Das Schicksal findet seinen Weg
von Kaetzchen89
Kurzbeschreibung
Wir schreiben das Jahr 141 n. Chr. Seit beinahe drei Jahren ist Antoninus Pius neuer Imperator Roms. Marcus Flavius Aquila und sein ehemaliger Sklave Esca wollen, nachdem sie den goldenen Adler der neunten Legion zurückgeholt haben, ihre neu erworbene Freiheit genießen. Marcus hatte Esca versprochen, dass er ihr neues Ziel bestimmen darf. Doch wohin wird sie die Reise führen? Wie lange werden sie dieses Mal unterwegs sein? Und wie sieht es überhaupt mit der Beziehung der beiden aus? Werden sie es schaffen, ihre Gefühle füreinander zu akzeptieren? Oder war letzten Endes alles nur Schein? Diese Reise wird Entscheidungen fordern, die beide zuvor nie fällen mussten.Nach dem Film "Der Adler der neunten Legion" oder "The Eagle".
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
9
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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20.03.2020
5.223
Liebe Leser*innen,
falls noch jemand da draußen ist, der tatsächlich noch sich freut ein neues Kapitel lesen zu dürfen, dann wäre ich sehr gerührt und zugleich beschämt, da ich so lange nichts von mir habe hören lassen. Die Pausen sind sehr lang und jedes Mal fällt es mir selbst schwer wieder in die Geschichte und Charaktere hineinzufinden. Das tut mir sehr Leid, aber ich merke einfach, dass ich die Geschichte trotzdem unbedingt beenden möchte. Dieses Kapitel ist nicht besonders lang, der Fortgang entwickelt sich immer stärker in eine andere Richtung, als ich es geplant hatte und so stehe ich andauernd vor neuen Problemen und Entscheidungen. Ich hätte allerdings tatsächlich gerne noch etwas mehr geschrieben, weil ich aber dafür erst eine Fachinformation einholen müsste, was zurzeit wegen der Corona-Krise nicht geht (die Bibliotheken haben zu und das Internet kann mir hierbei wirklich keine hilfreche Auskunft geben), habe ich es früher enden lassen müssen.
Da es also nur ein kurzes Vergnügen wird, ist es vielleicht trotzdem in diesem langen und ruhigen Tagen ganz unterhaltsam.
Habt Spaß und tausendmal Dank für eure Treue!
Die unbeantworteten Kommentare tun mir sehr Leid, ich will versuchen das nachzuholen, habe mich aber über jeden Satz gefreut!
Alles Liebe
Euer Kätzchen
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„Köstlich!“, rief Cornelia aus und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Marcus hatte ein breites Lächeln aufgesetzt, welches er mühsam aufrecht hielt, während er scheinbar angetan Applaus spendete. Aber richtig zum Lachen war ihm nicht gewesen, denn die spaßigen Einlagen, die Theofanos in seine Geschichte eingebaut hatte, zielten Stellenweise sehr direkt auf ihn ab. Bei aller Selbstbeherrschung würde ihm das Marcus so schnell nicht vergessen und bei einer geeigneten Gelegenheit zurückzahlen. Der Römer konnte sich ausmalen, was für ein persönliches Vergnügen der Grieche an diesen kleinen Spitzfindigkeiten gefunden hatte. Von wegen: ein altes Weib hätte sie ihm erzählt! An Marcus‘ Leben hatte sich Theofanos bedient und es auch noch, um es spannender zu gestalten, verfälscht! Sicher aus der Not heraus. Selbst Theofanos‘ Weisheit hätte diesen Verlauf des Vorhabens nicht voraussehen können. Und auf dem kurzen Weg von der Haustür bis zum Triclinium war ihm wohl nichts Besseres als diese haarsträubenden Geschichten eingefallen.
In dieser Geschichte scheiterten die peinlichen Verführungsversuche des Musen-Gottes immer wieder an der kühlen Art des Schönlings Hyakinthos. Der Liebling des Gottes ahnte möglicherweise, dass eine Beziehung zu einem Gott wie Apollon, der nicht gerade für seine langlebigen Beziehungen bekannt war, für einen Sterblichen nicht gut enden konnte und war deswegen seinen Allüren immer wieder knapp entkommen.
Trotz der eindeutigen Anspielungen in den Dialogen der Protagonisten erregten die lustigen Episoden bei allen Anwesenden überschwängliches Gelächter, selbst bei dem sonst so zurückhaltenden Valentius. Die durcheinander lärmenden Flöten und Rasseln der Musiker verstärkten den Trubel noch zusätzlich. Sollte Theofanos nach einem neuen Betätigungsfeld suchen, so wäre der Beruf des Komödiendichters einer, bei dem er sein Brot sicher verdient hätte, dachte Marcus verstimmt. In seinem Grimm merkte er gar nicht, dass er immer noch in die Hände klatschte, obwohl es gar nicht seine Art war, sich so viel und so lange emotional in der Öffentlichkeit zu äußern.
Doch Cornelia, die die Persönlichkeit des Marcus‘ schon gut einzuschätzen wusste, was bei einem so einfach gestrickten Mann ihr auch nicht weiter schwer fiel, hatte glücklicherweise vor lauter Begeisterung über den Vortrag dieses Detail übersehen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, nun dem Redner sein verdientes Lob auszusprechen. Besonders überrascht hatte sie Theofanos‘ Gedankenstreich die Geschichte statt mit dem tragisch und auch etwas komischen Tod des Hyakinthos enden zu lassen, sie nach der Vereinigung der beiden Liebenden zu beenden. Da nun der Applaus, das Klimpern, Pfeifen und Trommeln langsam abnahmen, rief die Herrin der Villa begeistert: „Theofanos! Was für ein begnadeter Erzähler du bist! Zwar fehlte der Geschichte jedes Versmaß und die Späße waren fast etwas zu derbe für meine Ohren, doch selten hat mich eine frei vorgetragene Geschichte so gut unterhalten wie die deine! Hast du vor, bei einem der Dichterwettbewerbe im kommenden Sommer teilzunehmen?“
„Die Herrin Cornelia ist sehr nachsichtig, aber meine Schreibkunst verwende ich ganz für meine philosophischen Studien. So brauche ich meine Verse keinem Maß zu unterwerfen, das sie nur unnatürlich beugten und an dem man letztlich mein Untauglichkeit zur Dichtung bemerken würde“, antwortete Theofanos im bescheidenen Ton, strich dabei aber zufrieden durch seinen Bart. Marcus hatte alle Mühe kein genervtes Seufzen von sich zu geben, immerhin verschaffte der Grieche Eleasar und Esca auf diese Weise Zeit.
„Schade. Das Publikum würde dir sicher auch ohne Vermaß seine Herzen schenken. Gerade in Londinum braucht das Volk in den wenigen Tagen des Jahres, an denen Helios sein Gespann durch die am Himmel aufragende graue Bergwand manövriert, besonders gewitzte Liebesgeschichten“, und sie fügte hinzu, „gerade diese, die ohne den Trennungsschmerz des Todes so erfrischend unschuldig sind. Und diese schöne Ausschmückungen! Weder hat der alte Ovid [1] die Geschichte so einfühlsam noch der gerade in Rom so gefeierte junge Lukian aus Samosata [2] so witzig zu erzählen verstanden.“
Theofanos verneigte sich, nahm die anerkennenden Worte mit einem geschmeichelten Lächeln entgegen und „warf sie“ mit einem kurzen Seitenblick dem Canturio als Geschenk vor die Füße. Der ignorierte sie.
Cornelia seufzte, als ob das heftige Lachen sie sehr erschöpft hätte und blickte die beiden Männer etwas mitleidig an. Nach einer kleinen Pause, in der Marcus sein Lächeln absetzte, sagte sie: „Und nun“, sie erhob sich und ihre ganze Gestalt strahlte ihre Erhabenheit aus, die sie sich durch kluges Handeln und Erfahrung erworben hatte. Marcus verstand sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Stimmung der Feier war wie auf einen Paukenschlag verflogen. Alle, selbst die Musikerinnen, umfing eine ernste Atmosphäre, die jedem Fremden sofort auffallen musste.
Cornelia, die Hand in die des Valentius gelegt, schritt auf die beiden Männer zu, während Valentius‘ Blick einzig auf dem Antlitz seiner Herrin geheftet war. Als sie zwischen den Klinen der gelagerten Männer stand, setzte sich Marcus einem unguten Gefühl folgend ruckartig auf. Sich ganz zu erheben, traute er sich allerdings nicht. Theofanos legte die Hand auf die Brust und senkte demütig den Blick.
„Erzählt mir“, sagte sie in ihrer ruhigen, bestimmten Art, „was ihr wirklich geplant hattet. Seid ruhig ehrlich und haltet mich nicht für dumm. Ein solch schlecht abgesprochenes Spiel durchschaut selbst ein Stumpfsinniger.“
Die beiden Männer blickten sich ertappt an. Sie waren aufgeflogen. Die Ganze Farce hatte nichts genützt. Wie konnten sie die Situation retten?
Die Augen der Cornelia bohrten sich pfeiltief durch sie hindurch. Als könnte sie all ihre in Gedanken wie eine offene Buchrolle lesen. Es war unangenehm. Theofanos fühlte sich durchschaut. Das war ihm bisher noch nie passiert. Es kränkte ihn auf gewisse Weise, da ein durchschaubares Wesen jeden angreifbar und schutzlos machte, darum wandte er seine Augen ab. Auch Marcus senkte jetzt den Blick.
Fieberhaft überlegte er, wie er sich jetzt verhalten sollte. Wie sollte er das aufgeheizte Gemüt einer ihm gesellschaftlich überlegenen Frau beschwichtigen, die zudem hier heimisch und einen Namen hatte, während er ein entlassener Centurio niemanden kannte, auf den er sich berufen konnte. Aber musste er das überhaupt? War die Hausherrin sauer? Erzürnt? Er wagte es heimlich noch einmal vorsichtig die Augen zu heben. Ihr Blick zwar ernst, aber ihnen nicht offen feindlich gesinnt, so kam es ihm vor. Wer spielte also hier ein Spiel? Umso länger er darüber nachdachte, desto mehr beschlich ihn die Vermutung, er sei in eine Falle gelockt worden.
Wäre demnach die Wahrheit in dieser ausweglosen Situation nicht die beste Lösung? Oder besser nur einen Teil der Wahrheit? Aber welchen Teil? Sicher nicht die Entführung – nein, dieses Detail dürfte keineswegs verraten werden. Sklavenraub führte in jedem Fall zu einer Gerichtsverhandlung und dort stände das Recht eindeutig auf Cornelias Seite. Esca hätte sicher auch noch die Dreistigkeit vor Gericht zu betonen, dass es nie sein Wunsch gewesen sei, befreit zu werden. Und dann? Er hätte nicht nur sich, sondern auch Theofanos‘ und besonders Eleasars Ruf ruiniert. Beim Griechen wäre es ihm gleich, der konnte sich durch seine Redekunst überall durchschlagen. Aber Eleasar und seine Familie gegenüber konnte er diese Ächtung nicht zulassen. Sie hatten am Wenigsten mit dieser Geschichte, seiner Geschichte, zu tun. Eleasar kannte noch nicht einmal alle Einzelheiten, dieser wäre also doppelt betrogen.
Theofanos schwieg es Marcus gleichtuend, schließlich war er nur Komplize und maß sich selbst kein Sprachrecht vor Marcus zu. Davon abgesehen, fiel auch ihm nichts Gescheites ein, das etwas hätte bessern können. Cornelia ergriff, wohl unzufrieden, dass man auf ihre Fragen keine Antworten gab, wieder das Wort.
„Ihr seid wegen Esca hier, spreche ich wahr?“ Für einen kurzen Moment bemerkte sie ein leichtes Zucken um Marcus‘ Mundwinkel. Sie lag also richtig und so ermutigt ihrem Instinkt zu folgen, setzte sie noch einen drauf.
„Was hattet ihr vor? Mir mein Geld und meinen Schmuck zu stehlen? Seid ihr gemeine Betrüger, Diebe und Plünderer, die sich erst in das Haus eines Begüterten einschleichen, ihn umschmeicheln und dann hinterrücks bestehlen? Ist das eure Art, Gastfreundschaft zu entlohnen?“
Marcus wagte es den Blick wieder zu heben und sah direkt in Cornelias funkelnden Augen. Doch Zorn oder Apathie konnte Marcus immer noch nicht ausmachen. Nein, wenn er sich nicht täuschte, lag eine Art schalkhafte Neugier in ihnen. Sein Hirn arbeitete. Seine Brust spannte sich mit jedem Atemzug etwas straffer. Mit dem Vorwurf ein Dieb oder Betrüger zu sein, würde sein Centurioherz leben können. Doch was ihn beunruhigte war, dass diese Frau intuitiv eine Verbindung zwischen ihrem Auftritt und Escas Anwesenheit hier gezogen hatte. Würde Esca für etwas betraft werden können, obwohl es allein Marcus‘ egoistischer Plan gewesen war, der sich sogar über Escas Willen hinweggesetzt hatte? Aber wer würde ihnen das schon glauben?
Ihm bliebe nichts anderes übrig, als die erste Anschuldigung, dass sie wegen Esca hier waren, zu bestreiten und die zweite, dass sie Diebe seien, zu bejahen. In der Hoffnung, dass Eleasar in dem folgenden Trubel unerkannt fliehen können würde. Vielleicht war er sowieso längst geflohen.
Ab wann war ihr Plan nur so schief gelaufen? War er überhaupt auch nur einen Moment so verlaufen, wie sie es erdacht hatten?
Theofanos machte weiterhin keine Anstalten etwas zur Klärung der Situation beizutragen, also entschied Marcus sich für die Halbwahrheit. Gerade als der ehemalige Centurio ansetzten wollte und seine Schuldigkeit eingestehen wollte, drang ein ungewöhnlicher Lärm an die Ohren der Anwesenden. Er kam aus Richtung des Säulenhofes, der im Sommer ein lauschiger Platz war, im Winter aber nur aus Notwendigkeit durchquert wurde. Kurz darauf war es wieder still, doch plötzlich hörten sie laute Schreie: „Eindringlinge! Eindringlinge! Mörder sind im Haus!“ Marcus sog die abgestandene Luft des Zimmers scharf ein – warum nur tat das Schicksal ihm das an? Und wieder diese gottverlassene Stille.
Esca riss die Türe auf, noch bevor Eleasar richtig auf die Beine gekommen war. Auf allen Vieren krabbelnd, stolperte er in größter Angst hinter Esca her, der schon einen guten Vorsprung zwischen ihnen herausgeholt hatte. Eleasars Herzschlag verfiel in dem Moment in einen panischen Sprint, als er die Stimmen der beiden Mörder nur wenige Schritte hinter sich vernahm.
„Oh Gott, mögen meine Beine so schnell laufen wie mein Herz schlägt!“, quietschte er, stieß sich mit kraftvoll vorwärts und rannte um sein Leben. Sein Ausruf wurde mich einem zornigen „Da ist er!“, beantwortet. Der Christ gab sich die größte Mühe, aber Escas Vorsprung holte er nicht auf. Der Abstand zu den Mördern wurde allerdings auch nicht kleiner. Während er bereits mit einer schmerzenden Lungen und stechenden Seiten rang, sah er den Briganten zum ersten Mal im Schein der Fackeln – wenn auch nur von hinten. An ihm gab es wirklich kein besonders Merkmal. Wenn die glückliche Fügung sie nicht zusammengebracht hätte, hätte Eleasar ohne Theofanos diesen Kerl nie als den gesuchten Briganten erkennen können. Allerdings wären all seine Mühen dennoch umsonst gewesen, sollten diese brutalen Schlächter ihn hier, an diesem fremden Ort, noch in die Hände kriegen. Darum kniff er sich in die schmerzenden Seiten, biss die Zähne zusammen und folgte dem Briganten, der ihm jetzt kleine lautlose Kommandos gab. Der Brigante deutete auf kleine Tische, Wandfackeln oder was sonst in den Fluren und Räumen, die sie durch hasteten, ohne eine Menschenseele anzutreffen. Eleasar verstand augenblicklich. Er sollte sie ihren Verfolgern in den Weg werfen. Eleasar befolgte die stummen Befehle so gut er konnte. Manchmal erwies sich eine Truhe als zu schwer oder eine Fackel zu gut in der Wand verankert, so dass er schnell wieder von ihnen ließ. Ab und an bestätigte ein Fluch, dass er den ein oder anderen kleinen Erfolg verbuchen konnte. Trotzdem riss das Trampeln der Mörder nicht ab, es wurde noch wilder. In Eleasars Mund sammelte sich Spucke und langsam war das Seitenstechen kaum mehr ertragbar. Da roch er plötzlich den rauchig-fettigen Duft, der in der Regel aus Küchen zu dringen pflegt. Die Küche! Esca hatte sie erwähnt, aber was war mit ihr? Dort befanden sich noch Menschen, vielleicht sind sie in Gefahr als Zeugen dieser Bluttat?
In diesem Moment nahm Eleasar noch gerade wahr, wie der Brigante mit einem Hakenschlag in der Küche verschwand. Was sollte er tun? Die Küche war eine Sackgasse und dort waren Unschuldige, die völlig unvorbereitet auf den Angriff waren. Trotzdem er am Rande seiner Leistungsfähigkeit war, ja diesen Rand längst überschritten hatte, japste er einmal laut, rief mit der letzten Luft, die seine Lunge ihm gewährte: „Eleasar, ich kann gleich nicht mehr!“ und rannte an der Küche vorbei. Er betete, dass seine Finte nicht durchschaut worden war, doch das Trampeln war unverändert zu hören. Keiner der Mörder hatte angehalten, um einen Blick in die Küche zu werfen. Keinem war aufgefallen, dass Esca nicht mehr vorweg lief. Stattdessen folgten sie ihm wie Bluthunde, die einen verletzten Eber gewittert hatten. Er keuchte, stöhnte, schwankte. Er konnte nicht mehr. Gleich würden ihm seine Beine den Dienst versagen. Er spuckte aus und sehnte sich zugleich nach etwas zu trinken. Irgendwo musste ein Weg in den Peristylhof führen. Dort war es dunkel. In der Dunkelheit hätte er eine Chance zu entkommen. Umso länger die Jagd dauerte, desto deutlicher sah er das Menetekel des Belsazar, jenes Unglückszeichen, das dem babylonischen König seinen Tod und Untergang seines Königs kündigte, vor seinem Auge. Du lässt mich nicht im Stich, oder Gott?
Esca drückte seine verschwitzten Hände immer noch mit einer Kraft auf Alaudes Mund und dem des unbekannten Sklavenmädchens, dass seine Fingernägel ihnen tief in die Haut schnitten. Dem verängstigten Mädchen standen bereits die Tränen in den Augen. Verzweifelt versuchte sich ihren Kopf aus der harten Hand zu befreien und kratzte dafür wie eine wütende Harpyie an Escas Handgelenk (an sein Gesicht kam sie mit den kurzen Armen nicht heran), damit er sie loslasse. Ihre Angriffe hinterließen breite, rot-anschwellende und leicht blutende Spuren auf seiner Haut. Doch erst als er sich absolut sicher war, dass die Männer fort waren, löste er seinen Griff.
„Esca, bei Jupiter! Was ist denn in dich gefahren? Ich dachte schon, du wolltest uns etwas antun!“, schimpfte Alaude los, sobald ihre Kiefer frei waren. Angeekelt, aufgrund des leichten Salzgeschmackes auf den Lippen, wischte sie mit dem Ellbogen mehrmals über den Mund.
„Esca, Junge, was ist passiert?“
Esca, dessen Atem von dem langen Sprint noch unruhig ging, stieß in kurzen Sätzen das Nötigste hervor: „Die Herrin ist in Gefahr. Gebt mir Messer, Knüppel, irgendetwas, womit ich kämpfen kann.“
Alaudes Augen wurden so groß wie ihre Teller. Ihr klappte der Mund auf, doch ohne weitere Fragen zu stellen, drehte sie sich rasch um und griff nach allem, was in irgendeiner Weise als Waffe Verwendung finden könnte. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sie ein ganzes Arsenal an langen, kurzen, krummen und geraden Messern zusammengehortet, sogar ihr Hackbeil lag darunter. Ohne lange zu überlegen, nahm er von den schärfesten ein langes und ein kurzes Messer, auch das Hackbeil, steckte er zusammen mit dem kurzen in seinen Gürtel. Auch wenn die Eindringlinge gefährlichere Waffen besaßen, hatte er nun zumindest eine kleine Verteidigung. Er war weit davon entfernt, sich gerüstet zu fühlen, aber mehr Zeit hatte er nicht. Der Christ war mutiger gewesen, als er gedacht hatte, aber befand sich jetzt wegen ihm in Lebensgefahr.
„Alaude, nimm das Mädchen. Folgt dem Flur zu den Schlafkammern. Dort fand ein Mord statt. Kümmert euch nicht um die Leiche, sondern versteckt euch in meiner Kammer. Bis ihr euch sicher seid, dass keine Gefahr mehr besteht. Öffnet niemanden! Die Messer bringe ich dir später zurück…“
Alaude nickte folgsam, wollte schon loslaufen – das Mädchen war längst fort – da hielt Esca sie noch einmal zurück, blickte sie eindringlich an und flüsterte: „Und wenn du jemanden Hilfe holen schicken kannst, so tu es!“ Ihre bangen Gedanken waren noch bei Esca, als dieser schon längt aus der Küche verschwunden war.
Eleasar konnte nicht mehr. Seine Beine, sein Atem, sein Herzschlag, alles bäumte sich gegen ihn auf. Sein ganzer Körper schmerzte und zwang ihn anzuhalten. Es ging nichts mehr. Der Brand in seiner Kehle ließ ihn würgen. Er tastete sich an der kalten Säule entlang, hinter der er Deckung gesucht hatte.
Mit letzter Kraft, die er aus unbekannten Winkeln seines Leibes hervorgezogen hatte, hatte er tatsächlich einen Weg in den Peristylhof gefunden, war einer Eingebung gefolgt und sofort rechts abgebogen und hatte irgendwo angehalten. An einer der Säulen war er mit vor Erschöpfung zitternden Knie herab gerutscht. Nun presste er sich selbst die Hände auf den Mund, damit seine röchelnden Atemlaute ihn nicht verrieten.
Leider war es nicht so dunkel im Hof, wie Eleasar gehofft hatte. Durch eine ungewöhnlich helle Sternennacht – die erste seit Wochen! – und dem abnehmenden Mond lag der Säulenhof in seinem silbrig kühlen Licht, das auf dem Wasser des in der Mitte stehenden Brunnen reflektiert wurde. Es waren an manchen Stellen sogar Schatten zu sehen und nur wenige Winkel lagen in vollkommener Dunkelheit. So würden seine Häscher nicht lange brauchen, um sein Versteck, das eigentlich keines war, zu entdecken und dann müsste er wirklich seinem Schöpfer entgegentreten. Selten hatte er sich ein Zeichen seines Herrn so sehr gewünscht wie in diesem Augenblick. Stattdessen hörte er, wie die zwei Mörder, ebenfalls ziemlich außer Atem, in das Peristyl stolperten. Sie flüsterten, doch es war so ruhig, dass Eleasar genau verstand, was der eine zu dem anderen sagte: „Du gehst rechts herum, ich gehe links. Irgendwo hier muss er sein und dann …“
Es folgte ein seltsames Geräusch, das wohl seine Aufgeschlitzte Kehle imitieren sollte. Bei Gott, dem Allmächtige. Was konnte er noch tun? Wohin sollte er sich noch wenden? Er würde gleich entdeckt werden. Sie konnten ihn gar nicht übersehen. Tränen traten ihm in die Augen, als er sich seiner Frau und der Kinder entsann. Witwe und Waise – aber die Gemeinde würde sich um sie kümmern, tröstete er sich. Zudem war seine Frau schön, sie würde bestimmt nicht allein bleiben. Obwohl er hoffte, davon im himmlischen Paradies nichts mehr mitbekommen zu müssen.
Ein deprimierendes Gefühl vollkommen nutzlos gewesen zu sein, überfiel ihn. Hatte er denn gar nichts tun können für den armen Sklaven – Marcus‘ Freund? Oder hatte er ihn womöglich schon dadurch gerettet, indem er die Jäger von ihm weggelockt hatte? Aber Esca brauchte sicher mehr Zeit und die Leute des Hauses waren möglicherweise auch in Gefahr, wenn diese Unholde sich weiter hier herumtrieben. Vielleicht sannen sie nach Rache oder wollten wenigstens die Schätze im Haus mitnehmen?
Ihm kam eine letzte Idee, die ihn selbst zwar nicht retten konnte, aber vielleicht den Briganten und die Bewohner des Hauses. Er hörte bereits die schlecht verarbeiteten Sohlen der Mörder über den gepflasterten, unter dem Säulenumgang herumlaufenden Pfad schaben unter dem auch er sich verbarg. So leise er konnte, stellte er sich auf seine immer noch weichen Beine, holte Luft und so laut er konnte, brüllte er: „Eindringlinge! Eindringliche! Mörder sind im Haus!“ Das musste jemand gehört haben. Irgendjemand. War ihm jetzt auch gleich. Denn es raste bereits der heiße Schmerz des nahenden Todes durch seine linke Seite. Er keuchte noch, sah ein vor Verzückung oder Hass fratzenhaftes entstelltes Gesicht ganz dicht vor seinem – „Der Teufel“, keuchte Eleasar, dann wurde es schwarz um ihn.
„Was tut dieser Verrückte denn da?!“, schoss es Esca panisch durch den Kopf. Einen kurzen Moment! Nur einen kurzen Moment hätte er sich ruhig verhalten sollen und er wäre bei ihm gewesen! Stattdessen schrie dieser Christ, dieser Eleasar, Marcus‘ Freund, den er nicht kannte und dem er einfach vertraut hatte, so laut in die Nacht, dass die Schlächter ihn unmöglich nicht gefunden haben konnten. Der Brigante stürzte in den Säulenhof. Durch die in zartes grau getauchten Schatten gewahr er zu seiner Rechten einen der Schwarzkapuzigen, der gerade sein Kurzschwert aus dem in sich zusammensackenden Körper des Christen zog. Blut klebte schwarz an der Spitze der Klinge.
Esca brüllte. Ein Laut wie von einem wilden Tier. Ein Schrei voll Wut. Ein Kriegsschrei. Solch einen Zorn in sich hatte er lange nicht gespürt. Dieser riss alles weg – jede Todessehnsucht, jede Reue. Es blieb nur der blanke Hass. Ein weißes Nichts, das blutrot getränkt werden wollte.
Wo war Belana jetzt? Die immer höhnisch auf ihn herabschaute, ihn einen Mörder schimpfte? Die seine Gefühle niederdrückte, damit er nicht noch einmal falsch handelte?
Niemand war da. Niemand wollte ihn aufhalten, niemand konnte ihn aufhalten, niemand sollte ihn aufhalten.
Ein schriller hoher Ton, der in seinen Ohren anhob und immer weiter schwang, ließ ihn für alle Geräusche taub werden. Alle Bewegungen nahm er in einer Intensität wahr, die der Wahrnehmung eines Hirsches glich. Seine Sinne waren auf höchste gespannt. So sah er nicht nur den Angreifer, der sich jetzt von Eleasar abwandte; er roch ihn – der Geruch von Abschaum und Tod hafteten ihm an. Mit dem noch gezückten Schwert rannte Der Schwarzmantel auf ihn zu. Ein kleiner Mann, aus dessen freudig verzerrten Gesicht die Mordgier sprach. Seine hässlichen Kiefer bewegten sich, formten Worte, die Esca nicht hörte, leere Luft die aus dem schwarzen Schlund drang. Der kleine Mann schien nur aus Kieferknochen zu bestehen, die aufeinanderschlugen und zwischen ihren gelb-schwarzen Zähnen, Eleasars Leichnam zu zertrümmern drohten.
Esca ging auf ihn los. Ohne Deckung. Das niedersausende Schert verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Statt zurückzuweichen, sprang er dem anderen fast ins Gesicht. Lautlos führte er den tödlichen Stoß aus. Ein Mord wie aus dem Lehrbuch. Der andere hatte nicht einmal die Zeit, zu registrieren dass sein Leben bereits aus ihm gewichen war. Mit einem einzigen gewaltigen Stich rammte Esca die Klinge des langen Küchenmessers tief in die Brust des Schwarzmantels. Mit pochenden Adern und vor Zorn verkrampften Fingern, die immer noch um den Griff des Messers lagen, hörte Esca wie die Knochen unter seinen Händen einfach zersprangen, und in die Lunge und vielleicht auch in das Herz von Eleasars Mörder eindrangen. Während sein Lebensgeist entwich, gurgelte er ein abgebrochenes „…tus“. Der letzte Atemstoß, der in der Stille der Nacht verpuffte.
Der Lebenshauch entwich dem Körper vollends, verlor die Spannung, brach ein. Für einen Moment kamen Esca die Bilder der toten Wegelagerer in den Kopf, die sie ganz zu Beginn ihres Weges in eine bessere Zeit überfallen hatte. Dort hatte er ganz ähnlich gehandelt. War ganz ähnlich in der Klemme geraten, damals allerdings weil es zu viele gewesen waren. Doch Marcus war bei ihm gewesen. Marcus hatte ihm beigestanden. Es hatte niemand sein Leben verloren, der diesen Preis bereit gewesen wäre nicht in Kauf zu nehmen. Hier stand er nun allein und wieder war ein Leben erloschen, das er nicht hatte beschützen können.
Der tote Körper kippte vornüber, genau auf Esca drauf. Diese plötzliche Last in seinen Armen holte ihn zurück in die Gegenwart. Gerade rechtzeitig, denn schon vernahm er eilig über den Rasen kommende Schritte. Mit aller Kraft versuchte Esca noch, das Messer wieder aus der Brust des Toten herauszuziehen, doch es war zu tief eingedrungen und steckte wohl irgendwo fest. Der fehlende Widerstand und die Last der Leiche zwangen den Briganten dazu, das Messer aufzugeben. Er riss den Körper zur Seite, tastete hektisch nach dem Beil – ein sachter Windhauch streifte sein Gesicht und im selben Moment traf ihn ein scharfer Schlag an der rechten Schulter. Der Schnitt war tief und brannte wie die Wundbrand hervorrufenden Waffen des Goibniu [3]. Einen Fluch ausstoßend, wirbelte er herum und sah sich dem zweiten, größeren, Kapuzenträger gegenüber. Dieser war nun ebenso wild wie sein toter Gefährte. Er holte nachdem er sein Ziel verfehlt hatte erneut zum Schlag aus. Esca, der solange die Sterne nicht von Wolken verdeckt wurden, die Schläge gut einschätzen konnte, wich immer wieder aus. Doch sein verletzter Arm erlaubte es ihm nicht, nach dem Beil oder dem kleinen Messer zu greifen. Das Hackbeil mit seinem Gewicht kam sowieso nicht mehr in Frage. Derweil floss sein warmes Blut in kleinen Kanälen seine Arme herab bis zwischen seine Finger. Es war, als saugten sie das Blut auf wie ein Wolf, der seine eigene Wunde ableckte. Diese Entdeckung seines eigenen Blutes nahm ihm den Zornesschleier von den Augen. Erst jetzt verstand er, dass er zum einen großes Glück gehabt hatte, dass der Andere unaufmerksam gewesen war und zugleich, dass nun er sich in der deutlich schlechteren Lage befand. Da passierte es.
Für einen winzigen Augenblick hatte er nicht aufgepasst. Vergessen wo er war, wo die Gefahrenstellen lauerten. Er stieß, als er gerade einem seitlichen Hieb im Rückwärtsgang auswich, heftig gegen eine auf einem Sockel stehende Marmorstatue. Cornelia hatte kleinere Statuen und Portraits als Verschönerung des in der Mitte thronenden opulenten Brunnens mit dem Abbild der Göttin Aphrodite, die eine Hydria mit Wasser auf der Schulter trug, rund um diesen aufstellen lassen. Die Stütze störte sich nicht an dem Stoß, doch Escas Fuß blieb an einer Kante hängen und so stürzte er rücklings auf den Boden und donnerte mit der Schläfe an der scharfen Ecke des Sockels an. Sein Blick schwamm. Alles wurde schnell wechselnd bunt und schwarz, durchzuckt von grell aufblitzenden Lichtern, begleitet von quälenden Kopfschmerzen. Mit dem unverletzten Arm umschlag er den Sockel, wollte sich hochzuziehen, aber da hörte er schon den unverwechselbaren Ton des durch die Luft schwingenden Metalls.
„Nunc tuum ultionem compotis, Belana!“ [4] Ein Ausruf wie eine Prophezeiung. Wer hatte ihn ausgesprochen? Er schloss die Augen, den tödlichen Schlag erwartend.
Ein metallisches Klingen und ein Kampfschrei genau über seinem Kopf ließen alle seine Sinne wieder erwachen. Er riss die Augen auf und drehte den Kopf in Richtung der Lärmquelle. Angestrengt kniff er die Augen zusammen, damit sich die immer noch verschwimmenden Bilder schärften. Vor ihm waren zwei Gestalten in einem verbissenen Kampf verstrickt. Die Klingen kratzten in einem hohen Tempo bei jedem Hieb quietschend aneinander, gefolgt von menschlichen Lauten stark beanspruchender körperlicher Arbeit. Wer war ihm zu Hilfe gekommen? Die Gestalt stand mit dem Rücken zu ihm. Sie war klein und seine Schultern verrieten, dass er nicht besonders muskulös sein konnte. Seine langen Locken schienen ihm die Sicht zu behindern, da er in Sekundenbruchteilen immer wieder mit seinem Oberarm versuchte, sie aus dem Gesicht zu wischen. Es war Valentius!
Esca fluchte. Es musste ihm vollkommen entgangen sein, dass der Lieblingssklave der Cornelia in irgendeiner Weise kämpferisch ausgebildet war. Zumindest konnte er bei seinem bequemen Leben in der Landvilla nicht regelmäßig trainiert haben. Das wäre ihm während seiner Arbeit sicher aufgefallen. Es war damit absehbar, dass Valentius, so tapfer er auch seinem Gegner Widerstand leistete, bald ans Ende seiner Kräfte kam. Esca ballte die die Hand seines verletzten Armes zu einer Faust. Der Schmerz, den die angespannten Muskeln verursachten, war unbeschreiblich. Doch er musste eingreifen. Er konnte nicht zulassen, dass noch einen Unbeteiligter sein Leben für ihn verlieren würde. Dann eben mit der Linken! Zu zweit standen ihre Chancen, den Mann zu überwältigen, besser. So fummelte er das kleine Messer aus dem Gürtel und wollte sich gerade auf die Beine stemmen, als ein markerschüttender Schrei ihn zusammenfahren ließ.
War es Valentius gewesen?!
Sein Blick suchte die Kämpfenden. Da standen sie. Beide aufrecht und lebendig, doch es war noch jemand hinzugekommen. Hinter dem Kapuzenträger stand ein großer in einer Tunika gekleideter Mann. Sein Haar war kurz und seine Gestalt glich der eines trainierten Athleten. Als er das Gesicht etwas zur Seite drehte, erkannte Esca ihn sofort: Marcus.
Esca brachte kein Wort heraus. Er versuchte zu begreifen, was geschehen war, während sein Arm und Kopf weiterhin pochende Schmerzsignale aussendeten. Er griff sich an den Kopf, um sich besser zu konzentrieren. Keiner der drei rührte sich. Das war seltsam, unüblich. Hatte der Schwarzmantel sich ergeben, als er sah, dass er in der Unterzahl war? Als der Brigante genauer hinsah, bemerkte er, dass Marcus einen kurzen vielleicht metallischen Gegenstand unter die Kehle des Mannes hielt. Nachdem sich der Eindringling in dieser lebensbedrohlichen Lage wiederfand, hatte er sein Schwert fallen lassen, als Zeichen seiner Kapitulation. Es lag neben seinen Füßen im Gras. Die Hände des Gefangenen umklammerten seine linke Hüfte, die er feste an die Stelle zu pressen schien. Vielleicht hatte Valentius ihn dort getroffen. Der Lockenkopf, der sonst zwar gewitzt, aber in kriegerisch-körperlichen Dingen so unbedarft wirkte, warf jetzt ebenfalls das Schwert weg und ließ sich schwer atmend und mit hängenden Schultern ins Gras sinken.
Marcus‘ und Escas Blick trafen sich. Beide lasen den Gedanken des anderen:
Der Spuk war vorbei. Auf eine gewisse Weise war alles vorbei …
„Töte ihn nicht, Marcus!“, befahl eine wohlbekannte autoritäre Stimme auf einmal. Cornelia betrat aus einem seitlich in das Peristyl führenden Raum den Hof, gefolgt von einer Schar Sklaven, die ihr mit Lampen und einfacher Bewaffnung folgten. Marcus nickte, drückte zugleich aber die von Esca immer noch nicht identifizierte Waffe enger an den Hals des Schwarzmantels und raunte ihm etwas ins Ohr, das diesen die Zähne fletschen ließ.
Cornelia ging zielstrebig auf den noch auf dem Boden ruhenden Valentius zu, hockte sich neben ihn, strich ihm fast mütterlich einmal über die Wange, gab ihm einen Kuss auf die verschwitzte Stirn, richtete sich wieder auf und ordnete an: „Bringt ihn ins Triclinium! Bevor die Legionäre kommen, soll diese Bestie mir Rede und Antwort stehen.“
„Was ist mit Eleasar?“, murmelte Esca, ohne seine Herrin dabei anzusehen. Er schämte sich ihr so zeigen zu müssen.
„Wer ...?“, wollte Cornelia wissen, doch sie begriff rasch und wies stumm in die Richtung, wo Eleasar erstochen worden war. Der Körper lag immer noch an seinem Platz, über ihn gebeugt ein weiterer Mann. Theofanos.
„Er ist also auch hier…“, dachte Esca mit einer gewissen Bitterkeit in der Seele. Er biss die Zähne zusammen. „Marcus, warum ziehst du in dein egoistisches Spiel Unschuldige hinein?“, dachte er und unterdrückte eine neue aufsteigende Welle der Wut.
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[1] Ovid ist bis heute für viele Lateinschüler der Maßstab schlechthin. Er lebte von 43 v. Chr. Bis 20 n. Chr. In seinem bekanntesten Werk „Metamorphosen“ behandelt er auch die Geschichte von Apollon und Hyakinthos.
[2] Lukian aus Samosata war ein antiker Schriftsteller, vor allem Satiren waren sein bevorzugtes Metier. Zum Zeitpunkt dieser Geschichte ist er vielleicht um die 20 Jahre alt und hat gerade seine Ausbildung der Rhetorik beendet. Er hatte zwischen 140-150 n. Chr. „Der Tyrannenmörder“, „Die Fliege“, „Phalaris I und II“ und möglicherweise „Das Lob des Demosthenes“ geschrieben. Seine bekanntesten Werke u. a. „Hetärengespräche“ erscheinen aber erst später. Er schrieb auf Griechisch, war aber laut eigener Aussage Syrer. Ob er in seinen jungen Jahren tatsächlich schon in Rom bekannt war, weiß ich leider nicht, hier habe ich mich der künstlerischen Freiheit bedient.
Diese gerade im Aufbau befindende Seite ist gar nicht so schlecht, wenn ihr euch mehr über Lucian informieren wollt, sie ist aber auf Englisch: http://lucianofsamosata.info/wiki/doku.php?id=home:timeline#lucian_life_events1
[3] Schmiedegott im antiken Irland. Seine Waffen treffen immer und sind durch die zusätzliche Verletzung einbringende Eigenschaft doppelt tödlich.
[4] Jetzt bekommst du deine Rache, Belana!
falls noch jemand da draußen ist, der tatsächlich noch sich freut ein neues Kapitel lesen zu dürfen, dann wäre ich sehr gerührt und zugleich beschämt, da ich so lange nichts von mir habe hören lassen. Die Pausen sind sehr lang und jedes Mal fällt es mir selbst schwer wieder in die Geschichte und Charaktere hineinzufinden. Das tut mir sehr Leid, aber ich merke einfach, dass ich die Geschichte trotzdem unbedingt beenden möchte. Dieses Kapitel ist nicht besonders lang, der Fortgang entwickelt sich immer stärker in eine andere Richtung, als ich es geplant hatte und so stehe ich andauernd vor neuen Problemen und Entscheidungen. Ich hätte allerdings tatsächlich gerne noch etwas mehr geschrieben, weil ich aber dafür erst eine Fachinformation einholen müsste, was zurzeit wegen der Corona-Krise nicht geht (die Bibliotheken haben zu und das Internet kann mir hierbei wirklich keine hilfreche Auskunft geben), habe ich es früher enden lassen müssen.
Da es also nur ein kurzes Vergnügen wird, ist es vielleicht trotzdem in diesem langen und ruhigen Tagen ganz unterhaltsam.
Habt Spaß und tausendmal Dank für eure Treue!
Die unbeantworteten Kommentare tun mir sehr Leid, ich will versuchen das nachzuholen, habe mich aber über jeden Satz gefreut!
Alles Liebe
Euer Kätzchen
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„Köstlich!“, rief Cornelia aus und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Marcus hatte ein breites Lächeln aufgesetzt, welches er mühsam aufrecht hielt, während er scheinbar angetan Applaus spendete. Aber richtig zum Lachen war ihm nicht gewesen, denn die spaßigen Einlagen, die Theofanos in seine Geschichte eingebaut hatte, zielten Stellenweise sehr direkt auf ihn ab. Bei aller Selbstbeherrschung würde ihm das Marcus so schnell nicht vergessen und bei einer geeigneten Gelegenheit zurückzahlen. Der Römer konnte sich ausmalen, was für ein persönliches Vergnügen der Grieche an diesen kleinen Spitzfindigkeiten gefunden hatte. Von wegen: ein altes Weib hätte sie ihm erzählt! An Marcus‘ Leben hatte sich Theofanos bedient und es auch noch, um es spannender zu gestalten, verfälscht! Sicher aus der Not heraus. Selbst Theofanos‘ Weisheit hätte diesen Verlauf des Vorhabens nicht voraussehen können. Und auf dem kurzen Weg von der Haustür bis zum Triclinium war ihm wohl nichts Besseres als diese haarsträubenden Geschichten eingefallen.
In dieser Geschichte scheiterten die peinlichen Verführungsversuche des Musen-Gottes immer wieder an der kühlen Art des Schönlings Hyakinthos. Der Liebling des Gottes ahnte möglicherweise, dass eine Beziehung zu einem Gott wie Apollon, der nicht gerade für seine langlebigen Beziehungen bekannt war, für einen Sterblichen nicht gut enden konnte und war deswegen seinen Allüren immer wieder knapp entkommen.
Trotz der eindeutigen Anspielungen in den Dialogen der Protagonisten erregten die lustigen Episoden bei allen Anwesenden überschwängliches Gelächter, selbst bei dem sonst so zurückhaltenden Valentius. Die durcheinander lärmenden Flöten und Rasseln der Musiker verstärkten den Trubel noch zusätzlich. Sollte Theofanos nach einem neuen Betätigungsfeld suchen, so wäre der Beruf des Komödiendichters einer, bei dem er sein Brot sicher verdient hätte, dachte Marcus verstimmt. In seinem Grimm merkte er gar nicht, dass er immer noch in die Hände klatschte, obwohl es gar nicht seine Art war, sich so viel und so lange emotional in der Öffentlichkeit zu äußern.
Doch Cornelia, die die Persönlichkeit des Marcus‘ schon gut einzuschätzen wusste, was bei einem so einfach gestrickten Mann ihr auch nicht weiter schwer fiel, hatte glücklicherweise vor lauter Begeisterung über den Vortrag dieses Detail übersehen. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, nun dem Redner sein verdientes Lob auszusprechen. Besonders überrascht hatte sie Theofanos‘ Gedankenstreich die Geschichte statt mit dem tragisch und auch etwas komischen Tod des Hyakinthos enden zu lassen, sie nach der Vereinigung der beiden Liebenden zu beenden. Da nun der Applaus, das Klimpern, Pfeifen und Trommeln langsam abnahmen, rief die Herrin der Villa begeistert: „Theofanos! Was für ein begnadeter Erzähler du bist! Zwar fehlte der Geschichte jedes Versmaß und die Späße waren fast etwas zu derbe für meine Ohren, doch selten hat mich eine frei vorgetragene Geschichte so gut unterhalten wie die deine! Hast du vor, bei einem der Dichterwettbewerbe im kommenden Sommer teilzunehmen?“
„Die Herrin Cornelia ist sehr nachsichtig, aber meine Schreibkunst verwende ich ganz für meine philosophischen Studien. So brauche ich meine Verse keinem Maß zu unterwerfen, das sie nur unnatürlich beugten und an dem man letztlich mein Untauglichkeit zur Dichtung bemerken würde“, antwortete Theofanos im bescheidenen Ton, strich dabei aber zufrieden durch seinen Bart. Marcus hatte alle Mühe kein genervtes Seufzen von sich zu geben, immerhin verschaffte der Grieche Eleasar und Esca auf diese Weise Zeit.
„Schade. Das Publikum würde dir sicher auch ohne Vermaß seine Herzen schenken. Gerade in Londinum braucht das Volk in den wenigen Tagen des Jahres, an denen Helios sein Gespann durch die am Himmel aufragende graue Bergwand manövriert, besonders gewitzte Liebesgeschichten“, und sie fügte hinzu, „gerade diese, die ohne den Trennungsschmerz des Todes so erfrischend unschuldig sind. Und diese schöne Ausschmückungen! Weder hat der alte Ovid [1] die Geschichte so einfühlsam noch der gerade in Rom so gefeierte junge Lukian aus Samosata [2] so witzig zu erzählen verstanden.“
Theofanos verneigte sich, nahm die anerkennenden Worte mit einem geschmeichelten Lächeln entgegen und „warf sie“ mit einem kurzen Seitenblick dem Canturio als Geschenk vor die Füße. Der ignorierte sie.
Cornelia seufzte, als ob das heftige Lachen sie sehr erschöpft hätte und blickte die beiden Männer etwas mitleidig an. Nach einer kleinen Pause, in der Marcus sein Lächeln absetzte, sagte sie: „Und nun“, sie erhob sich und ihre ganze Gestalt strahlte ihre Erhabenheit aus, die sie sich durch kluges Handeln und Erfahrung erworben hatte. Marcus verstand sofort, dass etwas nicht stimmte. Die Stimmung der Feier war wie auf einen Paukenschlag verflogen. Alle, selbst die Musikerinnen, umfing eine ernste Atmosphäre, die jedem Fremden sofort auffallen musste.
Cornelia, die Hand in die des Valentius gelegt, schritt auf die beiden Männer zu, während Valentius‘ Blick einzig auf dem Antlitz seiner Herrin geheftet war. Als sie zwischen den Klinen der gelagerten Männer stand, setzte sich Marcus einem unguten Gefühl folgend ruckartig auf. Sich ganz zu erheben, traute er sich allerdings nicht. Theofanos legte die Hand auf die Brust und senkte demütig den Blick.
„Erzählt mir“, sagte sie in ihrer ruhigen, bestimmten Art, „was ihr wirklich geplant hattet. Seid ruhig ehrlich und haltet mich nicht für dumm. Ein solch schlecht abgesprochenes Spiel durchschaut selbst ein Stumpfsinniger.“
Die beiden Männer blickten sich ertappt an. Sie waren aufgeflogen. Die Ganze Farce hatte nichts genützt. Wie konnten sie die Situation retten?
Die Augen der Cornelia bohrten sich pfeiltief durch sie hindurch. Als könnte sie all ihre in Gedanken wie eine offene Buchrolle lesen. Es war unangenehm. Theofanos fühlte sich durchschaut. Das war ihm bisher noch nie passiert. Es kränkte ihn auf gewisse Weise, da ein durchschaubares Wesen jeden angreifbar und schutzlos machte, darum wandte er seine Augen ab. Auch Marcus senkte jetzt den Blick.
Fieberhaft überlegte er, wie er sich jetzt verhalten sollte. Wie sollte er das aufgeheizte Gemüt einer ihm gesellschaftlich überlegenen Frau beschwichtigen, die zudem hier heimisch und einen Namen hatte, während er ein entlassener Centurio niemanden kannte, auf den er sich berufen konnte. Aber musste er das überhaupt? War die Hausherrin sauer? Erzürnt? Er wagte es heimlich noch einmal vorsichtig die Augen zu heben. Ihr Blick zwar ernst, aber ihnen nicht offen feindlich gesinnt, so kam es ihm vor. Wer spielte also hier ein Spiel? Umso länger er darüber nachdachte, desto mehr beschlich ihn die Vermutung, er sei in eine Falle gelockt worden.
Wäre demnach die Wahrheit in dieser ausweglosen Situation nicht die beste Lösung? Oder besser nur einen Teil der Wahrheit? Aber welchen Teil? Sicher nicht die Entführung – nein, dieses Detail dürfte keineswegs verraten werden. Sklavenraub führte in jedem Fall zu einer Gerichtsverhandlung und dort stände das Recht eindeutig auf Cornelias Seite. Esca hätte sicher auch noch die Dreistigkeit vor Gericht zu betonen, dass es nie sein Wunsch gewesen sei, befreit zu werden. Und dann? Er hätte nicht nur sich, sondern auch Theofanos‘ und besonders Eleasars Ruf ruiniert. Beim Griechen wäre es ihm gleich, der konnte sich durch seine Redekunst überall durchschlagen. Aber Eleasar und seine Familie gegenüber konnte er diese Ächtung nicht zulassen. Sie hatten am Wenigsten mit dieser Geschichte, seiner Geschichte, zu tun. Eleasar kannte noch nicht einmal alle Einzelheiten, dieser wäre also doppelt betrogen.
Theofanos schwieg es Marcus gleichtuend, schließlich war er nur Komplize und maß sich selbst kein Sprachrecht vor Marcus zu. Davon abgesehen, fiel auch ihm nichts Gescheites ein, das etwas hätte bessern können. Cornelia ergriff, wohl unzufrieden, dass man auf ihre Fragen keine Antworten gab, wieder das Wort.
„Ihr seid wegen Esca hier, spreche ich wahr?“ Für einen kurzen Moment bemerkte sie ein leichtes Zucken um Marcus‘ Mundwinkel. Sie lag also richtig und so ermutigt ihrem Instinkt zu folgen, setzte sie noch einen drauf.
„Was hattet ihr vor? Mir mein Geld und meinen Schmuck zu stehlen? Seid ihr gemeine Betrüger, Diebe und Plünderer, die sich erst in das Haus eines Begüterten einschleichen, ihn umschmeicheln und dann hinterrücks bestehlen? Ist das eure Art, Gastfreundschaft zu entlohnen?“
Marcus wagte es den Blick wieder zu heben und sah direkt in Cornelias funkelnden Augen. Doch Zorn oder Apathie konnte Marcus immer noch nicht ausmachen. Nein, wenn er sich nicht täuschte, lag eine Art schalkhafte Neugier in ihnen. Sein Hirn arbeitete. Seine Brust spannte sich mit jedem Atemzug etwas straffer. Mit dem Vorwurf ein Dieb oder Betrüger zu sein, würde sein Centurioherz leben können. Doch was ihn beunruhigte war, dass diese Frau intuitiv eine Verbindung zwischen ihrem Auftritt und Escas Anwesenheit hier gezogen hatte. Würde Esca für etwas betraft werden können, obwohl es allein Marcus‘ egoistischer Plan gewesen war, der sich sogar über Escas Willen hinweggesetzt hatte? Aber wer würde ihnen das schon glauben?
Ihm bliebe nichts anderes übrig, als die erste Anschuldigung, dass sie wegen Esca hier waren, zu bestreiten und die zweite, dass sie Diebe seien, zu bejahen. In der Hoffnung, dass Eleasar in dem folgenden Trubel unerkannt fliehen können würde. Vielleicht war er sowieso längst geflohen.
Ab wann war ihr Plan nur so schief gelaufen? War er überhaupt auch nur einen Moment so verlaufen, wie sie es erdacht hatten?
Theofanos machte weiterhin keine Anstalten etwas zur Klärung der Situation beizutragen, also entschied Marcus sich für die Halbwahrheit. Gerade als der ehemalige Centurio ansetzten wollte und seine Schuldigkeit eingestehen wollte, drang ein ungewöhnlicher Lärm an die Ohren der Anwesenden. Er kam aus Richtung des Säulenhofes, der im Sommer ein lauschiger Platz war, im Winter aber nur aus Notwendigkeit durchquert wurde. Kurz darauf war es wieder still, doch plötzlich hörten sie laute Schreie: „Eindringlinge! Eindringlinge! Mörder sind im Haus!“ Marcus sog die abgestandene Luft des Zimmers scharf ein – warum nur tat das Schicksal ihm das an? Und wieder diese gottverlassene Stille.
*
Esca riss die Türe auf, noch bevor Eleasar richtig auf die Beine gekommen war. Auf allen Vieren krabbelnd, stolperte er in größter Angst hinter Esca her, der schon einen guten Vorsprung zwischen ihnen herausgeholt hatte. Eleasars Herzschlag verfiel in dem Moment in einen panischen Sprint, als er die Stimmen der beiden Mörder nur wenige Schritte hinter sich vernahm.
„Oh Gott, mögen meine Beine so schnell laufen wie mein Herz schlägt!“, quietschte er, stieß sich mit kraftvoll vorwärts und rannte um sein Leben. Sein Ausruf wurde mich einem zornigen „Da ist er!“, beantwortet. Der Christ gab sich die größte Mühe, aber Escas Vorsprung holte er nicht auf. Der Abstand zu den Mördern wurde allerdings auch nicht kleiner. Während er bereits mit einer schmerzenden Lungen und stechenden Seiten rang, sah er den Briganten zum ersten Mal im Schein der Fackeln – wenn auch nur von hinten. An ihm gab es wirklich kein besonders Merkmal. Wenn die glückliche Fügung sie nicht zusammengebracht hätte, hätte Eleasar ohne Theofanos diesen Kerl nie als den gesuchten Briganten erkennen können. Allerdings wären all seine Mühen dennoch umsonst gewesen, sollten diese brutalen Schlächter ihn hier, an diesem fremden Ort, noch in die Hände kriegen. Darum kniff er sich in die schmerzenden Seiten, biss die Zähne zusammen und folgte dem Briganten, der ihm jetzt kleine lautlose Kommandos gab. Der Brigante deutete auf kleine Tische, Wandfackeln oder was sonst in den Fluren und Räumen, die sie durch hasteten, ohne eine Menschenseele anzutreffen. Eleasar verstand augenblicklich. Er sollte sie ihren Verfolgern in den Weg werfen. Eleasar befolgte die stummen Befehle so gut er konnte. Manchmal erwies sich eine Truhe als zu schwer oder eine Fackel zu gut in der Wand verankert, so dass er schnell wieder von ihnen ließ. Ab und an bestätigte ein Fluch, dass er den ein oder anderen kleinen Erfolg verbuchen konnte. Trotzdem riss das Trampeln der Mörder nicht ab, es wurde noch wilder. In Eleasars Mund sammelte sich Spucke und langsam war das Seitenstechen kaum mehr ertragbar. Da roch er plötzlich den rauchig-fettigen Duft, der in der Regel aus Küchen zu dringen pflegt. Die Küche! Esca hatte sie erwähnt, aber was war mit ihr? Dort befanden sich noch Menschen, vielleicht sind sie in Gefahr als Zeugen dieser Bluttat?
In diesem Moment nahm Eleasar noch gerade wahr, wie der Brigante mit einem Hakenschlag in der Küche verschwand. Was sollte er tun? Die Küche war eine Sackgasse und dort waren Unschuldige, die völlig unvorbereitet auf den Angriff waren. Trotzdem er am Rande seiner Leistungsfähigkeit war, ja diesen Rand längst überschritten hatte, japste er einmal laut, rief mit der letzten Luft, die seine Lunge ihm gewährte: „Eleasar, ich kann gleich nicht mehr!“ und rannte an der Küche vorbei. Er betete, dass seine Finte nicht durchschaut worden war, doch das Trampeln war unverändert zu hören. Keiner der Mörder hatte angehalten, um einen Blick in die Küche zu werfen. Keinem war aufgefallen, dass Esca nicht mehr vorweg lief. Stattdessen folgten sie ihm wie Bluthunde, die einen verletzten Eber gewittert hatten. Er keuchte, stöhnte, schwankte. Er konnte nicht mehr. Gleich würden ihm seine Beine den Dienst versagen. Er spuckte aus und sehnte sich zugleich nach etwas zu trinken. Irgendwo musste ein Weg in den Peristylhof führen. Dort war es dunkel. In der Dunkelheit hätte er eine Chance zu entkommen. Umso länger die Jagd dauerte, desto deutlicher sah er das Menetekel des Belsazar, jenes Unglückszeichen, das dem babylonischen König seinen Tod und Untergang seines Königs kündigte, vor seinem Auge. Du lässt mich nicht im Stich, oder Gott?
*
Esca drückte seine verschwitzten Hände immer noch mit einer Kraft auf Alaudes Mund und dem des unbekannten Sklavenmädchens, dass seine Fingernägel ihnen tief in die Haut schnitten. Dem verängstigten Mädchen standen bereits die Tränen in den Augen. Verzweifelt versuchte sich ihren Kopf aus der harten Hand zu befreien und kratzte dafür wie eine wütende Harpyie an Escas Handgelenk (an sein Gesicht kam sie mit den kurzen Armen nicht heran), damit er sie loslasse. Ihre Angriffe hinterließen breite, rot-anschwellende und leicht blutende Spuren auf seiner Haut. Doch erst als er sich absolut sicher war, dass die Männer fort waren, löste er seinen Griff.
„Esca, bei Jupiter! Was ist denn in dich gefahren? Ich dachte schon, du wolltest uns etwas antun!“, schimpfte Alaude los, sobald ihre Kiefer frei waren. Angeekelt, aufgrund des leichten Salzgeschmackes auf den Lippen, wischte sie mit dem Ellbogen mehrmals über den Mund.
„Esca, Junge, was ist passiert?“
Esca, dessen Atem von dem langen Sprint noch unruhig ging, stieß in kurzen Sätzen das Nötigste hervor: „Die Herrin ist in Gefahr. Gebt mir Messer, Knüppel, irgendetwas, womit ich kämpfen kann.“
Alaudes Augen wurden so groß wie ihre Teller. Ihr klappte der Mund auf, doch ohne weitere Fragen zu stellen, drehte sie sich rasch um und griff nach allem, was in irgendeiner Weise als Waffe Verwendung finden könnte. Innerhalb weniger Augenblicke hatte sie ein ganzes Arsenal an langen, kurzen, krummen und geraden Messern zusammengehortet, sogar ihr Hackbeil lag darunter. Ohne lange zu überlegen, nahm er von den schärfesten ein langes und ein kurzes Messer, auch das Hackbeil, steckte er zusammen mit dem kurzen in seinen Gürtel. Auch wenn die Eindringlinge gefährlichere Waffen besaßen, hatte er nun zumindest eine kleine Verteidigung. Er war weit davon entfernt, sich gerüstet zu fühlen, aber mehr Zeit hatte er nicht. Der Christ war mutiger gewesen, als er gedacht hatte, aber befand sich jetzt wegen ihm in Lebensgefahr.
„Alaude, nimm das Mädchen. Folgt dem Flur zu den Schlafkammern. Dort fand ein Mord statt. Kümmert euch nicht um die Leiche, sondern versteckt euch in meiner Kammer. Bis ihr euch sicher seid, dass keine Gefahr mehr besteht. Öffnet niemanden! Die Messer bringe ich dir später zurück…“
Alaude nickte folgsam, wollte schon loslaufen – das Mädchen war längst fort – da hielt Esca sie noch einmal zurück, blickte sie eindringlich an und flüsterte: „Und wenn du jemanden Hilfe holen schicken kannst, so tu es!“ Ihre bangen Gedanken waren noch bei Esca, als dieser schon längt aus der Küche verschwunden war.
*
Eleasar konnte nicht mehr. Seine Beine, sein Atem, sein Herzschlag, alles bäumte sich gegen ihn auf. Sein ganzer Körper schmerzte und zwang ihn anzuhalten. Es ging nichts mehr. Der Brand in seiner Kehle ließ ihn würgen. Er tastete sich an der kalten Säule entlang, hinter der er Deckung gesucht hatte.
Mit letzter Kraft, die er aus unbekannten Winkeln seines Leibes hervorgezogen hatte, hatte er tatsächlich einen Weg in den Peristylhof gefunden, war einer Eingebung gefolgt und sofort rechts abgebogen und hatte irgendwo angehalten. An einer der Säulen war er mit vor Erschöpfung zitternden Knie herab gerutscht. Nun presste er sich selbst die Hände auf den Mund, damit seine röchelnden Atemlaute ihn nicht verrieten.
Leider war es nicht so dunkel im Hof, wie Eleasar gehofft hatte. Durch eine ungewöhnlich helle Sternennacht – die erste seit Wochen! – und dem abnehmenden Mond lag der Säulenhof in seinem silbrig kühlen Licht, das auf dem Wasser des in der Mitte stehenden Brunnen reflektiert wurde. Es waren an manchen Stellen sogar Schatten zu sehen und nur wenige Winkel lagen in vollkommener Dunkelheit. So würden seine Häscher nicht lange brauchen, um sein Versteck, das eigentlich keines war, zu entdecken und dann müsste er wirklich seinem Schöpfer entgegentreten. Selten hatte er sich ein Zeichen seines Herrn so sehr gewünscht wie in diesem Augenblick. Stattdessen hörte er, wie die zwei Mörder, ebenfalls ziemlich außer Atem, in das Peristyl stolperten. Sie flüsterten, doch es war so ruhig, dass Eleasar genau verstand, was der eine zu dem anderen sagte: „Du gehst rechts herum, ich gehe links. Irgendwo hier muss er sein und dann …“
Es folgte ein seltsames Geräusch, das wohl seine Aufgeschlitzte Kehle imitieren sollte. Bei Gott, dem Allmächtige. Was konnte er noch tun? Wohin sollte er sich noch wenden? Er würde gleich entdeckt werden. Sie konnten ihn gar nicht übersehen. Tränen traten ihm in die Augen, als er sich seiner Frau und der Kinder entsann. Witwe und Waise – aber die Gemeinde würde sich um sie kümmern, tröstete er sich. Zudem war seine Frau schön, sie würde bestimmt nicht allein bleiben. Obwohl er hoffte, davon im himmlischen Paradies nichts mehr mitbekommen zu müssen.
Ein deprimierendes Gefühl vollkommen nutzlos gewesen zu sein, überfiel ihn. Hatte er denn gar nichts tun können für den armen Sklaven – Marcus‘ Freund? Oder hatte er ihn womöglich schon dadurch gerettet, indem er die Jäger von ihm weggelockt hatte? Aber Esca brauchte sicher mehr Zeit und die Leute des Hauses waren möglicherweise auch in Gefahr, wenn diese Unholde sich weiter hier herumtrieben. Vielleicht sannen sie nach Rache oder wollten wenigstens die Schätze im Haus mitnehmen?
Ihm kam eine letzte Idee, die ihn selbst zwar nicht retten konnte, aber vielleicht den Briganten und die Bewohner des Hauses. Er hörte bereits die schlecht verarbeiteten Sohlen der Mörder über den gepflasterten, unter dem Säulenumgang herumlaufenden Pfad schaben unter dem auch er sich verbarg. So leise er konnte, stellte er sich auf seine immer noch weichen Beine, holte Luft und so laut er konnte, brüllte er: „Eindringlinge! Eindringliche! Mörder sind im Haus!“ Das musste jemand gehört haben. Irgendjemand. War ihm jetzt auch gleich. Denn es raste bereits der heiße Schmerz des nahenden Todes durch seine linke Seite. Er keuchte noch, sah ein vor Verzückung oder Hass fratzenhaftes entstelltes Gesicht ganz dicht vor seinem – „Der Teufel“, keuchte Eleasar, dann wurde es schwarz um ihn.
*
„Was tut dieser Verrückte denn da?!“, schoss es Esca panisch durch den Kopf. Einen kurzen Moment! Nur einen kurzen Moment hätte er sich ruhig verhalten sollen und er wäre bei ihm gewesen! Stattdessen schrie dieser Christ, dieser Eleasar, Marcus‘ Freund, den er nicht kannte und dem er einfach vertraut hatte, so laut in die Nacht, dass die Schlächter ihn unmöglich nicht gefunden haben konnten. Der Brigante stürzte in den Säulenhof. Durch die in zartes grau getauchten Schatten gewahr er zu seiner Rechten einen der Schwarzkapuzigen, der gerade sein Kurzschwert aus dem in sich zusammensackenden Körper des Christen zog. Blut klebte schwarz an der Spitze der Klinge.
Esca brüllte. Ein Laut wie von einem wilden Tier. Ein Schrei voll Wut. Ein Kriegsschrei. Solch einen Zorn in sich hatte er lange nicht gespürt. Dieser riss alles weg – jede Todessehnsucht, jede Reue. Es blieb nur der blanke Hass. Ein weißes Nichts, das blutrot getränkt werden wollte.
Wo war Belana jetzt? Die immer höhnisch auf ihn herabschaute, ihn einen Mörder schimpfte? Die seine Gefühle niederdrückte, damit er nicht noch einmal falsch handelte?
Niemand war da. Niemand wollte ihn aufhalten, niemand konnte ihn aufhalten, niemand sollte ihn aufhalten.
Ein schriller hoher Ton, der in seinen Ohren anhob und immer weiter schwang, ließ ihn für alle Geräusche taub werden. Alle Bewegungen nahm er in einer Intensität wahr, die der Wahrnehmung eines Hirsches glich. Seine Sinne waren auf höchste gespannt. So sah er nicht nur den Angreifer, der sich jetzt von Eleasar abwandte; er roch ihn – der Geruch von Abschaum und Tod hafteten ihm an. Mit dem noch gezückten Schwert rannte Der Schwarzmantel auf ihn zu. Ein kleiner Mann, aus dessen freudig verzerrten Gesicht die Mordgier sprach. Seine hässlichen Kiefer bewegten sich, formten Worte, die Esca nicht hörte, leere Luft die aus dem schwarzen Schlund drang. Der kleine Mann schien nur aus Kieferknochen zu bestehen, die aufeinanderschlugen und zwischen ihren gelb-schwarzen Zähnen, Eleasars Leichnam zu zertrümmern drohten.
Esca ging auf ihn los. Ohne Deckung. Das niedersausende Schert verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Statt zurückzuweichen, sprang er dem anderen fast ins Gesicht. Lautlos führte er den tödlichen Stoß aus. Ein Mord wie aus dem Lehrbuch. Der andere hatte nicht einmal die Zeit, zu registrieren dass sein Leben bereits aus ihm gewichen war. Mit einem einzigen gewaltigen Stich rammte Esca die Klinge des langen Küchenmessers tief in die Brust des Schwarzmantels. Mit pochenden Adern und vor Zorn verkrampften Fingern, die immer noch um den Griff des Messers lagen, hörte Esca wie die Knochen unter seinen Händen einfach zersprangen, und in die Lunge und vielleicht auch in das Herz von Eleasars Mörder eindrangen. Während sein Lebensgeist entwich, gurgelte er ein abgebrochenes „…tus“. Der letzte Atemstoß, der in der Stille der Nacht verpuffte.
Der Lebenshauch entwich dem Körper vollends, verlor die Spannung, brach ein. Für einen Moment kamen Esca die Bilder der toten Wegelagerer in den Kopf, die sie ganz zu Beginn ihres Weges in eine bessere Zeit überfallen hatte. Dort hatte er ganz ähnlich gehandelt. War ganz ähnlich in der Klemme geraten, damals allerdings weil es zu viele gewesen waren. Doch Marcus war bei ihm gewesen. Marcus hatte ihm beigestanden. Es hatte niemand sein Leben verloren, der diesen Preis bereit gewesen wäre nicht in Kauf zu nehmen. Hier stand er nun allein und wieder war ein Leben erloschen, das er nicht hatte beschützen können.
Der tote Körper kippte vornüber, genau auf Esca drauf. Diese plötzliche Last in seinen Armen holte ihn zurück in die Gegenwart. Gerade rechtzeitig, denn schon vernahm er eilig über den Rasen kommende Schritte. Mit aller Kraft versuchte Esca noch, das Messer wieder aus der Brust des Toten herauszuziehen, doch es war zu tief eingedrungen und steckte wohl irgendwo fest. Der fehlende Widerstand und die Last der Leiche zwangen den Briganten dazu, das Messer aufzugeben. Er riss den Körper zur Seite, tastete hektisch nach dem Beil – ein sachter Windhauch streifte sein Gesicht und im selben Moment traf ihn ein scharfer Schlag an der rechten Schulter. Der Schnitt war tief und brannte wie die Wundbrand hervorrufenden Waffen des Goibniu [3]. Einen Fluch ausstoßend, wirbelte er herum und sah sich dem zweiten, größeren, Kapuzenträger gegenüber. Dieser war nun ebenso wild wie sein toter Gefährte. Er holte nachdem er sein Ziel verfehlt hatte erneut zum Schlag aus. Esca, der solange die Sterne nicht von Wolken verdeckt wurden, die Schläge gut einschätzen konnte, wich immer wieder aus. Doch sein verletzter Arm erlaubte es ihm nicht, nach dem Beil oder dem kleinen Messer zu greifen. Das Hackbeil mit seinem Gewicht kam sowieso nicht mehr in Frage. Derweil floss sein warmes Blut in kleinen Kanälen seine Arme herab bis zwischen seine Finger. Es war, als saugten sie das Blut auf wie ein Wolf, der seine eigene Wunde ableckte. Diese Entdeckung seines eigenen Blutes nahm ihm den Zornesschleier von den Augen. Erst jetzt verstand er, dass er zum einen großes Glück gehabt hatte, dass der Andere unaufmerksam gewesen war und zugleich, dass nun er sich in der deutlich schlechteren Lage befand. Da passierte es.
Für einen winzigen Augenblick hatte er nicht aufgepasst. Vergessen wo er war, wo die Gefahrenstellen lauerten. Er stieß, als er gerade einem seitlichen Hieb im Rückwärtsgang auswich, heftig gegen eine auf einem Sockel stehende Marmorstatue. Cornelia hatte kleinere Statuen und Portraits als Verschönerung des in der Mitte thronenden opulenten Brunnens mit dem Abbild der Göttin Aphrodite, die eine Hydria mit Wasser auf der Schulter trug, rund um diesen aufstellen lassen. Die Stütze störte sich nicht an dem Stoß, doch Escas Fuß blieb an einer Kante hängen und so stürzte er rücklings auf den Boden und donnerte mit der Schläfe an der scharfen Ecke des Sockels an. Sein Blick schwamm. Alles wurde schnell wechselnd bunt und schwarz, durchzuckt von grell aufblitzenden Lichtern, begleitet von quälenden Kopfschmerzen. Mit dem unverletzten Arm umschlag er den Sockel, wollte sich hochzuziehen, aber da hörte er schon den unverwechselbaren Ton des durch die Luft schwingenden Metalls.
„Nunc tuum ultionem compotis, Belana!“ [4] Ein Ausruf wie eine Prophezeiung. Wer hatte ihn ausgesprochen? Er schloss die Augen, den tödlichen Schlag erwartend.
Ein metallisches Klingen und ein Kampfschrei genau über seinem Kopf ließen alle seine Sinne wieder erwachen. Er riss die Augen auf und drehte den Kopf in Richtung der Lärmquelle. Angestrengt kniff er die Augen zusammen, damit sich die immer noch verschwimmenden Bilder schärften. Vor ihm waren zwei Gestalten in einem verbissenen Kampf verstrickt. Die Klingen kratzten in einem hohen Tempo bei jedem Hieb quietschend aneinander, gefolgt von menschlichen Lauten stark beanspruchender körperlicher Arbeit. Wer war ihm zu Hilfe gekommen? Die Gestalt stand mit dem Rücken zu ihm. Sie war klein und seine Schultern verrieten, dass er nicht besonders muskulös sein konnte. Seine langen Locken schienen ihm die Sicht zu behindern, da er in Sekundenbruchteilen immer wieder mit seinem Oberarm versuchte, sie aus dem Gesicht zu wischen. Es war Valentius!
Esca fluchte. Es musste ihm vollkommen entgangen sein, dass der Lieblingssklave der Cornelia in irgendeiner Weise kämpferisch ausgebildet war. Zumindest konnte er bei seinem bequemen Leben in der Landvilla nicht regelmäßig trainiert haben. Das wäre ihm während seiner Arbeit sicher aufgefallen. Es war damit absehbar, dass Valentius, so tapfer er auch seinem Gegner Widerstand leistete, bald ans Ende seiner Kräfte kam. Esca ballte die die Hand seines verletzten Armes zu einer Faust. Der Schmerz, den die angespannten Muskeln verursachten, war unbeschreiblich. Doch er musste eingreifen. Er konnte nicht zulassen, dass noch einen Unbeteiligter sein Leben für ihn verlieren würde. Dann eben mit der Linken! Zu zweit standen ihre Chancen, den Mann zu überwältigen, besser. So fummelte er das kleine Messer aus dem Gürtel und wollte sich gerade auf die Beine stemmen, als ein markerschüttender Schrei ihn zusammenfahren ließ.
War es Valentius gewesen?!
Sein Blick suchte die Kämpfenden. Da standen sie. Beide aufrecht und lebendig, doch es war noch jemand hinzugekommen. Hinter dem Kapuzenträger stand ein großer in einer Tunika gekleideter Mann. Sein Haar war kurz und seine Gestalt glich der eines trainierten Athleten. Als er das Gesicht etwas zur Seite drehte, erkannte Esca ihn sofort: Marcus.
Esca brachte kein Wort heraus. Er versuchte zu begreifen, was geschehen war, während sein Arm und Kopf weiterhin pochende Schmerzsignale aussendeten. Er griff sich an den Kopf, um sich besser zu konzentrieren. Keiner der drei rührte sich. Das war seltsam, unüblich. Hatte der Schwarzmantel sich ergeben, als er sah, dass er in der Unterzahl war? Als der Brigante genauer hinsah, bemerkte er, dass Marcus einen kurzen vielleicht metallischen Gegenstand unter die Kehle des Mannes hielt. Nachdem sich der Eindringling in dieser lebensbedrohlichen Lage wiederfand, hatte er sein Schwert fallen lassen, als Zeichen seiner Kapitulation. Es lag neben seinen Füßen im Gras. Die Hände des Gefangenen umklammerten seine linke Hüfte, die er feste an die Stelle zu pressen schien. Vielleicht hatte Valentius ihn dort getroffen. Der Lockenkopf, der sonst zwar gewitzt, aber in kriegerisch-körperlichen Dingen so unbedarft wirkte, warf jetzt ebenfalls das Schwert weg und ließ sich schwer atmend und mit hängenden Schultern ins Gras sinken.
Marcus‘ und Escas Blick trafen sich. Beide lasen den Gedanken des anderen:
Der Spuk war vorbei. Auf eine gewisse Weise war alles vorbei …
„Töte ihn nicht, Marcus!“, befahl eine wohlbekannte autoritäre Stimme auf einmal. Cornelia betrat aus einem seitlich in das Peristyl führenden Raum den Hof, gefolgt von einer Schar Sklaven, die ihr mit Lampen und einfacher Bewaffnung folgten. Marcus nickte, drückte zugleich aber die von Esca immer noch nicht identifizierte Waffe enger an den Hals des Schwarzmantels und raunte ihm etwas ins Ohr, das diesen die Zähne fletschen ließ.
Cornelia ging zielstrebig auf den noch auf dem Boden ruhenden Valentius zu, hockte sich neben ihn, strich ihm fast mütterlich einmal über die Wange, gab ihm einen Kuss auf die verschwitzte Stirn, richtete sich wieder auf und ordnete an: „Bringt ihn ins Triclinium! Bevor die Legionäre kommen, soll diese Bestie mir Rede und Antwort stehen.“
„Was ist mit Eleasar?“, murmelte Esca, ohne seine Herrin dabei anzusehen. Er schämte sich ihr so zeigen zu müssen.
„Wer ...?“, wollte Cornelia wissen, doch sie begriff rasch und wies stumm in die Richtung, wo Eleasar erstochen worden war. Der Körper lag immer noch an seinem Platz, über ihn gebeugt ein weiterer Mann. Theofanos.
„Er ist also auch hier…“, dachte Esca mit einer gewissen Bitterkeit in der Seele. Er biss die Zähne zusammen. „Marcus, warum ziehst du in dein egoistisches Spiel Unschuldige hinein?“, dachte er und unterdrückte eine neue aufsteigende Welle der Wut.
Fortsetzung folgt …
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[1] Ovid ist bis heute für viele Lateinschüler der Maßstab schlechthin. Er lebte von 43 v. Chr. Bis 20 n. Chr. In seinem bekanntesten Werk „Metamorphosen“ behandelt er auch die Geschichte von Apollon und Hyakinthos.
[2] Lukian aus Samosata war ein antiker Schriftsteller, vor allem Satiren waren sein bevorzugtes Metier. Zum Zeitpunkt dieser Geschichte ist er vielleicht um die 20 Jahre alt und hat gerade seine Ausbildung der Rhetorik beendet. Er hatte zwischen 140-150 n. Chr. „Der Tyrannenmörder“, „Die Fliege“, „Phalaris I und II“ und möglicherweise „Das Lob des Demosthenes“ geschrieben. Seine bekanntesten Werke u. a. „Hetärengespräche“ erscheinen aber erst später. Er schrieb auf Griechisch, war aber laut eigener Aussage Syrer. Ob er in seinen jungen Jahren tatsächlich schon in Rom bekannt war, weiß ich leider nicht, hier habe ich mich der künstlerischen Freiheit bedient.
Diese gerade im Aufbau befindende Seite ist gar nicht so schlecht, wenn ihr euch mehr über Lucian informieren wollt, sie ist aber auf Englisch: http://lucianofsamosata.info/wiki/doku.php?id=home:timeline#lucian_life_events1
[3] Schmiedegott im antiken Irland. Seine Waffen treffen immer und sind durch die zusätzliche Verletzung einbringende Eigenschaft doppelt tödlich.
[4] Jetzt bekommst du deine Rache, Belana!