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Das Schicksal findet seinen Weg

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
9
Alle Kapitel
78 Reviews
Dieses Kapitel
3 Reviews
 
02.09.2016 8.000
 
Guten Abend liebe, tolle Leser !

Erst einmal möchte ich die neuen begrüßen, die hier dazugestoßen sind. Willkommen! =D
Und  jetzt darf ich mit ungläubigen Staunen und Stolz wie Oscar verkünden, dass diese Geschichte jetzt 31 Favoriten hat! Ich hätte das in dieser kleinen, unbekannten Kategorie nie für möglich gehalten und bedanke mich ganz ganz herzlich, dass ihr alle da seid!!!
So, nun genug Freudentränen vergossen, es geht weiter! =D


Esca lag zusammengerollt, das Gesicht zur Wand gerichtet, in der Ecke seiner Schlafkammer. Er wollte keinen Besuch empfangen, weder von Valentius noch von den anderen Sklaven. Er war aufgewühlt. Als hätte Marcus seine Seele verbrannt und ein unauslöschbares Mal hinterlassen, das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ, das ihn nun unerlässlich peinigte.

Erfolgreich war er dem ehemaligen Centurio nach ihrer Begegnung aus dem Weg gegangen und seiner Herrin ebenso. Glücklicherweise hatte sie seine Dienste nicht mehr gebraucht und so war es ihm vergönnt gewesen an diesem Tag, nach getaner Arbeit – dem Säubern sämtlicher Töpfe – seine Stube früher aufzusuchen. Mittlerweile hatte die Nacht ihren schwarzen Mantel über Londinum geworfen und die funkelnden Sterne hatten sich über seinen samtigen Stoff gelegt. Esca bekam davon nichts mit. Seine Kammer hatte kein Fenster und das war ihm auch recht so. Nur eine schmale Kerze sandte ihr warmes Licht durch den Raum und tauchte alles in einen orange-roten Ton. Einschüchternd groß thronte sein Schatten über ihm, zuckte im Rhythmus der durch einen schwachen Luftzug in Bewegung gebrachten Flamme.

Geflüster und Schaben vor seiner Türe verrieten, dass jemand – wahrscheinlich Valentius – an ihn gedacht und ihm sein Abendessen gebracht hatte. Aber Esca verspürte keinen Hunger. Das Zusammentreffen saß ihm noch in den Gliedern und minderte seinen Appetit. Ruhig ging er die wenigen Sätze durch, die er und Marcus ausgetauscht hatten. Er wusste nicht, ob er zufrieden mit sich war. Er hatte das gesagt, was er hatte sagen wollen. Besonders viel Kraft hatte ihn die Enthüllung seines Mordes gekostet. Die Furcht von Marcus verachtet zu werden, hatte tief in ihm genagt. Doch auch diesen Mord hatte er ausgesprochen, in der Hoffnung Marcus würde ihn richten. Tatsächlich hatte er das getan, er hatte ein Urteil gesprochen, allerdings war dieses anders ausgefallen als der Brigante erwartet hatte – und da lag der Haken.

Marcus missachtete einfach seinen Wunsch! Natürlich war ihm bewusst, dass er das tat, weil er ihm sein Vergehen verziehen hatte. Dennoch war es für ihn wie eine Demütigung, dass Marcus sich die Dreistigkeit herausnahm, über sein Leben bestimmen zu wollen. Die Römer hatten diese Eigenschaft über Jahrhunderte perfektioniert und scheinbar war sie jedem Säugling mit der Muttermilch eingeflößt worden.

Nachdenklich rieb Esca seinen Daumen und Zeigefinger gegeneinander. Cornelia hatte Marcus eine Einladung zum abendlichen Gastmahl ausgesprochen, so hatte es zumindest Valentius behauptet. Esca kaute unbewusst auf seiner Unterlippe herum. Seiner Herrin konnte er keine Vorwürfe machen, ihr stand es frei einzuladen, wen sie wollte. Trotzdem konnte der Blonde auf eine erneute Begegnung mit seinem Freund verzichten. Er sah ja bereits jetzt, was diese Treffen mit ihm anstellten. Marcus hatte keine Ahnung. Marcus war unbeherrscht und Marcus war sicherlich der ahnungsloseste Römer im gesamten Imperium.

Es wäre wirklich eine Erlösung gewesen, wenn der ehemalige Centurio ihn mit dem Dolch erstochen hätte. Für einen Moment hielt Esca inne und besann sich. Er log. Er war dem Römer dankbar, dass er ihn nicht getötet hatte. Aber was sollte nun weiter geschehen? Er war in einer Sackgasse gefangen. Er konnte seine Tat nicht rückgängig machen. Wenn er die Augen schloss, sah er Belana in blutroter Tunica, wie sie ihn anklagend anstarrte.

Er streckte sein schmerzendes Rückgrat durch. Da war noch etwas anderes, das ihn beschäftigte. Nicht alleine Marcus‘ Unverfrorenheit, sich über seine Entscheidungen hinweg zu setzten, bewegte sein Gemüt. Es war nur ein kurzer Moment gewesen, aber der Römer war ihm so nah gekommen…

Er meinte, sein eigenes Herz schlagen gehört zu haben – und Marcus hatte es sicherlich gespürt, als dieser seine Hand auf seine Brust gelegt hatte. Er schämte sich. Er hatte sich noch nie so wenig unter Kontrolle gehabt. Aber es war nicht nur er allein gewesen. Marcus hatte sich ebenfalls verändert. Er konnte sich irren, vielleicht spielte ihm sein Verstand einen bösen Scher. Für einen Moment jedoch hatte er wirklich geglaubt, der Römer wäre kurz davor gewesen ihn zu küssen.

Er setzte sich auf, rieb sich über die brennenden Augenlider.

„Wunderbar, jetzt werde ich nicht nur von Belanas Geist gequält, sondern auch noch von meiner eigenen Fantasie“, murmelte er, zog die Beine an seinen Körper heran und legte seinen Kopf auf ihnen ab. Er konnte nicht verleugnen, dass ihm bei dieser Erinnerung jedes Mal ein warmer Schauer über den Rücken lief. Er bildete sich sogar ein, die geisterhaften Erscheinungen seiner toten Freundin waren dadurch zwar nicht gänzlich vertrieben, aber weniger intensiv. An beides zugleich konnte man auch schlecht denken.

Er ließ sich ihr letztes Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Marcus geflüsterter Satz „Ich werde dich nicht verlieren“, rauschte beinahe bedrohlich in seinen Ohren – er hatte eine böse Vorahnung. Der Römer war schon auf dem Marktplatz völlig unerwartet erschienen, dann noch einmal bei Cornelia und er hatte sogar ihr, seiner Herrin, angekündigt wieder zu kommen. Doch was wollte Marcus schon tun? Ihn der Herrin abkaufen? Wenn er das täte, sah sich Esca tatsächlich genötigt, Hand an sich zu legen. Zweimal freigekauft zu werden – zweimal von Marcus freigekauft zu werden … Es demütigte ihn. Er wäre zudem dazu verdammt mit dem Römer und seinen verfluchten Gefühlen zu leben. Sollte er dann einfach so tun, als habe sich nichts verändert? Hoffen, seine Gefühle, die er selbst gerade erst verstanden hatte, würden sich irgendwann wieder verflüchtigen? Wollte er so leben? Nein. Das widersprach seiner Auffassung von Leben. Eine solche Selbstverleugnung konnte er Marcus nicht vorspielen und sich selbst auch nicht.

Er stand auf. Die Kerze war fast heruntergebrannt. Beim Morgengrauen sollte er bei den Ställen helfen – endlich eine Arbeit, die ihn körperlich beanspruchte. Er versprach sich davon wenigstens die nächste Nacht traumlos verbringen zu können. Für diese sah er keine Chance mehr, denn Belana grüßte ihn bereits – mit rotverfärbten Fingern, die ihm schüchtern zuwinkten. Sie lächelte, während der blutige Fleck auf ihrem Gewand immer größer wurde. Er grüßte müde zurück. Leise nahm ihn darauf der Gott Hypnos [1] hinüber in seine Welt, in der ihn Belana mit offenen Armen erwartete.

*


Ein paar der alteingesessenen Bürger Londinums trauten den Fremden nicht. Schlecht sahen sie aus, so als hätte ein Gott ihnen etwas angehaftet, was sie ihnen unangenehm machte. Zwar gehörten Fremde zum alltäglichen Bild der Stadt am Fluss, über den es wilde Berichte gab, aber gerade weil so viele Fremde in die Stadt kamen, wusste man, wie man sie einzuschätzen hatten. Ob es Händler waren, die ein Geschäft abschließen wollten, Reisende auf dem Weg zum Festland oder Abenteurer, die es in den unberührten Norden zog. Doch diese zwei Gestalten gehörten keiner der genannten Gruppen an. Sie rochen nach Ärger. Wie sie sich so auffällig nach einem Römer mit einer Platzwunde erkundigten, wie sie durch die Gassen schlichen. Nur Einfältige gaben solchen Menschen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben Auskunft.

Wütend stampfte der Kleinere der zwei Männer auf den Boden wie ein Satyr, dem man seinen Wein weggenommen hatte.

„Es ist unfassbar, aber dieser verdammte Marcus scheint sich in Luft aufgelöst zu haben“, zischte er.

„Vielleicht ist er ja gar nicht in der Stadt geblieben, sondern weiter gezogen?“, mutmaßte der Größere und guckte seinem Gefährten dabei zu, wie dieser sich aufgebracht die Haare raufte.

Ohne den Gedanken des Anderen zu würdigen, murmelte er: „Titus … Titus will regelmäßig Bericht erstattet bekommen. Wie lange sind wir nun schon erfolglos unterwegs, Tertius?“, fragte er seinen Partner, wobei sein Blick nachdenklich nach unten zu seinen Schuhen wanderte, denen er nun mehr Aufmerksamkeit schenkte als seinem Gesprächspartner.

Der Große schloss die Augen und nahm seine Finger zum Zählen zu Hilfe, kurze Zeit später hatte er die Lösung.

„Sechs Sonnenaufgänge habe ich gezählt“, kam er zum Schluss seiner Rechenleistung.

„Sechs? Schon sechs? Und diese verdammte prodigium[2] lebt immer noch! Hätte ich ihm doch nur richtig die Lichter ausgeblasen, dann säße er schon im Hades und wir hätten unsere Ruhe.“

Der kleine Mann fletschte seine Zähne wie ein bissiger Hund. Sein Gefährte war lang genug mit ihm zusammen, um zu wissen, wann er sich mit Kritik zurückhalten sollte. Dennoch war es aus seiner Sicht nicht ihr Fehler gewesen, dass das Attentat misslungen war. Wäre diese Familie nicht gekommen … ja, an sich war die Familie schuld. Wer kämpfte auch freiwillig mit so vielen Kötern? Tröstend legte er seinen massigen Arm auf die Schultern des Anderen, der damit aussah als trüge er ein Fuchsfell um den Hals. Argwöhnisch blinzelte er den Trostspender an.

„Lass uns ein Schreiben verfassen, Quintus. Titus‘ Zorn wird nur umso größer werden, wenn er schlechte Nachrichten auch noch zu spät erhält. Die nächste, die wir schicken, wird dann die ersehnte Todesbotschaft sein“, ermunterte Tertius seinen Gefährten und klopfte ihm dabei auf die Schultern, sodass dieser unter dem Gewicht der Pranken etwas einsackte. Ihm passte es nicht, wenn sein Handlanger weiser dachte als er, aber hatte er eine andere Wahl?

„Wir hätten bei unserem ursprünglichen Plan bleiben und dem Römer folgen sollen, bis er uns den Mörder der Sklavin und des Primus gezeigt hat. Den hätten wir als Vergeltung niedergestochen und den Lohn von Titus einsacken können. Warum wollte Titus nur, dass nun auch der Römer draufgeht?“, überlegte Tertius weiter, den das Ganze nachdenklicher stimmte als den Anderen.

Quintus erwiderte desinteressiert: „Was weiß ich? Vielleicht hat dieser Marcus ihn ans Bein gepinkelt. Du kennst doch seinen Stolz und dieser Marcus allem Anschein nach nicht. Ich war doch genau so überrascht wie du, als uns die Botschaft überbracht wurde. Erst war ich ja froh, nicht auch noch nach einem Kerl suchen zu müssen, über den man gar nichts weiß, aber jetzt nervt es mich. Ich will zurück nach Lindum. Wenn ich nicht wenigstens bald eine Kehle aufschlitze, dann...“, Quintus ließ den Satz unvollendet, zu Tertius‘ Erleichterung, denn er wusste um das unbeherrschte Temperament des Anderen. Quintus spuckte aus.

„Entweder der Mörder von Primus und der Kleinen oder seine Spießgesellen – einer wird büßen, so will es Titus“, brummte er, während sich seine Augenbraue so weit zusammenzogen, dass sie sich in der Mitte trafen. Sein Gesicht wirkte dadurch finster wie eine mondlose Nacht – keine Schatten, nur Dunkelheit.

Erstaunt hatte Tertius ihm zugehört, obwohl er wusste, wie ungern der Andere befragt wurde, kitzelte ihn etwas in seinem Hals und noch bevor er etwas dagegen tun konnte, purzelte die Frage bereits aus seinem Mund: „Aber du hattest doch eben gesagt, wir sollen beide umlegen?“

Gespenstisch blitzen Quintus‘ Augen auf: „Ja, sollten wir. Aber nur, wenn der Römer uns auch zu dem Mörder führt.“ Ein wissendes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, die unruhig zuckten. Ein Geistesblitz war in seine Gedanken eingeschlagen. Kurz darauf, verstand auch Tertius.

„Du meinst, wenn der Römer tot ist, kann keiner mehr sagen, wer der Mörder war und wenn wir ihn töten, bevor er uns den Mörder zeigt, dann kann der uns gestohlen bleiben und Titus wird erklärt, der Römer habe uns nicht zu jenem gebracht, der sein Eigentum beschädigt hat?“

„Tertius, ich freue mich, dass auch du deinen Kopf von den Göttern erhalten hast, um ab und zu ein wahrer Verstehender zu sein“, lobte Quintus den Größeren und klopfte ihm anerkennend auf den Unterarm.

„Aber das heißt auch, wir müssen zumindest den Römer aufspüren“, ging Tertius, von dem Lob beflügelt, in seiner Betrachtung einen Schritt weiter.

„Richtig“, knurrte Quintus, dem die lauten Monologe seines Partners schon jetzt wieder nervten. Grübelnd begann er kleine Kreise in den Sand zu laufen.

„Aber wir finden ihn nicht“, meinte der Lange und warf zweifelnd die Arme in die Luft.

„Warten wir es ab. Ich glaube nicht, dass wir ihn verpasst haben. Wir fragen an den verkehrten Stellen. Wir fragen die anständigen, dummen Leute von Londinum. Wir brauchen Informationen von unseresgleichen.“ Er stoppte plötzlich als sei ihm etwas eingefallen. „Hast du noch den Geldbeutel vom Überfall?“, fragte er Tertius.

Stolz präsentierte Tertius das Beutelchen, das an seinem Gürtel hing. Er hatte das Geld nachgezählt und beide waren erfreut darüber, dass solcherlei Funde bei ihrem Finder bleiben duften, laut Titus. Für ihn waren das verschmerzbare Beträge, die die Loyalität seiner Arbeiter zudem aufrecht erhielt. Er nahm ihm das Beutelchen ab und warf es geräuschvoll ein paar Mal in die Luft, dass die Münzen darin nur so klirrten.

„Gut, wir werden nun da hingehen, wo man für ein paar Asse mehr bekommt als ein misstrauisches Kopfschütteln. Ich wette, wir kriegen, was wir haben wollen“, ordnete Quintus an und rieb sich freudig die kalten Hände.

*


„Du kannst gut mit Pferden“, stellte Valentius nicht unbeeindruckt fest. Er hatte Esca schon eine ganze Weile beobachtet, während dieser geduldig den strohigen Mist aus den Ställen schob. Der Sklave hockte ein paar Armlängen entfernt von Esca und spielte mit einem Grashalm, den er unentwegt zwischen seinen Fingern kreisen ließ. Wenn es ihm zu langweilig wurde, betrachtete er die kleine Götterstatue, die ihnen gegenüber in die Wand eingelassen worden war. Eine zierliche Dame in einem langen Mantel saß auf einem stolz trabenden Pferd. Dessen Schweif und Hals edel in die Luft gestreckt waren. Um diese versammelten sich weitere Pferde und Fohlen, die aus den zu beiden Seiten hin geöffneten Händen der Göttin zu fressen schienen.

Der Brigante schüttelte seinen blonden Kopf und wischte sich den stehenden Schweiß von der Stirn.

„Ich mache das auch nicht zum ersten Mal“, erwiderte er und konzentrierte sich auf den noch vor ihm liegenden Misthaufen. Obwohl er schon den ganzen Morgen ackerte, schien ihm der Haufen kaum kleiner zu werden.

„Kannst du auch so gut reiten wie du Mist durch die Gegend schiebst?“, fragte ihn Valentius neckisch. Er wusste, dass bei den Briganten, wie bei fast allen britannischen Völkern, gerade die Streitwagenlenker spektakuläre Kunststücke vollführen konnten und selbst Cäsar diese in seinen Berichten erwähnt hatte. Aber in Valentius‘ Vorstellung sah ein akrobatischer Brigante wilder und furchteinflößender aus als der magere Esca. Aber eventuell hatte er trotzdem einst ein Pferd geritten.

„Ich konnte zumindest immer mithalten, auch bei längeren Ritten – lass das!“ Der Braune, den Esca zur Seite schieben musste, um weiter aufräumen zu können, schnappte verstimmt nach ihm, bis Esca ihm einen leichten Klaps vor die Brust gab. Er warf dem stolzen Tier einen grimmigen Blick zu.

„Dieser scheint mich nicht besonders gut leiden zu können“, merkte er an und legte endlich die Mistgabel beiseite. Er hatte keine Lust von dem Tier getreten zu werden und eine Pause war nach dem, was er bereits geschafft hatte, durchaus angemessen. Außerdem nervte es ihn, Valentius im Nacken sitzen zu haben. Dieser stand jetzt in aller Ruhe auf und nährte sich dem störrischen Tier, das gleich erneut begann, nervös mit dem Hinterhuf zu scharren. Der Sklave sprach beruhigend auf es ein, tätschelte seine Flanke, bis es seine Ohren entspannt nach vorne richtete und ihn freundlich anschnaubte. Für den Störenfried schien es sich nicht mehr zu interessieren. Valentius lächelte zufrieden, streichelte dem Tier die schwarze Mähne und klopfte ihm lobend den muskulösen Hals.

„Das ist auch ein besonders Tier. Der Liebling der Herrin. Ich glaube daher stammt auch sein schlechter Charakter. Zu ihr ist er tatsächlich lammfromm, aber alle Knechte haben ihre liebe Not mit ihm. Du kommst wirklich noch gut weg“, lachte er und hielt sich währenddessen an dem Widerrist des Tieres fest.

Esca betrachtete das seidig schimmernde Fell des Hengstes. „Da wo ich herkomme, haben Pferde eine besondere Bedeutung“, murmelte er.

Valentius, der sich immer freute, wenn Esca mal etwas von sich preisgab, wollte sofort mehr erfahren: „Sprichst du von der Göttin Epona?“

„Epona – dazu haben die Römer sie erniedrigt. Zur Göttin ihrer Soldaten und Pferde haben sie sie gemacht und die gleichen Römer haben sie dafür auch noch verhöhnt[3]. Dabei war sie mehr als ein Schutzschild der Reiterei und eine ‚Pferdegöttin‘.“

Erzürnt griff Esca nach der neben ihm stehenden Mistgabel und schippte mit einer Heftigkeit das nasse Stroh weg, dass Cornelias Lieblingssklave vor den herumfliegenden Strohbüscheln in Deckung gehen musste. Zugleich hatte Esca seine Neugier geweckt. Über seine eigene Religiosität hatte Valentius nie viel nachgedacht, er opferte gemäß den Weisungen seiner Herrin. Denn Cornelia war trotz ihrer vielen Schicksalsschläge den Göttern treu geblieben. Opferte ihnen, hielt sich an die staatlich verordneten Feste und spendete nicht unerheblich viel Geld, wenn sie darum gebeten wurde. Von ihren Göttern wusste er viel, von den Göttern der Barbaren fast nichts. Daher interessierten ihn die Legenden und Erzählungen der Götterwelten um ihn herum. Stundenlang hörte er ihnen zu, besonders der alte Mann aus Ägypten erzählte ihm von wundersamen Orten und tierköpfigen Göttern, die ihm so noch nie zu Ohren gekommen waren.

„Erzähl mir mehr von ihr“, bettelte er Esca deswegen an und versuchte dabei so lieb wie möglich zu gucken. Esca hielt inne, dachte einen Moment darüber nach, stellte schließlich sein Werkzeug zur Seite und bedeutete dem wissensdurstigen Valentius sich mit ihm etwas abseits des Stalls unter einen knorrigen und bereits kahlen Baum hinzusetzen.

Escas Kehle brannte vor Durst. Auch wenn es heute, wie an allen Tagen in Britannien, kühl war, so war es doch eine kräftezehrende Arbeit. Sein Wasser schien ihm nur so in Form von Schweiß aus dem Körper zu fliehen.

Valentius bemerkte Escas Leiden, stand wortlos auf, verschwand um die Ecke des Stalls, um nach kurzer Zeit mit einem gefüllten Lederbeutel zurück zu kehren. Er reichte ihn dem Briganten, der damit dankbar das Brennen in seiner Kehle löschte.

„So, nun sag, Esca, was war Epona, bevor die Römer sie in ihr Pantheon aufgenommen –“

„ – uns entrissen“, fuhr ihm Esca zwischen zwei Schlücken ins Wort.

„Ja, entschuldige bitte. Also bevor die Römer sie euch entrissen haben?“

„Sie war eine Retterin. Sie half uns, wenn wir in Not geraten waren“, begann Esca seine Erzählung und versuchte sich an die glücklichen Tage seiner Kindheit zu erinnern, in denen seine Großmutter die vielen Geschichten erzählt und sie gespannt und ehrfurchtsvoll zugehört hatten. Daran wie seine Eltern mit den Früchten auf die Lichtung gegangen und sie der Göttin geweiht hatte, deren Aussehen für ihn gar nicht wichtig gewesen war. Sie hätte eine weiße Stute oder große schwarze Frau sein können. Er hatte sie unter allen erkannt. In den letzten Jahren hatten sie sie vernachlässigt. Sie hatten Krieg geführt und brauchten Götter, die sie im Krieg begleiteten und stärkten. Nun, die Kriege hatten sie letzten Endes gegen die Römer verloren. Ihre Dörfer wurden ausgelöscht und ihre einst so friedvolle Göttin war in den Besitz der Eroberer gegangen. Bis heute war er der Meinung, man hätte besser daran getan, die Göttin, indem man die Kriegsgötter ihr vorzog, nicht so zu kränken. Möglicherweise hätte sie die endgültige Katastrophe abgewendet, aber dafür war es nun zu spät. Er erinnerte sich an seine Mutter und ihre Schwestern.

„Außerdem sorgte sie dafür, dass unsere Ernten nicht verdorrten und unsere Frauen gesunde Kinder gebaren“, vervollständigte er sein Wissen über die wilde Göttin seines Landes.

„Als die Tochter meiner matertera [3] geboren werden sollte, ging es der werdenden Mutter sehr schlecht. Mit dem Kind in ihrem Schoß stimmte etwas nicht. Sie hatte Schmerzen. Tagelang. Wir dachten, sie würde mit dem Kind sterben. Da sind meine Großmutter und mein Vater in den Wald gegangen. Zur geheimen Opferstelle, die nur unser Stamm kannte und hatten Fürsprache bei der Göttin gehalten. Bald kamen sie zurück. Meine Großmutter hatte Kräuter und Blätter aus dem Wald gesammelt und machte Kompressen für die Schwester. Nach drei weiteren schweren und angstvollen Tagen, brachte sie ein gesundes Kind zur Welt. Ich bin mir sicher, die Göttin hat ihr dabei geholfen.“

„Fantastisch! Ich freue mich für das Mädchen. Was ist aus ihr geworden?“, wollte der Sklave unbedingt wissen, doch Escas Blick wurde trübe.

„Sie wurde krank und starb in jungen Jahren, da waren die Römer noch weit von unserer Heimat entfernt.“

„Oh, wie schrecklich. Wie konnte das passieren? Hat die Göttin dieses Mal nicht mehr helfen wollen?“

„Es ging zu schnell, wir bemerkten es zu spät. Noch bevor alles für das Opfer vorbereitet war, hatte sie schon ihr Leben ausgehaucht. Die Klagen unserer Familien waren in diesen Tagen überall in unserem Dorf zu hören.“

Es wurde still zwischen ihnen. Valentius war die Lust, mehr aus der britannischen Götterwelt zu erfragen, vergangen.

Ein beißend kalter Wind kam auf und zwang die Sklaven sich eine neuen Unterschlupf zu suchen. Da Esca mit seiner Arbeit noch nicht fertig war, steuerten sie den Pferdestall an. Doch statt zu arbeiten, blieben sie voreinander stehen und wussten nichts mit sich anzufangen. Valentius, der diese verlegenen Momente als sehr unangenehm empfand, wollte sich deswegen gerade verabschieden, um seinen Aufgaben in Haus nachzukommen. Vielleicht suchte seine Herrin bereits nach ihm, das wollte er nicht riskieren. Er war schon im Begriff den Stall zu verlassen, wollte Esca schon ein Wort des Abschieds zuwerfen, da holten ihn die heimlich beobachtenden Bilder des vergangenen Tages ein.

Eigentlich hatte er sich vorgenommen Esca nicht nach dem Fremden zu fragen. Sie schienen sich näher zu stehen als Valentius es je von einem sonst so verschlossenen Charakter wie Esca erwartet hätte. Die Art wie der Zwischenhändler des Marcellus – Marcus hieß er, wenn er sich nicht täuschte – nach Esca erkundigt hatte, so eindringlich und besorgt … Er hatte gleich gespürt, dass dort etwas dahinter steckte. Wie sie sich angesehen hatten ... Sie hatten ihn geradezu mit ihrer Präsenz verdrängt, ließen gar keinen Dritten in ihren Bund. Doch dann hatte er sie durch das Mauerloch beobachtet. Er hatte nichts verstanden, so leise hatten sie miteinander gesprochen. Zuerst dachte er, sie stritten. Schließlich hatte er nur Esca von hinten gesehen und wie er vor dem Römer auswich als fürchtete er sich vor ihm. Diesen Marcus hatte er ganz im Blick gehabt. Er war schon etwas aufdringlich gegenüber Esca gewesen, fast belästigend. Er hatte den Briganten nicht gehen lassen oder hatte Esca nicht gehen wollen? Die Situation spitzte sich zu. Irgendetwas sagte Esca, woraufhin der Römer bestürzt oder verwirrt, möglicherweise sogar entsetzt gewirkt hatte. Ungeachtet dessen fasste sich Escas Bekannter wieder. Die Stimmung änderte sich, ruhiger, intimer wurde sie. Die zwei kamen sich näher. Sehr nah. Er selbst kannte das Küssen nur von Cornelia, des nachts, wenn sie allein in ihrem Zimmer waren. Ob das, was er da damit verglichen werden konnte, war nicht abzuschätzen, trotzdem wurden Valentius Hände schweißnass vor Aufregung und Scham selbstredend.

Dann hatte Esca etwas entdeckt, was er, Valentius, übersehen hatte: Cornelia war gekommen. Pfeilschnell hatte er sich gebückt, damit seine Herrin ihn nicht noch beim Spionieren erwischte. Als er die Luft rein wähnte, wagte er einen erneuten Blick durch sein Guckloch und war enttäuscht. Sie hatten sich getrennt, Esca und Marcus waren geschieden worden. Viel zu früh, wie Valentius meinte, aber dann drehte sich Esca genau in die Richtung seines Lochs um und er erschrak regelrecht vor dessen Anblick. Bis heute hatte der Sklave keine passende Beschreibung gefunden und erinnerte sich auch nicht daran, dass je ein Bildhauer diesen leidenden Blick in einer Staue eingefangen hätte. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, das war nicht einfach Freundschaft, da war mehr. Aber was mehr? Oder hatte er sich getäuscht und es handelte sich um keine Freundschaft? Hatte er möglicherweise die Gefahr, die von dem Fremden ausging, unterschätzt? Hatte er Esca unbedacht in Bedrängnis gebracht? Hatte er alles, was er gesehen hatte, falsch gedeutet? Die Gesten der Menschen waren oft ein zweischneidiges Schwert und so viel hatte er durch sein schmales Guckloch auch nicht erkennen können.

Bereits in der vergangenen Nacht hatte er hin und her überlegt, sich Esca anzuvertrauen und ihm zu sagen, dass er sie beobachtet hatte. Da der Brigante sich seitdem allerdings merkwürdig verhielt, kam ihm eine direkte Ansprache unangemessen vor und fürchtete sich auch zu sehr vor ihr. Andererseits wirkte der Blonde seitdem bedrückt. Das Essen, das er ihm extra hingestellt hatte, hatte Esca kaum angerührt und seine Augenringe waren noch dunkler geworden. War es unter diesen Umständen dann nicht sogar besser, wenn er versuchte mit ihm darüber zu sprechen? Vor Cornelia hatte er geschwiegen, was ganz und gar nicht seiner Art entsprach. Ihn quälte nun seine Liebe und Loyalität zu seiner Herrin, der er immer alles anvertraute, was im Haus vor sich ging. Sein Mitleid für den unglücklichen Briganten, dessen bisschen Vertrauen er nicht gleich wieder verspielen wollte und seine Abscheu davor, sich selbst in Geheimnisse zu kleiden oder kleiden lassen zu müssen, setzte ihm allerdings ebenfalls zu.

Eines dieser drei konnte er nicht einhalten. Er musste seine Maximen auf die goldene Waagschale legen und sehen, welche der beiden Schale in der Luft hängen blieb.

Die Entscheidung war schwerer als er selbst gedacht hatte. Cornelia zu hintergehen schied aus, er wusste nicht, wann, wie und wie viel er ihr berichten sollte, aber er musste es ihr mitteilen. Dann blieb nur die Frage, erzählte er es ihr, ohne mit Esca Rücksprache gehalten zu haben oder erst danach, trotz der Befürchtung, dass der Brigante ihm daraufhin sein Vertrauen entzog?

Allerdings – letzten Endes war Valentius‘ Platz in diesem Haus weit vor dem des Neuling Esca. Wenn Esca ihm nicht mehr vertraute, dann war es so. Dennoch galt: Was Valentius anordnete, wurde getan, denn er war das Sprachrohr der Cornelia, ihrer aller Herrin. Somit war er immer und zuerst seiner Herrin verpflichtet. Außerdem: befand seine Herrin, dass an der Sache nichts dran sei, dann wollte er sich sowieso keine Gedanken mehr darüber machen und Esca würde nie erfahren müssen, dass er sie heimlich beobachtet hatte.

Gut, die Entscheidung war doch nicht so schwer. Er würde Cornelia berichten und Esca im Ungewissen lassen. Es sprach nichts gegen Esca und er würde jedes erdenklich gute Wort für ihn bei Cornelia einlegen. Sie war dem Jungen, da war er sich sicher, ohnehin gewogen.

Während er mit seinen inneren Gewissen gekämpft hatte, hatte er nicht bemerkt, dass er die Zeit über leise mit sich selbst gesprochen hatte, zwischendurch sprach er murmelnd mit sich selbst, gestikulierte wie ein Symposiumsredner mit den Händen, kratzte sich an der Schläfe und schüttelte zweifelnd den lockigen Kopf, dass sie nur so um sein hübsches Gesicht sprangen.

Esca hatte ihm dabei zugesehen, wollte ihn jedoch in seinem Disput nicht stören. Er hatte Theofanos schon in ähnlichen Situationen erlebt. Es war immer angeraten solche Menschen nicht in ihren Gedanken zu stören. Wie hatte Theofanos gesagt? „Sonst reiße der rote Faden der Ariadne und die vielleicht brillante Idee wird vom hungrigen Minotaurus des Vergessens verschlungen.“ Irgendwann schlug Valentius triumphierend mit der Faust in seine Handfläche. Esca schlussfolgerte daraus, dass Valentius  das Labyrinth verlassen und eine Lösung gefunden hatte.

Esca trat jetzt einen Schritt näher, legte ihm freundschaftlich die Hand auf die Schulter und meinte, fast schon wieder besserer Laune: „Es ist schön zu sehen, wenn ein schlauer Kopf seine lange Suche nach Weisheit beenden konnte. Ist alles in Ordnung bei dir?“

Der Sklave schaute ihn überrascht an, sein Mund zuckte, aber er nickte nur schweigend. Ein vorsichtiges Lächeln legte sich auf seine Lippen und entschlossen griff er nach der sanftmütigen Hand, die weiterhin auf seiner Schulter ruhte.

„Alles kein Problem. Esca, ich habe noch Aufgaben im Haus und möchte dich nicht weiter von deiner Arbeit abhalten.“ Er zwinkerte Esca frech zu. „Der Braune wartet schon sehnsüchtig auf dich. Siehst du, wie er dich anstarrt?“

Tatsächlich schaute das dickköpfige Tier in ihre Richtung als wollte es sagen, dass Esca nun lang genug rumgetrödelt hatte. Esca seufzte, während Valentius ein Grinsen nicht verkneifen konnte. Ernster fuhr er fort: „Wenn du hier fertig bist, melde dich bei Lupusios dem Thraker, der hat sicher etwas für dich zu tun. Heute Abend hast du wieder in der Küche Dienst. Alauda möchte testen, ob du außer Gemüse schneiden auch einen gewissen Geschmacksinn für Zutaten mitbringst. Aber sei dir gleich gesagt, sie ist streng in ihrem Urteil.“

Esca hob erstaunt die Brauen.

„Bei uns kochen die Frauen“, grummelte Esca etwas verlegen, „nur das Braten beherrsche ich.“

„Das wird leider nicht reichen, mach dich auf etwas gefasst!“, warnte er ihn lachend, bevor er sich endlich vom Stall entfernte. Kurz flammte erneut der Kampf zwischen Pflicht und Moral, doch seine Füße trugen ihn unaufhaltsam zu den Räumen Cornelias.

*


Zufrieden ließ sich Marcus auf das harte Bett fallen. Neben ihm gähnte Eleasar lange und ausgiebig. Selbst Theofanos war auf seinem Dreibein unbemerkt eingenickt. Sein Kopf hing auf seiner Brust, der Mund stand einen Spalt breit offen und seine schwarz-grauen Locken kitzelten seine Nase, sobald er einatmete. Lange hatten sie diskutiert. Theofanos fand Marcus‘ Idee unausgereift, zu riskant und vor allem menschlich fragwürdig. Eleasar hatte sich zwar bedeckter gehalten, war aber zum Schluss der gleichen Meinung wie Theofanos gewesen. Der ehemalige Centurio hatte sich darüber aufgeregt und dem Christen vorgeworfen, er habe ihn nicht mit Theofanos auf Reisen geschickt, damit er dessen Assistent werde, sondern um ihn im Zaun zu halten. Natürlich hatte Eleasar widersprochen, versucht dem Römer zu zeigen, welche Probleme er nicht bedacht habe und so weiter. Kurzum, sie hatten erneut begonnen zu streiten. Marcus hatte sich geweigert auch nur einen pes von seinem Plan abzuweichen. Er war schließlich Befehlshaber einer römischen Legion gewesen und kannte sich doch wohl am besten mit Strategien und Taktiken aus. Der Grieche prahlte damit, er habe sämtliche Schriften zur Kriegsführung gelesen und Eleasar, nun er hatte eine gute Menschenkenntnis, mit der er meinte, die ihm unbekannte Cornelia dennoch einschätzen zu können.

Sie waren, um ungestört reden zu können, in die Herberge gegangen, in der Theofanos‘ Gefährten nach ihrer Ankunft in Londinum eingekehrt waren. Sie war etwas heruntergekommener als die Gaststätte von Decimus und Julia, dafür machte der neue Besitzer der Herberge einen aufrichtigeren Eindruck. Übermäßig zu trinken, schien er auch nicht. Nun war es bereits Nacht geworden und Marcus‘ Augen blieben an dem heute ausnahmsweisen klaren Sternenhimmel hängen. Eleasar folgte seinem Blick und betrachtete ebenfalls die glänzenden Punkte.

„Vermisst du deine Familie nicht?“, fragte ihn Marcus plötzlich, dem erst gerade bewusst wurde, wie sehr es ihn plagte schon neun Tage in diesem Wettlauf mit der Zeit zu hängen. Heute allerdings wurde er nicht von der Zeit gedrängelt und drangsaliert. Ihm war als müsste er nun nur noch abwarten. Eine Übung, die ihm nicht gerade leicht fiel.

„Doch, aber falls Cornelia nicht gelogen hat und wir tatsächlich bald mit einer Einladung rechnen können, hat diese abenteuerliche Reise ja bald ein Ende. Außerdem bin ich als Warenhändler immer viel unterwegs. Meine gute Frau und meine Kinder werden noch zu leiden haben, wenn ich zu alt für diese Strapazen bin. Mein ältester Sohn ist bald in dem Alter, in dem ich ihn mitnehmen werde. Meine Tochter hilft ihrer Mutter bereits so gut es geht. Ich sag dir, Marcus, wenn ich sie einem anderen Mann übergeben werde, wird mein Vaterherz scheußlich bluten.“ Er lächelte sanft, wobei sich kleine Fältchen um seine Mundwinkel und Augen legten. Marcus konnte sich fast vorstellen, wie der alte Eleasar auf seinem Stock gestützt mit seinen Enkeln spielte und ihnen die Geschichte des Juden erzählte, der von den Römern gekreuzigt worden, aber dann von den Toten auferstanden war. Und die Kinder würden große Augen bekommen und mehr hören wollen, bis er sie zum Spielen wegschickte.

„Du sehnst dich, Marcus?“, erkundigte sich Eleasar vorsichtig, als er den Römer weiter die Sterne beobachten sah.

„Möglicherweise“, wich dieser aus. Er hatte schon zu viel Seelenbewegung an diesem Tag preisgegeben und fand, er brauchte nicht seine gesamten Schwächen auf einmal zu offenbaren. Auch wenn Theofanos bereits in Morpheus‘ Armen lag und er dort von den Göttern gelehrt wurde, war ihm Eleasar noch nicht vertraut genug, als dass er sich vor ihm weiter entblößen wollte.

Schläfrig räkelte sich der Christ und zog seinen grauen Petasos [4] vom Kopf. Mit einer gewissen Verwunderung stellte Marcus fest, dass er den Kopf so in den Wolken gehabt hatte, dass er ihm jetzt erst auffiel.

„Hattest du nicht diese Kappe aus deiner Heimat an, bevor wir uns verabschiedeten?“, erkundigte sich Marcus, mehr aus Höflichkeit, denn aus wirklichem Interesse.

„Ja, du hast aber lange gebraucht, damit dir das auffällt“, rügte ihn Eleasar im Spaß, „Theofanos fand, wir fielen zu sehr auf. Meine dunkle Haut ließe mich wie einen entflohenen Sklaven wirken und die Mütze mache uns noch bekannter. Daher habe ich sie in meinen Sack getan und mir diesen besorgt. Ich finde die breite Krempe etwas lästig, aber der Verkäufer meinte, ich würde gut damit aussehen.“

„Der muss es ja wissen“, meinte Marcus wenig überzeugt und nahm dem Christen seine Kopfbedeckung aus der Hand, begutachtete den Filz, aber ihm fiel nichts Besonderes auf. Ein Hut, wie man ihn normalerweise in den wärmeren Teilen des römischen Imperiums sah.

„Marcus, bleib doch heute Nacht hier“, schlug Eleasar mit einem Blick auf Theofanos vor, der kurz davor stand endgültig von seinem Schemel zu fallen. „Ich denke, wir haben Platz für dich. Dein Freund Marcellus wird es dir sicher nicht übel nehmen, wenn du heute nicht sein Schiff bewohnst.“

Dankbar willigte der ehemalige Centurio ein. Nachdem Marcus dem Händler geholfen hatte, den tief schlafenden Theofanos in sein Bett zu tragen, rückten er und der Philosoph so eng zusammen, dass tatsächlich alle für den Rest der Nacht einen Schlafplatz fanden.

*


Ruhig und aufmerksam hatte Cornelia Valentius‘ Ausführungen gelauscht. Sie hatte gleich gespürt, dass ihm etwas auf der Seele, mehr noch auf der Zunge lag, als er sie in ihren Gemächern, während der Verschönerung ihres Äußeren, aufgesucht hatte. Sie kannte ihren Sklaven gut und Valentius hatte stets denselben verunsicherten Ausdruck in den Augen, wenn er mit etwas im Unreinen war.

Sie schickte das Mädchen weg, das gerade noch ihre Haare geflochten, hochgesteckt und mit einer blauen Glashaarnadel, die nun herrlich im Licht der Sonne schimmerte, gesichert hatte und bat Valentius auf einem der im Zimmer stehenden Cathedra Platz zu nehmen. Diese Korbstühle waren normalerweise den Frauen vorenthalten. Da Cornelia es aber für unnötig erachtete, extra einen anderen Stuhl bringen zu lassen, weil sie auch nicht zu viel Zeit mit dem Sklaven verbringen, sondern lieber ihre Toilette fortsetzen wollte, hatte sich der Lockenkopf ihrer Weisung zu fügen.

Für ihn war dies nichts Neues. Er hatte schon oft in ihnen gesessen und fand sie wesentlich gemütlicher als die lehnenlosen Klappstühle, die manch anderer für Stunden mit seinem Gesäß bewohnen musste und später Schmerzen in den Knochen verspürte. Das weiche Federkissen schmeichelte dagegen seinem Gesäß. Er rutschte so tief in den Stuhl hinein, dass seine Kniekehlen den Rand der Sitzfläche berührten. Schüchtern musterte er seine Herrin, die bereits den teuren Goldschmuck trug und sich auf ihrer Schlafstätte verschiedene Lieblingstunicen zurechtgelegt hatte. Er kannte jede Tunica, wusste, welche sie besonders schön machte und welche weniger. Ein stilles Wissen. Nie hätte er gewagt ihre Kleiderwahl zu kritisieren. Insgeheim hoffte er trotzdem, sie würde die gelbe Stola auswählen. Die Farbe des Löwenzahns schmeichelte ihrem stolzen und zugleich fragilen Wesen. Außerdem vertrieb diese Farbe die tristen, grauen Tage des kommenden Winters und glich den bunten Blättermeeren des Herbstes, die wie herrenlose Völker durch das Land zogen.

Cornelia betrachtete ihr Gesicht in einem kleinen, goldenen Handspiegel, prüfte ihre Frisur akribisch, zog hier und zupfte dort ein paar verirrte Strähnen an die richtige Stelle. Mit einem flüchtigen Blick über die Schulter sagte sie: „Valentius, du kommst doch nicht nur, um mir bei meiner Schönheitspflege zuzusehen. Worüber möchtest du mit mir sprechen?“

Ein schwacher roter Schleier legte sich auf die Wangen des Sklaven. Seine Herrin kannte ihn genauso gut wie er sie. Natürlich kam er nicht unbegründet.

„Herrin, ich wollte mit Euch über den römischen Unterhändler des Marcellus reden.“

Die schöne Frau, die sich gerade noch eine weitere Nadel ins Haar stecken wollte, hielt mitten in der Bewegung inne. Nachdem sie einen Moment nachgedacht hatte, forderte sie ihn entschieden auf, weiter zu sprechen.

„Nun, er war sehr neugierig, fragte nach dem Sklaven Esca, kannte sogar seinen Namen. Nachdem er mich mehrere Male bedrängte und ich keine bösen Absichten in seiner Fragerei erkennen konnte, führte ich ihn zu ihm – “

„Ja“, unterbrach ihn Cornelia, „ich traf ihn später bei Esca an. Es war irgendwie eigenartig, wie sie dort zusammen standen, aber sie reagierten gewöhnlich auf meine Anwesenheit.“

„Herrin, genau hier liegt mein Bedenken“, rutschte es Valentius heraus. Cornelia, alarmiert wegen des besorgten Untertons in der Stimme ihres Sklaven, legte Kamm und Schmuck, den sie in diesem Moment gegriffen hatte, beiseite und zog die Stirn kraus.

„Was möchtest du mir damit sagen?“, hakte sie nach.

Valentius beschlich ein mulmiges Gefühl. Bisher hatte er nichts Falsches darin gesehen, seiner Herrin von dem intimen Gespräch der beiden zu berichten, doch wie er nun vor ihr saß, kam es ihm doch falsch oder zumindest übertrieben vor. Was sollte Verwerfliches daran sein, wenn die beiden sich kannten? Aber für einen Rückzieher war es zu spät, wollte er in Cornelias Ansehen nicht sinken.

„Herrin, der Römer sagte mir, er habe Esca erst einmal auf dem Sklavenmarkt gesehen. Ich habe die beiden aber beobachtet, nachdem ich ihn zu ihm geführt habe und wie soll ich es ausdrücken … sie wirkten nicht so als sähen sie sich das zweite Mal in ihrem Leben. Sie haben viel miteinander geredet, ich habe allerdings kein Wort verstanden“, gab er zu und verhinderte zugleich unangenehme Nachfragen.

Cornelia schlug ihre schlanken Beine übereinander, nahm sich ihren Handspiegel und drehte ihn, ohne sich nur einmal darin zu begutachten.

„Du meist also“, begann sie, „wir sollten ein Auge auf die beiden haben? Denkst du, es sind Betrüger? Räuber gar, die uns ausrauben wollen? Und der junge Brigante flieht, sobald sich eine günstiger Moment für ihn bietet?“

Valentius zuckte erschrocken zusammen. Nein, das hatte der Lockenkopf Esca und seinem vielleicht Freund niemals unterstellen wollen! Entschieden schüttelte er den Kopf, wusste aber nicht, was er weiter sagen sollte.

„Trotzdem findest du, waren die beiden merkwürdig?“

Zögerlich nickte der Schönling, schaute danach aber gleich beschämt zur Seite. Nervös fummelte er an seiner Tunica, fuhr mit den Fingern den Bast nach, Welle für Welle, den unruhigen Seegang unter den Fingern spürend.

Cornelia entging nicht, dass ihr Sklave mit sich und seinem Gewissen kämpfte, auch das gab ihr zu denken. Ihr war diese seltsame Stimmung zwischen den beiden Männern nicht entgangen, hatte sich aber nicht viel dabei gedacht. Durch Valentius kamen ihr leise Zweifel. Es behagte ihr nicht, möglicherweise Teil eines üblen Spiels zu sein. Der Römer hatte sich als Marcellus‘ Unterhändler vorgestellt, sie würde Marcellus schreiben und sich bei ihm nach dem Fremden erkundigen. Marcellus war vertrauenswürdig. Ein Schlitzohr, aber kein schlechter Mensch. Sie kannte ihn lange und sie wusste, dass er sie als Kundin schätzte, zu sehr schätzte, als dass er sich auf zwiespältige Geschäfte einlassen würde.

Sie hatte eine Weile bedacht geschwiegen. Die Idee mit dem Brief hielt sie für sinnvoll und wollte ihren Schreiber sogleich kommen lassen. Irgendetwas war da aber noch. Etwas geisterte ihr im Kopf rum, aber sie konnte es nicht benennen. Es war unbefriedigend, doch davon abgesehen duldete sie so oder so keine Geheimnisse in ihrem Haus. Doch sie hatte Glück und eine der Musen gab ihr eine Idee ein, die möglicherweise das Geheimnis lüften konnte.

„Valentius!“, rief sie so plötzlich aus, dass der Sklave furchtbar zusammenfuhr. Etwas übertreibend fasste er sich an dir Stelle, an der sich sein Herz befand und das gerade vier Takte schneller schlug als zuvor.

„Ja, Herrin?“, stammelte er irritiert und sah ihr in die Augen, die ihn lebhaft fixiert hielten.

„Wir verschicken eine Einladung. Ein Gastmahl. Prächtig. Schick es zu Marcus Flavius Aquila. In zwei Tagen soll er kommen. Teil es gleich den Mägden mit, bereitet alles vor. Es soll beeindruckend werden“, trug sie dem überraschten Schönling auf, der sich nur zu gut an das letzte Festmahl von vor zwei Tagen erinnerte. Er verstand nicht, worauf die Herrin hinaus wollte, dennoch sprang er gehorsam von der Cathedra auf und machte sich auf den Weg.

*


Es war bereits Mittag, als Esca endlich mit seiner Arbeit soweit zufrieden war, dass er nun guten Gewissens zu Lupusios gehen und nach einer neuen Tätigkeit fragen konnte. Sein leerer Magen meldete allerdings, er habe Hunger und verlangte dieses Bedürfnis schnellstmöglich gestillt zu bekommen. Sein Blick wanderte gen Himmel. Obwohl die Nacht so sternenklar gewesen war, zeigte die Sonne ihren warmen Schein auch an diesem Tag nicht. Dadurch war es für ihn nicht zu bestimmen, ob sie schon ihren höchsten Punkt erreicht hatte. Da niemand kam, um ihn zur Verteilung der Mittagsration zu holen, war es wohl doch noch nicht so spät, wie es ihm das Knurren seines Magens vormachen wollte. Wahrscheinlich lag es eher daran, dass er sein Abendbrot verschmäht hatte und nun die Rache dafür folgte. Somit war die Suche nach demjenigen, der den Namen Lupusios trug, doch vorzuziehen. Bisher konnte er sich nicht daran erinnern, solch einem Mann schon auf dem Anwesen begegnet zu sein. Sicherlich war er aber einer der Aufseher. Dem nächsten Menschen, der zur Dienerschaft der Cornelia gehörte, wollte er fragen, wo dieser zu finden war. Überraschenderweise hatte er sich noch nicht weit vom Stall entfernt, da vernahm er, wie jemand seinen Namen laut hinter ihm her schrie. Verwundert wandte er sich um und sah Valentius aufgeregt auf ihn zustürmen. Der blonde Lockenkopf hatte den Briganten wohl im Lauftempo gesucht, denn als er endlich bei ihm angekommen war, war er völlig außer Atem – was auch seiner schlechten Konstitution geschuldet war.

„Esca …“, keuchte er nach Luft ringend, „Esca, ich habe Neuigkeiten!“ Er zitterte und kaum ein Wort war richtig zu verstehen.

„Komm erst einmal wieder zu Atem. Du schnappst ja wie ein Fisch auf dem Trockenen. Ist es so dringlich, dass du es mir nicht später erzählen kannst?“ Als Antwort erhielt er ein entschiedenes Kopfschütteln.

Obwohl Valentius den Anschein höchster Eile machte, entschied Esca den Schönling zuerst zu Ruhe kommen zu lassen, dazu zog er den Jüngling auf das trockene Gras, wies ihn an sich doch zu setzen und wartete, bis er wieder klar sprechen konnte. Der Sklave schwitzte am ganzen Körper und hatte ein rotes Gesicht. Als sich seine Brust aber wieder regelmäßig hob und senkte, verlor er keine Zeit, so dringlich waren scheinbar die Informationen, die er für Esca hatte.

„Die Herrin gibt ein Festmahl!“, platzte es mit einer unverkennbaren Begeisterung in der Stimme aus ihm heraus, die sein ganzes Gesicht zum Leuchten brachte. Esca legte die Stirn in Falten. Was war an dieser Nachricht so besonders? Cornelia schien gern zu feiern. Aber das taten viele aus der Oberschicht. Das einzige Vergnügen das viele zu haben schienen, um der Tristesse des Alltags zu entfliehen.

Ungeachtet dessen, dass die Nachricht Esca nicht sonderlich zu beeindrucken schien, fuhr Valentius fort: „Es kommt nur ein einziger Gast“, warf er Esca das nächste Stückchen hin, doch noch immer blieb die erwünschte Reaktion des Briganten offen. Es war wohl nicht so einfach sein Interesse zu wecken.

„Esca!“, beschwerte er sich nun und legte die Hände theatralisch auf die Hüfte, „Macht dich denn überhaupt nicht neugierig, wer kommt?“, fragte er ihn mit einem so eindringlichen Blick, dass sich der Blonde unbewusst etwas von dem Schönling wegbeugte, aus Sorge er würde ihm noch vor Ungeduld auf den Schoß klettern.

Allerdings hatte Esca mittlerweile begriffen, worum es Valentius ging. Ein Taubheitsgefühl machte sich in ihm breit. Er wollte nicht, dass der Sklave der Cornelia, der irgendwelche Absichten mit ihm zu haben schien, mitbekam, wie sehr sich sein Inneres allein bei dem Gedanken an Marcus zusammenzog. Er hatte sich doch gerade erst erholt.

„Nicht unbedingt“, war alles, was Esca dazu sagte und er hoffte, Valentius würde mit dem albernen Frage-Antwort-Spiel nun enden, doch der schöne Jüngling hatte es sich wohl zum Ziel gesetzt, Esca auf zur Lösung zu führen.

„Du kennst ihn“, half er ihm auf die Sprünge. Esca versuchte auszuweichen: „Das bezweifel ich, bedenke. Ich bin erst seit wenigen Stunden in der Stadt.“

„Trotzdem ist er dir bekannt“, versicherte Valentius ihm und grinste schelmisch. Ihm machte es wirklich Spaß den armen Esca ein wenig zu ärgern. Doch jetzt reichte es dem Briganten. Wollte Valentius mit dem Blödsinn nicht aufhören, so würde er ihm nun ein Ende machen. Er tat so als dachte er angestrengt nach, bevor er so unbeteiligt wie es ihm möglich war, erwiderte er: „Wenn es jemand ist, denn ich kenne, dann meinst du doch sicher den Römer, diesen Unterhändler, der gestern vorgesprochen hat?“

„Genau der!“, bestätige Valentius ihm, was er befürchtet hatte. Cornelias Sklave hatte mit innerlicher Freude festgestellt, dass es Esca nicht ganz leicht gefallen war den Römer zu erwähnen. „Er kannte deinen Namen, ich hatte ihn ja zu dir geführt“, rief er Esca den gestrigen Tag zurück ins Gedächtnis.

Esca schwieg, was Valentius aber nicht reichte, daher wollte er von ihm wissen: „Wie war noch gleich sein Name?“

Ohne darüber nachzudenken, antworte Esca: „Marcus“, und hätte sich gleich darauf am liebsten selbst geohrfeigt. Er wollte nicht, dass Valentius oder gar Cornelia zu viel von ihnen beiden wusste.

Klatschend landete Valentius’ rechte, zur Faust geballten, Hand in seiner Linken. „Marcus, richtig!“ Nachdenklich ließ sich der Schönling etwas ins Gras zurückfallen und hing seinen Gedanken nach. Natürlich mit Absicht. Er wollte Esca etwas auf die Folter spannen. Tatsächlich wurde der Brigante, nachdem mehrere Augenblicke verstrichen waren, unruhig und erkundigte sich, was es denn nun mit dem Unterhändler auf sich habe.

„Die Herrin hat Gefallen an ihm gefunden“, teilte ihm der Skalve mit. „Er scheint eine besondere Persönlichkeit zu haben, die sich die Herrin näher ansehen möchte“, flötete Valentius hinter vorgehaltener Hand weiter als spräche er über ein Geheimnis.

Escas Magen, der eben noch vor Hunger gebrummt hatte, stach nun unangenehm. Wenn jemand Cornelia gefiel, wurde es für den anderen meist gefährlich, wie er am eigenen Leib bereits feststellen musste. Daher wollte Esca wissen, was für eine Art Interesse Cornelia an Marcus hatte.

„Schwer zu sagen“, Valentius kratzte sich hinter seinem Ohr und strich sich über den flachen Bauch, „möglicherweise will sie Geschäfte mit ihm tätigen. Er kann gut reden und kennt Marcellus. Der Händler ist gut, aber nicht gerade billig. Sonst eben für andere Sachen“, ließ der Lockenkopf das Offensichtliche im Raum stehen.

Esca biss die Zähne aufeinander. Marcus und die Prostituierte hatten ihn einen harten Schlag versetzt, aber ließe sich Marcus nun auch noch auf seine neue Herrin ein … er wollte es sich lieber nicht vorstellen. Ein kleiner Hoffnungsschimmer lebte jedoch noch in Esca, dass Valentius mit seinen rätselhaften Worten doch etwas anderes gemeint haben konnte. Er nahm seinen Mut zusammen, Valentius entging das Ringen in Escas Angesicht nicht, und wollte erfahren, wie Valentius das letzte gemeint hatte.

„So genau habe ich mit darüber keine Gedanken gemacht. Wissen können es nur die Götter“, wiegelte er seine Andeutung erst ab, um dann in gelangweiltem Ton hinzuzufügen: „Im Zweifelsfall einen schönen Beischlaf.“

Esca hatte alles ruhig mitangehört und dabei abwesend die braunen und grünen Grashalme, die sich über alle Wiesen zogen, betrachtet. Entgegen seines stillen Eindrucks, gruben sich seine Nägel tief in die weiche Erde. Etwas enttäuscht schwieg Valentius in der Hoffnung, der Brigante würde noch mehr erfahren wollen, aber von Esca kam nichts weiter. Da Valentius auf eine Mauer des Schweigens gestoßen war, wollte er sich jetzt lieber zurückziehen. Er hatte genug Glut entfacht, dass er sich sicher war, ein Feuer der Wissbegier würde nicht lange auf sich warten lassen. Bald würde Esca von selbst kommen und mehr von ihm erfahren wollen. Er stand auf, klopfte sich spielerisch die trockenen Grashalme, die an seiner Kleidung hängen geblieben waren, ab und wollte bereits gehen, da hielt ihn Esca überraschend kräftig und mit einer raschen Handbewegung am Arm fest. Esca blickte starr zu einem undefinierbaren Punkt in der Ferne. Valentius stoppte, war etwas irritiert, sah dann aber, wie sich Escas Lippen bewegten. Doch seine Stimmte war so leise, dass der Schönling sich erst etwas zu dem Briganten beugen musste. Dann aber verstand er, was der andere sagte: „Wann, Valentius?“

Ob es nun Furcht oder Freude war, die Escas Stimmte geschwächt hatten, konnte Valentius nicht bestimmten. Er antwortete wahrheitsgemäß: „In zwei Tagen zur ersten vergilia.“[5]

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[1] röm. Gott des Schlafes, leider scheint es keinen Äquivalenten keltischen Gott zu geben, zumindest habe ich keinen gefunden.

[2] lat. Missgeburt.

[3] Tatsächlich haben sich antike Autoren negativ zu der Göttin in dieser Weise geäußert, ein Beispiel ist Juvenal.

[4] Breitkrempiger Hut aus Griechenland, der gegen die Sonne getragen wurde aber auch als Reisehut benutzt wurde.

[5] Je nach Jahreszeit zwischen 18 und 20 Uhr. Da wir schon im Spätherbst sind, eher 20 Uhr.
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