Frei und schwerelos
von WitchesOfOz
Kurzbeschreibung
»Elphie, sieh nur!«, flüsterte sie ehrfürchtig und deutete nach rechts. Hinter ein paar Häuserreihen erhob sich dort die Silhouette eines Riesenrads. »Können wir nicht schnell dort vorbeischauen?«, fragte sie mit leuchtenden Augen. »Vielleicht ist das ein Rummelplatz oder dergleichen... das würde ich mir zu gerne einmal ansehen!« --- Elphabas kleine Rache dafür, dass Glinda sie zu einem Jahrmarktbesuch in der Smaragdstadt gezwungen hat...
GeschichteFreundschaft / P12 / Gen
Elphaba Thropp
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
01.04.2014
01.04.2014
1
3.160
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01.04.2014
3.160
AN: In dieser Geschichte war es notwendig, Elphaba den Besen schon früher in die Hand zu legen. Woher dieser Besen stammt und wie sie ihn zum Schweben brachte, ist zwar für den Inhalt dieser Geschichte irrelevant, wir waren aber trotzdem der Meinung, dass es einer Erklärung bedarf: Im Zuge einer Übung für den Zaubereiunterricht hat Elphaba den Besen schon in Shiz verzaubert, ihn aber seither vor Madame Akaber verborgen, damit diese ihn nicht konfisziert. Das ist der Grund, warum sie den Besen hier bereits vor dem Treffen mit dem Zauberer zur Verfügung hat. Nachdem hiermit alles gesagt ist, wünschen wir viel Spaß beim Lesen und freuen uns auf Reviews! :)
Die Bewohner der Smaragdstadt eilten geschäftig wie immer scheinbar ziellos hin und her. Die späte Nachmittagssonne schien ein jedem ins Gesicht, und kaum jemand konnte durch seine geblendeten, zusammengekniffenen Augen noch viel von seiner unmittelbaren Umgebung erkennen. Die grüne Farbe des Palastes, die das Licht reflektierte und funkelnd in alle Richtungen warf, tat ihr Übriges, und immer wieder wurden Flüche und Beschimpfungen laut, wenn ein wichtiger Aktenkofferträger mit einem anderen kollidierte.
Die einzige Person, die das Licht nicht störte, der es im Gegenteil sogar recht willkommen war, trat soeben aus dem funkelnden Palast heraus und zog hinter sich eine etwas kleinere Gestalt auf die Straße.
»Kommst du, Glinda?« Glinda stolperte hastig hinterher.
»Nun hetz doch nicht so«, murmelte sie unwillig. »Bei diesen Lichtverhältnissen werden wir sonst noch von der nächstbesten Kutsche überrollt...«
Elphaba lächelte halb. Sie war zunächst wenig begeistert gewesen, dass die Diskussionen mit dem Sekretär (oder was auch immer die Aufgabe dieses ungehobelten Kerls auch sein mochte) so lange gedauert hatten, doch nun sorgte die Sonne immerhin dafür, dass sie nicht die geringste Aufmerksamkeit erregte, weil ohnehin alle mit sich selbst beschäftigt waren. Zudem hatte sie endlich ihr Ziel erreicht – einen Termin mit dem Zauberer. Somit konnte man beinahe behaupten, sie sei heute gut gelaunt. Jedenfalls kam auf dem Weg zurück ins Hotel kein Wort der Beschwerde über ihre Lippen.
Kurz bevor sie dort ankamen, blieb Glinda plötzlich wie angewurzelt stehen. Da sie Elphabas Hand festhielt, wurde diese dadurch ebenfalls gebremst.
»Elphie, sieh nur!«, flüsterte sie ehrfürchtig und deutete nach rechts. Hinter ein paar Häuserreihen erhob sich dort die Silhouette eines Riesenrads. »Können wir nicht schnell dort vorbeischauen?«, fragte sie mit leuchtenden Augen. »Vielleicht ist das ein Rummelplatz oder dergleichen... das würde ich mir zu gerne einmal ansehen!«
Sofort erstarb das Lächeln auf Elphabas Lippen und sie hob eine Augenbraue, wobei sie zugleich die Stirn in tiefe Falten zog. »Dafür haben wir nun wirklich keine Zeit...«, sagte sie kühl und zog Glinda eilig in die andere Richtung. »Warum denn? Was haben wir denn so wichtiges zu tun?«, protestierte diese sogleich und blieb erneut stehen, sodass Elphaba entweder ebenfalls stehen bleiben, oder ihre Hand hätte loslassen müssen. Sie entschied sich dazu, mit ihr zu stoppen und das mitten auf dem Weg, sodass einige Passanten in Glindas Rücken stießen und sich lautstark über das plötzliche Hindernis beschwerten. Glinda murmelte hastig einige Entschuldigungen in jede Richtung und sah Elphaba dann bittend an. Jedoch kam sie gar nicht zu Wort, denn Elphaba ließ bereits ihren Einwand verlauten: »Schnell aus den Menschenmassen verschwinden, das haben wir zu tun... Und da sind wir dort drüben eindeutig an der falschen Adresse...«
Man konnte den Jubel bis herüber hören. Lachende Kinder schlängelten sich an ihnen vorbei durch die Menge in Richtung des großen, glitzernden Riesenrads.
»Nur... eine Runde...?«
Elphaba verzog das Gesicht. »Ach... und aufsteigen soll ich also auch noch...? Nie und nimmer!«
Nie und nimmer. Das bedeutete nichts. Zumindest nicht, wenn Glinda diejenige war, zu der man es sagte. Elphaba hatte ihrem bittenden Blick nicht widerstehen können und so fand sie sich wenig später in der Warteschlange vor dem Riesenrad wieder, umringt von Kindern und ihren Müttern, jungen Männern und Freundinnen, die sich drängten und tummelten und ihr schrecklich missbehagten.
»Bist du jetzt glücklich?«, zischte sie, als Glinda sie mit einem scheinbar triumphierenden Blick bedachte. Doch diese lächelte bloß. Natürlich war sie jetzt glücklich. Sie hatte ihren Willen bekommen. Und ganz sicher würde Elphaba auch bald glücklich sein. Man konnte gar nicht in der Gondel eines Riesenrads sitzen und nicht glücklich sein!
»Ist das nicht wundervoll?«, fragte sie mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. »Wenn wir dann oben sind, haben wir sicher einen fantastischen Ausblick über die Stadt. Als würde man fliegen... ganz frei und schwerelos«, kicherte sie übermütig.
»Schwerelos und fliegen ist eigentlich etwas anderes«, murmelte Elphaba und hielt sorgsam ihren Besen fest, der fast noch mehr irritierte Blicke verursachte als ihre Haut. Glinda hörte ihr gar nicht zu, sie zog an Elphabas Ärmel und deutete lachend nach oben. Elphaba legte den Kopf in den Nacken und folgte ihrem Blick zum höchsten Punkt des Riesenrads. Kleine, vom Sonnenlicht rosige Wolken trieben über sie hinweg, und es schien, als bewegte sich das große Gestell ebenso, als fiele es langsam auf sie zu. Elphaba wandte den Blick ab und schüttelte unwirsch den Kopf. Dabei stolperte sie fast gegen ein Kind, das etwas verloren umherirrte und selbst ein wenig grünlich aussah. Offenbar war ihm die klebrige Zuckerwatte nicht allzu gut bekommen. Elphaba wich ihm hastig aus und drängte sich dadurch etwas näher an Glinda, die ohne auch nur hinsehen zu müssen wieder nach ihrer Hand griff.
»Ich sehe zu, dass wir zwei alleine in eine Gondel kommen, einverstanden?«, rief sie Elphaba ins Ohr. Anders konnte man sich hier ja kaum Gehör verschaffen.
Elphaba nickte nur. Sie hoffte sehr, dass das möglich war, doch Anbetracht der Länge der Schlange, zweifelte sie daran.
Wie lange hatte es gedauert? Zwei Stunden? Oder doch drei? Elphaba hatte ihr Gefühl für Zeit verloren. Sie hatte ohnehin den Eindruck, sie ticke nicht mehr richtig, denn schon mehrmals hatte sie den Wunsch verspürt einem unverschämten Gör, das an ihr vorbeigedrängte und sie dabei fast umgestoßen hätte, eigenhändig den Hals umzudrehen. Einmal hatten drei kleine Mädchen sogar die Unverfrorenheit besessen, unter ihren Röcken Verstecken zu spielen, bis ihre Mutter sie gescholten hatte. Sie hatte wohl gefürchtet, die auffallend grüne Dame hätte sie ansonsten mit ihrem Besen verprügelt. Wahrscheinlich hatte sie Elphabas Zähneknirschen bis an die andere Seite des Platzes vernommen.
Doch nun war es endlich soweit. Sie hätten mit drei anderen, wie Gänse schnatternden Mädchen in eine Gondel steigen können, doch Glinda blieb mitten vor der Tür stehen und gewährte einer Mutter und ihrem kleinen Sohn den Vortritt, sodass Elphaba ein ungehaltenes Stöhnen entfuhr. Sie war sich sicher, dass sie sich bald die Füße in den Boden gestanden hatte und sie hatte keine Lust zu warten, bis eben das eintraf.
»Was ist denn nun?«, zischte sie ihr wütend zu. »Nun bist du endlich an deinem Ziel angelangt, jetzt wirst du gefälligst einsteigen und--«, Glinda unterbrach sie: »Aber ich hatte doch gesagt, ich würde dafür sorgen, dass wir zwei alleine in eine Gondel steigen können...« Elphaba wollte schon zu einer Gegenrede ansetzen, wollte schon sagen, es sei ihr herzlich egal, wobei sie doch im Grunde genau wusste, dass es ihr nicht herzlich egal war und, dass sie es sogar sehr begrüßen würde, sich nicht mir drei anderen Personen in eine enge Gondel zu drängen.
»Miss?«, klang da die Stimme des Mannes, der die Karten für die Riesenradfahrt verkaufte. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Oh doch«, flötete Glinda zuckersüß. »Aber ich hatte gehofft, sie wären vielleicht bereit, mir eine kleine Bitte zu erfüllen...?« Sie traten beiseite, sodass sie den Zustieg in die Riesenradgondeln nicht behinderten.
»Was gibt es, Miss?« Der Herr setzte eine gezwungen freundliche Miene auf und schenkte Glinda ein beinahe zahnloses Lächeln, wobei er sich große Mühe gab, ihre hochgewachsene, grüne Begleitung nicht allzu unverwandt anzustarren, das konnte Elphaba genau sehen.
»Nun... Meine Freundin und ich, wir haben uns gefragt, ob es uns wohl gestattet sei, allein in eine Gondel zu steigen?«
Der Herr schüttelte hastig den Kopf.
»Miss, nein, das kann ich unmöglich gestatten... sehen Sie diese lange Schlange an Menschen? Sie wollen alle mit dem Riesenrad fahren. Es ist eine besondere Attraktion und wenn ich Ihnen beiden nun den Vorzug überlasse, zu--«
»Ich glaube, ich habe mich falsch ausgedrückt«, fiel Glinda ihm ins Wort. Sie kramte in ihrer Tasche und steckte ihm einen Geldschein zu. »Meine Freundin und ich wünschen alleine in eine Gondel zu steigen... Vielen Dank...« Der Herr blickte Glinda ein wenig verwirrt an, doch man konnte nicht leugnen, dass ihm das kleine Entgegenkommen seines Gegenübers gefiel.
»Nun denn...«, sagte er, wobei er hastig den Geldschein einsteckte.
»D-Die junge Dame muss aber ihren... ihren Besenstiel hierlassen...«, sagte er, mit Blick auf Elphaba.
»Und die junge Dame nimmt ihren Besenstiel mit, wo immer es ihr gefällt...«
Der Herr zog den Kopf ein und nickte. »Sehr wohl...«, sagte er darauf, als sei Elphaba seine Königin. Ihr strenger Tonfall schien ihn zutiefst eingeschüchtert zu haben. Man konnte es ihm nicht verdenken. Gewiss hatte er noch nie eine grüne Frau mit einem Reisigbesen gesehen.
»Wenn...wenn Sie mir nun bitte folgen würden...«, stammelte er. Glinda kicherte leise. Sie freute sich, dass ihr Plan so gut aufgegangen war – Elphaba hatte während der Wartezeit mehrmals so ausgesehen, als würde sie jeden Moment Amok laufen, und sie wollte, dass es die Wartezeit wert gewesen war. Der Kartenverkäufer wies ihnen mit untertänigen Gesten den Weg zur nächsten ankommenden Gondel, aus der soeben eine ganze Großfamilie ausstieg. Drei, vier... nein, fünf Kinder aller Altersstufen sprangen hinter ihren Eltern heraus und rannten dabei einen kleinen Jungen um, der prompt zu weinen und plärren anfing. Elphaba verzog das Gesicht, und daraufhin wurden sie alle beide in die Gondel komplimentiert, da der Herr offenbar doch noch einen Wutausbruch befürchtete. Hinter ihnen schloss er eilig die Tür, damit sich die hinter ihnen Wartenden nicht sogleich mit hineindrängen konnten. Das aufkommende Murren wurde mit einem entschuldigenden Murmeln quittiert, das zwar ganz gewiss von niemandem verstanden wurde, aber dennoch die Gemüter zu beruhigen schien.
Elphaba ließ sich von Glinda in einen der Sitze drücken. Es waren einfache Holzbänke, aus denen Splitter stachen. Glinda würde sich ihr Kleid ruinieren, dachte Elphaba, doch ausnahmsweise schien diese das nicht weiter zu kümmern. Sie setzte sich neben Elphaba und lehnte sich an sie, während das Riesenrad sich langsam in Bewegung setzte. Allerdings fiel es ihr wohl schwer, ruhig zu halten. Immer wieder kicherte sie und meinte schließlich aufgeregt: »Elphie, wenn wir ganz oben sind, musst du mich festhalten... ich weiß ja, dass man nicht aufstehen darf, aber ich möchte so gerne richtig hinaussehen können!«
Elphaba verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf, konnte aber ihr leises Lächeln nicht verbergen.
»Was ist...?«, fragte Glinda. Sie nahm Elphabas Hand und strahlte sie an, als wäre sie die goldene Sonne selbst, die sie nun blendete, sodass sie mit der anderen Hand hastig die Augen beschirmen musste.
»Ach nichts...«, sagte Elphaba bloß, lächelte dabei jedoch weiter, dass Glinda beinahe befürchtete, sie hätte nun wirklich den Verstand verloren.
»Das glaube ich dir nicht...«, sagte sie. »Erst scheint es, du wolltest vor Wut alles in Grund und Boden stampfen und dann grinst du von einem Ohr zum anderen... Irgendetwas muss doch sein!« Elphaba schüttelte den Kopf und befreite ihre Hand.
»Schau nur«, sagte sie, »wie die Sonne die Dächer der Stadt zum Strahlen bringt...« Glinda wandte sich hastig um. »Oh ja!«, rief sie. »Du hast recht! Aber wenn wir erst einmal ganz oben sind, werden wir das alles noch viel besser sehen können!« Sie lehnte sich selig lächelnd in ihrem Sitz zurück und umfasste Elphabas Arm, wobei sie ihre Wange an deren spitze Schulter schmiegte.
»Ich bin sicher, du bist jetzt auch glücklich, Elphie... du musst einfach glücklich sein...«
Elphaba nickte und ihr Lächeln wurde noch breiter.
»Ja, Glinda... Ich bin glücklich...«, sagte sie. »Sogar sehr...«
Das Riesenrad trug sie höher und höher. Bald sahen sie die höchste Turmspitze des Palastes, der königlich über der Smaragdstadt thronte und in der Sonne funkelte und glänzte, wie ein grüner Stern. Glinda hatte sich immer dichter an Elphaba gedrängt und als das Riesenrad seinen höchsten Punkt erreichte, flüsterte sie: »Elphie... irgendwie ist mir in solcher Höhe doch ein wenig mulmig zumute... Und das mit bloß einem dünnen Holzboden unter den Füßen. Man könnte fast wirklich meinen, man sei schwerelos...«
Da stieß Elphaba Glinda sanft zur Seite. Sie erhob sich und trat an die Tür der Gondel, wo man durch das gläserne Fenster bis hinab auf den Marktplatz blicken konnte, der nun in schwindelerregender Tiefer lag. Elphaba betrachtete das metallene Gerüst des Riesenrads. Sie sah hinab auf die anderen Gondeln und umfasste ihren Besenstiel fester.
»Elphie? Was tust du da! Man darf doch nicht aufstehen!«, hörte sie Glinda rufen, die nun wie an ihren Sitz gefesselt war und nie auch nur in Erwägung gezogen hätte, sich zu erheben.
»Ich hätte wissen müssen, dass ich eher dich besser hätte festhalten sollen...« Es hätte wohl heiter und lustig klingen sollen, doch es wirkte eher, wie ein Vorwurf.
Elphaba wandte sich halb zu ihr um und lächelte beruhigend.
»Es kann nichts passieren, Glinda... dieses Gerät bewegt sich viel zu langsam, als dass ich einfach hinausfallen könnte.« Ihr Lächeln bekam einen schelmischen Zug. »Natürlich, wenn ich mich über das Geländer beugen würde... oder es vielleicht erklettern würde, das wäre etwas anderes. Was meinst du, fühlt man sich schwerelos, wenn man fällt?«, grinste sie und tat, als setze sie einen Fuß auf das Geländer.
Glinda stieß einen leisen, erschrockenen Schrei aus, den sie mit beiden Händen vor ihrem Mund erstickte, und kniff ängstlich die Augen zu. Sie hörte Elphaba lachen und wollte sie schimpfen dafür, dass sie ihr solch einen Schrecken eingejagt hatte, doch sie wagte es nicht aus Angst, sie damit nur noch mehr anzustacheln. Sie hielt die Augen geschlossen und erschrak dadurch umso mehr, als plötzlich jemand nach ihrer Hand griff und sie von der Bank hochzog.
»Du wolltest doch die Aussicht genießen können«, sagte Elphaba neben ihr leise. »Mit geschlossenen Augen wirst du kaum etwas davon haben.«
Glinda überlegte, sie dennoch aus Trotz geschlossen zu halten, doch ihre Neugier siegte. Sie hob die Lider und nahm einen erstaunten Atemzug.
Der Smaragdpalast reflektierte das Licht der tiefstehenden Sonne in alle Richtungen, und die funkelnden eingelassenen Steine brachen es und sandten scheinbar eigenes Licht in verschiedenen Schattierungen aus. Die umstehenden Häuser schienen selbst zu leuchten, in grün, türkis und zartem rosa, und am Horizont stand rötlich die Sonne und beleuchtete ein paar einzelne Wolken, die aussahen, als hätte ein Kind bunte Zuckerwatte in den Himmel geklebt. Glinda vergaß, dass sie eigentlich brav auf der Bank sitzen sollten. Sie drängte sich ans Geländer, so stürmisch, dass Elphaba nun doch leicht die Arme um ihre Taille legte, um sie festzuhalten, sollte sie sich zu weit vorbeugen.
»Das ist wunderschön«, hauchte Glinda mit vor Ehrfurcht ganz zarter Stimme. »Fast wünschte ich, wir könnten immer hierbleiben... fast schwerelos im Sonnenuntergang...« Sie griff nach Elphabas Hand und hielt sie fest.
»Ich könnte versuchen, dir zu zeigen, was es heißt, wirklich schwerelos zu sein...«, flüsterte Elphaba. Sie flüsterte es ganz leise in Glindas Ohr und Glinda riss sich einen Moment von dem herrlichen Ausblick los und musterte Elphaba mit einem Gesicht, das deutlich Verwirrung ausdrückte.
»Ich verstehe nicht ganz...«, sagte sie. Elphabas Grinsen behagte ihr nicht recht und sie trat automatisch einen halben Schritt vom Geländer zurück, als ahnte ihr bereits Beängstigendes.
»Du hast immer bezweifelt, dass man auf diesem Ding tatsächlich fliegen kann...«, begann Elphaba. Glinda schüttelte sogleich den Kopf. »Nein!«, rief sie. »Elphie! Du bist wahnsinnig! Das kannst du doch nicht machen...«
Elphaba lächelte.
»Ich kann...«, sagte sie. »Hab keine Angst...«
Sie streckte die Hand nach Glindas aus und Glinda ergriff die dürren, grünen Finger ihrer Freundin, ohne zu wissen, weshalb. Vielleicht war sie neugierig. Vielleicht aber auch wahnsinnig. Ihr Atem ging stoßweise als Elphaba auf den Besen stieg, wie auf ein Pferd und Glinda aufforderte, dasselbe zu tun.
»Elphie... Das... ist lächerlich... Was wenn uns jemand sieht...?«
Elphaba stieß Glinda sanft mit dem Ellenbogen in die Seite.
»Das ist nicht lächerlich...«, sagte sie, doch trotzdem kräuselte dabei ein Lächeln ihre Mundwinkel.
Und ehe Glinda ein weiteres Protestwort sprechen konnte, stieß Elphaba tatsächlich die Füße vom Boden ab und der Besen schwebte über das Geländer hinweg. Sie trieben sanft in der Luft, als lägen sie auf Wolken. Ein zartes Lüftchen brachte Glindas Röcke zum Flattern und ihre Haare zum Fliegen und sie fühlte sich mit einem Mal frei, wie ein Vogel. Sie schloss die Augen. Aus den Gondeln links und rechts hörte sie erstauntes Murmeln, hörte sie Schritte, die aufgeregt an die Geländer trippelten, um sie zu sehen. Und plötzlich hörte sie Elphaba ein leises Lachen ausstoßen, bevor sie im rasanten Sturzflug in die Tiefe segelten.
Ein kollektiver Aufschrei ging durch die Menge, den Glinda allerdings nicht hören konnte, weil ihr eigener Schrei in ihren Ohren klang.
Elphaba lachte nur, als sie spürte, wie Glinda sich panisch an ihr festklammerte. Sie sah nach unten, wo die Leute zu ihr aufsahen und murmelten und staunten und erst langsam begriffen, dass sie den Besen noch immer nicht abbremste. Ein kleines Mädchen war schließlich die erste, die zu kreischen begann und fortrannte, um auszuweichen. Dennoch war noch nicht jeder zur Seite gestoben, und viele der Jahrmarktbesucher duckten sich angstvoll, als Elphaba mit einem irren Lachen knapp über ihnen den Besenstiel herumzwang und beinahe senkrecht wieder nach oben zog. Staunend blickten sie der grünen Frau und ihrer Freundin auf dem Besen hinterher, hin- und hergerissen zwischen ehrfürchtiger Bewunderung und Ärger über den Schrecken.
Glinda murmelte irgendwelche Verwünschungen in ihr Ohr, während sie immer höher stieg und den Besen schließlich weit über dem Riesenrad zur Ruhe brachte.
»Du kannst deine Hände von meinem Hals nehmen«, schlug Elphaba etwas atemlos vor. »Es gibt keinen Grund, mich zu strangulieren.«
»Es gibt auch keinen Grund, uns beinahe in den Tod rasen zu lassen!«, erklärte Glinda mit Nachdruck und lockerte ihren Griff ein wenig. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie schwor sich, sich niemals wieder auf Elphabas Vorschläge einzulassen.
Elphaba grinste nur und ließ den Besen zurück in Richtung des Hotels schweben. Glindas Schimpfen nahm sie kaum wahr. Nach der Enge und den misstrauischen Blicken in der Menge auf dem Rummelplatz, fühlte sie sich hoch in der Luft um einiges wohler. Nur um Glindas Geld und Mühe, eine Gondel nur für sie beide zu ergattern, tat es ihr Leid, doch nach einer Weile schmiegte sich Glinda wieder halbwegs beruhigt an sie und schien sich nicht weiter daran zu stören, dass sie ihre Fahrt nicht beendet hatten.
Jahre später, als die Angst vor der Bösen Hexe des Westens allgegenwärtig war, gab es kaum einen Ozianer, der noch an ihre Unschuld glaubte. Doch ein paar wenige, älter gewordene Kinder erinnerten sich an einen Tag auf dem Jahrmarkt der Smaragdstadt, an eine grüne Frau, unter deren Röcken sie Verstecken gespielt oder, vor der ihre Eltern sie gewarnt hatten, und daran, wie diese Frau schließlich gemeinsam mit ihrer Freundin auf einem Besen davongeflogen war, ein fröhliches, übermütiges Lachen auf den Lippen. Und sie fragten sich, ob wirklich schon alle Hoffnung verloren war.
***
Frei und schwerelos
Die Bewohner der Smaragdstadt eilten geschäftig wie immer scheinbar ziellos hin und her. Die späte Nachmittagssonne schien ein jedem ins Gesicht, und kaum jemand konnte durch seine geblendeten, zusammengekniffenen Augen noch viel von seiner unmittelbaren Umgebung erkennen. Die grüne Farbe des Palastes, die das Licht reflektierte und funkelnd in alle Richtungen warf, tat ihr Übriges, und immer wieder wurden Flüche und Beschimpfungen laut, wenn ein wichtiger Aktenkofferträger mit einem anderen kollidierte.
Die einzige Person, die das Licht nicht störte, der es im Gegenteil sogar recht willkommen war, trat soeben aus dem funkelnden Palast heraus und zog hinter sich eine etwas kleinere Gestalt auf die Straße.
»Kommst du, Glinda?« Glinda stolperte hastig hinterher.
»Nun hetz doch nicht so«, murmelte sie unwillig. »Bei diesen Lichtverhältnissen werden wir sonst noch von der nächstbesten Kutsche überrollt...«
Elphaba lächelte halb. Sie war zunächst wenig begeistert gewesen, dass die Diskussionen mit dem Sekretär (oder was auch immer die Aufgabe dieses ungehobelten Kerls auch sein mochte) so lange gedauert hatten, doch nun sorgte die Sonne immerhin dafür, dass sie nicht die geringste Aufmerksamkeit erregte, weil ohnehin alle mit sich selbst beschäftigt waren. Zudem hatte sie endlich ihr Ziel erreicht – einen Termin mit dem Zauberer. Somit konnte man beinahe behaupten, sie sei heute gut gelaunt. Jedenfalls kam auf dem Weg zurück ins Hotel kein Wort der Beschwerde über ihre Lippen.
Kurz bevor sie dort ankamen, blieb Glinda plötzlich wie angewurzelt stehen. Da sie Elphabas Hand festhielt, wurde diese dadurch ebenfalls gebremst.
»Elphie, sieh nur!«, flüsterte sie ehrfürchtig und deutete nach rechts. Hinter ein paar Häuserreihen erhob sich dort die Silhouette eines Riesenrads. »Können wir nicht schnell dort vorbeischauen?«, fragte sie mit leuchtenden Augen. »Vielleicht ist das ein Rummelplatz oder dergleichen... das würde ich mir zu gerne einmal ansehen!«
Sofort erstarb das Lächeln auf Elphabas Lippen und sie hob eine Augenbraue, wobei sie zugleich die Stirn in tiefe Falten zog. »Dafür haben wir nun wirklich keine Zeit...«, sagte sie kühl und zog Glinda eilig in die andere Richtung. »Warum denn? Was haben wir denn so wichtiges zu tun?«, protestierte diese sogleich und blieb erneut stehen, sodass Elphaba entweder ebenfalls stehen bleiben, oder ihre Hand hätte loslassen müssen. Sie entschied sich dazu, mit ihr zu stoppen und das mitten auf dem Weg, sodass einige Passanten in Glindas Rücken stießen und sich lautstark über das plötzliche Hindernis beschwerten. Glinda murmelte hastig einige Entschuldigungen in jede Richtung und sah Elphaba dann bittend an. Jedoch kam sie gar nicht zu Wort, denn Elphaba ließ bereits ihren Einwand verlauten: »Schnell aus den Menschenmassen verschwinden, das haben wir zu tun... Und da sind wir dort drüben eindeutig an der falschen Adresse...«
Man konnte den Jubel bis herüber hören. Lachende Kinder schlängelten sich an ihnen vorbei durch die Menge in Richtung des großen, glitzernden Riesenrads.
»Nur... eine Runde...?«
Elphaba verzog das Gesicht. »Ach... und aufsteigen soll ich also auch noch...? Nie und nimmer!«
Nie und nimmer. Das bedeutete nichts. Zumindest nicht, wenn Glinda diejenige war, zu der man es sagte. Elphaba hatte ihrem bittenden Blick nicht widerstehen können und so fand sie sich wenig später in der Warteschlange vor dem Riesenrad wieder, umringt von Kindern und ihren Müttern, jungen Männern und Freundinnen, die sich drängten und tummelten und ihr schrecklich missbehagten.
»Bist du jetzt glücklich?«, zischte sie, als Glinda sie mit einem scheinbar triumphierenden Blick bedachte. Doch diese lächelte bloß. Natürlich war sie jetzt glücklich. Sie hatte ihren Willen bekommen. Und ganz sicher würde Elphaba auch bald glücklich sein. Man konnte gar nicht in der Gondel eines Riesenrads sitzen und nicht glücklich sein!
»Ist das nicht wundervoll?«, fragte sie mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. »Wenn wir dann oben sind, haben wir sicher einen fantastischen Ausblick über die Stadt. Als würde man fliegen... ganz frei und schwerelos«, kicherte sie übermütig.
»Schwerelos und fliegen ist eigentlich etwas anderes«, murmelte Elphaba und hielt sorgsam ihren Besen fest, der fast noch mehr irritierte Blicke verursachte als ihre Haut. Glinda hörte ihr gar nicht zu, sie zog an Elphabas Ärmel und deutete lachend nach oben. Elphaba legte den Kopf in den Nacken und folgte ihrem Blick zum höchsten Punkt des Riesenrads. Kleine, vom Sonnenlicht rosige Wolken trieben über sie hinweg, und es schien, als bewegte sich das große Gestell ebenso, als fiele es langsam auf sie zu. Elphaba wandte den Blick ab und schüttelte unwirsch den Kopf. Dabei stolperte sie fast gegen ein Kind, das etwas verloren umherirrte und selbst ein wenig grünlich aussah. Offenbar war ihm die klebrige Zuckerwatte nicht allzu gut bekommen. Elphaba wich ihm hastig aus und drängte sich dadurch etwas näher an Glinda, die ohne auch nur hinsehen zu müssen wieder nach ihrer Hand griff.
»Ich sehe zu, dass wir zwei alleine in eine Gondel kommen, einverstanden?«, rief sie Elphaba ins Ohr. Anders konnte man sich hier ja kaum Gehör verschaffen.
Elphaba nickte nur. Sie hoffte sehr, dass das möglich war, doch Anbetracht der Länge der Schlange, zweifelte sie daran.
Wie lange hatte es gedauert? Zwei Stunden? Oder doch drei? Elphaba hatte ihr Gefühl für Zeit verloren. Sie hatte ohnehin den Eindruck, sie ticke nicht mehr richtig, denn schon mehrmals hatte sie den Wunsch verspürt einem unverschämten Gör, das an ihr vorbeigedrängte und sie dabei fast umgestoßen hätte, eigenhändig den Hals umzudrehen. Einmal hatten drei kleine Mädchen sogar die Unverfrorenheit besessen, unter ihren Röcken Verstecken zu spielen, bis ihre Mutter sie gescholten hatte. Sie hatte wohl gefürchtet, die auffallend grüne Dame hätte sie ansonsten mit ihrem Besen verprügelt. Wahrscheinlich hatte sie Elphabas Zähneknirschen bis an die andere Seite des Platzes vernommen.
Doch nun war es endlich soweit. Sie hätten mit drei anderen, wie Gänse schnatternden Mädchen in eine Gondel steigen können, doch Glinda blieb mitten vor der Tür stehen und gewährte einer Mutter und ihrem kleinen Sohn den Vortritt, sodass Elphaba ein ungehaltenes Stöhnen entfuhr. Sie war sich sicher, dass sie sich bald die Füße in den Boden gestanden hatte und sie hatte keine Lust zu warten, bis eben das eintraf.
»Was ist denn nun?«, zischte sie ihr wütend zu. »Nun bist du endlich an deinem Ziel angelangt, jetzt wirst du gefälligst einsteigen und--«, Glinda unterbrach sie: »Aber ich hatte doch gesagt, ich würde dafür sorgen, dass wir zwei alleine in eine Gondel steigen können...« Elphaba wollte schon zu einer Gegenrede ansetzen, wollte schon sagen, es sei ihr herzlich egal, wobei sie doch im Grunde genau wusste, dass es ihr nicht herzlich egal war und, dass sie es sogar sehr begrüßen würde, sich nicht mir drei anderen Personen in eine enge Gondel zu drängen.
»Miss?«, klang da die Stimme des Mannes, der die Karten für die Riesenradfahrt verkaufte. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Oh doch«, flötete Glinda zuckersüß. »Aber ich hatte gehofft, sie wären vielleicht bereit, mir eine kleine Bitte zu erfüllen...?« Sie traten beiseite, sodass sie den Zustieg in die Riesenradgondeln nicht behinderten.
»Was gibt es, Miss?« Der Herr setzte eine gezwungen freundliche Miene auf und schenkte Glinda ein beinahe zahnloses Lächeln, wobei er sich große Mühe gab, ihre hochgewachsene, grüne Begleitung nicht allzu unverwandt anzustarren, das konnte Elphaba genau sehen.
»Nun... Meine Freundin und ich, wir haben uns gefragt, ob es uns wohl gestattet sei, allein in eine Gondel zu steigen?«
Der Herr schüttelte hastig den Kopf.
»Miss, nein, das kann ich unmöglich gestatten... sehen Sie diese lange Schlange an Menschen? Sie wollen alle mit dem Riesenrad fahren. Es ist eine besondere Attraktion und wenn ich Ihnen beiden nun den Vorzug überlasse, zu--«
»Ich glaube, ich habe mich falsch ausgedrückt«, fiel Glinda ihm ins Wort. Sie kramte in ihrer Tasche und steckte ihm einen Geldschein zu. »Meine Freundin und ich wünschen alleine in eine Gondel zu steigen... Vielen Dank...« Der Herr blickte Glinda ein wenig verwirrt an, doch man konnte nicht leugnen, dass ihm das kleine Entgegenkommen seines Gegenübers gefiel.
»Nun denn...«, sagte er, wobei er hastig den Geldschein einsteckte.
»D-Die junge Dame muss aber ihren... ihren Besenstiel hierlassen...«, sagte er, mit Blick auf Elphaba.
»Und die junge Dame nimmt ihren Besenstiel mit, wo immer es ihr gefällt...«
Der Herr zog den Kopf ein und nickte. »Sehr wohl...«, sagte er darauf, als sei Elphaba seine Königin. Ihr strenger Tonfall schien ihn zutiefst eingeschüchtert zu haben. Man konnte es ihm nicht verdenken. Gewiss hatte er noch nie eine grüne Frau mit einem Reisigbesen gesehen.
»Wenn...wenn Sie mir nun bitte folgen würden...«, stammelte er. Glinda kicherte leise. Sie freute sich, dass ihr Plan so gut aufgegangen war – Elphaba hatte während der Wartezeit mehrmals so ausgesehen, als würde sie jeden Moment Amok laufen, und sie wollte, dass es die Wartezeit wert gewesen war. Der Kartenverkäufer wies ihnen mit untertänigen Gesten den Weg zur nächsten ankommenden Gondel, aus der soeben eine ganze Großfamilie ausstieg. Drei, vier... nein, fünf Kinder aller Altersstufen sprangen hinter ihren Eltern heraus und rannten dabei einen kleinen Jungen um, der prompt zu weinen und plärren anfing. Elphaba verzog das Gesicht, und daraufhin wurden sie alle beide in die Gondel komplimentiert, da der Herr offenbar doch noch einen Wutausbruch befürchtete. Hinter ihnen schloss er eilig die Tür, damit sich die hinter ihnen Wartenden nicht sogleich mit hineindrängen konnten. Das aufkommende Murren wurde mit einem entschuldigenden Murmeln quittiert, das zwar ganz gewiss von niemandem verstanden wurde, aber dennoch die Gemüter zu beruhigen schien.
Elphaba ließ sich von Glinda in einen der Sitze drücken. Es waren einfache Holzbänke, aus denen Splitter stachen. Glinda würde sich ihr Kleid ruinieren, dachte Elphaba, doch ausnahmsweise schien diese das nicht weiter zu kümmern. Sie setzte sich neben Elphaba und lehnte sich an sie, während das Riesenrad sich langsam in Bewegung setzte. Allerdings fiel es ihr wohl schwer, ruhig zu halten. Immer wieder kicherte sie und meinte schließlich aufgeregt: »Elphie, wenn wir ganz oben sind, musst du mich festhalten... ich weiß ja, dass man nicht aufstehen darf, aber ich möchte so gerne richtig hinaussehen können!«
Elphaba verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf, konnte aber ihr leises Lächeln nicht verbergen.
»Was ist...?«, fragte Glinda. Sie nahm Elphabas Hand und strahlte sie an, als wäre sie die goldene Sonne selbst, die sie nun blendete, sodass sie mit der anderen Hand hastig die Augen beschirmen musste.
»Ach nichts...«, sagte Elphaba bloß, lächelte dabei jedoch weiter, dass Glinda beinahe befürchtete, sie hätte nun wirklich den Verstand verloren.
»Das glaube ich dir nicht...«, sagte sie. »Erst scheint es, du wolltest vor Wut alles in Grund und Boden stampfen und dann grinst du von einem Ohr zum anderen... Irgendetwas muss doch sein!« Elphaba schüttelte den Kopf und befreite ihre Hand.
»Schau nur«, sagte sie, »wie die Sonne die Dächer der Stadt zum Strahlen bringt...« Glinda wandte sich hastig um. »Oh ja!«, rief sie. »Du hast recht! Aber wenn wir erst einmal ganz oben sind, werden wir das alles noch viel besser sehen können!« Sie lehnte sich selig lächelnd in ihrem Sitz zurück und umfasste Elphabas Arm, wobei sie ihre Wange an deren spitze Schulter schmiegte.
»Ich bin sicher, du bist jetzt auch glücklich, Elphie... du musst einfach glücklich sein...«
Elphaba nickte und ihr Lächeln wurde noch breiter.
»Ja, Glinda... Ich bin glücklich...«, sagte sie. »Sogar sehr...«
Das Riesenrad trug sie höher und höher. Bald sahen sie die höchste Turmspitze des Palastes, der königlich über der Smaragdstadt thronte und in der Sonne funkelte und glänzte, wie ein grüner Stern. Glinda hatte sich immer dichter an Elphaba gedrängt und als das Riesenrad seinen höchsten Punkt erreichte, flüsterte sie: »Elphie... irgendwie ist mir in solcher Höhe doch ein wenig mulmig zumute... Und das mit bloß einem dünnen Holzboden unter den Füßen. Man könnte fast wirklich meinen, man sei schwerelos...«
Da stieß Elphaba Glinda sanft zur Seite. Sie erhob sich und trat an die Tür der Gondel, wo man durch das gläserne Fenster bis hinab auf den Marktplatz blicken konnte, der nun in schwindelerregender Tiefer lag. Elphaba betrachtete das metallene Gerüst des Riesenrads. Sie sah hinab auf die anderen Gondeln und umfasste ihren Besenstiel fester.
»Elphie? Was tust du da! Man darf doch nicht aufstehen!«, hörte sie Glinda rufen, die nun wie an ihren Sitz gefesselt war und nie auch nur in Erwägung gezogen hätte, sich zu erheben.
»Ich hätte wissen müssen, dass ich eher dich besser hätte festhalten sollen...« Es hätte wohl heiter und lustig klingen sollen, doch es wirkte eher, wie ein Vorwurf.
Elphaba wandte sich halb zu ihr um und lächelte beruhigend.
»Es kann nichts passieren, Glinda... dieses Gerät bewegt sich viel zu langsam, als dass ich einfach hinausfallen könnte.« Ihr Lächeln bekam einen schelmischen Zug. »Natürlich, wenn ich mich über das Geländer beugen würde... oder es vielleicht erklettern würde, das wäre etwas anderes. Was meinst du, fühlt man sich schwerelos, wenn man fällt?«, grinste sie und tat, als setze sie einen Fuß auf das Geländer.
Glinda stieß einen leisen, erschrockenen Schrei aus, den sie mit beiden Händen vor ihrem Mund erstickte, und kniff ängstlich die Augen zu. Sie hörte Elphaba lachen und wollte sie schimpfen dafür, dass sie ihr solch einen Schrecken eingejagt hatte, doch sie wagte es nicht aus Angst, sie damit nur noch mehr anzustacheln. Sie hielt die Augen geschlossen und erschrak dadurch umso mehr, als plötzlich jemand nach ihrer Hand griff und sie von der Bank hochzog.
»Du wolltest doch die Aussicht genießen können«, sagte Elphaba neben ihr leise. »Mit geschlossenen Augen wirst du kaum etwas davon haben.«
Glinda überlegte, sie dennoch aus Trotz geschlossen zu halten, doch ihre Neugier siegte. Sie hob die Lider und nahm einen erstaunten Atemzug.
Der Smaragdpalast reflektierte das Licht der tiefstehenden Sonne in alle Richtungen, und die funkelnden eingelassenen Steine brachen es und sandten scheinbar eigenes Licht in verschiedenen Schattierungen aus. Die umstehenden Häuser schienen selbst zu leuchten, in grün, türkis und zartem rosa, und am Horizont stand rötlich die Sonne und beleuchtete ein paar einzelne Wolken, die aussahen, als hätte ein Kind bunte Zuckerwatte in den Himmel geklebt. Glinda vergaß, dass sie eigentlich brav auf der Bank sitzen sollten. Sie drängte sich ans Geländer, so stürmisch, dass Elphaba nun doch leicht die Arme um ihre Taille legte, um sie festzuhalten, sollte sie sich zu weit vorbeugen.
»Das ist wunderschön«, hauchte Glinda mit vor Ehrfurcht ganz zarter Stimme. »Fast wünschte ich, wir könnten immer hierbleiben... fast schwerelos im Sonnenuntergang...« Sie griff nach Elphabas Hand und hielt sie fest.
»Ich könnte versuchen, dir zu zeigen, was es heißt, wirklich schwerelos zu sein...«, flüsterte Elphaba. Sie flüsterte es ganz leise in Glindas Ohr und Glinda riss sich einen Moment von dem herrlichen Ausblick los und musterte Elphaba mit einem Gesicht, das deutlich Verwirrung ausdrückte.
»Ich verstehe nicht ganz...«, sagte sie. Elphabas Grinsen behagte ihr nicht recht und sie trat automatisch einen halben Schritt vom Geländer zurück, als ahnte ihr bereits Beängstigendes.
»Du hast immer bezweifelt, dass man auf diesem Ding tatsächlich fliegen kann...«, begann Elphaba. Glinda schüttelte sogleich den Kopf. »Nein!«, rief sie. »Elphie! Du bist wahnsinnig! Das kannst du doch nicht machen...«
Elphaba lächelte.
»Ich kann...«, sagte sie. »Hab keine Angst...«
Sie streckte die Hand nach Glindas aus und Glinda ergriff die dürren, grünen Finger ihrer Freundin, ohne zu wissen, weshalb. Vielleicht war sie neugierig. Vielleicht aber auch wahnsinnig. Ihr Atem ging stoßweise als Elphaba auf den Besen stieg, wie auf ein Pferd und Glinda aufforderte, dasselbe zu tun.
»Elphie... Das... ist lächerlich... Was wenn uns jemand sieht...?«
Elphaba stieß Glinda sanft mit dem Ellenbogen in die Seite.
»Das ist nicht lächerlich...«, sagte sie, doch trotzdem kräuselte dabei ein Lächeln ihre Mundwinkel.
Und ehe Glinda ein weiteres Protestwort sprechen konnte, stieß Elphaba tatsächlich die Füße vom Boden ab und der Besen schwebte über das Geländer hinweg. Sie trieben sanft in der Luft, als lägen sie auf Wolken. Ein zartes Lüftchen brachte Glindas Röcke zum Flattern und ihre Haare zum Fliegen und sie fühlte sich mit einem Mal frei, wie ein Vogel. Sie schloss die Augen. Aus den Gondeln links und rechts hörte sie erstauntes Murmeln, hörte sie Schritte, die aufgeregt an die Geländer trippelten, um sie zu sehen. Und plötzlich hörte sie Elphaba ein leises Lachen ausstoßen, bevor sie im rasanten Sturzflug in die Tiefe segelten.
Ein kollektiver Aufschrei ging durch die Menge, den Glinda allerdings nicht hören konnte, weil ihr eigener Schrei in ihren Ohren klang.
Elphaba lachte nur, als sie spürte, wie Glinda sich panisch an ihr festklammerte. Sie sah nach unten, wo die Leute zu ihr aufsahen und murmelten und staunten und erst langsam begriffen, dass sie den Besen noch immer nicht abbremste. Ein kleines Mädchen war schließlich die erste, die zu kreischen begann und fortrannte, um auszuweichen. Dennoch war noch nicht jeder zur Seite gestoben, und viele der Jahrmarktbesucher duckten sich angstvoll, als Elphaba mit einem irren Lachen knapp über ihnen den Besenstiel herumzwang und beinahe senkrecht wieder nach oben zog. Staunend blickten sie der grünen Frau und ihrer Freundin auf dem Besen hinterher, hin- und hergerissen zwischen ehrfürchtiger Bewunderung und Ärger über den Schrecken.
Glinda murmelte irgendwelche Verwünschungen in ihr Ohr, während sie immer höher stieg und den Besen schließlich weit über dem Riesenrad zur Ruhe brachte.
»Du kannst deine Hände von meinem Hals nehmen«, schlug Elphaba etwas atemlos vor. »Es gibt keinen Grund, mich zu strangulieren.«
»Es gibt auch keinen Grund, uns beinahe in den Tod rasen zu lassen!«, erklärte Glinda mit Nachdruck und lockerte ihren Griff ein wenig. Ihr Herz klopfte ihr bis zum Hals, und sie schwor sich, sich niemals wieder auf Elphabas Vorschläge einzulassen.
Elphaba grinste nur und ließ den Besen zurück in Richtung des Hotels schweben. Glindas Schimpfen nahm sie kaum wahr. Nach der Enge und den misstrauischen Blicken in der Menge auf dem Rummelplatz, fühlte sie sich hoch in der Luft um einiges wohler. Nur um Glindas Geld und Mühe, eine Gondel nur für sie beide zu ergattern, tat es ihr Leid, doch nach einer Weile schmiegte sich Glinda wieder halbwegs beruhigt an sie und schien sich nicht weiter daran zu stören, dass sie ihre Fahrt nicht beendet hatten.
Jahre später, als die Angst vor der Bösen Hexe des Westens allgegenwärtig war, gab es kaum einen Ozianer, der noch an ihre Unschuld glaubte. Doch ein paar wenige, älter gewordene Kinder erinnerten sich an einen Tag auf dem Jahrmarkt der Smaragdstadt, an eine grüne Frau, unter deren Röcken sie Verstecken gespielt oder, vor der ihre Eltern sie gewarnt hatten, und daran, wie diese Frau schließlich gemeinsam mit ihrer Freundin auf einem Besen davongeflogen war, ein fröhliches, übermütiges Lachen auf den Lippen. Und sie fragten sich, ob wirklich schon alle Hoffnung verloren war.