Das Schicksal findet seinen Weg
von Kaetzchen89
Kurzbeschreibung
Wir schreiben das Jahr 141 n. Chr. Seit beinahe drei Jahren ist Antoninus Pius neuer Imperator Roms. Marcus Flavius Aquila und sein ehemaliger Sklave Esca wollen, nachdem sie den goldenen Adler der neunten Legion zurückgeholt haben, ihre neu erworbene Freiheit genießen. Marcus hatte Esca versprochen, dass er ihr neues Ziel bestimmen darf. Doch wohin wird sie die Reise führen? Wie lange werden sie dieses Mal unterwegs sein? Und wie sieht es überhaupt mit der Beziehung der beiden aus? Werden sie es schaffen, ihre Gefühle füreinander zu akzeptieren? Oder war letzten Endes alles nur Schein? Diese Reise wird Entscheidungen fordern, die beide zuvor nie fällen mussten.Nach dem Film "Der Adler der neunten Legion" oder "The Eagle".
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
9
Alle Kapitel
78 Reviews
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Dieses Kapitel
2 Reviews
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20.02.2019
4.815
Liebe Leser*innen,
ich habe nicht mehr geglaubt, dass ich hier noch ein mal etwas hochladen würde und ich bin überglücklich nach dieser wirklich wahnsinnig langen Zeit es doch geschafft zu haben, weiter zu schreiben und dadurch neue Hoffnung geschöpft habe, diese Geschichte doch noch beenden zu werden. Danke für alle Unterstützung, die ich erhalten habe und vielleicht noch erhalten werde.
ich Abe leider keine Beta-Leser*innen mehr, daher könnte es sein, dass der Stil und Inhalt sich etwas von dem der anderen Kapitel unterscheidet. ich bitte das zu entschuldigen, aber unbedingt anzumerken!
Jetzt wünsche ich euch viel Spaß! Und noch einmal vielen Dank für eure Treue! =)
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Eleasars Atem ging flach und hektisch. Die Gilde der Kaufmänner mussten zwar ein mutiges Herz haben – wer würde sich sonst trauen, meilenweit auf einem Schiff über die Meere zu segeln, wochen- manchmal monatelang von der Familie getrennt? – aber in diesem fremden Haus entdeckt zu werden, kam der Furcht vor dem Ertrinken schon sehr nahe. Seine Beine fühlten sich taub an, eine eigenartige Trockenheit hatte sich seines Mundes bemächtigt, die ihn nicht mehr schlucken ließ. Er hörte wie der Sklave Valentius Theofanos höflich bat, ihm zu folgen, und wie die beiden Männer kurz darauf weggingen. Wenn er sich aus seinem Versteck herauswagen konnte, dann jetzt in dieser kurzen Zeitspanne, bevor es zu einem weiteren ungewollten Zusammentreffen kommen konnte. Er wartete noch einen Moment, dann sprang er hervor und lief lautlos die Flure entlang. Er dankte der Einfallslosigkeit der römischen Architekten, die trotz einiger äußerlicher Variationen sich häufig an eine feste Grundrissform orientierten, weil sich diese als besonders praktisch oder besonders konform mit den Ansprüchen der Besitzer herausgestellt hatte. Er sollte also hoffentlich nicht allzu lange nach Esca suchen müssen. Bei Gott! Sollte der Junge nicht dort sein, wo sie ihn vermuteten, wäre das garantiert sein Untergang. Schließlich musste er sich darauf verlassen, dass Esca ihn mit heiler Haut wieder aus diesem Haus führte, da sich Theofanos augenblicklich darauf verlassen musste, dass Marcus ihn wiederum aus Cornelias‘ Haus führen würde.
Theofanos schritt gleichmäßig hinter dem Sklaven her und ließ sich von ihm immer weiter in das Haus hineinführen. Zwischendurch huschten seine Augen hier und dort hin in die Räume, in der Hoffnung zufällig seinen Schützling zu entdecken. Aber die Villa wirkte merkwürdig unbewohnt, als habe die Herrin nur einen geringen Stab an Bediensteten. Plötzlich bedeutet ihm der Sklave anzuhalten. Theofanos Puls nahm Fahrt auf, was für ihn sehr ungewohnt war, war er ein doch sonst so ausgeglichener Mensch, der stets versuchte, einen kühlen Kopf in allen Situationen zu behalten. Allerdings waren seine Pläne selten so aus dem Ruder gelaufen wie an diesem Abend. Die Kontrolle zu verlieren, behagte ihm nicht, sie machte ihn angreifbar und unsicher. Immer wieder versicherte er sich selbst, dass Marcus klug genug sei, um sie nicht auffliegen zu lassen.
Laute Musik und heller Kerzenschein drangen zu ihnen und der Grieche meinte bereits die Stimmen von. Marcus und Cornelia vernehmen zu können.
„Was ist los? Warum gehen wir nicht hinein?“, erkundigte sich Theofanos, der sich keine Blöße geben wollte. Es war nicht üblich, Gäste warten zu lassen, wenn die Hausherrin es nicht selbst angeordnet hatte. Um also über jeden Verdacht erhaben zu sein, musste er nach dem Grund des Stopps fragen.
„Wie war nochmal dein Name?“ Der Slave wandte seinen Kopf und schaute den Philosophen unschuldig an, als ob er den Namen tatsächlich vergessen hätte. Theofanos aber roch eine Falle. Vielleicht wollte der Sklave prüfen, ob er noch einmal denselben Namen nannte wie vorhin oder ob er sich nun verplappern würde, überrumpelt von der unerwarteten Frage.
„Theofanos.“
„Und Marcus habe nach dir geschickt? Als Überraschungsgast?“
„Ja, das sagte ich bereits.“
„So, nun dann muss ich mich entschuldigen, meine Herrin weiß bereits von dir. Die Überraschung ist also leicht verdorben. Normalerweise sprechen die Gäste auch solche Überraschungen vorher mit einem der Hausklaven ab. Meistens mit mir.“
„Nun, ich nahm an, das hätte Marcus Flavius Aquila getan. Ich konnte es ja schlecht selbst tun und musste mich auf sein Wort verlassen. Daher behaupte ich, dass du mir keine Vorwürfe machen solltest. Es ist nicht mein Missgeschick“, bemerkte Theofanos spitz. Es tat ihm leid, schließlich kannte er ebenfalls das Los eines Sklaven, aber dieser Lockenkopf begegnete ihm mit so viel Misstrauen, sodass er ebenfalls zu einem anderen Umgangston greifen musste.
Und in der Tat wirkte Valentius beeindruckt, vielleicht sogar etwas gekränkt. Er nickte nur und führte ihn dann laut ankündigend in den Raum. Augenblicklich verklang die Musik.
Marcus Überraschung hätte nicht größer sein könne, als er Valentius‘ Worten entnahm, wer ihm da folgte. Bei allen Göttern, es musste etwas schiefgelaufen sein, dachte Marcus und der Schweiß trat ich dabei auf die Stirn. Seine Bestürzung spiegelte sich so deutlich auf seinen Zügen wider, dass Theofanos sich genötigt sah, einzugreifen, um seine Lüge vor einem unbedachten Wort des Marcus‘ zu schützen. Mit blumigen Worten überbrachte Theofanos der Herrin Cornelia, damit sie ihrem Gast ja nicht ins Gesicht sah, die lieblichsten Grüße, in denen er zugleich ihre Schönheit pries, um einen guten Eindruck zu machen. Diese bedankte sich höflich und wenig beeindruckt, stattdessen erkundigte sie sich neugierig nach dem Grund seines unerwarteten Auftritts.
„Euer Gast, Marcus Flavius Aquila, bat mich heute zu den Festlichkeiten zu erscheinen“, begann er und registrierte einen Anflug von Erleichterung in Marcus‘ Blick, er hatte jetzt wohl erst verstanden, dass sie noch nicht Enttarnt worden waren.
„Meine Kunst ist die Sprache. Marcus liebt die Musik und den Wein, aber vor allem das gesprochene Wort!“
„So? Heute Abend hielt er sich mit seinen eigenen Worten noch sehr zurück“, erwiderte Cornelia, die sich dabei ein Zucken ihrer Lippen nicht verkneifen konnte.
„Oh, so war es auch nicht gemeint. Was Marcus selbst nicht hervorbringt, das hört er umso lieber und ich, Herrin Cornelia, bin ein hervorragender Redner.“
Marcus ärgerte sich. Sowohl über die Anspielung von Cornelia als auch über Theofanos‘ Unverschämtheiten. Aber in Anbetracht der Umstände war ein wohlwollendes Lächeln angebrachter und so zwang er sich zu einem wenigstens ansatzweisen freundlichen Lippenspiel, von dem er meinte, es sage so viel wie „Verzeiht, aber so ist es“.
„Also Marcus ist ein Freund des Wortes? Wollst du uns heute als ein Einziger ein ganzes Bühnenstück vorspielen oder uns die Äneide [1] mit all ihren Versen ins Gedächtnis rufen? Ach nein, tu Letzteres nicht, es soll ein fröhliches Gelage werden und kein Trauerspiel. Es berührt mich immer zu sehr, wenn Aeneas Dido verlässt und diese sich aus Kummer das Leben nimmt.“ Bei ihren letzten Worten verdrehte die Hausherrin gespielt die Augen und hob theatralisch die Hände vor die Augen, was ihr einen beinahe mädchenhaften Habitus verlieh, der gar nicht zu ihrer sonst so strengen Art passte und sicher auf den bereits konsumierten Wein zurückzuführen war.
„Herrin Cornelia, nichts dergleichen würde ich euch antuen wollen! Ganz im Gegenteil, ich möchte diese muntere Gesellschaft noch weiter dazu animieren, sich den süßen Gelüsten des Dionysos, also des Bacchus hinzugeben und würde euch gerne eine Geschichte erzählen, die mir ein altes Weib einst erzählte, bevor ich hier nach Britannia kam. Sie handelt von dem Gott Apollon und seiner unglücklichen Liebschaft zu Peukos, die vielleicht in manchem Detail seiner Liebe zu Kyparissos [2] ähnelt. “
Für einen kurze Moment glaubte Marcus bei der Erwähnung des Namens Kyparissos ein erstauntes Stutzen bei Cornelia wahrzunehmen, aber die Herrin des Hauses lächelte milde, fragte dann aber interessiert nach:
„So willst du also doch eine Geschichte über die Päderastie [3] des Apollo erzählen, obwohl ich gerade verbat mein Herz zu betrüben, so wissen doch alle hier im Raum, dass die Liebe des Musen anführenden Gottes zu oft eine scheiternde war?“
„Herrin“, setzte Theofanos an, den es reizte mit einer ebenbürtigen Gegnerin das Für und Wider seiner Wahl zu diskurrieren, allerdings musste er sich in Acht nehmen, nicht über das Ziel hinaus zu schießen, um Cornelia nachher nicht noch mit seinen Widerworten zu verärgern. Sollte die Stimmung des Festes kippen, würde Cornelia sie hinauswerfen lassen und der arme Eleasar würde sicherlich entdeckt werden. So beschloss er mit Witz und Charme vorzugehen, sodass er die kleine Gesellschaft bei Laune hielt.
„Herrin“, betonte er daher erneut mit gewichtigem Nachdruck, „ich schöre bei der Weisheit der alten Lehrer, deren Ehre ich niemals einen schändlichen Schlag zu versetzen wagen würde, deine Tränen werden nur der Rührung und des Vergnügens wegen fließen. Sollte auch nur ein trauriger Gedanke in meiner Geschichte zu finden sein, so soll mein und Marcus‘ Namen auf dem Marktplatz als hässliche Lügner ausgehängt werden!“
Von dieser Vorstellung entzückt, klatschte Cornelia begeistert in die Hände, erhob sich von ihrer Cathedra und streckte Theofanos beide Hände als Zeichen ihrer Zustimmung und Zuneigung entgegen. Dieser ergriff sie sogleich und neigte demütig das Haupt. Marcus gefiel die Vorstellung als theofanos’schen Eidanteil benutzt zu werden, gar nicht. Genau so wenig wie er sich fragte, ob der Grieche mit Absicht eine so auffällige Geschichte ausgewählt hatte und worauf sie hinauslaufen sollte? Ihn gerade in dieser Gesellschaft vorzuführen, erschien ihm riskant. Wenn er allerdings Einwände hervorbrachte, würde sicherlich die Frage auftauchen, warum er nicht zuvor die Auswahl der Geschichten festgesetzt habe. Also unterstützte er Escas Freund stattdessen und bekräftigte: „Cornelia, ich versichere, eine passendere Geschichte wird sich selten auf einem Gastmahl finden lassen. Ist es nicht schön die alten Mären durch Neue neu betrachten zu können?“
Cornelia, die mittlerweile wahres Gefallen an dieser im wahrsten Sinne des Wortes „Überraschung“ gefunden hatte, stimmte ohne Einschränkungen zu.
„Lass dem Theofanos eine Kline bringen, stell sie gegenüber der des Marcus“, wies sie Valentius an. Der verzog missbilligend, da er den forschen Worten des Theofanos keinen Glauben schenken wollte, den Mund, wagte aber auch nicht in diesem Moment da Cornelias Gast im Raum war, zu widersprechen, sondern wendete auf dem Absatz, gab mit einem kurzen Wink einer der Diener, die bisher nur mit einem unberührten Tablett in einer Ecke gestanden hatte, ein Zeichen ihm zu folgen und verschwand.
Esca war sich sicher, er hatte ein Geräusch gehört. Natürlich hörte man in diesem Haus andauernd Geräusche. Neben den anderen Sklaven bewohnten auch genügend ungeliebte Nagetiere und deren Fressfeinde das Haus. Im Gebälk vermutete Esca schon länger eine Eule als Mitbewohnerin, außerdem wohnte eine ganze Fuchsschar in der Nähe der Villa. Deren Geheule war in manchen Nächsten so scheußlich laut zu hören, dass man kaum schlafen konnte. Trotzdem, dieses Geräusch war anders gewesen. Auffälliger. Wie jemand, der durch die Gänge schlich dabei aber seine Füße nicht richtig hob und auf diese Weise die Schuhe ein leises schleifendes Geräusch von sich gaben. Doch es war zu schnell verschwunden, als dass er sich sicher sein konnte. Es fiel kein Licht vom Flur in seine Kammer, in der er schon vor längerem die Kerze gelöscht hatte, nachdem er frustriert festgestellt hatte, dass sich ab einem bestimmten Punkt keine offensichtlichen Verbesserungen weder in seiner Lesekunst noch in seinen Schreibübungen vorweisen ließen.
Nachdem er erst bezweifelt hatte, diese Nacht überhaupt noch einmal ein Auge zu tun zu können, bei dem Krach der bis zu ihm drang, war es plötzlich still geworden und Esca fragte sich, mit einem nervösen Bauchgeühl, was wohl der Grund für das Verstummen des Spiels gewesen sein mochte.
Die strikte Anweisung seine Kammer nicht zu verlassen, kam ihm jetzt seltsam vor. Als wollte Cornelia von Anfang an ein Treffen zwischen Esca und Marcus verhindern. Erneut von anrüchigen Phantasien geplagt, konzentrierte er sich wieder auf die Geräusche, die von drau0en gekommen waren. Da außer ihm niemand in den fensterlosen Zimmern war des Sklavenwohnbereiches war – abgesehen von Publius, der krank auf seinem Lager genas –ergab es keinen Sinn, warum, wenn es einer von ihnen sein sollte, dieser auf den Kranken und ihn Rücksicht nehmen sollte und ohne Licht durch die Gänge schlich. Geschickt verließ er sein Lager und nährte sich der verschlossenen Türe, kniete nieder und legte sein Ohr an das Holz, dabei schloss er die Augen, um sich von nichts anderen ablenken zu lasse.
Erst hörte er nichts, dann plötzlich: „ … Esca …“
Esca wich erschrocken ein Stück zurück. Kaum hörbar, ein Wispern bloß wie das Gespräch eines Blödsinnigen, der meinte mit den Göttern oder den eigenen Dämonen zu reden, hatte seinen Namen gesagt.
Konnte es Marcus sein? War deswegen die Musik unten verstummt, weil der Gast den Raum verlassen hatte? Kaum vorzustellen! Außerdem hatte er Marcus einen mehr als eindeutigen Grund geliefert, seine Anwesenheit für alle Zeiten zu meiden. Er wäre ein größerer Dummkopf als es sich der Brigante vorstellen wollte. Er beugte sich wieder an die Türe und lauschte erneut. Doch dieses Mal hörte er die Stimme nicht, nur das Schleifen war wieder zu hören. Er presste das Ohr noch fester gegen das Holz, doch störte nun anhebendes lautes, ja beinahe gellendes Gelächter die Stille und machte es Esca fast unmöglich, noch etwas zu verstehen. Er tastete deutlich nervöser werdend nach seinem Gürtel, aber dort befand sich nichts, was ihn hätte verteidigen können und ihm wurde klar– In der gesamten Kammer gab es nichts, um sich zu verteidigen.
„Vielleicht“, flüsterte ihm sein Gewissen ein, „sind das die Strafvollstrecker für meine Bluttat.“ Er wusste nicht, wie er unversehens auf diesen Gedanken kam, es fröstelte ihn. Er besann sich – niemals würde ein Mordtrupp sich eine solche Mühe machen und in die Villa einer angesehen und wohlhabenden Dame eindringen, um deren Sklave zu töten. Zudem wusste außer Marcus niemand, dass er hier war und erst recht nicht, dass es seine Schuld war, dass Belana ihr Leben lassen musste. So hieße das, es ging nicht um ihn, sondern es ging um die Herrin, vielleicht um ihren Schmuck. Aber warum kamen die Diebe dann ausgerechnet in den Trakt, in dem die Sklaven lebten? Oder waren sie von hier eingestiegen, um sich dann bis in die Gemächer der Cornelia vor zu stehlen? Aber was für ein aberwitziger Plan so ein Vorhaben ausgerechnet an dem Tag zu probieren, an dem ein Gastmahl stattfand! Oder war es gerade der Trubel und die Hektik, die prädestiniert dafür waren, um ihre Tat zu verschleiern? Würde man Diebe mit Gästen verwechseln können? Waren überhaupt noch andere Leute, außer Marcus, eingeladen gewesen?
Der Lärm ebbte ab und wieder bemühte sich Esca möglichst konzentrierte die Dunkelheit hinein zu hören. Da! Da war es wieder. Er horchte angestrengter und jetzt war er sich absolut sicher. Vor seiner Türe schlich nicht nur ein Unbekannter herum, nein, es waren zwei.
„Eloi, Eloi!“ [4] Eleasar drückte sich so eng es ging in die Vertiefung der verschlossenen Türe. Da stimmte etwas nicht. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Eigentlich war er doch der ungewünschte Besucher, der sich wie ein Dieb in der Nacht in einem fremden Haus aufhielt, aber was bzw. wen er gerade im Dunkeln noch knapp hatte erspähen können, bevor er selbst entdeckt worden wäre, schnürte ihm den Atem ab. Wenige Meter vor ihm waren zwei Schemen. Er hatte sie kaum gesehen, sie verschmolzen dank dunkler Umhänge fast vollständig mit der Finsternis um sie herum. Nur weil einer der beiden wohl seinem Gefährten etwas zugemurmelt hatte, hatte er noch rechtzeitig die Gefahr erkannt und sich augenblicklich versteckt. Doch jetzt saß er erst einmal fest. Auf keinen Fall wollte er riskieren von den eindeutig nicht zum Haus gehörigen Gestalten entdeckt zu werden, daher würde er bleiben wo er war. Doch was sollte er tun, wenn sie sich gleich umdrehen sollten, weil sie nicht fanden, was sie suchten? Und wie sollte er Esca finden, wenn sich nun neben den überall auftauchenden Sklaven auch noch zwei potenzielle Diebe, oder schlimmeres Gesindel, im Haus aufhielten? Oh, er verfluchte sich und seinen schwachen Willen, der ihn in diese bedrohliche Lage gebracht hatte. Er konnte rein gar nichts tun! Wenn er die Diebe verriet, würde er ebenfalls auffliegen und sich erklären müssen, bliebe er untätig, passierte womöglich ein noch größeres Unglück. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment, er besäße die Klugheit dieses gottlosen Griechen oder zumindest die geradlinige Entschiedenheit des Römers, doch er war auf sich allein gestellt. Wenn er nur ausharrte und sich ruhig verhielt, würde er, solange kein Licht entzündet würde und niemand versuchen sollte in das hinter ihm liegende Zimmer zu gelangen, sicher sein. Wie aber sollte er auf diese Weise Esca finden? Er war bereits an so vielen Orten gewesen. Unbemerkt hatte er einen Blick in die Küche werfen können; Marcus hatte, Gott weiß wie, erfahren, dass Esca dort häufig arbeitete. Mit einer an Dreistigkeit grenzenden Selbstverständlichkeit an dieser vorbeimarschiert, dass keiner des Küchenpersonals es als ungewöhnlich empfunden hatte den Christen zu sehen. Dieser hatte allerdings Esca nicht ausfindig machen können und war so schnell weitergehuscht. In die darauffolgenden Zimmer hatte er gespäht und durch den Spalt angelehnter Türen Sklaven begutachtet. Aber bisher hatte er bei keinem das Gefühl gehabt, dass das der Gesuchte unter ihnen gewesen war.
Von den Erzählungen kannte er ein paar Merkmale des Briganten wie seine Haarfarbe sowie dessen Statur und Eleasar hoffte, dass Escas Charakter, von dem beide Männer zwar nicht allzu viel berichtet hatten, ein Spiegel seiner Seele war und er diese offen auf seinem Angesicht tragen würde. Also Eleasar ihn erkannte, sobald er Escas Gesicht sah.
Was aber, wenn der Brigante bei Marcus und Cornelia war? Eleasar überlegte, was Marcus ihnen erklärt hatte. Sollte Esca nicht im Wohn- oder Arbeitsbereich der Sklaven zu finden sein, so wäre er sicher beim Gastgelage. Somit wäre es eigentlich dann an Marcus den Briganten rauszuholen oder hatte der Römer gesagt, man sollte sich verstecken und ihn hinterher abfangen?
Langsam beschlich ihn das ungute Gefühl, der Plan des Römers sei viel zu unausgereift und mit massig löchrigen Leerstellen versehen gewesen. Er hätte das von einem ehemaligen Centurio zwar nicht erwartet, aber es war ihnen nicht besonders viel Zeit für die Vorbereitungen geblieben, und jetzt schien sich diese Schlampigkeit zu rächen. Eleasar stieß im Kopf ein Stoßgebet zum Allmächtigen aus, in der Hoffnung dieser sei gerade nicht genauso beschäftigt wie die Haussklaven.
Doch sein Gott flüsterte ihm keine Hilfe zu, so musste er allein entscheiden, ob er weiter nach dem Briganten suchen wollte oder sich lieber zurückzog, weil die Situation hier zu gefährlich für ihn wurde? Die beiden Eindringlinge waren so weit weiter gegangen, dass er sich auf leisen Sohlen aus dem Staub machen konnte.
Sein schlechtes Gewissen meldete sich, konnte er das Haus so ahnungslos seinem Schicksal überlassen? Wenn es nicht nur Raub, sondern auch Totschlag geben würde und das nur, weil er geschwiegen hatte? Es war zum Verzweifeln. Was, wenn Esca doch nicht beim Gelage war, sondern irgendwo dahinten hinter einer Tür schlief? Dann wäre alles umsonst gewesen, weil er nicht den Mut gehabt hätte, seine Mission anständig zu beenden.
„Christus, gib mir Kraft“, flüsterte er bittend und traf seine Entscheidung. Er wollte den Fremden folgen und sehen, ob er feststellen konnte, was sie im Schilde führten, zugleich wollte er dabei die restlichen Räume nach dem Briganten absuchen. Wenn er ihn nicht gefunden hatte, wollte er sich einer der anderen Sklaven offenbaren und die Herrin Cornelia warnen, dass Räuber in ihr Haus eingedrungen seien. Über seine Bekanntschaft mit Marcus und Theofanos würde er stilschweigen bewahren, im Zweifelsfall lieber selbst gefangen genommen werden, sollte ihm keine Notlüge einfallen.
„Wenn ich je wieder aus Britannien wegkomme, habe ich meinem Episkopos eine Menge zu erzählen … und zu beichten“, dachte er trübselig, dann riss er sich zusammen, versicherte sich, dass die beiden Schatten nicht mehr zu hören waren und tastete sich halbblind auf die andere Seite der Wand, wo er die nächste Türe vermutete.
Esca hielt den Atem an. Er konnte es nicht fassen, aber es gab keinen Irrtum. Es war noch eine dritte Person dazugekommen und diese schien nicht, zu den beiden anderen zu gehören. Diese dritte Person war stehen geblieben und Esca hätte sie womöglich überhört, hätte das Holz der Türe des gegenüberliegenden Zimmers nicht ein ganz leises Knarzen von sich gegeben. Die anderen Geräuschverursacher hatten sich indes verzogen. Nun wartete der Brigante. Es kam ihm höchst seltsam vor, so viele Eindringlinge auf einmal im Haus der Cornelia entdecken zu müssen. Als hätte jemand einen Schwarm Hornissen aus seinem Sack gelassen. Brütend zog er sich ein Stück von der Türe zurück. Wenn sie etwas oder jemanden Spezielles suchten, würden sie sicher bald anfangen die Räume zu inspizieren. Solange der Dritte draußen war, konnte er seine Kammer nicht verlassen, unbewaffnet wie er war. Doch halt! Was war mit dem Dolch geschehen? Dem Dolch, den Marcus mitgebracht hatte und ihm vor die Füße geschmissen hatte, als er Escas Wunsch nach Vergeltung für Belanas sinnlosen Tod nicht nachkommen wollte? Er war sich sicher, Marcus nicht gesehen zu haben, wie er ihn wieder aufgehoben und mitgenommen hatte, also musste er noch in diesem Raum legen, in den Valentius sie geführt hatte. Oder war es einfacher sich in der Küche eine Waffe zu besorgen und gleich Alarm zu schlagen? Vorerst saß er fest. Doch bevor er weitere Schritte planen konnte, schien der dritte Eindringling sich ausgerechnet seiner Türe zu nähren!
Mit einem Satz sprang er in die Ecke neben der Türe. Schwang sie auf, würde sie ihn verdecken und mit etwas Glück würde er so dem Blick des Fremden entgehen. Allerdings hatte er nicht aufgepasst und das am Boden liegende Stroh, dass er mit seinen Füßen erwischte, hatte sehr eindeutig geraschelt.
„Verdammt!“, dachte er und spannte seinen Körper an, bereit, sich auf den anderen zu stürzen, sollte er kühn sein die Kammer zu betreten. Doch es passierte vorerst nichts. Das Rascheln des Strohs hatte der Anderen wohl auch vernommen und erschreckt, zumindest verunsichert und so versuchte zuerst niemand die Türe zu öffnen.
In Eleasar kochte es wie in einem Suppentopf. Auf seinen Handflächen bildeten sich kleine Schweißtropfen. „Da ist jemand drin!“, kroch es durch seinen Kopf. Erst hatte er ein eine Maus oder eine Ratte gedacht, aber dann war er auf die Idee gekommen, dass sich hinter der Türe eine Schlafkammer befinden könnte und dort jemand schlief, der nun durch einen unruhigen Traum oder ähnliches sich bewegt und seinen Schlafuntergrund in Bewegung versetzt hatte. Obwohl sein Verstand ihm einzureden versuchte, dass die Theorie mit den Nagetieren wesentlich wahrscheinlicher war, konnte er keinen Finger rühren. Seine Hand, die bereits nach dem Türgriff ausgestreckt war, zitterte leicht und verharrte in dieser Position. Es war fürchterlich, er hatte so viel Angst, dass er sogar noch das Verlangen spürte sich augenblicklich erleichtern zu müssen, was in dieser Situation undenkbar war. Doch Angst beflügelt mitunter die Ideen und so wollte er sich eines kleinen Tricks bedienen, um herauszufinden, mit wem oder was er es möglicherweise zu tun hatte und ob derjenige schlief oder wachte. Zuvor versicherte er sich, dass sonst keine Geräusche mehr aus dem Gang kam, dann konzentrierte er sich, dass seine Stimme fest und bestimmt klänge und sagte hörbar aber nicht allzu laut:
„Esca, bist du es?“
Dem Angesprochenen durchfuhr es heftig, als er so unvermittelt seinen Namen hörte. Obwohl die Stimme vertraulich gefragt hatte, war sich Esca sicher, sie nicht zu kennen. Aber was bedeutete das? Hatte man ihn entdeckt? Wäre es besser, sich zu erkennen zu geben, oder sollte er abwarten was geschah, wenn er auf die Anrede nicht reagierte?
Er zögerte, dann hörte er es wieder: „Esca?“ Die Stimme war nun deutlich leiser geworden und auch nahm der Brigante in ihr eine Verunsicherung wahr, die sie beinahe Flehen ließ. Sie schien sich demnach ebenfalls vor den Anderen zu fürchten, was nicht bedeutete, dass sie ungefährlich für ihn sein musste oder fürchtete sie sich womöglich vor ihm? Um dieser Unsicherheit, die auf beiden Seiten die Herzen zuschnürte zu entkommen, gab es für Esca nur einen logischen und möglichen Ausweg. Mit einer Seelenruhe antwortete er:
„Ich bin es. Wer ist da?“
Sein Herz machte einen Hüpfer vor Freude. Wer hätte damit rechnen können, dass gleich sein erster Versuch so belohnt würde? Er dankte Jesus dafür, ihm den nötigen Mut verliehen zu haben. Jetzt musste er nur aufpassen, dass Esca nicht misstrauisch gegen ihn wurde, ihm sonst womöglichst den Eintritt in die Kammer verweigerte und ihn so den schattenhaften Gestalten überlies, deren Absichten vollkommen im Dunkeln lagen. Etwas hastig, da es ihm bei dem Gedanken noch unwohler wurde, flüsterte er gegen die Tür: „Ich heiße Eleasar und bin ein Freund deiner Freunde Marcus Flavius Aquila und Gnaeus Sepronius Theofanos. Sie schicken mich, um dich zu entfü-“, er biss sich scherzhaft auf die Zunge, so klang es nach einer Straftat, selbst wenn genau das das Wort gewesen war, das Marcus zwar benutzt, aber sicher nicht so gemeint hatte, „… um dich aus deinem Sklavendasein zu befreien, in das du fälschlicherweise geraten bist.“ Er legte sein Ohr an die Türbretter und wartete mit klopfenden Herzen. Es war lange still, dann kam mit deutlich kühlerem Unterton die Antwort.
„Ist das Marcus‘ Idee gewesen?“
Eleasar fluchte innerlich. Musste dieser Mann sich ausgerechnet jetzt bockig stellen?
„Ja, ich weiß um eure momentan schwierige Lage, doch ich bitte dich, lass mich rein, hier sind Menschen auf den Gängen, deren Anwesenheit mir Unbehagen bereitet!“, jammerte Eleasar, den die Angst immer heftiger befiel. So entwich ihm ein Seufzen der Erleichterung, als tatsächlich die Tür von Innen geöffnet wurde.
In der Kammer war es genau so dunkel wie auf dem Gang, dennoch fühlte er sich auf Anhieb sicherer und schloss sofort die Holztür wieder hinter sich, sodass nun völlige Finsternis um sie herum herrschte.
„Ich würde normalerweise darum bitten ein Feuer zu entzünden, aber derzeit erscheint mir es als keine hilfreiche Sache“, gestand Eleasar, der sich nun an der Wand entlangtastete und sich irgendwann auf die Knie und dann auf den Hintern fallen ließ.
„Warum meint Marcus, man müsse mich aus meinen Sklavendasein befreien?“, ignorierte Esca die Entschuldigung, denn er traute der Stimme dessen Körper er bisher noch nicht gesehen hatte nicht, das gleiche galt auch für Eleasar. Marcus hatte bisher keinen Freund namens Eleasar erwähnt und Marcus feierte doch gerade fröhlich mit Cornelia das Leben, also weshalb so ein Theater?
Befangen stellte Eleasar eine weitere Fehlplanung des Marcus fest. Eigentlich war es Theofanos‘ Aufgabe gewesen, sich um die Überzeugungsarbeit zu kümmern. Marcus hatte darauf geschworen, dass Theofanos sicher die richtigen Worte finden würde, um ein so stures Brigantenherz umzustimmen; er war nur als Hilfe beim Einbruch und bei der Flucht gedacht gewesen.
Fieberhaft legte er sich Fragen zurecht, die Theofanos möglicherweise gestellt haben könnte, um, wie der alte Sokrates, Esca von selbst auf die Einsicht zu lenken, es wäre trotz seiner Tat besser frei zu sein als weiterhin Sklave.
Doch bevor Eleasar einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, lenkte sie ein gurgelndes Japsen ab, das so plötzlich verstummte, wie es erklungen war. Beide waren sich jedoch sicher, was es gewesen war.
„Es wurde jemanden die Kehle aufgeschlitzt“, sprach Esca das aus, was Eleasar voller Schrecken befürchtet hatte. Beiden war im selben Augenblick klar, wer es gewesen sein musste.
Eleasar schluckte, nervös meinte er: „Wäre die Flucht vor den Eindringlingen ein ausreichender Grund mit mir zu gehen?“
Esca, dem der Sinn nicht nach Witzen stand, fragte ernst: „Hast du eine Waffe bei dir?“
„Nein, ich bin Christ und führe keinen Waffen mit mir“, erwiderte Eleasar niedergeschlagen, es war das erste Mal in seinem Lebe, dass er so etwas wie Reue spürte, nicht einmal aus Vorsicht um sein eigenes Leben zumindest ein Messer mitgenommen zu haben.
„Weißt du wer das sind?“, fragte der Brigante weiter.
„Nein, ich wurde von ihnen genau so überrascht. Ich vermutete es seien Diebe, aber nun sind es Mörder!“
„Das hbae ich auch schon erkannt. Wir müssen hier raus und zu Cornelia, es darf nicht sein, dass in ihrem Haus gemeuchelt wird!“
Eleasar war froh, dass der Brigante nun das Kommando übernahm, er bejahte und fragte, ob sie es riskieren sollten, in einer überstürzten Flucht das Heil zu suchen.
„Kannst du schnell laufen?“, fragte Esca skeptisch, da er das Alter Eleasars nicht schätzen konnte.
„Ich werde müssen“, erwiderte dieser und klang, was ihn selbst erstaunte, so zuversichtlich, dass Esca beschloss auf eine überstürzte Flucht ankommen zu lassen.
„Gut, ich gebe ein Zeichen und dann laufen wir links herum den Gang entlang. Wir werden an einer Küche vorbeikommen und bereits dort Alarm schlagen, folge mir immer weiter. Cornelia hat keine richtigen Wachen, aber wenn wir zahlreich sind, werden wir die Mörder fassen!“
„Das klingt gut, aber welches Zeichen –?“, wollte Eleasar noch wissen, da rief Esca bereits:
„Los!“
**************************************
[1] So wie die Irrfahrt des Odysseus „Odyssee“ genannt wird, heißen die Abenteuer des römischen Helden Aeneas „Äneiden“.
[2] Ein geliebter des Apollons, der später in einen Trauerbaum verwandelt wird. In manchen Varianten soll es eine Zypresse gewesen sein (griechisch heißt die Zypresse kyparissos), woher der Baum also seinen Namen hätte. Die Gestalt des Peukos habe ich mir ausgedacht, ist aber auch dem Pflanzenreich entnommen und bezieht sich auf das (neugriechische) Wort „Pinie“. Diese galt spätestens bei den Römern als Symbole der Auferstehung und Unsterblichkeit.
[3] Die Knabenliebe der alten Griechen. Es gab bestimmte Regeln, wann zwei Männer bzw. ein erwachsener Mann und ein Knabe (Alter variierte und ist z. T. auch Gesprächsstoff in Platons „Gastmahl“).
[4] Mein Gott, Mein Gott, hebräisch. Manche mögen diesen Ausruf aus der Passionsgeschichte Mt 27,46 kennen, es ist aber eigentlich ein Zitat des Psalms 22,1.
ich habe nicht mehr geglaubt, dass ich hier noch ein mal etwas hochladen würde und ich bin überglücklich nach dieser wirklich wahnsinnig langen Zeit es doch geschafft zu haben, weiter zu schreiben und dadurch neue Hoffnung geschöpft habe, diese Geschichte doch noch beenden zu werden. Danke für alle Unterstützung, die ich erhalten habe und vielleicht noch erhalten werde.
ich Abe leider keine Beta-Leser*innen mehr, daher könnte es sein, dass der Stil und Inhalt sich etwas von dem der anderen Kapitel unterscheidet. ich bitte das zu entschuldigen, aber unbedingt anzumerken!
Jetzt wünsche ich euch viel Spaß! Und noch einmal vielen Dank für eure Treue! =)
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Eleasars Atem ging flach und hektisch. Die Gilde der Kaufmänner mussten zwar ein mutiges Herz haben – wer würde sich sonst trauen, meilenweit auf einem Schiff über die Meere zu segeln, wochen- manchmal monatelang von der Familie getrennt? – aber in diesem fremden Haus entdeckt zu werden, kam der Furcht vor dem Ertrinken schon sehr nahe. Seine Beine fühlten sich taub an, eine eigenartige Trockenheit hatte sich seines Mundes bemächtigt, die ihn nicht mehr schlucken ließ. Er hörte wie der Sklave Valentius Theofanos höflich bat, ihm zu folgen, und wie die beiden Männer kurz darauf weggingen. Wenn er sich aus seinem Versteck herauswagen konnte, dann jetzt in dieser kurzen Zeitspanne, bevor es zu einem weiteren ungewollten Zusammentreffen kommen konnte. Er wartete noch einen Moment, dann sprang er hervor und lief lautlos die Flure entlang. Er dankte der Einfallslosigkeit der römischen Architekten, die trotz einiger äußerlicher Variationen sich häufig an eine feste Grundrissform orientierten, weil sich diese als besonders praktisch oder besonders konform mit den Ansprüchen der Besitzer herausgestellt hatte. Er sollte also hoffentlich nicht allzu lange nach Esca suchen müssen. Bei Gott! Sollte der Junge nicht dort sein, wo sie ihn vermuteten, wäre das garantiert sein Untergang. Schließlich musste er sich darauf verlassen, dass Esca ihn mit heiler Haut wieder aus diesem Haus führte, da sich Theofanos augenblicklich darauf verlassen musste, dass Marcus ihn wiederum aus Cornelias‘ Haus führen würde.
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Theofanos schritt gleichmäßig hinter dem Sklaven her und ließ sich von ihm immer weiter in das Haus hineinführen. Zwischendurch huschten seine Augen hier und dort hin in die Räume, in der Hoffnung zufällig seinen Schützling zu entdecken. Aber die Villa wirkte merkwürdig unbewohnt, als habe die Herrin nur einen geringen Stab an Bediensteten. Plötzlich bedeutet ihm der Sklave anzuhalten. Theofanos Puls nahm Fahrt auf, was für ihn sehr ungewohnt war, war er ein doch sonst so ausgeglichener Mensch, der stets versuchte, einen kühlen Kopf in allen Situationen zu behalten. Allerdings waren seine Pläne selten so aus dem Ruder gelaufen wie an diesem Abend. Die Kontrolle zu verlieren, behagte ihm nicht, sie machte ihn angreifbar und unsicher. Immer wieder versicherte er sich selbst, dass Marcus klug genug sei, um sie nicht auffliegen zu lassen.
Laute Musik und heller Kerzenschein drangen zu ihnen und der Grieche meinte bereits die Stimmen von. Marcus und Cornelia vernehmen zu können.
„Was ist los? Warum gehen wir nicht hinein?“, erkundigte sich Theofanos, der sich keine Blöße geben wollte. Es war nicht üblich, Gäste warten zu lassen, wenn die Hausherrin es nicht selbst angeordnet hatte. Um also über jeden Verdacht erhaben zu sein, musste er nach dem Grund des Stopps fragen.
„Wie war nochmal dein Name?“ Der Slave wandte seinen Kopf und schaute den Philosophen unschuldig an, als ob er den Namen tatsächlich vergessen hätte. Theofanos aber roch eine Falle. Vielleicht wollte der Sklave prüfen, ob er noch einmal denselben Namen nannte wie vorhin oder ob er sich nun verplappern würde, überrumpelt von der unerwarteten Frage.
„Theofanos.“
„Und Marcus habe nach dir geschickt? Als Überraschungsgast?“
„Ja, das sagte ich bereits.“
„So, nun dann muss ich mich entschuldigen, meine Herrin weiß bereits von dir. Die Überraschung ist also leicht verdorben. Normalerweise sprechen die Gäste auch solche Überraschungen vorher mit einem der Hausklaven ab. Meistens mit mir.“
„Nun, ich nahm an, das hätte Marcus Flavius Aquila getan. Ich konnte es ja schlecht selbst tun und musste mich auf sein Wort verlassen. Daher behaupte ich, dass du mir keine Vorwürfe machen solltest. Es ist nicht mein Missgeschick“, bemerkte Theofanos spitz. Es tat ihm leid, schließlich kannte er ebenfalls das Los eines Sklaven, aber dieser Lockenkopf begegnete ihm mit so viel Misstrauen, sodass er ebenfalls zu einem anderen Umgangston greifen musste.
Und in der Tat wirkte Valentius beeindruckt, vielleicht sogar etwas gekränkt. Er nickte nur und führte ihn dann laut ankündigend in den Raum. Augenblicklich verklang die Musik.
Marcus Überraschung hätte nicht größer sein könne, als er Valentius‘ Worten entnahm, wer ihm da folgte. Bei allen Göttern, es musste etwas schiefgelaufen sein, dachte Marcus und der Schweiß trat ich dabei auf die Stirn. Seine Bestürzung spiegelte sich so deutlich auf seinen Zügen wider, dass Theofanos sich genötigt sah, einzugreifen, um seine Lüge vor einem unbedachten Wort des Marcus‘ zu schützen. Mit blumigen Worten überbrachte Theofanos der Herrin Cornelia, damit sie ihrem Gast ja nicht ins Gesicht sah, die lieblichsten Grüße, in denen er zugleich ihre Schönheit pries, um einen guten Eindruck zu machen. Diese bedankte sich höflich und wenig beeindruckt, stattdessen erkundigte sie sich neugierig nach dem Grund seines unerwarteten Auftritts.
„Euer Gast, Marcus Flavius Aquila, bat mich heute zu den Festlichkeiten zu erscheinen“, begann er und registrierte einen Anflug von Erleichterung in Marcus‘ Blick, er hatte jetzt wohl erst verstanden, dass sie noch nicht Enttarnt worden waren.
„Meine Kunst ist die Sprache. Marcus liebt die Musik und den Wein, aber vor allem das gesprochene Wort!“
„So? Heute Abend hielt er sich mit seinen eigenen Worten noch sehr zurück“, erwiderte Cornelia, die sich dabei ein Zucken ihrer Lippen nicht verkneifen konnte.
„Oh, so war es auch nicht gemeint. Was Marcus selbst nicht hervorbringt, das hört er umso lieber und ich, Herrin Cornelia, bin ein hervorragender Redner.“
Marcus ärgerte sich. Sowohl über die Anspielung von Cornelia als auch über Theofanos‘ Unverschämtheiten. Aber in Anbetracht der Umstände war ein wohlwollendes Lächeln angebrachter und so zwang er sich zu einem wenigstens ansatzweisen freundlichen Lippenspiel, von dem er meinte, es sage so viel wie „Verzeiht, aber so ist es“.
„Also Marcus ist ein Freund des Wortes? Wollst du uns heute als ein Einziger ein ganzes Bühnenstück vorspielen oder uns die Äneide [1] mit all ihren Versen ins Gedächtnis rufen? Ach nein, tu Letzteres nicht, es soll ein fröhliches Gelage werden und kein Trauerspiel. Es berührt mich immer zu sehr, wenn Aeneas Dido verlässt und diese sich aus Kummer das Leben nimmt.“ Bei ihren letzten Worten verdrehte die Hausherrin gespielt die Augen und hob theatralisch die Hände vor die Augen, was ihr einen beinahe mädchenhaften Habitus verlieh, der gar nicht zu ihrer sonst so strengen Art passte und sicher auf den bereits konsumierten Wein zurückzuführen war.
„Herrin Cornelia, nichts dergleichen würde ich euch antuen wollen! Ganz im Gegenteil, ich möchte diese muntere Gesellschaft noch weiter dazu animieren, sich den süßen Gelüsten des Dionysos, also des Bacchus hinzugeben und würde euch gerne eine Geschichte erzählen, die mir ein altes Weib einst erzählte, bevor ich hier nach Britannia kam. Sie handelt von dem Gott Apollon und seiner unglücklichen Liebschaft zu Peukos, die vielleicht in manchem Detail seiner Liebe zu Kyparissos [2] ähnelt. “
Für einen kurze Moment glaubte Marcus bei der Erwähnung des Namens Kyparissos ein erstauntes Stutzen bei Cornelia wahrzunehmen, aber die Herrin des Hauses lächelte milde, fragte dann aber interessiert nach:
„So willst du also doch eine Geschichte über die Päderastie [3] des Apollo erzählen, obwohl ich gerade verbat mein Herz zu betrüben, so wissen doch alle hier im Raum, dass die Liebe des Musen anführenden Gottes zu oft eine scheiternde war?“
„Herrin“, setzte Theofanos an, den es reizte mit einer ebenbürtigen Gegnerin das Für und Wider seiner Wahl zu diskurrieren, allerdings musste er sich in Acht nehmen, nicht über das Ziel hinaus zu schießen, um Cornelia nachher nicht noch mit seinen Widerworten zu verärgern. Sollte die Stimmung des Festes kippen, würde Cornelia sie hinauswerfen lassen und der arme Eleasar würde sicherlich entdeckt werden. So beschloss er mit Witz und Charme vorzugehen, sodass er die kleine Gesellschaft bei Laune hielt.
„Herrin“, betonte er daher erneut mit gewichtigem Nachdruck, „ich schöre bei der Weisheit der alten Lehrer, deren Ehre ich niemals einen schändlichen Schlag zu versetzen wagen würde, deine Tränen werden nur der Rührung und des Vergnügens wegen fließen. Sollte auch nur ein trauriger Gedanke in meiner Geschichte zu finden sein, so soll mein und Marcus‘ Namen auf dem Marktplatz als hässliche Lügner ausgehängt werden!“
Von dieser Vorstellung entzückt, klatschte Cornelia begeistert in die Hände, erhob sich von ihrer Cathedra und streckte Theofanos beide Hände als Zeichen ihrer Zustimmung und Zuneigung entgegen. Dieser ergriff sie sogleich und neigte demütig das Haupt. Marcus gefiel die Vorstellung als theofanos’schen Eidanteil benutzt zu werden, gar nicht. Genau so wenig wie er sich fragte, ob der Grieche mit Absicht eine so auffällige Geschichte ausgewählt hatte und worauf sie hinauslaufen sollte? Ihn gerade in dieser Gesellschaft vorzuführen, erschien ihm riskant. Wenn er allerdings Einwände hervorbrachte, würde sicherlich die Frage auftauchen, warum er nicht zuvor die Auswahl der Geschichten festgesetzt habe. Also unterstützte er Escas Freund stattdessen und bekräftigte: „Cornelia, ich versichere, eine passendere Geschichte wird sich selten auf einem Gastmahl finden lassen. Ist es nicht schön die alten Mären durch Neue neu betrachten zu können?“
Cornelia, die mittlerweile wahres Gefallen an dieser im wahrsten Sinne des Wortes „Überraschung“ gefunden hatte, stimmte ohne Einschränkungen zu.
„Lass dem Theofanos eine Kline bringen, stell sie gegenüber der des Marcus“, wies sie Valentius an. Der verzog missbilligend, da er den forschen Worten des Theofanos keinen Glauben schenken wollte, den Mund, wagte aber auch nicht in diesem Moment da Cornelias Gast im Raum war, zu widersprechen, sondern wendete auf dem Absatz, gab mit einem kurzen Wink einer der Diener, die bisher nur mit einem unberührten Tablett in einer Ecke gestanden hatte, ein Zeichen ihm zu folgen und verschwand.
*
Esca war sich sicher, er hatte ein Geräusch gehört. Natürlich hörte man in diesem Haus andauernd Geräusche. Neben den anderen Sklaven bewohnten auch genügend ungeliebte Nagetiere und deren Fressfeinde das Haus. Im Gebälk vermutete Esca schon länger eine Eule als Mitbewohnerin, außerdem wohnte eine ganze Fuchsschar in der Nähe der Villa. Deren Geheule war in manchen Nächsten so scheußlich laut zu hören, dass man kaum schlafen konnte. Trotzdem, dieses Geräusch war anders gewesen. Auffälliger. Wie jemand, der durch die Gänge schlich dabei aber seine Füße nicht richtig hob und auf diese Weise die Schuhe ein leises schleifendes Geräusch von sich gaben. Doch es war zu schnell verschwunden, als dass er sich sicher sein konnte. Es fiel kein Licht vom Flur in seine Kammer, in der er schon vor längerem die Kerze gelöscht hatte, nachdem er frustriert festgestellt hatte, dass sich ab einem bestimmten Punkt keine offensichtlichen Verbesserungen weder in seiner Lesekunst noch in seinen Schreibübungen vorweisen ließen.
Nachdem er erst bezweifelt hatte, diese Nacht überhaupt noch einmal ein Auge zu tun zu können, bei dem Krach der bis zu ihm drang, war es plötzlich still geworden und Esca fragte sich, mit einem nervösen Bauchgeühl, was wohl der Grund für das Verstummen des Spiels gewesen sein mochte.
Die strikte Anweisung seine Kammer nicht zu verlassen, kam ihm jetzt seltsam vor. Als wollte Cornelia von Anfang an ein Treffen zwischen Esca und Marcus verhindern. Erneut von anrüchigen Phantasien geplagt, konzentrierte er sich wieder auf die Geräusche, die von drau0en gekommen waren. Da außer ihm niemand in den fensterlosen Zimmern war des Sklavenwohnbereiches war – abgesehen von Publius, der krank auf seinem Lager genas –ergab es keinen Sinn, warum, wenn es einer von ihnen sein sollte, dieser auf den Kranken und ihn Rücksicht nehmen sollte und ohne Licht durch die Gänge schlich. Geschickt verließ er sein Lager und nährte sich der verschlossenen Türe, kniete nieder und legte sein Ohr an das Holz, dabei schloss er die Augen, um sich von nichts anderen ablenken zu lasse.
Erst hörte er nichts, dann plötzlich: „ … Esca …“
Esca wich erschrocken ein Stück zurück. Kaum hörbar, ein Wispern bloß wie das Gespräch eines Blödsinnigen, der meinte mit den Göttern oder den eigenen Dämonen zu reden, hatte seinen Namen gesagt.
Konnte es Marcus sein? War deswegen die Musik unten verstummt, weil der Gast den Raum verlassen hatte? Kaum vorzustellen! Außerdem hatte er Marcus einen mehr als eindeutigen Grund geliefert, seine Anwesenheit für alle Zeiten zu meiden. Er wäre ein größerer Dummkopf als es sich der Brigante vorstellen wollte. Er beugte sich wieder an die Türe und lauschte erneut. Doch dieses Mal hörte er die Stimme nicht, nur das Schleifen war wieder zu hören. Er presste das Ohr noch fester gegen das Holz, doch störte nun anhebendes lautes, ja beinahe gellendes Gelächter die Stille und machte es Esca fast unmöglich, noch etwas zu verstehen. Er tastete deutlich nervöser werdend nach seinem Gürtel, aber dort befand sich nichts, was ihn hätte verteidigen können und ihm wurde klar– In der gesamten Kammer gab es nichts, um sich zu verteidigen.
„Vielleicht“, flüsterte ihm sein Gewissen ein, „sind das die Strafvollstrecker für meine Bluttat.“ Er wusste nicht, wie er unversehens auf diesen Gedanken kam, es fröstelte ihn. Er besann sich – niemals würde ein Mordtrupp sich eine solche Mühe machen und in die Villa einer angesehen und wohlhabenden Dame eindringen, um deren Sklave zu töten. Zudem wusste außer Marcus niemand, dass er hier war und erst recht nicht, dass es seine Schuld war, dass Belana ihr Leben lassen musste. So hieße das, es ging nicht um ihn, sondern es ging um die Herrin, vielleicht um ihren Schmuck. Aber warum kamen die Diebe dann ausgerechnet in den Trakt, in dem die Sklaven lebten? Oder waren sie von hier eingestiegen, um sich dann bis in die Gemächer der Cornelia vor zu stehlen? Aber was für ein aberwitziger Plan so ein Vorhaben ausgerechnet an dem Tag zu probieren, an dem ein Gastmahl stattfand! Oder war es gerade der Trubel und die Hektik, die prädestiniert dafür waren, um ihre Tat zu verschleiern? Würde man Diebe mit Gästen verwechseln können? Waren überhaupt noch andere Leute, außer Marcus, eingeladen gewesen?
Der Lärm ebbte ab und wieder bemühte sich Esca möglichst konzentrierte die Dunkelheit hinein zu hören. Da! Da war es wieder. Er horchte angestrengter und jetzt war er sich absolut sicher. Vor seiner Türe schlich nicht nur ein Unbekannter herum, nein, es waren zwei.
*
„Eloi, Eloi!“ [4] Eleasar drückte sich so eng es ging in die Vertiefung der verschlossenen Türe. Da stimmte etwas nicht. Da stimmte etwas ganz und gar nicht. Eigentlich war er doch der ungewünschte Besucher, der sich wie ein Dieb in der Nacht in einem fremden Haus aufhielt, aber was bzw. wen er gerade im Dunkeln noch knapp hatte erspähen können, bevor er selbst entdeckt worden wäre, schnürte ihm den Atem ab. Wenige Meter vor ihm waren zwei Schemen. Er hatte sie kaum gesehen, sie verschmolzen dank dunkler Umhänge fast vollständig mit der Finsternis um sie herum. Nur weil einer der beiden wohl seinem Gefährten etwas zugemurmelt hatte, hatte er noch rechtzeitig die Gefahr erkannt und sich augenblicklich versteckt. Doch jetzt saß er erst einmal fest. Auf keinen Fall wollte er riskieren von den eindeutig nicht zum Haus gehörigen Gestalten entdeckt zu werden, daher würde er bleiben wo er war. Doch was sollte er tun, wenn sie sich gleich umdrehen sollten, weil sie nicht fanden, was sie suchten? Und wie sollte er Esca finden, wenn sich nun neben den überall auftauchenden Sklaven auch noch zwei potenzielle Diebe, oder schlimmeres Gesindel, im Haus aufhielten? Oh, er verfluchte sich und seinen schwachen Willen, der ihn in diese bedrohliche Lage gebracht hatte. Er konnte rein gar nichts tun! Wenn er die Diebe verriet, würde er ebenfalls auffliegen und sich erklären müssen, bliebe er untätig, passierte womöglich ein noch größeres Unglück. Wie sehr wünschte er sich in diesem Moment, er besäße die Klugheit dieses gottlosen Griechen oder zumindest die geradlinige Entschiedenheit des Römers, doch er war auf sich allein gestellt. Wenn er nur ausharrte und sich ruhig verhielt, würde er, solange kein Licht entzündet würde und niemand versuchen sollte in das hinter ihm liegende Zimmer zu gelangen, sicher sein. Wie aber sollte er auf diese Weise Esca finden? Er war bereits an so vielen Orten gewesen. Unbemerkt hatte er einen Blick in die Küche werfen können; Marcus hatte, Gott weiß wie, erfahren, dass Esca dort häufig arbeitete. Mit einer an Dreistigkeit grenzenden Selbstverständlichkeit an dieser vorbeimarschiert, dass keiner des Küchenpersonals es als ungewöhnlich empfunden hatte den Christen zu sehen. Dieser hatte allerdings Esca nicht ausfindig machen können und war so schnell weitergehuscht. In die darauffolgenden Zimmer hatte er gespäht und durch den Spalt angelehnter Türen Sklaven begutachtet. Aber bisher hatte er bei keinem das Gefühl gehabt, dass das der Gesuchte unter ihnen gewesen war.
Von den Erzählungen kannte er ein paar Merkmale des Briganten wie seine Haarfarbe sowie dessen Statur und Eleasar hoffte, dass Escas Charakter, von dem beide Männer zwar nicht allzu viel berichtet hatten, ein Spiegel seiner Seele war und er diese offen auf seinem Angesicht tragen würde. Also Eleasar ihn erkannte, sobald er Escas Gesicht sah.
Was aber, wenn der Brigante bei Marcus und Cornelia war? Eleasar überlegte, was Marcus ihnen erklärt hatte. Sollte Esca nicht im Wohn- oder Arbeitsbereich der Sklaven zu finden sein, so wäre er sicher beim Gastgelage. Somit wäre es eigentlich dann an Marcus den Briganten rauszuholen oder hatte der Römer gesagt, man sollte sich verstecken und ihn hinterher abfangen?
Langsam beschlich ihn das ungute Gefühl, der Plan des Römers sei viel zu unausgereift und mit massig löchrigen Leerstellen versehen gewesen. Er hätte das von einem ehemaligen Centurio zwar nicht erwartet, aber es war ihnen nicht besonders viel Zeit für die Vorbereitungen geblieben, und jetzt schien sich diese Schlampigkeit zu rächen. Eleasar stieß im Kopf ein Stoßgebet zum Allmächtigen aus, in der Hoffnung dieser sei gerade nicht genauso beschäftigt wie die Haussklaven.
Doch sein Gott flüsterte ihm keine Hilfe zu, so musste er allein entscheiden, ob er weiter nach dem Briganten suchen wollte oder sich lieber zurückzog, weil die Situation hier zu gefährlich für ihn wurde? Die beiden Eindringlinge waren so weit weiter gegangen, dass er sich auf leisen Sohlen aus dem Staub machen konnte.
Sein schlechtes Gewissen meldete sich, konnte er das Haus so ahnungslos seinem Schicksal überlassen? Wenn es nicht nur Raub, sondern auch Totschlag geben würde und das nur, weil er geschwiegen hatte? Es war zum Verzweifeln. Was, wenn Esca doch nicht beim Gelage war, sondern irgendwo dahinten hinter einer Tür schlief? Dann wäre alles umsonst gewesen, weil er nicht den Mut gehabt hätte, seine Mission anständig zu beenden.
„Christus, gib mir Kraft“, flüsterte er bittend und traf seine Entscheidung. Er wollte den Fremden folgen und sehen, ob er feststellen konnte, was sie im Schilde führten, zugleich wollte er dabei die restlichen Räume nach dem Briganten absuchen. Wenn er ihn nicht gefunden hatte, wollte er sich einer der anderen Sklaven offenbaren und die Herrin Cornelia warnen, dass Räuber in ihr Haus eingedrungen seien. Über seine Bekanntschaft mit Marcus und Theofanos würde er stilschweigen bewahren, im Zweifelsfall lieber selbst gefangen genommen werden, sollte ihm keine Notlüge einfallen.
„Wenn ich je wieder aus Britannien wegkomme, habe ich meinem Episkopos eine Menge zu erzählen … und zu beichten“, dachte er trübselig, dann riss er sich zusammen, versicherte sich, dass die beiden Schatten nicht mehr zu hören waren und tastete sich halbblind auf die andere Seite der Wand, wo er die nächste Türe vermutete.
*
Esca hielt den Atem an. Er konnte es nicht fassen, aber es gab keinen Irrtum. Es war noch eine dritte Person dazugekommen und diese schien nicht, zu den beiden anderen zu gehören. Diese dritte Person war stehen geblieben und Esca hätte sie womöglich überhört, hätte das Holz der Türe des gegenüberliegenden Zimmers nicht ein ganz leises Knarzen von sich gegeben. Die anderen Geräuschverursacher hatten sich indes verzogen. Nun wartete der Brigante. Es kam ihm höchst seltsam vor, so viele Eindringlinge auf einmal im Haus der Cornelia entdecken zu müssen. Als hätte jemand einen Schwarm Hornissen aus seinem Sack gelassen. Brütend zog er sich ein Stück von der Türe zurück. Wenn sie etwas oder jemanden Spezielles suchten, würden sie sicher bald anfangen die Räume zu inspizieren. Solange der Dritte draußen war, konnte er seine Kammer nicht verlassen, unbewaffnet wie er war. Doch halt! Was war mit dem Dolch geschehen? Dem Dolch, den Marcus mitgebracht hatte und ihm vor die Füße geschmissen hatte, als er Escas Wunsch nach Vergeltung für Belanas sinnlosen Tod nicht nachkommen wollte? Er war sich sicher, Marcus nicht gesehen zu haben, wie er ihn wieder aufgehoben und mitgenommen hatte, also musste er noch in diesem Raum legen, in den Valentius sie geführt hatte. Oder war es einfacher sich in der Küche eine Waffe zu besorgen und gleich Alarm zu schlagen? Vorerst saß er fest. Doch bevor er weitere Schritte planen konnte, schien der dritte Eindringling sich ausgerechnet seiner Türe zu nähren!
Mit einem Satz sprang er in die Ecke neben der Türe. Schwang sie auf, würde sie ihn verdecken und mit etwas Glück würde er so dem Blick des Fremden entgehen. Allerdings hatte er nicht aufgepasst und das am Boden liegende Stroh, dass er mit seinen Füßen erwischte, hatte sehr eindeutig geraschelt.
„Verdammt!“, dachte er und spannte seinen Körper an, bereit, sich auf den anderen zu stürzen, sollte er kühn sein die Kammer zu betreten. Doch es passierte vorerst nichts. Das Rascheln des Strohs hatte der Anderen wohl auch vernommen und erschreckt, zumindest verunsichert und so versuchte zuerst niemand die Türe zu öffnen.
*
In Eleasar kochte es wie in einem Suppentopf. Auf seinen Handflächen bildeten sich kleine Schweißtropfen. „Da ist jemand drin!“, kroch es durch seinen Kopf. Erst hatte er ein eine Maus oder eine Ratte gedacht, aber dann war er auf die Idee gekommen, dass sich hinter der Türe eine Schlafkammer befinden könnte und dort jemand schlief, der nun durch einen unruhigen Traum oder ähnliches sich bewegt und seinen Schlafuntergrund in Bewegung versetzt hatte. Obwohl sein Verstand ihm einzureden versuchte, dass die Theorie mit den Nagetieren wesentlich wahrscheinlicher war, konnte er keinen Finger rühren. Seine Hand, die bereits nach dem Türgriff ausgestreckt war, zitterte leicht und verharrte in dieser Position. Es war fürchterlich, er hatte so viel Angst, dass er sogar noch das Verlangen spürte sich augenblicklich erleichtern zu müssen, was in dieser Situation undenkbar war. Doch Angst beflügelt mitunter die Ideen und so wollte er sich eines kleinen Tricks bedienen, um herauszufinden, mit wem oder was er es möglicherweise zu tun hatte und ob derjenige schlief oder wachte. Zuvor versicherte er sich, dass sonst keine Geräusche mehr aus dem Gang kam, dann konzentrierte er sich, dass seine Stimme fest und bestimmt klänge und sagte hörbar aber nicht allzu laut:
„Esca, bist du es?“
*
Dem Angesprochenen durchfuhr es heftig, als er so unvermittelt seinen Namen hörte. Obwohl die Stimme vertraulich gefragt hatte, war sich Esca sicher, sie nicht zu kennen. Aber was bedeutete das? Hatte man ihn entdeckt? Wäre es besser, sich zu erkennen zu geben, oder sollte er abwarten was geschah, wenn er auf die Anrede nicht reagierte?
Er zögerte, dann hörte er es wieder: „Esca?“ Die Stimme war nun deutlich leiser geworden und auch nahm der Brigante in ihr eine Verunsicherung wahr, die sie beinahe Flehen ließ. Sie schien sich demnach ebenfalls vor den Anderen zu fürchten, was nicht bedeutete, dass sie ungefährlich für ihn sein musste oder fürchtete sie sich womöglich vor ihm? Um dieser Unsicherheit, die auf beiden Seiten die Herzen zuschnürte zu entkommen, gab es für Esca nur einen logischen und möglichen Ausweg. Mit einer Seelenruhe antwortete er:
„Ich bin es. Wer ist da?“
*
Sein Herz machte einen Hüpfer vor Freude. Wer hätte damit rechnen können, dass gleich sein erster Versuch so belohnt würde? Er dankte Jesus dafür, ihm den nötigen Mut verliehen zu haben. Jetzt musste er nur aufpassen, dass Esca nicht misstrauisch gegen ihn wurde, ihm sonst womöglichst den Eintritt in die Kammer verweigerte und ihn so den schattenhaften Gestalten überlies, deren Absichten vollkommen im Dunkeln lagen. Etwas hastig, da es ihm bei dem Gedanken noch unwohler wurde, flüsterte er gegen die Tür: „Ich heiße Eleasar und bin ein Freund deiner Freunde Marcus Flavius Aquila und Gnaeus Sepronius Theofanos. Sie schicken mich, um dich zu entfü-“, er biss sich scherzhaft auf die Zunge, so klang es nach einer Straftat, selbst wenn genau das das Wort gewesen war, das Marcus zwar benutzt, aber sicher nicht so gemeint hatte, „… um dich aus deinem Sklavendasein zu befreien, in das du fälschlicherweise geraten bist.“ Er legte sein Ohr an die Türbretter und wartete mit klopfenden Herzen. Es war lange still, dann kam mit deutlich kühlerem Unterton die Antwort.
„Ist das Marcus‘ Idee gewesen?“
Eleasar fluchte innerlich. Musste dieser Mann sich ausgerechnet jetzt bockig stellen?
„Ja, ich weiß um eure momentan schwierige Lage, doch ich bitte dich, lass mich rein, hier sind Menschen auf den Gängen, deren Anwesenheit mir Unbehagen bereitet!“, jammerte Eleasar, den die Angst immer heftiger befiel. So entwich ihm ein Seufzen der Erleichterung, als tatsächlich die Tür von Innen geöffnet wurde.
In der Kammer war es genau so dunkel wie auf dem Gang, dennoch fühlte er sich auf Anhieb sicherer und schloss sofort die Holztür wieder hinter sich, sodass nun völlige Finsternis um sie herum herrschte.
„Ich würde normalerweise darum bitten ein Feuer zu entzünden, aber derzeit erscheint mir es als keine hilfreiche Sache“, gestand Eleasar, der sich nun an der Wand entlangtastete und sich irgendwann auf die Knie und dann auf den Hintern fallen ließ.
„Warum meint Marcus, man müsse mich aus meinen Sklavendasein befreien?“, ignorierte Esca die Entschuldigung, denn er traute der Stimme dessen Körper er bisher noch nicht gesehen hatte nicht, das gleiche galt auch für Eleasar. Marcus hatte bisher keinen Freund namens Eleasar erwähnt und Marcus feierte doch gerade fröhlich mit Cornelia das Leben, also weshalb so ein Theater?
Befangen stellte Eleasar eine weitere Fehlplanung des Marcus fest. Eigentlich war es Theofanos‘ Aufgabe gewesen, sich um die Überzeugungsarbeit zu kümmern. Marcus hatte darauf geschworen, dass Theofanos sicher die richtigen Worte finden würde, um ein so stures Brigantenherz umzustimmen; er war nur als Hilfe beim Einbruch und bei der Flucht gedacht gewesen.
Fieberhaft legte er sich Fragen zurecht, die Theofanos möglicherweise gestellt haben könnte, um, wie der alte Sokrates, Esca von selbst auf die Einsicht zu lenken, es wäre trotz seiner Tat besser frei zu sein als weiterhin Sklave.
Doch bevor Eleasar einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, lenkte sie ein gurgelndes Japsen ab, das so plötzlich verstummte, wie es erklungen war. Beide waren sich jedoch sicher, was es gewesen war.
„Es wurde jemanden die Kehle aufgeschlitzt“, sprach Esca das aus, was Eleasar voller Schrecken befürchtet hatte. Beiden war im selben Augenblick klar, wer es gewesen sein musste.
Eleasar schluckte, nervös meinte er: „Wäre die Flucht vor den Eindringlingen ein ausreichender Grund mit mir zu gehen?“
Esca, dem der Sinn nicht nach Witzen stand, fragte ernst: „Hast du eine Waffe bei dir?“
„Nein, ich bin Christ und führe keinen Waffen mit mir“, erwiderte Eleasar niedergeschlagen, es war das erste Mal in seinem Lebe, dass er so etwas wie Reue spürte, nicht einmal aus Vorsicht um sein eigenes Leben zumindest ein Messer mitgenommen zu haben.
„Weißt du wer das sind?“, fragte der Brigante weiter.
„Nein, ich wurde von ihnen genau so überrascht. Ich vermutete es seien Diebe, aber nun sind es Mörder!“
„Das hbae ich auch schon erkannt. Wir müssen hier raus und zu Cornelia, es darf nicht sein, dass in ihrem Haus gemeuchelt wird!“
Eleasar war froh, dass der Brigante nun das Kommando übernahm, er bejahte und fragte, ob sie es riskieren sollten, in einer überstürzten Flucht das Heil zu suchen.
„Kannst du schnell laufen?“, fragte Esca skeptisch, da er das Alter Eleasars nicht schätzen konnte.
„Ich werde müssen“, erwiderte dieser und klang, was ihn selbst erstaunte, so zuversichtlich, dass Esca beschloss auf eine überstürzte Flucht ankommen zu lassen.
„Gut, ich gebe ein Zeichen und dann laufen wir links herum den Gang entlang. Wir werden an einer Küche vorbeikommen und bereits dort Alarm schlagen, folge mir immer weiter. Cornelia hat keine richtigen Wachen, aber wenn wir zahlreich sind, werden wir die Mörder fassen!“
„Das klingt gut, aber welches Zeichen –?“, wollte Eleasar noch wissen, da rief Esca bereits:
„Los!“
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[1] So wie die Irrfahrt des Odysseus „Odyssee“ genannt wird, heißen die Abenteuer des römischen Helden Aeneas „Äneiden“.
[2] Ein geliebter des Apollons, der später in einen Trauerbaum verwandelt wird. In manchen Varianten soll es eine Zypresse gewesen sein (griechisch heißt die Zypresse kyparissos), woher der Baum also seinen Namen hätte. Die Gestalt des Peukos habe ich mir ausgedacht, ist aber auch dem Pflanzenreich entnommen und bezieht sich auf das (neugriechische) Wort „Pinie“. Diese galt spätestens bei den Römern als Symbole der Auferstehung und Unsterblichkeit.
[3] Die Knabenliebe der alten Griechen. Es gab bestimmte Regeln, wann zwei Männer bzw. ein erwachsener Mann und ein Knabe (Alter variierte und ist z. T. auch Gesprächsstoff in Platons „Gastmahl“).
[4] Mein Gott, Mein Gott, hebräisch. Manche mögen diesen Ausruf aus der Passionsgeschichte Mt 27,46 kennen, es ist aber eigentlich ein Zitat des Psalms 22,1.