarzhaarigen jungen Mann war es zudem der letzte Ball bevor er zum Wintersemester der Gilde beitreten würde. Seine für solche Feierlichkeiten übliche schwarze Kleidung mit den silbernen Familienincals an den Ärmeln bildete einen Kontrast zu dem hellen Kleid der jungen Frau. Van war sich sicher, dass sie sich Hoffnungen machte ihn als Ehemann gewinnen zu können. Als Erbe seines Familienbesitzes war er eben eine gute Partie. Während er mit ihr tanzte spürte er auch die Blicke seiner Mutter, die ihn ebenso verlobt sehen wollte. Nur war unter den jungen Frauen keine, der er den Familienring anstecken wollte. Jenen Ring, den er von seinem Vater bekommen hatte, um ihn seiner Braut am Tag der Hochzeit zu geben. Außerdem war es jetzt eh nicht mehr so wichtig. Während der Jahre an der Gilde würde er eh keine Zeit gehabt haben, um eine junge Frau angemessen zu umwerben. Dabei ahnte Van nicht, dass er zu den begehrteren jungen Männern der Stadt gehörte. Nur der Administrator und der hohe Lord waren begehrter. Aber nun konnte er nicht weiter drüber nachdenken, da er seine Mutter daran hindern musste noch mehr Geld für Bälle oder Soireen auszugeben ehe das Semester begann. Sein Abschied war mit diesem Ball ausführlich genug gefeiert worden. Streng genommen war er ja das Familienoberhaupt, auch wenn er erst noch in diese Position hineinwachsen und sich gegen seine Mutter durchsetzen musste. Noch dazu hatte seine Familie genug Feinde, auch wenn diese Rivalitäten an der Gilde ruhen sollten. Seit er wusste, dass er auf die Gilde gehen würde, hatte er sich mit deren Regeln beschäftigt. Während Vans Gedanken so rasten, tanzte er mit vielen jungen Damen des Adels oder unterhielt sich mit seinen Freunden. Van konnte nicht die ganze Nacht tanzen, sondern brauchte auch mal eine Pause, in denen er etwas Wein trank, der ihm von einem Diener gereicht wurde. Um Mitternacht verabschiedete Van alle Gäste und wartete dann in dem Büro seines Vaters auf seine Mutter. Als sie eintrat und die Tür schloss ergriff er das Wort: „Diese ganzen Veranstaltungen müssen aufhören, Mutter. Wenn du etwas tun willst, dann kümmere dich darum, dass die Mitgift meiner Schwestern vollständig ist.“ Davon und von ihrer Unberührtheit hing ihre Ehe ab. Kyralia war schließlich nicht Elyne wo vieles etwas lockerer gehandhabt wurde. Dies wusste Van über die verbündeten Länder immerhin, aber von dem anderen Nachbarn Kyralia wusste er so gut wie nichts. Ebenso wenig, dass dieser Nachbar einst alle verbündeten Länder als Kolonien gehabt hatte. „Das sind aber gesellschaftliche Pflichten, die ich wahrnehmen muss.“ „Dennoch musst du nicht jede Woche eine Soiree oder einen Tanztee abhalten.“ Trotz aller Argumente wollte seine Mutter es einfach nicht einsehen. Zum Glück bekam niemand den Streit mit, da das Büro eine dicke Tür hatte die keine Geräusche nach draußen ließ. Die Diener mussten ja nicht wissen, dass die Familie selten einer Meinung war. Nachdem er seine Mutter aus dem Büro hatte gehen gelassen ging Van in sein eigenes Zimmer. Ein Zimmer, dass dem Erben des Anwesens angemessen war und das auch prächtig in rot und blau eingerichtet worden war. Zum Glück in dunklen Tönen der beiden Farben, so dass man erkennen konnte, dass ein junger Mann dort wohnte. Ein großes Himmelbett, das fast schon zwei Personen genug Platz zum Schlafen gegeben hätte, stand mit der Kopfseite an einer Wand links von der Tür, die fast an der Ecke zwischen der Seitenwand und der rechten Wand war. Gegenüber von dieser war ein großes Fenster mit schweren Vorhängen, die kaum Licht hindurchließen. Noch schlief er in dem großen Bett alleine und wenn es nach ihm ging konnte es auch so bleiben. Bisher hatte er keine junge Frau getroffen mit der er im selben Bett schlafen würde. ‘Für eine Ehe bin ich noch viel zu jung. Und außerdem weiß ich nicht, ob ich den jungen Frauen vertrauen kann.‘ Vertrauen war für Van sehr wichtig und er wollte die Zeit an der Gilde auch dazu nutzen, um zu prüfen, wer ein wahrer Freund war. In dieser Nacht träumte er von seiner Aufnahme in die Gilde, die in einigen Tagen stattfinden würde.
Am Mittag war Van wieder wach. Er hatte lange friedlich geschlafen, da es mal wieder ein anstrengender Ball gewesen war. Tanzen ermüdete eben. Da er gerade etwas freie Zeit hatte, entschied Van sich für einen Ausritt auf seinem braunen Hengst. Er hatte vieles, über das er nachdenken musste. Ihm war auf dem Ball und in dem folgenden Gespräch eindeutig vor Augen geführt worden, dass seine Mutter ihn verlobt sehen wollte. Er hatte es zwar geahnt, aber bisher hatte es noch niemand offen gesagt. Nur war es jetzt nicht mehr zu leugnen. Aber Van war eben nicht auf der Suche nach einer Braut, solange er noch die Zeit an der Universität vor sich hatte. Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, wie er eine Verlobung vermeiden konnte. Mit gewohnt arroganter Miene ritt der junge Mann wenig später durch die Stadt und bald darauf zu den Stadttoren Imardins, die er ungehindert passieren konnte. Der Hengst witterte bereits vorher die klare Luft und stellte die Ohren auf, als wüsste er, dass er gleich rennen durfte. Vor Freude wieherte er einmal und beschleunigte seinen Schritt. Dann lagen die Stadttore hinter ihnen. Vögel saßen in den kahler werdenden Bäumen und zwitscherten fröhlich vor sich hin. Eine warme Herbstsonne schien und sorgte für eine angenehme Temperatur. Auch wenn der kühle Wind ein Vorbote des Winters war. Ein paar Meter weiter begann ein Feldweg, auf den Van einbog und dem Hengst endlich die Zügel freigab. Dieser wollte rennen und galoppierte daher auf der Stelle an. Er hatte einen raumgreifenden weichen Galopp. Allerdings war er auch ziemlich schnell. Für ungeübtere Reiter wäre er zu schnell und weniger leicht zu zügeln. Hier, jenseits der aufmerksamen Stadt, merkte man, dass Van nicht nur arrogant war. Diese Seite von sich, die so viel sympathischer wirkte, zeigte er nur den wenigsten. Seine wahren Freunde hätten diese zu sehen bekommen. Es war ein stundenlanger Ausritt durch die Gegend mit einer langen Pause an einem schwer sichtbaren Teich zwischen hohen Tannen. Das dunkle Wasser glitzerte im Sonnenschein und gab dem Teich eine verwunschene Wirkung als würde demnächst eine Nixe oder ein anderes Fabelwesen auftauchen.
Den ersten Tag nach ihrer Flucht hatte Aliena sich nahe dem im Gebirge verborgen gehalten und war weiter geritten, sobald Nayeli sich etwas ausgeruht hatte. Niemand durfte sie oder Nayeli sehen. Diese Vorsicht war von Bedeutung, da sie laut ihrem Vater für eine Kyralierin gehalten werden könnte und das bedeutete in der Regel Lebensgefahr, da Kyralia und die Länder der Gilde wenig angesehen waren. Aber auch als Tochter ihres Vaters wäre es sehr gefährlich. Als einziges Kind als eines Adligen wäre die junge Frau eine gute Geisel. Am schwierigsten würde die nahe Grenze gewesen sein, da diese von beiden Seiten aus unter Überwachung stehen konnte. Und niemand, erst recht nicht diese potentiellen Wachen, durfte sie beim Überqueren der Grenze beobachten. Aliena wollte nicht gefangen genommen werden. Ganz egal von wem, aber bei einem Sachakaner bedeutete es eher den Tod als bei einem Kyralier, vermutete die Schwarzhaarige. Aufgrund aller drohenden Gefahren gönnte Aliena sich im Gegensatz zu der Stute auch keine einzige Minute Schlaf, sondern heilte sich wieder einmal selbst, wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte. Wenn die junge Frau dies zu oft machte schadete sie sich eher selbst, da es eben keinen vernünftigen Schlaf ersetzte, aber momentan ging es nicht anders. Die Risiken auf diesem Ritt waren zu hoch, um ein paar Stunden des Schlafes zu wagen. Sobald sie konnte, würde sie aber ein paar Stunden geschlafen haben. ‘Ich muss nur noch ein paar Tage durchhalten. Dann bin ich in Imardin.‘ Um sich in diesen Stunden wachzuhalten ging die Sechzehnjährige zu ihrer weißen Stute und strich ihr über den Hals. Nayeli schnaubte leise und stupste ihre Besitzerin sanft an. Die beiden verstanden sich seit Nayeli ein Fohlen gewesen war, wo Aliena sich um die mutterlose junge Stute gekümmert hatte und sogar im Stall geschlafen hatte. Je dunkler es einen Tag nach ihrer Flucht zu werden begann, desto mehr entspannte Aliena sich, da sie dann weniger gut zu sehen war. Als sie nur noch wenig erkennen konnte, sattelte sie Nayeli mit dem Damensattel. Andere Sättel waren mit ihrem bordeauxroten Kleid nicht zu vereinbaren. Dann war sie fertig und schwang sich erneut mit geübten Bewegungen in den Sattel. Als sie sich einmal umgesehen hatte überließ sie es Nayeli sich einen Weg zu suchen. Die Stute konnte sich sicher über den felsiger werdenden Boden des ansteigenden Gebirges bewegen und nur selten rollten kleine Kiesel weg und verursachten ein klackendes weithin hallendes Geräusch. Unwillkürlich spannte Aliena alle Muskeln an, auch wenn sie hier kaum jemand hören könnte. Gebirge gehörten nachts nicht gerade zu den stark aufgesuchten Gebieten. Einzig eine Eule war zu hören. Einige Meter weiter, als sie nichts anderes als Tiere wahrnahm, entspannte sie sich wieder und ritt durch eine zerklüftete Landschaft. Stunden vergingen in der Dunkelheit ehe sie kurz vor Morgengrauen den Kamm erreichte und sich an den Abstieg machte. An dem entfernten Horizont zeigte sich wenig später ein heller Streifen, der den nahenden Sonnenaufgang ankündigte. Übermüdet suchte Aliena sich ein Versteck zwischen dichten Bäumen und Büschen Kyralias, die für die junge Frau so ungewohnt war. So üppiges Grün der Pflanzen war in ihrer Heimat mit der Wüstenlandschaft mehr als ungewöhnlich. In Sicherheit des Verstecks zwischen vielen hohen Bäumen befreite die junge Frau Nayeli von Sattel und Gepäck. Die Landschaft war der Stute genauso ungewohnt wie ihre Besitzerin, aber nach einem umsehen und einmal Wälzen hatte die weiße Stute das Gras als ungefährlich kennen gelernt und begann zu grasen. Aliena wusste dabei aber nicht, dass das reichhaltige Gras für die Stute, die eher karges Gras gewöhnt war, gefährlich sein könnte. An reichhaltigere Nahrung musste man sich eben erst gewöhnen. Je heller es in den nächsten Stunden wurde, desto mehr konnte Aliena erkennen Gähnend sah sie sich staunend um. Dieses Land war so anders als ihre Heimat. Es war so grün und fruchtbar. Überall grasten Tiere oder suchten sich Nahrung. Noch nie hatte Aliena ein Land wie dieses gesehen. Den ganzen Tag, an dem sie sich immer wieder selbst heilte, über sah sie sich aufmerksam um, um einen Eindruck von Kyralia zu bekommen. Es gab so viel zu entdecken. Aus Instinkt heraus ritt Aliena nach Süden, was Sachaka immer weiter hinter ihr zurückließ. Bis sie einen Bauern fand, den sie nach dem Weg nach Imardin fragte. Zu ihrer Erleichterung lag es ganz im Süden am Meer und damit so weit weg von Sachaka wie es möglich war. Jetzt nützte es ihr dass ihr Vater einen kyralischen Sklaven gehabt hatte, der ihr seine Sprache beibringen musste. Dank der Hilfe von Bauern erreichte Aliena einige Tage später Imardin und das Haus der Familie ihrer Mutter, wobei ihr die missbilligenden Blicke der Männer Erinnerungen an Sachaka hervorriefen. Anscheinend war eine junge Frau hier wie dort nicht alleine unterwegs.
Als sie das Haus ihrer Mutter gefunden hatte wurde Aliena gleich in einen kleinen Salon geführt, wo ihre Mutter und deren Bruder warteten. Es war ein schwieriges Treffen, aber am Ende durfte sie bleiben. Allerdings zeigte schon das Abendessen wenig später. dass Aliena, ihr Onkel und dessen Sohn sich nicht miteinander verstanden. So kam es, dass der ältere Mann zur Gilde ging und seine Nichte dort noch etwas verspätet anmeldete. Im Gegenzug für eine großzügige Spende und aufgrund entfernter Verwandtschaft zum Haus Veland würde seine Nichte auf Magie geprüft werden und bei deren Vorhandensein zum nächsten Semester in die Gilde aufgenommen werden. Ebenso wenig wie die Gilde wusste er, dass Aliena bereits Magie beherrschte. Außerdem sollte sie die gebotenen Manieren beherrschen. Ganz im Gegensatz zu einem Mädchen aus den Hüttenvierteln. Das sagte zumindest ihr Onkel, als er ihr erzählte, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Gilde aufgenommen werden würde. Tatsächlich bestand Aliena die Prüfung ihres Potentials ohne zu ahnen, dass es auf dem Gang zum Markt geprüft wurde. „In drei Tagen ist die Aufnahmezeremonie in die Gilde. Danach wirst du dort in einem Gebäude für Novizen leben. Darum habe ich mich gekümmert. Hier wirst du aber nicht wohnen“, erfuhr die Dunkelhaarige von ihrem ebenso dunkelhaarigen Onkel. In diesem Moment war es der jungen Frau vollkommen gleichgültig, da sie die Regeln der Gilde noch nicht kannte und sich dort nicht mehr verstellen würde als hier. Eine Vergangenheit in Sachaka verbarg man besser. So viel hatte die Nichte eines Händlers bereits über die Gesellschaft in Kyralia und die Gilde bereits Erfahrung bringen können.
Van bereitete sich ebenfalls auf die Aufnahmezeremonie vor. Er wusste allerdings schon seit Jahren, dass er auf die Gilde gehen würde, wie auch seine Eltern es gemacht hatten. Als Erbe einer alten adligen Familie war es zugleich sein Recht und seine Pflicht. Und nichts hatte dies ändern können. Nicht einmal seine überraschende Übernahme der Position des Familienoberhauptes, die ihn tief getroffen hatte. Van hatte seinen Vater gemocht und vermisste ihn, obwohl man ihm nichts ansah. Arroganz und ausgeprägtes Selbstbewusstsein verbargen Warmherzigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Der junge Mann kümmerte sich um die Personen, für die er verantwortlich war. Die Tage vor der Zeremonie verbrachte er mit den Vorbereitungen. Seinen Hengst durfte er mitnehmen als er darauf hinwies, dass niemand sonst auf ihm reiten konnte und er keinen beeinflussenden Kontakt zu seiner Familie haben würde, wenn der Hengst auf dem Gelände stand. Und in der Gilde sollten schließlich persönliche Konflikte ruhen. Van freute sich wirklich den Hengst mitnehmen zu dürfen und in seiner freien Zeit Ausritte unternehmen zu können. Als er den Hengst zu der Universität brachte, stand dort auch eine zierliche weiße Stute, die zu einer Rasse gehörte, die ihm vollkommen unbekannt war. Der Hengst schien sich in seiner Box neben dieser Stute richtig wohl zu fühlen. Die beiden beschnupperten sich kurz und schlossen Freundschaft. Dementsprechend konnte Van beruhigt gehen und sich weiter auf die Zeremonie vorbereiten. Seine Kleidung dafür war bereits fertig genäht und hing in seinem Kleiderschrank. Auch seine Stiefel wurden am Abend vor der Zeremonie gründlich gereinigt.
An dem Morgen der Zeremonie wachte Van früh auf und begann sich fertig zu machen. Das letzte Mal für lange Zeit würde er seine schwarze Kleidung tragen. Aber immerhin würde ihm niemand verboten haben seine Stiefel, die er von seinem Vater bekommen hatte, getragen zu haben. Mit einem letzten Blick zurück in sein Zimmer machte Van sich auf den Weg zu der wartenden Kutsche, die ihn zur Gilde bringen würde. Seine Familie wartete schon im Flur, um bei der Zeremonie anwesend zu sein. Es war ein ruhiger Weg zur Gilde, da sie nicht durch die belebten Gegenden Imardins fahren mussten und außerdem war deutlich zu erkennen, dass es die Kutsche einer adligen Familie war. Irgendwann hielt die Kutsche vor der Gilde an und Van stieg aus, um seiner Mutter und seiner Schwester die Hand zu reichen, um ihnen aus der Kutsche zu helfen. Das brauchten sie aber auch bei ihren Kleidern. Gerade seine Mutter wollte ja den Reichtum der Familie zeigen. Reichtum war gleichbedeutend mit Einfluss. „Auf Wiedersehen, Mutter. Rhiana. Kyara. Liannon.“ Dann ging er gelassen davon, um sich der Gruppe der anderen neuen Novizen anzuschließen. Lord Osen beaufsichtigte diese noch relativ kleine Gruppe, die bestimmt noch anwachsen würde. Angemessen begrüßte Van den Assistenten des Administrators mit einer Verbeugung. Die plappernden neuen Novizen und Novizinnen um sich herum ignorierte Van. Es war aber auch ein aufregender Tag. Nur eine Novizin stand schweigend am Rand der Gruppe. Sie war offensichtlich nicht adlig, aber anscheinend aus seinem Heimatland. Jedenfalls unterschied sie sich nicht von anderen Kyralierinnen. Und dennoch fiel ihm ihre aufrechte Haltung auf, die ihm so sehr von adligen jungen Damen bekannt vorkam. Nur hatte er sie noch nie gesehen und dass er eine Tochter einer adligen Familie nicht kannte, war ausgeschlossen. Plötzlich sah sie zu ihm und er fühlte dunkle blaue Augen auf sich gerichtet. So einen kühlen Blick hatte er noch nie gesehen. ‘Liegt es am Licht oder sind ihre Augen wirklich fast schwarz?‘ Der Blickkontakt dauerte nur wenige Sekunden ehe sie zu anderen Novizen sah Und dennoch fühlte Van sich irgendwie durchschaut, als hätte sie ihn abschätzen wollen. Ihre Augen hatten so tief gewirkt, als könnte sie direkt in seine Seele sehen. Solche Augen hatte Van noch nie gesehen, da in dieser Tiefe auch etwas Undefinierbares gestanden hatte, was ihm einfach unbekannt war.
Hinter der undurchdringlichen Miene zuckte Aliena beinahe zusammen, als sie den Blick des dunkel gekleideten jungen Mannes auf sich spürte. Irgendwie schien er genauer hinzusehen als die anderen angehenden Novizen. Am liebsten wäre sie in den Schatten zurück gewichen, aber hier gab es keinen. Nicht das geringste bisschen. Es gab keinen Schutz vor der Aufmerksamkeit des Fremden und das gefiel der Schwarzhaarigen nicht im Geringsten. Irgendetwas an ihm machte sie misstrauisch und vorsichtig. ‘Hängt es mit seiner Ausstrahlung zusammen? So haben sich nur die Erben großer Häuser gehalten.‘ Als genau in jenem Moment ein weiterer Mann in Roben zu dem ersten Magier kam. Automatisch verbeugten sich alle angehenden Magier, weshalb Aliena sich ebenfalls dazu zwang, um ja nicht aufzufallen. Diese Sitte war ihr fremd und vollkommen unverständlich. In ihrer Heimat behandelten sich Magier ganz anders und konkurrierten in der Regel eher um Einfluss anstatt sich so höflich zu verhalten. Bisher war die hellhäutige junge Frau eher schnellstmöglich abgehauen, wenn sich ein anderer Magier näherte. Magier waren für sie immer gefährlich gewesen. Erst recht ausgebildete Magier, zu denen sie selbst ja auch gehörte, obwohl sie es hier tief in ihrem Kopf hinter vielen Schilden verbarg. Nach den Erzählungen ihrer Mutter kannten die Novizen noch keine Beherrschung der Magie. Aber nicht nur dieses – vergleichsweise recht kleine – Geheimnis verbarg sich in ihrem Kopf. ‘Vielen Dank Onkel. Nur wegen dir bin ich in der Höhle des Löwen gelandet.‘ Schweigend lauschte die junge Frau den Gesprächen und erfuhr mehr über die Gilde, was auch dringend notwendig war. So war Aliena wie ein düsterer Schatten in dem prachtvollen Eingangsbereich vor der prächtig verzierten Tür mit golden überzogenen Ornamenten. Dass sie lieber schwieg hieß aber nicht, dass sie sich wenig später beim Eintreten in die große Halle klaglos ans Ende drängen ließ. Aliena hatte eben auch ihren Stolz, auch wenn sie ihn hinter einer ungerührten Ausstrahlung verbarg.
Die Geräusche in der Halle waren für Van wie für Aliena ohrenbetäubend so sehr hallte es. Im Gegensatz zu dem Kyralier wusste Aliena aber nicht, dass es dadurch verursacht wurde, dass man viele Wände der ursprünglichen Universität herausgerissen hatte als die Gilde stark anwuchs. So war eine freie Fläche in der Mitte entstanden, die von vielen Sitzreihen, die kreisförmig angelegt waren, umrahmt wurden. Alle Augen waren auf die Novizen gerichtet, was Aliena dazu brachte sich insgeheim unwohl zu fühlen. Noch nie waren so viele Augenpaare auf sie gerichtet. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, aber man sah ihr nichts an. Nicht einmal als Lord Osen sie in der Gildenhalle aufstellte und sie neben einer ihrer neuen Mitschülerinnen stand. Die beiden so unterschiedlichen jungen Frauen waren nur vollkommen unterschiedlich und merkten es sofort. Die eine war aus Kyralia und wirkte wie eine junge Dame, die man in den feinsten Kreisen vorstellen konnte und die andere wie die undurchschaubare Außenseiterin. Allerdings war deutlich zu sehen, dass die Novizin aus Kyralia Aliena nicht einschüchtern oder verunsichern vermochte. Dazu war sie viel zu unabhängig und zu selbstbewusst als Bürgerin ihres Landes. Aliena wusste, was sie beherrschte und wie gefährlich sie sein konnte. Natürlich ahnte die Kyralierin nichts davon. Stück für Stück stellte Lord Osen derweil die neuen Novizen vor, während die beiden dunkelhaarigen Frauen sich in einem stummen Duell maßen. Von allen genannten Namen behielt Aliena nur zwei. „Van aus Familie Kiran Haus Illian“, wurde von Lord Osen vorgestellt. Ebenso wurde auch Narina aus der Familie Lanien vorgestellt. Dies war die Novizin, mit der schon auf den ersten Blick ein Konflikt zu schwelen begann. Für die adlige Narina war Aliena eben nur eine bürgerliche Novizin, wie sie aufgrund Alienas Kleidung annahm. Im Gegensatz zu dem üblichen Ablauf einer Aufnahmezeremonie wurde diesmal keine Frage an den hohen Lord gerichtet, da er bereits eine Novizin hatte und keine zweite wählen durfte. Dennoch war er anwesend und bewirkte eine angespannte Atmosphäre bei den Gästen der Feier. Er war eben ein dunkler Schatten inmitten aller Farben. Über seine Gründe für die Anwesenheit konnten alle Gäste nur spekulieren, da er nun einmal undurchschaubar war. Deshalb wurden zuerst die hochrangigen Magier und im Anschluss die anderen Magier gefragt. Es nahmen nur wenige Magier einen Novizen. Narina gehörte im Gegensatz zu Van und Aliena zu den wenigen Auserwählten. Aliena selbst legte als eine der ersten Novizen ohne Mentor ihren Eid für die Aufnahme in die Gilde ab.
Van war nicht überrascht, dass er keinen Mentor bekam. Er brauchte aber auch keinen. Schließlich war er sein ganzes Leben im Dunstkreis der Gilde aufgewachsen und wusste vieles über diese Vereinigung von Magiern. Zumindest solange es zu dem allgemein bekannten Wissen über die Gilde gehörte. Gegenüber von Direktor Jerrik legte er seinen Novizeneid ab und nahm seine Roben entgegen, die nur halblange Ärmel hatte. Im Gegensatz zu den Roben der Magier, die lange Ärmel hatten. Seine Mutter hatte Tränen in den Augen als er den Eid ohne zu stocken ablegte und damit zur Gilde gehörte. Jetzt würde er alles lernen, was er brauchte, um später die Familie würdig zu vertreten. Allerdings brauchte er nun noch eine angemessene Braut und sie würde ihm eine solche suchen. Unter den Novizinnen fiel ihr dabei besonders Narina auf. Diese war das, was sie sich unter einer passenden Braut für Van vorstellte. ‘Ich hoffe Van sieht das genauso.‘ Lanea war bewusst, dass ihr Sohn seinen eigenen Kopf hatte, wie es einem zukünftigen Familienoberhaupt angemessen war. Ein Hausherr ließ sich nicht alles von seiner Mutter vorschreiben. Außerdem war er jetzt ihrem Einfluss entzogen und hatte ein Zimmer in den Novizenquartieren erhalten. Familienkonflikte hatten an der Gilde nichts zu suchen. Van fand es einerseits positiv, aber er machte sich auch Sorgen, dass niemand mehr seine Mutter am Geldausgeben hindern konnte. Das letzte Mal für längere Zeit trug er seine geliebte schwarze Kleidung. In der Universität hatte er schließlich seine Novizenrobe zu tragen. Mit arroganter Miene stand Van die ganze Zeit der Aufnahmezeremonie ruhig an seinem Platz und wartete ab bis alle neuen Novizen ihren Eid abgelegt hatten. Was seine Zeit dauerte, da es bestimmt zwanzig Novizen waren. Noch an diesem Tag sollte er die ersten Lektionen in der Magie erhalten, aber erst einmal gab es eine kleine Pause, wo die Zimmer zugeteilt wurden und die Novizen sich umziehen konnten. Für Van war es eine gänzlich ungewohnte Art von Quartier. Bisher kannte er nur sein Zimmer im Elternhaus gesehen, das ja sehr viel prächtiger gewesen war. Selbst die Matratze war luxuriöser und weicher als die hier. Allerdings war alles Notwendige – wie ein Schreibtisch und ein Schrank mit einem abschließbaren Fach – vorhanden.
Diese Geschichte verdankt ihr dem User Akkarin1701, der mir netterweise gestattet hat seinen Charakter Van mit zu verwenden. Ohne diesen jungen Magier und den Verlauf der mittlerweile gelöschten MMFF, die ihn und Aliena zu Verbündeten machte, gäbe es diese Geschichte nicht. Jetzt
Habe ich aber genug geredet. Viel Vergnügen die Abenteuer der beiden jungen Menschen in Imardin in Zeiten des Umbruchs zu lesen, die alles auf die Probe stellen, an was sie zuvor glaubten.
I Ankunft an der Gilde
Eine Wüstenlandschaft lag im ersten Licht des anbrechenden Tages verlassen und still da. Erst bei genauerer Betrachtung bemerkte man Eidechsen oder eine Schlange, die sich in einer schlängelnden Bewegung durch den wärmer werdenden Sand bewegte. Je mehr Licht den Boden erleuchtete, desto wärmer wurde es und desto mehr kleine schwer zu sehende Tiere bewegten sich durch den Sand oder an verfallenen steinernen Grundmauern entlang. Plötzlich durchbrachen schnelle Hufschläge die natürliche Stille, die keine war, wenn man sehr genau zuhörte. Die Tiere waren für den aufmerksamen Zuhörer zu vernehmen und erzählten von Leben an diesem unwirtlichen Ort mit der verbrannten Erde und den rußbedeckten Grundmauern. Bald war ein zierliches weißes drahtiges Pferd zu erkennen, was eine elegante stolze Haltung hatte und an das Wüstenklima angepasst schien. Es gab kein besseres Pferd für eine Bewohnerin der Gegend und selbst überall in der bekannten Welt hätte es einen edlen Eindruck gemacht, so effizient war es auf Geschwindigkeit und Genügsamkeit gezüchtet, auch wenn es kaum größer war als ein Pony, auf das man Kinder setzen konnte. Ganz knapp über der Mähne liegend saß eine Reiterin auf dem Rücken des rasant galoppierenden Pferdes und trieb es zu noch höherer Geschwindigkeit an während ihr schwarzes Haar wie eine Fahne hinter dem eingespielten Team her wehte in dem leisen Wüstenwind, der ebenso mit ihrem dunkelvioletten Seidenkleid spielte. Kein Signal war zu sehen, so dass das Pferd auf die Gedanken der Reiterin zu hören schien. Plötzlich erklang ein klopfendes Geräusch als würde ein schwerer Ast gegen die Steine prallen. Erschreckt scheute das Pferd und bäumte sich auf die Hinterbeine auf, wodurch die Reiterin sich dem entgegenwerfen musste, um nicht auf den Sandboden zu fallen. Als die feingliederige Stute dann auch noch buckelte verlor die Reiterin dann doch das Gleichgewicht und fiel zu Boden.
Nur um schlagartig aufzuwachen als der Traum wie eine Seifenblase zerplatzte und sich in ihrem Bett aufzusetzen. Neben dem Bett stand ihr Vater und sah sehr ernst drein. Verschlafen rieb sich die Schwarzhaarige die Augen. ‘Was war das nur für ein seltsamer Traum.‘ Durch die Ödlande hatte sie nie reiten dürfen und so ein langes unpraktisches Kleid hätte sie nie getragen. Solche Kleider trug man hier nicht einmal dann, wenn man den Kaiser treffen würde. „Gut, du bist wach, Aliena. Du musst fliehen. Reite zu deiner Mutter nach Kyralia.“ Im ersten Moment war Aliena vollkommen überrascht, aber rasch fand die Schwarzhaarige ihre gewöhnliche nicht zu erschütternde Fassung wieder, die sie so kalt und ungerührt wirken ließ. Ganz egal was passierte. „Reite als würde dein Leben davon abhängen. Ich hoffe ich kann dir später erzählen was hier geschehen ist. Ashaki Rashiko klang sehr angespannt, was seine Tochter alarmierte. „In fünf Minuten bin ich im Stall.“ „Zieh dir dieses Kleid an. Damit wirst du bei deiner Mutter nicht auffallen. Ich sattle derweil Nayeli.“ ‘Hoffentlich ist meine Tochter bei ihrer Mutter in Sicherheit.‘ Er wollte seine Tochter und einziges Kind in Sicherheit wissen. Momentan war Kyralia für sie der sicherste Ort, auch wenn es zu den Ländern der Gilde gehörte. Sobald ihr Vater den Raum verlassen hatte zog Aliena sich rasch an, wobei nur das blasse Mondlicht ins Zimmer schien und alles in ein gespenstisches Licht hüllte. ‘Vater hat so ungewohnt dringlich geklungen‘, dachte sich die junge Frau nervös und beeilte sich damit sich anzuziehen. Aufgrund der anscheinend gegebenen Dringlichkeit ließ sie ihr hüftlanges Haar einmal offen und eilte wenig später zum Stall, um die weiße feingliedrige Stute zu satteln. „Rasch Aliena! Du musst heute Nacht noch so weit reiten wie es möglich ist.“ „Das werde ich, Vater.“ Ein Versprechen aus der Zuneigung zu ihm, der sie aufgezogen und besser ausgebildet hatte als es für Frauen ihres Landes üblich war. Dieses Geheimnis zu wahren war zu einem kleinen Teil für ihren kühlen arroganten Charakter verantwortlich, den das Natternnest der Gesellschaft noch weiter geformt hatte. Bald führte Aliena ihre Stute auf den Hof, umarmte den Vater ein letztes Mal, schwang sich elegant in den Seitsattel und lenkte Nayeli vom Hof. „In den Satteltaschen findest du alles, was du brauchst“, vernahm sie die Stimme ihres Vaters noch einmal ehe der Hof hinter ihr zurückblieb. „Auf Wiedersehen, Vater.“ Für diesen letzten Abschied drehte die junge Frau sich noch einmal im Sattel um und blickte ein letztes Mal zurück. Erleichtert beobachtete Rashiko seine Tochter bis die Dunkelheit sie verschluckt hatte. Er hatte ihr nicht erzählt, dass sich die politische Lage zuspitzte und er mit etwas Pech zum Ichani werden würde. Wie jeder hochrangige Mann des Landes hatte er seine Feinde, in deren Hand er sein einziges Kind nicht wissen wollte. So gesehen war es ein Glück, dass sie sich gerade nicht in der Hauptstadt aufhielten.
Für Aliena vergingen angespannte Minuten in der Stille der nächtlichen Wüste, als wüssten alle Lebewesen um eine unbekannte drohende Gefahr und versteckten sich in den letzten verbliebenen steinernen Grundmauern zerstörter Gebäude, während die Stute sich aufwärmte und dafür langsam gehen musste. Selbst ein auf den ersten Blick erkennbares Wüstenpferd musste sich aufwärmen. Aliena zählte die Zeit bis sie der weißen zierlichen, aber auch ausdauernden, Stute die Sporen geben konnte, damit diese auf der Stelle angaloppierte. Zum Glück war es so dunkel, dass selbst Nayelis reinweißes Fell nicht zu erkennen war. Nicht einmal die Sterne oder der Mond spendeten viel Licht. Es war gerade genug um den Weg zu erahnen. Es war alles ruhig, zu ruhig, während die Stute in raumgreifenden Galopp durch das karge Land fegte und ihre Reiterin der Sicherheit des Gebirges näher brachte, aber erst nach der Grenzüberquerung würde sie wirklich in Sicherheit gewesen sein. Dafür verbarg Aliena sich auf allen Ebenen, so dass ein fremder Magier nur Nayelis Geist wahrgenommen haben würde. Zum Glück hatte die Schwarzhaarige es getan, da sie irgendwann während einer der Pausen für Nayelis Wohl ein leises Surren auf der magischen Ebene wahrnahm, was für die Anwesenheit eines Magiers sprach. Zum ersten Mal war die junge Frau dankbar für die Dunkelheit, in der sie sich allein auf das Gespür der Stute für eine sicheren Weg verlassen musste. Eng an den warmen Körper des Pferdes gepresst entging die Schwarzhaarige der Aufmerksamkeit des fremden Magiers und konnte sich wenig später wieder im Sattel aufrichten.
Dank des Flusses Krikara hatten sie immer etwas Wasser in der Nähe als sie durch das Ödland ritten. Höchstens kurze Pausen für die Stute waren drin, damit diese trinken und etwas karges Gras essen konnte, während Aliena im Sattel sitzend nahrhaftes Dörrfleisch aß. Dieses hatte sie in einer Satteltasche gefunden. Zusammen mit einem weiteren Kleid, etwas Geld und ein paar persönliche Dinge wie ihren wenigen Schmuck und die Erinnerungsstücke aus ihrem Zimmer wie ein Bild von ihrem Zuhause, ihrem Vater und ihr sowie einen kleinen geschnitzten Würfel, der ein Geduldspiel war. Jeder Galoppsprung brachte die Dunkelhaarige dem Gebirge näher, dass schon immer am Horizont zu sehen gewesen war, und ließ es immer größer wirken. Vor allem war es deutlich besser zu erkennen, da es mit jeder Minute heller wurde. Erschreckt bemerkte Aliena, dass seit ihrem Aufbruch bereits einige Stunden vergangen waren. Je wärmer es wurde, desto regelmäßiger sah die Reiterin sich um, um ein schattiges Plätzchen für die wärmsten Stunden des Tages zu finden. Es gab aber nur dürre Bäumchen am Ufer des Flusses, die etwas Schutz boten. Während Nayeli döste würde Aliena um jeden Preis wach geblieben. Der Preis bestand in einem Einsatz ihrer Magie, um sich selbst zusätzliche Kraft zu geben, um den Schlaf zu vertrieben. Es war eine Art Selbstheilung bei starker Erschöpfung, die die magischen Kräfte aufzehrte und die Müdigkeit auf Dauer noch verstärkte, wenn man es über längere Zeit häufiger machte. ‘Ich werde erst schlafen können, wenn ich mein Ziel erreicht habe und in Sicherheit bin.‘ Aliena vertraute nur wenigen Personen und schlief nur an Orten, an denen sie sich sicher fühlte da ihr nichts unbemerkt passieren könnte oder der Ort so beschaffen war, dass sie ihn gegen Eindringlinge sichern konnte. Keines von beiden galt für jenes schattige Plätzchen unter den Blättern des Bäumchen, weshalb die Dunkelhaarige, während die Sonne über den Himmel wanderte, alle paar Stunden zu dem magischen Trick der Selbstheilung. Der Sand flimmerte immer stärker in dem Sonnenlicht und blendete immer stärker. Tagsüber war die Wüste halt alles andere als ein angenehmer Aufenthaltsort. In der nächsten Nacht würde sie das Gebirge erreicht und die Grenze zu Kyralia überquert haben. Dafür war Nayeli ausdauernd genug, wie es bei einem Wüstenpferd nicht überraschend gewesen sein sollte. Wie alle Pferde Sachakas war Nayeli extra darauf gezüchtet worden lange Strecken möglichst effizient mit wenig Nahrung zurücklegen zu können, wenn es sein musste.
Zeitgleich sehr weit von dem verwüsteten Ödland entfernt war ein dunkelhaariger junger Mann schon seit einigen Stunden wach. Am Abend würde seine Mutter nämlich einen Ball in der Familienvilla in Imardin geben, für den noch einiges vorbereitet werden musste, um die gesellschaftlichen Pflichten einer Familie der Häuser zu erfüllen. Gerade der Frau mit dem silberweißen Haar kam den Pflichten wirklich liebend gerne nach. Wegen des anstehenden Balls lag seine feine schwarze Kleidung bereit, die er später nach einem Bad anlegen würde. Vorher würde er aber noch einen Ausritt machen. „Van! Wo willst du hin?“ Mahnend klang die Stimme seiner Mutter hinter ihm. „Ich werde einen Ausritt auf Sheitan machen.“ Im Haus würde er bei den letzten Vorbereitungen sowieso nur im Weg herum gestanden haben. „Wenn du meinst. Sei pünktlich zurück.“ Die Adlige war wenig begeistert von dem Vorhaben ihres Sohnes, aber der er das Familienoberhaupt war konnte sie da nicht viel gegen tun. Innerhalb der Familie stand niemand mehr über ihm, was viele rechtliche Dinge betraf. Frauen waren zuerst Ehefrauen oder Mütter, wenn sie der Gilde nicht beitraten.
Geduldig wartete der junge Mann darauf, dass sein Pferd ihm gesattelt und gezäumt auf den Hof geführt wurde. Ein Adliger sattelte seinen Hengst nicht selbst. Es war noch ein angenehm warmer Herbsttag kurz vor Beginn des nächsten Wintersemesters der Gilde und die Sonne wärmte nach wie vor, obwohl es bereits erste Vorboten des nahenden Winters gab. Nicht mehr lange und die Saison würde als beendet erklärt werden. Darauf freute Van sich bereits, da seine Mutter dann keine weiteren Bälle, Soireen oder Picknicke veranstalten konnten. Dann aber war Sheitan gesattelt und er konnte aufbrechen. Langsam lenkte der junge Adlige den braunen großen Hengst durch die vollen Straßen der Hauptstadt Kyralias. Jeder Bürger wurde von ihm ignoriert, was erst recht galt, als er die Hüttenviertel im äußeren Ring erreichte, die er durchqueren musste, um das ländliche Gebiet vor der Hauptstadt Kyralias zu erreichen. Überall erwies man ihm den Respekt, den er als Adliger verdiente. Selbst die Wachen grüßten ihn höflich und ließen ihn ohne Probleme passieren. Noch im Schatten der großen Stadttore wieherte Sheitan und stellte die Ohren auf. Der Hengst wollte laufen. Außerhalb der Stadt gab Van ihm die Zügel frei und galoppierte in raschem Tempo über eine große Wiese vor Imardin. Erde wurde aufgewirbelt und bildete braune kleine Erdflecken auf der grünen Fläche. Van genoss es den kühlen Oktoberwind in seinem kurzen dunklen Haar zu spüren, der für ihn Freiheit von den strikten Vorstellungen seiner Mutter bedeutete. Leider hatte er niemanden, mit dem er gemeinsam ausreiten konnte, der mit Sheitan mithalten konnte. Für die meisten kyralischen Pferde war der Hengst mit einem Einschlag einer sachakanischen Pferderasse einfach zu schnell. Irgendwann in der weit zurückliegenden Vergangenheit müssen Pferde von dort nach Kyralia oder in die anderen verbündeten Länder gelangt sein. Spätestens bei dem Unabhängigkeitskrieg von Kyralia gegen Sachaka als die Ödlande entstanden.
Ein paar Stunden später am Abend stand Van neben seiner Mutter und begrüßte die Gäste der Feierlichkeit. Alle waren prächtig gekleidet und stellten ihren Reichtum und den Einfluss ihrer Familien zur Schau. Bald würde ein weiterer Jahrgang zur Gilde gehen, um zu studieren, und hatte daher heute den letzten Ball vor dem Beginn des Semesters an der Universität. Der junge Mann trug seine übliche schwarze Kleidung mit silbernen Familienincals an den Ärmeln und die schwarzen Stiefel seines Vaters. Folglich war er ein dunkler Fleck in den farbenfrohen Kleidern der anderen Menschen, aber trug niemals hellere Farben. Schwarz stand dem jungen Mann einfach am besten. Alle Familien der Häuser waren gekommen und füllten den Saal so sehr, dass man kaum noch seinen Weg bahnen oder ungestört tanzen konnte. Jeder kleine freie Platz wurde gebraucht und beim Tanz würde man sich an eine strikte Formation gehalten haben müssen, um sich nicht gegenseitig auf den Fuß zu treten. Erst als alle Gäste begrüßt worden waren war es für Van an der Zeit den Ball zu eröffnen. Formvollendet aber mit arroganter Miene bat er eine junge Frau, deren Namen er sofort wieder vergaß, um den ersten Tanz. Für ihn hatte sie keine weitere Bedeutung, wo er noch kein Interesse an einer Ehe hatte. Er wollte Magier werden und achtete aus diesem Grund nicht weiter darauf, wie sie aussah. Für den schwarzhaarigen jungen Mann war es zudem der letzte Ball bevor er zum Wintersemester der Gilde beitreten würde. Seine für solche Feierlichkeiten übliche schwarze Kleidung mit den silbernen Familienincals an den Ärmeln bildete einen Kontrast zu dem hellen Kleid der jungen Frau. Van war sich sicher, dass sie sich Hoffnungen machte ihn als Ehemann gewinnen zu können. Als Erbe seines Familienbesitzes war er eben eine gute Partie. Während er mit ihr tanzte spürte er auch die Blicke seiner Mutter, die ihn ebenso verlobt sehen wollte. Nur war unter den jungen Frauen keine, der er den Familienring anstecken wollte. Jenen Ring, den er von seinem Vater bekommen hatte, um ihn seiner Braut am Tag der Hochzeit zu geben. Außerdem war es jetzt eh nicht mehr so wichtig. Während der Jahre an der Gilde würde er eh keine Zeit gehabt haben, um eine junge Frau angemessen zu umwerben. Dabei ahnte Van nicht, dass er zu den begehrteren jungen Männern der Stadt gehörte. Nur der Administrator und der hohe Lord waren begehrter. Aber nun konnte er nicht weiter drüber nachdenken, da er seine Mutter daran hindern musste noch mehr Geld für Bälle oder Soireen auszugeben ehe das Semester begann. Sein Abschied war mit diesem Ball ausführlich genug gefeiert worden. Streng genommen war er ja das Familienoberhaupt, auch wenn er erst noch in diese Position hineinwachsen und sich gegen seine Mutter durchsetzen musste. Noch dazu hatte seine Familie genug Feinde, auch wenn diese Rivalitäten an der Gilde ruhen sollten. Seit er wusste, dass er auf die Gilde gehen würde, hatte er sich mit deren Regeln beschäftigt. Während Vans Gedanken so rasten, tanzte er mit vielen jungen Damen des Adels oder unterhielt sich mit seinen Freunden. Van konnte nicht die ganze Nacht tanzen, sondern brauchte auch mal eine Pause, in denen er etwas Wein trank, der ihm von einem Diener gereicht wurde. Um Mitternacht verabschiedete Van alle Gäste und wartete dann in dem Büro seines Vaters auf seine Mutter. Als sie eintrat und die Tür schloss ergriff er das Wort: „Diese ganzen Veranstaltungen müssen aufhören, Mutter. Wenn du etwas tun willst, dann kümmere dich darum, dass die Mitgift meiner Schwestern vollständig ist.“ Davon und von ihrer Unberührtheit hing ihre Ehe ab. Kyralia war schließlich nicht Elyne wo vieles etwas lockerer gehandhabt wurde. Dies wusste Van über die verbündeten Länder immerhin, aber von dem anderen Nachbarn Kyralia wusste er so gut wie nichts. Ebenso wenig, dass dieser Nachbar einst alle verbündeten Länder als Kolonien gehabt hatte. „Das sind aber gesellschaftliche Pflichten, die ich wahrnehmen muss.“ „Dennoch musst du nicht jede Woche eine Soiree oder einen Tanztee abhalten.“ Trotz aller Argumente wollte seine Mutter es einfach nicht einsehen. Zum Glück bekam niemand den Streit mit, da das Büro eine dicke Tür hatte die keine Geräusche nach draußen ließ. Die Diener mussten ja nicht wissen, dass die Familie selten einer Meinung war. Nachdem er seine Mutter aus dem Büro hatte gehen gelassen ging Van in sein eigenes Zimmer. Ein Zimmer, dass dem Erben des Anwesens angemessen war und das auch prächtig in rot und blau eingerichtet worden war. Zum Glück in dunklen Tönen der beiden Farben, so dass man erkennen konnte, dass ein junger Mann dort wohnte. Ein großes Himmelbett, das fast schon zwei Personen genug Platz zum Schlafen gegeben hätte, stand mit der Kopfseite an einer Wand links von der Tür, die fast an der Ecke zwischen der Seitenwand und der rechten Wand war. Gegenüber von dieser war ein großes Fenster mit schweren Vorhängen, die kaum Licht hindurchließen. Noch schlief er in dem großen Bett alleine und wenn es nach ihm ging konnte es auch so bleiben. Bisher hatte er keine junge Frau getroffen mit der er im selben Bett schlafen würde. ‘Für eine Ehe bin ich noch viel zu jung. Und außerdem weiß ich nicht, ob ich den jungen Frauen vertrauen kann.‘ Vertrauen war für Van sehr wichtig und er wollte die Zeit an der Gilde auch dazu nutzen, um zu prüfen, wer ein wahrer Freund war. In dieser Nacht träumte er von seiner Aufnahme in die Gilde, die in einigen Tagen stattfinden würde.
Am Mittag war Van wieder wach. Er hatte lange friedlich geschlafen, da es mal wieder ein anstrengender Ball gewesen war. Tanzen ermüdete eben. Da er gerade etwas freie Zeit hatte, entschied Van sich für einen Ausritt auf seinem braunen Hengst. Er hatte vieles, über das er nachdenken musste. Ihm war auf dem Ball und in dem folgenden Gespräch eindeutig vor Augen geführt worden, dass seine Mutter ihn verlobt sehen wollte. Er hatte es zwar geahnt, aber bisher hatte es noch niemand offen gesagt. Nur war es jetzt nicht mehr zu leugnen. Aber Van war eben nicht auf der Suche nach einer Braut, solange er noch die Zeit an der Universität vor sich hatte. Jetzt musste er nur noch einen Weg finden, wie er eine Verlobung vermeiden konnte. Mit gewohnt arroganter Miene ritt der junge Mann wenig später durch die Stadt und bald darauf zu den Stadttoren Imardins, die er ungehindert passieren konnte. Der Hengst witterte bereits vorher die klare Luft und stellte die Ohren auf, als wüsste er, dass er gleich rennen durfte. Vor Freude wieherte er einmal und beschleunigte seinen Schritt. Dann lagen die Stadttore hinter ihnen. Vögel saßen in den kahler werdenden Bäumen und zwitscherten fröhlich vor sich hin. Eine warme Herbstsonne schien und sorgte für eine angenehme Temperatur. Auch wenn der kühle Wind ein Vorbote des Winters war. Ein paar Meter weiter begann ein Feldweg, auf den Van einbog und dem Hengst endlich die Zügel freigab. Dieser wollte rennen und galoppierte daher auf der Stelle an. Er hatte einen raumgreifenden weichen Galopp. Allerdings war er auch ziemlich schnell. Für ungeübtere Reiter wäre er zu schnell und weniger leicht zu zügeln. Hier, jenseits der aufmerksamen Stadt, merkte man, dass Van nicht nur arrogant war. Diese Seite von sich, die so viel sympathischer wirkte, zeigte er nur den wenigsten. Seine wahren Freunde hätten diese zu sehen bekommen. Es war ein stundenlanger Ausritt durch die Gegend mit einer langen Pause an einem schwer sichtbaren Teich zwischen hohen Tannen. Das dunkle Wasser glitzerte im Sonnenschein und gab dem Teich eine verwunschene Wirkung als würde demnächst eine Nixe oder ein anderes Fabelwesen auftauchen.
Den ersten Tag nach ihrer Flucht hatte Aliena sich nahe dem im Gebirge verborgen gehalten und war weiter geritten, sobald Nayeli sich etwas ausgeruht hatte. Niemand durfte sie oder Nayeli sehen. Diese Vorsicht war von Bedeutung, da sie laut ihrem Vater für eine Kyralierin gehalten werden könnte und das bedeutete in der Regel Lebensgefahr, da Kyralia und die Länder der Gilde wenig angesehen waren. Aber auch als Tochter ihres Vaters wäre es sehr gefährlich. Als einziges Kind als eines Adligen wäre die junge Frau eine gute Geisel. Am schwierigsten würde die nahe Grenze gewesen sein, da diese von beiden Seiten aus unter Überwachung stehen konnte. Und niemand, erst recht nicht diese potentiellen Wachen, durfte sie beim Überqueren der Grenze beobachten. Aliena wollte nicht gefangen genommen werden. Ganz egal von wem, aber bei einem Sachakaner bedeutete es eher den Tod als bei einem Kyralier, vermutete die Schwarzhaarige. Aufgrund aller drohenden Gefahren gönnte Aliena sich im Gegensatz zu der Stute auch keine einzige Minute Schlaf, sondern heilte sich wieder einmal selbst, wie sie es von ihrem Vater gelernt hatte. Wenn die junge Frau dies zu oft machte schadete sie sich eher selbst, da es eben keinen vernünftigen Schlaf ersetzte, aber momentan ging es nicht anders. Die Risiken auf diesem Ritt waren zu hoch, um ein paar Stunden des Schlafes zu wagen. Sobald sie konnte, würde sie aber ein paar Stunden geschlafen haben. ‘Ich muss nur noch ein paar Tage durchhalten. Dann bin ich in Imardin.‘ Um sich in diesen Stunden wachzuhalten ging die Sechzehnjährige zu ihrer weißen Stute und strich ihr über den Hals. Nayeli schnaubte leise und stupste ihre Besitzerin sanft an. Die beiden verstanden sich seit Nayeli ein Fohlen gewesen war, wo Aliena sich um die mutterlose junge Stute gekümmert hatte und sogar im Stall geschlafen hatte. Je dunkler es einen Tag nach ihrer Flucht zu werden begann, desto mehr entspannte Aliena sich, da sie dann weniger gut zu sehen war. Als sie nur noch wenig erkennen konnte, sattelte sie Nayeli mit dem Damensattel. Andere Sättel waren mit ihrem bordeauxroten Kleid nicht zu vereinbaren. Dann war sie fertig und schwang sich erneut mit geübten Bewegungen in den Sattel. Als sie sich einmal umgesehen hatte überließ sie es Nayeli sich einen Weg zu suchen. Die Stute konnte sich sicher über den felsiger werdenden Boden des ansteigenden Gebirges bewegen und nur selten rollten kleine Kiesel weg und verursachten ein klackendes weithin hallendes Geräusch. Unwillkürlich spannte Aliena alle Muskeln an, auch wenn sie hier kaum jemand hören könnte. Gebirge gehörten nachts nicht gerade zu den stark aufgesuchten Gebieten. Einzig eine Eule war zu hören. Einige Meter weiter, als sie nichts anderes als Tiere wahrnahm, entspannte sie sich wieder und ritt durch eine zerklüftete Landschaft. Stunden vergingen in der Dunkelheit ehe sie kurz vor Morgengrauen den Kamm erreichte und sich an den Abstieg machte. An dem entfernten Horizont zeigte sich wenig später ein heller Streifen, der den nahenden Sonnenaufgang ankündigte. Übermüdet suchte Aliena sich ein Versteck zwischen dichten Bäumen und Büschen Kyralias, die für die junge Frau so ungewohnt war. So üppiges Grün der Pflanzen war in ihrer Heimat mit der Wüstenlandschaft mehr als ungewöhnlich. In Sicherheit des Verstecks zwischen vielen hohen Bäumen befreite die junge Frau Nayeli von Sattel und Gepäck. Die Landschaft war der Stute genauso ungewohnt wie ihre Besitzerin, aber nach einem umsehen und einmal Wälzen hatte die weiße Stute das Gras als ungefährlich kennen gelernt und begann zu grasen. Aliena wusste dabei aber nicht, dass das reichhaltige Gras für die Stute, die eher karges Gras gewöhnt war, gefährlich sein könnte. An reichhaltigere Nahrung musste man sich eben erst gewöhnen. Je heller es in den nächsten Stunden wurde, desto mehr konnte Aliena erkennen Gähnend sah sie sich staunend um. Dieses Land war so anders als ihre Heimat. Es war so grün und fruchtbar. Überall grasten Tiere oder suchten sich Nahrung. Noch nie hatte Aliena ein Land wie dieses gesehen. Den ganzen Tag, an dem sie sich immer wieder selbst heilte, über sah sie sich aufmerksam um, um einen Eindruck von Kyralia zu bekommen. Es gab so viel zu entdecken. Aus Instinkt heraus ritt Aliena nach Süden, was Sachaka immer weiter hinter ihr zurückließ. Bis sie einen Bauern fand, den sie nach dem Weg nach Imardin fragte. Zu ihrer Erleichterung lag es ganz im Süden am Meer und damit so weit weg von Sachaka wie es möglich war. Jetzt nützte es ihr dass ihr Vater einen kyralischen Sklaven gehabt hatte, der ihr seine Sprache beibringen musste. Dank der Hilfe von Bauern erreichte Aliena einige Tage später Imardin und das Haus der Familie ihrer Mutter, wobei ihr die missbilligenden Blicke der Männer Erinnerungen an Sachaka hervorriefen. Anscheinend war eine junge Frau hier wie dort nicht alleine unterwegs.
Als sie das Haus ihrer Mutter gefunden hatte wurde Aliena gleich in einen kleinen Salon geführt, wo ihre Mutter und deren Bruder warteten. Es war ein schwieriges Treffen, aber am Ende durfte sie bleiben. Allerdings zeigte schon das Abendessen wenig später. dass Aliena, ihr Onkel und dessen Sohn sich nicht miteinander verstanden. So kam es, dass der ältere Mann zur Gilde ging und seine Nichte dort noch etwas verspätet anmeldete. Im Gegenzug für eine großzügige Spende und aufgrund entfernter Verwandtschaft zum Haus Veland würde seine Nichte auf Magie geprüft werden und bei deren Vorhandensein zum nächsten Semester in die Gilde aufgenommen werden. Ebenso wenig wie die Gilde wusste er, dass Aliena bereits Magie beherrschte. Außerdem sollte sie die gebotenen Manieren beherrschen. Ganz im Gegensatz zu einem Mädchen aus den Hüttenvierteln. Das sagte zumindest ihr Onkel, als er ihr erzählte, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Gilde aufgenommen werden würde. Tatsächlich bestand Aliena die Prüfung ihres Potentials ohne zu ahnen, dass es auf dem Gang zum Markt geprüft wurde. „In drei Tagen ist die Aufnahmezeremonie in die Gilde. Danach wirst du dort in einem Gebäude für Novizen leben. Darum habe ich mich gekümmert. Hier wirst du aber nicht wohnen“, erfuhr die Dunkelhaarige von ihrem ebenso dunkelhaarigen Onkel. In diesem Moment war es der jungen Frau vollkommen gleichgültig, da sie die Regeln der Gilde noch nicht kannte und sich dort nicht mehr verstellen würde als hier. Eine Vergangenheit in Sachaka verbarg man besser. So viel hatte die Nichte eines Händlers bereits über die Gesellschaft in Kyralia und die Gilde bereits Erfahrung bringen können.
Van bereitete sich ebenfalls auf die Aufnahmezeremonie vor. Er wusste allerdings schon seit Jahren, dass er auf die Gilde gehen würde, wie auch seine Eltern es gemacht hatten. Als Erbe einer alten adligen Familie war es zugleich sein Recht und seine Pflicht. Und nichts hatte dies ändern können. Nicht einmal seine überraschende Übernahme der Position des Familienoberhauptes, die ihn tief getroffen hatte. Van hatte seinen Vater gemocht und vermisste ihn, obwohl man ihm nichts ansah. Arroganz und ausgeprägtes Selbstbewusstsein verbargen Warmherzigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Der junge Mann kümmerte sich um die Personen, für die er verantwortlich war. Die Tage vor der Zeremonie verbrachte er mit den Vorbereitungen. Seinen Hengst durfte er mitnehmen als er darauf hinwies, dass niemand sonst auf ihm reiten konnte und er keinen beeinflussenden Kontakt zu seiner Familie haben würde, wenn der Hengst auf dem Gelände stand. Und in der Gilde sollten schließlich persönliche Konflikte ruhen. Van freute sich wirklich den Hengst mitnehmen zu dürfen und in seiner freien Zeit Ausritte unternehmen zu können. Als er den Hengst zu der Universität brachte, stand dort auch eine zierliche weiße Stute, die zu einer Rasse gehörte, die ihm vollkommen unbekannt war. Der Hengst schien sich in seiner Box neben dieser Stute richtig wohl zu fühlen. Die beiden beschnupperten sich kurz und schlossen Freundschaft. Dementsprechend konnte Van beruhigt gehen und sich weiter auf die Zeremonie vorbereiten. Seine Kleidung dafür war bereits fertig genäht und hing in seinem Kleiderschrank. Auch seine Stiefel wurden am Abend vor der Zeremonie gründlich gereinigt.
An dem Morgen der Zeremonie wachte Van früh auf und begann sich fertig zu machen. Das letzte Mal für lange Zeit würde er seine schwarze Kleidung tragen. Aber immerhin würde ihm niemand verboten haben seine Stiefel, die er von seinem Vater bekommen hatte, getragen zu haben. Mit einem letzten Blick zurück in sein Zimmer machte Van sich auf den Weg zu der wartenden Kutsche, die ihn zur Gilde bringen würde. Seine Familie wartete schon im Flur, um bei der Zeremonie anwesend zu sein. Es war ein ruhiger Weg zur Gilde, da sie nicht durch die belebten Gegenden Imardins fahren mussten und außerdem war deutlich zu erkennen, dass es die Kutsche einer adligen Familie war. Irgendwann hielt die Kutsche vor der Gilde an und Van stieg aus, um seiner Mutter und seiner Schwester die Hand zu reichen, um ihnen aus der Kutsche zu helfen. Das brauchten sie aber auch bei ihren Kleidern. Gerade seine Mutter wollte ja den Reichtum der Familie zeigen. Reichtum war gleichbedeutend mit Einfluss. „Auf Wiedersehen, Mutter. Rhiana. Kyara. Liannon.“ Dann ging er gelassen davon, um sich der Gruppe der anderen neuen Novizen anzuschließen. Lord Osen beaufsichtigte diese noch relativ kleine Gruppe, die bestimmt noch anwachsen würde. Angemessen begrüßte Van den Assistenten des Administrators mit einer Verbeugung. Die plappernden neuen Novizen und Novizinnen um sich herum ignorierte Van. Es war aber auch ein aufregender Tag. Nur eine Novizin stand schweigend am Rand der Gruppe. Sie war offensichtlich nicht adlig, aber anscheinend aus seinem Heimatland. Jedenfalls unterschied sie sich nicht von anderen Kyralierinnen. Und dennoch fiel ihm ihre aufrechte Haltung auf, die ihm so sehr von adligen jungen Damen bekannt vorkam. Nur hatte er sie noch nie gesehen und dass er eine Tochter einer adligen Familie nicht kannte, war ausgeschlossen. Plötzlich sah sie zu ihm und er fühlte dunkle blaue Augen auf sich gerichtet. So einen kühlen Blick hatte er noch nie gesehen. ‘Liegt es am Licht oder sind ihre Augen wirklich fast schwarz?‘ Der Blickkontakt dauerte nur wenige Sekunden ehe sie zu anderen Novizen sah Und dennoch fühlte Van sich irgendwie durchschaut, als hätte sie ihn abschätzen wollen. Ihre Augen hatten so tief gewirkt, als könnte sie direkt in seine Seele sehen. Solche Augen hatte Van noch nie gesehen, da in dieser Tiefe auch etwas Undefinierbares gestanden hatte, was ihm einfach unbekannt war.
Hinter der undurchdringlichen Miene zuckte Aliena beinahe zusammen, als sie den Blick des dunkel gekleideten jungen Mannes auf sich spürte. Irgendwie schien er genauer hinzusehen als die anderen angehenden Novizen. Am liebsten wäre sie in den Schatten zurück gewichen, aber hier gab es keinen. Nicht das geringste bisschen. Es gab keinen Schutz vor der Aufmerksamkeit des Fremden und das gefiel der Schwarzhaarigen nicht im Geringsten. Irgendetwas an ihm machte sie misstrauisch und vorsichtig. ‘Hängt es mit seiner Ausstrahlung zusammen? So haben sich nur die Erben großer Häuser gehalten.‘ Als genau in jenem Moment ein weiterer Mann in Roben zu dem ersten Magier kam. Automatisch verbeugten sich alle angehenden Magier, weshalb Aliena sich ebenfalls dazu zwang, um ja nicht aufzufallen. Diese Sitte war ihr fremd und vollkommen unverständlich. In ihrer Heimat behandelten sich Magier ganz anders und konkurrierten in der Regel eher um Einfluss anstatt sich so höflich zu verhalten. Bisher war die hellhäutige junge Frau eher schnellstmöglich abgehauen, wenn sich ein anderer Magier näherte. Magier waren für sie immer gefährlich gewesen. Erst recht ausgebildete Magier, zu denen sie selbst ja auch gehörte, obwohl sie es hier tief in ihrem Kopf hinter vielen Schilden verbarg. Nach den Erzählungen ihrer Mutter kannten die Novizen noch keine Beherrschung der Magie. Aber nicht nur dieses – vergleichsweise recht kleine – Geheimnis verbarg sich in ihrem Kopf. ‘Vielen Dank Onkel. Nur wegen dir bin ich in der Höhle des Löwen gelandet.‘ Schweigend lauschte die junge Frau den Gesprächen und erfuhr mehr über die Gilde, was auch dringend notwendig war. So war Aliena wie ein düsterer Schatten in dem prachtvollen Eingangsbereich vor der prächtig verzierten Tür mit golden überzogenen Ornamenten. Dass sie lieber schwieg hieß aber nicht, dass sie sich wenig später beim Eintreten in die große Halle klaglos ans Ende drängen ließ. Aliena hatte eben auch ihren Stolz, auch wenn sie ihn hinter einer ungerührten Ausstrahlung verbarg.
Die Geräusche in der Halle waren für Van wie für Aliena ohrenbetäubend so sehr hallte es. Im Gegensatz zu dem Kyralier wusste Aliena aber nicht, dass es dadurch verursacht wurde, dass man viele Wände der ursprünglichen Universität herausgerissen hatte als die Gilde stark anwuchs. So war eine freie Fläche in der Mitte entstanden, die von vielen Sitzreihen, die kreisförmig angelegt waren, umrahmt wurden. Alle Augen waren auf die Novizen gerichtet, was Aliena dazu brachte sich insgeheim unwohl zu fühlen. Noch nie waren so viele Augenpaare auf sie gerichtet. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, aber man sah ihr nichts an. Nicht einmal als Lord Osen sie in der Gildenhalle aufstellte und sie neben einer ihrer neuen Mitschülerinnen stand. Die beiden so unterschiedlichen jungen Frauen waren nur vollkommen unterschiedlich und merkten es sofort. Die eine war aus Kyralia und wirkte wie eine junge Dame, die man in den feinsten Kreisen vorstellen konnte und die andere wie die undurchschaubare Außenseiterin. Allerdings war deutlich zu sehen, dass die Novizin aus Kyralia Aliena nicht einschüchtern oder verunsichern vermochte. Dazu war sie viel zu unabhängig und zu selbstbewusst als Bürgerin ihres Landes. Aliena wusste, was sie beherrschte und wie gefährlich sie sein konnte. Natürlich ahnte die Kyralierin nichts davon. Stück für Stück stellte Lord Osen derweil die neuen Novizen vor, während die beiden dunkelhaarigen Frauen sich in einem stummen Duell maßen. Von allen genannten Namen behielt Aliena nur zwei. „Van aus Familie Kiran Haus Illian“, wurde von Lord Osen vorgestellt. Ebenso wurde auch Narina aus der Familie Lanien vorgestellt. Dies war die Novizin, mit der schon auf den ersten Blick ein Konflikt zu schwelen begann. Für die adlige Narina war Aliena eben nur eine bürgerliche Novizin, wie sie aufgrund Alienas Kleidung annahm. Im Gegensatz zu dem üblichen Ablauf einer Aufnahmezeremonie wurde diesmal keine Frage an den hohen Lord gerichtet, da er bereits eine Novizin hatte und keine zweite wählen durfte. Dennoch war er anwesend und bewirkte eine angespannte Atmosphäre bei den Gästen der Feier. Er war eben ein dunkler Schatten inmitten aller Farben. Über seine Gründe für die Anwesenheit konnten alle Gäste nur spekulieren, da er nun einmal undurchschaubar war. Deshalb wurden zuerst die hochrangigen Magier und im Anschluss die anderen Magier gefragt. Es nahmen nur wenige Magier einen Novizen. Narina gehörte im Gegensatz zu Van und Aliena zu den wenigen Auserwählten. Aliena selbst legte als eine der ersten Novizen ohne Mentor ihren Eid für die Aufnahme in die Gilde ab.
Van war nicht überrascht, dass er keinen Mentor bekam. Er brauchte aber auch keinen. Schließlich war er sein ganzes Leben im Dunstkreis der Gilde aufgewachsen und wusste vieles über diese Vereinigung von Magiern. Zumindest solange es zu dem allgemein bekannten Wissen über die Gilde gehörte. Gegenüber von Direktor Jerrik legte er seinen Novizeneid ab und nahm seine Roben entgegen, die nur halblange Ärmel hatte. Im Gegensatz zu den Roben der Magier, die lange Ärmel hatten. Seine Mutter hatte Tränen in den Augen als er den Eid ohne zu stocken ablegte und damit zur Gilde gehörte. Jetzt würde er alles lernen, was er brauchte, um später die Familie würdig zu vertreten. Allerdings brauchte er nun noch eine angemessene Braut und sie würde ihm eine solche suchen. Unter den Novizinnen fiel ihr dabei besonders Narina auf. Diese war das, was sie sich unter einer passenden Braut für Van vorstellte. ‘Ich hoffe Van sieht das genauso.‘ Lanea war bewusst, dass ihr Sohn seinen eigenen Kopf hatte, wie es einem zukünftigen Familienoberhaupt angemessen war. Ein Hausherr ließ sich nicht alles von seiner Mutter vorschreiben. Außerdem war er jetzt ihrem Einfluss entzogen und hatte ein Zimmer in den Novizenquartieren erhalten. Familienkonflikte hatten an der Gilde nichts zu suchen. Van fand es einerseits positiv, aber er machte sich auch Sorgen, dass niemand mehr seine Mutter am Geldausgeben hindern konnte. Das letzte Mal für längere Zeit trug er seine geliebte schwarze Kleidung. In der Universität hatte er schließlich seine Novizenrobe zu tragen. Mit arroganter Miene stand Van die ganze Zeit der Aufnahmezeremonie ruhig an seinem Platz und wartete ab bis alle neuen Novizen ihren Eid abgelegt hatten. Was seine Zeit dauerte, da es bestimmt zwanzig Novizen waren. Noch an diesem Tag sollte er die ersten Lektionen in der Magie erhalten, aber erst einmal gab es eine kleine Pause, wo die Zimmer zugeteilt wurden und die Novizen sich umziehen konnten. Für Van war es eine gänzlich ungewohnte Art von Quartier. Bisher kannte er nur sein Zimmer im Elternhaus gesehen, das ja sehr viel prächtiger gewesen war. Selbst die Matratze war luxuriöser und weicher als die hier. Allerdings war alles Notwendige – wie ein Schreibtisch und ein Schrank mit einem abschließbaren Fach – vorhanden.
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