[Oz] Hals über Kopf
von Velence
Kurzbeschreibung
Nach seinem Ausbruch aus Oz sucht Chris seinen Ex-Lover Toby auf, der sich in seinem Leben ohne ihn eingerichtet hat. Die alte Leidenschaft flammt wieder auf, aber an eine gemeinsame Zukunft ist nicht zu denken, erst recht nicht mit FBI-Agent Taylor an Chris' Fersen.
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
04.12.2013
26.06.2014
11
22.372
1
04.12.2013
2.145
A/N: Der kreativen Freiheit ist es zu verdanken, dass Harrison Beecher trotz seines Ablebens in der 6. Staffel noch lebt.
Danke fürs Betalesen, Prue!
Christopher Meloni on a happy ending for Beecher and Keller:
”I'd have them break out of OZ together, run and hide, assume new names and identities. Keller would run a laundromat and Beecher would be a stay at home kinda wife.”
Hals über Kopf
Kapitel 1 ~ Draußen
Keller war draußen. Ausgebrochen. FBI-Agent Pierce Taylor hatte Toby mit zwei uniformierten Beamten persönlich besucht, um ihn über die Neuigkeit zu informieren – und um ihn nach Hause zu begleiten und es nach dem Flüchtling zu durchsuchen. Toby hatte ihm erlaubt, jeden Raum einzeln zu durchkämmen, schließlich war Chris Keller nicht da. Mit ernstem Gesichtsausdruck hatte Taylor ihn ermahnt, sich zu melden, falls Chris bei ihm auftauchen sollte und erinnerte ihn an die Gefängniskarte beim Monopoly.
Danach schlief Toby zwei Nächte unruhig, erwachte jedes Mal verschwitzt von einem Alptraum. Seine Augen sprangen auf. Er saß aufrecht japsend im Bett mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge und krampfte vor Ekel mit zusammengepressten Augen. Zitternd atmete er durch und versuchte den Würgereiz zu kontrollieren, bevor er aufstand und duschte.
Er hatte es noch nicht ganz aufgenommen, dass er frei war. Frei. Irgendwie hatte er gehofft, es würde sich besser anfühlen.
Irgendwo war Oz immer noch in ihm.
Toby wollte nicht zurück ins Gefängnis. Nicht in die Oswald State Correctional Facility, besser bekannt als Oz. Anfangs hatte er Chris noch regelmäßig besucht, aus Tagen wurden Wochen, wurden Monate und schließlich kam er gar nicht mehr. Toby hatte Chris verziehen, dass er versucht, ihn zu überreden, seine Bewährung zu gefährden. In einem Anflug von Selbstlosigkeit hatte Chris beim letzten Treffen angeschnauzt, nicht wiederzukommen, nur um es später zu bereuen.
Nicht dass Toby Chris nicht mehr liebte, aber er war Realist. Keller saß bis ans Ende seines Lebens ein.
Zusammen mit seiner Tochter wohnte Toby nur zwei Straßen von seinen Eltern entfernt in einem Haus mit kleinem Garten. Es hatte ihn einige Überzeugungsarbeit gekostet, dass sie Holly in Tobys Obhut überließen. Nach der Schule ging sie weiterhin zu seiner Mutter Victoria, während er in der Kanzlei seines Vaters Harrison arbeitete. Sein jüngster Sohn Harry, der sich Gefängnisbesuchen verweigert hatte, hatte sich völlig von Toby entfremdet. Erst war er noch zu klein gewesen, später kannte er nur ein Leben ohne seinen Vater. Bei Tobys Schwiegereltern verbrachte er eine glückliche Kindheit – die einzige Tatsache, die Toby beruhigte.
Toby war kaum aus dem Gefängnis entlassen, da machte seine Tochter ihm deutlich, dass sie schon ein großes Mädchen war. Schmerzlich stellte er mit jedem Tag fest, wie viel er verpasst hatte und genoss jede Sekunde, die er mit ihr verbringen konnte. Sie hatten sich schnell im Alltag eingespielt.
„Vergiss dein Essen nicht.“ Toby wollte die Lunchbox in ihren Rucksack stecken, als diese ihm entrissen wurde.
„Dad“ schnaubte Holly, als wäre seine Hilfe eine grobe Verletzung ihrer Privatsphäre, und stopfte die Box wüst in eine Lücke in ihren Rucksack.
„Beeil dich bitte. Wir sind schon spät dran.“ Toby stellte das Geschirr, das sie zum Frühstück benutzt hatten, auf die Spüle. Für mehr war keine Zeit.
Toby schloss die Schnalle seiner Ledertasche, die auf dem hohen Barhocker lag, als seine Tochter wie angewurzelt am Küchentresen zum Stehen kam.
„Dad, wer ist das?“, fragte Holly.
Toby sah zu ihr und folgte dann ihrem Blick durch die große Fensterfront nach draußen auf die Terrasse und den spärlich von Laubbäumen gesäumten Garten. Augenblicklich erkannte er Chris, der mit einem wachsenden Grinsen und großen Schritten auf die Küchentür zukam. Ihn jetzt wirklich und wahrhaftig hinter seinem Haus zu sehen, war surreal, ein richtiger Schock.
Chris trug einen Sweater, ausgewaschene Jeans, enganliegend wie eine zweite Haut, und darüber eine schwarze Lederjacke. Groß, dunkel und gutaussehend wurden ihm nicht gerecht, es war das mysteriöse Grinsen und die tief blauen, stechenden Augen, die Bewunderer dazu brachten, ihm hinterher zu sehen – und er wusste um jeden Blick, den er auslöste.
„Zieh deine Jacke an“, sagte Toby und scheuchte seine Tochter in den Flur.
„Dad“, jammerte Holly und tat aber, wie ihr gesagt wurde, jedoch nicht ohne den Fremden zu mustern.
Toby öffnete die Terrassentür halb und versicherte sich noch einmal, dass Holly außer Sichtweite war. Chris schlängelte sich durch den Türspalt und sah Toby mit einem breiten Grinsen an.
Chris hatte ihn in einem klaren Moment gewarnt, nie wieder zurückzublicken, ein neues Leben draußen anzufangen und ihn zurückzulassen. Er hatte ihm seine Eifersucht wie das Gift einer Schlange entgegen gespeit. Ohne Umschweife hatte er in seiner vulgären, direkten Art gefragt, ob Toby die Lehrerin seiner Tochter, von der er erzählt hatte, ficken würde. Natürlich hatte Toby versucht zu leben, auch wenn sein Herz immer noch für Chris schlug. Achtundachtzig Jahre Strafe waren zu viel für ein Leben, selbst die fünfzig Jahre, nach denen Keller eine Chance auf Bewährung hatte, waren eine unmögliche Wartezeit.
„Was? Bekomme ich keinen Begrüßungskuss?“, fragte Chris.
Toby war völlig erstarrt, hin- und hergerissen zwischen seinem Herz, das einen Purzelbaum gemacht hatte, als er Chris über den Rasen hatte kommen sehen, und das nun bis in seinen Hals pochte, dem Wissen, dass er sein jetziges Leben aufs Spiel setzte, wenn er Chris gewähren ließ.
„Chris...“ Toby streckte seine Hände nach ihm aus, legte sie mit einigem Zögern auf Chris’ Schultern, bevor der ihn in eine harte Umarmung zog, seinen Kopf seitlich gegen die rauen Bartstoppeln drückte, die Augen schloss und seinen Geruch einatmete. Toby fühlte Chris’ Hand an seiner Taille, die andere streichelte über seinen Hinterkopf, krauste die kurzen Haare in seinem Nacken. Als sie sich nur wenig von einander lösten, ging es nahtlos in einen leidenschaftlichen Kuss über, Arme um ihre Körper geschlungen wie Kraken, die Lippen, die gegeneinander prallten und einen Schauer über den ganzen Rücken und Blut in die Leistengegend jagten. Ihre Münder gingen auf und schlossen sich übereinander.
Hollys Stimme vom Flur sorgte dafür, dass Toby Chris mit geröteten Lippen von sich schob. „Ich muss los...“
„Dann geh.“ Aber Chris presste sich nur wieder näher an Toby, seine Lippen berührten Tobys Mund kaum. Chris tat, was er am besten konnte. Bescherte ihm Herzflattern und spielte parallel sein Spiel mit ihm.
„Ich muss Holly wegbringen“, wiederholte Toby und schob ihn von sich. Chris zog plötzlich scharf Luft durch die Lippen ein und ließ seine Hand reflexartig an seinen Bauch fassen; dahin, wo Toby ihn berührt hatte.
„Was? Was ist passiert?“, fragte Toby. Er schloss die Distanz zwischen ihnen und hob Chris’ Sweater an, darunter zeigte sich eine Wunde abgedichtet mit einem blutigen Stofffetzen und silbernen Klebeband. „Scheiße.“
„Nur ein Streifschuss. Die Säcke können nicht schießen.“
„Dein Glück. Du könntest dir eine verdammte Blutvergiftung zuziehen!“
„Dad?“ Holly stand im Türrahmen und beobachtete ihren Vater und den fremden Mann.
„Holly, ich komme“, rief Toby. Er hielt sie mit einer stoppenden Geste zurück, dann wandte er sich Chris zu. „Du rührst dich nicht von der Stelle. Ich bin bald wieder da. Nicht bewegen, verstanden?“
„Was immer du willst.“ Chris grinste. Hollys neugierigen Blick quittierte er mit einem Zwinkern. Als Toby ihn wütend ansah, hob er entwaffnend die Hände.
Im Flur verharrte Toby kurz und drückte seinen Handrücken gegen den Mund, um sich zu sammeln. Bevor Holly ihn weiter mit Fragen löchern konnte, schob er sie nach draußen.
~~~
Eine viertel Stunde später kam er zurück, nur um die Küche leer vorzufinden. „Keller? Keller!“, rief er, erst besorgt, dann wütend. Fünfzehn Minuten waren nicht besonders viel, um einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Toby hatte Chris bisher nicht verraten und verkauft und wollte auch jetzt nicht damit anfangen, aber Agent Taylor brauchte nur an seiner Tür zu klopfen und seine Bewährung hatte sich erledigt.
Toby musste Chris davon überzeugen, sich zu stellen – oder ihm zur Flucht verhelfen. Das schienen zumindest die beiden einigermaßen logischen Konsequenzen, die er in der kurzen Zeit hatte ziehen können.
Nachdem er das Erdgeschoss durchsucht hatte, fand er Chris im Schlafzimmer auf dem Bett sitzend, wie er über die Bettwäsche strich.
„Schöne Bettwäsche. Hast du hier schon jemanden gefickt? Hollys Lehrerin? Wie hieß sie noch?“
„Du solltest dich nicht von der Stelle bewegen“, ignorierte er Chris’ indiskrete Frage.
Chris öffnete unschuldig seine Arme. „Ich bin hier. Ganz dein.“ Er streckte sich nach Tobys Hand aus, der sich dem Kontakt entzog. „Ich habe dich vermisst, Toby“, säuselte er. „Weißt du, wie lange wir uns nicht geküsst haben? Das ist das einzige, woran ich denke konnte. Dich zu küssen und zu küssen und...“ Chris lächelte sein Megawattgrinsen und versuchte abermals, ihn zu berühren.
„Warte hier“, erklärte Toby genervt. Er verschwand im Bad und kam mit Verbandszeug zurück. Chris zog mehr als bereitwillig den Sweater und das Muscle-Shirt über den Kopf und entblößte seinen nackten Oberkörper. Toby versuchte sein Bestes, ihn zu ignorieren.
„Heb den Arm“, bat er. Toby kniete auf Bauchnabelhöhe und löste vorsichtig den provisorischen Verband. Die Schusswunde sah unter diesen Umständen gut aus, keine Entzündung, keine Blutung. „Du hattest mehr Glück als Verstand.“ Er tupfte die Wundränder des Streifschusses ab, während es Chris nicht unterlassen konnte, durch seine Haare durch streichen.
„Oh fuck, es ist so schön, dich wieder zusehen, deine Stimme zu hören, dein Gesicht zu sehen, dich berühren zu können.“
„Wie bist du rausgekommen?“ Agent Taylor hatte ihn bereits ins Bild gesetzt, aber Toby wollte und konnte sich nicht weiter Chris’ Schmeicheleien anhören. Chris war wie der erste Martini, dem immer mehr und mehr folgten.
Chris grinste augenfällig. „Hab eine schwere Krankheit vorgetäuscht. Dr. Nathan hat mich zur Untersuchung in ein Krankenhaus bringen lassen, was ich zur Flucht genutzt habe.“ Er schnaubte einen Lacher. „Wer hätte gedacht, dass die Bibliothek doch mal zu etwas gut ist.“ Wenn es um raffinierte Pläne ging, war Chris Keller ein meisterhafter Stratege, der Ryan O’Reily in nichts nachstand.
„Halt fest.“ Toby ließ ihn die frische Mullbinde über seiner Wunde festhalten, damit er die Seiten mit Klebepflaster befestigen konnte. Toby strich ein paar Mal mehr als nötig darüber, um sicher zu gehen, dass der Verband nicht verrutschte. Er genoss es, Chris’ Haut unter seinen Fingern zu spüren, auch wenn er es nicht laut aussprach.
„Fertig.“ Toby begegnete seinem Blick.
„Ich kann nicht ohne dich leben, Toby“, gab Chris ehrlich zu. Er strich mit zwei Fingern zärtlich über Tobys Wange, der es diesmal zuließ. „Du siehst gut aus. Muss die Freiheit sein.“
„Du kannst nicht bleiben.“ Toby bemühte sich, unbeteiligt zu klingen. „Jeder Idiot weiß, dass du früher oder später hier aufkreuzt. Du musst gehen. Wenn dich jemand gesehen hat, bin ich am Arsch. Stell dich, Chris!“
„Niemand hat mich bemerkt“, versicherte Chris.
„Agent Taylor war in der Kanzlei und hier. Er ist nicht dumm. Wie hast du dir das vorgestellt?“
Chris stellte sich vor ihn, ihre Körper nicht weit auseinander, und legte er eine Hand auf Tobys Hüfte. „Du und ich... wir verschwinden, tauchen unter, besorgen uns neue Identitäten und fangen ein neues Leben an. Ich eröffne einen Waschsalon, während du Zuhause bleibst. Mit deiner Tochter.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Chris, nein. Das funktioniert nicht...“ Toby schüttelte den Kopf. „Du musst dich stellen, Chris.“
„Fuck, Toby, das kannst du nicht von mir verlangen! Willst du mich unbedingt hinter Gittern sehen?“ Chris strich sich über die kurzen Haare. „Ich gehe nicht zurück, nicht freiwillig. Vergiss es!“
„Willst du, dass ich wieder nach Oz komme?“, grollte Toby wütend und fügte ruhiger hinzu: „Ich helfe dir. Ich kenne ein paar gute Anwälte und alle heißen Beecher.“
„Sie werden dich genauso wie mich nach Oz schicken! Die machen kurzen Prozess.“
„Nicht wenn du dich freiwillig stellst!“ Toby schüttelte abermals seinen Kopf. „Ich habe meine Tochter. Sie braucht ihren Vater. Ich kann nicht einfach mit dir durchbrennen, nur weil du es dir so schön ausgemalt hast.“
„Ich brauche dich auch!“ Chris nahm Tobys Hand in seine Hände. Mit seinen Berührungen versuchte er ihn einzulullen. Seine Anziehungskraft war die eines schwarzen Lochs. Je näher Toby ihm kam, desto weniger konnte er sich ihm entziehen. Chris konnte einem das Gefühl vermitteln, der einzige und wichtigste Mensch auf Erden zu sein. Diese Aufmerksamkeit war umwerfend, schmeichelhaft und wickelte jeden in seinen Kokon aus Charme ein.
Toby wich seinem Blick aus. Er musste sich von ihm losmachen, um klar denken zu können. „Ich muss...“ Mit einem Blick auf die Uhr merkte er, dass er schon längst unterwegs hätte sein müssen. „Ich muss los. Wir reden heute Abend. Nimm dir, was du willst, aus dem Kühlschrank, schau fern, nimm eine Dusche oder schlaf eine Runde, nur lass dich nirgends blicken.“ Toby sah ihn strafend an, um deutlich zu machen, dass es ihm ernst war.
„Kein Problem.“
Auf halbem Weg drehte er sich noch einmal im Flur um und warf Chris einen scharfen Blick. Dieser ließ ihn nicht aus den Augen. Er wirkte sehr zufrieden mit sich, wie er dort stand. Toby wollte ihn nicht ermutigen und verließ ohne weiteren Gruß das Haus.
Danke fürs Betalesen, Prue!
Christopher Meloni on a happy ending for Beecher and Keller:
”I'd have them break out of OZ together, run and hide, assume new names and identities. Keller would run a laundromat and Beecher would be a stay at home kinda wife.”
Hals über Kopf
Kapitel 1 ~ Draußen
Keller war draußen. Ausgebrochen. FBI-Agent Pierce Taylor hatte Toby mit zwei uniformierten Beamten persönlich besucht, um ihn über die Neuigkeit zu informieren – und um ihn nach Hause zu begleiten und es nach dem Flüchtling zu durchsuchen. Toby hatte ihm erlaubt, jeden Raum einzeln zu durchkämmen, schließlich war Chris Keller nicht da. Mit ernstem Gesichtsausdruck hatte Taylor ihn ermahnt, sich zu melden, falls Chris bei ihm auftauchen sollte und erinnerte ihn an die Gefängniskarte beim Monopoly.
Danach schlief Toby zwei Nächte unruhig, erwachte jedes Mal verschwitzt von einem Alptraum. Seine Augen sprangen auf. Er saß aufrecht japsend im Bett mit einem bitteren Geschmack auf der Zunge und krampfte vor Ekel mit zusammengepressten Augen. Zitternd atmete er durch und versuchte den Würgereiz zu kontrollieren, bevor er aufstand und duschte.
Er hatte es noch nicht ganz aufgenommen, dass er frei war. Frei. Irgendwie hatte er gehofft, es würde sich besser anfühlen.
Irgendwo war Oz immer noch in ihm.
Toby wollte nicht zurück ins Gefängnis. Nicht in die Oswald State Correctional Facility, besser bekannt als Oz. Anfangs hatte er Chris noch regelmäßig besucht, aus Tagen wurden Wochen, wurden Monate und schließlich kam er gar nicht mehr. Toby hatte Chris verziehen, dass er versucht, ihn zu überreden, seine Bewährung zu gefährden. In einem Anflug von Selbstlosigkeit hatte Chris beim letzten Treffen angeschnauzt, nicht wiederzukommen, nur um es später zu bereuen.
Nicht dass Toby Chris nicht mehr liebte, aber er war Realist. Keller saß bis ans Ende seines Lebens ein.
Zusammen mit seiner Tochter wohnte Toby nur zwei Straßen von seinen Eltern entfernt in einem Haus mit kleinem Garten. Es hatte ihn einige Überzeugungsarbeit gekostet, dass sie Holly in Tobys Obhut überließen. Nach der Schule ging sie weiterhin zu seiner Mutter Victoria, während er in der Kanzlei seines Vaters Harrison arbeitete. Sein jüngster Sohn Harry, der sich Gefängnisbesuchen verweigert hatte, hatte sich völlig von Toby entfremdet. Erst war er noch zu klein gewesen, später kannte er nur ein Leben ohne seinen Vater. Bei Tobys Schwiegereltern verbrachte er eine glückliche Kindheit – die einzige Tatsache, die Toby beruhigte.
Toby war kaum aus dem Gefängnis entlassen, da machte seine Tochter ihm deutlich, dass sie schon ein großes Mädchen war. Schmerzlich stellte er mit jedem Tag fest, wie viel er verpasst hatte und genoss jede Sekunde, die er mit ihr verbringen konnte. Sie hatten sich schnell im Alltag eingespielt.
„Vergiss dein Essen nicht.“ Toby wollte die Lunchbox in ihren Rucksack stecken, als diese ihm entrissen wurde.
„Dad“ schnaubte Holly, als wäre seine Hilfe eine grobe Verletzung ihrer Privatsphäre, und stopfte die Box wüst in eine Lücke in ihren Rucksack.
„Beeil dich bitte. Wir sind schon spät dran.“ Toby stellte das Geschirr, das sie zum Frühstück benutzt hatten, auf die Spüle. Für mehr war keine Zeit.
Toby schloss die Schnalle seiner Ledertasche, die auf dem hohen Barhocker lag, als seine Tochter wie angewurzelt am Küchentresen zum Stehen kam.
„Dad, wer ist das?“, fragte Holly.
Toby sah zu ihr und folgte dann ihrem Blick durch die große Fensterfront nach draußen auf die Terrasse und den spärlich von Laubbäumen gesäumten Garten. Augenblicklich erkannte er Chris, der mit einem wachsenden Grinsen und großen Schritten auf die Küchentür zukam. Ihn jetzt wirklich und wahrhaftig hinter seinem Haus zu sehen, war surreal, ein richtiger Schock.
Chris trug einen Sweater, ausgewaschene Jeans, enganliegend wie eine zweite Haut, und darüber eine schwarze Lederjacke. Groß, dunkel und gutaussehend wurden ihm nicht gerecht, es war das mysteriöse Grinsen und die tief blauen, stechenden Augen, die Bewunderer dazu brachten, ihm hinterher zu sehen – und er wusste um jeden Blick, den er auslöste.
„Zieh deine Jacke an“, sagte Toby und scheuchte seine Tochter in den Flur.
„Dad“, jammerte Holly und tat aber, wie ihr gesagt wurde, jedoch nicht ohne den Fremden zu mustern.
Toby öffnete die Terrassentür halb und versicherte sich noch einmal, dass Holly außer Sichtweite war. Chris schlängelte sich durch den Türspalt und sah Toby mit einem breiten Grinsen an.
Chris hatte ihn in einem klaren Moment gewarnt, nie wieder zurückzublicken, ein neues Leben draußen anzufangen und ihn zurückzulassen. Er hatte ihm seine Eifersucht wie das Gift einer Schlange entgegen gespeit. Ohne Umschweife hatte er in seiner vulgären, direkten Art gefragt, ob Toby die Lehrerin seiner Tochter, von der er erzählt hatte, ficken würde. Natürlich hatte Toby versucht zu leben, auch wenn sein Herz immer noch für Chris schlug. Achtundachtzig Jahre Strafe waren zu viel für ein Leben, selbst die fünfzig Jahre, nach denen Keller eine Chance auf Bewährung hatte, waren eine unmögliche Wartezeit.
„Was? Bekomme ich keinen Begrüßungskuss?“, fragte Chris.
Toby war völlig erstarrt, hin- und hergerissen zwischen seinem Herz, das einen Purzelbaum gemacht hatte, als er Chris über den Rasen hatte kommen sehen, und das nun bis in seinen Hals pochte, dem Wissen, dass er sein jetziges Leben aufs Spiel setzte, wenn er Chris gewähren ließ.
„Chris...“ Toby streckte seine Hände nach ihm aus, legte sie mit einigem Zögern auf Chris’ Schultern, bevor der ihn in eine harte Umarmung zog, seinen Kopf seitlich gegen die rauen Bartstoppeln drückte, die Augen schloss und seinen Geruch einatmete. Toby fühlte Chris’ Hand an seiner Taille, die andere streichelte über seinen Hinterkopf, krauste die kurzen Haare in seinem Nacken. Als sie sich nur wenig von einander lösten, ging es nahtlos in einen leidenschaftlichen Kuss über, Arme um ihre Körper geschlungen wie Kraken, die Lippen, die gegeneinander prallten und einen Schauer über den ganzen Rücken und Blut in die Leistengegend jagten. Ihre Münder gingen auf und schlossen sich übereinander.
Hollys Stimme vom Flur sorgte dafür, dass Toby Chris mit geröteten Lippen von sich schob. „Ich muss los...“
„Dann geh.“ Aber Chris presste sich nur wieder näher an Toby, seine Lippen berührten Tobys Mund kaum. Chris tat, was er am besten konnte. Bescherte ihm Herzflattern und spielte parallel sein Spiel mit ihm.
„Ich muss Holly wegbringen“, wiederholte Toby und schob ihn von sich. Chris zog plötzlich scharf Luft durch die Lippen ein und ließ seine Hand reflexartig an seinen Bauch fassen; dahin, wo Toby ihn berührt hatte.
„Was? Was ist passiert?“, fragte Toby. Er schloss die Distanz zwischen ihnen und hob Chris’ Sweater an, darunter zeigte sich eine Wunde abgedichtet mit einem blutigen Stofffetzen und silbernen Klebeband. „Scheiße.“
„Nur ein Streifschuss. Die Säcke können nicht schießen.“
„Dein Glück. Du könntest dir eine verdammte Blutvergiftung zuziehen!“
„Dad?“ Holly stand im Türrahmen und beobachtete ihren Vater und den fremden Mann.
„Holly, ich komme“, rief Toby. Er hielt sie mit einer stoppenden Geste zurück, dann wandte er sich Chris zu. „Du rührst dich nicht von der Stelle. Ich bin bald wieder da. Nicht bewegen, verstanden?“
„Was immer du willst.“ Chris grinste. Hollys neugierigen Blick quittierte er mit einem Zwinkern. Als Toby ihn wütend ansah, hob er entwaffnend die Hände.
Im Flur verharrte Toby kurz und drückte seinen Handrücken gegen den Mund, um sich zu sammeln. Bevor Holly ihn weiter mit Fragen löchern konnte, schob er sie nach draußen.
~~~
Eine viertel Stunde später kam er zurück, nur um die Küche leer vorzufinden. „Keller? Keller!“, rief er, erst besorgt, dann wütend. Fünfzehn Minuten waren nicht besonders viel, um einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Toby hatte Chris bisher nicht verraten und verkauft und wollte auch jetzt nicht damit anfangen, aber Agent Taylor brauchte nur an seiner Tür zu klopfen und seine Bewährung hatte sich erledigt.
Toby musste Chris davon überzeugen, sich zu stellen – oder ihm zur Flucht verhelfen. Das schienen zumindest die beiden einigermaßen logischen Konsequenzen, die er in der kurzen Zeit hatte ziehen können.
Nachdem er das Erdgeschoss durchsucht hatte, fand er Chris im Schlafzimmer auf dem Bett sitzend, wie er über die Bettwäsche strich.
„Schöne Bettwäsche. Hast du hier schon jemanden gefickt? Hollys Lehrerin? Wie hieß sie noch?“
„Du solltest dich nicht von der Stelle bewegen“, ignorierte er Chris’ indiskrete Frage.
Chris öffnete unschuldig seine Arme. „Ich bin hier. Ganz dein.“ Er streckte sich nach Tobys Hand aus, der sich dem Kontakt entzog. „Ich habe dich vermisst, Toby“, säuselte er. „Weißt du, wie lange wir uns nicht geküsst haben? Das ist das einzige, woran ich denke konnte. Dich zu küssen und zu küssen und...“ Chris lächelte sein Megawattgrinsen und versuchte abermals, ihn zu berühren.
„Warte hier“, erklärte Toby genervt. Er verschwand im Bad und kam mit Verbandszeug zurück. Chris zog mehr als bereitwillig den Sweater und das Muscle-Shirt über den Kopf und entblößte seinen nackten Oberkörper. Toby versuchte sein Bestes, ihn zu ignorieren.
„Heb den Arm“, bat er. Toby kniete auf Bauchnabelhöhe und löste vorsichtig den provisorischen Verband. Die Schusswunde sah unter diesen Umständen gut aus, keine Entzündung, keine Blutung. „Du hattest mehr Glück als Verstand.“ Er tupfte die Wundränder des Streifschusses ab, während es Chris nicht unterlassen konnte, durch seine Haare durch streichen.
„Oh fuck, es ist so schön, dich wieder zusehen, deine Stimme zu hören, dein Gesicht zu sehen, dich berühren zu können.“
„Wie bist du rausgekommen?“ Agent Taylor hatte ihn bereits ins Bild gesetzt, aber Toby wollte und konnte sich nicht weiter Chris’ Schmeicheleien anhören. Chris war wie der erste Martini, dem immer mehr und mehr folgten.
Chris grinste augenfällig. „Hab eine schwere Krankheit vorgetäuscht. Dr. Nathan hat mich zur Untersuchung in ein Krankenhaus bringen lassen, was ich zur Flucht genutzt habe.“ Er schnaubte einen Lacher. „Wer hätte gedacht, dass die Bibliothek doch mal zu etwas gut ist.“ Wenn es um raffinierte Pläne ging, war Chris Keller ein meisterhafter Stratege, der Ryan O’Reily in nichts nachstand.
„Halt fest.“ Toby ließ ihn die frische Mullbinde über seiner Wunde festhalten, damit er die Seiten mit Klebepflaster befestigen konnte. Toby strich ein paar Mal mehr als nötig darüber, um sicher zu gehen, dass der Verband nicht verrutschte. Er genoss es, Chris’ Haut unter seinen Fingern zu spüren, auch wenn er es nicht laut aussprach.
„Fertig.“ Toby begegnete seinem Blick.
„Ich kann nicht ohne dich leben, Toby“, gab Chris ehrlich zu. Er strich mit zwei Fingern zärtlich über Tobys Wange, der es diesmal zuließ. „Du siehst gut aus. Muss die Freiheit sein.“
„Du kannst nicht bleiben.“ Toby bemühte sich, unbeteiligt zu klingen. „Jeder Idiot weiß, dass du früher oder später hier aufkreuzt. Du musst gehen. Wenn dich jemand gesehen hat, bin ich am Arsch. Stell dich, Chris!“
„Niemand hat mich bemerkt“, versicherte Chris.
„Agent Taylor war in der Kanzlei und hier. Er ist nicht dumm. Wie hast du dir das vorgestellt?“
Chris stellte sich vor ihn, ihre Körper nicht weit auseinander, und legte er eine Hand auf Tobys Hüfte. „Du und ich... wir verschwinden, tauchen unter, besorgen uns neue Identitäten und fangen ein neues Leben an. Ich eröffne einen Waschsalon, während du Zuhause bleibst. Mit deiner Tochter.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Chris, nein. Das funktioniert nicht...“ Toby schüttelte den Kopf. „Du musst dich stellen, Chris.“
„Fuck, Toby, das kannst du nicht von mir verlangen! Willst du mich unbedingt hinter Gittern sehen?“ Chris strich sich über die kurzen Haare. „Ich gehe nicht zurück, nicht freiwillig. Vergiss es!“
„Willst du, dass ich wieder nach Oz komme?“, grollte Toby wütend und fügte ruhiger hinzu: „Ich helfe dir. Ich kenne ein paar gute Anwälte und alle heißen Beecher.“
„Sie werden dich genauso wie mich nach Oz schicken! Die machen kurzen Prozess.“
„Nicht wenn du dich freiwillig stellst!“ Toby schüttelte abermals seinen Kopf. „Ich habe meine Tochter. Sie braucht ihren Vater. Ich kann nicht einfach mit dir durchbrennen, nur weil du es dir so schön ausgemalt hast.“
„Ich brauche dich auch!“ Chris nahm Tobys Hand in seine Hände. Mit seinen Berührungen versuchte er ihn einzulullen. Seine Anziehungskraft war die eines schwarzen Lochs. Je näher Toby ihm kam, desto weniger konnte er sich ihm entziehen. Chris konnte einem das Gefühl vermitteln, der einzige und wichtigste Mensch auf Erden zu sein. Diese Aufmerksamkeit war umwerfend, schmeichelhaft und wickelte jeden in seinen Kokon aus Charme ein.
Toby wich seinem Blick aus. Er musste sich von ihm losmachen, um klar denken zu können. „Ich muss...“ Mit einem Blick auf die Uhr merkte er, dass er schon längst unterwegs hätte sein müssen. „Ich muss los. Wir reden heute Abend. Nimm dir, was du willst, aus dem Kühlschrank, schau fern, nimm eine Dusche oder schlaf eine Runde, nur lass dich nirgends blicken.“ Toby sah ihn strafend an, um deutlich zu machen, dass es ihm ernst war.
„Kein Problem.“
Auf halbem Weg drehte er sich noch einmal im Flur um und warf Chris einen scharfen Blick. Dieser ließ ihn nicht aus den Augen. Er wirkte sehr zufrieden mit sich, wie er dort stand. Toby wollte ihn nicht ermutigen und verließ ohne weiteren Gruß das Haus.
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