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Das Schicksal findet seinen Weg

Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
11.01.2014
20.03.2020
23
148.399
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11.01.2014 4.132
 
Als es endlich dämmerte, hatten beide Männer kaum ein Auge zugetan. Der felsige Boden steckte ihnen in allen Knochen und keiner von beiden war wirklich erpicht darauf, durch den Wald, vor dem sie gerastet hatten, wandern zu müssen. Ihm ausweichen konnten sie nicht, da ihre Vorräte nicht reichten und es ihren Weg nur unnötig verlängert hätte. Wälder bargen immer Gefahren in sich. Einige hatten sie bereits in Form des nordischen Seehundclans, der wilden Männer und Landstreicher angetroffen. Begegnungen die keine Wiederholung verlangten.

Vorsichtig nahm Marcus ein paar Tropfen aus dem Wasserschlauch und kühlte damit seine brennenden, übernächtigten Augen. Es tat gut, aber nur für einen kurzen Moment bis das Wasser sich erwärmt hatte und damit nur noch nass, aber nicht mehr erfrischend war. Esca kaute unterdessen lustlos an einem Stück Brot herum, das  seiner Kieferbewegung nach zu urteilen - rindenähnliche Konsistenz haben musste. Seine Augenlider waren noch halb geschlossen. Wie im Traum bewegte sich sein Oberkörper langsam  vor und zurück als wiege ihn jemand in den Schlaf. Marcus fand den Anblick so belustigend, dass er sich schwer tat seinen Kameraden nicht breit anzugrinsen.

Das Feuer war fast ganz erloschen und die beiden Männer begannen damit ihren Aufbruch zu planen. Unbewaffnet wollten sie sich nicht in das Laubmeer hineinwagen, dafür kannten sie die Gegend zu wenig. Marcus prüfte, ob sein Pugio, ein Dolch der Legionäre und das Gladius, das römische Kurzschwert, richtig saßen. Zur Sicherheit zog er das Pugio aus der Scheide, fuhr mit dem Finger vorsichtig über das Metall. Es sah gut aus. Zufrieden steckte er es zurück. Gerade wollte er auch sein Schwert ansehen, aber seine Hand griff ins Leere. Verwundert versuchte er es erneut, aber als dort wieder nichts anderes zu finden war als Luft, blickte er hinab und stellte mit Entsetzen fest: da war auch überhaupt nichts, was er hätte greifen können. Die Scheide war leer!

Ungläubig starrte er in das schwarze Loch. Wann bei allen Göttern war das passiert? Und wieso war ihm bis jetzt nicht aufgefallen, dass seine Waffe fehlte?

Obwohl es kühl und etwas windig war, wurde ihm plötzlich extrem heiß. Seine Gedanken rasten und ihm fiel ein, dass sein Schwert beim Kampf mit den nordischen Kriegern des Seehundclans, verloren gegangen war. Später, in der letzten Schlacht, hatte er ein altes Schwert von den Legionären erhalten. Da es aber schon rostig und stumpf war, hatte er es im Lager gegen ein Neues eintauschen wollen. Er hatte schon alles vorbereitet: das Alte hatte er einfach entsorgt, keinen Semis[1] hätte er dafür noch bekommen. Aber in der Hektik des Aufbruchs hatte er dann tatsächlich vergessen ein Neues zu kaufen.

Bei allen himmlischen Mächten, das war eine mehr als ungünstige Lage, ausgerechnet jetzt.

Esca hatte den inneren Kampf seines Freundes bemerkt und kam zu ihm herüber. Sein Schwert und der Dolch seines Vaters hingen fast schon vorbildlich an ihrem Platz.

„Was ist denn los, Marcus?“ wollte der Brigante wissen.

„Mein Schwert“, stammelte der Römer „Mein Schwert ist nicht da. Ich habe mir kein Neues nach dem letzten Gefecht besorgt. Nur meinen Dolch trage ich noch bei mir.“

Der ehemalige Sklave wollte seinen Ohren nicht trauen.

Marcus hatte kein Schwert? Warum hatte ein römischer Legionär kein Schwert?

Dieser Mann würde sie garantiert noch ins Grab bringen. Angespannt massierte er sich die Schläfen. Ein Ersatz musste her, aber woher? So viel war klar: Schwerter wuchsen nicht auf Bäumen, somit würden sie hier keins bekommen. Ausgeschlossen. Sein Blick wanderte über die Landschaft, außer der endlos wirkenden grünen Graslandschaft und dem Wald gab es nichts. Der Wald… Wald… Zweige… Äste! Ja. Ja, das war zumindest ein erster Einfall.

Er drehte sich von Marcus weg und trabte Richtung Waldgrenze. Der Zurückgelassene rief ihm noch hinterher, wo er denn hinwolle, aber Esca wehrte ab:„Ich bin gleich zurück“, und verschwand im Gebüsch.

Marcus blieb allein zurück. Hatte er gerade etwa wieder erwartet, dass Esca ihm sagte, was er tat? Er hockte sich hin und überlegte, was er nun machen sollte. Seine Aufmerksamkeit lenkte sich auf die nicht ganz handgroßen Steine, die teilweise nur noch mit der Spitze aus der Erde ragten. Das erinnerte ihn an etwas, nur was war das noch gleich?

Steine hatte man während der Eroberungszüge eingesetzt. Sie trafen den Gegner teilweise aus nächster Nähe an Armen, Beinen und bei einem guten Schützen sogar ins Gesicht. Sie hatten damals kleine, einfach gefertigte, Handschleudern: Fundi! Das war es. Diese schlichte Waffe hatte eine nicht zu unterschätzende Wirkung, gerade im Nahkampf und das Material war schnell besorgt: ein Stück Leder mit zwei Löchern, zwei Kordeln und fertig. Hastig griff er nach seinem Ledersack und fand zwei kurze Schnüre, die mal um irgendetwas gewickelt gewesen sein mussten. Mit dem Pugio schnitt er jetzt ein Teil so groß wie sein Handteller aus seinem Ledersack, bohrte zwei Löcher an die Enden, knotete die Schnüre daran fest. Fertig.

Zufrieden betrachtete er sein Werk. Ein Anfang. Es raschelte hinter ihm und er sah, wie Esca aus dem Unterholz hervorkam, einen Stock, dick wie ein Besenstil, in der Hand. Er kam zu ihm, setzte sich neben ihn und fing in aller Ruhe an, ein Ende mit dem Dolch seines Vaters anzuspitzen. Marcus erkannte sofort, was das werden sollte und fachte das Feuer wieder an, damit der werdende Speer in der Glut etwas härten konnte. Innerhalb einer Stunde war es vollbracht.

„Ich glaube ich habe mich schon lange nicht mehr so unwohl gefühlt. Wie ein Kalb, das zur Schlachtbank geführt wird“, murmelte Marcus.

„Ein adäquater Schwertersatz ist es nicht, aber besser als nichts“, erwiderte Esca und fügte hinzu: „Wir sollten bald aufbrechen, bevor die Sonne Mittag zeigt, sonst müssen wir nachher im Wald rasten.“

Marcus nickte. Er erhob sich, sammelte noch schnell ein paar passende Steine für die Schleuder, wickelte diese dann um seinen rechten Oberarm und schwang seinen Vorratssack über die Schulter. Er war bereit. Hoffte er zumindest. Der ehemalige Sklave fand, dass er einem Wanderer jetzt nicht unähnlich sah. Ob das ein Vor- oder Nachteil war, würde sich noch zeigen müssen.

Als sie schließlich aufbrachen, verrieten Marcus Gesichtszüge, dass er immer noch nicht von seinen Waffen überzeugt war. Außerdem suchten seine Augen immer wieder Escas Schwert.

„Denk gar nicht erst daran. Das ist mein Schwert und das bleibt es auch. Jeder ist für seine Sachen selbst verantwortlich. Aber keine Sorge, ich passe schon auf dich auf“, feixte Esca.

„Hätte mich auch gewundert. Ein Brigante teilt wahrscheinlich genau so ungern sein Handwerkszeug wie ein Römer.“ Marcus hatte einen leicht höhnischen Unterton in der Stimme. Für Esca klang es wie eine Herausforderung und er konterte:

„Wenn ein Römer seins mit Fremden zu teilen pflegt, dann ein Brigante ganz sicher nicht.“

Erstaunt zog der Römer die Augenbrauen hoch und verpasste damit erneut die Chance seinen Freund in einem Wortgefecht zu schlagen. Stattdessen räusperte er sich und ging strammen Schritts in Richtung Wald. Ein großes weißes Miliarium[2] stand unmittelbar an der Baumgrenze.



Es waren schon Stunden vergangen und die beiden Reisenden waren immer noch im Waldesinnern. Die Sonne stand schon tief und bald würde es zu dunkel sein, um weiter zu gehen. Sowohl Marcus als auch Esca fühlten, dass irgendetwas nicht stimmte. Es war ruhig, kaum ein Vogel war zu hören, nur der Wind rauschte durch das Blattwerk und ließ es um die Reisenden herum rascheln. Am Anfang hatten sich die Zwei noch allerlei Geschichten erzählt, doch nun waren sie verstummt, eine undefinierbare Beklemmung lag in der Luft.

Marcus innere Unruhe wuchs mit jedem Meter, aber er wollte Esca nicht voreilig in Alarmbereitschaft versetzten. Zuerst musste er herausfinden, was ihn so nervös sein ließ. Ihm kam es so vor als ob etwas fehlen würde. Misstrauisch blickte er um sich. Bäume, nichts als Bäume! Was konnte man nur in einem so eintönigen Ort etwas vermissen? Wasser? Tiere? Felsen? Aber halt. Was war das? Irgendetwas regte sich in ihm, ein Bild. Verschwommen tauchte etwas vor seinem geistigen Auge auf. Was war es bloß?

Und plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Miliaria! Die Meilensteine! Schon seit Stunden waren sie keinem Hinweis mehr begegnet, dass sie noch auf dem richtigen Weg waren. Wie konnte ihnen das nicht aufgefallen sein? Schließlich hatten sie sich doch so gut es ging an die Richtung gehalten. Irgendwas musste schief gelaufen sein, aber wann und wieso? War auch nicht so wichtig, wichtiger war, dass er nun einen Hinweis hatte, dass etwas nicht stimmte. Seine Intuition sagte ihm, dass sie nicht allein waren.

Der Römer beschleunigte seine Schritte bis er dicht hinter dem Briganten war, ihm gerade zu in die Hacken lief. Der Jüngere zuckte zusammen und drehte verärgert den Kopf zur Seite. Er wollte gerade anhalten und Marcus anfahren, was ihm denn einfiele. Aber der legte den Finger auf die Lippen und bedeutete seinem Freund nach vorne zu blicken. Esca folgte der Anweisung und ging weiter. Vorsichtig beugte sich der Römer näher an ihn, sodass sein Mund so dicht wie möglich an seinem Ohr war und flüsterte: „Bleib nicht stehen“, und als Esca tat wie ihm geheißen: „Ich habe schon viel zu lange keine Miliaria mehr gesehen. Hier geht etwas Merkwürdiges vor sich. Der Pfad sieht kaum benutzt aus.“

Der Dunkelblonde nickte unauffällig. Marcus hatte also dasselbe Gefühl gehabt wie er. Anspannung kroch in ihm hoch. Seine Hand glitt unter seinen Umhang und tastete nach seinem Schwert. Jetzt, wo die Gefahr erkannt war, wirkte jeder Schatten, jedes Geräusch bedrohlich. Marcus umklammerte seinen Speer fester. Die Schleuder würde er nur einsetzen können, wenn er den Speer dafür aufgab, aber ob er dann noch Zeit hatte sie einzusetzen?

„Marcus“, zischte Esca.

„Was?“

„Du atmest wie ein Rindvieh, so kann ich mich nicht konzentrieren und nichts hören.“

„Mir wäre lieber, du würdest etwas sehen. Den Tod hört man auch nicht kommen“, brummte Marcus zurück.

„Ich sehe etwas, aber das hilft uns jetzt auch nicht weiter“, erwiderte sein Kamerad knapp.

„Und was soll das sein?“

„Da vorne endet der Weg.“

„Bei allen Göttern“, stöhnte der Römer „Muss das denn sein?“

„Sei ruhig. Ich habe das Gefühl, gleich passiert etwas. Halt dich bereit, sie sind nicht mehr weit“, ordnete der Jüngere an, ohne auf die ironische Frage weiter einzugehen.

„Etwas genauer geht es nicht, oder? Egal, wer oder was kommt, ich brauche ein Schwert, also falls du eins triffst, das einen neuen Herren sucht, zögere nicht, an mich zu denken.“

Esca schnaubte, Späße hielt er gerade für ziemlich unangebracht, aber die Zuversicht seines Kameraden beruhigte ihn etwas. Sie waren stehen geblieben. Lautlos stellten sie ihre Säcke zur Seite.

Nichts regte sich.

Doch auf einmal ertönte ein ohrenbetäubendes Geschrei, das durch das Geäst schallte. Verwirrt rissen die Zwei ihre Köpfe herum, doch sahen nichts. Wie auch? Sie erwarteten einen Frontalangriff, aber der Feind hatte über ihnen gelauert, in den höheren Ästen der Bäume und wie Löwen sprangen sie ihnen jetzt geradezu ins Kreuz.

Es waren fünf an der Zahl. Der schäbigen Kleidung und den zotteligen Bärten nach zu schließen Wegelagerer. Sie trugen schlecht verheilte Narben an fast jeder freien Stelle ihrer Haut. Jede Narbe schrie ihrem Betrachter entgegen: Seht her! Seht unsere Stärke. Wir fürchten den Tod nicht! Wir sind stark!

Und genau das waren sie. Esca, der es gleich mit dreien zu tun hatte, geriet schnell in die Bredouille, da sie seinen Schlägen geschickt auswichen und ihn immer weiter einkreisten. Übler jedoch sah es bei Marcus aus. Sein Speer hatte beim ersten Stoß die Schulter eines Banditen getroffen, sich dabei aber gleichzeitig in Haut und Kleidung verhakt. Der Räuber hatte ihn darauf mit einem kräftigen Ruck aus Marcus Händen geschleudert. Mit großem Geschrei liefen seine Angreifer jetzt auf ihn zu, die Schwerter über ihre Köpfe schwingend. Da half nur noch um sein Leben laufen. Im Zickzackkurs rannte er zwischen den Stämmen umher, seine Verfolger dicht auf den Versen. Doch der plötzliche Sprint löste bei ihm bald Seitenstechen aus und trotz seines durchtrainierten Körpers schnappte er bereits nach Luft.

Verdammt noch eins, es konnte doch nicht sein, dass er den Knoten so feste gemacht hatte? Er zog verzweifelt an der Bindung, durch den die Schleuder um seinen Arm gewickelt war. Warum hatte er den Knoten auch so verdammt festgezurrt? Da gab die Schnur nach und die Schleuder lag in seiner Hand. Gut! Jetzt musste er einen der Angreifer loswerden und an eine Waffe kommen. Ein kurzer Seitenblick verriet ihm, dass der Räuber zu seiner Linken näher an ihm dran war. Eigentlich schon fast zu nah. Er durfte den richtigen Augenblick nicht verpassen, sonst würde er seinem Vater sehr bald auf den elysischen Feldern des Orcus begegnen.

„Anhalten“, schoss es ihm immer wieder durch den Kopf. Er musste anhalten, sonst konnte er nicht richtig zielen. Er maß erneut die Entfernung zwischen sich und dem Andern, holte tief Luft, stieß ein Stoßgebet zu Diana, dass sie ihn in diesen Wäldern nicht sterben lassen möge und bremste scharf ab. Wie Schatten huschten seine Verfolger an ihm vorbei, aber ganz dumm schienen sie nicht zu sein, denn auch sie stoppten augenblicklich. Doch genau dieser kurze Moment zwischen dem Halt und dem notwenigen Wendemanöver reichte aus, damit Marcus seine Schleuder beladen konnte. Mit aller Kraft katapultierte er den ersten Stein nach vorne. Das Geschoss verfehlte das angezielte Gesicht, aber es traf die Brust des Angreifers so ungünstig, dass diesem für einen Moment die Luft wegblieb. Wie ein Löwe sprang Marcus jetzt nach vorne und rammte dem Mann seinen angewinkelten Ellbogen mitten ins Gesicht, so dass man die Knochen knacken hörten. Mit einem grellen Schmerzensschrei brach der Verwundete zusammen und hielt sich die Nase aus der reichlich Blut herausströmte, das seine Hände rot färbte. Das war die Gelegenheit! Das alt aussehende und stumpf wirkende Kurzschwert des Wegelagerers lag fast gänzlich verdeckt im Laub. Hastig wühlten sich Marcus Hände durch das Laub und ergriffen es. Jetzt stand es Mann gegen Mann, so wie es ihm gefiel. Ein Siegeslächeln breitete sich bereits aus. Sein Gegenüber würde keine Chance haben.



Esca fiel. Laub stob auf. Nicht! Wenn er liegen blieb, war sein Leben vorbei. Hektisch krabbelte er auf allen Vieren voran. Nur weg hier. Er musste weg! Er packte sein Schwert noch fester, er durfte es auf keinen Fall verlieren. Aber sein Fluchtversuch scheiterte schon nach wenigen Metern. Bevor er Zeit hatte sich wieder aufzurichten, stieß seine Hand gegen einen Lederschuh. Vor ihm stand einer der Räuber mit einem dämonischen Grinsen im Gesicht. Der Mann holte aus, sein Schwert würde Esca den Schädel spalten.

Nein! Mit aller Kraft schlug Esca sein Schwert gegen das Bein des Räubers und riss eine tiefe Wunde. Der Mann kippte zur Seite. Unter lautem Geschrei hielt er sich das verletzte Bein. Flink wie ein Wiesel rappelte sich Esca auf. Die zwei Anderen hatten erschrocken mit angesehen, wie ihr Gefährte gefallen war, umso zorniger griffen sie jetzt an. Esca war wahrlich nicht der schlechteste Schwertkämpfer, aber er hatte Grenzen und die waren langsam erreicht. Ein Schrei ertönte hinter ihnen, bei Marcus musste etwas passiert sein und da geschah es.

Der Brigante war nur einen kleinen Moment abgelenkt, da erwischte ihn etwas Scharfes am Handgelenk. Vom Schmerz überrascht, ließ er das Schwert fallen. Sein Herzschlag beschleunigte. Was jetzt?

Dem nächsten Schlag wich er aus. Er musste beide Räuber im Auge behalten und sich gleichzeitig einen Plan überlegen. Er hatte noch den Dolch, aber der würde ihm jetzt nicht helfen. Was war eigentlich mit Marcus? Unfassbar, dass er sich um einen erwachsenen Mann Sorgen machen musste, nur weil dieser nicht fähig war, sich um seine Ausrüstung zu kümmern! Unfassbarer war jedoch, dass er gerade keine anderen Sorgen hatte.

Es zischte knapp neben seinem Ohr, wieder ein Hieb, der nur Zentimeter danebengegangen war. Es wurde brenzlig.

Esca entschied sich dafür, einen zweiten Fluchtversuch zu starten. Er hastete davon, aber eine übersehene Wurzel ließ ihn wieder zu Boden gehen. Ein Musenkuss wäre jetzt nicht schlecht gewesen, denn die Verfolger waren nur noch wenige Schritte entfernt. Er rollte sich auf den Rücken, damit er die Übersicht behielt und zog den Dolch heraus.

„Ich hätte nicht gedacht, dass mein Tod so unbefriedigend sein würde.“ Esca wappnete sich, er wollte mit Stolz sterben und sich bis zuletzt zur Wehr setzen.

Sie waren da.

Dem ersten Hieb konnte er dank des Dolches und teils dank seiner Reflexe entkommen, da sah er es aus dem Augenwinkel aufblitzen. Das war es jetzt. Er schloss die Augen.

„Esca!“ Ein klirrendes Geräusch – Stimmen, Fluchen – keine Schmerzen – er lebte?!

Marcus war im letzten Moment gekommen und hatte Esca vor seinem vorzeitigen Ableben bewahrt. Der Römer lag in einem heftigen Schlagabtausch mit einem der Männer. Der Andere hingegen, das registrierte Esca erst jetzt, kam genau auf ihn zugestürmt.

Hastig sprang er auf. Er brauchte dringend eine zusätzliche Verteidigungsmöglichkeit zu seinem kleinen Dolch. Außer einem abgerochenen Ast konnte er auf die Schnelle nichts Nützliches ausmachen, also schnappte er ihn sich rasch. Der Kampf konnte wiederaufgenommen werden.

Die Wegelagerer wehrten sich erbittert, aber sie würden scheitern.

Escas Gegner war schon schwer am schnaufen, seine Kräfte gingen zu Ende. Escas provisorischer Knüppel allerdings auch. Er musste zum finalen Schlag ausholen. Mit einem angedeuteten Hieb von der Seite lenkte er seinen Angreifer ab, als dieser sich eine Blöße an der offenen Flanke gab, stürzte er vor und rammte den Dolch zwischen die Rippen. Schnell riss er ihn heraus. Blut quoll aus der Stichwunde und der Bandit kippte zur Seite.

Bei Marcus war der finale Schlag noch nicht zum Greifen nahe. Er hatte den erfahrensten der Räuberbande zum Gegner und das merkte er. Wahrscheinlich war er auch mal Legionär gewesen, denn er kannte die typischen Bewegungen und parierte gut. Der Römer hatte so viel mit ihm zu tun, dass er nicht mitbekam, dass ihm der Räuber, dem er die Nase gebrochen hatte, gefolgt war und sich an die Kämpfenden heranschlich. Sein Gesicht verriet seine Gedanken: Rache und Blutdurst.

Nur noch zwei Armlängen und er würde sein Schwert in Marcus Rücken rammen. Esca wollte ihn warnen, ihm zurufen, aber das hätte ihn vielleicht abgelenkt, jede Konzentrationsstörung könnte ihn den Kopf kosten. Esca musste etwas tun. Schnell!

Er stürzte los. Marcus bekam immer noch nicht mit, was hinter seinem Rücken vorging. Eine halbe Armlänge.

Der hinterhältige Angreifer holte aus und …!

Esca war da. Ohne zu zögern stieß er ihm den Dolch bis zum Griff unterhalb der linken Schulter ins Fleisch. Der Mann schrie und sackte daraufhin in sich zusammen. Esca zog den Dolch heraus, überlegte, als er sah, dass der Mann sich immer noch bewegte, ob er nochmal zustechen sollte, ließ es aber sein. Nicht noch mehr Tote. Die Kleidung des Räubers färbte sich rasend schnell rot.

Jetzt endlich konnte auch Marcus die Oberhand gewinnen. In einem unaufmerksamen Moment hatte sein Gegner auf seinen Gefährten geachtet. Darauf hatte er gewartet, mit aller Kraft rammte er sein Schwert in die Brust seines Gegenübers. Kurze Zeit später lag er leblos auf dem Boden, die Augen weit aufgerissen, ungläubig Marcus anstarrend.

Langsam drehte sich Marcus zu dem Briganten um. Beide atmeten schwer, Escas Handgelenk pochte innerlich, blutete glücklicherweise aber kaum noch.

Schweigend standen sie sich gegenüber. Ganz langsam fing Marcus an zu realisieren, dass Esca ihm gerade das Leben gerettet hatte. Seine Dankbarkeit konnte er gar nicht in Worte fassen.

Der Blonde war erschöpft. Marcus lebte, das war das Einzige was zählte. Seine Beine wollten ihn nicht mehr tragen. Sie fühlten sich wackelig an. Sein Kopf war mit Eindrücken überfüllt. Wie von einer unsichtbaren Hand gezogen, tat er einen Schritt auf Marcus zu. Dann noch einen bis er dicht vor ihm stand.

„Was sollte das werden?“ fragte sich der Römer. Würde ihm Esca jetzt eine verpassen, weil er ihm wieder das Leben retten musste? Aber er hatte ihm ebenso sein Leben gerettet, also war seine Schuld schon getilgt. Trotzdem machte er sich zumindest auf eine Strafpredigt über Sorgfalt und Verantwortung gefasst. Aber nichts davon kam. Stattdessen kippte Escas Kopf nach vorne bis er auf Marcus Schulter auflag. Die vom Gefecht heiße Stirn traf auf den vom Schweiß nassen Stoff. Marcus Verstand machte einen Sprung.

„Esca? Stimmt etwas nicht?“, fragte der mehr als verunsichertere Römer. Escas Verhalten war absolut untypisch.

„Alles in Ordnung. Ich brauch nur eine Pause“, klang nicht nach der ganzen Wahrheit. Aber Marcus schwieg. Eine Mischung aus Unbehagen und Aufregung kämpften in seinem Magenbereich um die Vorherrschaft.

„Bei meinen Ahnen“, Escas Gedanken überschlugen sich, „Was tue ich denn hier? Ich höre mich an wie ein ängstliches Weib.“

Trotzdem konnte er nicht leugnen, dass er mehr als erleichtert war, dass dem Römer nichts zugestoßen war. Das Leben dieses Mannes war ihm wichtiger als er sich eingestehen wollte. Marcus hustete leise. Durch die Erschütterung wurde Esca bewusst, dass er immer noch an Marcus gelehnt stand.

„Verdammt! Ich höre mich nicht nur an wie ein Weib, ich benehme mich auch noch so!“, rügte er sich innerlich. Aber für Ausflüchte war es etwas zu spät.

„Wenn ich jetzt plötzlich zurück zucke, merkt er womöglich noch, dass mit mir irgendwas nicht stimmt. Ich muss es natürlich aussehen lassen“, überlegte er. Einen besseren Ausweg aus der peinlichen Situation würde es nicht geben.

Er ballte die Faust. Ruhig bleiben, sich natürlich geben. Er war müde und sein Geist war benebelt, etwas schlecht war ihm auch. Langsam löste er sich von Marcus. Er musste ihn ansehen, irgendwas sagen. Als er jedoch Marcus Gesicht erblickte, wusste er, dass er einen Fehler begangen hatte. Marcus Züge wirkten wie erstarrt, angestrengt starrten sie ins Leere. Für den jungen Briganten musste es so aussehen, als ob der Römer durch sein Verhalten aufgebracht war.



Was Esca nicht wusste war, dass bevor er sich bewegt hatte, Marcus gar nicht so angespannt geguckt hatte. Man hätte es auch „versonnen“ nennen können, aber dieser Ausdruck passte nicht zu diesem Krieger, der von sich selbst immer dachte, Venus hätte ihm ein Herz aus Stahl geschenkt. Eben dieses Denken veranlasste ihn auch, dass er dem Briganten eben nicht seine Blöße zeigen wollte.

„Ich danke dir, Esca“, mehr kam ihm nicht über seine Lippen. Der Dank klang reichlich unterkühlt und abgehackt. Marcus ärgerte sich. Er schaffte es nicht einmal sich anständig zu bedanken und stand hier wie ein Narr. Esca sagte gar nichts. Er nickte nur, drehte sich weg und begann allem Anschein nach, nach ihren Säcken zu suchen. Als er sie gefunden hatte, vergewisserte er sich kurz, dass noch alles da war und deutete an, dass er jetzt weiterziehen wollte. Ihm behagte dieser Wald ganz und gar nicht. Mit einem kurzen Blick zurück zu Marcus sah er allerdings, dass der sich über den Toten gebeugt hatte und ihn von oben bis unten abtastete.

Verwundert rief der Blonde dem Römer zu: „Was tust du denn da, Marcus?“

„Diese Männer sind tot, sie brauchen das Geld nicht mehr, wir aber“, antwortete Marcus im lapidaren Tonfall.

Es war unglaublich. Der ehemalige Centurio erdreistete sich Tote zu bestehlen? Esca konnte dieses Verhalten nicht gutheißen. Es bestand aus seiner Sicht keine Notwendigkeit das dreckige Geld von Dieben mitzunehmen.

„Was ist denn in dich gefahren? Lass doch die Toten ruhen und raub ihnen nicht auch noch ihre Habseligkeiten. Wir kommen auch ohne ihr Geld aus“, fuhr ihn Esca scharf an.

„Beruhig dich, Esca. Es ist doch üblich, dass man den Besitz des Besiegten mitnimmt. Kriegsbeute, das solltest du auch kennen.“

Ja, Esca kannte den Brauch der Kriegsbeute. Er kannte ihn sogar sehr gut. Wenn sie gegen benachbarte Stämme siegreich gewesen waren, hatten sie Gegenstände, Frauen und Kinder mitgenommen, aber heute störte es ihn. Heute war sowieso alles nicht so wie sonst.

Marcus nahm wahr, dass der ehemalige Sklave sich mit seiner Antwort nicht zufrieden gab. Fieberhaft überlegte er, was er tun könnte, um einen neuen Streit zu vermeiden, ohne seine Beute aufgeben zu müssen. Da kam ihm eine Idee.

„Wärst du einverstanden, dass wir das Geld mitnehmen, jedoch jedem von ihnen zwei Münzen für Charon überlassen?“, fragte Marcus in versöhnlichem Ton.

Esca verzog das Gesicht. Marcus wollte handeln? Für ihn sah das nach einem unsauberen Tausch aus. Eigentlich lag es ihm nicht nachzugeben, aber für heute reichte es.

Er stimmte zu.

In aller Eile machte sich Marcus ans Werk und Eile war geboten, denn das Licht bekam langsam einen rötlichen Glanz. Sie mussten sich einen Platz zum übernachten suchen.

Drei hatte er schon mit Münzen versorgt, als er sich aber nach den letzten Beiden umsah, bemerkte er, dass einer fehlte. Er sagte Esca Bescheid, sie beratschlagten kurz, ob sie ihn suchen gehen sollten, aber sie kamen zum Schluss, dass er mit der Verletzung nicht viel würde ausrichten können und da es bald dunkel werden würde, er auch nicht weit kommen konnten. Stattdessen losten sie aus, wer das Abendessen besorgen sollte. Die Wahl fiel auf Marcus.

„Diana steh mir bei. Bei dem Lärm, den wir gemacht haben, wird meilenweit kein Tier zu finden sein“, stöhnte der Römer.

Esca zuckte nur mit den Achseln. Diese Nacht würde er tief schlafen.



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1 Der niedrigste Betrag im alten römischen Reich, zu Vergleichen mit Cents/Pennies.

2 Ein Meilenstein, zeigt an wie weit die nächste Stadt entfernt ist.
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