Das Schicksal findet seinen Weg
von Kaetzchen89
Kurzbeschreibung
Wir schreiben das Jahr 141 n. Chr. Seit beinahe drei Jahren ist Antoninus Pius neuer Imperator Roms. Marcus Flavius Aquila und sein ehemaliger Sklave Esca wollen, nachdem sie den goldenen Adler der neunten Legion zurückgeholt haben, ihre neu erworbene Freiheit genießen. Marcus hatte Esca versprochen, dass er ihr neues Ziel bestimmen darf. Doch wohin wird sie die Reise führen? Wie lange werden sie dieses Mal unterwegs sein? Und wie sieht es überhaupt mit der Beziehung der beiden aus? Werden sie es schaffen, ihre Gefühle füreinander zu akzeptieren? Oder war letzten Endes alles nur Schein? Diese Reise wird Entscheidungen fordern, die beide zuvor nie fällen mussten.Nach dem Film "Der Adler der neunten Legion" oder "The Eagle".
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
9
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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06.08.2017
10.331
Liebe Leser,
es gibt mich noch, doch bin ich gerade schon wieder auf dem Sprung in den Uralub. Dennoch wollte ich euch das neue Kapitel ENDLICH präsentieren - danke an alle, die geschrieben und mich motiviert haben. Es hilft tatsächlich und ich möchte die Geschichte schließlich auch abschließen (nein, das ist nicht das letzte Kapitel).
Vielen lieben Dank auch an meine Betaleserinnen, die wieder alle logischen Fehler entdeckt haben.^^
Da ihr solange warten musstet, ist das Kapitel etwas länger ausgefallen.
Danke ihr da draußen!
Liebe Grüße
Kätzchen
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Esca war zwar noch nicht lange im Haus der Cornelia, dennoch kam ihm der Aufwand, den die Herrin für ihren Gast veranstalten ließ, sehr aufwendig vor. Schließlich hatte Marcus sich als Marcellus Unterhändler vorgestellt und nicht als Konsul. Doch seitdem die Kunde rumgegangen war, dass ein erneutes Festessen stattfinden sollte, gab es kaum noch einen Sklaven, ganz gleich ob Mann oder Frau, der von Valentius oder einem anderen Aufseher nicht irgendeine Aufgabe zugeschoben bekam und war sie noch so banal. Sobald eine Arbeit erledigt war, stand bereits die nächste wartend in der Türe. Alles sollte glänzen – selbstverständlich. Die Küche hatte so viele Speiseaufträge erhalten, dass die armen Köche jetzt schon zwei Tage früher mit den Vorbereitungen anfangen mussten, um die ganzen Gänge überhaupt bis zum Symposium fertig zu haben. Selbst die Pferde, deren Anwesenheit sicher nicht benötigt wurde, sollten strahlen wie Herkules‘ Pegasus.
Esca, der ursprünglich für den Küchendienst eingeteilt war, wurde nun mit allen möglichen Aufgaben betreut. Putzen war nur eine unter vielen. Am meisten Unbehagen bescherte ihm allerdings der sehr überraschende Auftrag seiner Köchin: Auf den Markt sollte er gehen; alles an Gemüse und Obstsorten kaufen, was die Läden noch aufbringen konnten und es unverzüglich zu ihr zurück transportieren. Erst dachte er, dass er möglicherweise losgeschickt wurde, weil die Körbe für die Frauen zu schwer sein könnten, schließlich waren für die Markteinkäufe die Frauen zuständig, wenn nicht gerade ein Ochse gekauft werden sollte. Nachdem ihn Alaude aber mehrmals hatte vorsprechen lassen, was er besorgen sollte („Möhren, Salat, Birnen, Äpfel, Fenchel und dann gehe ich zum Hafen und hole Gewürze“, „Nein! Du hast die getrockneten Pflaumen vergessen. Noch einmal von vorne…“), empfand er das geschätzte Gewicht der Sachen als nicht zu gewaltig für eines der Sklavenmädchen. Wahrscheinlich hatten die einfach gerade mit putzen und dem Herrichten der Herrin zu viel zu tun. Er hatte nicht gemurrt. Schließlich war es eine willkommene Abwechslung, ohne Aufsicht nach draußen gehen zu dürfen und war gut gelaunt losmarschiert, beladen mit drei geflochtenen Körben und entsprechendem Münzgeld im Ledersäckchen.
Jetzt trieb er sich durch das Forum auf der Suche nach gutem Obst und Gemüse, begutachte die Arbeiten von Goldschmieden, kaufte große Laiber Brot, gab Arbeiten für Cornelia in Auftrag. Darunter befand sich eine Delphin-Halskette, die reichlich Edelsteine aufweisen sollte. Der Schmied lachte Esca herzlich aus, als er, wie ihm befohlen worden war, ausrichtete, die Kette solle in zwei Tagen fertig sein. Das tiefe kehlige Lachen beschämte ihn, wusste er doch selbst, dass ein solcher Auftrag nur mit göttlicher Hilfe in so kurzer Zeit mit Erfolg gekrönt werden konnte. Er schluckte seinen Ärger herunter, wiederholte die Anweisung mit Nachdruck und einer leichten Drohung und ging weiter. Wenige Geschäfte weiter holte er eine neue Tunica mit dazugehöriger Stola ab, die in der Farbe nigrantis rosae[1] leuchtete und die weiße Haut der Herrin besonders unterstreichen sollte sowie ein neues Paar Schuhe. Letzten Endes war es doch so viel geworden, dass er einen Teil seines Einkaufs bei einem befreundeten Paar Cornelias zwischenlagern musste. In gleich mehreren Gängen schleppte er die Einkäufe dann zurück zur Villa. Einmal, zweimal, dreimal. Zu allem Überfluss erhielt er jedes Mal, wenn er gerade die erste Lieferung abgegeben hatte, noch nachträgliche Besorgungswünsche, sodass sein Gedächtnis mit der Fülle an Aufträgen irgendwann schlichtweg überfordert war. Zudem kreisten seine Gedanken um Marcus. Er musste in der Stadt sein und könnte ihm jeder Zeit auf dem Markplatz begegnen. Eine Begegnung, die er auf jeden Fall vermeiden wollte. Diese leise schwelende Furcht stand seiner Konzentration auf seine eigentliche Aufgabe durchweg lästig im Wege, was wiederum für die Vergesslichkeit ein gefundenes Fressen war. Bei seiner dritten Lieferung, bei der er laut fluchend feststellen musste, schon wieder etwas vergessen zu haben, fing er sich eine spöttische Bemerkung von Valentius ein, der zu wissen schien, warum Escas Erinnerungsvermögen heute nicht gut mit ihm zusammenarbeiten wollte.
Die zwei Tage der Vorbereitung waren nicht spurlos am Briganten vorbeigezogen. Wenn er abends auf sein Strohlager fiel, war es nur ein kleiner Schritt und er hatte die Brücke in die Traumwelt überschritten von deren fantastischen Traumwelt er am Morgen nichts mehr wusste. Selbst über Marcus konnte er sich kaum mehr Gedanken machen, da er gleich nach dem Aufstehen wieder bei der Ernte oder in den Ställe helfen musste, bevor er danach in die Küche hastete, wo Alaude schon mit der großen Schöpfkelle und stets einer in die Hüfte gestemmten Hand auf ihn wartete. In einer unendlichen Wortflut wies sie ihn in die schier endlosen Arten der Gewürze und Zutaten ein, von denen er teilweise noch nie gehört hatte. Im Haus von Marcus‘ Onkel war es wesentlich bescheidener zugegangen.
Unweit von der Villa der Cornelia entfernt fieberten Marcus, Theofanos und Eleasar der Durchführung ihres Planes entgegen. Marcellus, ihr guter Helfer und Komplize, hatte sich, der Jahreszeit wegen, zurückziehen müssen.
„Bevor die Herbststürme kommen, will ich in Gallien sein. Das Wetter hier behagt mir nicht und ich habe noch einiges an Ware unter die Menschen zu bringen. Schreibt mir unbedingt, wenn euer Abenteuer glücklich enden sollte. Höre ich nichts von euch, opfere ich und bete für eure Seelen“, hatte er ihnen zum Abschied gewünscht.
„Meinst du, wir begehen einen solchen Frevel, dass wir mit dem Tod gestraft werden?“, hatte Theofanos da gefragt, in der festen Überzeugung eine negative Antwort zu erhalten.
„Alle Menschen, die Pläne im Geheimen schmieden, spielen mit ihrem Leben. Ich hoffe nur Fortuna ist auf eurer Seite. Aber Götter sind launige Wesen. Meldet euch! Ich kann jetzt leider nichts mehr für euch tun.“
Sie hatten sich nach einer kurzen, aber ehrlichen Umarmung getrennt. Eleasar hatte es sogar noch geschafft, mit ihm einen Handel abzuschließen, der eintreten sollte, wenn sich ihre beiden Schiffe in Gallien begegnen. Auf Marcellus Empfehlung hin hatten sie eine bezahlbare Unterkunft bei einem alten Witwer gefunden, der seinen Lebensunterhalt dadurch aufbesserte, indem er Reisenden für ein paar Tage bei sich einen Unterschlupf bot. Der Alte, Claudius war sein Name, hielt sich tagsüber am liebsten unten am Fluss auf, wo er sich an die Zeiten mit seiner Frau und ihrem Kindern zurückerinnerte und sich ein paar kleine Fische angelte. Seine Kinder waren alle auf das Festland gegangen. Ab und an schickten sie ihm kleine Nachrichten und etwas Geld, damit er sein Leben noch gut bestreiten konnte. Seine Frau war einer Epidemie zum Opfer gefallen.
„Das ist lange her“, sagte er immer und lächelte dabei milde. Eigentlich bot seine Wohnung gerade genug Platz für zwei Personen. Jetzt zu viert kamen sich die Männer näher als ihnen lieb war, aber gerade, wenn nachts der kalte Westwind durch die schmalen Ritzen im Gemäuer blies, hatte diese Form des Windschutzes durchaus etwas für sich. Trotzdem wünschte sich Marcus diese Konstellation möglichst bald wieder auflösen zu können.
Der ehemalige Centurio starrte die lehmverputze Decke an und lauschte den gleichmäßigen und teilweise schnarrenden Atemzügen seiner Kameraden und Claudius‘. Es ruhte eine ungewohnte Gelassenheit in ihm. Als sei das schwerste Stück Arbeit schon längst getan worden und läge nicht erst noch vor ihnen. War der Plan so brillant, dass alle Zweifel von ihm abgefallen waren? Sicher nicht. Der Plan wirkte in seinen Augen wie ein löchriger Umhang, der weder Schutz vor Regen noch Wärme bei Kälte bot. Doch Theofanos und Eleasar hatten mit einer solchen Leidenschaft mitgearbeitet, verbessert, korrigiert, Notlösungen erfunden – irgendwie konnte doch nun wirklich kaum mehr etwas schief gehen. Bald würde er sein Ziel erreichen. Esca wieder an seiner Seite. Er musste mit ihm reden. Worauf würde das hinauslaufen? Escas Gesicht vor seinem inneren Auge machte einen angewiderten Ausdruck, der Marcus zum Schmunzeln brachte. Nein, das würde Esca wohl tatsächlich nicht so gerne tun – er selbst wollte auch über so einen weibischen Kram lieber Schweigen, aber es war wohl nicht die Lösung. Vorsichtig, damit er durch seine Bewegung nicht an Theofanos stieß und diesen womöglich noch weckte, drehte er sich auf die Seite in der Hoffnung, ein paar Tropfen Schlaf noch abzubekommen. Auf die Monologe des selbsternannten Philosophen hatte er keine Lust, sie machten ihn unsicher oder, um ehrlich zu sprechen: aggressiv.
Cornelia hatte gut auf ihn reagiert, obwohl sie ihn nicht kannte. Die Einladung war überraschend gekommen und sollte hoffentlich nicht noch mehr Überraschungen in sich bergen. Er knetete seine Handknöchel. Theofanos kratzte sich im Schlaf den Bart, schmatzte zufrieden und drehte sich ein Stück weiter weg von Marcus, halb auf den armen Eleasar, der einen quietschenden Laut von sich gab, aber nicht aufwachte. „Noch wenige Stunden“, sein Herz schlug schneller, „nur noch wenige Stunden“. Er schloss die Augen, döste vor sich hin, hörte Claudius, noch bevor die Sonne aufging, den Raum verlassen und schlief tatsächlich noch einmal traumlos ein.
„Esca, bist du schon aufgeregt?“, Valentius beugte sich über das Gemüse, das Esca versuchte in möglichst gleich große Stücke zu schneiden. Gerade bei den Möhren schien es ihm ein Ding der Unmöglichkeit, wollte er nicht lauter apfelkerngroße Stücken in die Suppe schütten. Alaude würde ihm ihren Kochlöffel wieder um die Ohren hauen, würde sie nachher zurückkommen, aber noch waren die beiden jungen Männer alleine in der Küche. Er ignorierte Valentius‘ Anspielung und schob mit dem Messer die Stücken, die nun alle eine ganz individuelle Größe hatten, beiseite und nahm sich das nächste Gemüse, dessen Namen er nicht kannte. Nur ein kurzer Blick reichte, damit sich Esca sicher war, dass es das in Britannia nirgends zu ernten gab. Es war rund, braun und mit einem langen grünen Büschel. Der sah nicht besonders essbar aus, also schnitt er ihn auf gut Glück ab und widmete sich danach der Knolle, die aus vielen dünnen Hautschichten zu bestehen schien. Er suchte einen Anfang.
„Warum sollte ich aufgeregt sein?“, fragte er desinteressiert zurück, obwohl er die Antwort bereits wusste. Er hatte die Mitte der Knolle gefunden, jetzt mit einem beherzten Ruck die Hälften voneinander trennen.
Valentius, der ahnte, dass Esca noch keine Bekanntschaft mit einer Zwiebel vom Festland gemacht hatte, trat einen Schritt beiseite und stemmte die Hände, es Alaude nachmachend, in die Seiten. „Na dieser Marcus kommt heute Abend. Deswegen veranstaltet Cornelia doch diesen Wahnsinn.“
Das Messer glitt etwas zu schnell durch das Gemüse und schlug auf den Steinuntergrund auf, was einen unschönen Ton ergab und etwas Saft aus dem Innern der Zwiebel hervorspritzen ließ, der beinahe Escas Augen traf.
„Ich dachte, Cornelia veranstaltet bei jedem ihrer Gäste so ein Zirkusspektakel.“ Lauter Ringe, die sobald man sie zu grob packte, auseinanderfielen, begrüßten Esca, ließen ihn etwas ratlos herum probieren, wie man die ungewöhnliche Speise am besten festhielt und schnitt weiter. Ein beißender Geruch stieg ihm bald in die Nase.
Valentius begann zu grinsen, als er sah, wie Esca die Nase rümpfte und ihm kurz darauf die Augen anfingen zu Tränen. „Bei allen Göttern, nein!“, kicherte Valentius, „Wenn unsere Herrin jedes Mal so eine Tafel auftischen würde, dann müssten wir bald im Armenviertel quartieren. Dieser Marcus scheint sie wirklich sehr zu interessieren.“ Dabei rollte er vielsagend mit den Augen und angelte sich eine kleine Scheibe, die, von ihrer Gruppe getrennt, herrenlos herumlag.
Esca liefen die Tränen in Strömen die Wangen herunter. Doch umso mehr er rieb, desto heftiger flossen sie.
„Was für ein böser Zauber ist das?“, rief er deshalb erbost aus. Er ließ die Zwiebel und das Messer fallen und taumelte halb blind durch den Tränenschleier vom Tisch weg. Valentius lachte laut auf.
„Das, mein lieber Esca, ist eine Zwiebel. Die Römer lieben sie, sprechen ihr sogar magische Fähigkeiten zu, aber sie ist ein tückisches Biest. Geh, wasch dir die Hände und dann das Gesicht und wenn du sie gleich weiter schneidest, versuche nur durch den Mund zu atmen.“ Esca legte den Kopf in den Nacken und verbarg sein Gesicht in seiner Armbeuge.
„Warum schneidest du sie nicht zu, wenn du es doch so gut weißt?“, fragte er zornig und tastete nach dem Eimer Wasser, der eigentlich für das Suppenwasser gedacht war. Er würde gleich neues holen müssen.
„Jeder hier im Haus hat seine Aufgaben, meine ist es nicht in der Küche zu helfen“, antwortete der andere achselzuckend.
„Sie kann es auch nicht sein, mich bei meiner Arbeit zu stören. Also sag, was willst du eigentlich von mir?“ Das Brennen ließ kaum nach, dennoch war das lauwarme Wasser das beste, was ihm gerade einfiel.
Valentius fuhr durch sein lockiges Haar und betrachtete den Briganten dabei, wie er sein Gesicht mit seiner Tunica trocknete. Keine besondere Gemütsregung verriet, was durch seinen Kopf ging.
„Möglicherweise denkt Cornelia daran ihn zu heiraten…“
Esca stoppte in der Bewegung, führte sie aber dann doch zu Ende aus. Als er seine Gedanken gesammelt hatte, fragte er bemüht ruhig nach: „Meinst du, Amors Pfeil habe ihre Leidenschaft neu entbrannt?“ Es sollte etwas spöttisch klingen, damit Valentius nicht zu schnell Verdacht schöpfte, zugleich dachte er an die Schwärmereien des Sklaven. Er müsste tief getroffen sein, wenn Cornelia tatsächlich plante Marcus Heiratspläne zu unterbreiten. Aber nach dem, was Valentius erzählt hatte, konnte er sich dies nicht vorstellen. Als Valentius verstand, dass Esca erhebliche Zweifel an seiner Behauptung hegte, spielte er seine Vermutung etwas runter. „Gut, also vielleicht nicht heiraten. Aber sie findet ihn attraktiv. Was ist, wenn er meine Stelle einnehmen soll?“ Der Blick des Jünglings wurde betroffen. Für Esca sah es aus, als bangte er wirklichum seinen Platz an Cornelias Seite. Tatsächlich erschien Esca diese Angst berechtigter zu sein, auch wenn Marcus seines Erachtens völlig ungeeignet für diese Aufgabe war. Mitfühlend versuchte der Brigante ihn zu beruhigen.
„Es ist zwar nicht ausgeschlossen, was du sagst, wobei der Unterhändler…“ – „Sagtest du nicht, er hieße Marcus?“, unterbrach ihn Valentius. „Ja. Das tat ich. Also du kannst davon ausgehen, dass Marcus bei weiten nicht dein Äußeres oder dein Alter besitzt, um dir gefährlich zu werden. Außerdem müsste er ihren Verlockungen zuerst nachgeben.“
Endlich war das Brennen aus seinen Augen verbannt. Ohne große Lust kehrte er an seinen Platz zurück, um seine Aufgabe zu erfüllen, bevor Alaude zurück in die Küche kam. Tief atmete er durch den Mund ein und wieder aus und wahrhaftig fingen dieses Mal seine Augen nicht an zu tränen. So machte er sich wieder an sein Werk. Valentius stand nachdenklich neben ihm. In Gedanken noch halb versunken, flüsterte er: „Es sind nicht alle Männer so standhaft oder abweisend wie du, Esca. Die Herrin ist verführerischer, wenn sie nicht getrunken hat.“
Die erste Hälfte hatte Esca geschafft. Er versuchte sich auf das Schneiden zu konzentrieren. Valentius hatte also erfahren, dass er die eine Nacht nach dem Symposium bei Cornelia verbracht hatte und nichts geschehen war. Erleichterung und Scham machten sich in ihm breit. „Dem habe ich nie widersprochen.“ Nur noch ein kleines Stück, dann war die Zwiebel fertig. Überall lagen halbe Ringe herum. Große und kleine. Die dünne, zerbrechliche Haut lag in Stücken auf dem Boden auf den sie zuvor langsam runter gesegelt war.
Es gefiel dem Lockenkopf, mit den Fingern schnappte er sich erneut einen Ring und stopfte sich ihn in den Mund. Ungläubig beobachtete Esca, wie der junge Mann darauf herumkaute und er es dann herunterschluckte. Niemals würde Esca dieses seltsame Zeug probieren.
„Ich werde ein Auge auf den Römer haben. Ich traue ihm nicht, wenn ich auch der Herrin und ihren guten Geschmack nicht im Weg stehen möchte“, verkündete Valentius und klang dabei verletzt. Esca wusste sich zu der Vorstellung, Cornelia könnte mit Marcus … nein, daran wollte er nicht denken. Die Prostituierte hatte ihm zu gut gezeigt, wie zwiespältig er nur mit diesen Themen umgehen konnte.
„Wirst du heute Abend den Mundschenk machen?“, fragte Valentius desinteressiert, als der Brigante nichts auf seine aufopferungsvollen Worte erwiderte. Dieser räumte still das Messer weg und schob die beiden Gemüsehaufen nebeneinander, damit er gleich genug Platz für die nächste Schneidearbeit hatte. Er schaute Valentius nicht an, antwortete nur müde: „Nein, ich habe unsere Herrin gebeten mich freizustellen. Ich fühle mich nicht wohl und bin noch ein Anfänger als Mundschenk und habe darum ersucht, heute ausnahmsweise vom Dienst verschont zu werden.“
Das erstaunte den Lockenkopf. Cornelia hatte ihm den Abend frei gegeben? Aber würde ihr Plan ohne Esca im Raum denn dann überhaupt noch funktionieren? Warum hatte seine Herrin ihm das nicht mitgeteilt oder war bloß noch keine Zeit gewesen?
Er nickte stumm, räkelte sich und beschloss nun tatsächlich endlich seiner Arbeit nachzugehen, gleich nachdem er Cornelia einen Besuch abgestattet hätte.
Voller Ungeduld trat Marcus jedes Mal ans Fenster, in der Hoffnung, am Himmel zeige sich Selene persönlich auf ihrem Himmelswagen, um die Nacht einzuläuten. Doch obwohl die Tage deutlich kürzer wurden und die Saturnalien kurz bevorstanden, schien es als wollte Helios ausgerechnet heute die Sonne für immer an dem grauen britannischen Himmel stehen lassen. Theofanos hockte, die schwarzen Locken tief in der Stirn hängend, in einer Ecke des Zimmers und versuchte sich auf die Buchrolle zu konzentrieren, die er aufgerollt auf seinen angezogenen Beinen abgelegt hatte. Eleasar hatte die Langeweile geplagt und sich zu einem kleinen Spaziergang durch die Stadt entschlossen. Er würde es schon mitbekommen, wenn es losginge. Auch nach ihm hielt der ehemalige Centurio Ausschau. Zwar war es nicht notwendig, dass Eleasar von Anfang an dabei war, aber so hatte er eine bessere Kontrolle über seine Helfer. Besonders Theofanos führte plötzliche Alleingänge und spontane Planänderungen gerne ohne seine Rücksprache durch. Dankbarerweise setzte sich der Grieche in diesem Moment mit seinem Lieblingslehrer auseinander und kam daher nicht auf den Gedanken Marcus mit seiner Altklugheit zusätzlich nervös zu machen.
„Eleasar ist aber lange fort“, murmelte da der Bärtige, wie aufs Stichwort, Marcus fuhr ruckartig um.
„Die Sonne steht heute auch lange am Himmel“, antwortete Marcus ebenfalls murmelnd. Theofanos hob seinen Blick von der Rolle und zog spielerisch eine Augenbraue hoch.
„So nervös?“, fragte er geheuchelt mitleidig. Marcus schnaufte verärgert.
„Würden wir die Plätze tauschen können, wäre ich weniger angespannt.“
„Ich hätte gegen ein gutes Gespräch mit einer hübschen und gebildeten Frau nichts einzuwenden, aber würde meine Gestalt sicherlich für einige Verwirrung sorgen“, gab er mit einem weisen Lächeln zu bedenken.
„Vielleicht läge darin der größere Vorteil“, erwiderte Marcus, ohne jedoch seine Worte genau überdacht zu haben und bereute sogleich ins Wespennest gestochen zu haben.
„Marcus, du bist ein Esel!“, brauste Theofanos auf, „Bedenke doch nur, wenn Chaos herrscht, tun alle etwas vollkommen Unerwartetes. Glaubst du wirklich, darin liege ein Vorteil auf unserer Seite?“ Er beruhigte sich, fuhr sich über die Augen, bevor er fortfuhr: „So oder so. Wenn wir erwischt werden, droht uns ein Prozess.“ Seine Emotionen kochten erneut hoch. „Du als römischer Bürger kommst vielleicht noch gut weg – für mich darfst du dann ein Grabmal bestellen. Aber bitte ein Würdiges, nicht zu alt- und nicht zu neumodisch und Elasar? An den mag ich gar nicht denken, was mit dem armen Eleasar geschieht, will mein Kopf sich nicht ausmalen.“ Theofanos‘ Augen funkelten angriffslustig, Marcus war wohl nicht der einzige, der sich um den Verlauf des Abends sorgte.
Marcus massierte sich die Schläfe. Sprach sonst Theofanos nicht von der Tugend der Ausgeglichenheit? „Lass die schlechten Witze. Sollte dir etwas geschehen, würde Esca sowieso nie wieder ein Wort mit mir wechseln … Wo bleibt denn nur dieser verdammte Christ?“
Angestrengt atmete Theofanos durch. „Der wird schon kommen, Marcus. Er ist hat eine gute Seele und er kennt den Plan. Lass ihn seinen Spaziergang in Ruhe beenden. Wir haben noch viel Zeit, aber für dich ist es an der Zeit aufzubrechen. Es beginnt zu dämmern“, sagte der Grieche und wies auf den sich langsam einfärbenden Himmel.
Er hatte nur einen Moment nicht aufgepasst, doch tatsächlich war sein Schatten länger und zugleich schwächer geworden. Helios hatte sein Gespann endlich zur Ruhe gebracht und Selene hatte die Zügel übernommen. Die Nacht brach an. Akribisch ließ der Römer seinen Blick ein letztes Mal über seine Kleider schweifen. Tunica und Mantel lagen gut. Claudius war so nett gewesen und hatte ihm die Haare noch etwas zurecht gestutzt, Eleasar ihm ein kleines Geschenk für die Hausherrin besorgt und Theofanos an seinen Manieren gearbeitet, was sicherlich der anstrengendste Part gewesen war. Nicht, dass Marcus keine Manieren besessen hätte, aber der kleinste Augenschlag, ein falsches Verziehen des Mundwinkels und ein zu lautes Atemgeräusch führte gleich zu grundsätzlichen Streitereien zwischen den beiden, sodass von dieser Lerneinheit nicht viel zu erwarten war.
„Ich gehe jetzt“, sagte der Römer laut, mehr um sich selbst davon zu überzeugen, diesen letzten Schritt zu tun als Theofanos davon in Kenntnis zu setzen, dem ein süffisantes „Das sehe ich“ nicht zwischen den Lippen hindurchgerutscht war. Stattdessen rollte er seine Buchrolle zusammen, verstaute sie in seiner Pera, einer Tasche, die er sich von Claudius geliehen und die einst einem Legionär gehört hatte. Für die Tasche hatte der schlaue Claudius eine kleine Gegenleistung in Form klimpernden Kleingeldes verlangt und erhalten.
„Du willst doch hoffentlich das Ding jetzt nicht mitnehmen?“, fragte ihn Marcus, der wusste, was überflüssige Lasten für ein Hindernis sein konnten, wenn es mal schnell gehen musste. Theofanos jedoch ließ sich nicht beeindrucken.
„Diese Buchrolle hat einen zu kostbaren Inhalt als dass ich ihn hier in diesem Mäuseloch zurücklasse“, bekräftigte er und trat als Erster hinaus ins Treppenhaus. Von unten hörte man, wie ein Ladenbesitzer, der unter den kleinen Wohnungen sein Geschäft hatte, einpackte und alles mit schweren Eisenschlössern verriegelte. Sie warteten bis alles wieder ruhig geworden war und stiegen dann die schmalen Treppen hinab.
Als sie unten auf der fast leergefegten Straße standen, war die Sonne schon beinahe am Horizont verschwunden. Marcus zog den Mantel über den Kopf, gab Theofanos ein Zeichen des Abschiedes. Der Grieche wandte sich, nachdem Marcus um die nächste Häuserecke verschwunden war, ebenfalls um und lief in die entgegengesetzte Richtung – so wie sie es ausgemacht hatten. Die Wolken des Tages begünstigten eine dunkle Nacht, deren Schatten alles auffraßen, was sich in ihnen bewegte, allerdings den Ortsunkundigen auch leicht in die Irre gehen ließ. Theofanos kramte aus seiner Tasche einen längeren Faden, in dem zehn Knoten geknüpft worden waren. Mit einem letzten Blick über beide Schultern versteckte er sich in einer besonderen dunklen Ecke in der Nähe eines Hauseinganges, legte Zeigefinger und Daumen um den ersten Knoten und begann langsam flüsternd folgende Verse aufzusagen:
Nachdem er geendigt hatte, rückten seine Finger einen Knoten weiter und er begann das Gedicht von vorne aufzusagen. Nachdem er alle zehn Knoten auf diese Weise abgearbeitet hatte, zählte er im Kopf noch einmal langsam bis zehn. Dann trat er aus dem Schatten hervor, drehte sich aus der Richtung aus der er gekommen war zu und nahm die Verfolgung von Marcus auf. Lief alles nach Plan, war hier irgendwo in der Stadt Eleasar bereits ebenfalls auf dem Weg zum Haus der Cornelia. Sie dürften nur keineswegs zusammen angetroffen werden.
Sein Puls beschleunigte wie das Gespann des legendären Scorpus, als der Sklave mit dem weiblichen Zügen und den amorhaften Lockenkopf ihn aufforderte, ihm zu folgen. Obwohl die Gänge mit Fackeln erleuchtet waren, trug auch der Sklave eine bei sich, wodurch die Gänge taghell erstrahlten. Schon von weitem hörte Marcus die verspielten Töne der Flöten und sanften Klänge der Lyra an sein Ohr dringen. Sie nährten sich einem großen Raum, an dessen Schwelle bereits wild die Schatten zuckten und der Duft gebratenen Fleisches in der Luft hang. Marcus atmete tief durch, rückte seine Toga etwas zurecht und betrat den Festraum. Bevor er mit beiden Füßen den Boden des Zimmers berührt hatte, hielt ihm bereits ein noch sehr jung wirkender Knabe ein Tablett mit Kleinigkeiten unter die Nase. Ohne genau hinzusehen, griff Marcus danach, schaute den Knaben nicht einmal an und ließ seine Augen einmal durch den Raum schweifen. Es war wahrlich ein Festsaal wie er denen aus Rom Konkurrenz machen konnte. An den rot gestrichenen Wänden wälzten sich betrunkene Sartyre, die sich Weintrauben in den Mund stopften. Nackte Mänaden spielten auf Flöten und tanzten berauscht um das in der Mitte thronende Paar. Dionysos, ein halber Jüngling mit langen Haaren und einer Efeukrone legte seinen Arm und Ariadne, die seinen Tyrsosstab hielt und damit aussah als sei sie die wahre Herrin über die wilde Meute. Auf einer weiteren Wand hatte Cornelia ein Symposion aufmalen lassen, das Marcus sofort ins Auge fiel, weil kaum Männer darauf zu finden waren. Nur einer hatte es sich auf einer Kline breit gemacht. Dafür waren überall Frauen in schönen Tuniken und mit aufwendigen Frisuren zu sehen, die musizierten und miteinander tief ins Gespräch versunken waren. Besonders lange hatte Marcus keine Zeit sich die eigeneartige Szene einzuprägen, doch schien sie eine ähnliche Botschaft wie die dionysische Szene vermitteln zu wollen: Hier hatte eine Frau das Sagen und der Gast, egal ob Weib oder Mann, hatte sich ihren Gesetzen zu beugen. Eine Warnung oder Drohung, je nachdem in welcher Gesinnung man kam.
Als er seine Augen von den bunten Wänden abwandte, eröffnete sich vor ihm ein Meer aus zahllosen leckeren Speisen. Ein so opulentes Mahl hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Sein Onkel hatte auf große Festlichkeiten kaum Wert gelegt und sich von Gastgebertätigkeiten zurückgezogen. Oliven, Trauben, Brot, und weitere Häppchen; alles war vorhanden und bildete ein buntes Mosaik auf dem viel zu kleinen Tisch. Claudia hatte ihren Thron, den Marcus bei ihrem ersten Treffen bereits kennen gelernt hatte, in den Saal bringen lassen. Für Marcus stand eine Kline bereit. An so viel Konvention hielt sich Claudia also doch, dass sie für sich keine Kline in Anspruch nahm, möglicherweise auch gar nicht wollte.
Cornelia war eine Augenweide – ihr Gewand bestand aus den feinsten Stoffen des Orients, es lag perfekt an ihrem Körper an. Jede Falte des Palliums, das sie noch über die Tunica gezogen hatte, saß an der richtigen Stelle. Ihre Haare waren in aufwendigen Locken und geflochtenen Zöpfen auf ihren Kopf drapiert. Marcus fiel allerdings sofort auf, dass es sich bei der Frisur um ein bereits nicht mehr aktuelles Modell handelte. Zwar verfolgte er die sich stetig wandelnde Frisurenwelt der Kaiserinnen nicht, aber an dieses sehr spezielle Modell erinnerte er sich. Es war das letzte, bevor mit dem unverheirateten Hadrian etwas Ruhe in diese nach Mode dürstenden römischen Frauenbilder Einzug erhielt. Man war hier eben doch in einer Provinz und die neusten Vorlieben der Weltstadt brauchten länger bis in die hintersten Ecken des Reiches zu dringen als es Marcus für möglich gehalten hatte. Gerade dieses Modell erforderte von Cornelias Sklavinnen sicherlich ein wahres handwerkliches Geschick und von ihr eine schier eiserne Geduld, damit ein solch aufwendiges Gebilde entstehen konnte. Trotz des für Marcus eher komischen Aufbaus, musste er für die Arbeit, die hinter diesem Berg Haare steckte, ihr einen gewissen Respekt zollen. Cornelias Erscheinung nahm den gesamten Raum für sich in Anspruch und selbst Marcus‘ purpurne Toga konnte dort nicht mithalten. Jedoch waren sie nicht allein im Raum.
Außer ihnen standen noch drei Musiker im Raum. Ein hübsches Mädchen, das ganz entgegen ihrer Herrin sich durch reine Schlichtheit hervortat und ihre Finger geschickt über die Saiten einer Lyra gleiten ließ. Dazu versuchten zwei schwarze Sklaven, die auf einer Flöte und einer Handtrommel spielten, die Lyra zu begleiten. Sie standen in einer schattigen Ecke, sodass es aussah als verschmelzten ihre Körper mit den Wänden und die Instrumente alleine in der Luft spielten.
Marcus verbeugte sich vor Cornelia, die kleopatragleich auf ihrem Thron verharrte und ihren Besucher ein würdevolles Lächeln schenkte. Es war nicht ganz klar, ob es sich hierbei um das freundschaftliche Treffen zweier sich eigentlich fremder Personen handelte oder um das Zusammentreffen zweier Kontrahenten, die nur nicht wussten, um was sie genau buhlten – oder wussten sie es möglicherweise doch? Die Musik verstummte und es wurde still im Raum. Cornelia erhob sich und ging auf Marcus zu, dieser versuchte gelassen stehen zu bleiben, doch verwirrte ihn die so untypisch angespannte Atmosphäre zunehmend. War ein Symposion zu zweit nicht sehr ungewöhnlich? Warum gab es keine anderen Gäste? Wo war die sonst so ausgelassene und befreite Stimmung, die man den Gastmählern nachrühmte? Sie blickten sich geradewegs in die Augen, keiner von beiden wollte sich eine Blöße geben.
„Marcus, es freut mich, dass du gekommen bist, und ich begrüße dich erneut in meinem Haus.“
„Es ehrt mich, dass Ihr mir die Einladung geschickt habt.“
Die Musik begann auf ein unsichtbares Zeichen wieder zu spielen, sodass dass folgende Gespräch der beiden von niemanden außer ihnen gehört werden konnte.
„Du scheinst nicht oft eingeladen zu werden oder bringst du immer so ein ernstes Gesicht mit?“, spöttelte sie, obwohl Marcus krampfhaft versuchte sich an die Ratschläge des Griechen zu erinnern möglichst gelassen zu wirken, jedoch schien sich dieses krampfhafte Erinnern auf seinem Gesicht widerzuspiegeln. Schließlich fiel ihm ein einziger netter Satz ein, der die Situation vielleicht etwas lösen würde.
„Eure schöne Gestalt hat mich überwältigt“, seine Stimme kam ihm seltsam fremd vor und auch Cornelia schenkte diesen süßlichen Worten keinen wahren Glauben. Ihr Lächeln wurde breiter als sie eben so charmant antwortete: „Schmeichler, und ich dachte, du suchtest nach meinem Sklaven.“
Marcus` Herz machte einen Satz – „Ihr meint eure rechte Hand?“, versuchte er zu vertuschen, dass er genau wusste, auf wen Cornelia anspielte.
„Nein, Valentius ist ja da“, dabei machte ihre Hand eine schwingende Bewegung zur Seite, wo Valentius sich brav in einer Ecke zurückgezogen aufhielt, „Ich meinte Esca, mit dem ihr euch so angeregt unterhaltet hattet.“
Marcus spürte, dass er in eine Falle geraten war. Hatte Cornelia etwas bemerkt? Aber es war noch zu früh, aufzugeben, also ließ er sich auf das Spiel vorsichtig ein. Er musste Theofanos und Eleasar etwas Zeit verschaffen, um ihren Plan umsetzen zu können.
„Es war eine anregende Unterhaltung. Er stammt aus einem Dorf, durch das einst mein Vater gezogen war. Wir haben so gesehen in alten Erinnerungen verweilt.
„So? Wie wäre es, wenn ich ihn kommen ließe, damit er uns etwas mit seinen Geschichten unterhält?“ Das Lächeln auf Cornelias Lippen wurde herausfordernd. Sie wollte ihn provozieren, er sah es in ihren Augen.
„Ich denke, Herrin, Ihr seid heute Abend Unterhaltung genug. Wünscht Ihr aber seine Anwesenheit, so lasst ihn kommen.“
Für einen Moment wirkte der sonst so unberührte Ausdruck auf Cornelias Gesicht überrascht, dann aber überlegte sie kurz, schüttelte daraufhin ihren Kopf, ging zu dem reich gedeckten Tisch, auf dem auch bereits ein Becher mit Wein stand, griff nach ihm und reichte ihn Marcus.
„Den Trinkspruch überlasse ich dir. Mich haben die Musen heute nicht beglückt und ist es nicht eh die Aufgabe des Mannes?“ Den letzten Teil des Satzes sprach sie merkwürdig aus als wäre ihr nach Lachen zu Mute. Marcus Sinn für Gefahr meldete sich, kam aber der Bitte nach, nahm den Becher an und schritt zu der für ihn vorgesehenen Kline, während Cornelia sich zurück auf ihren Thron begab. „Wie eine Auszeichnung“, dachte er kurz, besann sich dann aber wieder auf seine Umgebung. Es war schlau von der Hausherrin gewesen diesen mächtigen Stuhl auszuwählen, war sie doch jetzt aus der liegenden Perspektive Marcus noch ehrfurchtsgebietender als sowieso schon. Jeder der vor einem anderen lag, fühlte sich diesem unterlegen. Aus diesem Grund blieb Marcus während des Trinkspruchs stehen und legte sich erst, als es um die ersten Vorspeisen ging.
Ungeduldig wartete Theofanos versteckt hinter einem großen alten Birnbau, in der Nähe der Villa der Cornelia auf Eleasar. Der Christ verspätete sich. Hatte er ihn eben noch vor Marcus in Schutz genommen, war nun er es, dem sein Fehlen unangenehm aufstieß. Wenn ihre Mission schon so begann, wollte er sich das Ende gar nicht ausmalen. Der Grieche konnte schlecht abschätzen, wie viel Zeit bereits vergangen war, aber bei Athena, es war sicherlich schon zu viel! Er kniff die Augen fast zu Schlitzen zusammen, in der Hoffnung dadurch mehr erkennen zu können, doch alles Starren half nichts. In der Dunkelheit regte sich nichts. Wenn nicht bald etwas geschähe, müsste Theofanos versuchen, ihren Plan alleine auszuführen, eine riskante Angelegenheit, aber ein Versuch war es wert. Da vernahm er das hastige Laufen zweier Füße, dazu ein heftiges nach Luft ringen, wie jemand, der es nicht gewohnt war, sich so schnell zu bewegen. Probeweise rief Theofanos mit unterdrückter Stimme: „Eleasar?“ In die Dunkelheit und ebenso vorsichtig und leise kam es „Theofanos?“ zurück.
Der Grieche atmete auf, um gleich darauf leise zu schimpfen: „Wo bist du gewesen bei allen Göttern! Mein armer Verstand wollte sich gerade schon überlegen, wie ich alleine in die Villa hinein und wieder hinaus kommen sollte. Was hat dich aufgehalten?“
Der Christ war in sich zusammengesunken, immer noch schwer atmend, stütze er sich auf seine Oberschenkel und nur mit viel Mühe berichtet er von dem, was ihm geschehen war.
„Du wirst es nicht glauben, Theofanos, aber ich wurde ganz sicher verfolgt. Ich war noch auf dem Markt, um mir die Waren dort anzusehen. Furchtbare Stoffe sag ich dir, ich könnte wesentlich bessere heranschaffen. Als ich aber so ging und ging, bemerkte ich bald, dass mir zwei Männer folgten. Erst hielt ich es für ein Gespenst meiner Angst vor unserem heutigen Vorhaben. Doch so oft ich auch in Straßen abbog und sinnlos im Kreis lief, die Männer hörten nicht auf mir nachzufolgen. Ich bekam es immer mehr mit der wahrhaftigen Angst zu tun und wollte nicht zu uns zurückgehen, da ich fürchtete, sie würden nach Marcus suchen.“
„Wieso nach Marcus und nicht nach dir, mir oder gar jemand anderen?“
„Nur ein Gefühl. Ist auch gleich, wen sie finden wollten, aber ich musste sie loswerden. Als einzige Lösung kam mir in den Sinn, sie auszutricksen.“
Theofanos spitzte die Ohren. So gewieft kam ihm der Händler nicht vor, dass er in der Lage war gleich zwei Verfolger abzuschütteln. Ungläubig erkundigte er sich, wie er das angestellt hatte.
„Ich ging zum Hafen, unterhielt mich wahllos mit ein paar Leuten und erkundigte mich über die Gegend. Die Männer hielten zum Glück immer so viel Abstand, dass ich nicht Flüstern brauchte. Die Leute verrieten mir, dass man mit einem Boot ein gutes Stück den Fluss herabfahren könnte. Kaum sichtbar gäbe es dann auf der linken Seite eine kleine Sandbucht, steuerte man diese an, könnte man von dort bequem wieder nach Londinum auf einem nicht allzu langen Fußmarsch zurücklaufen. Das war meine Gelegenheit. Ich hoffte natürlich, dass meine Verfolger alleine dadurch, dass ich in ein Boot stiege, ihre Verfolgung abbrechen würden, doch durch diesen Kniff, war ich doppelt abgesichert. Ich tat also, wie ich es dir gerade erzählte und alles funktionierte wunderbar. Ich habe mich sogar noch am Ufer versteckt und beobachten können, wie die Unbekannten mit ihrem Boot, das sie sicherlich gestohlen haben müssen, denn das gekappte Tau schwamm noch am Buck hinterher, an dem meinen, ohne es zu sehen, vorbeifuhren. Dann ging ich los. Leider war der kurze Marsch von dem die Leute gesprochen hatten, um einiges anstrengender als gedacht oder man muss ortskundiger als ich sein, um die zum Teil unpassierbaren Wege besser zu umgehen. Aber wie du siehst, habe ich es noch geschafft.“
Anerkennend legte Theofanos seine Hand auf Eleasars Schulter, der Stolz, wenn auch noch verschwitzt, lächelte. Jetzt erst bemerkte der Grieche, dass die Kleidung seines Gefährten über und über von lästigen Klettpflanzen verschmutzt und seine Arme teilweise von Dornen zerkratzt waren.
Trotz dieses Erfolgs, verlor Theofanos nicht die wichtigen Fragen aus den Augen. Ernst und besorgt fragte er seinen Gefährten eindringlich: „Mein lieber Eleasar, für deine große und mutige Tat wird dir dein Gott sicher noch eine Gnade zukommen lassen. Aber wer die Fremden waren, weißt du nicht?“
Niedergeschlagen schüttelte Eleasar den Kopf. „Nein. Ich konnte ihre Gesichter auch nicht erkennen, da sie stets ihre Kapuzen über ihre Köpfe gezogen hatten. Sie unterschieden sich vor allem in ihrer Größe und ich könnte schwören, dass sie bewaffnet waren.“
„Außer dir, ist sicherlich fast jeder Bürger dieser Stadt bewaffnet, Eleasar, das hilft uns leider nicht weiter. Aber statt deiner Heldentaten weiter zu huldigen, haben wir noch mehr zu tun. Eine arme Seele retten, wie du es nennen würdest. Also, lass uns einen Einstieg suchen!“
Der Lärm der Trommeln und Flöten drang bis zu Escas Kammer vor. Der Brigante hatte bereits versucht sich die Ohren mit Stroh zu stopfen, aber außer einem heftigen Niesreiz, durch den hochfliegenden Staub, hatte es nichts genützt. Cornelia hatte ihm frei gegeben, nicht einmal in der Küche sollte er sich blicken lassen. Dafür dürfte er seine Kammer heute auf keinen Fall verlassen, hatte sie ihm angeordnet. Es war eine seltsame Vorstellung, dass Marcus nun mit Cornelia speisen sollte, während er in seiner Kammer hockte. Da er nichts mit sich und seiner Zeit anzufangen wusste, setzte er sich auf die Kante seiner Schlafstätte, um gleich von einem Einfall erfasst wieder aufzustehen und das klapprige Holzgestell etwas zu verschieben. Die stämmigen Bettpfosten schrabbten über den Boden. Geschickt griff der Brigante in die entstandene Spalte zwischen Bett und Wand und zog behutsam ein Stück Pergament hervor. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Valentius hatte ihm dankenswerter Weise auf seine Bitte hin, tatsächlich ein kleines Schriftstück besorgen können.
„Es ist egal, was darauf steht, ich möchte nur etwas üben“, hatte er Valentius versichert, der gemeint hatte, dass Cornelia nur wenige Schriftstücke besäße und die sicher nicht rausgeben würde. Nachdenklich hatte der Lockenkopf sein Gedächtnis durchforstet, bis ihm etwas eingefallen war und das Resultat seiner Überlegungen war dieser Fetzen gewesen.
Nun, da er die Ruhe hatte, wollte er seine Übungen wieder aufnehmen, die solange zwangsweise hatten Ruhen müssen. Theofanos hatte immer gesagt, dass Übung das Geheimnis allen Erfolges sei und Esca hatte dies vor allem bei Sport und anderen praktischen Dingen durchaus als richtige Behauptung anerkannt. Er rückte sein Bett wieder an seinen Platz und legte sich rücklings nieder. Der Kerzenschein warf sein rötliches Licht auf die feinen Buchstaben; Esca hielt das Blatt noch höher, sodass die gesamte Decke nur aus Buchstaben zu bestehen schien und er in einer Welt voller Worte, deren Inhalt er noch nicht kannte, bettete. Ein paar Buchstaben erkannte er sofort wieder, bei anderen musste er sich stärker konzentrieren. Laut sprach er aus, was er meinte zusammenfügen zu können. Ergaben die Buchstaben kein Wort, das ihm aus der römischen Sprache bekannt war, überlegte er, ob er einen Buchstaben falsch benannt haben könnte und probierte weiter. Es lief besser als er dachte, auch wenn er nicht recht verstand, was er da Seltsames in Händen hielt. So viel er verstand, handelte der Inhalt des Fetzens von Blumen. Tatsächlich beschrieb jemand Farbe, Vorkommen und Verwendung von irgendwelchen Blumen. Die Namen sagten ihm nichts, aber es erstaunte ihn, wofür manche Pflanzen von den Römern gebraucht wurden. Ob Valentius wirklich gewusst hatte, was er ihm da gegeben hatte? Über das abgenutzte Aussehen des Papieres ließ sich zwar nicht streiten, aber war es vielleicht nur in einem so üblen Zustand, weil Cornelia immer und immer wieder darin gelesen hatte? Irgendwo hatte er auch ein Wort gesehen, ja dort war es tussis „Husten“, eine Krankheit die man hier oben im Norden mehrmals im Jahr zu bekämpfen hatte [3]. Sicher hatte Cornelia da diese Beschreibung von Heilpflanzen zur Hilfe genommen. Es beschlich ihn ein schlechtes Gewissen. Mittlerweile war er sich sicher, dass Valentius einen Fehler gemacht und ihm gerade nicht ein unbeachtetes Pergament gebracht hatte. Unten tönte wieder die Flöte an deren schrillen Töne sich Esca nicht richtig gewöhnen konnte. Jetzt konnte er dem Sklaven sowieso nichts zurückgeben, daher fuhr er mit seinen Leseübungen fort. Nachdem es in seinen Ohren flüssig genug klang, richtete er sich wieder auf und zupfte an einem kleinen Beutelchen, das an seinem Gürtel hing herum. Als Valentius ihm angedeutet hatte, dass er ihm etwas zum Üben besorgen wollte, hatte er in einem freien Moment einen dünnen Zweig, sein Griffel Ersatz, und Mehl aus der Küche mitgehen lassen. Normalerweise würde er nicht klauen, aber die geringe Menge fiel sicher niemanden auf. Jetzt schüttete er das Mehl auf den Boden, verstrich es mit dem Zweig vorsichtig und begann erst Buchstaben nachzumalen, dann ganze Worte. Immer und immer wieder, bis die Zeichnungen seiner Vorlage möglichst nahe kamen. So beschäftigt, hätte er den ganzen Abend weiter üben können, doch noch ahnte er nicht, dass Marcus‘ Plan sich wie eine nahende Welle langsam der Küste nährte.
Es war schon eine Art von Leichtsinn, die man Cornelia unterstellen konnte. Weder Theofanos noch Eleasar hatten in ihrem bisherigen Leben Erfahrungen mit Einbrüchen gehabt, aber es war wesentlich einfacher als es sich die beiden hatten erträumen lassen. Es gab durchaus Türen, an denen schwere eiserne Schlösser hingen, aber weder bellende Hunde, die sie hätten verraten können, noch besonders wachsame Sklaven waren zu sehen. Eleasar befürchtete zwar bereits, dass alle Eingänge für sie versperrt seien, aber Theofanos hatte Eines in seiner Zeit als Sklave gelernt. Es gab immer eine Türe, die nicht gut gesichert war und meistens ist es die, die Sklaven häufig benutzen müssen. Aber in diesem seltenen Fall sollte sich der Grieche irren. So wenig Cornelia ihr Hab und Gut sonst bewachen ließ, die Türen, auch die benannte Sklaventüre, waren dennoch allesamt gründlich verriegelt. Ratlos schauten sich die beiden Gefährten an. Was sollten sie jetzt tun? Zum Eingang gehen, klopfen und bitten sich gerade einmal das prächtige Gebäude ansehen zu dürfen? Nachdenklich strich Theofanos durch seinen Bart. So schnell würde er nicht aufgeben, sie standen ja wirklich schon vor ihrem Ziel. Er zupfte an Eleasars Gewand und bedeutete ihm, dass er eine weitere Runde um das Haus gehen wollte. Vielleicht hatten sie eine Möglichkeit übersehen. Folgsam schlich der Christ hinter Theofanos her, es schlotterten zwar seine Knie vor Aufregung und Nervosität (er setzte hier schließlich seinen guten Ruf als Händler und sein anerzogenes ethisches Bewusstsein aufs Spiel), zugleich bereitete ihm das Fangspiel eine sündige Freude. So etwas Aufregendes erlebte er sonst eher selten auf seinen Reisen, obwohl er immer von räuberischen Anschlägen gewappnet sein musste, aber selbst einmal der Dieb sein?
So in Gedanken versunken, seinen Blick gerade zurückgewandt, da es hinter ihnen geknackst hatte, hatte er nicht bemerkt, dass Theofanos ihm ein Haltezeichen gegeben hatte. So lief der schusselige Christ mitten in den Griechen hinein. Sie schwankten und mit einem stummen Aufschrei fielen beide zu Boden. Glücklicherweise verletzte sich keiner, und das dumpfe Geräusch hatte sicher niemand gehört, dennoch drückte Theofanos Eleasar reflexartig die Hand auf den Mund und lauschte besonders intensiv in die Dunkelheit. Aber nichts tat sich. Kommentarlos sammelte er sich und half Eleasar sogar wieder auf die Füße zu kommen. Als dieser wieder senkrecht und stabil stand, flüsterte Theofanos: „Eleasar, erheb deinen Blick! Was siehst du?“
Eleasar sah nach oben und konnte mit etwas Mühe über ihren Köpfen ein Loch erkennen. Es war seltsam weit oben angebracht und der Christ konnte sich nicht wirklich erklären, was das für ein Fenster sein mochte. Kein Licht drang aus ihm hervor, schmal war es und da er die Orientierung verloren hatte, konnte er nicht einmal genau sagen, an welchem Teil der Villa sie sich gerade befanden.
„Was ist das?“, flüsterte Eleasar.
„Unser Eingang“, meinte Theofanos und der Christ konnte sich vorstellen, wie sehr sich der Grieche innerlich freute über seinen Fund.
„Aber wie sollen wir da durch kommen? Es ist viel zu weit oben und ohne dich beleidigen zu wollen, ich fürchte, du wirst da nicht durchpassen“, gab Eleasar zu bedenken, dessen besonnenes Gemüt ihn stets vor zu schnellen Erfolgsgedanken bewahrte.
„Ich werde sicherlich nicht dadurch passen, aber du, mein lieber Eleasar. Deine Größe und Figur sollten es mit diesem Loch aufnehmen können.“
„Mach keine Späße, Theofanos. Selbst wenn ich da oben durchpassen sollte, wie soll ich dich da hinaufziehen, damit auch du einsteigen kannst? Es ist furchtbar eng und ich bin nicht so stark.“
„Das musst du auch gar nicht, ich werde durch den anderen Eingang kommen.“
„Welchen anderen Eingang? Wenn es doch einen zweiten gibt, warum soll ich mich da oben hindurchzwängen?“, fragte der Christ, schon um die Antwort ahnend
„Der andere Eingang öffnet sich erst, wenn du den ersten benutzt hast…“, sagte Theofanos mit einer gewissen spaßigen Bewegung.
„Theofanos, das gefällt mir nicht, was du da sagst, willst du etwa…?“
„Ja, ich will, dass du mir einen der anderen Türen öffnest. Es ist egal welche, aber da du sicher keine Zeit hast, einen der Schlüssel zu suchen, schlage ich vor, wir gehen durch den Haupteingang.“
Eleasar spürte wie sein eben erst erwachter Abenteuergeist einen Todesstoß erhielt. „Wenn es so einfach wäre, durch den Haupteingang in das Haus zu gelangen, hätten wir das doch eben schon machen können“, wehrte er sich verzweifelt gegen seinen geplanten Heldeneinsatz, von dem er gehofft hatte, ihn für die heutige Nacht bereits vollbracht zu haben.
„Nein, denn eben standen wir beide draußen. Wenn wir aber beide draußen vor einer von innen verriegelten Türe stehen, dann werden wir wohl nicht reingekommen sein. Wenn aber einer von uns von innen öffnet, sollte das Problem damit gelöst sein. Also führ nicht dümmliche Disputationen mit mir, die deine Intelligenz beleidigen, sondern stell dich auf meine Schultern und klettere hinein!“
Eleasar musste einsehen, dass er hier dem gerissenen Griechen nichts entgegenbringen konnte, was ihn vor seinem waghalsigen Einsatz hätte bewahren können. Also schluckte er alle Ausflüche, wie Schwindelgefühle in geringer Höhe oder einen schmerzenden Rücken, hinunter und bestieg den Rücken des Theofanos, der sich geschwind in Stellung gebracht hatte. Die Hände gegen das Mauerwerk gestützt und den Oberkörper etwas nach unten gebeugt, lud er den Christen ein auf seinen Rücken zu steigen. Es war ein ziemlicher Kampf. Sportlich war der Händler noch nie gewesen und so stellte er sich reichlich ungeschickt an, als er versuchte wie ein Affe sein wackeliges Podest zu erklimmen. Ein Stöhnen unter ihm signalisierte, dass er sich beeilen sollte, denn auch wenn er recht klein war, so hatte er doch sein Gewicht und die körperliche Ertüchtigung war auch dem Griechen bisher immer ein Graus gewesen. Endlich strampelte sich Eleasars auf Theofanos Schulterblatt und hievte sich mit aller Anstrengung himmelwärts, bis er tatsächlich mit weichen Knien auf dem Griechen stand. Eleasar schwankte und stützte sich ebenso an der Wand ab und versuchte zugleich sich in sie zu krallen, damit er nicht womöglich noch rückwärts hinabstürzte. Da ertasteten seine Hände bereits das Gesims des kleinen Fensters.
„Ich hab es, Theofanos!“, flüsterte er aufgeregt. Das war heute schon das zweite Erfolgserlebnis, von dem er später seiner Familie berichten konnte.
„Allen Göttern sei Dank, mach schneller! Ich kann dich nicht mehr lange halten“, keuchte der Grieche und umklammerte Eleasars Fußgelenke, damit er einen sicheren Halt bekam.
Mit all seiner Kraft zog sich der Christ an der kalten Wand hoch, was anstrengender war als er dachte, fanden seine Füße an der glatten Oberfläche doch keinen unterstützenden Vorsprung. Glücklicherweise schob Theofanos, sobald er spürte, dass Eleasars Last auf seinen Schultern abnahm, mit seinen Händen gegen die Fersen seines Gefährten und tatsächlich schaffte er es mit viel Ziehen und Kraft bauchlinks in dem Fenster zu liegen zu kommen. Völlig erschöpft blieb er wie ein Lappen in der Öffnung liegen, doch es blieb keine Zeit lange zu verschnaufen, schon trieb ihn Theofanos an weiter zu machen. Wer wusste schon, wie lange Cornelia vor hatte Marcus zu bewirten?
„Erzähl mir von deinem Vater. Er war oben im Norden und hat gegen die Barbaren gekämpft?“
„So war es.“
„Und ist gefallen?“
„Ja.“
„Ruhmreich.“
„Die Standarte ging verloren.“
„Wie furchtbar.“
„Ich habe sie zurückerobern können.“
„Mit einer eigenen Legion?“
„So etwas in der Art und der Hilfe eines guten Freundes.“
„Was ist aus ihm geworden?“
„…“
Eleasars Herz raste so schnell in seinem Brustkorb, er befürchtete es wollte durch seinen Mund flüchten. Die Landung nach seinem Sprung in den merkwürdigen kleinen Raum war lauter als gewollt gewesen. Absolut leer und viel zu klein konnte sich Eleasar keine einzige Idee abringen, wofür er gebraucht werden sollte. Voller Furcht quetschte er sich so fest an die Wand, dass er wünschte, sie würde weich wie Wachs werden und er in ihr verschwinden können. Er lauschte. Musik hörte er, aber sonst schien sich in der Villa niemand für seine Anwesenheit zu interessieren. Es verstrichen viele Atemzüge bis er seinen letzten Mut zusammennahm und in der Dunkelheit nach der Türe tastete. Er drückte und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sie offen war. Bei Gott dem Allmächtigen, was wäre gewesen, sie wäre verschlossen gewesen? Dann wäre er aus dieser Kammer nicht mehr herausgekommen, bis ihn jemand von den Sklaven entdeckt und dann seiner Herrin als Dieb vorgeführt hätte! Bei diesem Gedanken wurde ihm schlecht, aber, so sagte er sein schlechtes Gewissen beruhigend, der Messias schien seine schützende Hand über ihn zu halten.
Der Korridor war von Fackeln beleuchtet, wenn er sich nicht täuschte, musste er ihm nach links folgen, irgendwann sollte er dann schon den Eingang finden. Falls er unterwegs eine bessere Stelle fand, um Theofanos Einlass zu gewähren, würde er alles Erdenkliche tun, um so den Haupteingang zu umgehen. Überhaupt war es für ihn die reinste Tortur. Der Gang war lang und kahl, nirgendwo fanden sich Möglichkeiten sich schnell zu verstecken. Sobald ihm nur eine Seele entgegenkam, war es aus für ihn. Doch er hatte Glück, bald erreichte er das Atrium und niemand schien an diesem Abend seine Wege kreuzen zu wollen. Im Atrium herrschte dann auch eine so vollkommene Dunkelheit, dass er sich selbst zutraute, ungesehen den schönen Innenhof zu durchqueren. Kaum hatte er aber den vorderen Bereich des Hauses erreicht, stieg seine Aufregung wieder ins unermessliche. Er ließ sich auf allen Vieren nieder und kroch so zu einer Türe durch deren Spalt ein schwaches Licht hindurch schien. Er krabbelte an sie heran und legte das Ohr an das weiche Holz. Ja, von der gleichen Einsamkeit des hinteren Teiles konnte hier nicht die Rede sein. Gleich mehrmals zogen hastige Schritte an der Türe vorbei, sodass Eleasar zurückschreckte und sich in einen besonders dunklen Schatten drängte. Als es etwas ruhiger wurde, fasste er all seinen Mut zusammen und öffnete so vorsichtig es eben ging, die Türe. Ein einfach ausgestatteter Wohnraum lag vor ihm. Zwei Korbsessel und ein kleiner Tisch, eine mächtige Vase und andere Möbel standen in dem Durchgehzimmer, dass zu beiden Seiten hin mit anderen Räumen verbunden war. Wie ein Mader auf der Jagd huschte Eleasar, nicht ohne die Türe sorgfältig zu schließen in einer der Ecken, wo er durch die Möbel und Schatten vor neugierigen Blicken geschützt sein sollte. Er wartete und lauschte. Das Fest für Marcus war in vollem Gange, er hörte ein Gemisch aus Stimmen, Musik, Gelächter und aus der Ferne waren auch die Befehle an die Sklaven zu hören. Als er gerade einen Blick durch die ein Türe, aus der der Lärm zu kommen schien und in deren Nähe er auch den Eingang vermutete, werfen wollte, riss er blitzschnell seinen Kopf zurück. Genau in diesem Moment lief eine junge Sklavin auf das Zimmer zu. Ihr Gesicht war konzentriert, während sie mit beiden Händen eine kleine Amphore umklammert hielt. Sie hatte Eleasar nicht bemerkt und lief fliegenden Schrittes durch das Zimmer hindurch. Eleasar sog scharf die Luft ein, bis sie verschwunden war. Sicher wollte sie nur Nachschub besorgen, sie würde also sicher gleich zurück kommen und was war mit den anderen Schritten, die er eben gehört hatte? Müssten sie nicht auch bald zurückkommen oder gab es noch einen weiteren Weg zu dem Symposion? Wie es auch immer sein möge, ewig konnte er an diesem Ort nicht verweilen, es war unerlässlich, dass er sich weiter vorkämpfen musste. Also streckte er erneut seinen Kopf um die Ecke und spähte in das nächste Zimmer. Dieses war durch eine Öllampe beleuchtet – die Wände waren schlicht bemalt, etwas rote Farbe und ein paar Früchte in der Ecke. Wozu das Zimmer diente, war ihm nicht klar, aber es war ein ebenso schlechtes Versteck wie das Zimmer, in dem er sich jetzt befand, durch die Öllampe sogar noch schlechter. Würde er jetzt aufstehen, musste er unbedingt versuchen, in einem Zug den Eingang zu erreichen.
Er betete, dass Gott ihn jetzt nicht im Stich ließ. Doch kaum hatte er sich etwas aus der Ecke erhoben, vernahm er wieder Schritte. Sie waren immer noch äußerst in Eile, aber dieses mal trippelnder und schwerfälliger. Er zog sich zurück, rückte sogar noch den Sessel etwas vor sich und starrte wie gebannt auf die andere Türöffnung. Es war wieder das Sklavenmädchen, die nun tatsächlich mit einer neuen und wesentlich größeren Amphore angelaufen kam. Das Gewicht des Gefäßes ließ ihre Bewegungen plump und ungelenk wirken, aber sie schien ihren Ballast mit stoischer Ruhe zu ertragen, das verriet ihr weiterhin konzentrierter Gesichtsausdruck, der nur durch den sich jetzt leichten Schimmer von Schweiß auf den Wangen etwas getrübt wurde. Kaum war sie wieder verschwunden, entschied auch Eleasar sein Versteck zu verlassen. Ohne zu wissen, worauf er sich einließ, schlich er auf Zehenspitzen los, möglichst bemüht aus dem hellen Schein der Öllampe herauszukommen. Doch wie er befürchtet hatte, erstreckte sich nach der ersten Öllampe, ein ganzer Zug voller Lampen und Fackeln. Ab jetzt gab es nur noch Licht, in dem er wandelte. Keine Verstecke und bei jedem neuen auftauchendem Raum, nahm ihm die Angst fast den Atem jetzt jemanden anzutreffen, der Alarm schlagen könnte. Vor allem bewegte er sich auf die Quelle des Lärms zu und er wollte sich nicht ausmalen, was wäre, wenn er an diesem Raum vorbei oder gar hindurch müsste? Wäre dann nicht alles verloren gewesen? Immer schneller liefen seine Füße über den Boden, immer schneller, bis er wirklich rannte, ungeachtet der Gefahr durch den Lärm seiner aufklatschenden Sandalen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Musste dieser verdammte Eingang nicht auch endlich kommen?
Einmal noch sollte es um eine Ecke gehen, die er nicht einsehen konnte. Seine Intuition beschwor ihn jetzt nichts zu überstürzen, zugleich drängte sie ihn nicht zu lange zu warten, aber bei dem allmächtigen Gott… Selbst, wenn er Theofanos hereingelassen hätte, ständen sie nicht weiterhin vor dem Problem in einem völlig fremden Haus zu sein, vielleicht unendlich weit von Esca entfernt und ohne eine Ahnung, wohin sie sich wenden sollten?
Seine Kehle brannte, Verzweiflung ergriff ihn, war er doch einfach zu naiv gewesen, bei dieser riskanten Rettungsunternehmung zuzustimmen? Was würde er seiner Frau und seinen Kindern schreiben, sollte er hier in Britannia verhaftet und verurteilt werden?
Er bog ab und tatsächlich erkannte er sofort die Eingangstüre, die mit einem Brett verriegelt, aber hoffentlich nicht abgeschlossen war. Sein Herz machte einen freudigen Sprung. Wenn Theofanos erst einmal wieder bei ihm war, würden sich seine Ängste und Zweifel vielleicht etwas verwehen, war der Grieche doch der bessere Stratege und der mit den besseren Ideen.
Genau da, kam ihm aus entgegengesetzter Richtung ein junger Mann entgegen. Mit lockigen blonden Haar, einer schönen Tunica und sich müde räkelnd. Eleasar hätte ihn, schmächtig und erschöpft wie er schien, sicher überwältigen können, aber ihm war jede Art von Gewalt verhasst, doch jetzt umzudrehen und zu fliehen hätte auch keinen Zweck gehabt. Da ihm nicht besseres einfiel und er aufgrund seines hohen Lauftempos auch kaum etwas anderes übrig blieb, schloss er die Augen, der Jüngling kam näher, näher. Noch zeigte er kein Anzeichen von Misstrauen, rieb sich nur die Augen, dann fiel ihm auf, dass Eleasar einen wirklich sehr stürmischen Gang pflegte, doch da war der Christ schon an ihm vorbeigefegt. Anstatt sich zu fragen, ob der Mann, der da gerade so gestresst wirkend an ihm vorbeigezogen war, zum Haus gehörte, kratzte sich der Jüngling kurz am Kopf und rief etwas verärgert hinterher: „Renn doch nicht so! Nachher läufst du noch jemanden um!“, das war aber auch schon alles. Eleasar antwortete nicht, war aber bald stehen geblieben. Er wartete ab, dann traute er sich über seine Schulter zurück zu blicken. Der Lockenkopf war verschwunden. Eleasar konnte sein Glück gar nicht fassen. Er dankte dem Herrn und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Wer so auffällig durch die Gänge jagte, schien weniger Aufsehen zu erregen als jemand, der durch die Gänge schlich. Das sollte er sich merken, selbst wenn es nicht immer von Erfolg gekrönt sein sollte. Nachdem er also auch diese letzte Gefahr gut überstanden hatte, lief er endlich zum Eingang, räumte den Balken von der Türe weg, öffnete sie und rief leise in die Nacht: „Theofanos, bei Gott, ich hab es tatsächlich geschafft! Komm schnell, gerade ist niemand hier!“
Ein Umriss hob sich aus der Dunkelheit hervor und Eleasar, der immer wieder zu beiden Seiten hin Ausschau hielt, wurde schon ganz unruhig als Theofanos sich nur quälend langsam dem Haus nährte. Nur noch ein paar Schritte dann – plötzlich jedoch kam der Lockenkopf zurück. Eleasar hörte ihn, bevor er ihn sah, denn der Jüngling sang und pfiff fröhlich ein Lied vor sich her. Dem Christen blieb keine Zeit mehr Theofanos zu warnen. Er drückte einfach die Türe zu, ließ aber den Balken auf dem Boden liegen und stürzte so schnell es ging davon, um sich in einem der angrenzenden Räume hoffentlich kurz verstecken zu können. Er bekam Panik – der Holzbalken würde verraten, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Tatsächlich fiel Valentius der niedergestürzte Balken sofort ins Auge. Auch wenn er eben nicht bemerkt hatte, dass ein völlig Fremder durch die Räumlichkeiten seiner Herrin rannte – schließlich hatten die neben Esca weitere Sklaven gekauft, die er nicht alle annähernd kannte –, aber eine unverschlossene Türe war eine Begebenheit, die ihm auf keinen Fall entgangen wäre. Sein Gefühl sagte ihm, dass er nicht einfach den Balken wieder an seinen rechtmäßigen Platz legen sollte, sondern wie eine göttliche Eingebung öffnete er überraschend die Türe und stand einem erschrocken dreinblicken älteren Mann gegenüber.
„Wer bist du und was willst du hier?“, entfuhr es Valentius nicht minder überrascht als der Fremde vor seiner Türe.
Theofanos verzog nach dem ersten Schreck pikiert das Gesicht, dann erhob er entschuldigend die Hände.
„Mein Name ist Theofanos und nach mir wurde geschickt“, sagte er mit einer unerschütterlichen Selbstverständlichkeit und lächelte freundlich.
„So?“ Valentius konnte die Tatsache, dass die Türe nicht verriegelt war und jetzt ein fremder Mann vor seiner Türe stand nicht wirklich miteinander verbinden. War einer von den anderen Sklaven schon an der Türe gewesen, um dem Fremden zu öffnen?
Theofanos sah den Zweifel in den Augen des Jünglings flackern und beschloss seine Glaubwürdigkeit durch das Anhäufen weiterer Begebenheit zu unterstreichen, also erzählte er ungebeten weiter.
„Ja, Marcus Flavius Aquila ist doch heute Gast bei der ehrwürdigen Herrin Cornelia.“
Dass der Fremde von diesem Treffen wusste, regte Valentius‘ Misstrauen noch etwas mehr an. Er sagte aber nichts und ließ ihn fortfahren.
„Marcus ist ein bekannter eines Freundes von mir und er bat mich, für die heutige Festlichkeit mein Wissen an Gedichten und Erzählungen aufzuwarten, da Cornelias Gast in derlei Dingen ungeschickt ist.“
„Davon hat er uns nichts gesagt“, erwiderte Valentius kühl. Er traute Marcus nicht, aber diesem seltsamen Mann noch weniger.
„Es war als Überraschung gedacht. Führt mich doch zu ihnen und Marcus wird bestätigen, was ich dir gerade erzählt habe.“
Als sich der Jüngling nicht regte, wurde der Grieche zornig und donnert fuhr er den Sklaven an: „Wenn Marcus wegen deiner Sturheit seine Überraschung heute Cornelia nicht präsentieren kann und er deswegen in Verlegenheit gerät, dann will ich bei der Göttin Justitia schwören, dass du im Ansehen Cornelias schwinden wirst, gar entlassen wirst, weil du ihren Gast beleidigt hast!“
Diese Worte führten zu einem sturzartigen Umdenken bei Valentius. Er hatte recht. Besser war es ihn Marcus vorzuführen und zu hören, ob er den Mann tatsächlich kannte und eingeladen hatte. Wenn es so gewesen sein sollte, hätte er seine Aufgabe zu Marcus‘ Zufriedenheit erfüllt, was Cornelia nur schätzen konnte, wenn er ihn Belogen hatte, hatte er einen Betrüger gefasst und konnte ihn gleich einer der Legionen ausliefern, die ihn ins Gefängnis stecken konnten. Damit hätte er natürlich auch Cornelias Gunst für sich gewonnen. Allerdings behagte es ihm nicht den Fremden einzulassen.
„Warum sollte ich dich ins Haus lassen?“, fragte er ihn und der Grieche wirkte für einen Moment überrascht.
„Nun, ich kann auch hier draußen warten, während du fragen gehst“, räumte Theofanos scheinbar einsichtig, wenn auch mit beleidigter Miene ein. Das beruhigte Valentius, er nickte, schloss die Türe und legte den Balken davor, damit der Fremde keinesfalls ungesehen das Haus betreten konnte und stürmte los.
Als er weg war, kam Eleasar aus seinem Versteck, räumte schnell wieder den Balken herab und öffnete erneut die Türe.
„Theofanos schnell, komm‘ rein, er ist gerade weg!“
„Auf keinen Fall!“, wies er Theofanos Aufforderung barsch an, der Christ dachte, er fällt aus allen Wolken, aber bevor er fragen konnte, erklärte sich Theofanos schon selbst.
„Denk doch nach, du Narr! Der Sklave wird jetzt zu Marcus und Cornelia gehen und sie nach mir fragen, es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie Marcus antworten könnte: Entweder er bestätigt meine Geschichte oder er behauptet mich nicht zu kennen. Im ersten Fall würde es für Marcus schlecht aussehen, wenn der angekündigte Gelehrte, der doch bereits da war, plötzlich verschwindet, im zweiten Fall würden die Feierlichkeiten abgebrochen werden und womöglich, sobald man mein Verschwinden bemerkt, gezielt nach mir im ganze Haus suchen. Dann wäre es unmöglich noch an Esca heranzukommen. Wenn Marcus also nur einen Funken Verstand besitzt, tut er gut daran meine Geschichte zu bestätigen und das Fest weiterlaufen zu lassen.“ Eleasar unterbrach ihn, „Aber das hieße ja, dass ich alleine …“ „Ja, du musst alleine Esca finden“, sagte Theofanos und das Bedauern lag in seiner Stimme.
„Aber ich weiß doch gar nicht wie der Junge aussieht“, flüsterte Eleasar erregt, denn er spürte, dass der Sklave bald zurückkehren musste. Und da waren auch schon die Schritte von weitem zu vernehmen.
Eleasar wartete keine Beschreibung mehr ab, sondern schloss die Türe so schnell es ging und schmiss geradezu den Balken wieder auf die Eisenschienen, bevor er sich in seinem alten Versteck einfand. Von dort konnte er mit anhören, wie der Sklave Theofanos nun freundlich aufforderte ihm zu folgen. Sie gingen an Eleasars Versteck vorbei, in dem er sich immer kleiner zu machen versuchte und waren kurz darauf, außerhalb seiner Sinnesorgane. Gott hatte ihm eine weitere Prüfung auferlegt, von der der arme Christ nicht wusste, ob er damit Gottes Zorn oder Wohlgefallen erregen würde.
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[1] So etwas wie ein schwaches Rosa.
[2] Gedicht von Sophokles (496-405 v. Chr.).
[3] Plinius der Ältere; Naturalis historia.
es gibt mich noch, doch bin ich gerade schon wieder auf dem Sprung in den Uralub. Dennoch wollte ich euch das neue Kapitel ENDLICH präsentieren - danke an alle, die geschrieben und mich motiviert haben. Es hilft tatsächlich und ich möchte die Geschichte schließlich auch abschließen (nein, das ist nicht das letzte Kapitel).
Vielen lieben Dank auch an meine Betaleserinnen, die wieder alle logischen Fehler entdeckt haben.^^
Da ihr solange warten musstet, ist das Kapitel etwas länger ausgefallen.
Danke ihr da draußen!
Liebe Grüße
Kätzchen
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Esca war zwar noch nicht lange im Haus der Cornelia, dennoch kam ihm der Aufwand, den die Herrin für ihren Gast veranstalten ließ, sehr aufwendig vor. Schließlich hatte Marcus sich als Marcellus Unterhändler vorgestellt und nicht als Konsul. Doch seitdem die Kunde rumgegangen war, dass ein erneutes Festessen stattfinden sollte, gab es kaum noch einen Sklaven, ganz gleich ob Mann oder Frau, der von Valentius oder einem anderen Aufseher nicht irgendeine Aufgabe zugeschoben bekam und war sie noch so banal. Sobald eine Arbeit erledigt war, stand bereits die nächste wartend in der Türe. Alles sollte glänzen – selbstverständlich. Die Küche hatte so viele Speiseaufträge erhalten, dass die armen Köche jetzt schon zwei Tage früher mit den Vorbereitungen anfangen mussten, um die ganzen Gänge überhaupt bis zum Symposium fertig zu haben. Selbst die Pferde, deren Anwesenheit sicher nicht benötigt wurde, sollten strahlen wie Herkules‘ Pegasus.
Esca, der ursprünglich für den Küchendienst eingeteilt war, wurde nun mit allen möglichen Aufgaben betreut. Putzen war nur eine unter vielen. Am meisten Unbehagen bescherte ihm allerdings der sehr überraschende Auftrag seiner Köchin: Auf den Markt sollte er gehen; alles an Gemüse und Obstsorten kaufen, was die Läden noch aufbringen konnten und es unverzüglich zu ihr zurück transportieren. Erst dachte er, dass er möglicherweise losgeschickt wurde, weil die Körbe für die Frauen zu schwer sein könnten, schließlich waren für die Markteinkäufe die Frauen zuständig, wenn nicht gerade ein Ochse gekauft werden sollte. Nachdem ihn Alaude aber mehrmals hatte vorsprechen lassen, was er besorgen sollte („Möhren, Salat, Birnen, Äpfel, Fenchel und dann gehe ich zum Hafen und hole Gewürze“, „Nein! Du hast die getrockneten Pflaumen vergessen. Noch einmal von vorne…“), empfand er das geschätzte Gewicht der Sachen als nicht zu gewaltig für eines der Sklavenmädchen. Wahrscheinlich hatten die einfach gerade mit putzen und dem Herrichten der Herrin zu viel zu tun. Er hatte nicht gemurrt. Schließlich war es eine willkommene Abwechslung, ohne Aufsicht nach draußen gehen zu dürfen und war gut gelaunt losmarschiert, beladen mit drei geflochtenen Körben und entsprechendem Münzgeld im Ledersäckchen.
Jetzt trieb er sich durch das Forum auf der Suche nach gutem Obst und Gemüse, begutachte die Arbeiten von Goldschmieden, kaufte große Laiber Brot, gab Arbeiten für Cornelia in Auftrag. Darunter befand sich eine Delphin-Halskette, die reichlich Edelsteine aufweisen sollte. Der Schmied lachte Esca herzlich aus, als er, wie ihm befohlen worden war, ausrichtete, die Kette solle in zwei Tagen fertig sein. Das tiefe kehlige Lachen beschämte ihn, wusste er doch selbst, dass ein solcher Auftrag nur mit göttlicher Hilfe in so kurzer Zeit mit Erfolg gekrönt werden konnte. Er schluckte seinen Ärger herunter, wiederholte die Anweisung mit Nachdruck und einer leichten Drohung und ging weiter. Wenige Geschäfte weiter holte er eine neue Tunica mit dazugehöriger Stola ab, die in der Farbe nigrantis rosae[1] leuchtete und die weiße Haut der Herrin besonders unterstreichen sollte sowie ein neues Paar Schuhe. Letzten Endes war es doch so viel geworden, dass er einen Teil seines Einkaufs bei einem befreundeten Paar Cornelias zwischenlagern musste. In gleich mehreren Gängen schleppte er die Einkäufe dann zurück zur Villa. Einmal, zweimal, dreimal. Zu allem Überfluss erhielt er jedes Mal, wenn er gerade die erste Lieferung abgegeben hatte, noch nachträgliche Besorgungswünsche, sodass sein Gedächtnis mit der Fülle an Aufträgen irgendwann schlichtweg überfordert war. Zudem kreisten seine Gedanken um Marcus. Er musste in der Stadt sein und könnte ihm jeder Zeit auf dem Markplatz begegnen. Eine Begegnung, die er auf jeden Fall vermeiden wollte. Diese leise schwelende Furcht stand seiner Konzentration auf seine eigentliche Aufgabe durchweg lästig im Wege, was wiederum für die Vergesslichkeit ein gefundenes Fressen war. Bei seiner dritten Lieferung, bei der er laut fluchend feststellen musste, schon wieder etwas vergessen zu haben, fing er sich eine spöttische Bemerkung von Valentius ein, der zu wissen schien, warum Escas Erinnerungsvermögen heute nicht gut mit ihm zusammenarbeiten wollte.
Die zwei Tage der Vorbereitung waren nicht spurlos am Briganten vorbeigezogen. Wenn er abends auf sein Strohlager fiel, war es nur ein kleiner Schritt und er hatte die Brücke in die Traumwelt überschritten von deren fantastischen Traumwelt er am Morgen nichts mehr wusste. Selbst über Marcus konnte er sich kaum mehr Gedanken machen, da er gleich nach dem Aufstehen wieder bei der Ernte oder in den Ställe helfen musste, bevor er danach in die Küche hastete, wo Alaude schon mit der großen Schöpfkelle und stets einer in die Hüfte gestemmten Hand auf ihn wartete. In einer unendlichen Wortflut wies sie ihn in die schier endlosen Arten der Gewürze und Zutaten ein, von denen er teilweise noch nie gehört hatte. Im Haus von Marcus‘ Onkel war es wesentlich bescheidener zugegangen.
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Unweit von der Villa der Cornelia entfernt fieberten Marcus, Theofanos und Eleasar der Durchführung ihres Planes entgegen. Marcellus, ihr guter Helfer und Komplize, hatte sich, der Jahreszeit wegen, zurückziehen müssen.
„Bevor die Herbststürme kommen, will ich in Gallien sein. Das Wetter hier behagt mir nicht und ich habe noch einiges an Ware unter die Menschen zu bringen. Schreibt mir unbedingt, wenn euer Abenteuer glücklich enden sollte. Höre ich nichts von euch, opfere ich und bete für eure Seelen“, hatte er ihnen zum Abschied gewünscht.
„Meinst du, wir begehen einen solchen Frevel, dass wir mit dem Tod gestraft werden?“, hatte Theofanos da gefragt, in der festen Überzeugung eine negative Antwort zu erhalten.
„Alle Menschen, die Pläne im Geheimen schmieden, spielen mit ihrem Leben. Ich hoffe nur Fortuna ist auf eurer Seite. Aber Götter sind launige Wesen. Meldet euch! Ich kann jetzt leider nichts mehr für euch tun.“
Sie hatten sich nach einer kurzen, aber ehrlichen Umarmung getrennt. Eleasar hatte es sogar noch geschafft, mit ihm einen Handel abzuschließen, der eintreten sollte, wenn sich ihre beiden Schiffe in Gallien begegnen. Auf Marcellus Empfehlung hin hatten sie eine bezahlbare Unterkunft bei einem alten Witwer gefunden, der seinen Lebensunterhalt dadurch aufbesserte, indem er Reisenden für ein paar Tage bei sich einen Unterschlupf bot. Der Alte, Claudius war sein Name, hielt sich tagsüber am liebsten unten am Fluss auf, wo er sich an die Zeiten mit seiner Frau und ihrem Kindern zurückerinnerte und sich ein paar kleine Fische angelte. Seine Kinder waren alle auf das Festland gegangen. Ab und an schickten sie ihm kleine Nachrichten und etwas Geld, damit er sein Leben noch gut bestreiten konnte. Seine Frau war einer Epidemie zum Opfer gefallen.
„Das ist lange her“, sagte er immer und lächelte dabei milde. Eigentlich bot seine Wohnung gerade genug Platz für zwei Personen. Jetzt zu viert kamen sich die Männer näher als ihnen lieb war, aber gerade, wenn nachts der kalte Westwind durch die schmalen Ritzen im Gemäuer blies, hatte diese Form des Windschutzes durchaus etwas für sich. Trotzdem wünschte sich Marcus diese Konstellation möglichst bald wieder auflösen zu können.
Der ehemalige Centurio starrte die lehmverputze Decke an und lauschte den gleichmäßigen und teilweise schnarrenden Atemzügen seiner Kameraden und Claudius‘. Es ruhte eine ungewohnte Gelassenheit in ihm. Als sei das schwerste Stück Arbeit schon längst getan worden und läge nicht erst noch vor ihnen. War der Plan so brillant, dass alle Zweifel von ihm abgefallen waren? Sicher nicht. Der Plan wirkte in seinen Augen wie ein löchriger Umhang, der weder Schutz vor Regen noch Wärme bei Kälte bot. Doch Theofanos und Eleasar hatten mit einer solchen Leidenschaft mitgearbeitet, verbessert, korrigiert, Notlösungen erfunden – irgendwie konnte doch nun wirklich kaum mehr etwas schief gehen. Bald würde er sein Ziel erreichen. Esca wieder an seiner Seite. Er musste mit ihm reden. Worauf würde das hinauslaufen? Escas Gesicht vor seinem inneren Auge machte einen angewiderten Ausdruck, der Marcus zum Schmunzeln brachte. Nein, das würde Esca wohl tatsächlich nicht so gerne tun – er selbst wollte auch über so einen weibischen Kram lieber Schweigen, aber es war wohl nicht die Lösung. Vorsichtig, damit er durch seine Bewegung nicht an Theofanos stieß und diesen womöglich noch weckte, drehte er sich auf die Seite in der Hoffnung, ein paar Tropfen Schlaf noch abzubekommen. Auf die Monologe des selbsternannten Philosophen hatte er keine Lust, sie machten ihn unsicher oder, um ehrlich zu sprechen: aggressiv.
Cornelia hatte gut auf ihn reagiert, obwohl sie ihn nicht kannte. Die Einladung war überraschend gekommen und sollte hoffentlich nicht noch mehr Überraschungen in sich bergen. Er knetete seine Handknöchel. Theofanos kratzte sich im Schlaf den Bart, schmatzte zufrieden und drehte sich ein Stück weiter weg von Marcus, halb auf den armen Eleasar, der einen quietschenden Laut von sich gab, aber nicht aufwachte. „Noch wenige Stunden“, sein Herz schlug schneller, „nur noch wenige Stunden“. Er schloss die Augen, döste vor sich hin, hörte Claudius, noch bevor die Sonne aufging, den Raum verlassen und schlief tatsächlich noch einmal traumlos ein.
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„Esca, bist du schon aufgeregt?“, Valentius beugte sich über das Gemüse, das Esca versuchte in möglichst gleich große Stücke zu schneiden. Gerade bei den Möhren schien es ihm ein Ding der Unmöglichkeit, wollte er nicht lauter apfelkerngroße Stücken in die Suppe schütten. Alaude würde ihm ihren Kochlöffel wieder um die Ohren hauen, würde sie nachher zurückkommen, aber noch waren die beiden jungen Männer alleine in der Küche. Er ignorierte Valentius‘ Anspielung und schob mit dem Messer die Stücken, die nun alle eine ganz individuelle Größe hatten, beiseite und nahm sich das nächste Gemüse, dessen Namen er nicht kannte. Nur ein kurzer Blick reichte, damit sich Esca sicher war, dass es das in Britannia nirgends zu ernten gab. Es war rund, braun und mit einem langen grünen Büschel. Der sah nicht besonders essbar aus, also schnitt er ihn auf gut Glück ab und widmete sich danach der Knolle, die aus vielen dünnen Hautschichten zu bestehen schien. Er suchte einen Anfang.
„Warum sollte ich aufgeregt sein?“, fragte er desinteressiert zurück, obwohl er die Antwort bereits wusste. Er hatte die Mitte der Knolle gefunden, jetzt mit einem beherzten Ruck die Hälften voneinander trennen.
Valentius, der ahnte, dass Esca noch keine Bekanntschaft mit einer Zwiebel vom Festland gemacht hatte, trat einen Schritt beiseite und stemmte die Hände, es Alaude nachmachend, in die Seiten. „Na dieser Marcus kommt heute Abend. Deswegen veranstaltet Cornelia doch diesen Wahnsinn.“
Das Messer glitt etwas zu schnell durch das Gemüse und schlug auf den Steinuntergrund auf, was einen unschönen Ton ergab und etwas Saft aus dem Innern der Zwiebel hervorspritzen ließ, der beinahe Escas Augen traf.
„Ich dachte, Cornelia veranstaltet bei jedem ihrer Gäste so ein Zirkusspektakel.“ Lauter Ringe, die sobald man sie zu grob packte, auseinanderfielen, begrüßten Esca, ließen ihn etwas ratlos herum probieren, wie man die ungewöhnliche Speise am besten festhielt und schnitt weiter. Ein beißender Geruch stieg ihm bald in die Nase.
Valentius begann zu grinsen, als er sah, wie Esca die Nase rümpfte und ihm kurz darauf die Augen anfingen zu Tränen. „Bei allen Göttern, nein!“, kicherte Valentius, „Wenn unsere Herrin jedes Mal so eine Tafel auftischen würde, dann müssten wir bald im Armenviertel quartieren. Dieser Marcus scheint sie wirklich sehr zu interessieren.“ Dabei rollte er vielsagend mit den Augen und angelte sich eine kleine Scheibe, die, von ihrer Gruppe getrennt, herrenlos herumlag.
Esca liefen die Tränen in Strömen die Wangen herunter. Doch umso mehr er rieb, desto heftiger flossen sie.
„Was für ein böser Zauber ist das?“, rief er deshalb erbost aus. Er ließ die Zwiebel und das Messer fallen und taumelte halb blind durch den Tränenschleier vom Tisch weg. Valentius lachte laut auf.
„Das, mein lieber Esca, ist eine Zwiebel. Die Römer lieben sie, sprechen ihr sogar magische Fähigkeiten zu, aber sie ist ein tückisches Biest. Geh, wasch dir die Hände und dann das Gesicht und wenn du sie gleich weiter schneidest, versuche nur durch den Mund zu atmen.“ Esca legte den Kopf in den Nacken und verbarg sein Gesicht in seiner Armbeuge.
„Warum schneidest du sie nicht zu, wenn du es doch so gut weißt?“, fragte er zornig und tastete nach dem Eimer Wasser, der eigentlich für das Suppenwasser gedacht war. Er würde gleich neues holen müssen.
„Jeder hier im Haus hat seine Aufgaben, meine ist es nicht in der Küche zu helfen“, antwortete der andere achselzuckend.
„Sie kann es auch nicht sein, mich bei meiner Arbeit zu stören. Also sag, was willst du eigentlich von mir?“ Das Brennen ließ kaum nach, dennoch war das lauwarme Wasser das beste, was ihm gerade einfiel.
Valentius fuhr durch sein lockiges Haar und betrachtete den Briganten dabei, wie er sein Gesicht mit seiner Tunica trocknete. Keine besondere Gemütsregung verriet, was durch seinen Kopf ging.
„Möglicherweise denkt Cornelia daran ihn zu heiraten…“
Esca stoppte in der Bewegung, führte sie aber dann doch zu Ende aus. Als er seine Gedanken gesammelt hatte, fragte er bemüht ruhig nach: „Meinst du, Amors Pfeil habe ihre Leidenschaft neu entbrannt?“ Es sollte etwas spöttisch klingen, damit Valentius nicht zu schnell Verdacht schöpfte, zugleich dachte er an die Schwärmereien des Sklaven. Er müsste tief getroffen sein, wenn Cornelia tatsächlich plante Marcus Heiratspläne zu unterbreiten. Aber nach dem, was Valentius erzählt hatte, konnte er sich dies nicht vorstellen. Als Valentius verstand, dass Esca erhebliche Zweifel an seiner Behauptung hegte, spielte er seine Vermutung etwas runter. „Gut, also vielleicht nicht heiraten. Aber sie findet ihn attraktiv. Was ist, wenn er meine Stelle einnehmen soll?“ Der Blick des Jünglings wurde betroffen. Für Esca sah es aus, als bangte er wirklichum seinen Platz an Cornelias Seite. Tatsächlich erschien Esca diese Angst berechtigter zu sein, auch wenn Marcus seines Erachtens völlig ungeeignet für diese Aufgabe war. Mitfühlend versuchte der Brigante ihn zu beruhigen.
„Es ist zwar nicht ausgeschlossen, was du sagst, wobei der Unterhändler…“ – „Sagtest du nicht, er hieße Marcus?“, unterbrach ihn Valentius. „Ja. Das tat ich. Also du kannst davon ausgehen, dass Marcus bei weiten nicht dein Äußeres oder dein Alter besitzt, um dir gefährlich zu werden. Außerdem müsste er ihren Verlockungen zuerst nachgeben.“
Endlich war das Brennen aus seinen Augen verbannt. Ohne große Lust kehrte er an seinen Platz zurück, um seine Aufgabe zu erfüllen, bevor Alaude zurück in die Küche kam. Tief atmete er durch den Mund ein und wieder aus und wahrhaftig fingen dieses Mal seine Augen nicht an zu tränen. So machte er sich wieder an sein Werk. Valentius stand nachdenklich neben ihm. In Gedanken noch halb versunken, flüsterte er: „Es sind nicht alle Männer so standhaft oder abweisend wie du, Esca. Die Herrin ist verführerischer, wenn sie nicht getrunken hat.“
Die erste Hälfte hatte Esca geschafft. Er versuchte sich auf das Schneiden zu konzentrieren. Valentius hatte also erfahren, dass er die eine Nacht nach dem Symposium bei Cornelia verbracht hatte und nichts geschehen war. Erleichterung und Scham machten sich in ihm breit. „Dem habe ich nie widersprochen.“ Nur noch ein kleines Stück, dann war die Zwiebel fertig. Überall lagen halbe Ringe herum. Große und kleine. Die dünne, zerbrechliche Haut lag in Stücken auf dem Boden auf den sie zuvor langsam runter gesegelt war.
Es gefiel dem Lockenkopf, mit den Fingern schnappte er sich erneut einen Ring und stopfte sich ihn in den Mund. Ungläubig beobachtete Esca, wie der junge Mann darauf herumkaute und er es dann herunterschluckte. Niemals würde Esca dieses seltsame Zeug probieren.
„Ich werde ein Auge auf den Römer haben. Ich traue ihm nicht, wenn ich auch der Herrin und ihren guten Geschmack nicht im Weg stehen möchte“, verkündete Valentius und klang dabei verletzt. Esca wusste sich zu der Vorstellung, Cornelia könnte mit Marcus … nein, daran wollte er nicht denken. Die Prostituierte hatte ihm zu gut gezeigt, wie zwiespältig er nur mit diesen Themen umgehen konnte.
„Wirst du heute Abend den Mundschenk machen?“, fragte Valentius desinteressiert, als der Brigante nichts auf seine aufopferungsvollen Worte erwiderte. Dieser räumte still das Messer weg und schob die beiden Gemüsehaufen nebeneinander, damit er gleich genug Platz für die nächste Schneidearbeit hatte. Er schaute Valentius nicht an, antwortete nur müde: „Nein, ich habe unsere Herrin gebeten mich freizustellen. Ich fühle mich nicht wohl und bin noch ein Anfänger als Mundschenk und habe darum ersucht, heute ausnahmsweise vom Dienst verschont zu werden.“
Das erstaunte den Lockenkopf. Cornelia hatte ihm den Abend frei gegeben? Aber würde ihr Plan ohne Esca im Raum denn dann überhaupt noch funktionieren? Warum hatte seine Herrin ihm das nicht mitgeteilt oder war bloß noch keine Zeit gewesen?
Er nickte stumm, räkelte sich und beschloss nun tatsächlich endlich seiner Arbeit nachzugehen, gleich nachdem er Cornelia einen Besuch abgestattet hätte.
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Voller Ungeduld trat Marcus jedes Mal ans Fenster, in der Hoffnung, am Himmel zeige sich Selene persönlich auf ihrem Himmelswagen, um die Nacht einzuläuten. Doch obwohl die Tage deutlich kürzer wurden und die Saturnalien kurz bevorstanden, schien es als wollte Helios ausgerechnet heute die Sonne für immer an dem grauen britannischen Himmel stehen lassen. Theofanos hockte, die schwarzen Locken tief in der Stirn hängend, in einer Ecke des Zimmers und versuchte sich auf die Buchrolle zu konzentrieren, die er aufgerollt auf seinen angezogenen Beinen abgelegt hatte. Eleasar hatte die Langeweile geplagt und sich zu einem kleinen Spaziergang durch die Stadt entschlossen. Er würde es schon mitbekommen, wenn es losginge. Auch nach ihm hielt der ehemalige Centurio Ausschau. Zwar war es nicht notwendig, dass Eleasar von Anfang an dabei war, aber so hatte er eine bessere Kontrolle über seine Helfer. Besonders Theofanos führte plötzliche Alleingänge und spontane Planänderungen gerne ohne seine Rücksprache durch. Dankbarerweise setzte sich der Grieche in diesem Moment mit seinem Lieblingslehrer auseinander und kam daher nicht auf den Gedanken Marcus mit seiner Altklugheit zusätzlich nervös zu machen.
„Eleasar ist aber lange fort“, murmelte da der Bärtige, wie aufs Stichwort, Marcus fuhr ruckartig um.
„Die Sonne steht heute auch lange am Himmel“, antwortete Marcus ebenfalls murmelnd. Theofanos hob seinen Blick von der Rolle und zog spielerisch eine Augenbraue hoch.
„So nervös?“, fragte er geheuchelt mitleidig. Marcus schnaufte verärgert.
„Würden wir die Plätze tauschen können, wäre ich weniger angespannt.“
„Ich hätte gegen ein gutes Gespräch mit einer hübschen und gebildeten Frau nichts einzuwenden, aber würde meine Gestalt sicherlich für einige Verwirrung sorgen“, gab er mit einem weisen Lächeln zu bedenken.
„Vielleicht läge darin der größere Vorteil“, erwiderte Marcus, ohne jedoch seine Worte genau überdacht zu haben und bereute sogleich ins Wespennest gestochen zu haben.
„Marcus, du bist ein Esel!“, brauste Theofanos auf, „Bedenke doch nur, wenn Chaos herrscht, tun alle etwas vollkommen Unerwartetes. Glaubst du wirklich, darin liege ein Vorteil auf unserer Seite?“ Er beruhigte sich, fuhr sich über die Augen, bevor er fortfuhr: „So oder so. Wenn wir erwischt werden, droht uns ein Prozess.“ Seine Emotionen kochten erneut hoch. „Du als römischer Bürger kommst vielleicht noch gut weg – für mich darfst du dann ein Grabmal bestellen. Aber bitte ein Würdiges, nicht zu alt- und nicht zu neumodisch und Elasar? An den mag ich gar nicht denken, was mit dem armen Eleasar geschieht, will mein Kopf sich nicht ausmalen.“ Theofanos‘ Augen funkelten angriffslustig, Marcus war wohl nicht der einzige, der sich um den Verlauf des Abends sorgte.
Marcus massierte sich die Schläfe. Sprach sonst Theofanos nicht von der Tugend der Ausgeglichenheit? „Lass die schlechten Witze. Sollte dir etwas geschehen, würde Esca sowieso nie wieder ein Wort mit mir wechseln … Wo bleibt denn nur dieser verdammte Christ?“
Angestrengt atmete Theofanos durch. „Der wird schon kommen, Marcus. Er ist hat eine gute Seele und er kennt den Plan. Lass ihn seinen Spaziergang in Ruhe beenden. Wir haben noch viel Zeit, aber für dich ist es an der Zeit aufzubrechen. Es beginnt zu dämmern“, sagte der Grieche und wies auf den sich langsam einfärbenden Himmel.
Er hatte nur einen Moment nicht aufgepasst, doch tatsächlich war sein Schatten länger und zugleich schwächer geworden. Helios hatte sein Gespann endlich zur Ruhe gebracht und Selene hatte die Zügel übernommen. Die Nacht brach an. Akribisch ließ der Römer seinen Blick ein letztes Mal über seine Kleider schweifen. Tunica und Mantel lagen gut. Claudius war so nett gewesen und hatte ihm die Haare noch etwas zurecht gestutzt, Eleasar ihm ein kleines Geschenk für die Hausherrin besorgt und Theofanos an seinen Manieren gearbeitet, was sicherlich der anstrengendste Part gewesen war. Nicht, dass Marcus keine Manieren besessen hätte, aber der kleinste Augenschlag, ein falsches Verziehen des Mundwinkels und ein zu lautes Atemgeräusch führte gleich zu grundsätzlichen Streitereien zwischen den beiden, sodass von dieser Lerneinheit nicht viel zu erwarten war.
„Ich gehe jetzt“, sagte der Römer laut, mehr um sich selbst davon zu überzeugen, diesen letzten Schritt zu tun als Theofanos davon in Kenntnis zu setzen, dem ein süffisantes „Das sehe ich“ nicht zwischen den Lippen hindurchgerutscht war. Stattdessen rollte er seine Buchrolle zusammen, verstaute sie in seiner Pera, einer Tasche, die er sich von Claudius geliehen und die einst einem Legionär gehört hatte. Für die Tasche hatte der schlaue Claudius eine kleine Gegenleistung in Form klimpernden Kleingeldes verlangt und erhalten.
„Du willst doch hoffentlich das Ding jetzt nicht mitnehmen?“, fragte ihn Marcus, der wusste, was überflüssige Lasten für ein Hindernis sein konnten, wenn es mal schnell gehen musste. Theofanos jedoch ließ sich nicht beeindrucken.
„Diese Buchrolle hat einen zu kostbaren Inhalt als dass ich ihn hier in diesem Mäuseloch zurücklasse“, bekräftigte er und trat als Erster hinaus ins Treppenhaus. Von unten hörte man, wie ein Ladenbesitzer, der unter den kleinen Wohnungen sein Geschäft hatte, einpackte und alles mit schweren Eisenschlössern verriegelte. Sie warteten bis alles wieder ruhig geworden war und stiegen dann die schmalen Treppen hinab.
Als sie unten auf der fast leergefegten Straße standen, war die Sonne schon beinahe am Horizont verschwunden. Marcus zog den Mantel über den Kopf, gab Theofanos ein Zeichen des Abschiedes. Der Grieche wandte sich, nachdem Marcus um die nächste Häuserecke verschwunden war, ebenfalls um und lief in die entgegengesetzte Richtung – so wie sie es ausgemacht hatten. Die Wolken des Tages begünstigten eine dunkle Nacht, deren Schatten alles auffraßen, was sich in ihnen bewegte, allerdings den Ortsunkundigen auch leicht in die Irre gehen ließ. Theofanos kramte aus seiner Tasche einen längeren Faden, in dem zehn Knoten geknüpft worden waren. Mit einem letzten Blick über beide Schultern versteckte er sich in einer besonderen dunklen Ecke in der Nähe eines Hauseinganges, legte Zeigefinger und Daumen um den ersten Knoten und begann langsam flüsternd folgende Verse aufzusagen:
„Wenn die Hoffnung, irren Fußes,Manchem auch nicht ihres Grußes,Freundlichkeit des Aug' erquicket;Andre hat zu wilder LustSie entbrannt und schon gezücketHält das Schicksal auf die BrustDann den Dolch, den sich die TorenRasend in den Busen bohren.“[2]
Nachdem er geendigt hatte, rückten seine Finger einen Knoten weiter und er begann das Gedicht von vorne aufzusagen. Nachdem er alle zehn Knoten auf diese Weise abgearbeitet hatte, zählte er im Kopf noch einmal langsam bis zehn. Dann trat er aus dem Schatten hervor, drehte sich aus der Richtung aus der er gekommen war zu und nahm die Verfolgung von Marcus auf. Lief alles nach Plan, war hier irgendwo in der Stadt Eleasar bereits ebenfalls auf dem Weg zum Haus der Cornelia. Sie dürften nur keineswegs zusammen angetroffen werden.
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Sein Puls beschleunigte wie das Gespann des legendären Scorpus, als der Sklave mit dem weiblichen Zügen und den amorhaften Lockenkopf ihn aufforderte, ihm zu folgen. Obwohl die Gänge mit Fackeln erleuchtet waren, trug auch der Sklave eine bei sich, wodurch die Gänge taghell erstrahlten. Schon von weitem hörte Marcus die verspielten Töne der Flöten und sanften Klänge der Lyra an sein Ohr dringen. Sie nährten sich einem großen Raum, an dessen Schwelle bereits wild die Schatten zuckten und der Duft gebratenen Fleisches in der Luft hang. Marcus atmete tief durch, rückte seine Toga etwas zurecht und betrat den Festraum. Bevor er mit beiden Füßen den Boden des Zimmers berührt hatte, hielt ihm bereits ein noch sehr jung wirkender Knabe ein Tablett mit Kleinigkeiten unter die Nase. Ohne genau hinzusehen, griff Marcus danach, schaute den Knaben nicht einmal an und ließ seine Augen einmal durch den Raum schweifen. Es war wahrlich ein Festsaal wie er denen aus Rom Konkurrenz machen konnte. An den rot gestrichenen Wänden wälzten sich betrunkene Sartyre, die sich Weintrauben in den Mund stopften. Nackte Mänaden spielten auf Flöten und tanzten berauscht um das in der Mitte thronende Paar. Dionysos, ein halber Jüngling mit langen Haaren und einer Efeukrone legte seinen Arm und Ariadne, die seinen Tyrsosstab hielt und damit aussah als sei sie die wahre Herrin über die wilde Meute. Auf einer weiteren Wand hatte Cornelia ein Symposion aufmalen lassen, das Marcus sofort ins Auge fiel, weil kaum Männer darauf zu finden waren. Nur einer hatte es sich auf einer Kline breit gemacht. Dafür waren überall Frauen in schönen Tuniken und mit aufwendigen Frisuren zu sehen, die musizierten und miteinander tief ins Gespräch versunken waren. Besonders lange hatte Marcus keine Zeit sich die eigeneartige Szene einzuprägen, doch schien sie eine ähnliche Botschaft wie die dionysische Szene vermitteln zu wollen: Hier hatte eine Frau das Sagen und der Gast, egal ob Weib oder Mann, hatte sich ihren Gesetzen zu beugen. Eine Warnung oder Drohung, je nachdem in welcher Gesinnung man kam.
Als er seine Augen von den bunten Wänden abwandte, eröffnete sich vor ihm ein Meer aus zahllosen leckeren Speisen. Ein so opulentes Mahl hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Sein Onkel hatte auf große Festlichkeiten kaum Wert gelegt und sich von Gastgebertätigkeiten zurückgezogen. Oliven, Trauben, Brot, und weitere Häppchen; alles war vorhanden und bildete ein buntes Mosaik auf dem viel zu kleinen Tisch. Claudia hatte ihren Thron, den Marcus bei ihrem ersten Treffen bereits kennen gelernt hatte, in den Saal bringen lassen. Für Marcus stand eine Kline bereit. An so viel Konvention hielt sich Claudia also doch, dass sie für sich keine Kline in Anspruch nahm, möglicherweise auch gar nicht wollte.
Cornelia war eine Augenweide – ihr Gewand bestand aus den feinsten Stoffen des Orients, es lag perfekt an ihrem Körper an. Jede Falte des Palliums, das sie noch über die Tunica gezogen hatte, saß an der richtigen Stelle. Ihre Haare waren in aufwendigen Locken und geflochtenen Zöpfen auf ihren Kopf drapiert. Marcus fiel allerdings sofort auf, dass es sich bei der Frisur um ein bereits nicht mehr aktuelles Modell handelte. Zwar verfolgte er die sich stetig wandelnde Frisurenwelt der Kaiserinnen nicht, aber an dieses sehr spezielle Modell erinnerte er sich. Es war das letzte, bevor mit dem unverheirateten Hadrian etwas Ruhe in diese nach Mode dürstenden römischen Frauenbilder Einzug erhielt. Man war hier eben doch in einer Provinz und die neusten Vorlieben der Weltstadt brauchten länger bis in die hintersten Ecken des Reiches zu dringen als es Marcus für möglich gehalten hatte. Gerade dieses Modell erforderte von Cornelias Sklavinnen sicherlich ein wahres handwerkliches Geschick und von ihr eine schier eiserne Geduld, damit ein solch aufwendiges Gebilde entstehen konnte. Trotz des für Marcus eher komischen Aufbaus, musste er für die Arbeit, die hinter diesem Berg Haare steckte, ihr einen gewissen Respekt zollen. Cornelias Erscheinung nahm den gesamten Raum für sich in Anspruch und selbst Marcus‘ purpurne Toga konnte dort nicht mithalten. Jedoch waren sie nicht allein im Raum.
Außer ihnen standen noch drei Musiker im Raum. Ein hübsches Mädchen, das ganz entgegen ihrer Herrin sich durch reine Schlichtheit hervortat und ihre Finger geschickt über die Saiten einer Lyra gleiten ließ. Dazu versuchten zwei schwarze Sklaven, die auf einer Flöte und einer Handtrommel spielten, die Lyra zu begleiten. Sie standen in einer schattigen Ecke, sodass es aussah als verschmelzten ihre Körper mit den Wänden und die Instrumente alleine in der Luft spielten.
Marcus verbeugte sich vor Cornelia, die kleopatragleich auf ihrem Thron verharrte und ihren Besucher ein würdevolles Lächeln schenkte. Es war nicht ganz klar, ob es sich hierbei um das freundschaftliche Treffen zweier sich eigentlich fremder Personen handelte oder um das Zusammentreffen zweier Kontrahenten, die nur nicht wussten, um was sie genau buhlten – oder wussten sie es möglicherweise doch? Die Musik verstummte und es wurde still im Raum. Cornelia erhob sich und ging auf Marcus zu, dieser versuchte gelassen stehen zu bleiben, doch verwirrte ihn die so untypisch angespannte Atmosphäre zunehmend. War ein Symposion zu zweit nicht sehr ungewöhnlich? Warum gab es keine anderen Gäste? Wo war die sonst so ausgelassene und befreite Stimmung, die man den Gastmählern nachrühmte? Sie blickten sich geradewegs in die Augen, keiner von beiden wollte sich eine Blöße geben.
„Marcus, es freut mich, dass du gekommen bist, und ich begrüße dich erneut in meinem Haus.“
„Es ehrt mich, dass Ihr mir die Einladung geschickt habt.“
Die Musik begann auf ein unsichtbares Zeichen wieder zu spielen, sodass dass folgende Gespräch der beiden von niemanden außer ihnen gehört werden konnte.
„Du scheinst nicht oft eingeladen zu werden oder bringst du immer so ein ernstes Gesicht mit?“, spöttelte sie, obwohl Marcus krampfhaft versuchte sich an die Ratschläge des Griechen zu erinnern möglichst gelassen zu wirken, jedoch schien sich dieses krampfhafte Erinnern auf seinem Gesicht widerzuspiegeln. Schließlich fiel ihm ein einziger netter Satz ein, der die Situation vielleicht etwas lösen würde.
„Eure schöne Gestalt hat mich überwältigt“, seine Stimme kam ihm seltsam fremd vor und auch Cornelia schenkte diesen süßlichen Worten keinen wahren Glauben. Ihr Lächeln wurde breiter als sie eben so charmant antwortete: „Schmeichler, und ich dachte, du suchtest nach meinem Sklaven.“
Marcus` Herz machte einen Satz – „Ihr meint eure rechte Hand?“, versuchte er zu vertuschen, dass er genau wusste, auf wen Cornelia anspielte.
„Nein, Valentius ist ja da“, dabei machte ihre Hand eine schwingende Bewegung zur Seite, wo Valentius sich brav in einer Ecke zurückgezogen aufhielt, „Ich meinte Esca, mit dem ihr euch so angeregt unterhaltet hattet.“
Marcus spürte, dass er in eine Falle geraten war. Hatte Cornelia etwas bemerkt? Aber es war noch zu früh, aufzugeben, also ließ er sich auf das Spiel vorsichtig ein. Er musste Theofanos und Eleasar etwas Zeit verschaffen, um ihren Plan umsetzen zu können.
„Es war eine anregende Unterhaltung. Er stammt aus einem Dorf, durch das einst mein Vater gezogen war. Wir haben so gesehen in alten Erinnerungen verweilt.
„So? Wie wäre es, wenn ich ihn kommen ließe, damit er uns etwas mit seinen Geschichten unterhält?“ Das Lächeln auf Cornelias Lippen wurde herausfordernd. Sie wollte ihn provozieren, er sah es in ihren Augen.
„Ich denke, Herrin, Ihr seid heute Abend Unterhaltung genug. Wünscht Ihr aber seine Anwesenheit, so lasst ihn kommen.“
Für einen Moment wirkte der sonst so unberührte Ausdruck auf Cornelias Gesicht überrascht, dann aber überlegte sie kurz, schüttelte daraufhin ihren Kopf, ging zu dem reich gedeckten Tisch, auf dem auch bereits ein Becher mit Wein stand, griff nach ihm und reichte ihn Marcus.
„Den Trinkspruch überlasse ich dir. Mich haben die Musen heute nicht beglückt und ist es nicht eh die Aufgabe des Mannes?“ Den letzten Teil des Satzes sprach sie merkwürdig aus als wäre ihr nach Lachen zu Mute. Marcus Sinn für Gefahr meldete sich, kam aber der Bitte nach, nahm den Becher an und schritt zu der für ihn vorgesehenen Kline, während Cornelia sich zurück auf ihren Thron begab. „Wie eine Auszeichnung“, dachte er kurz, besann sich dann aber wieder auf seine Umgebung. Es war schlau von der Hausherrin gewesen diesen mächtigen Stuhl auszuwählen, war sie doch jetzt aus der liegenden Perspektive Marcus noch ehrfurchtsgebietender als sowieso schon. Jeder der vor einem anderen lag, fühlte sich diesem unterlegen. Aus diesem Grund blieb Marcus während des Trinkspruchs stehen und legte sich erst, als es um die ersten Vorspeisen ging.
*
Ungeduldig wartete Theofanos versteckt hinter einem großen alten Birnbau, in der Nähe der Villa der Cornelia auf Eleasar. Der Christ verspätete sich. Hatte er ihn eben noch vor Marcus in Schutz genommen, war nun er es, dem sein Fehlen unangenehm aufstieß. Wenn ihre Mission schon so begann, wollte er sich das Ende gar nicht ausmalen. Der Grieche konnte schlecht abschätzen, wie viel Zeit bereits vergangen war, aber bei Athena, es war sicherlich schon zu viel! Er kniff die Augen fast zu Schlitzen zusammen, in der Hoffnung dadurch mehr erkennen zu können, doch alles Starren half nichts. In der Dunkelheit regte sich nichts. Wenn nicht bald etwas geschähe, müsste Theofanos versuchen, ihren Plan alleine auszuführen, eine riskante Angelegenheit, aber ein Versuch war es wert. Da vernahm er das hastige Laufen zweier Füße, dazu ein heftiges nach Luft ringen, wie jemand, der es nicht gewohnt war, sich so schnell zu bewegen. Probeweise rief Theofanos mit unterdrückter Stimme: „Eleasar?“ In die Dunkelheit und ebenso vorsichtig und leise kam es „Theofanos?“ zurück.
Der Grieche atmete auf, um gleich darauf leise zu schimpfen: „Wo bist du gewesen bei allen Göttern! Mein armer Verstand wollte sich gerade schon überlegen, wie ich alleine in die Villa hinein und wieder hinaus kommen sollte. Was hat dich aufgehalten?“
Der Christ war in sich zusammengesunken, immer noch schwer atmend, stütze er sich auf seine Oberschenkel und nur mit viel Mühe berichtet er von dem, was ihm geschehen war.
„Du wirst es nicht glauben, Theofanos, aber ich wurde ganz sicher verfolgt. Ich war noch auf dem Markt, um mir die Waren dort anzusehen. Furchtbare Stoffe sag ich dir, ich könnte wesentlich bessere heranschaffen. Als ich aber so ging und ging, bemerkte ich bald, dass mir zwei Männer folgten. Erst hielt ich es für ein Gespenst meiner Angst vor unserem heutigen Vorhaben. Doch so oft ich auch in Straßen abbog und sinnlos im Kreis lief, die Männer hörten nicht auf mir nachzufolgen. Ich bekam es immer mehr mit der wahrhaftigen Angst zu tun und wollte nicht zu uns zurückgehen, da ich fürchtete, sie würden nach Marcus suchen.“
„Wieso nach Marcus und nicht nach dir, mir oder gar jemand anderen?“
„Nur ein Gefühl. Ist auch gleich, wen sie finden wollten, aber ich musste sie loswerden. Als einzige Lösung kam mir in den Sinn, sie auszutricksen.“
Theofanos spitzte die Ohren. So gewieft kam ihm der Händler nicht vor, dass er in der Lage war gleich zwei Verfolger abzuschütteln. Ungläubig erkundigte er sich, wie er das angestellt hatte.
„Ich ging zum Hafen, unterhielt mich wahllos mit ein paar Leuten und erkundigte mich über die Gegend. Die Männer hielten zum Glück immer so viel Abstand, dass ich nicht Flüstern brauchte. Die Leute verrieten mir, dass man mit einem Boot ein gutes Stück den Fluss herabfahren könnte. Kaum sichtbar gäbe es dann auf der linken Seite eine kleine Sandbucht, steuerte man diese an, könnte man von dort bequem wieder nach Londinum auf einem nicht allzu langen Fußmarsch zurücklaufen. Das war meine Gelegenheit. Ich hoffte natürlich, dass meine Verfolger alleine dadurch, dass ich in ein Boot stiege, ihre Verfolgung abbrechen würden, doch durch diesen Kniff, war ich doppelt abgesichert. Ich tat also, wie ich es dir gerade erzählte und alles funktionierte wunderbar. Ich habe mich sogar noch am Ufer versteckt und beobachten können, wie die Unbekannten mit ihrem Boot, das sie sicherlich gestohlen haben müssen, denn das gekappte Tau schwamm noch am Buck hinterher, an dem meinen, ohne es zu sehen, vorbeifuhren. Dann ging ich los. Leider war der kurze Marsch von dem die Leute gesprochen hatten, um einiges anstrengender als gedacht oder man muss ortskundiger als ich sein, um die zum Teil unpassierbaren Wege besser zu umgehen. Aber wie du siehst, habe ich es noch geschafft.“
Anerkennend legte Theofanos seine Hand auf Eleasars Schulter, der Stolz, wenn auch noch verschwitzt, lächelte. Jetzt erst bemerkte der Grieche, dass die Kleidung seines Gefährten über und über von lästigen Klettpflanzen verschmutzt und seine Arme teilweise von Dornen zerkratzt waren.
Trotz dieses Erfolgs, verlor Theofanos nicht die wichtigen Fragen aus den Augen. Ernst und besorgt fragte er seinen Gefährten eindringlich: „Mein lieber Eleasar, für deine große und mutige Tat wird dir dein Gott sicher noch eine Gnade zukommen lassen. Aber wer die Fremden waren, weißt du nicht?“
Niedergeschlagen schüttelte Eleasar den Kopf. „Nein. Ich konnte ihre Gesichter auch nicht erkennen, da sie stets ihre Kapuzen über ihre Köpfe gezogen hatten. Sie unterschieden sich vor allem in ihrer Größe und ich könnte schwören, dass sie bewaffnet waren.“
„Außer dir, ist sicherlich fast jeder Bürger dieser Stadt bewaffnet, Eleasar, das hilft uns leider nicht weiter. Aber statt deiner Heldentaten weiter zu huldigen, haben wir noch mehr zu tun. Eine arme Seele retten, wie du es nennen würdest. Also, lass uns einen Einstieg suchen!“
*
Der Lärm der Trommeln und Flöten drang bis zu Escas Kammer vor. Der Brigante hatte bereits versucht sich die Ohren mit Stroh zu stopfen, aber außer einem heftigen Niesreiz, durch den hochfliegenden Staub, hatte es nichts genützt. Cornelia hatte ihm frei gegeben, nicht einmal in der Küche sollte er sich blicken lassen. Dafür dürfte er seine Kammer heute auf keinen Fall verlassen, hatte sie ihm angeordnet. Es war eine seltsame Vorstellung, dass Marcus nun mit Cornelia speisen sollte, während er in seiner Kammer hockte. Da er nichts mit sich und seiner Zeit anzufangen wusste, setzte er sich auf die Kante seiner Schlafstätte, um gleich von einem Einfall erfasst wieder aufzustehen und das klapprige Holzgestell etwas zu verschieben. Die stämmigen Bettpfosten schrabbten über den Boden. Geschickt griff der Brigante in die entstandene Spalte zwischen Bett und Wand und zog behutsam ein Stück Pergament hervor. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Valentius hatte ihm dankenswerter Weise auf seine Bitte hin, tatsächlich ein kleines Schriftstück besorgen können.
„Es ist egal, was darauf steht, ich möchte nur etwas üben“, hatte er Valentius versichert, der gemeint hatte, dass Cornelia nur wenige Schriftstücke besäße und die sicher nicht rausgeben würde. Nachdenklich hatte der Lockenkopf sein Gedächtnis durchforstet, bis ihm etwas eingefallen war und das Resultat seiner Überlegungen war dieser Fetzen gewesen.
Nun, da er die Ruhe hatte, wollte er seine Übungen wieder aufnehmen, die solange zwangsweise hatten Ruhen müssen. Theofanos hatte immer gesagt, dass Übung das Geheimnis allen Erfolges sei und Esca hatte dies vor allem bei Sport und anderen praktischen Dingen durchaus als richtige Behauptung anerkannt. Er rückte sein Bett wieder an seinen Platz und legte sich rücklings nieder. Der Kerzenschein warf sein rötliches Licht auf die feinen Buchstaben; Esca hielt das Blatt noch höher, sodass die gesamte Decke nur aus Buchstaben zu bestehen schien und er in einer Welt voller Worte, deren Inhalt er noch nicht kannte, bettete. Ein paar Buchstaben erkannte er sofort wieder, bei anderen musste er sich stärker konzentrieren. Laut sprach er aus, was er meinte zusammenfügen zu können. Ergaben die Buchstaben kein Wort, das ihm aus der römischen Sprache bekannt war, überlegte er, ob er einen Buchstaben falsch benannt haben könnte und probierte weiter. Es lief besser als er dachte, auch wenn er nicht recht verstand, was er da Seltsames in Händen hielt. So viel er verstand, handelte der Inhalt des Fetzens von Blumen. Tatsächlich beschrieb jemand Farbe, Vorkommen und Verwendung von irgendwelchen Blumen. Die Namen sagten ihm nichts, aber es erstaunte ihn, wofür manche Pflanzen von den Römern gebraucht wurden. Ob Valentius wirklich gewusst hatte, was er ihm da gegeben hatte? Über das abgenutzte Aussehen des Papieres ließ sich zwar nicht streiten, aber war es vielleicht nur in einem so üblen Zustand, weil Cornelia immer und immer wieder darin gelesen hatte? Irgendwo hatte er auch ein Wort gesehen, ja dort war es tussis „Husten“, eine Krankheit die man hier oben im Norden mehrmals im Jahr zu bekämpfen hatte [3]. Sicher hatte Cornelia da diese Beschreibung von Heilpflanzen zur Hilfe genommen. Es beschlich ihn ein schlechtes Gewissen. Mittlerweile war er sich sicher, dass Valentius einen Fehler gemacht und ihm gerade nicht ein unbeachtetes Pergament gebracht hatte. Unten tönte wieder die Flöte an deren schrillen Töne sich Esca nicht richtig gewöhnen konnte. Jetzt konnte er dem Sklaven sowieso nichts zurückgeben, daher fuhr er mit seinen Leseübungen fort. Nachdem es in seinen Ohren flüssig genug klang, richtete er sich wieder auf und zupfte an einem kleinen Beutelchen, das an seinem Gürtel hing herum. Als Valentius ihm angedeutet hatte, dass er ihm etwas zum Üben besorgen wollte, hatte er in einem freien Moment einen dünnen Zweig, sein Griffel Ersatz, und Mehl aus der Küche mitgehen lassen. Normalerweise würde er nicht klauen, aber die geringe Menge fiel sicher niemanden auf. Jetzt schüttete er das Mehl auf den Boden, verstrich es mit dem Zweig vorsichtig und begann erst Buchstaben nachzumalen, dann ganze Worte. Immer und immer wieder, bis die Zeichnungen seiner Vorlage möglichst nahe kamen. So beschäftigt, hätte er den ganzen Abend weiter üben können, doch noch ahnte er nicht, dass Marcus‘ Plan sich wie eine nahende Welle langsam der Küste nährte.
*
Es war schon eine Art von Leichtsinn, die man Cornelia unterstellen konnte. Weder Theofanos noch Eleasar hatten in ihrem bisherigen Leben Erfahrungen mit Einbrüchen gehabt, aber es war wesentlich einfacher als es sich die beiden hatten erträumen lassen. Es gab durchaus Türen, an denen schwere eiserne Schlösser hingen, aber weder bellende Hunde, die sie hätten verraten können, noch besonders wachsame Sklaven waren zu sehen. Eleasar befürchtete zwar bereits, dass alle Eingänge für sie versperrt seien, aber Theofanos hatte Eines in seiner Zeit als Sklave gelernt. Es gab immer eine Türe, die nicht gut gesichert war und meistens ist es die, die Sklaven häufig benutzen müssen. Aber in diesem seltenen Fall sollte sich der Grieche irren. So wenig Cornelia ihr Hab und Gut sonst bewachen ließ, die Türen, auch die benannte Sklaventüre, waren dennoch allesamt gründlich verriegelt. Ratlos schauten sich die beiden Gefährten an. Was sollten sie jetzt tun? Zum Eingang gehen, klopfen und bitten sich gerade einmal das prächtige Gebäude ansehen zu dürfen? Nachdenklich strich Theofanos durch seinen Bart. So schnell würde er nicht aufgeben, sie standen ja wirklich schon vor ihrem Ziel. Er zupfte an Eleasars Gewand und bedeutete ihm, dass er eine weitere Runde um das Haus gehen wollte. Vielleicht hatten sie eine Möglichkeit übersehen. Folgsam schlich der Christ hinter Theofanos her, es schlotterten zwar seine Knie vor Aufregung und Nervosität (er setzte hier schließlich seinen guten Ruf als Händler und sein anerzogenes ethisches Bewusstsein aufs Spiel), zugleich bereitete ihm das Fangspiel eine sündige Freude. So etwas Aufregendes erlebte er sonst eher selten auf seinen Reisen, obwohl er immer von räuberischen Anschlägen gewappnet sein musste, aber selbst einmal der Dieb sein?
So in Gedanken versunken, seinen Blick gerade zurückgewandt, da es hinter ihnen geknackst hatte, hatte er nicht bemerkt, dass Theofanos ihm ein Haltezeichen gegeben hatte. So lief der schusselige Christ mitten in den Griechen hinein. Sie schwankten und mit einem stummen Aufschrei fielen beide zu Boden. Glücklicherweise verletzte sich keiner, und das dumpfe Geräusch hatte sicher niemand gehört, dennoch drückte Theofanos Eleasar reflexartig die Hand auf den Mund und lauschte besonders intensiv in die Dunkelheit. Aber nichts tat sich. Kommentarlos sammelte er sich und half Eleasar sogar wieder auf die Füße zu kommen. Als dieser wieder senkrecht und stabil stand, flüsterte Theofanos: „Eleasar, erheb deinen Blick! Was siehst du?“
Eleasar sah nach oben und konnte mit etwas Mühe über ihren Köpfen ein Loch erkennen. Es war seltsam weit oben angebracht und der Christ konnte sich nicht wirklich erklären, was das für ein Fenster sein mochte. Kein Licht drang aus ihm hervor, schmal war es und da er die Orientierung verloren hatte, konnte er nicht einmal genau sagen, an welchem Teil der Villa sie sich gerade befanden.
„Was ist das?“, flüsterte Eleasar.
„Unser Eingang“, meinte Theofanos und der Christ konnte sich vorstellen, wie sehr sich der Grieche innerlich freute über seinen Fund.
„Aber wie sollen wir da durch kommen? Es ist viel zu weit oben und ohne dich beleidigen zu wollen, ich fürchte, du wirst da nicht durchpassen“, gab Eleasar zu bedenken, dessen besonnenes Gemüt ihn stets vor zu schnellen Erfolgsgedanken bewahrte.
„Ich werde sicherlich nicht dadurch passen, aber du, mein lieber Eleasar. Deine Größe und Figur sollten es mit diesem Loch aufnehmen können.“
„Mach keine Späße, Theofanos. Selbst wenn ich da oben durchpassen sollte, wie soll ich dich da hinaufziehen, damit auch du einsteigen kannst? Es ist furchtbar eng und ich bin nicht so stark.“
„Das musst du auch gar nicht, ich werde durch den anderen Eingang kommen.“
„Welchen anderen Eingang? Wenn es doch einen zweiten gibt, warum soll ich mich da oben hindurchzwängen?“, fragte der Christ, schon um die Antwort ahnend
„Der andere Eingang öffnet sich erst, wenn du den ersten benutzt hast…“, sagte Theofanos mit einer gewissen spaßigen Bewegung.
„Theofanos, das gefällt mir nicht, was du da sagst, willst du etwa…?“
„Ja, ich will, dass du mir einen der anderen Türen öffnest. Es ist egal welche, aber da du sicher keine Zeit hast, einen der Schlüssel zu suchen, schlage ich vor, wir gehen durch den Haupteingang.“
Eleasar spürte wie sein eben erst erwachter Abenteuergeist einen Todesstoß erhielt. „Wenn es so einfach wäre, durch den Haupteingang in das Haus zu gelangen, hätten wir das doch eben schon machen können“, wehrte er sich verzweifelt gegen seinen geplanten Heldeneinsatz, von dem er gehofft hatte, ihn für die heutige Nacht bereits vollbracht zu haben.
„Nein, denn eben standen wir beide draußen. Wenn wir aber beide draußen vor einer von innen verriegelten Türe stehen, dann werden wir wohl nicht reingekommen sein. Wenn aber einer von uns von innen öffnet, sollte das Problem damit gelöst sein. Also führ nicht dümmliche Disputationen mit mir, die deine Intelligenz beleidigen, sondern stell dich auf meine Schultern und klettere hinein!“
Eleasar musste einsehen, dass er hier dem gerissenen Griechen nichts entgegenbringen konnte, was ihn vor seinem waghalsigen Einsatz hätte bewahren können. Also schluckte er alle Ausflüche, wie Schwindelgefühle in geringer Höhe oder einen schmerzenden Rücken, hinunter und bestieg den Rücken des Theofanos, der sich geschwind in Stellung gebracht hatte. Die Hände gegen das Mauerwerk gestützt und den Oberkörper etwas nach unten gebeugt, lud er den Christen ein auf seinen Rücken zu steigen. Es war ein ziemlicher Kampf. Sportlich war der Händler noch nie gewesen und so stellte er sich reichlich ungeschickt an, als er versuchte wie ein Affe sein wackeliges Podest zu erklimmen. Ein Stöhnen unter ihm signalisierte, dass er sich beeilen sollte, denn auch wenn er recht klein war, so hatte er doch sein Gewicht und die körperliche Ertüchtigung war auch dem Griechen bisher immer ein Graus gewesen. Endlich strampelte sich Eleasars auf Theofanos Schulterblatt und hievte sich mit aller Anstrengung himmelwärts, bis er tatsächlich mit weichen Knien auf dem Griechen stand. Eleasar schwankte und stützte sich ebenso an der Wand ab und versuchte zugleich sich in sie zu krallen, damit er nicht womöglich noch rückwärts hinabstürzte. Da ertasteten seine Hände bereits das Gesims des kleinen Fensters.
„Ich hab es, Theofanos!“, flüsterte er aufgeregt. Das war heute schon das zweite Erfolgserlebnis, von dem er später seiner Familie berichten konnte.
„Allen Göttern sei Dank, mach schneller! Ich kann dich nicht mehr lange halten“, keuchte der Grieche und umklammerte Eleasars Fußgelenke, damit er einen sicheren Halt bekam.
Mit all seiner Kraft zog sich der Christ an der kalten Wand hoch, was anstrengender war als er dachte, fanden seine Füße an der glatten Oberfläche doch keinen unterstützenden Vorsprung. Glücklicherweise schob Theofanos, sobald er spürte, dass Eleasars Last auf seinen Schultern abnahm, mit seinen Händen gegen die Fersen seines Gefährten und tatsächlich schaffte er es mit viel Ziehen und Kraft bauchlinks in dem Fenster zu liegen zu kommen. Völlig erschöpft blieb er wie ein Lappen in der Öffnung liegen, doch es blieb keine Zeit lange zu verschnaufen, schon trieb ihn Theofanos an weiter zu machen. Wer wusste schon, wie lange Cornelia vor hatte Marcus zu bewirten?
*
„Erzähl mir von deinem Vater. Er war oben im Norden und hat gegen die Barbaren gekämpft?“
„So war es.“
„Und ist gefallen?“
„Ja.“
„Ruhmreich.“
„Die Standarte ging verloren.“
„Wie furchtbar.“
„Ich habe sie zurückerobern können.“
„Mit einer eigenen Legion?“
„So etwas in der Art und der Hilfe eines guten Freundes.“
„Was ist aus ihm geworden?“
„…“
*
Eleasars Herz raste so schnell in seinem Brustkorb, er befürchtete es wollte durch seinen Mund flüchten. Die Landung nach seinem Sprung in den merkwürdigen kleinen Raum war lauter als gewollt gewesen. Absolut leer und viel zu klein konnte sich Eleasar keine einzige Idee abringen, wofür er gebraucht werden sollte. Voller Furcht quetschte er sich so fest an die Wand, dass er wünschte, sie würde weich wie Wachs werden und er in ihr verschwinden können. Er lauschte. Musik hörte er, aber sonst schien sich in der Villa niemand für seine Anwesenheit zu interessieren. Es verstrichen viele Atemzüge bis er seinen letzten Mut zusammennahm und in der Dunkelheit nach der Türe tastete. Er drückte und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass sie offen war. Bei Gott dem Allmächtigen, was wäre gewesen, sie wäre verschlossen gewesen? Dann wäre er aus dieser Kammer nicht mehr herausgekommen, bis ihn jemand von den Sklaven entdeckt und dann seiner Herrin als Dieb vorgeführt hätte! Bei diesem Gedanken wurde ihm schlecht, aber, so sagte er sein schlechtes Gewissen beruhigend, der Messias schien seine schützende Hand über ihn zu halten.
Der Korridor war von Fackeln beleuchtet, wenn er sich nicht täuschte, musste er ihm nach links folgen, irgendwann sollte er dann schon den Eingang finden. Falls er unterwegs eine bessere Stelle fand, um Theofanos Einlass zu gewähren, würde er alles Erdenkliche tun, um so den Haupteingang zu umgehen. Überhaupt war es für ihn die reinste Tortur. Der Gang war lang und kahl, nirgendwo fanden sich Möglichkeiten sich schnell zu verstecken. Sobald ihm nur eine Seele entgegenkam, war es aus für ihn. Doch er hatte Glück, bald erreichte er das Atrium und niemand schien an diesem Abend seine Wege kreuzen zu wollen. Im Atrium herrschte dann auch eine so vollkommene Dunkelheit, dass er sich selbst zutraute, ungesehen den schönen Innenhof zu durchqueren. Kaum hatte er aber den vorderen Bereich des Hauses erreicht, stieg seine Aufregung wieder ins unermessliche. Er ließ sich auf allen Vieren nieder und kroch so zu einer Türe durch deren Spalt ein schwaches Licht hindurch schien. Er krabbelte an sie heran und legte das Ohr an das weiche Holz. Ja, von der gleichen Einsamkeit des hinteren Teiles konnte hier nicht die Rede sein. Gleich mehrmals zogen hastige Schritte an der Türe vorbei, sodass Eleasar zurückschreckte und sich in einen besonders dunklen Schatten drängte. Als es etwas ruhiger wurde, fasste er all seinen Mut zusammen und öffnete so vorsichtig es eben ging, die Türe. Ein einfach ausgestatteter Wohnraum lag vor ihm. Zwei Korbsessel und ein kleiner Tisch, eine mächtige Vase und andere Möbel standen in dem Durchgehzimmer, dass zu beiden Seiten hin mit anderen Räumen verbunden war. Wie ein Mader auf der Jagd huschte Eleasar, nicht ohne die Türe sorgfältig zu schließen in einer der Ecken, wo er durch die Möbel und Schatten vor neugierigen Blicken geschützt sein sollte. Er wartete und lauschte. Das Fest für Marcus war in vollem Gange, er hörte ein Gemisch aus Stimmen, Musik, Gelächter und aus der Ferne waren auch die Befehle an die Sklaven zu hören. Als er gerade einen Blick durch die ein Türe, aus der der Lärm zu kommen schien und in deren Nähe er auch den Eingang vermutete, werfen wollte, riss er blitzschnell seinen Kopf zurück. Genau in diesem Moment lief eine junge Sklavin auf das Zimmer zu. Ihr Gesicht war konzentriert, während sie mit beiden Händen eine kleine Amphore umklammert hielt. Sie hatte Eleasar nicht bemerkt und lief fliegenden Schrittes durch das Zimmer hindurch. Eleasar sog scharf die Luft ein, bis sie verschwunden war. Sicher wollte sie nur Nachschub besorgen, sie würde also sicher gleich zurück kommen und was war mit den anderen Schritten, die er eben gehört hatte? Müssten sie nicht auch bald zurückkommen oder gab es noch einen weiteren Weg zu dem Symposion? Wie es auch immer sein möge, ewig konnte er an diesem Ort nicht verweilen, es war unerlässlich, dass er sich weiter vorkämpfen musste. Also streckte er erneut seinen Kopf um die Ecke und spähte in das nächste Zimmer. Dieses war durch eine Öllampe beleuchtet – die Wände waren schlicht bemalt, etwas rote Farbe und ein paar Früchte in der Ecke. Wozu das Zimmer diente, war ihm nicht klar, aber es war ein ebenso schlechtes Versteck wie das Zimmer, in dem er sich jetzt befand, durch die Öllampe sogar noch schlechter. Würde er jetzt aufstehen, musste er unbedingt versuchen, in einem Zug den Eingang zu erreichen.
Er betete, dass Gott ihn jetzt nicht im Stich ließ. Doch kaum hatte er sich etwas aus der Ecke erhoben, vernahm er wieder Schritte. Sie waren immer noch äußerst in Eile, aber dieses mal trippelnder und schwerfälliger. Er zog sich zurück, rückte sogar noch den Sessel etwas vor sich und starrte wie gebannt auf die andere Türöffnung. Es war wieder das Sklavenmädchen, die nun tatsächlich mit einer neuen und wesentlich größeren Amphore angelaufen kam. Das Gewicht des Gefäßes ließ ihre Bewegungen plump und ungelenk wirken, aber sie schien ihren Ballast mit stoischer Ruhe zu ertragen, das verriet ihr weiterhin konzentrierter Gesichtsausdruck, der nur durch den sich jetzt leichten Schimmer von Schweiß auf den Wangen etwas getrübt wurde. Kaum war sie wieder verschwunden, entschied auch Eleasar sein Versteck zu verlassen. Ohne zu wissen, worauf er sich einließ, schlich er auf Zehenspitzen los, möglichst bemüht aus dem hellen Schein der Öllampe herauszukommen. Doch wie er befürchtet hatte, erstreckte sich nach der ersten Öllampe, ein ganzer Zug voller Lampen und Fackeln. Ab jetzt gab es nur noch Licht, in dem er wandelte. Keine Verstecke und bei jedem neuen auftauchendem Raum, nahm ihm die Angst fast den Atem jetzt jemanden anzutreffen, der Alarm schlagen könnte. Vor allem bewegte er sich auf die Quelle des Lärms zu und er wollte sich nicht ausmalen, was wäre, wenn er an diesem Raum vorbei oder gar hindurch müsste? Wäre dann nicht alles verloren gewesen? Immer schneller liefen seine Füße über den Boden, immer schneller, bis er wirklich rannte, ungeachtet der Gefahr durch den Lärm seiner aufklatschenden Sandalen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Musste dieser verdammte Eingang nicht auch endlich kommen?
Einmal noch sollte es um eine Ecke gehen, die er nicht einsehen konnte. Seine Intuition beschwor ihn jetzt nichts zu überstürzen, zugleich drängte sie ihn nicht zu lange zu warten, aber bei dem allmächtigen Gott… Selbst, wenn er Theofanos hereingelassen hätte, ständen sie nicht weiterhin vor dem Problem in einem völlig fremden Haus zu sein, vielleicht unendlich weit von Esca entfernt und ohne eine Ahnung, wohin sie sich wenden sollten?
Seine Kehle brannte, Verzweiflung ergriff ihn, war er doch einfach zu naiv gewesen, bei dieser riskanten Rettungsunternehmung zuzustimmen? Was würde er seiner Frau und seinen Kindern schreiben, sollte er hier in Britannia verhaftet und verurteilt werden?
Er bog ab und tatsächlich erkannte er sofort die Eingangstüre, die mit einem Brett verriegelt, aber hoffentlich nicht abgeschlossen war. Sein Herz machte einen freudigen Sprung. Wenn Theofanos erst einmal wieder bei ihm war, würden sich seine Ängste und Zweifel vielleicht etwas verwehen, war der Grieche doch der bessere Stratege und der mit den besseren Ideen.
Genau da, kam ihm aus entgegengesetzter Richtung ein junger Mann entgegen. Mit lockigen blonden Haar, einer schönen Tunica und sich müde räkelnd. Eleasar hätte ihn, schmächtig und erschöpft wie er schien, sicher überwältigen können, aber ihm war jede Art von Gewalt verhasst, doch jetzt umzudrehen und zu fliehen hätte auch keinen Zweck gehabt. Da ihm nicht besseres einfiel und er aufgrund seines hohen Lauftempos auch kaum etwas anderes übrig blieb, schloss er die Augen, der Jüngling kam näher, näher. Noch zeigte er kein Anzeichen von Misstrauen, rieb sich nur die Augen, dann fiel ihm auf, dass Eleasar einen wirklich sehr stürmischen Gang pflegte, doch da war der Christ schon an ihm vorbeigefegt. Anstatt sich zu fragen, ob der Mann, der da gerade so gestresst wirkend an ihm vorbeigezogen war, zum Haus gehörte, kratzte sich der Jüngling kurz am Kopf und rief etwas verärgert hinterher: „Renn doch nicht so! Nachher läufst du noch jemanden um!“, das war aber auch schon alles. Eleasar antwortete nicht, war aber bald stehen geblieben. Er wartete ab, dann traute er sich über seine Schulter zurück zu blicken. Der Lockenkopf war verschwunden. Eleasar konnte sein Glück gar nicht fassen. Er dankte dem Herrn und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn. Wer so auffällig durch die Gänge jagte, schien weniger Aufsehen zu erregen als jemand, der durch die Gänge schlich. Das sollte er sich merken, selbst wenn es nicht immer von Erfolg gekrönt sein sollte. Nachdem er also auch diese letzte Gefahr gut überstanden hatte, lief er endlich zum Eingang, räumte den Balken von der Türe weg, öffnete sie und rief leise in die Nacht: „Theofanos, bei Gott, ich hab es tatsächlich geschafft! Komm schnell, gerade ist niemand hier!“
Ein Umriss hob sich aus der Dunkelheit hervor und Eleasar, der immer wieder zu beiden Seiten hin Ausschau hielt, wurde schon ganz unruhig als Theofanos sich nur quälend langsam dem Haus nährte. Nur noch ein paar Schritte dann – plötzlich jedoch kam der Lockenkopf zurück. Eleasar hörte ihn, bevor er ihn sah, denn der Jüngling sang und pfiff fröhlich ein Lied vor sich her. Dem Christen blieb keine Zeit mehr Theofanos zu warnen. Er drückte einfach die Türe zu, ließ aber den Balken auf dem Boden liegen und stürzte so schnell es ging davon, um sich in einem der angrenzenden Räume hoffentlich kurz verstecken zu können. Er bekam Panik – der Holzbalken würde verraten, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.
Tatsächlich fiel Valentius der niedergestürzte Balken sofort ins Auge. Auch wenn er eben nicht bemerkt hatte, dass ein völlig Fremder durch die Räumlichkeiten seiner Herrin rannte – schließlich hatten die neben Esca weitere Sklaven gekauft, die er nicht alle annähernd kannte –, aber eine unverschlossene Türe war eine Begebenheit, die ihm auf keinen Fall entgangen wäre. Sein Gefühl sagte ihm, dass er nicht einfach den Balken wieder an seinen rechtmäßigen Platz legen sollte, sondern wie eine göttliche Eingebung öffnete er überraschend die Türe und stand einem erschrocken dreinblicken älteren Mann gegenüber.
„Wer bist du und was willst du hier?“, entfuhr es Valentius nicht minder überrascht als der Fremde vor seiner Türe.
Theofanos verzog nach dem ersten Schreck pikiert das Gesicht, dann erhob er entschuldigend die Hände.
„Mein Name ist Theofanos und nach mir wurde geschickt“, sagte er mit einer unerschütterlichen Selbstverständlichkeit und lächelte freundlich.
„So?“ Valentius konnte die Tatsache, dass die Türe nicht verriegelt war und jetzt ein fremder Mann vor seiner Türe stand nicht wirklich miteinander verbinden. War einer von den anderen Sklaven schon an der Türe gewesen, um dem Fremden zu öffnen?
Theofanos sah den Zweifel in den Augen des Jünglings flackern und beschloss seine Glaubwürdigkeit durch das Anhäufen weiterer Begebenheit zu unterstreichen, also erzählte er ungebeten weiter.
„Ja, Marcus Flavius Aquila ist doch heute Gast bei der ehrwürdigen Herrin Cornelia.“
Dass der Fremde von diesem Treffen wusste, regte Valentius‘ Misstrauen noch etwas mehr an. Er sagte aber nichts und ließ ihn fortfahren.
„Marcus ist ein bekannter eines Freundes von mir und er bat mich, für die heutige Festlichkeit mein Wissen an Gedichten und Erzählungen aufzuwarten, da Cornelias Gast in derlei Dingen ungeschickt ist.“
„Davon hat er uns nichts gesagt“, erwiderte Valentius kühl. Er traute Marcus nicht, aber diesem seltsamen Mann noch weniger.
„Es war als Überraschung gedacht. Führt mich doch zu ihnen und Marcus wird bestätigen, was ich dir gerade erzählt habe.“
Als sich der Jüngling nicht regte, wurde der Grieche zornig und donnert fuhr er den Sklaven an: „Wenn Marcus wegen deiner Sturheit seine Überraschung heute Cornelia nicht präsentieren kann und er deswegen in Verlegenheit gerät, dann will ich bei der Göttin Justitia schwören, dass du im Ansehen Cornelias schwinden wirst, gar entlassen wirst, weil du ihren Gast beleidigt hast!“
Diese Worte führten zu einem sturzartigen Umdenken bei Valentius. Er hatte recht. Besser war es ihn Marcus vorzuführen und zu hören, ob er den Mann tatsächlich kannte und eingeladen hatte. Wenn es so gewesen sein sollte, hätte er seine Aufgabe zu Marcus‘ Zufriedenheit erfüllt, was Cornelia nur schätzen konnte, wenn er ihn Belogen hatte, hatte er einen Betrüger gefasst und konnte ihn gleich einer der Legionen ausliefern, die ihn ins Gefängnis stecken konnten. Damit hätte er natürlich auch Cornelias Gunst für sich gewonnen. Allerdings behagte es ihm nicht den Fremden einzulassen.
„Warum sollte ich dich ins Haus lassen?“, fragte er ihn und der Grieche wirkte für einen Moment überrascht.
„Nun, ich kann auch hier draußen warten, während du fragen gehst“, räumte Theofanos scheinbar einsichtig, wenn auch mit beleidigter Miene ein. Das beruhigte Valentius, er nickte, schloss die Türe und legte den Balken davor, damit der Fremde keinesfalls ungesehen das Haus betreten konnte und stürmte los.
Als er weg war, kam Eleasar aus seinem Versteck, räumte schnell wieder den Balken herab und öffnete erneut die Türe.
„Theofanos schnell, komm‘ rein, er ist gerade weg!“
„Auf keinen Fall!“, wies er Theofanos Aufforderung barsch an, der Christ dachte, er fällt aus allen Wolken, aber bevor er fragen konnte, erklärte sich Theofanos schon selbst.
„Denk doch nach, du Narr! Der Sklave wird jetzt zu Marcus und Cornelia gehen und sie nach mir fragen, es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie Marcus antworten könnte: Entweder er bestätigt meine Geschichte oder er behauptet mich nicht zu kennen. Im ersten Fall würde es für Marcus schlecht aussehen, wenn der angekündigte Gelehrte, der doch bereits da war, plötzlich verschwindet, im zweiten Fall würden die Feierlichkeiten abgebrochen werden und womöglich, sobald man mein Verschwinden bemerkt, gezielt nach mir im ganze Haus suchen. Dann wäre es unmöglich noch an Esca heranzukommen. Wenn Marcus also nur einen Funken Verstand besitzt, tut er gut daran meine Geschichte zu bestätigen und das Fest weiterlaufen zu lassen.“ Eleasar unterbrach ihn, „Aber das hieße ja, dass ich alleine …“ „Ja, du musst alleine Esca finden“, sagte Theofanos und das Bedauern lag in seiner Stimme.
„Aber ich weiß doch gar nicht wie der Junge aussieht“, flüsterte Eleasar erregt, denn er spürte, dass der Sklave bald zurückkehren musste. Und da waren auch schon die Schritte von weitem zu vernehmen.
Eleasar wartete keine Beschreibung mehr ab, sondern schloss die Türe so schnell es ging und schmiss geradezu den Balken wieder auf die Eisenschienen, bevor er sich in seinem alten Versteck einfand. Von dort konnte er mit anhören, wie der Sklave Theofanos nun freundlich aufforderte ihm zu folgen. Sie gingen an Eleasars Versteck vorbei, in dem er sich immer kleiner zu machen versuchte und waren kurz darauf, außerhalb seiner Sinnesorgane. Gott hatte ihm eine weitere Prüfung auferlegt, von der der arme Christ nicht wusste, ob er damit Gottes Zorn oder Wohlgefallen erregen würde.
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[1] So etwas wie ein schwaches Rosa.
[2] Gedicht von Sophokles (496-405 v. Chr.).
[3] Plinius der Ältere; Naturalis historia.