Das Schicksal findet seinen Weg
von Kaetzchen89
Kurzbeschreibung
Wir schreiben das Jahr 141 n. Chr. Seit beinahe drei Jahren ist Antoninus Pius neuer Imperator Roms. Marcus Flavius Aquila und sein ehemaliger Sklave Esca wollen, nachdem sie den goldenen Adler der neunten Legion zurückgeholt haben, ihre neu erworbene Freiheit genießen. Marcus hatte Esca versprochen, dass er ihr neues Ziel bestimmen darf. Doch wohin wird sie die Reise führen? Wie lange werden sie dieses Mal unterwegs sein? Und wie sieht es überhaupt mit der Beziehung der beiden aus? Werden sie es schaffen, ihre Gefühle füreinander zu akzeptieren? Oder war letzten Endes alles nur Schein? Diese Reise wird Entscheidungen fordern, die beide zuvor nie fällen mussten.Nach dem Film "Der Adler der neunten Legion" oder "The Eagle".
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
9
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11.01.2014
3.518
Am Ende des dritten Tages ihrer Reise erreichten sie mit Einbruch der Dunkelheit die Stadt Lindum. Schon früh waren die ersten Gutshöfe in der Ferne aufgetaucht, allerdings hatten sie vor Ort keine Menschen angetroffen. Trotzdem waren die Anzeichen für Zivilisation unverkennbar: quadratische Felder, Grabsteine[1] am Wegesrand und tiefe Rillen im weichen Erdboden der Straße zeigten, dass hier reger Verkehr herrschte. Bald schon waren die dicken Stadtmauern und ihre Wachtürme zu sehen.
Colonia Domitiana Lindensium, wie die Stadt eigentlich mit vollem Namen hieß, war ein ehemaliges Soldatenlager und wurde von Kaiser Domitian in eine Colonia umgewandelt. Die ehemals zur Verteidigung gedachte Mauer hütete heute die hinzugezogenen Bürger, die sich angesiedelt hatten.
Esca hatte sich den Ort kleiner vorgestellt. Aber jetzt beeindruckte sie ihn. Er war nie in größeren Städten gewesen. Der Anblick Roms hätte ihn wahrscheinlich mehr staunen lassen, aber dieser reichte ihm schon. Als erstes fiel ihm das Aquädukt auf, welches gleich in der Nähe der Nordseite entlanglief und Tonnen von Wasser für die Stadt lieferte. Der Fluss Witham, an dem Lindum lag, war der wichtigste Bezugspunkt für die Wasserversorgung, aber auch für den Handel, welcher so gut lief, dass die meisten Bürger recht wohlhabend waren und viele Kaufleute aus der bekannten Welt hinkamen.
Sie nährten sich dem nördlichen Torbogen, an dem zwei Custodes[2] in Rüstung und mit Hasta[3] bewaffnet, positioniert waren. Fremde, auch Händler, wurden immer zuerst mit Misstrauen empfangen. Zu schnell schlichen sich Gesindel und Diebe ein. Und genau nach solchen sahen die beiden Gefährten aus. Seit dem Überfall im Wald waren ihnen nur kleine Bachläufe begegnet, gerade genug um die Wasserbeutel zu füllen, aber nicht um sich ausgiebig zu waschen. Sie starrten vor Dreck und ein Dreitagebart ließ sie noch heruntergekommener aussehen.
„Schau sie nicht an, geh einfach an ihnen vorbei“, ermahnte Marcus Esca.
Der sagte nichts, warf ihm aber einen Blick zu, der für sich sprach. Als ob er jetzt einen Streit mit den römischen Weinfässern auf zwei Beinen anfangen wollte. Darum schlenderten sie mit gut gelaunten Mienen nebeneinander her. Es sollte so aussehen als hätten sie nur einen Ausflug gemacht und kehrten jetzt zurück. So wollten sie unauffällig in die Stadt gelangen. Aber der Plan ging nicht auf. Noch bevor sie auch nur einen Fuß durch das Tor setzen konnten, versperrten ihnen zwei gekreuzte Speere den Weg.
„Ihr da! Wer seid ihr? Wo kommt ihr her und was für ein Anliegen führt euch hierher?“ schnauzte sie ein besonders übellauniger Legionär an. Marcus trat ein einen Schritt vor. Mit ruhiger Stimme und einer beschwichtigenden Handbewegung antwortete er dem Soldaten:
„Mein Name ist Marcus Flavius Aquila, Sohn des Flavius Aquila und das ist Esca, ein Freund von mir. Wir kommen aus dem Lager in Eboracum und möchten für ein paar Tage Bekannte besuchen.“
Der Mann mit der verdrießlichen Miene schien ihm nicht zu glauben. Seine Rüstung klapperte etwas, als er sich vorbeugte und Marcus noch mal eindeutiger musterte.
„Ihr seht aus wie Landstreicher und riecht auch so. Ich glaube euch nicht. Nennt mir die Namen euer Bekannten, dann werde ich nach ihnen schicken lassen“, knurrte er.
Innerlich stockte Marcus der Atem. Seine eigentlich unwillkürlich dahingesagte Begründung könnte ihnen jetzt zum echten Problem werden. Esca hatte ihm bereits einen ungläubigen Blick zugeworfen.
Der ehemalige Sklave war ebenfalls ratlos, wusste nicht, wie sie sich aus dieser unangenehmen Situation herauswinden könnten. Wenn sie jetzt abgewiesen würden, kämen sie gar nicht mehr in das Innere der schützenden Mauern.
„Der Name? Ja, der Name, also er lautet …“ Marcus stand der Schweiß auf der Stirn. Wenn ihm nicht augenblicklich etwas Sinnvolles einfiele, wäre es das gewesen.
„Lucius!“ rutschte es ihm heraus.
„Lucius?“ brummte zum ersten Mal der Legionär, der bisher geschwiege hatte: „Wir haben dutzende Knaben und Männer mit diesem Namen. Wie ist der Familienname?“
Esca drehte sich weg und entfernte sich etwas von dem Geschehen. Er konnte sich das Elend nicht mehr mit ansehen. Vielleicht könnten sie heute Nacht bei einem der Bauern bleiben, oder sie würden es doch mal bei einem anderen Stadttor probieren. Sie hätten wirklich vorher überlegen sollen, wie sie hinein kämen. Wütend kickte er einen Stein weg. Es war so ärgerlich. Er hätte sich wirklich ein anders Ziel setzen sollen. Was wollte er denn auch schon in einer römischen Stadt, wo sie niemanden kannten? Er muss vor Euphorie betrunken gewesen sein.
Marcus suchte immer noch nach Worten. Er hatte noch nicht aufgegeben. Möglicherweise konnte er seine Lüge noch retten? Intuitiv griff er an seinem Rock herunter, dabei streifte seine Hand den Beutel mit Sesterzen.
Bestechung?
Als er noch im Dienst war, hatte er es öfters mit Bestechung zu tun gehabt. Er hatte sich nicht kaufen lassen, aber die zwei hässlichen Vögel vor ihm sahen nicht so aus als würden sie leicht verdientes Geld ausschlagen. Es wäre zwar eine Verschwendung, aber es war ja sowieso Diebesgut gewesen.
Marcus Mundwinkel zuckte. Esca war zurückgekommen, er wollte ihm etwas sagen, aber Marcus winkte ab.
„Lass mich nur machen“, sagte er zu dem überraschten Dunkelblonden. Mit einem gespielten Lächeln trat er nun auf die Soldaten zu. Diese hatten ihre Hände zur Vorsicht schon an den Griff ihrer Schwerter gelegt, doch Marcus ließ sich nicht beeindrucken.
„Ihr tapferen Männer Roms, hört mich an. Euer Geschäft ist der Kampf und doch wurdet Ihr zum Wachdienst herabgestuft. Eure Kameraden sind draußen und haben die Möglichkeit Beute mit nach Hause zu bringen, doch ihr müsst mit Eurem Sold auskommen. Wärt Ihr nicht lieber an der Stelle Eurer Kameraden? Würdet Ihr nicht auf gerne euren Familien zeigen, was für Schätze Ihr erbeutet habt?“ befragte er die Custodes mit feierlicher Stimme.
„Das stimmt“, rief der besser gelaunte. Sein Kamerad gab ihm dafür einen recht groben Stoß mit dem Ellbogen gegen den Plattenpanzer.
Marcus grinste innerlich. Er hatte sie. Sie würden auf sein Angebot eingehen, da war es sich sicher. Esca hatte noch nicht verstanden, was Marcus da genau vor hatte, wollte ihn aber instinktiv davon abhalten wieder nur halb ausgereifte Aktionen durchzuführen. Auf einen Gefängnisaufenthalt konnte er gut verzichten. Aber der Römer redete munter weiter:
„Ich stand noch bis vor kurzem im Dienste unseres Kaisers. Ich weiß, dass man Nebeneinkünfte gut gebrauchen kann“, Marcus machte ein vielsagendes Gesicht, um die Spannung zu steigern.
„Deswegen würde ich euch einen Handel vorschlagen. Ich…“, weiter kam er nicht, da ein Ruf den nahenden Bestechungsversuch verhinderte:
„Esca! Bei allen Göttern du bist es doch, oder spielen mir meine Augen einen Streich?“
Alle Köpfe, sogar die der Legionäre, fuhren herum. Ein mittelgroßer Mann in einer Toga, mit schwarzen, teilweise schon von grauen Strähnen durchzogenen, Locken und Bart kam von links langsam, mit weit geöffneten Armen auf sie zugeschritten. Escas Augen wurden groß, der Anblick des Mannes schien ihn aufzuwühlen. Marcus war verwirrt.
„Esca, wer ist das?“ wollte der Römer flüsternd wissen. Esca aber sagte nichts, starrte nur weiter fassungslos den Unbekannten an.
Auch wenn Marcus solche Überraschungen nicht schätzte, so erkannte er doch relativ schnell, dass ihnen der Mann eventuell weiterhelfen konnte. Obwohl … so wie Esca reagierte war der Bartträger vielleicht eher eine Bedrohung als eine Hilfe für sie? Um wen konnte es sich nur handeln? Der Fremde wirkte nicht so, als ob er von hier käme, dafür war seine Haut zu dunkel. Eher aus einer wärmeren Gegend so wie Marcus.
Der fremde Mann war bei ihnen angekommen, besser gesagt, er war vor Esca stehen geblieben. Nur ihm galt sein Interesse, die anderen schienen für ihn nicht existent zu sein. Einen Moment standen sich beide Männer regungslos gegenüber, dann aber breitete der Neuankömmling erneut seine Arme aus und umarmte Esca herzlich. Der ehemalige Sklave war immer noch wie gelähmt und rührte sich nicht vom Fleck.
Marcus dagegen überkam bei dem Anblick unwillkürlich eine Welle des Zorns. Was war das denn für ein Benehmen?! So begrüßte sich kein normaler Römer[4]. Ein Handschlag ja, aber man fiel sich nicht um den Hals. Wollte der Fremde Esca bloßstellen? Ausgerechnet jetzt, wo sie doch darum kämpften eingelassen zu werden? Marcus wollte gerade dazwischen gehen. Doch bevor er einen Finger rühren konnte, hatte auch der junge Brigante seine Arme um den dunkelhaarigen Mann geschlungen und sagte lachend etwas zu ihm, was der ehemalige Centurio allerdings nicht verstand, da er es auf Keltisch sagte.
Sie tauschten noch ein paar Worte aus und klopften sich gegenseitig auf die Schultern, bevor sich Esca dem reichlich verwirrten Marcus zuwandte, der schon ungeduldig auf eine Erklärung wartete.
„Marcus, es ist Theofanos“, teilte er freudig mit.
„Theofanos?“ echote es in Marcus Kopf. Der Römer konnte im ersten Moment rein gar nichts mit dem Namen anfangen, trotzdem schien er ihm merkwürdig vertraut zu sein. Der Name klang nicht römisch, auch nicht britannisch oder gallisch, er klang eher nach … griechisch!
Natürlich. Marcus schlug sich mit seiner Hand gegen die Stirn. Theofanos war der griechisch-stämmige Sklave gewesen, der Esca während seiner Gefangenschaft geholfen hatte. Wie hatte er das nur so schnell wieder vergessen können?
Aber warum war er hier in Lindum? Und warum trug er als Sklave die Toga eines römischen Bürgers? Das Fragengeflecht verstrickte sich immer weiter.
So in seine Gedanken vertieft, hatte er natürlich nicht dran gedacht Esca zu signalisieren, dass ihm eingefallen war, wer der Fremde war. Der junge Brigante bemerkte aber vor allem die Blicke der Custodes, die noch skeptischer aussahen als zuvor. Um eine erneute Befragung zu vermeiden und die Situation unter Kontrolle zu bringen, fuhr er fort zu erzählen, so als ob Marcus ihm bereits bestätigt hätte, den Griechen wiedererkannt zu haben.
„Theofanos berichtete mir gerade, dass Lucius momentan nicht in der Gegend ist. Er sei nach Gallien aufgebrochen und käme erst in mehreren Wochen zurück. Aber damit wir den weiten Weg nicht umsonst gekommen seien, würde er sich glücklich schätzen uns als Gäste begrüßen zu dürfen.“
Der Grieche zog erstaunt eine Augenbraue hoch, fasste sich aber gleich wieder und lächelte entspannt. Kaum merklich nickte er mit dem Kopf, als hätte er tatsächlich diese Einladung ausgesprochen. Er hatte schnell verstanden, worum es Esca ging. Und da ihm das Wohl des Briganten sehr am Herzen lag und es ihn außerdem sehr amüsierte die beiden Custodes so ratlos zu sehen, wollte er das Spiel mitspielen. Deshalb antwortete er dem einen Wächter auf die Nachfrage, ob es auch stimmte, was der Blonde gesagt habe mit dem einfachen Satz:
„Veritas sermo est simplex.“[5]
Das reichte aus, um die Wachen dazu zu bewegen ihre Speere zurück zu ziehen und den Weg frei zu geben. Sofort scheuchte sie der Grieche eilig durch das Tor und endlich betraten sie die Stadt.
Als sie außer Hörweite waren, wollte sich Marcus bei dem Griechen bedanken, dass er das Spiel mitgespielt hatte, auch wenn dieser ihm dadurch die Chance genommen wurde zu zeigen, dass er sicherlich auch in der Lage gewesen wäre, sie rein zu bringen:
„Theofanos, ich danke Euch. Ich stehe in Eurer Schuld.“
Der Togaträger schmunzelte.
Höflich, jedoch bestimmt entgegnete er: „Ich fühle mich geehrt, aber mit scheint, der Dank gebührt unserer beider Freund Esca. Schließlich war es sein Einfall, der euch gerettet hat. Er hat klug und schnell gehandelt. Aristoteles wäre stolz auf ihn. Ich war nur Teil seines Plans. Wo ist er eigentlich?“
Suchend blickten sich beide um. Esca war bereits vorausgegangen und schien sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. Seine beiden Begleiter hatte er offenbar vergessen. Marcus wollte ihm folgen, um sich auch bei ihm zu bedanken, aber Esca schien ihm auszuweichen. Ob absichtlich oder nicht, darauf wollte sich der Römer eigentlich nicht festlegen, aber wenn der Brigante ihn wie Luft behandelte, obwohl er unmittelbar neben ihm stand, war eine Deutung in Richtung Absicht nicht ganz von der Hand zu weisen. Unverrichteter Dinge und leicht pikiert gesellte er sich wieder zu dem Griechen. Obgleich er ihm die unpassende Umarmung noch nicht verziehen hatte. Theofanos war ein guter Freund Escas und mit diesem wollte er nicht gleich im Streit liegen. Einem Friedensangebot gleich, hielt er ihm also seine Rechte zum Gruße hin. Er beschloss innerlich, einfach nicht nach dem ersten Eindruck zu gehen.
Theofanos betrachtete einen Moment lang die hingehaltene Hand, ergriff sie aber nicht. Stattdessen schaute er den Römer eindringlich in die Augen, nicht aggressiv, aber skeptisch als wolle er seine Seele erforschen:
„Reicht Ihr mir die Hand zum Gruß, oder wollt Ihr nur testen, ob ich bewaffnet bin?“
„Beides. Ich kenne Euch erst seit wenigen Augenblicken. Auch, wenn ich Escas Menschenkenntnis voll vertraue, versichere ich mich doch auch immer lieber selbst. Das soll Euch nicht beleidigen, aber Ihr versteht sicher meine Vorsicht.“
Langsam nickte der Grieche. Er zögerte noch, überwand sich dann aber und ergriff seine Hand – am Unterarm selbstverständlich, wie es sich für einen Römer gehörte.
„Wie Ihr seht, bin ich unbewaffnet“, bemerkte Theofanos.
„Ja, und darüber bin ich äußerst erleichtert.“
„Ihr dagegen tragt Schwert und Dolch bei Euch. Wer ist nun der Gefährlichere?“
Darauf gab Marcus ihm keine Antwort.
Wie sie noch so dastanden, kamen ein paar Frauen die Hauptstraße entlang. Ihr Blick fiel auf Marcus und sofort fingen sie an, aufgeregt miteinander zu tuscheln, deuteten sogar auf ihn. Dieser verzog unbewusst das Gesicht. Sie oder besser er war jetzt schon als Fremder erkannt worden. Sie fielen auf. Eigentlich verständlich, unansehnlich und ungepflegt wie sie waren. Trotzdem war es kein gutes Zeichen. Er ließ Theofanos Arm los und begann nach Esca zu suchen, da dieser gar nicht mehr zu sehen war.
„Euer Name war Marcus, wenn ich mich recht entsinne“, drang es da laut an sein Ohr. Der Grieche war wohl in Plauderlaune, aber musste er es denn gleich ganz Lindum mitteilen?
„Ja“, kam es kurz angebunden von Marcus zurück. Wo steckte Esca nur schon wieder?
„Da Ihr mir eben noch dankbar wart, wäre ich erfreut, wenn Ihr mir euren vollen Namen nennen würdet“, bohrte der Schwarzhaarige weiter nach, unbeeindruckt davon, dass der Römer kein Interesse an einem Gespräch hatte.
„Marcus Flavius Aquila“, und aus Gewohnheit fragte er zurück: „Und Eurer?“
„Gnaeus Sepronius Theofanos lautet mein jetziger Name.“
Marcus horchte auf und kehrte zu dem Griechen zurück.
„Ihr seid frei gelassen worden? Wie und wann? Weiß Esca Bescheid?“ raunte er ihm zu. Immer auf der Hut, dass niemand mitbekam, dass sie doch nicht so gutmiteinander bekannt waren, wie sie es zu sein vorgaben .
Marcus hatte es sich ja schon beim Anblick der Kleidung gedacht, dass sein Herr ihn nicht als Sklave in einer Toga, die nur Einwohner mit römischem Bürgerrecht zustand, herumlaufen lassen würde. Der Name gab ihm Gewissheit: vor ihm stand ein neuer, wenn auch nicht vollwertiger, Bürger Roms.
Theofanos war nun der, der schwieg. Er fuhr mit den Fingern durch seinen Bart, als würde er ihn auf diese Weise bürsten wollen. Dabei blickte er versonnen auf einen unbekannten Punkt in der Ferne. Als der Grieche aber dann doch zu einer Antwort ansetzten wollte, kam Esca von seiner kleinen Erkundungsreise zurück und unterbrach ihn laut rufend:
„Marcus, Theofanos! Lasst uns gehen. Die Nacht bricht bald ein und wir haben noch kein Lager.“
Der Dunkelblonde stand in einer seitlichen Straße, die parallel zur Stadtmauer verlief und später in das Zentrum der Stadt führte. Winkend ermahnte er seine Freunde zur Eile. Die Männer kamen seiner Aufforderung sogleich nach und folgten ihm in die kleine Gasse. Viele Insulae, zwei- bis dreistöckige Werkgebäude, die Wohn- und Arbeitsplatz zugleich waren, reihten sich aneinander. Fast alle waren bereits geschlossen und nur noch wenige Leute waren auf der Straße. In Rom wären die Läden noch lange nicht zu, aber hier in Britannien war es wesentlich kälter und so wollten auch die Menschen nicht nach Sonnenuntergang draußen sein.
„Esca, wohin gehst du denn nur? Du kennst dich hier doch gar nicht aus“, beklagte sich der Grieche, der mit dem ungewohnt schnellen Schritttempo nicht so recht mithalten konnte.
„Nur weg vom Stadttor. Wir fallen zu sehr auf. Und wer auffällt, dem sagt man schnell Böses nach, zumindest nach meinen Erfahrungen“, beantwortete der ehemalige Sklave die Frage notdürftig. Immer wieder suchte sein Blick nach Möglichkeiten zur Ruhe zu kommen, ein Platz wo man sie nicht bemerkte oder ihren Gesprächen lauschte. Glücklicherweise kamen ihnen die immer länger werdenden Schatten zu Hilfe. An einer ruhigen Ecke blieben sie stehen. Von der Schwärze halb verschluckt, lehnten sie sich im Halbkreis stehend an die Häuserwand an. Entspannt wie zum Plausch. Nachdem Theofanos sich nochmal versicherte, dass die Straße leer war, atmete er hörbar aus. Erleichtert sprach er:
„Bei den Göttern, das war aber ein stürmischer Spaziergang. Und jetzt? Was habt ihr jetzt vor?“ Seine dunkelbraunen Augen strahlten eine Fröhlichkeit aus, die in Anbetracht der Situation etwas unpassend wirkte.
Esca sah besorgt aus, seine Stirn lag in Falten. Er war gestresst. Marcus entging es nicht, ebensowenig wie Theofanos. Der Römer, der bisher keine wirkliche Hilfe gewesen war, wollte jetzt einen sinnvollen Vorschlag machen, aber der Grieche kam ihm zuvor.
„Also auch, wenn es vorhin nur eine Notlüge war, ich würde euch gerne ein paar Tage meine Gäste nennen. Ich lebe allein und habe genügend Platz. Außerdem sollte unser Wiedersehen gebührend gefeiert werden“, bot er sanft lächelnd an.
In Marcus Kopf läutete eine Glocke. Er wusste nicht wieso, aber bei dem Griechen zu wohnen kam für ihn nicht in Frage.
„Habt vielen Dank, aber Ihr habt bereits genug für uns getan. Wir möchten Euch nicht weiter zur Last fallen. Um einen Schlafplatz werde ich mich kümmern“, mischte er sich ein, ohne eine Reaktion von Seiten Escas abzuwarten.
Der Schwarzhaarige zog die Augenbraue hoch. So leicht ließ er sich nicht abwimmeln.
„Das respektiere ich natürlich. Aber ich wäre geneigt zu sagen, dass Esca auch für sich selbst sprechen kann. Vielleicht möchte ja wenigstens er mein Gast sein? Schließlich galt meine Einladung auch mehr ihm.“
Synchron drehten sich die Köpfe zu dem Dunkelblonden, der die angespannte Situation zwischen Marcus und Theofanos nicht ganz verstand. Marcus benahm sich aber auch seltsam. Erst war er zu geizig, um den Toten ihr Geld zu lassen und jetzt schmiss er damit geradezu um sich? Oder ging es hier um etwas ganz anderes? Er zögerte. Mit Theofanos nochmal reden zu können, hatte er sich oft gewünscht. Ihm fehlten ihre stundenlangen Gespräche, aber er wollte auch keine Almosen von ihm erhalten. Die bekam er ja bereits von Marcus. Auch das störte ihn. Er befand sich in einer moralischen Zwickmühle. Da beide Männer ihn immer eindringlicher anstarrten, entschied er sich vorerst für den Mittelweg. Allerdings wurde ihm jetzt erst klar, wie sehr er auf finanzielle Unterstützung angewiesen war, zumindest in Städten. Das musste er unbedingt ändern.
„Lieber Theofanos, ich weiß dein großzügiges Angebot sehr zu schätzen, aber lass uns bitte erst versuchen etwas eigenes zu finden. Wenn wir erfolglos sind, kehren wir gerne bei dir als deine Gäste ein. Ist das in deinem Sinne?“
Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht des Griechen breit. Mit etwas Wehmut in der Stimme, ließ er es aber zu. Trotzdem gab er aber nicht auf, einen Trumpf hatte er noch:
„Wenn Ihr aber nicht bei mir wohnen wollt, dann lasst mich Euch wenigstens heute Abend bewirtschaften. Kommt zu mir, ich werde Euch reichlich bekochen. Außerdem kann ich Euch ein deversorium[6] zeigen. Der caupo[7] ist zwar kein guter Mann, aber die Zimmer sind sauber und die Gefahr, sie krank zu verlassen ist sehr gering.“
Esca nahm die Einladung augenblicklich an. Marcus Inneres krampfte kurz. So wie er ihm eben die Entscheidung abgenommen hatte, so hatte Esca ihm jetzt die seine abgenommen. Das Siegergrinsen auf Theofanos Gesicht ging ihm jetzt schon auf die Nerven. Irgendwie konnte er sich mit dem Schwarzhaarigen nicht anfreunden.
„Marcus, kommt Ihr dann auch? Oder wollt Ihr lieber allein speisen?“ Erwartungsvoll schauten ihn Esca und Theofanos an. Sollte er ablehnen? Aber dann wäre Esca allein mit der grinsenden Komödienmaske unterwegs…
„Wenn Ihr erlaubt, würde ich euch gerne Gesellschaft leisten“, presste er schließlich hervor.
„Aber natürlich“, antwortete der Grieche und machte dabei ein wirklich erfreutes Gesicht. Marcus konnte immer weniger abschätzen, ob er da einen verdammt guten Schauspieler vor sich hatte, oder ob die Feindseligkeiten ihm gegenüber schon wieder vergessen waren. Wahrscheinlich war es genau das, was er an ihm nicht mochte. Diese Unberechenbarkeit, die er auch im Umgang mit Esca an den Tag legte, machte Marcus nervös. Während der Römer noch grübelte, liefen sie bereits weiter, damit sie vor dem Mahl ihre Unterkunft beziehen konnten.
Esca atmete innerlich erleichtert auf. Dass die beiden Männer ein etwas schwieriges Verhältnis miteinander zu haben schien, war ihm bewusst, auch wenn ihm die Gründe nicht ersichtlich waren, trotzdem freute er sich jetzt auf ihre erste warme Mahlzeit seit längerem und auf Theofanos Erzählungen.
~ . ~
Ich danke meinen lieben Betalesern Amira und Vera! Ihr seid super!!! =D
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[1] Wer das seltsam findet, dem sei gesagt, dass es in der antiken römischen Welt üblich war seine Grabsteine an Straßen zu postieren, es war ein Art Aushängeschild für die Familien und die Toten, die dadurch zeigten, wie reich etc. sie waren.
[2] Torwächter
[3] Speer
[4] Ich habe leider keine zuverlässigen Quellen, aber bei mir gibt es jetzt zwei Arten der Begrüßung: das normale Hand-geben, wie es bei uns heute auch üblich ist und das Unterarm-geben, um zu gucken, ob man einen Dolch im Ärmel versteckt hat.
[5] Die Wahrheit ist eine einfache Rede.
[6] Herberge, lagen eigentlich außerhalb der Stadt, aber ich habe mir hier etwas künstlerische Freiheit erlaubt.
[7] Wirt
Colonia Domitiana Lindensium, wie die Stadt eigentlich mit vollem Namen hieß, war ein ehemaliges Soldatenlager und wurde von Kaiser Domitian in eine Colonia umgewandelt. Die ehemals zur Verteidigung gedachte Mauer hütete heute die hinzugezogenen Bürger, die sich angesiedelt hatten.
Esca hatte sich den Ort kleiner vorgestellt. Aber jetzt beeindruckte sie ihn. Er war nie in größeren Städten gewesen. Der Anblick Roms hätte ihn wahrscheinlich mehr staunen lassen, aber dieser reichte ihm schon. Als erstes fiel ihm das Aquädukt auf, welches gleich in der Nähe der Nordseite entlanglief und Tonnen von Wasser für die Stadt lieferte. Der Fluss Witham, an dem Lindum lag, war der wichtigste Bezugspunkt für die Wasserversorgung, aber auch für den Handel, welcher so gut lief, dass die meisten Bürger recht wohlhabend waren und viele Kaufleute aus der bekannten Welt hinkamen.
Sie nährten sich dem nördlichen Torbogen, an dem zwei Custodes[2] in Rüstung und mit Hasta[3] bewaffnet, positioniert waren. Fremde, auch Händler, wurden immer zuerst mit Misstrauen empfangen. Zu schnell schlichen sich Gesindel und Diebe ein. Und genau nach solchen sahen die beiden Gefährten aus. Seit dem Überfall im Wald waren ihnen nur kleine Bachläufe begegnet, gerade genug um die Wasserbeutel zu füllen, aber nicht um sich ausgiebig zu waschen. Sie starrten vor Dreck und ein Dreitagebart ließ sie noch heruntergekommener aussehen.
„Schau sie nicht an, geh einfach an ihnen vorbei“, ermahnte Marcus Esca.
Der sagte nichts, warf ihm aber einen Blick zu, der für sich sprach. Als ob er jetzt einen Streit mit den römischen Weinfässern auf zwei Beinen anfangen wollte. Darum schlenderten sie mit gut gelaunten Mienen nebeneinander her. Es sollte so aussehen als hätten sie nur einen Ausflug gemacht und kehrten jetzt zurück. So wollten sie unauffällig in die Stadt gelangen. Aber der Plan ging nicht auf. Noch bevor sie auch nur einen Fuß durch das Tor setzen konnten, versperrten ihnen zwei gekreuzte Speere den Weg.
„Ihr da! Wer seid ihr? Wo kommt ihr her und was für ein Anliegen führt euch hierher?“ schnauzte sie ein besonders übellauniger Legionär an. Marcus trat ein einen Schritt vor. Mit ruhiger Stimme und einer beschwichtigenden Handbewegung antwortete er dem Soldaten:
„Mein Name ist Marcus Flavius Aquila, Sohn des Flavius Aquila und das ist Esca, ein Freund von mir. Wir kommen aus dem Lager in Eboracum und möchten für ein paar Tage Bekannte besuchen.“
Der Mann mit der verdrießlichen Miene schien ihm nicht zu glauben. Seine Rüstung klapperte etwas, als er sich vorbeugte und Marcus noch mal eindeutiger musterte.
„Ihr seht aus wie Landstreicher und riecht auch so. Ich glaube euch nicht. Nennt mir die Namen euer Bekannten, dann werde ich nach ihnen schicken lassen“, knurrte er.
Innerlich stockte Marcus der Atem. Seine eigentlich unwillkürlich dahingesagte Begründung könnte ihnen jetzt zum echten Problem werden. Esca hatte ihm bereits einen ungläubigen Blick zugeworfen.
Der ehemalige Sklave war ebenfalls ratlos, wusste nicht, wie sie sich aus dieser unangenehmen Situation herauswinden könnten. Wenn sie jetzt abgewiesen würden, kämen sie gar nicht mehr in das Innere der schützenden Mauern.
„Der Name? Ja, der Name, also er lautet …“ Marcus stand der Schweiß auf der Stirn. Wenn ihm nicht augenblicklich etwas Sinnvolles einfiele, wäre es das gewesen.
„Lucius!“ rutschte es ihm heraus.
„Lucius?“ brummte zum ersten Mal der Legionär, der bisher geschwiege hatte: „Wir haben dutzende Knaben und Männer mit diesem Namen. Wie ist der Familienname?“
Esca drehte sich weg und entfernte sich etwas von dem Geschehen. Er konnte sich das Elend nicht mehr mit ansehen. Vielleicht könnten sie heute Nacht bei einem der Bauern bleiben, oder sie würden es doch mal bei einem anderen Stadttor probieren. Sie hätten wirklich vorher überlegen sollen, wie sie hinein kämen. Wütend kickte er einen Stein weg. Es war so ärgerlich. Er hätte sich wirklich ein anders Ziel setzen sollen. Was wollte er denn auch schon in einer römischen Stadt, wo sie niemanden kannten? Er muss vor Euphorie betrunken gewesen sein.
Marcus suchte immer noch nach Worten. Er hatte noch nicht aufgegeben. Möglicherweise konnte er seine Lüge noch retten? Intuitiv griff er an seinem Rock herunter, dabei streifte seine Hand den Beutel mit Sesterzen.
Bestechung?
Als er noch im Dienst war, hatte er es öfters mit Bestechung zu tun gehabt. Er hatte sich nicht kaufen lassen, aber die zwei hässlichen Vögel vor ihm sahen nicht so aus als würden sie leicht verdientes Geld ausschlagen. Es wäre zwar eine Verschwendung, aber es war ja sowieso Diebesgut gewesen.
Marcus Mundwinkel zuckte. Esca war zurückgekommen, er wollte ihm etwas sagen, aber Marcus winkte ab.
„Lass mich nur machen“, sagte er zu dem überraschten Dunkelblonden. Mit einem gespielten Lächeln trat er nun auf die Soldaten zu. Diese hatten ihre Hände zur Vorsicht schon an den Griff ihrer Schwerter gelegt, doch Marcus ließ sich nicht beeindrucken.
„Ihr tapferen Männer Roms, hört mich an. Euer Geschäft ist der Kampf und doch wurdet Ihr zum Wachdienst herabgestuft. Eure Kameraden sind draußen und haben die Möglichkeit Beute mit nach Hause zu bringen, doch ihr müsst mit Eurem Sold auskommen. Wärt Ihr nicht lieber an der Stelle Eurer Kameraden? Würdet Ihr nicht auf gerne euren Familien zeigen, was für Schätze Ihr erbeutet habt?“ befragte er die Custodes mit feierlicher Stimme.
„Das stimmt“, rief der besser gelaunte. Sein Kamerad gab ihm dafür einen recht groben Stoß mit dem Ellbogen gegen den Plattenpanzer.
Marcus grinste innerlich. Er hatte sie. Sie würden auf sein Angebot eingehen, da war es sich sicher. Esca hatte noch nicht verstanden, was Marcus da genau vor hatte, wollte ihn aber instinktiv davon abhalten wieder nur halb ausgereifte Aktionen durchzuführen. Auf einen Gefängnisaufenthalt konnte er gut verzichten. Aber der Römer redete munter weiter:
„Ich stand noch bis vor kurzem im Dienste unseres Kaisers. Ich weiß, dass man Nebeneinkünfte gut gebrauchen kann“, Marcus machte ein vielsagendes Gesicht, um die Spannung zu steigern.
„Deswegen würde ich euch einen Handel vorschlagen. Ich…“, weiter kam er nicht, da ein Ruf den nahenden Bestechungsversuch verhinderte:
„Esca! Bei allen Göttern du bist es doch, oder spielen mir meine Augen einen Streich?“
Alle Köpfe, sogar die der Legionäre, fuhren herum. Ein mittelgroßer Mann in einer Toga, mit schwarzen, teilweise schon von grauen Strähnen durchzogenen, Locken und Bart kam von links langsam, mit weit geöffneten Armen auf sie zugeschritten. Escas Augen wurden groß, der Anblick des Mannes schien ihn aufzuwühlen. Marcus war verwirrt.
„Esca, wer ist das?“ wollte der Römer flüsternd wissen. Esca aber sagte nichts, starrte nur weiter fassungslos den Unbekannten an.
Auch wenn Marcus solche Überraschungen nicht schätzte, so erkannte er doch relativ schnell, dass ihnen der Mann eventuell weiterhelfen konnte. Obwohl … so wie Esca reagierte war der Bartträger vielleicht eher eine Bedrohung als eine Hilfe für sie? Um wen konnte es sich nur handeln? Der Fremde wirkte nicht so, als ob er von hier käme, dafür war seine Haut zu dunkel. Eher aus einer wärmeren Gegend so wie Marcus.
Der fremde Mann war bei ihnen angekommen, besser gesagt, er war vor Esca stehen geblieben. Nur ihm galt sein Interesse, die anderen schienen für ihn nicht existent zu sein. Einen Moment standen sich beide Männer regungslos gegenüber, dann aber breitete der Neuankömmling erneut seine Arme aus und umarmte Esca herzlich. Der ehemalige Sklave war immer noch wie gelähmt und rührte sich nicht vom Fleck.
Marcus dagegen überkam bei dem Anblick unwillkürlich eine Welle des Zorns. Was war das denn für ein Benehmen?! So begrüßte sich kein normaler Römer[4]. Ein Handschlag ja, aber man fiel sich nicht um den Hals. Wollte der Fremde Esca bloßstellen? Ausgerechnet jetzt, wo sie doch darum kämpften eingelassen zu werden? Marcus wollte gerade dazwischen gehen. Doch bevor er einen Finger rühren konnte, hatte auch der junge Brigante seine Arme um den dunkelhaarigen Mann geschlungen und sagte lachend etwas zu ihm, was der ehemalige Centurio allerdings nicht verstand, da er es auf Keltisch sagte.
Sie tauschten noch ein paar Worte aus und klopften sich gegenseitig auf die Schultern, bevor sich Esca dem reichlich verwirrten Marcus zuwandte, der schon ungeduldig auf eine Erklärung wartete.
„Marcus, es ist Theofanos“, teilte er freudig mit.
„Theofanos?“ echote es in Marcus Kopf. Der Römer konnte im ersten Moment rein gar nichts mit dem Namen anfangen, trotzdem schien er ihm merkwürdig vertraut zu sein. Der Name klang nicht römisch, auch nicht britannisch oder gallisch, er klang eher nach … griechisch!
Natürlich. Marcus schlug sich mit seiner Hand gegen die Stirn. Theofanos war der griechisch-stämmige Sklave gewesen, der Esca während seiner Gefangenschaft geholfen hatte. Wie hatte er das nur so schnell wieder vergessen können?
Aber warum war er hier in Lindum? Und warum trug er als Sklave die Toga eines römischen Bürgers? Das Fragengeflecht verstrickte sich immer weiter.
So in seine Gedanken vertieft, hatte er natürlich nicht dran gedacht Esca zu signalisieren, dass ihm eingefallen war, wer der Fremde war. Der junge Brigante bemerkte aber vor allem die Blicke der Custodes, die noch skeptischer aussahen als zuvor. Um eine erneute Befragung zu vermeiden und die Situation unter Kontrolle zu bringen, fuhr er fort zu erzählen, so als ob Marcus ihm bereits bestätigt hätte, den Griechen wiedererkannt zu haben.
„Theofanos berichtete mir gerade, dass Lucius momentan nicht in der Gegend ist. Er sei nach Gallien aufgebrochen und käme erst in mehreren Wochen zurück. Aber damit wir den weiten Weg nicht umsonst gekommen seien, würde er sich glücklich schätzen uns als Gäste begrüßen zu dürfen.“
Der Grieche zog erstaunt eine Augenbraue hoch, fasste sich aber gleich wieder und lächelte entspannt. Kaum merklich nickte er mit dem Kopf, als hätte er tatsächlich diese Einladung ausgesprochen. Er hatte schnell verstanden, worum es Esca ging. Und da ihm das Wohl des Briganten sehr am Herzen lag und es ihn außerdem sehr amüsierte die beiden Custodes so ratlos zu sehen, wollte er das Spiel mitspielen. Deshalb antwortete er dem einen Wächter auf die Nachfrage, ob es auch stimmte, was der Blonde gesagt habe mit dem einfachen Satz:
„Veritas sermo est simplex.“[5]
Das reichte aus, um die Wachen dazu zu bewegen ihre Speere zurück zu ziehen und den Weg frei zu geben. Sofort scheuchte sie der Grieche eilig durch das Tor und endlich betraten sie die Stadt.
Als sie außer Hörweite waren, wollte sich Marcus bei dem Griechen bedanken, dass er das Spiel mitgespielt hatte, auch wenn dieser ihm dadurch die Chance genommen wurde zu zeigen, dass er sicherlich auch in der Lage gewesen wäre, sie rein zu bringen:
„Theofanos, ich danke Euch. Ich stehe in Eurer Schuld.“
Der Togaträger schmunzelte.
Höflich, jedoch bestimmt entgegnete er: „Ich fühle mich geehrt, aber mit scheint, der Dank gebührt unserer beider Freund Esca. Schließlich war es sein Einfall, der euch gerettet hat. Er hat klug und schnell gehandelt. Aristoteles wäre stolz auf ihn. Ich war nur Teil seines Plans. Wo ist er eigentlich?“
Suchend blickten sich beide um. Esca war bereits vorausgegangen und schien sich mit der neuen Umgebung vertraut zu machen. Seine beiden Begleiter hatte er offenbar vergessen. Marcus wollte ihm folgen, um sich auch bei ihm zu bedanken, aber Esca schien ihm auszuweichen. Ob absichtlich oder nicht, darauf wollte sich der Römer eigentlich nicht festlegen, aber wenn der Brigante ihn wie Luft behandelte, obwohl er unmittelbar neben ihm stand, war eine Deutung in Richtung Absicht nicht ganz von der Hand zu weisen. Unverrichteter Dinge und leicht pikiert gesellte er sich wieder zu dem Griechen. Obgleich er ihm die unpassende Umarmung noch nicht verziehen hatte. Theofanos war ein guter Freund Escas und mit diesem wollte er nicht gleich im Streit liegen. Einem Friedensangebot gleich, hielt er ihm also seine Rechte zum Gruße hin. Er beschloss innerlich, einfach nicht nach dem ersten Eindruck zu gehen.
Theofanos betrachtete einen Moment lang die hingehaltene Hand, ergriff sie aber nicht. Stattdessen schaute er den Römer eindringlich in die Augen, nicht aggressiv, aber skeptisch als wolle er seine Seele erforschen:
„Reicht Ihr mir die Hand zum Gruß, oder wollt Ihr nur testen, ob ich bewaffnet bin?“
„Beides. Ich kenne Euch erst seit wenigen Augenblicken. Auch, wenn ich Escas Menschenkenntnis voll vertraue, versichere ich mich doch auch immer lieber selbst. Das soll Euch nicht beleidigen, aber Ihr versteht sicher meine Vorsicht.“
Langsam nickte der Grieche. Er zögerte noch, überwand sich dann aber und ergriff seine Hand – am Unterarm selbstverständlich, wie es sich für einen Römer gehörte.
„Wie Ihr seht, bin ich unbewaffnet“, bemerkte Theofanos.
„Ja, und darüber bin ich äußerst erleichtert.“
„Ihr dagegen tragt Schwert und Dolch bei Euch. Wer ist nun der Gefährlichere?“
Darauf gab Marcus ihm keine Antwort.
Wie sie noch so dastanden, kamen ein paar Frauen die Hauptstraße entlang. Ihr Blick fiel auf Marcus und sofort fingen sie an, aufgeregt miteinander zu tuscheln, deuteten sogar auf ihn. Dieser verzog unbewusst das Gesicht. Sie oder besser er war jetzt schon als Fremder erkannt worden. Sie fielen auf. Eigentlich verständlich, unansehnlich und ungepflegt wie sie waren. Trotzdem war es kein gutes Zeichen. Er ließ Theofanos Arm los und begann nach Esca zu suchen, da dieser gar nicht mehr zu sehen war.
„Euer Name war Marcus, wenn ich mich recht entsinne“, drang es da laut an sein Ohr. Der Grieche war wohl in Plauderlaune, aber musste er es denn gleich ganz Lindum mitteilen?
„Ja“, kam es kurz angebunden von Marcus zurück. Wo steckte Esca nur schon wieder?
„Da Ihr mir eben noch dankbar wart, wäre ich erfreut, wenn Ihr mir euren vollen Namen nennen würdet“, bohrte der Schwarzhaarige weiter nach, unbeeindruckt davon, dass der Römer kein Interesse an einem Gespräch hatte.
„Marcus Flavius Aquila“, und aus Gewohnheit fragte er zurück: „Und Eurer?“
„Gnaeus Sepronius Theofanos lautet mein jetziger Name.“
Marcus horchte auf und kehrte zu dem Griechen zurück.
„Ihr seid frei gelassen worden? Wie und wann? Weiß Esca Bescheid?“ raunte er ihm zu. Immer auf der Hut, dass niemand mitbekam, dass sie doch nicht so gutmiteinander bekannt waren, wie sie es zu sein vorgaben .
Marcus hatte es sich ja schon beim Anblick der Kleidung gedacht, dass sein Herr ihn nicht als Sklave in einer Toga, die nur Einwohner mit römischem Bürgerrecht zustand, herumlaufen lassen würde. Der Name gab ihm Gewissheit: vor ihm stand ein neuer, wenn auch nicht vollwertiger, Bürger Roms.
Theofanos war nun der, der schwieg. Er fuhr mit den Fingern durch seinen Bart, als würde er ihn auf diese Weise bürsten wollen. Dabei blickte er versonnen auf einen unbekannten Punkt in der Ferne. Als der Grieche aber dann doch zu einer Antwort ansetzten wollte, kam Esca von seiner kleinen Erkundungsreise zurück und unterbrach ihn laut rufend:
„Marcus, Theofanos! Lasst uns gehen. Die Nacht bricht bald ein und wir haben noch kein Lager.“
Der Dunkelblonde stand in einer seitlichen Straße, die parallel zur Stadtmauer verlief und später in das Zentrum der Stadt führte. Winkend ermahnte er seine Freunde zur Eile. Die Männer kamen seiner Aufforderung sogleich nach und folgten ihm in die kleine Gasse. Viele Insulae, zwei- bis dreistöckige Werkgebäude, die Wohn- und Arbeitsplatz zugleich waren, reihten sich aneinander. Fast alle waren bereits geschlossen und nur noch wenige Leute waren auf der Straße. In Rom wären die Läden noch lange nicht zu, aber hier in Britannien war es wesentlich kälter und so wollten auch die Menschen nicht nach Sonnenuntergang draußen sein.
„Esca, wohin gehst du denn nur? Du kennst dich hier doch gar nicht aus“, beklagte sich der Grieche, der mit dem ungewohnt schnellen Schritttempo nicht so recht mithalten konnte.
„Nur weg vom Stadttor. Wir fallen zu sehr auf. Und wer auffällt, dem sagt man schnell Böses nach, zumindest nach meinen Erfahrungen“, beantwortete der ehemalige Sklave die Frage notdürftig. Immer wieder suchte sein Blick nach Möglichkeiten zur Ruhe zu kommen, ein Platz wo man sie nicht bemerkte oder ihren Gesprächen lauschte. Glücklicherweise kamen ihnen die immer länger werdenden Schatten zu Hilfe. An einer ruhigen Ecke blieben sie stehen. Von der Schwärze halb verschluckt, lehnten sie sich im Halbkreis stehend an die Häuserwand an. Entspannt wie zum Plausch. Nachdem Theofanos sich nochmal versicherte, dass die Straße leer war, atmete er hörbar aus. Erleichtert sprach er:
„Bei den Göttern, das war aber ein stürmischer Spaziergang. Und jetzt? Was habt ihr jetzt vor?“ Seine dunkelbraunen Augen strahlten eine Fröhlichkeit aus, die in Anbetracht der Situation etwas unpassend wirkte.
Esca sah besorgt aus, seine Stirn lag in Falten. Er war gestresst. Marcus entging es nicht, ebensowenig wie Theofanos. Der Römer, der bisher keine wirkliche Hilfe gewesen war, wollte jetzt einen sinnvollen Vorschlag machen, aber der Grieche kam ihm zuvor.
„Also auch, wenn es vorhin nur eine Notlüge war, ich würde euch gerne ein paar Tage meine Gäste nennen. Ich lebe allein und habe genügend Platz. Außerdem sollte unser Wiedersehen gebührend gefeiert werden“, bot er sanft lächelnd an.
In Marcus Kopf läutete eine Glocke. Er wusste nicht wieso, aber bei dem Griechen zu wohnen kam für ihn nicht in Frage.
„Habt vielen Dank, aber Ihr habt bereits genug für uns getan. Wir möchten Euch nicht weiter zur Last fallen. Um einen Schlafplatz werde ich mich kümmern“, mischte er sich ein, ohne eine Reaktion von Seiten Escas abzuwarten.
Der Schwarzhaarige zog die Augenbraue hoch. So leicht ließ er sich nicht abwimmeln.
„Das respektiere ich natürlich. Aber ich wäre geneigt zu sagen, dass Esca auch für sich selbst sprechen kann. Vielleicht möchte ja wenigstens er mein Gast sein? Schließlich galt meine Einladung auch mehr ihm.“
Synchron drehten sich die Köpfe zu dem Dunkelblonden, der die angespannte Situation zwischen Marcus und Theofanos nicht ganz verstand. Marcus benahm sich aber auch seltsam. Erst war er zu geizig, um den Toten ihr Geld zu lassen und jetzt schmiss er damit geradezu um sich? Oder ging es hier um etwas ganz anderes? Er zögerte. Mit Theofanos nochmal reden zu können, hatte er sich oft gewünscht. Ihm fehlten ihre stundenlangen Gespräche, aber er wollte auch keine Almosen von ihm erhalten. Die bekam er ja bereits von Marcus. Auch das störte ihn. Er befand sich in einer moralischen Zwickmühle. Da beide Männer ihn immer eindringlicher anstarrten, entschied er sich vorerst für den Mittelweg. Allerdings wurde ihm jetzt erst klar, wie sehr er auf finanzielle Unterstützung angewiesen war, zumindest in Städten. Das musste er unbedingt ändern.
„Lieber Theofanos, ich weiß dein großzügiges Angebot sehr zu schätzen, aber lass uns bitte erst versuchen etwas eigenes zu finden. Wenn wir erfolglos sind, kehren wir gerne bei dir als deine Gäste ein. Ist das in deinem Sinne?“
Enttäuschung machte sich auf dem Gesicht des Griechen breit. Mit etwas Wehmut in der Stimme, ließ er es aber zu. Trotzdem gab er aber nicht auf, einen Trumpf hatte er noch:
„Wenn Ihr aber nicht bei mir wohnen wollt, dann lasst mich Euch wenigstens heute Abend bewirtschaften. Kommt zu mir, ich werde Euch reichlich bekochen. Außerdem kann ich Euch ein deversorium[6] zeigen. Der caupo[7] ist zwar kein guter Mann, aber die Zimmer sind sauber und die Gefahr, sie krank zu verlassen ist sehr gering.“
Esca nahm die Einladung augenblicklich an. Marcus Inneres krampfte kurz. So wie er ihm eben die Entscheidung abgenommen hatte, so hatte Esca ihm jetzt die seine abgenommen. Das Siegergrinsen auf Theofanos Gesicht ging ihm jetzt schon auf die Nerven. Irgendwie konnte er sich mit dem Schwarzhaarigen nicht anfreunden.
„Marcus, kommt Ihr dann auch? Oder wollt Ihr lieber allein speisen?“ Erwartungsvoll schauten ihn Esca und Theofanos an. Sollte er ablehnen? Aber dann wäre Esca allein mit der grinsenden Komödienmaske unterwegs…
„Wenn Ihr erlaubt, würde ich euch gerne Gesellschaft leisten“, presste er schließlich hervor.
„Aber natürlich“, antwortete der Grieche und machte dabei ein wirklich erfreutes Gesicht. Marcus konnte immer weniger abschätzen, ob er da einen verdammt guten Schauspieler vor sich hatte, oder ob die Feindseligkeiten ihm gegenüber schon wieder vergessen waren. Wahrscheinlich war es genau das, was er an ihm nicht mochte. Diese Unberechenbarkeit, die er auch im Umgang mit Esca an den Tag legte, machte Marcus nervös. Während der Römer noch grübelte, liefen sie bereits weiter, damit sie vor dem Mahl ihre Unterkunft beziehen konnten.
Esca atmete innerlich erleichtert auf. Dass die beiden Männer ein etwas schwieriges Verhältnis miteinander zu haben schien, war ihm bewusst, auch wenn ihm die Gründe nicht ersichtlich waren, trotzdem freute er sich jetzt auf ihre erste warme Mahlzeit seit längerem und auf Theofanos Erzählungen.
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Ich danke meinen lieben Betalesern Amira und Vera! Ihr seid super!!! =D
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[1] Wer das seltsam findet, dem sei gesagt, dass es in der antiken römischen Welt üblich war seine Grabsteine an Straßen zu postieren, es war ein Art Aushängeschild für die Familien und die Toten, die dadurch zeigten, wie reich etc. sie waren.
[2] Torwächter
[3] Speer
[4] Ich habe leider keine zuverlässigen Quellen, aber bei mir gibt es jetzt zwei Arten der Begrüßung: das normale Hand-geben, wie es bei uns heute auch üblich ist und das Unterarm-geben, um zu gucken, ob man einen Dolch im Ärmel versteckt hat.
[5] Die Wahrheit ist eine einfache Rede.
[6] Herberge, lagen eigentlich außerhalb der Stadt, aber ich habe mir hier etwas künstlerische Freiheit erlaubt.
[7] Wirt