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Fremde Zeichen

Kurzbeschreibung
GeschichteSci-Fi, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Botschafter Soval Hoshi Sato
11.08.2013
31.08.2013
18
114.512
5
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Dieses Kapitel
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11.08.2013 3.370
 
Kapitel 3:

Auf Vulkan war Frühling, und überall in der Stadt begannen die Pitarasbäume zu blühen. Kleine Blüten in einem atemberaubenden Azurblau. Das rötliche Tageslicht auf Vulkan ließ sie vor allem in der Frühe und am Abend leicht violett erscheinen. Sie fielen daher im gelben Laub der Bäume geradezu schmerzhaft auf. Shi'kahr war eine wundervolle Stadt. Nicht zu groß, aber voller Leben. Sie lag östlich des Berges Seleya und war im Gegensatz zu Vulcana Regar mit seinen riesigen, hohen, prunkvollen Gebäuden, geradezu ländlich. Dennoch war die Infrastruktur beachtlich, weswegen Shi'kahr eine der wichtigsten Städte auf Vulkan darstellte. Neben einem einzigartigen Kloster, vielen Heiligtümern und namenhaften Schulen, beherbergte sie auch die diplomatische Vertretung der Erde, sowie die Akademie der Wissenschaften.
Soval war hier zur Welt gekommen und er liebte dieses Fleckchen heiße Erde über alle Maßen. Niemals hätte er woanders seinen Lebensabend verbringen wollen. Die dreißig Jahre auf der Erde waren aufregend, doch sie erschienen ihm fast wie eine Ewigkeit, auch wenn er zugeben musste, dass die geographischen Besonderheiten, dieser irdischen Region in der er damals lebte, ebenfalls wunderschön anzusehen waren. Er fühlte sich sehr wohl, aber er fühlte sich niemals zu Hause. Dieses Gefühl konnte ihm nur sein Land und seine Stadt auf Vulkan vermitteln.
Nach so vielen Jahren des Lebens auf einer fremden Welt war Shi'kahr und besonders das Kloster Varrat sein einziger Halt; hauptsächlich in den anfangs so schweren Stunden der Konvertierung zum Glauben der Syrraniten. Sein Geist suchte nach einer Stütze, nach Vertrautem, denn die Logik, so wie er sie gelernt hatte zu nutzen, war ihm in den Zeiten der Wandlung wenig hilfreich. Erst als sein Geist Emotionen erdulden und lenken lernte, konnte sich die Logik wieder als allumfassende, kontrollierende Stütze aufbauen. Es war ein langer Weg, der mehrere Jahre in Anspruch nahm und es war gewiss kein leichter Weg gewesen, aber er war ihn gegangen und er war zu Recht stolz darauf.

Sovals Anwesen lag etwas außerhalb des Trubels der Stadt und gab den Blick zum heiligen Berg Seleya frei. Er genoss es im Garten zu sitzen, eine seiner Lektüren zu lesen und sich dabei am Anblick des Wahrzeichens des vulkanischen Glaubens zu erfreuen. Zu einer bestimmten Zeit im Sommer ging die Sonne immer genau hinter dem Berg unter, wenn dann der Wind etwas Staub aufwirbelte, wurde der Berg von unzähligen Sonnenstrahlen umrahmt. Ein unvergleichliches Schauspiel, welches schon viele Künstler zu ihren Werken inspiriert hatte.

Ebenfalls etwas außerhalb der Stadt lag der Raumhafen. Er war einer der größten, doch er war lange nicht so überlaufen wie der von Vulcana Regar. Soval konnte also froh sein, dass die Vorbereitungen für die Untersuchung und das Beladen der Schiffe mit den benötigten Materialien hier und nicht woanders stattfand. Hier hatte er nämlich die nötige Ruhe um alles genau zu überprüfen. In den Hallen standen bereits unzählige Kisten mit Forschungsmaterial und Ausrüstungsgegenständen. Sie waren vollzählig und mussten nur noch verladen werden. Soval war damit beschäftigt die Ladung zu kontrollieren, denn sie würden auf Ran'Kashar nur alle paar Wochen versorgt werden und von daher wäre es sehr hinderlich, wenn sie auf vergessene Ausrüstung warten müssten.

Eine Vulkanierin mittleren Alters betrat die Hangarhallen. Ihre kurzen, akkurat geschnittenen, schwarzen Haare hatte der Wind zerzaust und ihr bodenlanges, grünes Kleid war vom aufgewirbelten Sand etwas staubig. Diese Winde waren üblich für diese Jahreszeit, doch ihr missfielen sie merklich. Es störte ihre Ordnung! Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und richtete es so gut es ihr möglich war, dann klopfte sie den Staub aus ihrem Kleid und setzte den Weg zu Soval fort. Er hatte sie bereits bemerkt, sah aber nur kurz von seinem Padd auf. Ihr Name war Samel und sie war seit über drei Jahren seine Kollegin. Obwohl sie keine Syrranitin war, verband die beiden von Anfang an eine recht innige Freundschaft und er mochte sie sehr. Ja, er ging sogar soweit, sie eventuell als seine zukünftige Frau in Betracht zu ziehen. Soval hatte seit dem Tod seiner Frau T'Lal vor fünfundfünfzig Jahren nie wieder geheiratet, stattdessen widmete er sich intensiv seiner Arbeit und nahm als Botschafter auf der Erde seinen Dienst auf. Jetzt aber spürte er deutlich, dass er sich nach einer Frau und vor allem nach Kindern sehnte, und er wollte diesem Wunsch nun nachkommen bevor sein Alter, oder das Ihre es nicht mehr zugelassen hätte. Er kannte ihre Ambitionen nicht, noch weniger die Reaktion auf sein Angebot, doch er kannte sich und er wusste, dass er seinen Lebensabend nicht allein verbringen wollte, sondern im Kreise einer Familie. Und wenn in einem Jahr sein Körper die Verbindung mit einer Frau forderte, dann war es wohl an der Zeit Samel den Hof zu machen.

Da sie ihn fast erreicht hatte, stieg er von der Laderampe und ging ihr etwas entgegen. »Samel. Ich freue mich sehr dich zu sehen.«
Ihre Augen strahlten. »Ja, auch ich finde es angenehm.« Sie streckte zwei Finger aus und berührte mit ihren Fingern die von Soval, wie es bei Vulkaniern, die sich einander etwas näher standen, üblich war. »Ich habe dich seit Tagen nicht gesehen. Was machst du hier?«
»Ich kontrolliere die Ladung«, erklärte er und sah wieder konzentriert auf sein Padd. »Ich möchte das lieber selbst machen, denn wenn dann etwas fehlt war es mein Fehler.« Er reckte sich und sah über eine der Paletten hinweg zu der Anderen.
»Das verstehe ich. Diese Sorgfalt würde ich auch walten lassen, dennoch empfinde ich dein Engagement übertrieben? Du arbeitest schon seit Tagen ohne Pause, und ich fürchte allmählich um deine Gesundheit!«
»Was bleibt mir denn übrig? Ich habe um den Auftrag nicht gebeten, Samel. Ich mache nur was Tarik mir übertragen hat.«
Samel schenkte ihm einen zweifelnden Blick. »Soval, du warst mehr als siebzig Jahre Botschafter, ein Diplomat. Es ist nahezu unmöglich, dass dir die Argumente fehlten Tarik zu überzeugen.« Soval sah sie schief an. »Wenn du den Auftrag nicht gewollt hättest, dann stünde jetzt ein Anderer hier. Ich weiß, dass du diese Übersetzungen auf Ran'Kashar als höchst befriedigend empfindest und um ehrlich zu sein beleidigt es mich, dass du mir gegenüber etwas anderes behauptest!« Sie merkte erst jetzt, dass sie etwas aus der Fassung geriet und es war ihr sehr unangenehm.
Soval hingegen fand es amüsant. »Du kannst ja richtig temperamentvoll sein.«
Dazu sagte sie jetzt besser nichts. Sie hielt ihm stattdessen ein kleines Behältnis hin. Soval blickte sie irritiert an. »Ich gehe davon aus, dass du schon längere Zeit nichts gegessen hast?« Erklärte sie dann auf seinen fragenden Blick.
»Sehr Aufmerksam, aber dazu habe ich jetzt wirklich keine Zeit, Samel.« Er tippte etwas ein und ging dann um die Palette herum.
»Das ist deine Entscheidung!«, seufzte sie und folgte ihm. »Aber trinke bitte etwas! Dein Körper braucht Flüssigkeit.« Sie hielt eine Flasche hoch.
»Samel« Soval klang langsam gereizt. »Ich muss hier fertig werden und wie du sicher weißt kann ich als Vulkanier tagelang ohne Flüssigkeit auskommen. Ich verdurste schon nicht.«
»Deine Einwände sind unlogisch! Solche Höchstleistungen werden in Ausnahmesituationen verlangt, nicht aber wenn du arbeitest!«
»Samel« Soval schenkte ihr einen inständigen Blick. »Ich muss hier arbeiten.« Sie hielt ihm weiter die Flasche hin und als er merkte, dass er nicht drum herum kommen würde, griff er danach.
Sie weitete die Augen »Deine Hände zittern! Soval, was hat das zu bedeuten?« Die Besorgnis in ihrer Stimme war deutlich hörbar.
Er zog die Hand zurück, dann öffnete und schloss er sie ein paar Mal. Anschließend nahm er die Flasche entgegen. »Das ist belanglos!« sagte er etwas ungehalten. »Ich hielt den ganzen Tag das Padd in dieser Hand. Sie ist nur etwas steif.« Er trank einige Schlucke und spürte erst jetzt wie gut sie taten.
»Du brauchst eine Pause, Soval. Bedenke bitte dein Alter!« Sie machte sich ernsthafte Sorgen um seine Gesundheit, denn er sah nicht gut aus. »Am effektivsten wäre etwas Schlaf, du wirkst verspannt und du bist auch sehr gereizt. Das kenne ich nicht von dir.«
Soval schloss kurz die Augen, denn es kam gerade wieder Ärger in ihm hoch, doch nach einem kurzen Moment der Konzentration beruhigte er sich sogleich wieder. »Ich weiß deine Sorge zu schätzen«, sagte er dann. »Aber ich muss das hier erst zu Ende bringen. Doch ich finde noch genügend Zeit mich auszuruhen, bevor Miss Sato und ich aufbrechen.« Er zwinkerte ihr kurz zu und widmete sich dann wieder seiner Arbeit.
»Wie weit sind Sie?« hallte Tariks Stimme auf einmal über die Laderampe. Er war wohl gerade gekommen und gesellte sich nun zu ihnen. Als er den Behälter mit dem Essen sah hob er erstaunt die Brauen. »Oh, Ihre Kollegin ist sehr aufmerksam, wie ich sehe.«
Soval nickte. »Ja, in der Tat, das ist sie.« Er trank demonstrativ einen Schluck aus der Flasche und gab sie ihr dann wieder zurück. »Danke dir.«
»Wie viel Zeit wird das Beladen noch in Anspruch nehmen?«, fragte Tarik nun.
Soval rief auf seinem Padd ein paar Daten ab, dann sah er Tarik wieder an. »Ich denke morgen noch, dann dürfte es geschaffte sein. Setzlinge für den hydroponischen Garden und Proviant möchte ich erst ein oder höchstens zwei Tage zuvor an Bord nehmen, damit alles den langen Flug gut übersteht.«
»Ordern Sie alles rechtzeitig, damit Sie wirklich zeitnah starten können.« Soval holte tief Luft und sein Ärger brodelte heiß. Was um alles in der Welt sollte das bedeuten. Er war doch kein kleiner Schuljunge mehr, dem man alles ausführlich erläutern musste. Er war Jahrelang für die diplomatischen Beziehungen vieler Völker zuständig und dieser Möchtegern von Tarik wollte ihm, einem überaus erfahrenem und verdienten Mann des vulkanische Volkes, erzählen wie er zu arbeiten hatte? Er konnte ihm vielleicht sagen was er zu tun hatte, aber bestimmt nicht wie! Es ärgerte ihn maßlos, vor allem weil Tarik offenbar davon ausging, dass er nicht vorausschauend denken könnte, … aber er sagte nichts … noch nichts. »Sie wissen«, ergänzte Tarik zu Sovals Leidwesen. »Gerade im Frühling haben die Gärtnereien am meisten zu tun.«
»Natürlich weiß ich das!«, platzte es nun aus Soval heraus und Tarik sah ihn groß an. »Und jetzt entschuldigen Sie mich Professor, ich muss hier fertig werden, sonst wird das nichts mit dem zeitnahen Start.«
Tarik verschränkte die Arme. »Ich glaube bevor Sie hier weiterarbeiten, gönnen Sie sich erst etwas Ruhe! Ein ausgeglichener Geist arbeitet wesentlich effektiver, das wissen Sie, Soval!« Damit wandte er sich ab und verließ schnellen Schrittes die Halle. Sollte Soval sich erst mal wieder beruhigen, dann würde er ihm ein paar Dinge ausführlicher erläutern. Tarik mochte Sovals Glauben zwar nicht besonders, aber er duldete ihn, doch dieses Verhalten war grenzwertig und absolut nicht tragbar.
Stille umgab Soval nachdem Tarik die Halle verlassen hatte. Er war in Gedanken versunken und wirkte sehr bedrückt. Vergeblich versuchte er sich darüber klar zu werden was gerade geschehen war. So kannte er sich selbst nicht. Versagte nun seine Logik? Überließ sie ihn seinen ursprünglichen, aggressiven Gefühlen? War das der Preis für ein wenig mehr Freiheit in seinem Leben? Er hatte von Vulkaniern gehört die unwiderruflich den Verstand verloren, weil sie die Integration von Gefühlen in ihr Leben zuließen. War es bei ihm nun auch soweit?
Neben ihm stand Samel. Nach allem, was sie gesehen hatte, glaubte sie den Grund für seinen Gefühlsausbruch zu kennen. Doch erst als Tarik die Halle verlassen hatte wandte sie sich besorgt Soval zu. »Er hat Recht. Du brauchst Ruhe.« Sovals Antwort war nur ein genervtes Schnaufen. »Wann hast du das letzte Mal meditiert?«
»Lange her«, knurrte er und wandte den Kopf in die andere Richtung, aber seine Augen waren geschlossen. Er schämte sich für diesen Ausbruch seiner Gefühle und er hoffte, dass es nur am Stress lag, denn es war möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass noch etwas anderes in Frage kam. Eine weitere Option an die er bislang nicht dachte, weil es einfach noch zu früh dafür war.
»Sammele dich noch einmal, wenigstens bis du zu Hause bist.« Sie trat vor ihn und ihre Stimme hatte etwas Beschwörendes. »Du musst unbedingt meditieren Soval, sonst verlierst du die Kontrolle! Tarik kennt dich und er schätzt dich, aber eine erneute Entgleisung wird er nicht dulden.«
Langsam hoben sich seine Lieder und er blickte Samel direkt in die Augen. Sie schenkte ihm einen aufmunternden Blick.
»Ich glaube du hast recht.« Sovals Stimme klang rau und flach. »Bitte entschuldige mein Verhalten, ich …«
»Schon gut.« Samel hatte Verständnis dafür. Wenn er wirklich so im Stress war, dass er kaum noch Zeit für Meditation und Schlaf fand, war es nicht verwunderlich, dass er die Kontrolle teilweise verlor. Sie hielt ihm die Flasche noch einmal hin. »Trinke noch mal etwas, es wird dir gut tun.«
Ohne Widerspruch nahm Soval die Flasche entgegen, trank einige Schlucke, und gab sie ihr zurück. »Danke«, sagte er dann und rief einen seiner Kollegen zu sich, um ihm neue Aufgaben zu übertragen, denn er würde sich jetzt etwas Ruhe gönnen.

Noch acht Tage bis Hoshi Sato auf Vulkan eintreffen würde und sie gemeinsam nach Ran'Kashar aufbrachen. Mittlerweile war alles vorbereitet, nur noch den Proviant und die Setzlinge, doch dies wurde erst am Tag des Abfluges eingeladen, damit es unversehrt und vor allem frisch auf dem Planeten eintraf. Soval war zufrieden, es hatte besser geklappt, als er dachte und auch sein emotionaler Zustand war wieder etwas besser. Er war froh, dass er einen so disziplinierten Geist besaß. Er hatte ihm schon vielfach Ruhe geschenkt, wo andere Vulkanier schier verzweifelt wären. Ohne diese Disziplin, hätte er den schweren Weg zu Suraks wahren Lehren vielleicht nie gemeistert.

Noch in Gedanken versunken stieg er aus der Dusche und trocknete seinen Körper, dann kämmte sein Haar und kleidete sich an. Da er nach dem Meditieren gleich zu Bett gehen wollte, fiel seine Kleiderwahl lediglich auf ein paar schwarze Shorts und einen leichten Umhang. Er sollte ja nur seinen nackten Oberkörper etwas bedecken.
Zentral im Haus gelegen, zwischen Schlafzimmer und den übrigen Räumen, lag sein Meditationsraum. In jedem vulkanischen Haus gab es einen solchen Raum oder wenigstens eine kleine Nische. Diese Räume waren immer recht schlicht eingerichtet. Ein kleiner Schrein oder ein Tischchen umrahmt von Bildern und Schriften, überall verteilt standen Kerzen und spendeten sanftes Licht. Es war der essenziellste Ort eines Vulkaniers, denn ohne die Möglichkeit zur Meditation, ohne einen Ort der Ruhe und Einkehr, fand die Logik keinen Weg in das Bewusstsein. Stattdessen würden Emotionen und Chaos die Oberhand gewinnen.

Soval kniete sich hin und breitete den Umhang hinter ihm aus. Er wollte nicht davon gestört werden, denn es war schwer sich zu konzentrieren, wenn man sich unwohl fühlte. Anschießend nahm er eine der Kerzen in beide Hände und sah ruhig und konzentriert in die Flamme. Mit tiefen Atemzügen begann er die Meditation und Minute um Minute wurde sein Atem ruhiger, seine Trance tiefer. Eine Leichtigkeit durchflutete ihn und Gedanken und Bilder manifestierten sich in seinen Kopf und gaben Geschehnisse der letzten Tage wieder. Er schloss die Augen, denn er hatte die gewünschte Tiefe der Trance erreicht. Mit leicht zurückgelegtem Kopf lauschte er der Sprache seines Unterbewusstseins und versuchte die Eindrücke zu Ordnen. Das war der Sinn der Meditation, Ordnung in das Chaos zu bringen. Ein Bild war besonders stark: Samel … er sah sie vor sich. Nein, sie stand neben ihm, sie …. Ihre Hände, ihre Lippen. Er fühlte ihre Lippen und sie liebkosten seine Brust. Er fühlte ihre Hände. Sie strichen ihm durchs Haar, über die Schultern, bis … Soval öffnete erschrocken die Augen und war im nächsten Moment wieder Herr seiner Sinne. Was passiert hier?, fragte er sich, denn solch intensive Bilder manifestierten sich nur während einer ganz bestimmten Lebensphase in seinem Geist. »Oh, bitte nein!« flüsterte er und begriff allmählich was geschehen war, vielmehr was geschehen würde. »Nicht jetzt!«, ersuchte er leise eine unbekannte Macht, doch er wusste, dass er daran nichts mehr ändern konnte. Auch wenn es viel zu früh geschah, sein Körper hatte sich entschieden. Er war im Begriff in das Pon Farr einzutreten, dem Paarungszyklus der Vulkanier. Normalerweise ereilte ihn dieser Zustand alle sieben Jahre, doch lag das letzte Pon Farr noch keine sechs zurück. Ungewöhnlich, doch in seinem Alter durchaus möglich. Zumindest wusste er jetzt, warum er in letzter Zeit so wenig Appetit zeigte und es ihm so schwer fiel, seine Emotionen zu kontrollieren, doch das war nur die Erklärung für sein Verhalten, machte seine Lage aber nicht besser. Verzweiflung kam in ihm auf, denn das waren erst die Anfänge, es würde Wochen dauern bis er den Höhepunkt dieser Phase erreicht hatte und zu dem Zeitpunkt wäre er mit Hoshi Sato längst auf Ran'Kashar. Vulkanier seines Alters hatten eine sehr ausgeprägte Libido und die Situation konnte leicht unzumutbar für beide werden. Er würde sich einer Menschenfrau zwar unter keinen Umständen nähern oder gar zudringlich werden, soviel Kontrolle hatte er in seinem Alter und mit seiner Erfahrung, aber sie wäre seinen Gefühlsschwankungen ausgesetzt und das konnte ebenfalls sehr belastend sein. Wie ging er jetzt damit um? Vor so einer Frage hatte er selbst als Botschafter nie gestanden, denn bislang war es ihm immer möglich gewesen rechtzeitigen Urlaub zu nehmen, doch diesmal nicht. Diesmal vielen seine beruflichen Aufgaben und seine körperlichen Belange sehr ungünstig zusammen. Er musste sich genau überlegen, wie er jetzt vorging, denn diese Situation konnte alle seine Pläne gehörig durcheinander bringen. Privat, wie beruflich. Ursprünglich zog er es in Betracht dieses Pon Farr, wenn es sich zum richtigen Zeitpunkt ereignet hätte, mit Samel zu vollziehen. Doch er hätte noch über ein Jahr Zeit gehabt, um sich über seine Wünsche und derer Samels Klarheit zu verschaffen. Nun war er gezwungen entweder schnell zu handeln, oder Geduld zu üben. Sollte Samel nämlich ungünstigerweise während seiner Abwesenheit ebenfalls das Pon Farr erleben, lagen zwischen seinem Vorhaben und dessen Erfüllung sieben Jahre und das war sehr ärgerlich, besonders für seine Familienplanung, doch es war nun nicht mehr zu ändern. Zumal er so überstürzt weder eine Hochzeit, noch eine Familie planen wollte. Dazu brauchte er Ruhe und dazu hatte er jetzt, wenn es ganz ungünstig verlief, sieben Jahre Zeit. Das war Fakt und darum verschwendete er auch keinen weiteren Gedanken mehr daran. Er konnte es ja sowieso nicht ändern. Was die Untersuchungen anbelangte, gestaltete sich das Ganze schon sehr viel schwieriger. Den Start verschieben war nicht mehr möglich, weil nahezu alle Vorbereitungen bereits abgeschlossen waren und dass ihn ein anderer für den Anfang ersetzte, würde Tarik sehr missfallen, zumal er sehr wahrscheinlich den Grund dafür erfahren wollte und den würde Soval ganz sicher nicht preisgeben. Das Pon Farr war ein äußerst privates Ereignis, das Privateste überhaupt, man sprach nicht darüber, schon gar nicht mit seinem Vorgesetzten. Nein, er musste eine andere Lösung finden, eine, die nicht beinhaltete seinen Vorgesetzten von seinem körperlichen Zustand zu unterrichten oder der Untersuchung fern zu bleiben. Vielleicht war Meditation der Schlüssel. Es wäre nicht das erste Mal, dass er diesen Zustand mit Meditation überging, doch bei diesem schwierigen Unterfangen hatte er zur inneren Konzentration und Besänftigung seiner Libido immer einige Tage im Kloster Varrat verbracht. So auch während des letzten Pon Farrs, welches er überging um sich voll und ganz seiner Arbeit zu widmen. Ob ihm das erneut gelingen würde? Ihm erschloss sich kein logischer Grund, warum das nicht so sein sollte. Sein Geist war sehr stark. Diszipliniert über viele Jahre hinweg und seine mentalen Kräfte selbst nach Aussage der Priester beachtlich. Außerdem war Hoshi eine Menschenfrau, sie würde nicht einmal annähernd so anziehend wie eine vulkanische Frau auf ihn wirken. Es waren ja zwei völlig verschiedene Spezies. Von daher dürfte es ihm ein Leichtes sein diese Zeit auf Ran'Kashar auch ohne geistliche Unterstützung zu meistern. Er brauchte nur ein paar Tage der Ruhe und inneren Einkehr. Miss Sato würde das sicher verstehen, auch ohne dass er dafür ins Detail gehen müsste.

Er sah wieder in die Flamme der Kerze. Ja, Meditation war der Schlüssel, auch wenn es ohne die Unterstützung der Priester sehr viel schwerer werden würde. Zufrieden mit seinen Überlegungen begann er seine allabendliche Prozedur erneut. Doch diesmal ließ er die Bilder zu, die sein Geist formte, denn sie hatten nun nichts Beunruhigendes mehr. Ein Wohlgefühl durchströmte ihn, selbst als er spürte, wie ihm seine Emotionen entglitten, während er sich der Vorstellung hingab Samel zu lieben. Im Geiste seine Wünsche leben - auch das war eine Form sich dem Pon Farr zu stellen.
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