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Fremde Zeichen

Kurzbeschreibung
GeschichteSci-Fi, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Botschafter Soval Hoshi Sato
11.08.2013
31.08.2013
18
114.512
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11.08.2013 6.896
 
Kapitel 2:

Die brasilianische Luft war angenehm warm und sie roch aromatisch süß nach Blüten und einzigartiger, exotischer Natur. Viel Vegetation und nur wenige Einflüsse moderner Zivilisation, so zeigte sich diese wunderschöne Gegend hier. Soval, der gerade das Shuttle verlassen hatte, war beeindruckt von der mannigfaltigen Vielfalt des Lebens hier und er konnte verstehen, warum Hoshi hierher zurück wollte. Auch ihm würde es hier bestimmt sehr gut gefallen und vielleicht sollte er seinen nächsten Urlaub doch einmal in einer solchen Region verbringen. Es gäbe bestimmt eine Vielzahl zu ergründen. Angefangen bei dem vielfältigen Tier- und Pflanzenleben, bis hin zu den antiken Kulturen und den heute noch existierenden, indigenen Völkern. Das Klima war kein Problem für ihn, er war Hitze gewöhnt, auch wenn es auf Vulkan nur sehr trockene, statt wie hier, schwüle Hitze gab. Brasilien war ein traumhaftes, nahezu unberührtes Fleckchen Erde. Insbesondere die Region in der das linguistische Trainingscenter der Sternenflotte und die dazugehörende Siedlung lagen. Nahe eines sehr klaren Flusslaufes und nur wenige hundert Meter von der Atlantikküste entfernt, aber dennoch integriert in dichte Urwälder. Es bot für die etwa sechshundert Studenten ein einzigartiges Zuhause und mit Sicherheit dachte jeder Student mit ein wenig Wehmut an seine Zeit hier zurück.

Doch nicht nur das Leben schien hier etwas Besonderes zu sein, auch der Unterricht: Die Klassenzimmer lagen das ganze Jahr über im Freien und lediglich ein Glasdach schützte die Teilnehmer der Kurse vor Niederschlägen. Mehr war in der Regel aber auch nicht nötig, denn der Unterricht orientierte sich an den natürlichen Regenphasen des Tages. Es kam eher selten vor, dass die Studenten das Innere des Komplexes aufsuchen mussten, weil sie nass zu werden drohten, denn die Niederschläge ließen sich relativ genau festlegen. Lediglich in Frühjahr und Herbst, während der sogenannten Regenzeiten, ließen sich die nassen Launen der Natur nicht ganz so exakt planen.

Ein hagerer Mann lief Soval entgegen. Er hatte graues Haar, eine kleine Brille auf der Nase und einen Schnauzbart. Es war Dr. David Banner, der Direktor des Komplexes und er begrüßte den Vulkanier höflich: »Botschafter, das ist aber eine große Ehre Sie bei uns zu haben.«
Soval gab dem Direktor die Hand. »Ich danke Ihnen für den warmherzigen Empfang, Dr. Banner. Aber Botschafter bin ich schon lange nicht mehr«, fügte er dann leise an. »Nennen Sie mich Soval, das genügt.« Sie schritten zum Komplex zurück. »Sie haben meine Nachricht also erhalten?«
Banner nickte. »Ja, natürlich. Bitte entschuldigen Sie, dass ich auf Ihre Mitteilung noch nicht antwortete, aber wir hatten Semesterferien und ich rufe in der Zeit eher selten meine Nachrichten ab.«
»Das dachte ich mir schon, ich kenne ja den zeitlichen Ablauf der Akademien. Hatten Sie schon die Gelegenheit sich mit Miss Sato zu unterhalten?«
Der Direktor schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Hoshi ist auch gerade erst zurück gekommen. Sie war fast zwei Wochen bei ihrer Familie in Kioto. Doch ich kann Ihnen versichern, dass es zumindest von meiner Seite her keine Einwende geben wird. Es wäre recht einfach sie für zwei Semester vom Schuldienst zu entbinden, vorausgesetzt Ihre Expedition würde im Sommer, nach den Examina, starten.«
Soval nickte. »Ich hatte September ins Auge gefasst.«
Banner winkte ab. »Na dann, das wäre kein Problem. Hoshis Klassenstufe steht dieses Jahr vor ihrem Abschluss«, erklärte er, »und davor würde ich sie nicht gehen lassen wollen. Zumal sie das auch selbst nicht möchte, doch danach ist das kein Problem.«
»Das wundert mich.« Soval war etwas skeptisch. »Fehlt Ihnen dann nicht eine Lehrkraft?«
»Schon, aber wir sind mit anderen Trainingscentern so organisiert, dass wir problemlos eine Ersatzkraft bekommen. Hoshi würde ihre neue Klasse einfach nur ein Jahr später übernehmen. Das wäre alles und das wird kein Problem darstellen. Zumindest«, verbesserte er sich. »Zumindest für mich nicht. Wie Hoshi darüber denkt weiß ich nicht.« Er blieb stehen und sah den Vulkanier entschuldigenden an. »Wissen Sie, ich sehe das Problem ehrlich gesagt an anderer Stelle.« Soval erwiderte fragend den Blick des Direktors. »Nun«, begann dieser. »Ich fürchte, dass Sie große Überzeugungsarbeit leisten müssen, bis Sie Hoshi überredet haben. Sie hasst Raumschiffe und hat sich nach eigener Aussage nicht einmal auf der Enterprise richtig wohl gefühlt, auch wenn sie es zehn Jahre aushielt.«
Soval nickte und setzte den Weg fort. »Das ist mir bekannt. Wir stehen wegen der Übersetzungsmatrix zuweilen in Kontakt und da habe ich schon so Manches erfahren. Unter Anderem aber auch, wie ich sie neugierig machen kann.« Selbstsicher hob er die Brauen und Banner glaubte eine gewisse Schadenfreude in Sovals Augen aufblitzen zu sehen. »Ich versuche einfach mein Glück«, sagte er dann optimistisch. »Vielleicht ist das Schicksal mir ja gewogen.«

Hoshi Sato beherrschte weit mehr als 40 Sprachen und sie hatte ein ausgezeichnetes Gehör für die inneren Strukturen natürlicher Sprachen. Oft schon lernte sie eine einfache Sprache innerhalb weniger Tage und ihr intuitives Gespür für den Sprachaufbau einer fremden Kultur war beispiellos. Das konnte man nicht erlernen, das war angeboren. Sie war so was wie ein Wunderkind, und es überraschte Soval nicht, dass Captain Archer sie unbedingt auf seinem Schiff haben wollte. Denn wenn jemand mit fremden, neuen Welten sprechen konnte, dann sie! Ihr Fachwissen war beachtlich und gepaart mit dem Sovals, stellte es die fachlich fundierteste Einheit dar, die man sich nur wünschte. Sie auf dieser Expedition mitzunehmen, war die beste Entscheidung, die man treffen konnte. Soval würde an Effizienz einbüßen, müsste er auf sie verzichten. Auf der anderen Seite wären zwei seiner Mitarbeiter sicherlich ebenso effizient gewesen. Vielleicht nicht so erfahren und zügig in der Übersetzung, aber dennoch erfolgreich.

Banner führte Soval zu dem „Schulungsraum“, in dem Hoshi gerade unterrichtete. Es war ein völlig ungewohntes Bild für jemanden, der nach vulkanischer Tradition ausgebildet wurde. Solche „Schulungsräume“ waren ihm gänzlich fremd, doch es erschien sehr ansprechend und mit Sicherheit war diese Form des Frontalunterrichts, inmitten einer solch einmaligen Umgebung, weitaus effizienter und angenehmer, als es in eintönigen Klassenräumen der Fall war. Auch die Unterrichts-Atmosphäre schien hier um einiges lockerer zu sein, als es in konventionellen Einrichtungen üblich war. Allen voran die Kleiderordnung, wobei diese vor allem auf die klimatischen Bedingungen zurück zu führen war. Hoshi, wie auch ihre zwanzig Studenten, trugen allesamt kurze bis sehr kurze Kleidung, welche dieses Klima aber auch erforderte. Tische und Stühle suchte man vergebens, es gab lediglich Bänke auf denen man sitzen konnte. Die Notebooks wurden kurzerhand auf die Beine genommen.
Wie Soval aus einigen Gesprächsbruchstücken heraushören konnte, waren die heutigen Lektionen, in einer der fünf Xindy-Sprachen. Es klang fremd, aber dennoch sehr interessant und wenn man bedachte, dass die Xindi vor zehn Jahren die Menschheit fast ausgelöscht hätten, grenzte es an ein Wunder, dass diese wirklich sehr melodische Sprache, heute gelehrt wurde. Doch die Xindy hatten sich mittlerweile der Föderation angeschlossen und inzwischen arbeitete nicht nur ein Botschafter im Hauptquartier, einige von ihnen dienten auch auf Erdenschiffen und sorgten so für interstellaren Austausch.

Der Direktor wartete, bis Hoshi auf ihren Gast aufmerksam wurde, erst dann verabschiedete er sich von Soval, winkte ihr noch mal kurz und kehrte wieder zu seiner Klassenstufe zurück. Soval wartete geduldig, bis Hoshi die Zeit fand, ihre Studenten für einen Augenblick alleine zu lassen. Sie wirkte irritiert, denn sie erkannte die Person nicht, die Dr. Banner zu ihr gebracht hatte und nun abwartend die Hände auf den Rücken nahm. Sie erkannte nur, dass es ganz offensichtlich ein Vulkanier war – ein eher ungewöhnlicher Vulkanier. Auf die Idee, dass es eventuell Soval war, kam sie nicht, denn sie hatten bislang nur schriftlichen Kontakt.
»Ich möchte, dass ihr die Lektionen noch einmal vertieft. Wer Lust hast kann die Inhalte mit praktischen Übungen, die diesen Lektionen zugeordnet sind, noch ergänzen. Ich bin dann gleich wieder hier und werde euch unterstützen.« Sie wandte sich um und lief dem unbekannten Herrn entgegen und erst als sie fast bei ihm war, erkannte sie, wer dort stand. »Botschafter Soval?« Sie war wie vom Donner gerührt, denn nicht nur, dass sie so hohen Besuch bekam, nein, Soval sah völlig verändert aus. »Ich … ich hätte Sie ja beinahe nicht wieder erkannt.« Sie reichte ihm die Hand und begrüßte ihn erfreut.
Soval tat es ihr gleich. Erst jetzt wurde ihm bewusst, warum Hoshi so überrascht war. Seit er diesem anderen Glauben angehörte, hatte er sein Äußeres leicht verändert und davon wusste Hoshi noch nichts. Er trug mittlerweile einen kleinen, grau-braunen Bart am Kinn und die Haare, recht lang. Sie waren locker zurück genommen und ein Lederband hielt sie im Nacken zum Zopf. Er griff danach. »Das hier ist eine kleine, persönliche Freiheit meines Glaubens, die ich sehr begrüße. Ich vergesse nur immer wieder, dass mich viele lediglich von früher kennen und dann etwas schockiert reagieren, wenn sie mir jetzt begegnen.«
»Oh, schockiert bin ich gewiss nicht, Botschafter, eher im Gegenteil. Die langen Haare, der Bart, das steht Ihnen ausgezeichnet. Es lässt Sie gut zehn Jahre jünger aussehen … in irdischen Jahren geschätzt«, ergänzte sie schmunzelnd. Hoshi wusste von Sovals Wandlung und auch dass er sich, wie viele Anhänger dieser Lehren, jetzt emotionaler gab, dass sie ihr Aussehen aber so enorm veränderten war ihr nicht bekannt.
Soval war einhundertfünfundzwanzig Jahre alt, was etwa einem Alter von sechzig Erdenjahren entsprach. Doch tatsächlich sah er um einiges jünger aus. Er wirkte etwas voller im Gesicht und schien nicht mehr so ausgezehrt wie früher. Wäre er ein Mensch, hätte sie ihn höchstens für fünfzig gehalten.
»Verraten Sie mir Ihr Geheimnis?« fragte sie dann lachend, erwartete aber keine Antwort.
Doch dafür war Soval wohl immer noch zuviel Vulkanier. Mit rhetorischen Fragen tat er sich schwer, und so antwortete er ehrlich. »Wissen Sie, als Botschafter im Dienste des vulkanischen Oberkommandos stand ich oft enorm unter Stress und das hat Spuren hinterlassen. Es war schließlich nicht immer einfach beiden Seiten gerecht zu werden.« Hoshi nickte zustimmend, denn dieses Dilemma hatte sie mehrfach mitbekommen. Soval saß dabei sehr häufig zwischen den Stühlen und das zehrte sehr. »Jetzt auf Vulkan ist das um Einiges anders«, erklärte er weiter. »Als Wissenschaftler und Ratsmitglied stehe ich längst nicht mehr unter einem solchen Druck wie früher. Ich fühle mich sehr viel frischer und erholter.«
»Das sieht man.« Hoshi neigte anerkennend den Kopf. »Was führt sie zu mir? Sie machen sich ja nicht auf den weiten Weg zur Erde, nur für kurz Hallo zu sagen und ein paar Komplimente einzustreichen, oder?«
»Nein, gewiss nicht.« Er holte ein Padd hervor und aktivierte es. »Ich habe Ihnen ein Angebot zu machen und bevor ich lange drum herum rede, zeige ich Ihnen einfach um was es geht.« Mit diesen Worten wählte er ein Bild aus und gab Hoshi das Padd in die Hand.
Sie studierte die Schrift einige Momente, fuhr mit dem Finger einzelne Linien nach und murmelte vor sich hin, dann irgendwann sah sie Soval an. »Das ist aber keine Inschrift des Kir'Sharas, oder?« Soval schüttelte den Kopf. Ihr Interesse war mehr als geweckt, auch wenn sie noch nicht genau wusste, was dieser Vulkanier mit diesen Aufzeichnungen im Einzelnen bezweckte. »Okay und wo genau finden sich diese Inschriften?«
»In einer Höhle auf dem Planeten Ran'Kashar. Er gehört zum vulkanischen System. Ich soll sie dort genau untersuchen und brauche dazu einen verlässlichen und sehr erfahrenen Linguisten. Am besten jemand, der wie ich mit der Handhabung Ihrer Matrix vertraut ist. Natürlich dachten wir da zu allererst an Sie. Sind Sie interessiert?«
Hoshi sah überrascht auf, denn sie war erstaunt, dass ihre Fähigkeiten selbst vor einem Vulkanier soviel Anerkennung fanden. »Botschafter, ich fühle mich wirklich sehr geehrt und natürlich bin ich als Exolinguistin sehr daran interessiert, doch ich kann hier nicht weg, wir stehen kurz vor den Examina.«
Soval sah sie beruhigend an. »Das ist mir bekannt. Doch seien Sie unbesorgt, ich wollte nicht vor September starten. Sie haben also fast noch ein halbes Erdenjahr.«
»Dann müsste ich freigestellt werden.«, murmelte sie vor sich hin und man konnte sehen wie sie fieberhaft überlegte. Für solche Untersuchungen würden ein paar Wochen kaum reichen, das würde eher Monate in Anspruch nehmen, und wahrscheinlich ins nächste Jahr andauern. Sie konnte unmöglich um eine Freistellung für zwei Semester ersuchen. Hinzu kam, dass sie sich nicht nur davor fürchtete wieder ein Raumschiff zu betreten, sondern auch auf einem fremden Planeten leben sollte. Hier in Brasilien gab es an ungebetenen Gästen meist nur Insekten und in Einzelfällen auch mal Schlangen, aber mehr wagte sich aus dem Urwald nicht hervor. Nur dort würden sie mitten in der Wildnis leben mit wer weiß was an unbekanntem Gekreuch und Gefleuch.
Soval sah wie sie hin und her überlegte und sich dabei immer unwohler zu fühlen schien. »Miss Sato«, er legte beruhigend eine Hand auf ihren Arm. »Das alles sollte in Ruhe überdacht werden. Sie müssen heute noch keine Entscheidung treffen.« Er sah ihr in die Augen. »Ich werde Sie nach einer Woche erneut aufsuchen und dann können Sie mir mitteilen, ob Sie mich nun begleiten möchten oder nicht.«
»Selbst wenn, es ist nahezu unmöglich mich so lange vom Dienst zu entbinden.«
»Nun, Dr. Banner versicherte mir, dass er keinerlei Einwände hege Sie für zwei Semester freizustellen. Er wollte Sie lediglich nicht vor den Examina gehen lassen, und das ist ja auch verständlich.«
Hoshi weitete die Augen. »Sie haben das mit Banner bereits abgesprochen, ohne mich zu informieren?« Ihrer Stimme war deutlich anzuhören, dass ihr solche Methoden gehörig missfielen.
»Es liegt mir fern Sie zu übergehen, Miss Sato«, beruhigte er sie. »Aber da ich mit Ihnen keinen Kontakt aufnehmen …«
»Ich war in Kioto!« erklärte sie immer noch etwas ärgerlich.
»Das weiß ich jetzt auch«, sagte er überdeutlich und Hoshi merkte direkt, dass es ihm gehörig missfiel unterbrochen zu werden. »Ich bekam keinen Kontakt und darum schilderte ich Dr. Banner den Grund meines Besuches, mit der Bitte, dass er Sie informieren sollte. Da er dazu aber noch keine Zeit fand, haben sich die Ereignisse jetzt etwas überschnitten. Mit anderen Worten: es ist soweit alles abgesegnet und es fehlt nur noch Ihre Zustimmung.« Er hielt ihr das Padd vor die Nase. »Das werde ich Ihnen hier lassen, damit Sie sich die Aufzeichnungen noch einmal in aller Ruhe anschauen können. In einer Woche erwarte ich dann Ihre Entscheidung.«
Hoshi nahm das Padd an sich. »Bis dahin habe ich eine Antwort für Sie.« Sie trat einen Schritt zurück. »Botschafter ich bedanke mich, vor allem für das entgegengebrachte Vertrauen.«
»Gern geschehen.« Er zwinkerte ihr zu. »Übrigens, den Botschafter können Sie bei meiner Anrede zukünftig weglassen. Ich trage diesen Titel schon seit Jahren nicht mehr.«
»Oh!« Hoshi war das tatsächlich peinlich, doch Soval störte das überhaupt nicht. Er wies nur darauf hin, weil es leicht zu Missverständnissen kommen konnte, wenn er unrechtmäßig mit einem Titel angesprochen wurde.
Dann gab er Hoshi die Hand. »Wir sehen uns in einer Woche?« Sie nickte. »Nun, dann hoffe ich doch, dass Sie einen alten Mann nicht enttäuschen.« Mit einem fast schon schelmischen Lächeln im Gesicht, wandte er sich ab und verließ das Gelände wieder. Er hoffte natürlich, dass Hoshi zusagte, doch er konnte es sich kaum vorstellen. Sie wirkte weit weniger begeistert, als er es erwartet hatte. Nun gut, sollte sie sich erst einmal in Ruhe die Aufzeichnungen ansehen, vielleicht würde die Neugierde dann doch siegen. „Die Nase lang machen“, wie es ihm Hoshi einmal beschrieb, weil Captain Archer es ähnlich gemacht hatte … und Archer hatte Erfolg.

Hoshi stand am Herd und briet sich voller Vorfreude ihr Abendessen. Obwohl sie einen Nahrungsmittelsynthetisierer besaß, bereitete sie sich ihre Mahlzeiten lieber selbst zu. Sie konnte dabei am meisten entspannen. Die Vorbereitungen für die morgigen Lehrstunden hatte sie bereits erledigt und so konnte sie den Feierabend mit ihrem herrlich, exotisch duftendem Gemüseschmortopf genießen. Sie füllte einen Teller damit und lief gedankenverloren in Richtung ihres Lieblingssessels. Ein schrulliges Stück Sentimentalität, noch von ihrer Großmutter, aber ebenso gemütlich wie alt. Warum sie sich vor Jahren, als sie dieses Apartment einrichtete, eine Couchgarnitur kaufte, wusste sie bis heute noch nicht. Fakt war, dass sie nie drauf saß. Selbst ihr Besuch nicht, der sich lieber in der Küche am Tresen breit machte oder draußen auf der Terrasse.
Auf dem Weg von der Küche zum Wohnraum, ging sie an einer kleinen Ablage im Flur vorbei. Neben einer Bürste, einigen Haargummis und einem Parfum lag auch das Padd von Soval. Sie hatte es extra weit weg gelegt, denn sie hatte sich fest vorgenommen keinen Blick mehr darauf zu werfen. Sie wusste genau, wenn sie es doch tat, würde sie sehr wahrscheinlich ja doch nicht widerstehen können und sie würde es bereuen. Wie damals bei Archer. Er hatte ihr auch zuerst Honig um den Mund geschmiert, dann eine paar fremde Sprachlaute vorgespielt und schon war sie Feuer und Flamme. Gut, ganz so war es nicht gewesen. Sie hatte sich ja freiwillig gemeldet und wurde von Archer nur drei Wochen früher zum Dienst beordert, dennoch saß sie dann zehn Jahre auf einem Raumschiff fest. Zehn Jahre und das bei ihrer Xenophobie. Sie wurde doch schon hysterisch wenn sie ein ihr unbekanntes Krabbeltier sah, oder das Transportshuttle beim Eintritt in die Erdatmosphäre etwas ruckelte. Gut natürlich hätte sie den Dienst auch quittieren können, aber dafür war sie sich auch zu stolz. Aufgeben gab es trotz aller aufgetretenen Zweifel für sie nicht. Wenn sie etwas anfing, dann brachte sie das auch zu Ende. Egal wie unwohl sie sich dabei fühlte. Wohl eine ihrer besten Eigenschaften, aber sie lernte auch aus Fehlern und von daher würde sie den Gleichen nicht zweimal begehen. Nein, es gab auf der Erde schon genug Gruseliges, Unbekanntes, da musste sie nicht noch weitere Monate auf einem Planeten verbringen und noch mehr unbekanntes Krabbelzeug ertragen. Hinzu kam, dass diese Untersuchung von den Vulkaniern in die Wege geleitet wurde. Nicht dass sie Angst vor fremden, humanoiden Spezies hatte, diese Furcht hatte sie auf der Enterprise nämlich gänzlich abgelegt, aber monatelang mit Vulkaniern auf einem Planeten? Sie würde wahrscheinlich wahnsinnig werden. Bei so viel Logik und so wenig Emotion? Nein, das war nichts für sie. So sehr könnte sie sich niemals zusammenreißen. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, was die Vulkanier von ihr halten würden, wenn sie sich nur das erste Mal erschreckt. Ganz egal wie viel Achtung sie auch für Soval hatte, dazu konnte sie sich nun wirklich nicht durchringen. Sie war froh für die nächste Zeit nicht mehr im Weltraum herumziehen zu müssen und darum würde sie diesen alten Mann, wie er sich selbst tituliert hatte, am kommenden Dienstag nun doch sehr enttäuschen. Sie hoffte, dass er nicht allzu betrübt reagierte. Obwohl, Soval war Vulkanier, wahrscheinlich würde er sich ihr gegenüber völlig neutral verhalten und seinen Frust anschießend wegmeditieren. Außerdem gab es bereits weitreichende Pläne für die Zukunft. Das Tarsus IV- Projekt. Ein entfernter Planet, der mittels Terraforming bewohnbar gemacht wurde, und der in etwa vier Jahren besiedelt werden sollte. Sie war Mitglied im Gründungsstab und sie würde die Schule dort eröffnen und leiten. Auch wenn sie Angst davor hatte für immer dorthin zu gehen, freute sie sich unglaublich auf diese Aufgabe. Es war etwas Besonderes und sie wollte Teil von diesem Besonderen sein und durch das Terraforming war ihr nahezu nichts fremd, denn es war eine Welt von Menschen, für Menschen und alles was es dort an Pflanzen oder Tieren gab, stammte von der Erde. Also nichts wovor sie sich fürchten müsste.
Sie schritt selbstsicher weiter und ließ das Padd links liegen, dann machte sie es sich auf ihrem Sessel gemütlich und begann zu essen. Soval würde sich Dienstag die Zähne ausbeißen, soviel war sicher.

Kurz darauf klopfte es an ihrer hinteren Terrassentür und ein quirliges, blondes Etwas hüpfte durchs Wohnzimmer. Natürlich, Sylvia - ihre Freundin und Kollegin. Sie wohnte nebenan und teilte sich mit Hoshi den Garten hinter dem großen, modernen Wohnkomplex. Die beiden kannten sich schon seit ihres Studiums, nur dass Sylvia hier in Brasilien im Trainingscenter blieb, während Hoshi mit der Enterprise den Weg ins Unbekannte suchte. Verschlossene Türen gab es für die beiden nicht und Hoshi fragte sich zu Recht, wie das einmal sein würde, wenn eine der beiden mal vergeben wäre, würden sie es sich dann wenigstens angewöhnen nach dem Klopfen auf das „Herein“ zu warten?
»Hey du!« Silvia kam in die Küche. »Was machst du?«
Hoshi sah vom Wok auf und legte den Kopf schief. »Frag nicht so scheinheilig, du willst doch nur was abhaben.«
»Naja…« Sie blickte unschuldig zur Decke. »Wenn du mich so fragst…«, dann griff sie neben sich ins Regal, schnappte sich eines der Reisschälchen und hielt es Hoshi vor die Nase. »Bitte voll machen!«
Hoshis Blick wechselte von schief zu mahnend. »Du dreistes Etwas!« schimpfte sie dann, doch als Sylvie zu grinsen begann, gab sie nach. »Na gib schon her.« Hoshi nahm das Schälchen entgegen und füllte es auf Wunsch ganz voll.
»Du bist ein Schatz!« strahlte Sylvie mit großen Augen und wollte schon nach dem Löffel greifen, den ihr ihre Freundin hinhielt, doch Hoshi zog ihn noch mal weg.
»Das nächste mal bis du mit Kochen dran, klar?«
Sylvia begann nach dem Löffel zu fischen, doch Hoshi wollte eine Antwort und zog ihn jedes Mal weg. Irgendwann gab Sylvie auf. »Jaaa! Versprochen.« Sie bekam den Löffel. »Erpresserin!« murmelte sie im Weggehen und schlenderte, samt Schmorgemüse gen Wohnzimmer.
»He, mein Sessel, klar?« tönte Hoshi aus der Küche doch Sylvia winkte ab und ging weiter.
»Keine Bange, ich geh raus auf die Terrasse. Die Ottomane dort ist anschmiegsamer, als dein oller Häkeldeckchensessel!«
»Sag nichts gegen meinen Sessel! Die Nächte die du schon darin verbracht hast lassen sich nicht mehr zählen.«
»Ja erinnere mich nicht daran. Die letzte Feier war ziemlich heftig.«
»Wem sagst du das.« Hoshi kam mit ihrem Teller nun auch auf die Terrasse. »Ich musste nur grinsen, als ich Malcolm zu deinen Füßen liegen sah. Ich wüsste nur zu gern, was da zwischen euch gelaufen ist. «
»Nichts!« betonte Sylvia überdeutlich und blickte nun Hoshi mahnend aus den Augenwinkeln an. »Bekomme ich das jetzt jedes Mal unter die Nase gerieben?«
»Ja, bis du auf dem Sterbebett liegst.«
»Moment mal, ich habe keine Bilder von dem im Flur hängen.«, konterte Sylvie und sah ihre Freundin herausfordernd an. Das war ganz klar eine Kampfansage und Hoshi reagierte direkt.
»Das war ein Geschenk!« verteidigte sie sich und warf Sylvia ein Kissen über. »Das machte Cathrin von Malcolm und mir, kurz bevor wir das erste mal auf Tarsus IV landeten.« Malcolm Reed, ihr ehemaliger Kollege von der Enterprise, war ebenfalls Mitglied des Gründungsstabs für Tarsus IV. Natürlich für den Posten des Sicherheitschefs, wie auf der Enterprise auch. Mittlerweise lebte Malcolm sogar schon auf Tarsus und kam nur ein paar Mal im Jahr zur Erde zurück, dennoch kam er Hoshi immer besuchen und grundsätzlich wurden diese Abende sehr lang. Hoshi wusste das auch, weswegen sich Malcolm meist auch schon Wochen vorher anmelden musste, damit sich die Damen ausreichend vorbereiten konnten.
Silvia stellte die leere Schale auf den Tisch und streckte sich dann schmunzelnd auf der Ottomane aus. »Jaja, ich glaube ich weiß, wie du mal mit Nachnamen heißen wirst.«
Hoshi grinste süßlich zurück. »Denkste, Reed ist jedenfalls nicht dabei.« Sie nahm ihren Teller, griff nach Sylvias Schälchen und wollte eigentlich ins Haus zurück, doch an der Terrassentür blieb sie noch einmal stehen. »Sag mal«, meinte sie dann nachdenklich. »Werden wir zwei eigentlich mal erwachsen?«
Ihre Freundin blickte zurück. »Himmel, ich hoffe niemals! Das wäre ja langweilig.«
»Gut, dann bin ich beruhigt.« Hoshi brachte das Geschirr ins Haus und kam dann wieder raus. Mit einem Seufzen ließ sie sich in den großen Strandkorb fallen, der der Ottomane gegenüber stand.
Sylvia erkannte gleich, dass sie was auf dem Herzen hatte, aber nicht direkt die Sprache darauf bringen wollte. »Kummer?« fragte sie daher einfühlsam. So albern sie auch manchmal sein konnte – meist wenn es um männliche Vertreter ihrer Spezies ging – so sensibel war sie auch. Sie war Hoshi immer eine gute Freundin, Zuhörerin und Ratgeberin. Hoshi verließ sich auf ihr Urteil und vertraute ihr blind.
»Nein, Kummer ist es nicht. Ich wurde nur gerade an etwas erinnert und ich weiß nicht was ich machen soll.« Sie hatte beim Hinausgehen das Padd liegen sehen und am liebsten hätte sie es mitgenommen und in den Bildern geblättert.
Sylvie ahnte davon allerdings noch nichts. »Ist es doch Malcolm?« Ein kleines Schmunzeln umspielte ihre Lippen. »Da ist doch mehr, hab ich recht?«
»Gott nein!« Hoshi lachte auf und erklärte es dann genauer. »Ich habe heute ein Angebot erhalten und auch wenn ich genau weiß, dass ich es bereue, es reizt mich.«
»Hatte das vielleicht etwas mit diesem außergewöhnlichen Vulkanier zu tun, der dich heute besucht hat?« Ein Nicken war die Antwort. Dass ihre Freundin davon wusste, wunderte Hoshi nicht im Geringsten, denn sie war im Allgemeinen immer sehr gut über die Geschehnisse im Trainingscenter informiert. »Sooo…« Sie tat verführerisch. »Also wenn der mir ein Angebot machen würde, ich würde nicht lange überlegen, egal was es wäre. Der sah ja unverschämt gut aus.« Hoshi lachte lautlos und schüttelte den Kopf. Natürlich, Sylvie dachte wieder nur an das Eine. »Was denn?« begann sie sich zu verteidigen. »Der war echt attraktiv.« Sie hielt einen Moment inne und kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Hör mich einer reden, ich finde einen Vulkanier attraktiv. Ich, ein Spitzohr!« Ihrer Stimme war die Fassungslosigkeit deutlich anzuhören.
»Das war Botschafter Soval, meine Liebe«, bremste Hoshi jäh den Übermut ihrer Freundin und man sah deutlich, wie sie im nächsten Moment tatsächlich etwas blasser wurde. Der Schreck saß tief.
»Du machst Witze.« Hoshi schüttelte den Kopf und Sylvie erkannte, dass das wirklich kein Scherz war. »Stehst du mit dem nicht in Kontakt wegen der Übersetzungsmatrix?«
»Eben, und das ist ja auch der Grund warum er hier war. Sie haben in einer Höhle auf einem ihrer Planeten Schriftzeichen entdeckt…«
»Mit „Sie“ meinst Du die Vulkanier?« hakte Sylvia nach.
Hoshi nickte. »Ja genau. Diese Schriftzeichen, sind gut 2000 Jahre alt … wenn ich das heute Morgen so auf die Schnelle richtig erkannt habe«, fügte sie hinzu. »Tja und er möchte mich bei den Untersuchungen dabei haben, weil er mein fachliches Wissen schätzt und ich mich mit der Matrix auskenne.«
»Und wo ist das Problem?« Sylvia konnte nicht ganz folgen.
»Solche Untersuchungen dauern im Normalfall Monate und bei allem Verständnis für ihre logische Lebensweise, aber nicht mal zwei Wochen würde ich es in der alleinigen Gesellschaft von Vulkaniern aushalten. Mir war ja T'Pol auf der Enterprise zuweilen schon lästig und da hatte ich gottlob viele menschliche Kollegen!«
Sylvia hob den Zeigefinger. »Nur um das richtig zu stellen. Da gibt es diesen unglaublich attraktiven Mann, der sich niemand anderen als Kollegen vorstellen kann, wie dich.« Hoshi rollte mit den Augen. Nein, das hatte sie gerade nicht gehört, doch sie ließ sie reden, auch wenn sie wusste, dass jetzt nur Nonsens dabei herraus kam. Zumindest hatte sie dann was zum Lachen. »Ein Vulkanier wählt einen Menschen aus, weil ihm kein anderer Vulkanier gut genug ist? Ich weiß ja nicht wie es dir geht, aber mir klingeln die Ohren, so laut hallt der Widerspruch in diesem Satz wider. Denk mal nach!« flüsterte sie dann.
Hoshi begann zu lachen. Zuerst leise, dann immer lauter und je lauter sie wurde, desto verbissener verschränkte Sylvia die Arme. »Okay«, Hoshi beschwichtigte mit beiden Händen und versuchte sich zu beruhigen, was aber nicht ganz von Erfolg gekrönt war. »Ich kläre dich auf«, lachte sie. »Soval hat mich gewählt, weil ich die Matrix erschaffen habe und noch am besten damit arbeiten kann. Bestimmt gibt es genügend Vulkanier die ebenso effizient in ihrem Beruf sind wie ich, aber die wenigsten von denen kennen meine Matrix, so wie ich sie kenne und einsetzen würde. Verstehst du?« Sylvie nickte. »Gut, das dazu. Was das andere angeht, das du angesprochen hast: Soval hegt mit Sicherheit keine anderen Absichten. Dafür ist er viel zu alt. Und selbst wenn, was soll ich mit diesem alten Mann?«
Zwei Augebrauen hoben sich und ein Lippenpaar frohlockte schelmisch: »Du kennst den Spruch mit den alten Pferden …?« Das zweite Kissen kam geflogen. Ja, Hoshi kannte diesen Spruch und sie fand ihn ekelhaft, auch wenn sie Sylvie insgeheim recht geben musste. Sie hielt Soval schon immer für einen attraktiven Mann. Das hatte sie bereits auf der Enterprise bemerkt und das blieb ihr auch heute Morgen nicht verborgen, doch im Gegensatz zu ihrer Kollegin verfiel sie deswegen nicht gleich in irgendwelche, kindischen, sexuell angehauchten Träumereien. Sylvia fing das Kissen lachend ab. »Nur weiter so, bald hab ich’s recht gemütlich hier.«
»Schluss jetzt!« mahnte Hoshi und holte sich das eine Kissen wieder zurück. »Du bringst mich in Verlegenheit.«
Sylvia grinste. »Du bist immer noch viel zu schüchtern. Sei offen für Unbekanntes.« Sie setzte sich auf und in ihren Augen blitzte es vor Unternehmungslust. »Schau doch mal, wenn Soval sich extra hierher bemüht, statt dir über Subraum eine Nachricht zu schicken, wie er das schon seit Monaten macht, dann will er dir doch damit zeigen, wie wichtig es für ihn ist, dass du ihn begleitest. Er hat den weiten Weg extra auf sich genommen um dich persönlich dazu einzuladen. Verdient das nicht auch etwas Anerkennung?«
Wie Recht sie hatte, Soval wäre sicher sehr enttäuscht, wenn sie ihn nicht begleiten würde. »Oh, du kennst mich doch«, jammerte Hoshi los, als gäbe es kein Zurück mehr und alles wäre schon beschlossene Sache. »Erst einmal der Flug, dann das fremde Leben auf dem Planeten. Außerdem komme ich mit Vulkaniern nicht so aus und ich habe ehrlich gesagt keine Lust mich ständig zusammenzureißen, nur um in ihren Augen nicht allzu emotional zu wirken. Das ist mir zu anstrengend. «
»Na, dann lass es doch.« Hoshi blickte verwirrt auf. »Wenn Soval einen Vulkanier gewollt hätte, dann hätte er auch einen mitgenommen. Er weiß, dass du ein Mensch bist, verflucht noch eins und er akzeptiert das, sonst hätte er dich doch niemals gefragt. Es wird keiner verlangen, dass du dich wie ein Vulkanier verhältst. Wir verlangen von den Vulkaniern ja auch nicht sich wie Menschen zu verhalten, wenn sie hier sind, oder?«
»Nein, tun wir nicht.« grummelte es kleinlaut.
»Also, wenn dich der Auftrag wirklich interessiert, dann nimm ihn an! Was hast du zu verlieren, verdammt? In vier Jahren leben wir auf Tarsus und bis dahin hast du wenigstens noch mal was erlebt. Ist es das nicht wert?«

Wie Recht sie hatte, in allem. Hoshi begriff es allmählich. Sovals Wahl fiel auf sie, und nicht auf irgendjemand anderen, nur auf sie. Das war eine große Ehre und sie würde sie mit Füßen treten, wenn sie ablehnte, nur weil sie Angst vor ihren eigenen Gefühlen hatte. Soval war immerhin bereit mit ihren menschlichen Eigenarten klar zu kommen. Vielleicht war das für ihn sogar noch schwieriger, als für sie. Sicher, übertreiben sollte sie es dennoch nicht, aber verstellen musste sie sich auch nicht. Sie hatte die Chance noch mal was zu erleben, bevor es nach Tarsus ging und warum eigentlich nicht? Vielleicht wäre das noch ein kleiner Pluspunkt in ihrer Akte, wenn sie Soval und seine Gruppe begleiten würde und vielleicht tat das auch ihrer Angst gut, ihrer Angst vor Fremden. Sie stand auf und setzte sich zu Sylvia, dann legte sie einen Arm um sie.
»Danke, ich denke noch mal darüber nach, aber ich kann dir nicht versprechen, dass ich zusage. In mir sträubt sich noch so vieles.«


Es war später Nachmittag. Um genau zu sein Dienstagnachmittag, 17:19 Uhr. Das Wetter war herrlich, wunderbar warm und eine leichte Brise, wehte vom Atlantik rüber. Hoshi stand auf ihrer Terrasse und war mittlerweile furchtbar nervös, denn Soval war immer noch nicht bei ihr gewesen. Schon den ganzen Tag hatte sie auf ihn gewartet, er ließ sich anscheinend Zeit … und das ausgerechnet heute Abend. Sie wollte mit ein paar Freunden ausgehen. Allmählich wurde es knapp. Sie musste sich nämlich noch zurecht machen und vor allen Dingen duschen. Hoshi blickte noch mal den gut zweihundert Meter langen Weg hinunter, doch da war niemand. Okay, dachte sie sich, dann geh ich jetzt wenigstens schnell unter die Dusche, damit das immerhin gemacht ist. Mit neuen Kleidern unter dem Arm flitzte sie ins Bad, zog sich in Windeseile aus und stand sodann unter der Dusche. Auch wenn sie normalerweise voll Genuss duschte und sich das Wasser wohlig über den Körper rinnen ließ, heute war keine Zeit dafür, wenn Soval nämlich jetzt vor der Tür stehen würde, hätte sie ein Problem. Es dauerte nur knappe zwei Minuten, dann war sie fertig. Erleichtert stieg sie aus der Dusche und trocknete sich ab. Danach betrat sie ihr Schlafzimmer, um sich anzuziehen und als ob sie es nicht geahnt hätte, klopfte es just in diesem Moment.
Sie ließ die Schultern fallen. »Jaha, komme!« tönte sie laut, wickelte das Handtuch um die nassen Haare und reckte dabei im Geiste die Hände gen Himmel. Nur noch eine Minute länger, warum nicht noch eine Minute?
In dem Moment, als sie nach ihrem Morgenmantel griff, um ihre Blöße zu bedecken, kam jemand ins Schlafzimmer. »Hoshi, bist du…«
»Tür zu!«, bellte diese und hielt sich den Morgenmantel vor. Sie hatte Soval direkt in die Augen gesehen. »Himmel, Sylvia! Es gibt Gründe für verschlossene Türen!«, schimpfte sie ihre Freundin an, denn sie war nicht alleine gekommen. Sie hatte Soval einfach mitgebracht und der hatte gerade ziemlich freie Sicht, obwohl er draußen auf der Terrasse wartete. Etwas Peinlicheres konnte sich Hoshi nicht vorstellen und sie wollte am liebsten im Boden versinken. Da raus ging sie jetzt jedenfalls nicht. Sie wusste zwar, dass Soval mit dem was er gesehen hatte äußerst diskret umgehen würde, aber sie konnte diesem Mann gerade nicht in die Augen schauen. Ihre Scham war einfach noch zu groß.
»Oh, verdammt! Hoshi, es tut mir leid, ehrlich« Sylvia hatte das natürlich nicht gewollt.
»Sag mal geht’s noch? Ich bin splitterfasernackt!«
»Du sagtest doch „Sylvia komm“?«
»Nein, ich sagte „Ja komme“!« Sylvia schloss die Augen und hob eine Hand an den Kopf. Sie hatte ihre Freundin wohl falsch verstanden und ungewollt in eine sehr peinliche Situation gebracht, doch sie konnte es nicht mehr ändern. Sie konnte lediglich versuchen das Beste daraus zu machen.
»Ähm, naja ist vielleicht ne doofe Frage aber, kann ich dir dennoch was helfen?« Sie ließ den Kopf hängen und traute sich gar nicht Hoshi richtig an zu blicken, so leid tat ihr das Ganze.
Hoshi seufzte tief. »Ja natürlich kannst du mir helfen, aber verrate mir zuerst, warum Soval bitteschön auf meiner Terrasse herumsteht.« Wenn dem nämlich nicht so gewesen wäre, dann wäre Hoshi nur erschrocken und Sylvie hätte jetzt bestenfalls ein Kissen am Schädel, weil sie es wagte unaufgefordert reinzukommen.
»Ich wollte gerade zu dir und bin ihm über den Weg gelaufen. Da hab ich ihn einfach mitgenommen, ich konnte ja nicht wissen, dass du noch gar nicht fertig warst. Es ist immerhin halb sechs.«
»Das spielt keine Rolle. Du kannst ja auch gerne reinkommen, aber Soval hat vor der Tür zu warten, wie jeder andere Besucher auch.«
»Ja, du hast ja Recht. Ich fand es halt unhöflich ihn warten zu lassen und dachte mir die Terrasse ist schon okay.« Sie hob entschuldigend die Schultern.
»Wenn jeder meine Terrasse betrete dürfte, bräuchte ich weder Pflanzkübel noch Sichtschutz und hätte ne ganze Menge mehr Platz«, gab Hoshi ärgerlich zu bedenken. »Nun gut«, seufzte sie dann und versuchte sich wieder etwas zu fassen. »Es lässt sich nicht mehr ändern. Stell dem Mann was zum Trinken hin und sag ihm, dass ich gleich rauskomme, okay? Ich … ich muss mich erst noch etwas fangen.«
»Klar mach ich« Sie ging ein paar Schritte Richtung Tür. »Du Hoshi?« Sie sah auf. »Sorry, das kommt nicht wieder vor, versprochen.« Hoshi nickte und nachdem Sylvia das Schlafzimmer verlassen hatte, begann sie sich anzuziehen. Den Schreck würde sie so schnell nicht überwinden, soviel war sicher! Und sie wollte diesen Mann nun allen ernstes nach Ran'Kashar begleiten. Das sollte sich nun doch noch mal überdenken - zumindest hätte sie jetzt einen glaubwürdigeren Grund ihm ohne schlechtes Gewissen abzusagen.

Soval ließ sich auf der Ottomane nieder, die auf der Terrasse stand und nahm dankend ein Glas Wasser von Sylvia entgegen. »Lassen Sie Hoshi noch einen Moment Zeit«, meinte sie immer noch etwas bekümmert. »Das war ihr gerade über die Maßen peinlich.«
Soval nickte verständnisvoll, denn er konnte sich sehr gut vorstellen, wie unangenehm das gerade für sie war. »Ich kann das selbst sehr gut nachvollziehen, denn, bei aller Logik, nur weil anderen die anatomischen Merkmale eines erwachsenen Mannes durchaus bekannt sind, so würde ich mich dennoch nicht nackt in der Öffentlichkeit zeigen. Auch Vulkanier haben ein Schamgefühl, ein ausgeprägtes sogar, aber vielleicht hilft es Ihrer Freundin, wenn ich ihr versichere, dass ich außer nackten Füßen und Ihrem Rücken nichts gesehen habe?«
Sylvia schüttelte den Kopf. »Das sollten Sie besser lassen. Ich denke die Situation selbst war ihr schon peinlich genug. Ich sag es ihr später, wenn es Ihnen wichtig ist.«
»Ja durchaus, das ist es, schließlich möchte ich, dass sie ungehemmt mit mir arbeitet.«
»Ah ja«, mehr sagte Sylvie dazu nicht, sie dache sich ihren Teil. »Sagen sie«, fing sie ein anders Thema an. »Ich habe noch nie einen Vulkanier gesehen der einen Bart trägt oder lange Haare. Wieso Sie, vielmehr warum?«
Soval erstaunte diese Frage etwas. Nicht weil er sie für zu persönlich hielt, sondern, weil es die junge Frau ihm gegenüber tatsächlich zu interessieren schien, denn das war nicht alltäglich. Nach allem was er in den letzten Jahren erlebt hatte, waren die Vulkanier den Menschen eher lästig und das gegenseitige Interesse eher dürftig. Umso mehr freute es ihn, dass es doch noch Menschen gab, die dem vulkanischen Volk mehr Aufmerksamkeit schenkten und auch ganz offen Fragten stellten. Er würde sehr gerne antworten, allein der Aufklärung wegen.
»Nun«, begann er. »Grundsätzlich darf sich jeder Vulkanier so kleiden und frisieren, wie ihm das beliebt. Es gibt auch sehr viele, die das tun. Nur stehen die meist nicht in der allgemeinen Öffentlichkeit. Die Menschen haben leider eine sehr eingeschränkte Sicht auf unsere wundervolle Kultur, da sie, vor allem zu Zeiten des Oberkommandos nur mit Vertretern des Militärs interagierten. Selbst ich als Botschafter diente lediglich dem Oberkommando und war, wie jeder einfache Raumschiffkommandant gezwungen die militärische Form zu wahren und das beinhaltete auch mein äußeres Erscheinungsbild. Mittlerweile habe ich den Vorteil, dass ich zum Einen kein Botschafter mehr bin und zum Anderen mein Glaube mir solche Freiheiten lässt.« Er lachte kurz. »Auch wenn diese Äußerlichkeiten in der Pflege sehr viel aufwendiger sind, als die militärische Norm.«
»Das unterschreibe ich sofort«, entgegnete Sylvia und schüttelte ihren blonden Lockenkopf. »Bändigen Sie mal diese Krause.« Sie zog eine ihrer Haarsträhnen gerade. »Da kann man um glattes Haar wie Ihres dankbar sein.«
Schön, wenn es denn so wäre, dachte sich Soval auf Sylvias Äußerung. Denn entgegen den meisten Vulkaniern, war er einer der wenigen, die mit welligen Haaren bedacht waren, doch das erläuterte er seiner Gesprächspartnerin jetzt nicht im Detail, denn es war unwichtig. Außerdem sah er Hoshi gerade mit seinem Padd auf die Terrasse treten. »Miss Sato.« Er stand auf und reichte ihr eine Hand. Hoshi wurde sofort rot, sie konnte nicht vergessen was er gesehen hatte. Soval spürte ihre Beklommenheit und nahm sie sanft am Arm, dann entfernte er sich mit ihr ein paar Schritte von Sylvia. »Hoshi, ich habe vollstes Verständnis für Ihr Schamgefühl«, sagte er aufmunternd. »Doch ich versichere Ihnen, dass ich lediglich ihre erschrockenen Augen und ihre Füße erkennen konnte. Also nichts, wofür Sie sich schämen müssten.«
Hoshi holte tief Luft und man hörte ihrem Atem an, dass sie zitterte. »Ich, … ich, … dann bin ich ja beruhigt«, sagte sie dann schnell und setzte sich zu Sylvia in den Strandkorb.
Soval nahm ebenfalls wieder Platz und faltete die Hände. »Wie Sie wissen, Miss Sato, rede ich nicht gerne drum herum, darum frage ich recht unverblümt: Wie haben Sie sich entschieden?« Hoshi schluckte und wieder stieg ihr die Röte ins Gesicht. Was sollte sie jetzt sagen? Ihr Gegenüber erkannte ihr Unwohlsein und blickt sie aufmunternd an. »Sagen Sie nicht, dass Sie mein Angebot ablehnen möchten.« Sein Blick wurde eindringlicher und er fürchtete schon sie könnte wirklich absagen, doch als sie den Kopf schüttelte, atmete er erleichtert auf. Sie würde mitkommen. »Das freut mich«, sagte er zufrieden. »Was hat Sie zögern lassen. Fürchten Sie sich falsch entschieden zu haben?«
»Nein, nein, das nicht«, sagte sie dann leise und stand auf. Irgendwie war ihr stehen lieber als sitzen. »Ich habe einfach noch ein Problem mit der Situation von vorhin. Ich schätze da kann ich so schnell auch noch nicht mit umgehen, doch keine Sorge unsere Zusammenarbeit wird es nicht behindern.«
»Schön, dann freue ich mich auf die Untersuchungen und darauf Sie in einem halben Jahr an meiner Seite zu wissen.« Soval erhob sich. »Es wird sicher Mitte Juli, bis ich alle relevanten Daten zusammen getragen habe. Ich informiere Sie dann umgehend, damit sie zum Beginn der Untersuchung vollständig unterrichtet sind.« Er gab ihr die Hand und man sah ihm die Erleichterung deutlich an. »Dann auf gute Zusammenarbeit. Wir sehen uns September?« Hoshi nickte und rang sich ein Lächeln ab. »Haben sie keine Angst. Wir werden sicher gut miteinander auskommen.« Er zwinkerte ihr zu und verließ dann die Terrasse Richtung Flugsteig.

Hoshi wusste gar nicht, wie ihr geschehen war. Sie hatte doch absagen wollen, aber sie brachte es nicht übers Herz. Himmel, Soval hatte sie doch tatsächlich um den Finger gewickelt. Sie war auf ihn hereingefallen … und er hatte sie nackt gesehen, wie peinlich. Er konnte ihr zwar noch so oft versichern, nichts gesehen zu haben, aber das stimmte nicht! Seinem Gesichtsausdruck nach schien er nämlich hoch erfreut gewesen zu sein, diesen kurzen Ausblick genießen zu dürfen. Von wegen nur nackte Füße. Hoshi stutzte plötzlich, er war erfreut? …. Sie wünschte sich augenblicklich zum Nordpol.
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