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Yardees Geschichte

von SilviaK
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P12 / Gen
29.09.2013
29.09.2013
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3.811
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Diese Geschichte entstand zur Einführung eines Charakters in einen – inzwischen längst verschwundenen – Elfquest-Rollenspiel-Hain. Sie basiert auf der Vorgeschichte der Brüder Rook’ey und Renko, geschrieben von ihrer damaligen Spielerin. Mein damals erster Versuch, einen etwas graueren Chara zu stricken. Im Original war Yardee nur „einer von Renkos Leuten“. In seiner eigenen Version hatte er die Vorgabe: „Bau ihn so, dass er nicht gleich wieder aus dem Hain fliegt. Gib ihm einen guten Grund.“ War eine interessante Aufgabe.


Als Yardee zu sich kam, hörte er immer noch das wütende Fauchen der Raubkatze. Er spürte die Krallen, die ihm die Haut aufrissen und tiefe Wunden hinterließen, den Dolch in seiner Hand, mit dem er zustach, und sein verzweifeltes Senden nach Schattenfell - er wußte, daß er das wildgewordene Tier nicht allein bezwingen konnte. Sein Herz raste ... aber irgend etwas stimmte hier nicht ...
Unter seinem Rücken fühlte er keinen Waldboden mehr, sondern ein weiches Fell. Und der Schmerz verschwand, je wacher er wurde. Nur ein dumpfes Ziehen in der Brust blieb davon zurück.
‘Was ist passiert? Ich müßte doch tot sein ...’
Ungläubig öffnete Yardee die Augen, sah die Decke einer Baumhöhle über sich. Wo befand er sich? Wie war er hierhergekommen?
Yardee fand nicht die Kraft, um sich aufzusetzen und umzusehen. Obwohl sich ein Heiler seiner angenommen haben mußte, war ihm schwindlig, der Blutverlust hatte ihn sehr geschwächt. Schlafen wäre jetzt wohl das Gescheiteste, dachte er - und im nächsten Moment fielen ihm auch schon die Augen zu.
Als Yardee zum zweiten Mal erwachte, fühlte er sich schon etwas kräftiger - und klar genug im Kopf, um sich an Schattenfell und Riak zu erinnern. Besorgt „suchte“ er sie, bis er ihre Anwesenheit spürte. Der Wolf lag dösend vor der Baumhöhle, der Habicht saß nur ein paar Äste über dem Eingangsloch und gab als Antwort auf den Ruf einen heiseren Laut von sich.
Yardee erlaubte sich ein erleichtertes Lächeln. Plötzlich näherten sich Stimmen, und zwei Elfen betraten nacheinander die Baumhöhle. Einer kräftig und dunkelhaarig, der sich abwartend an die Wand lehnte, der andere älter, sehnig und blond.
Der Ältere musterte Yardee mit einem raschen Blick.
„Wie fühlst du dich?“
„Besser.“ Seine Stimme klang heiser. Der Elf nickte zufrieden, reichte ihm einen Becher Wasser und bestand darauf, daß er ihn ganz leerte. „Du wärst mir beinahe verblutet“, sagte er dabei. „Eine Stunde später, und ich hätte nichts mehr für dich tun können.“
Yardee verstand - er war derjenige gewesen, der ihn versorgt hatte. „Ich danke dir“, sagte er leise. Er besaß selbst auch in einem gewissen Umfang die Fähigkeit zu Heilen, war aber zu entkräftet gewesen, um sich selbst retten zu können.
„Wie ... wie bin ich hierhergekommen?“
„Das laß dir am besten von Renko erzählen, er hat dich schließlich gefunden“, gab der Heiler lächelnd zur Antwort, während er auf den Dunkelhaarigen zeigte, der mit einem leichten Grinsen eine Augenbraue hob. Dann drückte er Yardee eine Schale mit Brühe in die Hand und mahnte im Hinausgehen: „Du solltest dich noch schonen. Und aufstehen schon gar nicht!“
Yardee blickte den Jüngeren an und wollte etwas sagen, aber der ließ ihn gar nicht zu Wort kommen: „Reden können wir später. Iß erstmal, damit du wieder zu Kräften kommst. Sonst hätte unser Heiler sich die Mühe sparen können, die er mit dir hatte.“
Yardee widersprach ihm nicht - beim Anblick des Essens wurde ihm bewußt, wie hungrig er eigentlich war. Er setzte sich vorsichtig auf. Die gerade erst verheilte Haut auf seiner Brust spannte etwas, aber das ignorierte er. Er hob erst wieder fragend den Blick, als er die Schale geleert und beiseitegestellt hatte.
Renko zog sich ein Fell heran und ließ sich darauf nieder. Nun erzählte er endlich: „Es war reiner Zufall, daß ich dich fand. Zuerst stieß ich auf die Fährte einer Raubkatze und folgte ihr. Ich hatte nichts dagegen, mir später ihr Fell zu holen, und dachte mir, so vielleicht ihre Höhle zu finden. Dann hörte ich sie - und deinen Wolf, der zwischen euch stand und sie davon abhielt, dir den Rest zu geben. Mein Speer hat sie getötet, dann brachte ich dich her. Du warst übel zugerichtet. Sie muß ganz schön wütend auf dich gewesen sein.“
„Ich sah die Fährte und wollte dem Tier eigentlich aus dem Weg gehen - aber dann sprang es mich plötzlich von hinten an.“ Yardee versuchte, seiner Stimme einen gleichmütigen Klang zu geben. Er verdrängte die Erinnerung an den Klauenhieb, der ihn endgültig zu Boden gestreckt hatte. Yardee holte tief Atem, wußte nur zu genau, was geschehen wäre, wenn Renko ihn nicht entdeckt hätte. Er war es gewöhnt, allein umherzuziehen - aber in Situationen wie dieser wurde ihm schmerzlich klar, daß er auf sich gestellt war und nicht mit Hilfe rechnen konnte, sollte er sie einmal brauchen.
„Ich schulde dir mein Leben“, sagte er ernst und blickte Renko in die Augen. „Wenn es etwas gibt, das ich für dich tun kann, dann laß es mich wissen.“
Der Dunkelhaarige musterte ihn lange und abschätzend, nickte dann und lächelte. „Möglicherweise ... Ich sage dir schon Bescheid, wenn es soweit ist. Komm erstmal wieder auf die Beine. Wie heißt du eigentlich? Zu welchem Stamm gehörst du, und was treibt dich in diese Gegend?“
Yardee nannte seinen Namen und berichtete in wenigen Worten von seinem Geburtsstamm der Lotai und den langen Jahren, die er als Wanderer verbracht hatte.
„Und ihr?“, fragte er dann.
„Wir nennen uns das Baumvolk und den Wald, in dem wir leben, den Kristallwald. Mein Vater ist hier der Anführer. Jetzt verschwinde ich aber, ehe Leto zurückkommt und mich hinauswirft, weil ich dich nicht in Frieden lasse. Ruh dich aus, um deinen Wolf kümmern wir uns schon.“ Renko nickte ihm zu und ging.
Yardee ließ sich auf das Lager sinken. Ein ungewohntes Gefühl, daß jemand für ihn sorgte und mit ihm sprach - aber ein angenehmes. Yardee wußte nicht mehr, wie lange es zurücklag, daß er anderen Elfen begegnet war. In den letzten Jahren hatte er nur Schattenfell, später dann Riak zur Gesellschaft gehabt.
Meistens genügte ihm das ja auch ...
Einen Tag später ging es Yardee schon um einiges besser. Er kletterte sogar aus der Baumhöhle und konnte Schattenfell nur mit Mühe davon abhalten, ihn mit seiner stürmischen Begrüßung der Länge nach ins Gras zu werfen. Die Verletzungen auf seiner Brust waren dank Leto gut verheilt, obwohl man die Krallenzeichen noch sah. Die dünnen, hellen Narben würden ihn daran erinnern, das nächste Mal etwas aufmerksamer zu sein, wenn er wieder auf eine Raubkatzenfährte stieß.
An das weiche, warme Bauchfell seines Wolfsfreundes gelehnt, schloß Yardee die Augen und schickte Riak zum Himmel hinauf. Er war neugierig auf Renkos Stamm, wollte ihn ein wenig beobachten, ohne selbst dabei beobachtet zu werden. Durch Riaks Augen blickend, der über den Wipfeln und Lichtungen in der Nähe kreiste, sah er den Elfen bei ihren alltäglichen Verrichtungen zu, und der Gedanke, der ihm seit gestern im Kopf herumging, setzte sich fest.
Warum nicht eine Weile hierbleiben?
Es schien ein freundliches Volk zu sein, man hatte ihm geholfen - und er würde so vielleicht die Chance bekommen, sich dafür zu revanchieren.
Aber durch die lange Zeit, die er allein umherziehend verbracht hatte, fiel es Yardee schwer, sich wieder in ein Stammesleben, in eine größere Gruppe einzufügen. Mit Absicht wählte er einen Platz am Rand der Ansiedlung, um sein Lager aufzuschlagen. In den ersten Tagen blieb er meistens für sich - aber er freute sich, daß Renko ihn besuchte und zur Jagd mitnahm. Unter den vielen unbekannten Gesichtern erschien ihm der Elf, der ihn gerettet hatte, schon fast als ein Freund.
Und es dauerte wirklich nicht lange, bis Renko auf sein Angebot zurückkam.
„Yardee, ich brauche deine Hilfe!“
Seine Stimme klang ernst, eindringlich sah der Dunkelhaarige den Wolfsreiter an, als er sich ihm gegenübersetzte. „Es gibt nicht viele hier, die ich darum bitten kann. Aber so geht es nicht weiter!“
„Was meinst du?“, fragte Yardee, der nicht wußte, worauf Renko anspielte.
Renko starrte in den Sand. „Mein Bruder“, stieß er hervor. Yardee hörte mühsam unterdrückten Zorn in seiner Stimme. „Rook’ey - er hetzt die anderen gegen mich auf. Ständig sucht er Streit mit mir - egal, was ich tue oder sage. Aber das Schlimmste ist“, seine Stimme sank zu einem Flüstern herab, „er plant etwas gegen mich. Er will mich aus dem Weg räumen!“
„Was? ... Aber wieso?“, entfuhr es Yardee. Ungläubig blickte er Renko an - meinte er wirklich das, was Yardee zu verstehen glaubte? Aber wie konnte das sein? Wie konnte ein Elf einem anderen nach dem Leben trachten?
„Wenn ich das wüßte ...“ Hilflosigkeit mischte sich in Renkos Stimme. Einen Moment lang sah er bedrückt aus, aber dann straffte er sich. „Ich will meinen Vater da nicht hineinziehen, das muß ich selbst mit Rook’ey klären. Aber er läßt sich einfach nicht zur Rede stellen - nie habe ich ihn in den letzten Tagen allein erwischt.“
Sein Blick bohrte sich in Yardees Augen. „Ich weiß, daß er jetzt unten am Fluß ist. Aber er wird mich auch diesmal nicht anhören wollen, ich kenne ihn, ich habe es schon oft versucht. Ihr sollt ihn aufhalten, wenn er wieder verschwinden will - ein paar Freunde, die zu mir halten, und du - wenn du mir wirklich helfen willst, wie du es vor kurzem sagtest.“
Yardee fühlte sich in die Enge getrieben. Es behagte ihm nicht, sich in einen Streit einzumischen, der ihn eigentlich überhaupt nichts anging. Renkos Bruder kannte er nicht einmal - nur flüchtig, vom Sehen. Aber Renko hatte sein Wort - und er wußte schließlich am besten, wie er mit seinem Bruder umgehen mußte. Außerdem hatte Yardee keine Lust, seinen neuen Freund in einer gewalttätigen Auseinandersetzung gleich wieder zu verlieren.
„Gut, ich bin dabei.“
Renkos Augen leuchteten auf. „Ich wußte doch, daß ich mich auf dich verlassen kann!“, rief er und schlug Yardee auf die Schulter. „Komm mit! Diese Gelegenheit haben wir so schnell nicht wieder!“
Renko ließ ihm keine Zeit zum Nachdenken. Er lief voran in die Dunkelheit des Waldes, hielt erst unter einem mächtigen Baum, unter dem drei Elfen standen. Jeder trug einen Bogen über der Schulter, als ginge es auf eine Jagd. Sie nickten Yardee zu, wußten anscheinend schon, daß er sie begleiten würde. Renko schärfte ihnen noch einmal ein, nur zu Senden, sich leise zu bewegen und auf seine Befehle zu warten, dann führte er die vier zum Fluß.
Yardee war nicht ganz wohl bei der Sache. Um ein Gespräch zu führen brauchte man normalerweise keine Waffen! Aber nach dem, was Renko über Rook’ey erzählt hatte, schien Vorsicht wohl besser zu sein.
Als sie sich dem Fluß näherten, ertönte das Jaulen eines Wolfes in der nächtlichen Stille. Die fünf Elfen verharrten regungslos, lauschten in alle Richtungen. **Neeras Wolf**, ließ sich Renko vernehmen. Yardee konnte mit dem Namen allerdings nichts anfangen.
Als nichts weiter geschah, setzten sie ihren Weg lautlos fort. Bald darauf hörten sie die Melodie fließenden Wassers ganz in der Nähe. Mondlicht glitzerte auf den Wellen des Flusses, an dessen Ufer eine Gestalt mit dem Rücken zu ihnen saß.
Yardee fragte sich, warum Renko sie nicht anrief, warum sie sich immer noch in der Dunkelheit verbergen mußten. Plötzlich sah er, wie Renko sich genau hinter der sitzenden Gestalt geräuschlos aufrichtete, seinen Dolch hob, mit einem raschen Ruck ihren Kopf nach hinten bog und ihr das Messer über die Kehle zog.
Ohne einen Laut sackte die Elfe in sich zusammen.
Yardee starrte entsetzt auf die Leblose. Er weigerte sich zu glauben, was er gerade mitangesehen hatte. Mühsam hob er den Blick zu Renko, der sich herumdrehte, das Gesicht eine Maske grimmiger Zufriedenheit.
Hastige Schritte näherten sich, jemand rannte zum Ufer, als gelte es sein Leben.
Rook’ey!
**Achtung - jetzt!**, gellte Renkos Senden in den Köpfen seiner Begleiter. Und kaum daß der große, dunkelhaarige Elf mit dem kleinen Jungen im Arm den Fluß erreichte, warfen sich die drei anderen schon auf ihn. Es kam zu einem Handgemenge, sie entrissen ihm den Jungen, und irgend jemand befahl: *Halt den Knirps fest!*
Yardee packte mechanisch zu, umklammerte das strampelnde Kind und begriff immer noch nicht, was hier eigentlich geschah. Die drei anderen drückten Rook’ey erbarmungslos auf die Knie, hielten ihn fest, bis Renko zu ihm trat, den Dolch, mit dem er die Elfe getötet hatte, provozierend in der Rechten.
„Hallo, Bruder!“ Verachtung lag in seiner Stimme.
Rook’ey schrie auf, als er das Blut an der Klinge sah. „Neera!“ hörte Yardee ihn verzweifelt aufstöhnen und verstand, daß es der Name der Elfe sein mußte. Der Junge in seinen Armen zappelte, trat um sich und fing an zu weinen. „Mama!“, schluchzte er.
Yardee biß die Zähne zusammen und versuchte sich so zu drehen, daß der Kleine wenigstens nicht mehr den toten Körper seiner Mutter sehen mußte. Worauf, in aller Welt, hatte er sich da eingelassen?! Wenn es eine Auseinandersetzung zwischen den Brüdern war, warum schickte Renko dann Rook’eys Gefährtin in den Tod? Kein Elf hatte das Recht, einem anderen Elf das Leben zu nehmen - egal aus welchem Grund! Oder war noch etwas zwischen den beiden vorgefallen, von dem Yardee nichts wußte?
Sein Blick flog wieder zu Renko, der seinem Bruder heftig ins Gesicht schlug.
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann fragte Rook’ey heiser: „Warum?“
Seine Frage schien Renko zu amüsieren. „Deinetwegen!“ antwortete er. „Immer bist du besser, schneller, beliebter bei allen und ich ... ich bin nur der kleine Bruder, der in deinem Schatten stand!“
„Das ist nicht wahr!“, flüsterte Rook’ey.
‘Und es ist kein Grund für einen Mord!’, dachte Yardee, als Renko wütend das Gesicht verzog. Wieder hatte er das Bild vor Augen, wie Neera nach hinten kippte. Wieso ließ er das, was hier geschah, eigentlich zu?!
**Renko, hör auf!**
Der Elf ignorierte sein Senden und hob die Klinge. Im selben Moment lösten seine drei Freunde ohne ersichtlichen Grund plötzlich die Hände von Rook’ey. Der Elf richtete sich auf, glitt auf Yardee zu, riß den Jungen an sich und flog himmelwärts.
**Verdammt, ihr laßt ihn entkommen!**
Renkos zorniges Senden schien den Bann zu brechen, der auf den Elfen lag. Nun verstand Yardee, weshalb sie ihre Bögen bei sich trugen: in Sekundenschnelle hatten sie auf Rook’ey angelegt, schossen nach ihm wie nach einem Vogel, trafen ihn auch. Er taumelte, stürzte abwärts und verschwand in einiger Entfernung zwischen den Bäumen.
„Sucht ihn!“, befahl Renko. Während seine Gefährten davoneilten, rührte sich Yardee nicht vom Fleck. Heftig fragte er: „Was soll das alles?! Du hast mir nicht gesagt, daß es darum geht, jemanden umzubringen!“
„Und wie ich sehe, tat ich recht damit.“ Mit einem kühlen Lächeln auf den Lippen drehte sich Renko zu dem Wolfsreiter um. „Es gibt keine andere Möglichkeit, den Streit zu beenden.“
Yardee zeigte auf Neeras Körper. „Und sie? Was hatte sie damit zu tun?! Und der Junge?“
„Das nun wieder geht dich gar nichts an!“ Renko trat näher, fixierte Yardee, den Dolch noch immer in der Rechten. „Du enttäuschst mich, ich hatte dich für stärker und verläßlicher gehalten. Vergiß nicht - du schuldest mir dein Leben! Ich habe dein Wort, daß du mich in dieser Angelegenheit unterstützt! Und denk nicht einmal daran, jemandem mitzuteilen, was hier geschah. Du hängst jetzt genauso drin wie wir. Oder muß ich dich anderweitig überzeugen?“
Die Drohung in Renkos Stimme traf Yardee wie Eiswasser. Er verstand nicht, wie jemand, der ihn vor einigen Tagen erst vor dem sicheren Tod gerettet hatte, so kaltblütig handeln konnte. Renko sah aus, als würde er nicht zögern, den Dolch noch einmal zu benutzen, sollte Yardees Antwort nicht zu seiner Zufriedenheit ausfallen.
„Dann gehen wir sie besser suchen“, antwortete Yardee mit undurchdringlicher Miene. „Wenn sie entkommen haben wir ein Problem.“
Renko maß ihn mit einem mißtrauischen Blick. Es gelang Yardee, so gelassen wie immer auszusehen, obwohl in seinem Inneren das reinste Chaos herrschte. Schließlich nickte Renko knapp, bedeutete ihm, vorauszulaufen, und folgte ihm auf den Fersen.
Als sie die anderen erreichten, wurde klar, daß sie zu spät gekommen waren. „Trollspuren“, sagte einer der Elfen zu Renko, der wütend die Fäuste ballte. „Wir folgen ihnen“, befahl er knapp, warf einen auffordernden Blick zu Yardee, der kaum merklich nickte und an seiner Seite blieb.
Yardee schwirrte der Kopf. Was tat er hier eigentlich?! Er machte sich nichts vor - gegen die vier würde er in einer Auseinandersetzung nicht ankommen. Er mußte mitspielen, solange er in ihrer Nähe war, ihm fiel nichts anderes ein. Sollte er nach dem Lager der Baumelfen senden, dann - da war er sich sicher - konnte es ihm nicht anders als Neera ergehen, wenn die anderen das Nahen von Verfolgern spürten. Vielleicht gab er in dem Fall sogar den perfekten Sündenbock ab: ein Wanderer, erst seit kurzem im Dorf, auf der Flucht nach dem Mord an Neera von Renko und seinen Gefährten gestellt.
Fassungslos verfolgte Yardee seine eigenen, jagenden Gedanken. Wie schnell war aus dem Freund ein Gegner geworden, jemand, der ihn benutzte, um seine Ziele zu erreichen. Momentan traute er ihm alles zu. Und er hoffte im Stillen, daß Rook’ey und sein Sohn ihnen entkamen, auf welche Weise auch immer. Er wußte nicht, was von den Dingen, die Renko ihm erzählt hatte, nun stimmte, aber er hatte den Verdacht, daß derjenige, der hier geplant hatte, jemanden aus dem Weg zu räumen, nicht Rook’ey gewesen war.
‘Du warst viel zu vertrauensselig!’, warf er sich vor. ‘Mischst dich in Dinge ein, die dich nichts angehen und von denen du keine Ahnung hast! Verflucht, dabei wollte ich doch nur helfen. Wenn ich geahnt hätte...’
Er wurde abgelenkt, als sie sich einem verborgenen Eingang in die unterirdische Welt der Trolle näherten. Sie schlugen die Wachen bewußtlos und drangen ins Innere vor.
Yardee hatte wenig Erfahrung mit Trollen und bisher noch nie einen von Nahem gesehen. Er stellte fest, daß er keinen besonderen Wert auf ihre nähere Bekanntschaft legte. Irgendwie erschienen sie ihm mehr wie Tiere denn intelligente Wesen - obwohl sie letzteres eindeutig waren.
Renko hielt Yardee immer an seiner Seite, wollte ihn wohl beobachten - und Yardee tat so, als konzentriere er sich ganz auf die Verfolgung. Vielleicht konnte er irgend etwas tun, wenn sie sie fanden. Vielleicht.
Die Diskussion  mit dem Trollkönig verfolgte er schweigend. Und als auch sein Sohn bestätigte, er wisse nicht, ob der vermißte Elf in die Höhlen verschleppt worden sei, war Yardee etwas erleichtert - damit war Rook’ey auch für Renko erst einmal außer Reichweite.
**Ich traue ihnen nicht!** erklang Renkos geschlossenes Senden in den Köpfen seiner Begleiter, als vier Trolle sie zum Ausgang eskortierten. **Wir werden meinen Bruder hier suchen - auch ohne ihre Erlaubnis!**
Wieder hieß es: Schlagt die Trolle nieder! Wieder eilten sie durch finstere Gänge, suchten den passenden Geruch, dem sie folgen konnten, fanden ihn auch - als der Sohn des Trollkönigs ihnen entgegenkam.
„Wo ist er?!“ herrschte Renko ihn an.
Der Troll grinste breit. „In der Leere!“ Dann schob er sich an ihnen vorbei und verschwand in der Dunkelheit.
Die Elfen folgten dem Weg, den er gekommen war, erreichten einen Ausgang und standen einen Moment lang stumm da, überwältigt von dem Meer aus Sand, auf das die Sonne erbarmungslos niederbrannte. Frische Wolfsspuren führten vom Gang in die Wüste hinein. Zu sehen war nichts mehr.
Renko war außer sich. „Da finden wir ihn nie! Nicht ohne unsere Wölfe! Und bis wir sie geholt haben und wieder hier sind, ist er im Nirgendwo verschwunden und uns mehr als einen Tag voraus!“
Yardee atmete innerlich auf. Außer Reichweite - und wie!
Sie gingen zurück, überlisteten die Trollwachen ein weiteres Mal, entkamen ihren wütenden Fäusten diesmal aber nur knapp. In der Nähe des Lagers, aber noch nicht weit genug, um Senden zu können, blieb Renko stehen und drehte sich zu Yardee um. „Hast du nicht unlängst erzählt, die Augen deiner Tiere sind auch deine?“
Hatte er. Yardee nickte widerwillig.
Renko blickte in die Runde. „Ich melde den Tod von Neera und das Verschwinden von Rook’ey und Steen. Ihr zwei kommt mit, ruft die Wölfe, besorgt Wasser, Proviant und Schutz gegen die Sonne. Dann geht ihr zurück und versucht, seine Spur aufzunehmen. Ich will wissen, ob er noch lebt. Du“, dabei fixierte er Yardee, der sich unter seinem Blick versteifte, „kannst deine Tiere von hier aus rufen. Ich weiß, daß du das schaffst. Und dann wirst du deinen Vogel einsetzen. Er findet eine Fährte in dieser Wüste eher als Elfenspäher.“
Yardee gab sein Einverständnis und verkniff sich gerade noch einen finsteren Blick.
‘Aber glaub ja nicht, daß ich dir auch noch Bescheid sage, wenn ich sie gefunden habe!’, dachte er wütend. ‘Bei der nächsten Gelegenheit verschwinde ich - ich habe genug von dir und deinem Volk!’
Renkos Gefährten kehrten bald zurück, und nachdem Schattenfell und Riak Yardees Ruf gefolgt waren, brach der kleine Suchtrupp auf. Sie durchquerten das Trollgebirge durch eine Schlucht, die fast schnurgerade vom Kristallwald aus in Richtung Wüste führte. Erst am Abend des nächsten Tages erreichten sie den Ausgangspunkt ihrer Suche. Und es kam wie erwartet - der stetige Wind hatte die Spur längst verweht, kein Anhaltspunkt mehr für Augen und Wolfsnasen.
Yardee ließ Riak aufsteigen. Aber auch der Habicht fand in der näheren Umgebung nicht den geringsten Hinweis. Nun trennten sich die vier Späher, ritten tiefer in die Leere hinein. Einer blieb bei Yardee, hatte offenbar den Auftrag, ihn im Auge zu behalten - und nicht viel Glück dabei. Bei der nächsten Rast gelang es Yardee, ihn zu überwältigen und in einen tiefen Schlaf zu senken. Schattenfell ging den Wolf des Elfen an, der es - eingeschüchtert - nicht auf Kampf oder eine Verfolgung ankommen ließ, sondern bei seinem Reiter blieb.
‘Mich seht ihr hier nicht wieder!’, dachte Yardee grimmig, als er auf Schattenfells Rücken davonritt, so schnell es der lockere Sand erlaubte. ‘Ich bin kein Mitglied eures Stammes und niemandem verpflichtet! Klärt eure Streitigkeiten gefälligst alleine!’
Doch es dauerte nicht lange, bis er den Wolf wieder halten ließ. Ratlos sah er Riak an, der auf seiner Schulter saß, blickte dann zurück zu den Sanddünen, die er gerade erst hinter sich gelassen hatte.
‘Nein, diese Geschichte geht mich nichts mehr an!’ wiederholte Yardee stur in Gedanken, aber die Bilder jener Nacht ließen sich damit nicht wegwischen. Er verstand die Hintergründe der Auseinandersetzung, in die er hineingeraten war, immer noch nicht. Er legte auch keinen Wert darauf, sich noch einmal in so etwas einzumischen. Aber ihm wurde allmählich klar, daß er nicht einfach so davonreiten und dem, was geschehen war, den Rücken kehren konnte. Er war ein Teil davon, ob er wollte oder nicht. Und er würde nicht vergessen können, daß er zugesehen, in gewissem Sinne sogar mitgeholfen und nichts dagegen unternommen hatte.
Yardee fragte sich, wie lange ein verletzter Elf und ein Kind ohne Wasser in der Wüste überleben konnten. Und - würden sie es überleben, wenn Renkos Leute sie fanden? Verdammt, er besaß die Fähigkeit, zu Heilen und damit auch eine Verantwortung, abgesehen von der, die sich ihm sowieso schon aufdrängte.
Yardee seufzte - es hätte ihm ja doch keine Ruhe gelassen.
<<Tja, Schattenfell, sieht so aus, als würden wir ein neues Land erkunden müssen.>> Er klopfte seinem mißmutig dreinschauenden Wolfsfreund den Hals, warf Riak in die Luft und ritt wieder in die Wüste hinein.
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