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Das Schicksal findet seinen Weg

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
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11.01.2014 5.891
 
Schlendernd folgten sie der Richtung, die ihnen ein mit Äpfeln beladener Bauer, der zufälligerweise gerade an der Bibliothek vorbei kam, gewiesen hatte. Theofanos war so eilig aufgebrochen, dass er zwar den Ort ihres Treffens genannt, aber nicht daran gedacht hatte, dass sich die beiden Kameraden noch nicht in der Stadt auskannten und nicht mal ansatzweise erahnen konnten, wo sich der besagte Tempel befinden sollte.

Glücklicherweise war der Weg einfach zu finden. Der Tempel lag zentral an einer Kreuzung am südlichen Ende der Stadt, ganz in der Nähe des öffentlichen Brunnens.

Marcus konnte noch gar nicht glauben, dass es bereits Zeit für das Abendmahl war. Es war schon verrückt, dass der Tag einfach wieder halb vorbei war. Ihm kam es vor, als ob die Götter den Rhythmus von Tag und Nacht verkehrt hätten.

Seit sie die Bibliothek verlassen hatten, hatten sie sich nicht mehr viel zu sagen gehabt. Der Römer war, was Escas Aufzug anbelangte, ausnahmsweise derselben Meinung wie der Grieche. Aber durch das Liebesgeständnis hielt er sich mit allen Aussagen bezüglich des verliebten Magisters zurück. Wie es um Escas Gefühle stand, wollte er auch nicht mehr so genau wissen.

Es war immer noch voll auf den Straßen, angelockt vom trockenen, wenn auch nicht schönen Wetter, nutzten die Bürger die Zeit, bevor der Winter hereinbrechen würde, um die letzten paar Sonnenstrahlen, die sich durch die Wolken schoben, zu ergattern.

Esca war müde. Die kurze Nacht zeigte ihre Spuren, ebenso wie die ungeahnte Unterrichtsstunde und nicht zuletzt die wieder aufgeworfene Frage nach dem Fortgang Marcus und seiner Reise. Marcus bemerkte, dass der Brigante irgendwie bedrückt wirkte, wollte aber auch nicht nachbohren. Er selbst war ja schon froh, dass Esca bisher keine auffälligen Kommentare zum letzten Abend gemacht hatte.

„Wir müssen jetzt nach links“, korrigierte der Römer als er bemerkte, wie Esca weiter der Hauptstraße folgen wollte, obwohl deutlich zu sehen war, dass sie damit früher oder später gegen die Stadtmauer – also in eine Sackgasse –  gelaufen wären.

„Oh, ja. Entschuldige, ich war in Gedanken“ bedankte sich der Brigante und schlug den neuen Kurs ein, ohne Marcus einmal angesehen zu haben. Mit nach unten gerichtetem Blick ging er einfach an ihm vorbei, als bestünde er aus Luft. Marcus fuhr sich durchs Haar und konnte einen Seufzer nicht unterdrücken. Mit Esca stimmte etwas nicht. Hatte Theofanos ihm seine Liebe etwa doch schon gebeichtet? Hoffentlich nicht, oder vielleicht lieber doch? Denn wenn ja, dann schien sie nicht zu fruchten, oder lag Marcus ein Fall von Unentschlossenheit vor? Aber selbst dann, hätte er den ehemaligen Sklaven wieder auf den rechten Weg bringen können, welcher auch immer es sein mochte.

Vor sich hin träumend erreichten sie die Gaststätte.

Sie war nichts Besonders. Eben eines dieser Häuser mit der offenen Frontseite, die jetzt, da es kälter wurde, mit Holzbrettern provisorisch verkleidet war und nur einen mannsbreiten Spalt als Eingang bot. Dahinter befand sich gleich der L-förmigen Tresen. Alles wirkte etwas ranzig und heruntergekommen wie man an den vielen kleinen und größeren Tischgruppen, an denen bereits eine Menge Kundschaft saß, erkennen konnte. Aber die Stimmung war ausgelassen und das Haus voll, was für sich sprach.

Weiter hinten, wo es düster war und die ersten Kerzen bereits auf den Tischen brannten, war noch ein Tisch frei, der genug Raum für die drei Männern bot. Vorsichtig schlängelten sie sich durch die Grüppchen und nahmen gegenüber Platz. Marcus saß fast Rücken an Rücken mit den beiden Männern des benachbarten Tisches. Seine und ihre Stühle waren vielleicht eine Elle breit entfernt. Esca musste ebenfalls aufpassen, dass er keine zu ausladenden Bewegungen machte. Sein Stuhl war so ungünstig platziert, dass er bei einer falschen Bewegung dem Wirt, oder einen seiner Gehilfen, beim Vorbeigehen mit den Armen treffen konnte und dann womöglich etwas zu Bruch ginge.

Kaum hatten sie Platz genommen, flog sogleich der Caupo mit dem watschelnden Gang einer gejagten, flugunfähigen Ente herbei und fragte höflich nach ihren Wünschen. Esca orderte eine Cervisia, Marcus begnügte sich mit Wasser. Vom Alkohol hatte er erst einmal genug. Der Caupo wiederholte die Bestellung und machte im Stand kehrt, um zum Tresen, von dem er kam, zurück zu kehren. Unterwegs warfen ihm andere Gäste neue Wünsche entgegen, die er sich versuchte so gut wie möglich alle auf einmal zu behalten. Er stand sichtlich unter Stress.

Als der Caupo seines Weges gezogen war, konnte Esca nicht mehr anders und ein hämisches Grinsen zeigte Marcus, dass der Brigante seine Kopfschmerzen, die mittlerweile vor allem zwischen den Augenbrauen zu wüten schienen, registriert hatte und in ihnen seine Genugtuung fand.

„Schau mich nicht so an. Ich weiß selbst, dass mein Benehmen gestern Abend nicht gerade das eines zivilisierten Sohn Roms war“, verteidigte er sich, ohne dass der Dunkelblonde etwas hätte sagen müssen. Innerlich war der Römer jedoch froh, dass sich jetzt endlich eine Gelegenheit bot, über das verzwickte Thema zu sprechen, auch wenn es zurzeit nicht mehr seine Hauptsorge war. Die hatte ihm ja der Grieche neu auferlegt. „Ich hätte nicht gedacht, dass ein Centurio sich derartig gehen lassen kann“, zog ihn der Brigante dennoch auf.
„Ich hätte etwas mehr Anstand erwartet. Solch ein Benehmen sprecht ihr Römer doch sonst nur uns Barbaren zu.“

Da hatte Esca nicht ganz Unrecht. Als Centurio hätte er sich so etwas niemals erlaubt, schließlich sollte er das Vorbild eines jeden Legionärs sein. Aber er war ja nicht mehr im Dienst. Bis auf seine Ehrenauszeichnung war er jetzt ein ganz normaler Bürger. Trotzdem. Nein, dieses Verhalten war in keinem Fall zu entschuldigen.

Marcus schüttelte den Kopf und setzte eine ernste Miene auf. Er musste das wieder in Ordnung bringen.

Das Grinsen verschwand aus Escas Gesicht als er Marcus sah und wie sich seine Stirn in Falten legte. Der Braunhaarige beugte sich etwas weiter vor, damit nicht gleich jeder Dahergelaufene ihr Gespräch mitbekam. Das Thema Gerüchte war ja gleich zu Beginn schon ein Problem gewesen.

„Esca, wenn ich gestern etwas Ungebührliches getan habe, dann möchte ich mich bei dir in aller Form entschuldigen“, kam es ohne große Umschweife von ihm. Dabei schaute er dem ehemaligen Sklaven direkt in die Augen, damit ihm auch nicht die kleinste Reaktion entginge. Er wollte eine ehrliche Antwort von seinem Gefährten haben. Man musste auf seinen Stolz keine falsche Rücksicht nehmen. Seinen Stolz konnte er sich auch selbst nehmen.

In Escas Gesicht regte sich nichts. Stattdessen hatten seine dunkelblauen Augen ihn jetzt fixiert. Sie strahlten etwas Bedrohliches aus, wie bei einem Raubtier, das seine Beute allein durch seinen Blick zum Erstarren brachte. Marcus spürte geradezu wie sich auf diese Weise eine gewisse Distanz zwischen ihnen aufbaute.

Diese Blickduelle kannte der Römer zwar, aber es war doch ein Unterschied, ob man sie mit Leuten ausfocht, denen man feindlich gesinnt war, oder ob es sich um den Menschen handelte, der einem am Nächsten stand. Auch wenn er das so nie zugegeben hätte, stand Esca ihm mittlerweile näher als seine Mutter und daher konnte er den sturen Blonden auch etwas einschätzen. Er ahnte, dass er dieses „Duell“ verlieren würde, wenn er ihm jetzt auswich. Doch die Verunsicherung in ihm ließ ihn vorsichtig werden. Wollte Esca ihm auf diese Weise sagen, dass sein Verhalten schlimmer als schlimm gewesen war? Doch, wie es auch gewesen sein mochte, um Verzeihung zu flehen ohne zu wissen, was er überhaupt getan hatte, war keine Option. Erst wollte er es erfahren, dann ja…

Marcus konnte ja nicht ahnen, dass sein Gefährte gerade an sein eigenes, für ihn selbst auch immer noch unerklärliches, Verhalten an diesem Abend erinnert worden war. Ihm widerstrebte es wesentlich über die vergangene Nacht zu sprechen. Ja, er hatte überhaupt nicht daran gedacht, darüber zu reden. Deswegen hatte Marcus‘ Frage in ihm gleich eine abwehrende Reaktion ausgelöst, die überhaupt nichts mit Marcus peinlichem Auftritt zu tun hatte.

Doch die Sache totzuschweigen, würde hier nicht viel bringen, da er sah, wie sehr es den Römer quälte, dass er sich an so gut wie nichts erinnern konnte. Eigentlich sprach auch nichts dagegen ihm soweit alles zu erzählen und diesen kleinen „Zwischenfall“ einfach zu übergehen. Auffallen würde es ihm sicherlich nicht und damit wäre alles gesagt. Ja, das wäre sicherlich die beste oder zumindest die für ihn bessere Lösung, überlegte der Brigante.

Während Esca noch mit sich rang, wurde Marcus ungeduldiger.

„Ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du mich über die Geschehnisse aufklären könntest. Oder war es so furchtbar, dass du mit mir nicht darüber reden möchtest?“

Esca verneinte.

„Dann antworte mir, bitte“, forderte Marcus.

Aber Esca war nicht in der Stimmung für Machtspielchen, deswegen wartete er noch einen Augenblick, bis der Wirt, der gerade mit den gefüllten Bechern und einem vom Stress leicht zuckenden Auge, wieder an ihren Tisch herangeeilt kam, die Getränke abstellte, das Geld einsammelte und ohne zu fragen, ob sie nicht auch etwas Essen wollten, gleich zum nächsten Tisch stürmte. Heute war wirklich viel los in dem kleinen Gasthaus.

Mit einem letzten Blick, ob der Caupo auch wirklich außer Hörweite war –  ja, denn er war wieder hinter seinem Tresen verschwunden und hantierte dort hastig und ungeschickt, da er einen Bierbecher umkippte und das Gebräu bereits eine kleine Pfütze auf dem Boden bildete – widmete sich Esca wieder Marcus.

Der hatte ihn unentwegt angestarrt, um zu zeigen, dass es ihm mit seiner Entschuldigung ernst war. Sehr ernst. Es ging ihm schließlich nicht nur um sich selbst. Ging es ihm wirklich nicht. Er wollte auch Esca keine Schande bereitet haben.

„Du warst ziemlich betrunken, konntest kaum stehen und hast ziemlichen Lärm gemacht, sodass die Leute aus ihren Betten aufstanden und auf die Straße brüllten. Decimus musste mir helfen dich überhaupt die Treppen hoch bis ins Bett zu bringen“, listete Esca so knapp und so unspektakulär wie möglich auf, wobei er den triezenden und spöttischen Unterton nicht ganz ablegen konnte.

Marcus Gesichtsmuskeln zuckten ein wenig, aber er unterdrückte jede heftigere Gefühlsregung –egal ob es nun der Scham, oder der Zorn war –  und nickte nur.

Also war alles im Rahmen geblieben. Keine Prügelei, Beleidigungen oder ähnliche Eklats. Deutlich beruhigt und fühlend, wie sich die angespannten Nerven lockerten, lehnte er sich etwas zurück und nippte das erste Mal an seinem Wasser. Schmeckte irgendwie abgestanden.

Zumindest war jetzt klar, wie die alte schreiende Frau in seinen Traum kam. Die große Beule allerdings weniger, obwohl, wenn er kaum stehen konnte, war es nicht so unwahrscheinlich, dass er sich auf dem Weg irgendwo gestoßen hatte. Man musste ja auch nicht alles wissen.

„Ich danke dir, dass du dich um mich gekümmert hat“, sprach der Römer. Dabei ergriff er Escas Unterarm, drückte ihn dankbar und schenkte ihm sogar ein vorsichtiges Lächeln, das ihn mehr als nur Überwindung kostete.

Allerdings konnte Esca mit dieser Art von Geste nicht besonders viel anfangen, beziehungsweise wusste nicht mit ihr umzugehen. Ohne eine Miene zu verziehen, bestätigte er Marcus nur durch ein kurzes Nicken, dass er seinen Dank angenommen hatte und zog dann vorsichtig seinen Arm zu sich zurück. Den Briganten machte die ganze Situation seltsam verlegen und da er vermeiden wollte, dass sie sich gleich wieder peinlich anschwiegen, ergriff er sein Bier, hob es und deutete Marcus an sein Glas auch zu erheben. Marcus tat es ihm gleich. Sie prosteten sich zu und nahmen einen großen Schluck. So konnte man sich natürlich auch verständigen, wenn es mit dem Reden nicht richtig klappte.

Nach der ermüdenden, und für manche auch stressigen, Badeprozedur war etwas zu trinken genau das Richtig. Doch auch der Magen kündigte an, dass es Zeit war, ihn zu füllen. Nach einer Weile fragte deshalb Esca laut denkend, wo Theofanos wohl bleiben mochte. Schließlich warteten sie nur auf ihn. Seine Erledigung schien länger zu dauern als er wohl selbst angenommen hatte.

„Das wissen nur die Götter. So geschwätzig wie er ist, hat er sich vielleicht in einen Disput mit seinem Geschäftspartner geredet und philosophiert noch etwas herum“, brummte Marcus, während er sich streckte und nach dem Wirt Ausschau hielt. Ewig wollte er nicht mehr auf den Griechen warten.

Die steigende Ungeduld von Marcus wahrnehmend, spinkste Esca jetzt immer öfter in Richtung Eingang, ob der Grieche schon zu sehen war. Deswegen hörte er Marcus teilweise nicht richtig zu, oder gab nur sehr knappe Antworten, wenn er ihn etwas fragte.

Escas Verhalten fiel dem Römer natürlich sofort ins Auge und er ertappte sich dabei, wie er sich selbst wieder die Frage stellte, ob sein Freund bereits von Theonfanos Liebesschwüren wusste. Es war aber auch zum verrückt werden, egal was war, seit dem gestrigen Tage bildete der Grieche das neue Zentrum der Welt.

Marcus wollte mehr wissen. Jetzt hätte er noch die Gelegenheit zu fragen, ohne den lästigen Griechen als Zuhörer.

Ohne weiter darüber nachzudenken, berührte er Esca leicht am Ärmel, um seine Aufmerksamkeit weg vom Eingang zu lenken. Er würde ihn hier und jetzt direkt fragen. Alles andere würde nicht helfen. Er wollte keine Lügen hören, er wollte die Wahrheit. Erst dann hätte er wahrscheinlich wieder Ruhe.

Esca drehte sich auf seinem Stuhl um, als er merkte, dass der Römer ihn am Stoff zupfte.

„Hast du etwas gesagt, Marcus?“, fragte Esca leicht erschrocken, denn ihm wurde gerade erst bewusst, wie unfreundlich er sich Marcus gegenüber verhielt. Auch, wenn er das ja nur machte, weil der Römer eine so ungeduldige Natur hatte. Doch der ging gar nicht darauf ein.

„Esca!“, sprach er den Briganten nun eindringlich an.
„Hat dir Theofanos heute vielleicht irgendwas erzählt oder gefragt, das unüblich ist und dich jetzt noch beschäftigt?“

Die Augen des Briganten weiteten sich. Das gab es doch nicht. Erst stellte Theofanos verfängliche Fragen und jetzt fing auch noch Marcus an ihn zu verhören? Was war denn heute nur für ein Tag, dass alle von einer unbändigen Neugier gepackt worden zu sein schienen?

„Wieso fragst du so etwas?“ kam es von Esca unwirscher zurück, als er eigentlich wollte, packte gleich seinen Becher und nahm einen kräftigen Schluck des Gerstengebräus zur Beruhigung. Marcus würde ja wohl nicht mitbekommen haben, dass er Theofanos gebeichtet hatte fort zu gehen? Unmöglich! Und wenn doch?

„Warum gleich so grimmig? Ist die Frage so ungewöhnlich?“ fauchte Marcus zurück.

„Ja! Sie klingt als würdest du uns unterstellen wollen, dass wir Geheimnisse vor dir haben!“ knurrte der Brigante.

„Geheimnisse? Ich habe dich etwas ganz Harmloses gefragt, nicht nach geheimen Absprachen. Aber, wenn es dir danach verlangt mir zu gestehen, dass ihr hinter meinem Rücken Pläne schmiedet, nur zu! Aber nein, ich will davon nichts wissen. Es ist euer gutes Recht auch Dinge ohne mein Wissen miteinander zu besprechen. Das sollte kein Problem sein, wir sind schließlich erwachsen!“

„Erwachsen? Ein Erwachsener weiß, wo seine Grenzen liegen! Ich glaube, du bist das größte einfältigste K…“ Esca brach ab, denn zwei Hände hatten sich von hinten auf seine Schulter gelegt und eine wohlbekannte Stimme neben seinem Ohr flüsterte amüsiert:

„Euer Gebrüll ist unverkennbar. Ihr zwei Hitzköpfe solltet Marktschreier werden“, dabei strichen, als der Neuankömmling sich wieder aufrecht hinstellte, die Spitzen des schwarzen Bartes noch leicht Escas Wange.

„Theofanos! Wo bist du gewesen?“

„Och, dazu komme ich später noch. Lasst mich zuerst …“, und dabei zog er einem benachbartem Tischgrüppchen den freistehenden Stuhl weg und setzte sich neben Esca, „… mich setzen. Ja, so ist es doch wesentlich besser.“

Beinahe so, als hätte er nur auf seinen Einsatz gewartet, stand auch der Wirt wieder bei ihnen, begierig dem neuen zahlenden Kunden dabei zu helfen seinen Geldbeutel zu erleichtern. Es würde also jetzt auch endlich das Cena, Abendessen und Hauptmahlzeit in einem, geben. Gleichzeitig war der Versuch, mit Esca in Ruhe über die Avancen des Griechen zu reden, gescheitert.

*


Gelangweilt spielte Marcus mit den übrig gebliebenen Knochen seines Vogels, drehte die dünnen Stäbchen zwischen den Finger, machte sogar kleine Kunststückchen.

Warum musste Theophanos auch nur so ein Rund-um-die Uhr-Magister sein? Da saß er und erzählte mit feuriger Leidenschaft von Platon und Aristoteles und ihren philosophischen Weltanschauungen, die so wunderlich schienen, dass Marcus beim besten Willen nichts damit anzufangen wusste. Die Wirklichkeit, die Realität, das Hierundjetzt interessierten ihn und nicht wie der Mensch beschaffen war, oder welche Vorstellung von Politik ein seit Jahren toter Mann gehabt hatte. Er versuchte gar nicht erst, sein Gähnen zu unterdrücken. Schlapp, als wäre er einen Marathon gelaufen, hingen Beine und Arme seitlich am Stuhl runter und den Kopf ließ er locker über der Lehne baumeln. Wie aus weiter Ferne drangen Theofanos Worte an sein Ohr, leise genug, um sie gar nicht zu beachten. Wenn er jetzt die Augen schloss … ja, nur ein undeutliches Gemurmel war von den geschwollenen Sätzen übrig.

Herrlich.

„Du hast mich völlig missverstanden!“ beschwerte sich eine aufgebrachte Männerstimme hinter ihm. Genervt, öffnete Marcus ein Auge, doch außer der Decke konnte er natürlich nichts sehen. Dass zwei Männer hinter ihm saßen, hatte er ja beim Reinkommen bereits gesehen, aber nicht ihre Gesichter, denn der Eine hatte – aus welchen Gründen auch immer – die Kapuze seines paenulas, dem üblichen Reisemantel, tief ins Gesicht gezogen, der andere saß mit dem Rücken zu Marcus. Welcher von beiden gerade gesprochen hatte, konnte er nicht sagen.

„Ich bin doch kein Jude geworden! Was fiele mir denn ein? Ich lasse bestimmt nicht mein bestes Stück verunstalten“ mokierte sich der Mann weiter. Jetzt hörte der Römer auch, dass der Mann einen leichten Akzent hatte. Scheinbar ein Fremder.

„Ja, aber dieser Fischmensch, dem du jetzt folgst, war doch auch Jude. Sagtest du doch, oder? Dann verstehe ich den Unterschied nicht. Seid ihr so eine Art Kult oder Sekte? Wie die Pharisäer? Habe gehört, die sollen im eigenen Land mächtig unbeliebt sein“, jetzt hatte sich sein Gesprächspartner eingeschaltet. Er sprach akzentfrei, dafür klang seine Stimme als sei er als Knabe kastriert worden.

Ein dumpfes Klatschen ertönte. Vermutlich hatte der Mann mit Akzent sich in Anbetracht des Unwissens des anderen Mannes, die Hand gegen die Stirn geschlagen. Doch gleich darauf, als wäre ihm plötzlich etwas eingefallen, gab er einen zischenden Ton von sich, der den Zweiten ermahnte nicht so laut zu sprechen.

Deutlich leiser murmelte der erste Mann jetzt hörbar gereizt:

„Sei doch still! Und sag nicht Fischmensch zu ihm! Hör mir lieber genauer zu!“

„Tu ich doch, aber das ist alles so wirr, was du erzählst“, verteidigte sich der Zweite mit verletztem Stolz im Unterton.„Erklär es mir ein letztes Mal. Ruhig kurz. Zu viele Informationen kann ich mir eh nicht merken“, bat er dann, scheinbar um seinen Freund, denn mit einem Geschäftspartner würde er sonst auf diese Weise nicht zu reden wagen, zu beschwichtigen. Vielleicht war es aber auch ein Bruder, oder Vetter, oder … auch egal.

„Na gut. Aber wirklich nur ganz kurz und das allerletzte Mal“, gab der Erste schließlich nach. Ein Stuhl schabte über den Boden, ganz dicht hinter Marcus. Bei Marcus‘ verdammter Seele, der Mann hinter ihm war weitergerückt, so konnte er nichts mehr verstehen. Er musste wieder näher ran. Eigentlich war es nicht seine Art fremde Leute zu belauschen. Aber dieser Mann, der so ein großes Geheimnis um seine neue Religion machte, hatte ihn längst magisch angezogen. Er musste einfach wissen, was es mit diesem „Fischmann“ auf sich hatte.

Kurz hob er den Kopf etwas an, um sich zu versichern, dass Theophanos und Esca noch im Gespräch vertieft waren und ihm keine weitere Beachtung schenkten, sodass er dann möglichst vorsichtig, und ohne aufzufallen, ebenfalls mit seinem Stuhl nach hinten rückte. Eben dem entfleuchenden Akzentmann hinterher.

„ … wurde getauft. Ich kann es nicht fassen, dass du wirklich überhaupt nichts mitbekommen haben möchtest. Keine Erzählungen? Rein gar nichts? Hast du nicht mal etwas von den Unruhen in Palästina gehört?“

„Du sprichst in Rätseln. Nachrichten von Übersee kommen hier doch immer erst spät an.“

Sultissimus! Denk doch an die Kaiser Claudius, Nero, Domitian und Trajan! Das ist schon so lange her, dass es selbst bis zu euch Inselbewohnern gedrungen sein sollte.“

Der andere schnappte nach Luft. Mit erstickter Stimme hauchte er nun kaum mehr hörbar die Worte:

„Bei Jupiter! Sag nicht, du gehörst wirklich zu denen! Welcher böse Dämon hat dich nur ergriffen? Weißt du, was mit dir passieren kann? Du kannst dich glücklich schätzen, dass es in den letzten Jahren so ruhig war, aber es kann jeder Zeit wieder losgehen. Bangst du nicht um dein Leben? Warum musste es denn diese Sekte sein? Man hört nichts Gutes über sie! Du wirst alle deine Kunden verlieren, wenn sie davon erfahren sollten!“

„Meine Kunden! Ich habe den Glauben gefunden! Die Gerüchte, die sind alles nichts wert! Die Leute reden von Dingen, dabei waren sie gar nicht dabei. Hör auf meine Worte! Es wird die Zeit kommen in der wir uns nicht mehr verstecken müssen. Die Juden haben sich ihr eigenes Grab geschaufelt. Seit dem Bar-Kochba-Aufstand vor drei Jahren, haben sie alles verspielt. Aber unsere Zeit ist noch gar nicht gewesen.“

„Eure Zeit wird überhaupt nicht erst anbrechen, wenn das so weitergeht. Kümmere dich lieber um dein Geschäft. Und überhaupt: was hast du denn mit deinen Sklaven gemacht? Sag nicht sie sind weg? Man hört, euer Verein würde sie frei lassen, oder sie wie unseresgleichen behandeln.“

Da keine Antwort von dem Mann mit Akzent kam, vermutete Marcus aus dem Kontext, der jetzt folgte, dass dieser sehr wohl seine Sklaven hatte gehen lassen, denn der Zweite war nun völlig aufgebracht.

„Wie willst du dann noch deine Geschäfte abwickeln, willst du etwa Arbeitskräfte bezahlen? Du wirst dich noch ruinieren!“

Marcus spitze die Ohren. Eine Religion, die keine Unterschiede zwischen den Menschen machte? Die vorschrieb mit Sklaven an einem Tisch zu essen und sie wie jeden anderen zu behandeln? Was für ein Wagnis! Esca wäre bestimmt sofort Feuer und Flamme für diesen Kult. Aber auch dem Römer gefiel die Vorstellung nicht mehr vor den Großen auf dem Boden zu kriechen, sich ihnen unterwürfiger zu geben als er wollte. Gleichheit war ein starkes Wort. Aber er war auch Römer. Seine Götter, vor allem Mithras, dem gesonderten Kult der Legionäre, zu dem keine Frauen zugelassen waren, hatte er zu verdanken, dass er lebte und dass die römischen Legionäre so gut wie nie geschlagen wurden, auch wenn der ein oder andere Feldherr natürlich seinen Beitrag zum Sieg geleistet hatte.

Der Zweite versuchte noch seinen Freund zur Besinnung zu bringen, aber er stieß auf taube Ohren und einen eisernen Willen. Marcus verfolgte das Hin und Her noch eine Weile. Er hatte verstanden, mit wem er die einseitige Bekanntschaft gemacht hatte. Jetzt hatte er genug gehört, sonst würde er noch auffliegen. Behutsam wanderte er zurück an seinen ursprünglichen Platz. Seine Gedanken waren zurück zu den Tagen seiner Jugend gewandert. Er konnte sich noch sehr genau daran erinnern, wie die Verfolgungen anfingen. Er hatte teilweise mitbekommen, wie Nachbarn und Freunde verschwanden oder getötet wurden. Es war eine chaotische Zeit gewesen, sein Vater war noch nicht nach Britannien gezogen, hatte bei den Verfolgungen mitmachen müssen. Auf Befehl des Kaisers.

„Wusstest du das, Marcus?“

Der Römer fuhr zusammen. Stimmte ja, den beiden ehemaligen Sklaven hatte er ja (versucht) vorzuspielen, dass er zumindest noch teilweise ihrem angeregten Gespräch folgte. Jetzt war er aber so abgelenkt gewesen, dass er nicht ein Mal mehr sagen konnte, was überhaupt nur das aktuelle Thema ihrer Unterhaltung war.

„N … Nein?“ antwortete er daher aus Vorsicht. Besser nichts Bejahen und sich nachher blamieren, wenn man zugeben musste, dass man doch keine Ahnung hatte.

Theofanos schüttelte missbilligend den Kopf.

„Ihr Römer hattet wirklich mehr Glück als Verstand die Welt zu erobern. Bei einem so begrenzten Wissenshorizont“, meckerte der Grieche los. Bildung wurde bei ihm hoch gehalten. Wenn jemand schon nichts wusste, sollte er zumindest daran interessiert sein etwas zu lernen.

Esca befürwortete Theophanos abschätzige Aussage auch noch mit einem bedächtigen Nicken.

Marcus musste sich auf die Unterlippe beißen, um diese indirekte Beleidigung nicht mit einem Zornesausbruch zu quittieren. Sich als unwissend bezeichnen zu lassen, obwohl er ja nicht mal wusste, ob er es nicht doch gewusst hätte, ärgerte ihn unermesslich, da er von dem Griechen nicht wie ein dummer Schuljunge vorgeführt werden wollte.

Gepresst und mit Sarkasmus quetschte er nur hervor: „Scheinbar waren unsere Götter uns wohlgesonnener als Eure.“

„So ein Unsinn“, rügte er sich gleich darauf selbst in Gedanken. Anscheinend hatte das belauschte Gespräch doch seine Spuren bei ihm hinterlassen.

Zur Strafe erntete er auch gleich zwei böse Blicke. Das Götterargument war an diesem Tisch keines auf das man sich verlassen konnte.

Nachdem die nächsten Minuten keiner wagte ein Wort zu sprechen, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, schlug plötzlich Theofanos mit der flachen Hand auf den Tisch, dass dieser wackelte und beinahe Escas Becher umgekippt wäre und die beiden Reisegefährten zusammenzuckten. Hatte es Marcus mit seinen bissigen Kommentaren jetzt doch zu weit getrieben, dass sogar der sanftmütige Grieche nun bereit für ein mit Gift und Galle geladenes Streitgespräch war? Aber nein. Wo dachte Marcus da nur hin? Anstatt seiner, galt der aufweckende Schlag dem Briganten. Geschwind drehte der Grieche mit einer geschickten Handbewegung Esca zu sich um und mit einem Strahlen im Gesicht, dass der Göttin Aurora wahrscheinlich Konkurrenz gemacht hätte, hatte er große Neuigkeiten zu verkünden.

„Esca, mein Lieber! Ich war so in unser Gespräch vertieft gewesen, dass ich ganz vergaß dir die guten Nachrichten mitzuteilen.“

Außer einem verwunderten Blick, sowohl von Esca als auch von Marcus, wussten beide mit dieser Aussage nichts anzufangen. Darum erklärte sich Theofanos schnell:

„Ich habe einen guten alten Bekannten getroffen und mit ihm über deinen Willen zu arbeiten gesprochen und was soll ich sagen? Sofort hatte ich ein Arbeitsangebot für dich in Händen. Natürlich nicht das große Los, aber es reicht. Außerdem ist er ein guter und gerechter Mann. Ich denke, bei ihm bist du gut aufgehoben.“

Esca schüttelte vorsichtig den Kopf, ordnete das gerade Gehörte neu. Schließlich rang er sich zu der Frage durch, was für eine Art Arbeit das denn sei, die er dort verrichten sollte und wann sie anfinge.

„Oh, du wirst in der Hauptsache Lastenträger sein. Gleich morgen früh. Unten am Hafen. Es sind zurzeit viele Händler von Übersee da und diese müssen ihre Schiffe neu beladen. Aber keine Sorge ich habe meinem Freund auch gesagt, dass du mehr kannst, intelligent und geschickt bist. Wahrscheinlich wirst du schnell noch andere Aufgaben bekommen, die alle angemessen entlohnt werden“, flötete der Grieche fröhlich, während er kleine Locken in seinen Bart drehte.

„Esca soll Lohnarbeiter sein? Ihr habt ihm eine der niedrigsten und unwürdigsten Tätigkeiten besorgt?“ entsetzte sich jetzt Marcus. Seine Wertvorstellungen von guter und würdevoller Arbeit waren noch ganz dem römischen Denken verhaftet und Lohnarbeit war das Schlimmste was es gab. Nur Unausgebildete verrichteten diese schweißtreibende und schlecht bezahlte Arbeit. Aber etwas anderes war Esca auch nicht: Unausgebildet und auch nicht des Lesen und Schreibens kundig, zumindest nicht im annähernd ausreichenden Maße. Zwar hatte der Brigante von Hause aus verschiedene Dinge wie das Herstellen von Werkzeug, die Schmiedekunst und das Zerlegen von erbeuteten Tieren gelernt, aber sie unterschieden sich von den römischenWeisen  und bis er diese gelernt hätte, hätten sie Lindum schon längst wieder verlassen.

„Ich kann für mich selbst sprechen, Marcus“, mischte sich der Jüngste der Runde ein, bevor wirklich noch ein handfester Streit zwischen den beiden ausbrechen konnte. Und Marcus sah ein, dass es besser war zu schweigen.

„Ich danke dir, Theofanos. Aber ich möchte gefragt werden, bevor man über meinen Kopf hinweg Arbeitsverträge für mich aushandelt. So wie ich für mich selbst sprechen kann“, dabei warf er Marcus einen ermahnenden Blick zu, „so kann ich auch für mich selbst sorgen und mir eine Arbeit suchen. Trotzdem nehme ich diesen Vertrag dankend an. Dessen ungeachtet bitte ich dich nachdrücklich, das nächste Mal meinen Willen zu respektieren. Ich bin kein Kind!“ Obwohl sich Esca um einen möglichst ruhigen Ton bemühte, hörte Marcus den verletzten Stolz aus den Worten seines Freundes sprechen.

Innerlich freute es ihn, dass der sonst so fehlerlose Grieche es dieses Mal übertrieben hatte. Dennoch nagte es an ihm, dass der eigenwillige Brigante wirklich arbeiten gehen wollte. Er hatte zwar schon befürchtet, dass er es nicht darauf beruhen lassen würde, dass Marcus der Geldgeber sein würde, aber die Vorstellung nun den Tag allein verbringen zu müssen bis Esca zurückkäme, missfiel ihm und dann war da ja noch der Grieche. So langsam machte sich in ihm das Gefühl breit, dass er Lindum alleine verlassen würde, sollte sich diese ganze Sache weiter in diese Richtung entwickeln.

„Ich schwöre bei Zeus, dass ich ab jetzt immer nach deinem Willen fragen werde, aber die Gelegenheit war einmalig und ich musste schnell handeln. Das musst du mir einfältigem Mann verzeihen“, beschwichtigte Theofanos den Dunkelblonden und hob entschuldigend die Hände. Allerdings wirkte der schwarzhaarige Mann eher so, als ob er sich einen Spaß erlauben würde. Der Brigante ließ es durchgehen. Der Tag war schon so weit fortgeschritten und endlich etwas für seinen eigenen Unterhalt tun zu können, um endlich aus dieser Abhängigkeit von Theofanos und Marcus herauszukommen, hatte auch etwas für sich. Lastentragen sollte wirklich kein Problem für ihn darstellen und auch mit Schiffen, den Fischerbooten seines Dorfes und denen, der benachbarten Stämme hatte er bereits Erfahrungen gesammelt.

Schließlich stand Esca auf und nahm seinen Becher.

„Lasst uns anstoßen! Auf das uns Dionysos heut Nacht nicht in unseren Träumen aufsuche“, rief Esca  in die kleine Runde mit einem verschmitzten Blick auf Marcus, der dann auch mehr oder minder begeistert das Glas erhob und den beiden anderen mit seinem Wasser zuprostete, das wirklich hervorragend schal schmeckte.

*


Die Runde blieb nicht mehr lange zusammen. Theofanos musste früh aufstehen und er riet auch dem jungen Briganten, bereits bei Sonnenaufgang am Hafen zu sein. Der Weg würde ihm durch den Fischgeruch von selbst zufliegen, sobald er den Fluss erreicht hatte.

Jetzt, es war wie am Tag zuvor bereits dunkel, wenn auch lange nicht so spät, war die zwölfte Stunde vielleicht gerade angebrochen. Nach Reden war keinem zumute. Beide waren aus einem anderen Grund müde, aufgrund des Schlafmangels, oder der Umstände wegen. Marcus überlegte, Esca noch mal auf den Griechen anzusprechen. Sein erster Versuch war ja grandios gescheitert, aber ihm war der Mut, diese brisante Frage zu stellen, doch etwas vergangen. Im Moment war das Klima zwischen ihnen auch soweit wieder hergestellt, dass man sagen konnte, dass es sich hier wieder um eine Freundschaft und weniger um eine Zweckgemeinschaft handelte. So kam es ihm zumindest vor. Er wollte nach einem andern, aber in naher Zukunft liegenden Zeitpunkt suchen, wenn sich die Frage bis dahin nicht von selbst geklärt haben sollte.

Als sie zurück an der Herberge waren, öffnete ihnen Decimus ungewöhnlicherweise noch bevor sie angeklopft hatten. Dem Römer fiel auf, dass er heute gar nicht so zerstört und dreckig wirkte wie bei ihrer Ankunft. Bart und Haare waren ordentlich hergerichtet und auch die Kleidung schien gewechselt worden zu sein, denn die Flecken waren nicht mehr zu sehen.

„Ah, die werten Herren aus dem Norden. Seid gegrüßt, ich muss noch weg, gut dass Ihr jetzt zurückkehrt. Geht gleich nach oben. Wenn etwas ist, ist meine Frau in der Stube. Mögen Somnus und Nox heute Hand in Hand gehen und Euch gute Träume schenken![1]“, und damit quetschte er sich ungeduldig an den beiden Gefährten, die bereits im Türrahmen standen, vorbei. Eine fröhliche Melodie pfeifend und sogar seine schwabbelnden Hüften dazu rhythmisch im Takt wackelnd, verschwand er in der nächsten Gasse.

„Was war denn in seinen Wein gemischt?“, prustete Marcus, der das Bild eines tanzenden Schweins nicht aus dem Sinn bekam.

Esca zuckte mit den Achseln „Vielleicht im Glücksspiel gewonnen? Seine Frau scheint es auf alle Fälle nicht zu sein, wenn er das Haus so eilig verlässt.“

Darüber musste Marcus noch mehr lachen und mit deutlich besserer Stimmung gingen sie hinauf in ihr Zimmer.

*


An Schlaf war nicht zu denken. Auf alle Fälle von Marcus Standpunkt aus.

Obwohl sie sich noch erzählt hatten, was in der Zeit, wo sie getrennt gewesen waren, passiert war und sie wirklich spaßige Anekdoten dabei berichten konnten, war ab dem Punkt, als Esca die Kerze ausgeblasen hatte, eine völlig andere Atmosphäre im Raum. Die plötzliche Stille lag wie eine Last auf Marcus Brustkorb und obwohl er seinen Gürtel zum Schlafen gelöst hatte, schien ein unsichtbares Gewicht auf jedem seiner Glieder und besonders im Magen zu liegen.

Warum nur?

Es war doch nichts Besonderes dabei, hier zu liegen? Sie hatten wochenlang im Freien geschlafen und es war nie so merkwürdig wie jetzt gewesen. Na gut, das stimmte so nicht ganz. Die letzte Nacht am Lagerfeuer war auch nicht so verlaufen wie die anderen Nächte. Aber jetzt war es noch schlimmer. Der Raum schien jedes Geräusch, das sie machten um ein Vielfaches zu verstärken. Der Römer traute sich kaum zu atmen, da selbst das sich anhörte als würde eine Sturmböe durch den Raum wehen. Steif und wie gefesselt lag er auf dem Stroh und lauschte in die Nacht hinein. Es raschelte. Esca schien sich bewegt zu haben. Vielleicht hatte er sich gedreht, oder nur einen Körperteil bewegt? So langsam verstand er, warum der Brigante ein eigenes Zimmer haben wollte. Diese Situation war ja zum Verrückt werden! Er hörte sich selbst so laut Denken, dass er meinte, das ganze Haus könnte an seinen Gedanken teilhaben.

„Marcus?“, kam es da flüsternd aus dem Dunkeln.

„Ja?“

„Kannst du schlafen?“

„Nein. Wahrscheinlich habe ich heute zu lange geschlafen.“

Schweigen.

„Ich muss über Theofanos Worte nachdenken“, gestand Esca, die Stimme kaum mehr hörbar, als ob er sich schämte.

„Über welche Worte? Der Magister redet so viel, da musst du dich schon etwas genauer erklären.“

„Über die Wortbedeutungen im griechischen und römischen.“

Marcus verstand gar nichts. Warum fragte ihn Esca ausgerechnet jetzt nach irgendwelchen Wortbedeutungen? Wahrscheinlich war das eins der Themen gewesen, dem sie sich gewidmet hatten, während er den Nachbartisch belauscht  nein, zufällig mitgehört  hatte. Aber das wollte er jetzt lieber nicht ausplaudern und fragte deswegen gespielt wissend weiter:

„Und was ist damit?“

„Ich weiß nicht. Theofanos hat sich so eigenartig benommen. Dauernd hat er dich so angeschaut als meine er, du wüsstest irgendwas, was er nicht auszusprechen brauche. Ich kann es auch nicht richtig erklären. Aber fandest du es nicht auch ungewöhnlich, dass er uns wirklich glauben lassen wollte, er könne sich diese drei Wörter im Lateinischen nicht merken? Ich bin der Meinung er hat uns etwas vorgelogen. Aber wieso?“

Nun war auch Marcus verwirrt. Aber was sollte er darauf schon antworten? Was Esca sagte, machte für ihn ja genauso wenig Sinn, wie das was Theofanos Esca scheinbar gesagt hatte.

„Nein, ich habe nichts bemerkt. Er ist kein Gott und auch kein Heroe. Irgendwo können wir alle etwas nicht, selbst in dem was wir am besten können. So ist der Mensch nun einmal. Außerdem schließt das nicht aus, dass er es noch lernen wird. Genug Lebenszeit haben ihm die Götter bestimmt geschenkt“, redete sich der Römer raus und hoffte, dass das Thema damit beendet war, bevor herauskam, dass er nicht mal ansatzweise wusste, wovon der Brigante sprach.

„Mh. Vielleicht hast du Recht.“

„Danke. Sehr gnädig von dir mir zuzugestehen, auch in etwas Recht zu behalten“, feixte Marcus, um den Briganten auf andere Gedanken zu bringen. Der ließ nur etwas wie einen unterdrückten Lacher von sich hören, drehte sich, der Lautstärke des Raschelns nach zu urteilen, jetzt um und sagte nichts mehr. Bald hörte Marcus die gleichmäßigen Atemzüge, die in dem hellhörigen Zimmer so nah klangen als ob der Dunkelblonde gleich neben ihm liegen würde.

Marcus schüttelte die Vorstellung schnell ab, konnte aber trotzdem erst ein paar Stunden später in einen leichten, traumlosen Schlaf versinken.

~ .~

So, ihr musstet lange warten, aber jetzt geht es weiter und im nächsten Kapitel wird es viele Überraschungen geben:-)

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[1]Schlaf und Nacht: er will daruf hinweisen, dass die Nacht zum schlafen da ist, weil man Esca seine kurze Nacht immer noch ansieht und er sich bei Marcus denken kann. Dass er zwar geschlafen, aber wahrscheinlich nicht gut geschlafen hat.
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