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Das Licht

Kurzbeschreibung
KurzgeschichteTragödie / P6 / Gen
01.11.2013
01.11.2013
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Gebückt und mit schleifendem Schritt zieht er durch die dunklen Gänge seines Schlosses. Seit diesem Tag, an dem das Miststück mit dem Zauberstab, wie Mathilde immer so schön sagte, ihn mit einem Fluch belegt hatte, brauchte er das Licht nicht mehr. Nicht nur um ihn herum war Dunkelheit, sondern auch seine Seele schien Pechschwarz. Ekelhaft und widerlich war sein Aussehen, ein richtiges Monster.

Noch vor einiger Zeit war dies anders. Wie lange es her ist, weiß er nicht mehr. Die einzige Zeitangabe ist das stetige Flackern des immer weiter verblassenden Lichts. Und selbst diese ist nicht zuverlässig. Er könnte sich am Tages- und Nachtlicht orientieren, an den Jahreszeiten, wie sie die Welt um sein Schloss veränderten. Aber all das wollte er nicht, wollte nicht daran erinnert werden wie ewig und unendlich diese Pein war.

Er war immer schön gewesen, ein wahrer Prinz, in allen Definitionen des Begriffs. Nie hatte jemand seinen Reichtum und seine Anmut in Frage gestellt. Nie hatte auch nur irgendjemand ihn in Frage gestellt. Er war herrisch, ohne Frage, aber doch nur zum Wohle seiner Untergebenen. Dass diese auf Glitzer reduzierte Witzfigur das nicht gesehen hatte. Nein, sie hatte ihm den Stempel des Bösen aufgedrückt und ihn in ein verabscheuenswertes Wesen verwandelt. Bis das Licht verloschen ist, muss er eine Frau davon überzeugen können, dass er lieben kann. Und vor allem muss sie ihn lieben, von ganzem Herzen und auf ewig.

Bitter lacht er auf und schleppt sich die Treppen in den Turm mit dem Licht hoch. Er wollte immer nahe dem Licht sein, nie verpassen wenn es sich auch nur einen Funken verdunkelte, weil die Zeit weiter vorangelaufen war. Seufzend lässt er sich neben dem Licht nieder und greift nach seinem Buch. Dort schrieb er jede seiner Emotionen auf. Und er merkt, wie schnell seine Menschlichkeit in dieser Isolation dahin schwand. Wenn nicht bald Erlösung käme, dann wäre nicht nur er verloren, sondern auch sein ganzer Treueschar. Mathilde, die nichts dafür konnte. Diese junge begabte Musikerin, die keinen Ton über ihre Lippen brachte. Sein ihm so ergebener Butler. Einfach alle würden leiden weil er scheinbar schlecht war.

Er schlägt das Buch auf und nimmt eine Feder zur Hand. Er beginnt zu schreiben und zu träumen. Wie sie wohl aussehen würde, seine wahre Liebe. Wie sie riechen würde, was sie sagen würde. Er malt sich aus, wie sie sich begegnen, wie sie zurückschreckt und Angst vor ihm hat. Wie sie sich langsam im Schloss einlebt und alle anderen lieb gewinnt – alle außer ihm. Und dann, dann müsste er sie gehen lassen, weil sie ihr Zuhause vermisst und ihre Familie sehen will. Er müsste ihr das Versprechen abnehmen, dass sie wieder kommt. Und sie würde es ihm geben. Und nach den drei versprochenen Tagen, würde sie nicht wieder kommen. Er würde am Boden zerstört sein. Und dann, dann würde diese Primaballerina kommen und seine Geliebte an der Hand zu ihm führen. Und diese würde sagen, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Er würde sie in den Arm nehmen, und sie würde sich nicht dagegen wehren. Sie würden gemeinsam essen, lachen, tanzen, schweben. Sie würde ihm ihre Liebe schwören und das Licht würde wie wild pulsieren. Der Fluch würde gelöst und er wieder ein Prinz werden, wie zuvor. Er würde glücklich werden.

Er lässt das Buch sinken und blickt auf. Das Licht ist nur noch ein schwacher Funken, kaum mehr ein Lebenszeichen. Seufzend legt er sich schlafen. Wahrscheinlich das letzte Mal, dass er es tun wird. Er genießt es und schläft lächelnd ein.
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