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Das Schicksal findet seinen Weg

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
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Dieses Kapitel
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11.01.2014 5.795
 
Die drei Männer schlenderten die schnurgeraden Straßen Lindums entlang. Allen voran Theofanos, der sich als wahrer Ortskenner erwies. Immer wieder zeigte er auf bestimmte Gebäude und Häuser und erzählte etwas zu ihren Bewohnern oder ihrer Funktion. Esca hörte mit großem Interesse zu. Marcus dagegen hielt etwas Abstand und betrachtete nur halbherzig die prunkvollen Fassaden. Besonders große Unterschiede zu Rom konnte er wahrlich nicht feststellen. Sein Blick folgte eher den bunt gekleideten Frauen, die sich vor dem Bad, an dem sie gerade vorbei gingen, tummelten. Ihre Kleider waren fast durchsichtig, beziehungsweise, manche der Frauen zeigten gleich ihre nackten Brüste. Ihre Gesichter waren teilweise so verschwenderisch geschminkt, dass es einen bizarren Eindruck erweckte. Die Prostituierten Lindums, waren keine Augenweiden, dafür aber mutig. Sie winkten und riefen ihren potentiellen Kunden schamlos laut hinterher. Marcus machte, dass er schnell weiter kam, denn eine Werberin hatte ihn schon ins Auge gefasst und wollte ihm sogar hinterhergehen. Bereits als Knabe musste er in eines der Lupanaren [1]. Es war für junge Burschen wie ihn üblich, sich dort das erste Mal die Hörner abzustoßen, wie es seine Mutter genannt hatte. Als er seinen Blick wieder auf die zwei Männer vor ihm werfen wollte, waren diese verschwunden. Irritiert blieb er stehen und schaute sich suchend um. Kurz hinter ihm entdeckte er eine kleine Gasse, die er im Dunkeln gar nicht wahrgenommen hatte. Dorthin mussten sie gegangen sein, wenn sie nicht eines der Häuser betreten hatten. Leise fluchend, dass er nicht besser aufgepasst hatte, machte er kehrt und bog in die Straße ein und entdeckte die beiden sogleich. Sie standen, nur wenige Meter von ihm entfernt, vor einem mehrstöckigen Gebäude. Beim Näherkommen, machte das Wohnhaus keinen sonderlich guten Eindruck. Das Mauerwerk war rissig und auch die Türe schien schon bessere Tage gesehen zu haben. Missmutig gesellte er sich zu den beiden, die ihn schon mit leicht vorwurfsvollen Blicken erwarteten. Eigentlich hatte Marcus vor seinen Unmut über ihr Schlafquartier zu äußern, aber noch bevor er den Mund aufmachen konnte, war Theofanos bereits vorgetreten und klopfte in einem scheinbar beabsichtigen Rhythmus gegen das Holz, danach trat er wieder einen Schritt zurück.

Zuerst geschah nichts. Theofanos grummelte etwas von Unzuverlässigkeit und trat ein zweites Mal vor. Wieder dieselbe Klopfabfolge. Stille.

Doch jetzt vernahmen sie etwas aus dem Inneren. Eine tiefe und schlecht gelaunte Männerstimme wurde hinter dem verschlossenen Eingang immer lauter. Der Unbekannte sprach zu einer weiteren Person, die aber nicht zu verstehen war. Dann ein metallisches Klirren. Es machte „Klick“ und ein schmaler Spalt öffnete sich zwischen Tür und Rahmen. Licht drang nach außen und blendete Theofanos, der sich schützend die Hand vor die Augen hielt. Ein rundes Schweinsnasengesicht lugte hervor. Der Mann sah, mit seinen dunklen Augenringen, müde aus. Der Bart war ungepflegt und es gab Flecken auf seiner Tunika, die man sogar durch die Lücke gleich entdeckte.

„Salve Decimus!“ begrüßte ihn der Grieche und fuhr ohne einen Gegengruß abzuwarten fort:

„Ich störe dich nur ungern, aber ich habe eine Bitte an dich.“

Der Angesprochene gab ein widerwilliges Schnauben von sich, welches der Schwarzhaarige wohl als Zeichen deutete, weiter zu sprechen.

„Diese beiden jungen Männer“, er zeigte dabei auf Marcus und Esca „brauchen für ein paar Tage eine Unterkunft. Bei mir ist, wie du ja weißt, nicht viel Platz und da dachte ich, ich schaue, ob bei dir noch Zimmer frei sind.“

Die Augen des Mannes fingen an zu leuchten und mit seiner herben Stimme, die nicht so recht zu dem schweinsähnlichem Gesicht passen wollte, sprach er zuckersüß:

„Ach Theofanos, mein Freund. Gut, dass du sie zu mir bringst. Weißt du, erst heute hat ein großes Schiff aus Gallien angelegt und alle Gasthäuser sind belegt, aber ich habe zufälligerweise noch Zimmer frei-“ der Grieche schmunzelte dem Caupo wissend zu. Daraufhin rieb sich Decimus, ein Geschäft witternd, die klobigen Hände und fragte sogleich:

„Also wie viele Kammern sollen es sein? Du weißt meine Preise sind gerecht und ihnen soll es an nichts mangeln.“

Decimus hatte, während er redete, die Tür ein Stück weiter geöffnet, um seine potenziellen neuen Gäste besser betrachten zu können. Die ansehnlichsten waren sie nicht, dachte er, aber wenn Theofanos sie brachte, würden sie Geld bei sich haben, da war er sich sicher.

„Also, wie viele Zimmer?“ wiederholte er seine Frage als von keinem der Drei eine Antwort bekam.

„Eins“ „Zwei“ kam es gleichzeitig von Marcus und Esca. Überrascht und entsetzt starrten sie sich an.

Der Erste, der seine Fassung wiederfand, war Marcus.

„Zwei Zimmer? Warum bei Jupiter brauchen wir zwei Zimmer?“ blaffte er den Briganten an.

„Warum sollten wir uns eins teilen? Wenn du Geld sparen willst, warum hast du dann Theofanos Einladung ausgeschlagen?“ konterte Esca.

„Das war etwas anderes, aber es spricht ja wohl nichts dagegen, sich ein Zimmer zu teilen, oder? Wir haben die letzten paar Wochen in Höhlen und unter freiem Himmel geschlafen, da wirst du es wohl doch jetzt ein paar Tage in einem Raum mit mir aushalten“, überging Marcus das Argument einfach.

„Anders war, dass wir dort keine andere Möglichkeit hatten. Aber warum beengt liegen, wenn wir auch Geld für zwei haben?“ ließ der Dunkelblonde nicht locker. Marcus biss sich auf die Unterlippe. Er wusste nicht genau, was er seinem Gefährten sagen sollte, denn sein Kopf hatte ihm ganz automatisch gesagt, dass er mit Esca in ein Zimmer wollte. Mit Geld hatte das nichts zu tun. Es war wie ein fremder Wille, aber jetzt zurückziehen, wollte er auch nicht. Nicht nachdem der Brigante sich so übertrieben sträubte.

„Als wäre ich ein tollwütiges Tier“, ging es dem Römer durch den Kopf und fühlte sich leicht gekränkt. Trotzdem wollte er gerade zum nächsten Gegenschlag ausholen, doch bevor der Streit richtig in Fahrt kam, klatschte jemand mehrmals laut in die Hände.

Die Köpfe wanderten zu Decimus, denn aus seiner Richtung kam das Klatschen, der hob aber abwehrend die Hände. Er wäre es nicht gewesen, beteuerte er und wie zum Beweis erschien hinter ihm ein kleiner Schatten. Eine nur unwesentlich weniger dicke Frau mit braunem Haar, welches zu einem einfachen Dutt mit mehreren Schnüren zusammengebunden war, stand mit in die Hüfte gestemmten Händen da und schimpfte ihren Ehemann aus.

„Decimus! Nie hörst du mir zu! Ich hatte dir bereits heute Morgen zum wiederholten Male gesagt, dass unsere Zimmer fast alle belegt sind. Es sind fünf Reisende aus Valentia eingetroffen. Und die Herren haben alles genommen, was sie kriegen konnten. Wir haben noch genau eins frei. Entweder nehmen sie das, oder sie müssen sich nach einer anderen Bleibe umsehen“, polterte die Frau, dabei wippte ihr Amulett, dass um ihren Hals hing und gegen böse Dämonen helfen sollte, munter im Takt.

Theofanos konnte nicht anders und musste kichern, als er die Gesichter von Marcus und Esca sah, die von der Aussage völlig überrumpelt dastanden und nicht wussten wohin. Als Esca aber die Konsequenzen klar wurden, fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht. Das Schicksal wollte ihn an diesem Tag doch noch einen Streich spielen. Aber was sollte er schon tun? Theofanos Einladung jetzt doch noch anzunehmen, wäre ihm unangenehm. Er hatte zudem das Gefühl, dass sich Marcus, der sich sowieso schon die ganze Zeit über auffällig benahm, nicht darüber freuen würde. Es gab also nur eine Lösung.

„Dann soll es eben so sein. Wir nehmen das Zimmer“ seufzte der Brigante. Es gab schließlich Schlimmeres, als sich in einem Raum mit Marcus zu befinden, redete er sich ein, trotzdem blieb ein leicht flaues Gefühl in seiner Magengegend, das er krampfhaft versuchte zu ignorieren.

Aber auch der Römer war nicht zufrieden. Sie hatten wieder ihre Meinungsverschiedenheit nicht beilegen können. Sollte es so weitergehen, dann würde es nicht lange dauern und Konflikte würden sich sicherlich ergeben.

„Da nun die wichtigen Angelegenheiten verhandelt wären, so sag mir doch Decimus, darf ich meine Freunde noch zu mir auf ein spätes Mahl mitnehmen[2]? Ich hatte es ihnen zugesagt und würde mein Wort ungern brechen, aber ich weiß, dass du gewohnt bist deine Waren früh morgens zu holen und ungern länger wach bleibst“, rissen die Worte Theofanos' Marcus aus seinen Gedanken. Dieser Grieche war listig wie ein Fuchs. Er wusste durch die schmeichelnde Rede die Leute für sich zu gewinnen, aber nicht mit ihm.

Und für einen Moment entflammte in dem Römer die Hoffnung, dass der Caupo ebenfalls nicht auf die Spielchen des Griechen hereinfiele, denn Decimus wirkte nicht gerade begeistert von der Idee. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und seine Mundwinkel suchten anscheinend, bei der Vorstellung eine extra Nachtschicht für die Fremden einzulegen, den Boden zu erreichen. Konnte Marcus dem unfreiwilligen Gastmahl doch entkommen?

Jedoch wusste Theofanos, wie man die Meinung des Wirtes am besten und schnellsten ändern konnte. Als er den Gesichtsausdruck des Mannes registrierte, schob er hastig einen Satz hinterher:

„Ich würde dich natürlich auch dafür auszahlen. Für die Umstände meine ich“ und zog einen kleinen ledernen Geldbeutel aus den Tiefen seiner Toga hervor. Deutlich klimperten die Münzen und automatisch wurden die Züge des Wirtes freundlicher. Jetzt nickte er sogar eifrig und meinte großzügig:

„Alles kein Problem, ich habe heute noch genug zu tun, da macht es nichts, wenn ich auf die Zwei warte. Habt ein gutes Mahl“ und nachdem er die Münzen in Empfang genommen hatte, schubste er erst seine Frau, die neugierig über seiner Schulter hing, weg und stieß dann die Türe mit seiner schwabbeligen Hüfte zu.

Angeekelt rümpfte Esca die Nase. Dieser Mann würde bestimmt nicht bis spät in die Nacht arbeiten. Saufen würde er und zwar von dem Geld seines Freundes. Wahrscheinlich würden sie ihn bei ihrer Rückkehr noch zu Bette schleppen müssen. Die Vorstellung machte ihn so sauer, dass er das flaue Gefühl vergaß. Warum Theofanos trotzdem so große Stücke auf diesen Sohn des Bacchus hielt, konnte er sich nicht erklären. Der Grieche war hingegen bester Laune. Fröhlich summend und mit schwebenden Schritten war es diesmal er, der den beiden davon lief und sie zum Aufbruch mahnte. Marcus ahnte Böses, fügte sich aber seinem Schicksal und war bereits jetzt froh, wenn er endlich in seinem Bett liegen würde. Es würde ein langer Abend werden.

Das hospitium in dem sie nun einquartiert waren, lag im Nordosten der Stadt. Theofanos Wohnung hingegen im Südwesten, was zur Folge hatte, dass auch der geringste Lichtstrahl verschwunden war, als die Drei endlich die kleine, gemütliche Stube betraten. Der Grieche entzündete sofort das Feuer für den Herd und die Öllampen gegen die Dunkelheit. Überall warf der Feuerschein unruhig zuckende Schatten an die Wände. Marcus und Esca zogen ihre Umhänge aus und wuschen sich die Hände.

Die beiden Gefährten saßen bereits, während der Grieche voll und ganz mit den Vorbereitungen der Speisen beschäftigt war. Es standen köstlich aussehende gefüllte Datteln auf dem kleinen rechteckigen Holztisch. Eine ungewöhnliche Vorspeise, zu der es mulsum[3] gab, damit der Hunger in ihnen noch mehr geweckt werde als er ohnehin schon war. Zurückhaltend bedienten sich Marcus und Esca an Speis und Trank, während sie sich zugleich mit ihrer neuen Umgebung vertraut machten.

Viel war es nicht, was in der Wohnung vorzufinden war. Trotzdem fielen Marcus einige Dinge auf, die ihn etwas stutzig machten, ihm sogar recht eigenartig vorkamen:

Zuerst eine bestimmt ellenlange Schriftrolle, die ausgebreitet auf einem anderen kleinen Tisch in der hinteren Ecke des Zimmers lag. Schriftrollen dieser Größe kosteten ein Vermögen. Woher hatte er sie nur? Auch eben schon schien Geld für ihn keine wesentliche Rolle zu spielen.

Als Zweites war da der fehlende Hausaltar für die Göttin Vesta[4]. Auch für die Laren[5] gab es keine Verehrungsmöglichkeiten, stattdessen stand eine kleine aus Lehm geformte Statue der Göttin Athene auf einer kleinen Anrichte – unverkennbar mit Eule und Speer bewaffnet. Nicht zuletzt die Toga, die er gleich bei ihrer ersten Begegnung bemerkt hatte und für die es bisher auch noch keine ausreichende Erklärung gab. Esca schien das Ganze auch eigenartig vorzukommen, zumindest knetete er unruhig seine Finger, wenn er nicht gerade an dem süßen alkoholischen Getränk nippte.

Theofanos kam und brachte neue Becher und eine Amphore mit Wein zusammen mit einem einfachen Salat, verteilte alles großzügig vor ihnen und lächelte zufrieden über sein Werk. Das Fleisch auf einem Herd roch bereits gut und würde bald fertig sein.

Mit einem kurzen Seitenblick auf beide Männer wurde er der angespannten Stimmung gewahr und entschloss sich das Tischgespräch zu eröffnen, um etwas Ablenkung zu schaffen. Bedächtig, so als ob er schon weit über die vierzig wäre, ließ er sich auf einen der kleinen Hocker nieder, schaute abwechselnd Esca und Marcus an, die immer noch nicht wussten, was sie genau sagen oder denken sollten.

„Ich habe das Gefühl, euch liegt etwas auf der Seele. Da man das Essen nur mit Freude im Herzen genießen kann, würde ich euch vorschlagen, fragt, was ihr fragen wollt“ und er goss sich etwas von dem dunkelroten Saft ein.

Esca überlegte kurz, ob seine Frage vielleicht unhöflich oder unangemessen wäre, nahm dann aber seinen Mut zusammen und erkundigte sich zögernd:

„Theofanos, erst einmal möchte ich dir erneut für deine Gastfreundschaft danken -,“ der Grieche winkte ab, Dank sah er hier nicht als angebracht an „dann würde ich aber doch gerne von dir wissen, wie du es geschafft hast dich von Gnaeus zu befreien. Ich denke nicht, dass er dich freiwillig hat ziehen lassen? Und schlecht scheint es dir auch nicht zu gehen, betrachte ich doch deine Wohnung mit Staunen.“

Der Schwarzhaarige fuhr sich durch den lockigen Bart, eine beliebte Geste bei ihm, nahm noch einen großen Schluck Wein und forderte seine Gäste mit einem kurzen Kopfnicken dazu auf, ebenfalls noch einen Schluck zu nehmen. Als diese taten wie ihnen geheißen, fing er an zu erzählen:

„Ja, bei Minerva, wie habe ich das geschafft? Ich weiß es schon fast gar nicht mehr genau, aber es war kurz nachdem man dich weggeführt hatte, um dich auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen. Gnaeus war furchtbar zornig, meine Unterweisungen über Aristoteles Lehre von der rechten Mitte scheinen an ihm spurlos vorüber gegangen zu sein … auf alle Fälle suchte er den Schuldigen und fand ihn auch.“

„Er hatte herausgefunden, dass du es warst?“ warf Esca besorgt ein. Dass die Hilfe seines Freundes Konsequenzen haben würde, hatte er befürchtet und gefürchtet. Die Wahrheit sah aber dann doch etwas anders aus, als er sich in diesem Moment vorstellen konnte.

„Ja und nein“, gab Theofanos vage zurück. „Gnaeus Verstand ist, wie du sicher bemerkt hast, nicht der eines Platon oder Cato und so fiel sein Verdacht zuerst auf einen der Feldsklaven. Ein etwas aufmüpfiger junger Bursche aus Helvetien, der ihm sowieso schon länger lästig war. Erinnerst du dich an ihn?“ Theofanos nagelte den Briganten mit seinem Blick fast an seinem Sitz fest, der aber schüttelte nur den Kopf. Seine Zeit auf dem Hof hatte er hauptsächlich in der Zelle verbracht und somit kaum Kontakt zu den anderen Sklaven gehabt, von Theofanos einmal abgesehen.

„Schade. Er erinnerte mich ein wenig an dich. Ich mochte ihn. So ein erfrischender Sturkopf“, bei der Erinnerung huschte ein kleines Lächeln über das Gesicht des Griechen, der es scheinbar mit seiner Hand weg zu wischen versuchte . Marcus folgte dem Treiben des Griechen mit Misstrauen, behielt aber einen neutralen Gesichtsausdruck bei.

Der Grieche schenkte sich noch mal nach, wann er seinen Becher geleert hatte, konnte keiner genau sagen, aber sein Zug war nicht der schlechteste und der Römer hatte Mühe mitzuhalten. Esca schien der Durst nicht zu triezen, sein Becher war noch bis zur Hälfte gefüllt.

„Wie du dir denken kannst, konnte ich nicht einen Anderen für mein Vergehen leiden lassen. Also stellte ich mich Gnaeus, damit er den armen Jungen nicht zu Tode prügeln ließ. Eine Unsitte, die ich schon öfters bei ihm gesehen hatte“, fuhr der Schwarzhaarige mit deutlich belegter Stimme und einer nachdenklichen Falte zwischen den Brauen fort.

Escas Augen wurden bei diesen Worten groß, aber er verbiss sich jede weitere Frage und ließ Theofanos zu Ende erzählen.

„Gnaeus tobte wie ein wild gewordener Eber. Er schrie mich an, er wolle mich an den Circus verkaufen wie dich und bei Zeus für einen Moment habe ich mir das auch gewünscht-“

Bei dem Satz verschluckte sich Marcus vor Schreck an seinem Wein, den er gerade angesetzt hatte. Mit der Faust klopfte er sich mehrere Male und unter den aufmerksamen Blicken der ehemaligen Sklaven, gegen die Brust. Als Marcus sich von seinem Hustenanfall etwas erholt hatte, beendete der Grieche seinen Satz schließlich:

„Aber ich muss gestehen, ich habe mich dann doch für mein Leben entschieden und habe versucht, noch während er seine Flüche über mich ergoss, meine Flucht zu planen. Nicht das einfachste Unterfangen, bedenkt man, dass ich in seinem Haus zusammen mit seiner Leibwache war.“

„Daran hast du gut getan. Aber nun sag schon, was hast du gemacht?“ Esca war ungeduldig und drängte zum Abschluss der Geschichte.

Schmunzelnd meinte der Grieche: „Man könnte sagen, die Musen hätten mich geküsst“, und nach einer kleinen Pause um die Neugier zu steigern:

„Mir fiel ein, dass ich Gnaeus des Öfteren dabei ertappt habe, wie er seine Leute anwies die Gewichte zu manipulieren und Würfel zu zinken, um mehr Gewinn aus seinem schlechten Weizen raus zu holen. Damit konfrontierte ich ihn, wohl bedacht, dass das seinen Zorn noch steigern würde. Er griff bereits nach einem Stuhl, um mich mit ihm zu erschlagen, da-“ er machte eine weitere theatralische Pause, versicherte sich, dass beide gespannt lauschten „rief ich ihm zu, wenn er mich jetzt töte, würde es einen Sklavenaufstand geben, den er nicht würde stoppen können. Augenblicklich hielt er in der Bewegung, den Stuhl noch hoch über seinen Kopf haltend, inne. Seine Gesichtsfarbe wechselte von rot zu weiß. Man könnte sagen, ich hab seine schwache Flanke erwischt“, dabei zwinkerte er Marcus zu, der Mühe hatte nicht mit den Augen zu rollen.

„Denn alle, seine Leibwache, die Feldarbeiter, seine Sklavinnen und wen es da sonst so gab, gehörten zu meinen engsten Vertrauten. Würde er mich töten, wäre sein eigenes Leben in Gefahr. Sogar ein Dummkopf wie Gnaeus erkannte, dass er so dem Problem nicht Herr werden würde. Ich nutze meinen Vorteil und bot ihm mein Schweigen gegen meine Freiheit.“

„Und er ging darauf ein? Unfassbar“, beendete Esca die Erzählung, Theofanos nickte zustimmend.

„Ohne Umwege erhielt ich per epistulam[6] meine Freiheit und wurde damit zu einem freien Bürger. Ich erhielt zudem, damit ich auch wirklich schwieg, eine Art Lohnnachzahlung der letzten zehn Jahre, was auch der Grund für mein etwas angenehmeres Leben ist“, amüsiert und schon vom Wein leicht angeheitert, strahlte er die beiden Gefährten an.

Esca hatte den Kopf gesenkt und schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ich bin wirklich froh, dass dir nichts passiert ist, mein Freund. Wärst du dem Tod anheimgefallen, ich hätte es mir nicht verzeihen können“, wahre Erleichterung sprach aus Escas Stimme. Marcus enthielt sich jeder Äußerung, drehte stattdessen nachdenklich seinen leeren Becher in den Händen als suche er ein verborgenes Zeichen, das ihm erklärte, warum er hier war und sich das alles anhören musste.

Theofanos legte seine Hand auf Escas Schulter, tief bewegt sagte er:

„Esca, ich habe Tag und Nacht zu Hades und Persephone gebetet, sie mögen dich nicht zu ihnen geholt haben. Sie haben mich erhört. Eine größere Freude gibt es für mich nicht.“

Das war dann fast etwas zu viel für Marcus, der, nachdem das regelmäßige Verschlingen von gefüllten Oliven, welches er ungefähr ab der Hälfte der Erzählung Theofanos begonnen hatte, nichts mehr brachte, ruckartig aufstand und nach der Weinamphore suchte, um dem peinlich-rührseligen Wiedersehen zu entgehen. Er griff sich das tönerne Gefäß und stellte bei seiner Rückkehr freudig fest, dass auch die Becher der Anderen Nachschub bedurften. Schnell füllte Marcus sie und brachte die Amphore an ihren Platz zurück. Wieder bei Tisch wollte er gerade einen Trinkspruch aussprechen, da wies ihn Theofanos auf eine Unachtsamkeit hin:

„Marcus, Ihr habt die falsche Amphore genommen. Dies ist der starke Wein, wir sollten ihn mit Wasser strecken, sonst sind eure Gedanken schneller benebelt als Dionysos seine Fässer füllt.“ Der Römer dachte aber gar nicht daran, den Tropfen zu strecken. Wenn er dieser Runde weiter beiwohnen sollte, bräuchte er starken Wein. Ohne ein weiteres Wort nahm er deswegen einen Zug, setzte den Kelch geräuschvoll auf den Tisch ab und blickte Esca herausfordernd an.

„Esca“, sprach der Römer seinen Freund an „Wie trinkst du ihn? Ich war Legionär, so ein Weinchen macht mir nichts aus“, prahlte er. Aber Esca ließ sich nicht darauf ein, er ahnte schon den Ausgang und hob abwehrend die Hände.

„Ich bin kein Römer. Und auch kein Legionär. Wenigstens einer sollte nachher den Weg zu Decimus finden.“ Für diese Antwort erntete Esca einen anerkennenden Blick von Theofanos. Marcus zuckte nur mit den Schultern, suchte nach der Amphore mit dem Wasser und übergab sie dem Griechen, der sogleich begann den Wein trinkbarer zu machen. Marcus hingegen nahm wieder einen Schluck und fühlte sich den beiden ehemaligen Sklaven gegenüber überlegen. Doch sein Übermut würde noch Folgen haben, vor allem da Theofanos nicht nur Wein im Hause hatte, sondern mit dem Fleisch auch noch Bier hinzukam.

*


Mehrere Becher, ein halbes Schwein, ein Dutzend Äpfeln, Trauben und anderen Naschereien später. Marcus hatte über alle Stränge geschlagen. In sich zusammengesunken lehnte er, auf dem Boden sitzend, da er sich nicht mehr auf dem lehnenlosen Stuhl hatte halten können, an der Zimmerwand. Sein Kopf glich der einer sonnengereiften Tomate und jedes Wort kostete ihn höchste Selbstbeherrschung sich nicht gleich zu übergeben. Schluckauf hatte er auch, zusammen mit den plötzlichen Momenten, wenn er grundlos anfangen musste zu kichern, ergab das ein Bild der Belustigung und des Mitleids zugleich.

Esca und Theofanos hatten ebenfalls gut zugelangt, zwar ging es ihnen um einiges besser als Marcus, doch merkten auch sie, wie Artikulation und Feinmotorik zunehmend abnahmen. Vor allem aber verfiel der Dunkelblonde immer wieder ins Keltische. Dann wechselte er mit dem schwarzhaarigen Griechen ein, zwei Sätze und sie lachten herzlich. Marcus sah das ungern, ungehalten rief er dann:

„Eschcaaa, du schollst doch nischt so närrisch spreschen! Verschteh dich sonssst nich …“ lallte der Römer und schmiss unkontrolliert die Arme in die Luft. Die zwei „Komplizen“ mussten dann noch mehr lachen, weil Marcus wie ein trotziges Kind klang und, um das Bild abzurunden, auch zusätzlich die Arme beleidigt verschränkte.

So ging es eine ganze Weile, bis der Alkohol seinen Tribut in Form von immer kürzer werdenden Müdigkeitsschüben forderte. Marcus gab bereits kleine leise Schnarcher von sich. Zuvor war ihm der Kopf immer wieder nach vorne auf die Brust gekippt, da hatte er sich aber noch gefangen und mit allen Mitteln versucht, wach zu bleiben, doch irgendwann hatte er dann aufgegeben. Seitdem schlummerte er, den Becher noch in der Hand haltend, in seiner Ecke und bekam von dem Trubel um ihn herum nichts mit.

Esca musste bei dem Anblick unwillkürlich lächeln. Theofanos entging es nicht, berührte den Briganten vorsichtig am Arm und meinte einfühlsam:

„Esca, auch wenn ich dich nur ungern ziehen lasse, aber ich glaube dein Freund muss auf einem richtigen Lager seinen Rausch ausschlafen und es ist spät.“

Nickend erhob sich der Dunkelblonde. Erst jetzt spürte auch er den Wein und musste eine Sekunde lang aufpassen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er stützte sich an Theofanos, der ihm in weiser Voraussicht gefolgt war, ab, gab ihm aber gleich darauf zu verstehen, dass es schon ginge. Jetzt schritt er auf Marcus zu, hockte sich neben ihn und während er ihn an der Schulter schüttelte, sagte er leise aber mit Nachdruck:

„Marcus, steh auf. Wir müssen gehen. Decimus wird nicht ewig warten. Nun mach schon, auf mit dir!“

Mühselig öffnete der Römer ein Auge, dann das zweite, blinzelte ein paar Mal, bevor er seinen Kopf langsam in die Richtung bewegte, in der er die Stimme vermutete und schließlich Escas Gesicht fand, das dicht neben seinem Ohr ruhte. Erfreut und irgendwie erstaunt ihn zu sehen rief er:

„Eschca! Du bisch auch hier? S … sseit wann? Isch bin erfreut! Wo geeeehh‘n wir hin?“

Genervt verdrehte der Brigante seine Augen. Das würde ja noch lustig werden. Sein Freund war berauschter als er gedacht hatte. Innerlich betete er, dass Marcus zumindest ein bisschen in der Lage sein würde zu laufen. Der Römer war gut gebaut und schwer. Etwas zu schwer für den durch das Bier geschwächten Esca. Wenn Marcus nicht selbstständig ging, bräuchte er noch einen Handkarren, um ihn bis zur Herberge zu transportieren.

„Komm steh auf. Wir gehen nach Hause, Marcus. Ein Centurio wird doch wohl nicht vor dem Wein zu Knie kriechen?“ probierte der Blonde es noch mal, da Marcus sich noch nicht von seinem Schlafplatz erhoben hatte. Der Spruch wirkte, wie auf Kommando rappelte sich der Römer – wackelig, aber immerhin aufrecht - auf und beteuerte:

„Niemalsch! Eschca lasss unsss marsch…marschieren!“

Das mit dem Marschieren klappte nicht besonders gut, da er gleich beim ersten Schritt den Schemel, auf dem er noch zuvor gesessen hatte, übersah. Hätten Theofanos und Esca nicht gleich zugegriffen, wäre er gestürzt. Marcus kicherte wieder vor sich hin, klammerte sich fest in die Kleidung des Blonden, dass dieser schon das Gefühl hatte, er würde sie ihm gleich vom Leib reißen.

Der Grieche warf seinem Freund einen fragenden Blick zu, der so viel bedeuten sollte wie: „Soll ich dich bis zur Herberge begleiten?“ Aber Esca wollte keine Hilfe. Er habe schon genug für sie getan und mit Marcus käme er schon zurecht.

Gern ließ der Schwarzhaarige sie nicht ziehen, aber er wusste um die Sturheit des Briganten und wünschte ihnen zum Abschied eine gute Heimkehr.

„Mögen die Götter über euch wachen!“ rief er ihnen noch hinterher als sie, schwer torkelnd, um die nächste Ecke bogen.

*


Sie kamen nur langsam voran. In großen Schlangenlinien, die noch zusätzliche kleine Schleifen hatten, bahnten sie sich den Weg durch die vom Fackelschein erhellten Gassen. Sie mussten aufpassen, dass keiner der vielen Pferdekarren[7] sie nicht ausversehen umfuhren. Die Lenker waren meist in Eile und hatten nur wenig Verständnis für zwei Trunkenbolde, die sich in der Stadt nicht auskannten. Gerade erst verfehlte sie nur haarscharf ein klappriges Gespann vollbeladen mit Gemüse und Fässern.

„Marcus, bei deinen Göttern, wenn du so auf mir hängst, sind wir zu langsam“, keuchte der ehemalige Sklave. Er hielt den Römer mit seiner Rechten um die Hüften geschlungen, Marcus rechter Arm hatte er sich um den Hals gelegt und probierte, so gut es eben ging, geradeaus zu laufen. Aber der ehemalige Centurio schlief immer wieder in kurzen Abständen ein, dann sackte sein Körper förmlich in sich zusammen und Esca musste schwer darum kämpfen, ihn nicht fallen zu lassen oder gar von ihm begraben zu werden. Er gab sich alle Mühe, redete auf Marcus ein, damit er wach bliebe, doch nach zirka der Hälfte des Weges brauchte auch er eine Atempause. In einer Hausnische legte er seine nach Alkohol riechende Last ab, setzte sich neben ihn und atmete erst einmal tief durch. Er schwitzte trotz der kühlen Nacht ziemlich und seine Kehle brannte wieder, verlangte nach Wasser. Erschöpft lehnte er sich gegen das Gemäuer.

„Dass er sich so gehen lassen würde, hätte ich wirklich nicht gedacht. Der Geist des Weines muss ihn ganz schön benebelt haben. Ich hoffe wir kommen noch vor der Morgendämmerung an“, murmelte der ehemalige Sklave vor sich hin. Sein Blick wanderte die weißen Wände entlang bis er hoch in den wolkenverhangenen Himmel blickte. Nicht mal der war ihnen heute wohlgesonnen. Dicke schwarze Wolken verdeckten die Sterne. Es würde sicherlich noch regnen, sie dürften nicht mehr lange rasten, wollten sie nicht nass ankommen. Automatisch zog er seinen Umhang enger an sich. Daraufhin schaute sich der Blonde um, um sich auf diese Weise besser an den Weg erinnern zu können. Während er noch versuchte auffallende bauliche Merkmale wiederzuerkennen, landete etwas Schweres auf seiner Schulter. Er zuckte zusammen und blinzelte aus den Augenwinkeln den Römer an. Marcus war erneut eingeschlafen und hatte sich Esca als Kopfstütze auserkoren. Mit leicht offenstehendem Mund und einem verklärten Gesichtsausdruck, den kein Wässerchen trüben konnte, schlummerte er auf dem ehemaligen Sklaven.

Esca wollte ihn eigentlich sogleich wieder wecken und sehen, dass sie weiter kamen, aber er zögerte. So dicht war das Gesicht des Römers nur selten an seinem gewesen. Und um so länger er ihn anschaute, um so mehr meldete sich wieder das unangenehme Gefühl, dass er zuvor bei Decimus gehabt hatte. Außerdem fiel ihm jetzt auch noch sein unerklärliches Verhalten im Wald nach dem Räuberangriff ein, was ihn doppelt aufwühlte.

„Was ist denn nur los mit mir?“ dachte Esca schon leicht verzweifelt und wandte die Augen von Marcus ab.

Diese Frage stellte er sich in den vergangen Tagen immer wieder. Kam aber auf keine zufriedenstellende Antwort. Dafür wuchs in ihm die Unsicherheit Marcus gegenüber und ließ ihn deswegen auch auf Abstand zu ihm gehen. Bei Theofanos fühlte er sich, vor sich selbst, wenn man es so nennen wollte, sicherer. Aber jetzt teilten sie sich ein Zimmer, das engte ein. Im Wald war es freier. Er war sowieso lieber in den Wäldern, der Platz wo seine Götter lebten, bevor die Römer kamen.

Er drehte sich wieder etwas mehr zu Marcus hin. Der Kopf des Römers war ziemlich warm, dadurch wurde er unruhig und bewegte sich. Ein paar Strähnen fielen ihm ins Gesicht. Ein Zeichen wie lange sie schon unterwegs waren, denn Marcus hatte eigentlich immer sehr kurz geschnittenes Haar. Wie von Geisterhand geführt, strich er die Strähnen aus dem Weg, um gleich darauf panisch aufzuspringen und den Betrunkenen auf den Boden rutschen zu lassen.

Marcus war zwar schon sehr betrunken, aber nicht gefühlstaub und den Schlag auf seinen Kopf spürte er mehr als deutlich. Stöhnend griff er sich an die schmerzende Stelle und nach einigen Sekunden angestrengten Nachdenkens nahm er wahr, dass er sich nicht mehr in Theofanos Wohnung befand und versuchte die Bausteine der Frage „Wo sind wir?“ in eine einigermaßen logische Reihenfolge zu bringen. Ließ es aber dann doch sein. Vielleicht funktionierte ein vorwurfsvoller Blick besser, doch das misslang ebenfalls, weil er Esca aus den Augen verloren hatte.

Esca hatte sich noch nicht unter Kontrolle, seine Gedanken rasten und sein Magen sagte ihm, dass er sich am liebsten an Ort und Stelle entleeren wollte, doch das würde der Blonde auf keinen Fall zulassen. Sein ganzer Körper zitterte und als er dann noch Marcus Gesicht sah, auch wenn es wirklich nicht das ausdrückte, was er eigentlich sagen wollte, wollte er einfach weg. Er wollte für kurze Zeit für sich allein sein, bis er sich beruhigt hatte. Sich erklärt hatte, warum er jedes Mal in eine solche Angst ausbrach, wenn er Marcus zu nahe kam. Er machte auf dem Absatz kehrt und lief einfach los.

Mit großen Augen verfolgte Marcus das Schauspiel vor ihm. Die Zusammenhänge waren ihm völlig unklar, aber dass Esca gerade im Begriff war ohne ihn abzuhauen, verstand er tatsächlich. Mit aller Kraft zog er sich auf seine Beine und schaffte es sogar, wackelig und schief, frei stehen zu bleiben.

Für lange Überlegungen blieb ihm keine Zeit, deswegen brüllte er seinem Gefährten hinterher:

„Eschhcaaa! Kannst misch nicht allein lasschhhhen! Komm surück. Isch befehl‘s dir!“ Und als er bemerkte, dass der letzte Satz vielleicht nicht ganz angebracht war, ergänzte er noch:„Als dein Freund! Eschca, verdamm, wo willstn du hin?“ dann gaben seine Beine nach und er plumpste wieder auf den Boden.

Seine Worte, so krumm sie auch waren, zeigten Wirkung. Nicht nur, dass der Brigante stehen blieb, nein auch aus den umliegenden Wohnungen kam plötzlich Feuerschein und eine ältere Dame kreischte ein „Ruhe! Wer zum Jupiter macht hier so einen Lärm?“ in die Nacht.

Escas Verantwortungsgefühl meldete sich bei ihm und er musste einsehen, dass er Marcus dort nicht alleine lassen konnte. Nachher würde er noch bestohlen, ohne, dass er sich zur Wehr setzen können würde. Widerwillig ging er zurück, hievte den Römer erneut auf die Beine und brachte ihn dazu voran zu gehen.

Irgendwann hatten sie es tatsächlich geschafft das hospitium wieder zu finden. Nach mehrmaligem Klopfen öffnete ein ebenfalls betrunkener Decimus die Türe, schaute auf Marcus hinab und meinte nur: „Der hat wohl auch im Weinfass gebadet“, und half den Dunkelhaarigen die Treppen hoch in den ersten Stock zu tragen, wo sich ihr Zimmer befand. Marcus murmelte zwischendurch unverständliches Zeugs, Esca war heil froh als sie ihn endlich auf sein Bett gelegt hatten. Der ehemalige Sklave bedankte sich beim Wirt und musste diesem versprechen, dass Marcus, für den Fall, dass er sich noch übergeben sollte, er ihm morgen eine Entschädigung zahlen würde. Als die Tür zufiel, setzte sich Esca auf Marcus Bettkante. Schon als sie ihn auf das Bett gelegt hatten, war er kurz davor gewesen aufzuwachen. Der kurze Ruck, der entstand als sich Esca setzte, ließ ihn nun ganz erwachen. Sehr langsam ließ er seine Augen von rechts nach links wandern und fragte dann zum dritten Mal an diesem Abend:

„Wo binsch?“

„Im Bett und jetzt schlaf“, befahl der Brigante, der selber hundemüde war und keine Lust auf weitere Gespräche hatte. Doch dem Römer missfiel Escas Ton und er brüllte geradezu:

„Isch bin Centurio! Isch befehle!“

„Bei meinen Ahnen, ich bring ihn noch um“, kochte es im ehemaligen Sklaven. Ein letztes Mal, wollte er vernünftig sein und nicht zornig werden. Ein letztes Mal.

Marcus guckte ihn immer noch mit einer Mischung aus verletztem Stolz und Arroganz an. Esca ignorierte es, und fragte stattdessen mit aller Ruhe, die er noch aufzubringen vermochte:

„Centurio, darf ich mein Nachtlager aufsuchen?“

Die Stirn von Marcus verwandelte sich in ein Faltenmeer, die Frage schien ihn ernsthaft zu beschäftigen, aber schließlich fand er eine passende Antwort:

„Ja.“

Esca nickte erleichtert und wollte gerade in sein Bett, dass genau auf der anderen Seite des Zimmers lag, worüber er ausgesprochen froh war, gehen, da hielt ihn der Römer am Arm zurück.

Gereizt zischte der Dunkelblonde ihm ein „Was noch?!“ zu.

„Esca?“

„Ja?“

„Bischt ein wahrer Kamerad.“

Esca atmete hörbar aus, quetschte ein „Danke“ gerade noch hervor und machte dann, dass er in sein Bett kam. Aber anstatt sich gleich auf das verlockende Strohlager zu legen, blieb er einen Moment still sitzen, faltete die Hände, lehnte seine Stirn gegen sie und flüsterte immer wieder mit geschlossenen Augen:

„Kamerad.“


~ . ~.~

Hier möchte ich auch mal einen Dank an alle richten, die bis hierin gelesen haben! Ihr seid super! Eine Bitte hätte ich allerdings, schreibt mir UNBEDINGT, wenn euch Fehler auffallen, oder euch etwas nicht passt. Ich werde zwar nicht mein Konzept umschmeißen, bin aber immer an euerer Meinung interessiert=).


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1 Bordelle
2 Wer sich wundert, warum Theofanos spät sagt, obwohl die Sonne noch gar nicht lange untergegangen ist und wie Herbst haben: das Abendessen begann bei den Römern wesentlich früher als bei uns, schon ca. ab 16 Uhr.
3 Gemisch aus Honig und Wein
4 Göttin des Herfeuers
5 Schutzgötter für Haus und Familie
6 per Freibrief wurde bestätigt, dass der Sklave zum Freigelassenen wurde. Es gab aber auch andere Möglickeiten, z.B. als Testament, vor Zeugen etc.
7 Ja, es gab Straßenbeleuchtung mit Fackeln. Dass nachts da so viel Betrieb herrscht liegt daran, dass tagsüber die Händler und Handwerker sonst die Straßen mit ihren Karren verstopfen, deswegen dürften sie nur abends/nachts fahren. Sieht man heut zu Tage angeblich in manchen Ländern immer noch.
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