Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Fremde Zeichen

Kurzbeschreibung
GeschichteSci-Fi, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Botschafter Soval Hoshi Sato
11.08.2013
31.08.2013
18
114.512
5
Alle Kapitel
13 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
11.08.2013 9.530
 
Kapitel 12:

Auf Vulkan war es Nacht, zumindest in der Zeitzone in der Sovals Heimatstadt lag, dennoch war der Trubel am Flugsteig enorm. Dass so viele zu der Zeit noch unterwegs waren fand er erstaunlich, immerhin war es hier etwa drei Uhr nachts. Allerdings zeigte das auch, dass sich hier viele Welten trafen und es nicht überall gerade drei Uhr nachts sein konnte. Soval freute sich, dass er bald in seinem Zuhause angekommen würde, denn er war ziemlich erschöpft. Die letzten Tage waren äußerst anstrengend, und hinzu kam, dass er sich nun schon zum zweiten Mal an eine andere Zeitzone gewöhnen musste. Die Zeit auf der Ka'Lir verlief anders als auf Ran'Kashar und sie verlief anders als auf Vulkan. Er sehnte sich nach Schlaf und er hoffte, dass er ihn bald finden möge. Wenn alles gut ging war er in etwa einer Stunde bereits zu Hause und vielleicht wurde ihm dann der Schlaf gegönnt, der er benötigte. Nur gut, dass er sich um sein Gepäck nicht extra kümmern musste, es wurde ihm am nächsten Tag zugestellt. So trug er lediglich eine Tasche mit den wichtigsten Dingen bei sich.

Soval bahnte sich seinen Weg durch die wogende Menge von Personen und plötzlich fiel ihm eine bestimmte Person ganz besonders ins Auge – Samel! Sie hatte sich wirklich die Mühe gemacht ihn am Flugsteig abzuholen, zu dieser ungastlichen Zeit? Wie liebenswert von ihr und er freute sich unglaublich. Kaum war er wieder auf Vulkan, war diese wundervolle Frau in seiner Nähe. Besser konnte es nicht werden. Sie kam ihm langsam entgegen und schien sehr erfreut über seine Rückkehr. Ihre Augen strahlten richtig, dennoch würde sie auf jeden Menschen vergleichsweise neutral wirken. Soval aber erkannte die verborgene Freude in ihren Augen und reagierte entsprechend. Er schlang er die Arme fest um sie und drückte sie ganz innig an sich. Die von ihr zum Gruß ausgestreckten Finger ignorierte er absichtlich. Sie standen sich näher, als sich nach dieser langen Zeit so förmlich zu begrüßen.
»Samel, meine Liebe, ich freue mich so sehr dich wiederzusehen.« Wie schön es war diese Frau so fest in den Armen zu halten. Er drückte sie noch einmal kräftig.
Sie wehrte sich nicht gegen seine innige Umarmung, aber sie erwiderte sie auch nicht. »Auch meine Freude ist groß, Soval, dennoch finde ich es unangebracht mich auf diese Weise zu begrüßen.«
Er sah sie etwas entgeistert an und entließ sie dann langsam aus seinen Armen. »Ist es selbst mir, einem sehr guten Freund, nicht erlaubt dich zur Begrüßung in den Arm zu nehmen?«
»Dafür stehen wir uns einfach nicht nahe genug«, erklärte sie und trat einen Schritt zurück, um wieder etwas Distanz zwischen sich und ihn zu bringen.
Soval hatte dafür Verständnis. Schließlich wusste sie ja nichts von seinen leidenschaftlichen Gedanken ihr gegenüber, doch es war noch immer möglich sie an seinen Überlegungen teilhaben zu lassen, jetzt und hier. Vielleicht war es etwas übereilt und der Flugsteig auch nicht gerade der richtige Ort, doch die Gelegenheit hingegen konnte nicht günstiger sein. »Nun« Er näherte sich wieder und strich ihr zart über die Wange. »Die Distanz zwischen uns …«
»Soval!« Sie wich erneut zurück. »Zügele dich!«
Er nahm augenblicklich die Hand zurück. Wie konnte er nur so unüberlegt den gleichen Fehler nochmal begehen? Sehnte er sich so mach ihrer Nähe? »Verzeih«, äußerte er leicht verwirrt. »Ich denke, ich muss dir erst einiges erklären, damit du verstehst, dass ich Dir nicht ohne Grund so nahe getreten bin.« Er sammelte sich noch einmal und schenkte ihr dann einen liebevollen Blick. »Ich hatte auf Ran'Kashar viel Zeit zum Nachdenken, Samel und mir wurde bewusst, dass du eine Konstante in meinem Leben bist, die ich nicht mehr missen möchte.« Er nahm ihre Hand und diesmal ließ sie ihn gewähren. »Samel, der Platz an meiner Seite ist noch frei und ich würde mich glücklich schätzen, wenn du ihn einnehmen würdest.«
Sie sah ihn groß an, und das war vorerst auch alles, was sie an Reaktion zeigte. Mit einem Antrag hatte sie absolut nicht gerechnet, und sie wollte darauf auch noch nicht antworten, denn Soval war ihr derzeitig emotional viel zu aufgewühlt. »Dein Werben ehrt mich sehr, aber vielleicht überdenkst du diesen Schritt noch einmal, denn deine Logik scheint in Gegenwart dieser Menschenfrau stark gelitten zu haben.« Sie nahm die Hand zurück.
Soval war enttäuscht. Nicht weil sie ihm eine deutliche Antwort schuldig blieb, womit er sogar gerechnet hatte, sondern weil sie ganz offenbar Probleme mit seiner emotionalen Seite zu haben schien. »Du kennst mich Samel, und du weißt, dass ich immer emotional sein werde, aber dennoch logisch und du tust mir Unrecht, wenn du mir jetzt meine Emotionen vorwirfst.«
»Das tue ich keinesfalls! Ich möchte nur, dass du dir darüber klar wirst, ob es wirklich deinem Wunsch entspricht, mich zur Frau zu nehmen. Außerdem«, sie sah sich um. »Sollten wir das besser in ein paar Tagen in Ruhe besprechen, statt hier.«
Soval nickte. Das hatte jetzt wirklich keinen Sinn mehr und ihr nachgeben war momentan auch klüger. »Ich hatte offengestanden auch nicht vor dich hier zu fragen. Ich erachtete es nur als logische Reaktion, auf deine Bemerkung, wir würden …«
»Wir würden uns nicht nahe genug stehen für derartige Berührungen. Das habe ich schon verstanden«, erwiderte sie. »Dennoch sollten wir jedes weitere Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, bis du dich wieder akklimatisiert hast, vor allem in deiner Logik.«
Soval ließ die Schultern fallen. »Samel, meine Logik ist wie sie war und wie du sie kennst! Sie ist immer noch das starke Gerüst meines mentalen Geistes und daran wird sich auch nichts ändern. Der springende Punkt ist wohl eher der, dass du mich privat kaum kennst und jetzt überrascht bist, wie viele Emotionen ich tatsächlich zulasse, die ich normalerweise, vor allem während meiner Arbeitszeit, unterdrücke.«
Offenbar hatte sie ihm damit tatsächlich etwas Unrecht getan, denn sie kannten sich nahezu nur von der Arbeit. Die gemeinsame Freizeit, die sie miteinander verbrachten, war sehr selten und meist beschränkte sie sich nur auf Ausflüge zu Museen, Klostern und anderen Sehenswürdigkeiten oder sie besuchten öffentliche Aufführungen. Solche Anlässe forderten aber eher Zurückhaltung, denn Emotion. Privat kannte sie ihn jedoch kaum. »Ich stimme dir zu«, sagte sie dann. »Dennoch sollte ich dich jetzt langsam nach Hause bringen.«
Er lächelte. »Eine gute Idee. Ich bin sehr froh, dass du mich abgeholt hast. So muss ich keinen Shuttledienst bestellen.«

Etwa eine halbe Stunde später waren sie bei Sovals Anwesen angekommen. Ein großes, sandsteinfarbenes Gebäude, direkt zu Fuße des Berges Seleya. Ein wunderschönes Fleckchen Erde und Soval genoss es wieder zu Hause zu sein. Er nahm seine Tasche und stieg aus. Die Nacht war kühl und nur vereinzelt hörte man die Insekten ihr Nachtlied spielen. Die Luft duftete sehr aromatisch, wie immer wenn der Herbst begann und er fühlte sich zurückversetzt in seine Jugend. Der Tag, als er Vulkan verließ um als Geheimdienstoffizier seinen Dienst auf Paan Mokar anzutreten. Nie hätte er gedacht, dass er ab diesem Tag, für so lange Zeit seiner Heimat fern bleiben würde. Sechsundachzig lange Jahre! Lediglich für kleinere Besuche, sowie für seine Hochzeit oder während der Zeit des Kolinars in den Klostern, kehrte er nach Vulkan zurück. Die meiste Zeit seines Lebens jedoch verbrachte er in fremden Welten, mit fremden Spezies. Und trotz seines hohen Standes, seiner ehrenvollen Errungenschaften fand er es tragisch, dass er so viele Jahre seiner Welt den Rücken kehren musste. Wenigstens seine letzten Jahre konnte er in der Umgebung verbringen, die ihm noch aus seiner Jugend vertraut war, auch wenn er bei seiner Rückkehr feststellen musste, dass ihm diese Umgebung in den nächsten Jahren erst wieder vertraut werden musste. Wenigstens hatte er jetzt die Zeit dazu, ohne die Verpflichtung nahezu jeden Tag an einem anderen Ort zu sein.
Samel stieg ebenfalls aus dem Fahrzeug und gesellte sich zu ihm. Er wirkte in sich gekehrt und das erstaunte sie. »Du zögerst hinein zu gehen. Gibt es eventuell noch etwas, was du mir sagen möchtest?«
Er nickte. Auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach. Er wollte ihr nur nicht zeigen, dass er gerade an sentimentalen Gefühlen hing. »Ich habe mir Gedanken gemacht, wie wir beide unser Problem angehen könnten.«
»Ich schlage vor, dass wir rein privat Zeit miteinander Verbringen. So habe ich eine Chance, dich und deine Emotionalität kennen zu lernen. Und du kannst in aller Ruhe entscheiden, ob ich wirklich die Frau bin, mit der du den Rest deines Lebens verbringen möchtest.«
Soval nickte »Ja das bist du«, sagte er sanft. Sie war offenbar weniger abgeneigt, als sie ihm glauben machen wollte. »Ich bin noch die nächsten zehn Tage vom Dienst befreit. Eine bessere Gelegenheit bietet sich uns nicht.« Samel atmete tief ein und Soval spürte deutlich ihren Widerstand, es war ihr wohl zu schnell. Doch nach einigen, langen Augenblicken sah sie ihn an und nickte. Er lächelte anerkennend »Es soll nicht zu deinem Nachteil sein, wenn du mir dieses Vertrauen schenkst.« Er schulterte seine Tasche neu und hielt ihr zwei Finger zum Abschied hin. »Wir sehen uns heute noch mal?«
»Ja« Sie berührte seine Finger mit den ihren. »Aber ich komme erst nach dem Mittagsmahl, ich habe noch in der Akademie zu tun.«
»Natürlich.« Er zwinkerte ihr zu. Eine Geste die zwar nicht in das Verhaltensrepertoire eines Vulkaniers passte, aber durchaus seinem Habitus entsprach. Samel war vertraut damit und wunderte sich daher nicht mehr. »Vielleicht denkst du darüber nach, einige Tage Gast in meinem Hause zu sein«, schlug er dann vor. »Es würde vieles erleichtern.«
»Wenn ich merke, dass dein Verhalten wieder das ist, mit dem ich vertraut bin, bin ich gerne dazu bereit.« Zugegeben, Soval gab sich im Moment wieder so, wie sie ihn kannte, doch sie fürchtete, das dies nicht von Dauer sein würde und von daher lehnte sie seine Einladung erst einmal ab, auch wenn sie, wie sie ihm zugestehen musste, sehr logisch war.
Soval konnte seine Enttäuschung nicht ganz verbergen. Der Wunsch, dass Samel ein unveränderbarer Teil seines Lebens werden sollte, war mächtig. Er wollte nicht mehr ohne sie sein. Sie neigte den Kopf zum Gruß und wandte sich dann zum Gehen. Er sah ihr nach und verfolgte ihr Fahrzeug noch mehrere Meter, bevor er sein Anwesen betrat.

Sovals Haus auf Vulkan entsprach ganz seinem hohen, gesellschaftlichen Stand. Es war umgeben von einem weitläufigen Terrain mit Steingarten und Meditationsschrein, besaß einen wundervollen Vorhof mit Brunnen und war außergewöhnlich geschmackvoll eingerichtet. Die einzelnen Räume waren sonnendurchflutet und von unvergleichlicher Architektur. Weiche, fließende Formen, die farblich dem Gesamtkonzept des Anwesens angepasst waren. Orange-, Ocker-, und Brauntöne waren allgegenwärtig und zeigten sich sowohl in der Einrichtung, als auch in der stilvollen Dekoration.
Soval betrat den Wohnbereich und stellte seine Tasche auf einer der Sitzgelegenheiten ab, dann suchte er die Dusche auf. Es war ihm ein großes Bedürfnis sich zu reinigen, auch wenn er erst vor wenigen Stunden auf der Ka'Lir geduscht hatte. Er wollte schließlich zu Bett gehen und niemals würde er sein Bett aufsuchen, ohne sich vorher nicht einer ausreichenden, körperlichen Hygiene unterworfen zu haben und wenn es die Situation erforderte, kam er sogar mehrmals am Tag einer solchen Prozedur nach.

Nachdem er sich gewaschen, abgetrocknet und für die Nacht wieder angekleidet hatte. Suchte er den Meditationsraum auf. Noch einmal seine mentale Mitte finden, zur Ruhe kommen und dann schlafen. Er sehnte sich sehr danach und er fühlte, dass er nun wirklich sehr ermüdet war. Mit Bedacht wählte er eine neue Meditationsschale, zündete die darin befindliche Kerze an und kniete sich vor die Skulptur, die ihm als Schrein diente. Er sah in die Flamme und ganz ohne sein Zutun kamen die Bilder, ganz ohne sein Zutun glitt er hinab in Trance. Es ging langsamer als sonst, aber das hing mit seinem Erschöpfungszustand zusammen. Er wusste schon zu Beginn der Meditation, dass sie nicht ganz so effektiv sein würde, weil er zu müde war. Dennoch war es ihm möglich die Konzentration zu halten, um wenigstens die Eindrücke der letzten vergangenen Stunden zu verarbeiten, denn dies war unbedingt nötig. Samels Reaktion hatte ihn doch verwirrt und er überlegte, ob er sich in den letzten Monaten wirklich so verändert haben konnte, denn sie schien seinen Emotionen stark abgeneigt. Plötzlich hörte er Hoshis Stimme in seinem Geist. Diesmal schien sie ihn zu Recht zu fragen, wie Samel wohl mit seinen Gemütsregungen umging. Wird sie je mit dir lachen, streiten oder traurig sein? fragte die Stimme. Wird sie je deine Gefühle teilen, sie verstehen, dir sagen „Ich liebe dich“? Soval schloss die Augen und konzentrierte sich stärker. Er wollte diese Stimme aus seinen Gedanken verdrängen, sie störte immens seine Konzentration. Zudem war er sich sehr wohl bewusst, dass Samel seine Ansicht über Emotionen und gleichzeitiger Logik nicht teilte, doch bisher war es nie ein Problem und wenn sie aufeinander Rücksicht nahmen, so würde daraus auch keines werden. Er hatte sich heute Abend nun mal falsch verhalten und Samel hatte ihn lediglich darauf hingewiesen. Natürlich war sie schockiert von seinem plötzlichen Übergriff, doch wenn sie merkte, dass es nur ein Versehen war und er noch derselbe war, dann würde sich sicherlich alles von alleine geben. Er versuchte seinen Fokus zu finden, doch es wollte ihm nicht gelingen. Aus irgendeinem Grund schien ihm der Weg zur Harmonie versperrt zu sein. Stattdessen störten immer wieder Bilder von Hoshi und von Ran'Kashar seine Konzentration. Er wusste nicht was das zu bedeuten hatte, und er spürte auch, dass er das jetzt noch nicht erfahren würde. Sein Unterbewusstsein musste daran noch arbeiten und er konnte es nur unterstützen, wenn er die Prozesse in seinem Innern zuließ und nicht mit Gewalt unterbrach. Etwas resigniert, weil er nicht weiterkam, blies er die Kerze aus und erhob sich. An Schlaf war noch nicht zu denken, daher entschied er sich für leichte Sportkleidung und suchte seinen Trainingsraum auf. Etwas Leibesertüchtigung würde ihn auf andere Gedanken bringen und ihm später helfen sein Gleichgewicht wiederzufinden.


Samel stieg langsam die Stufen zu Sovals Haus hinauf. Immer wieder, wenn sie hier war und die Exklusivität dieses Anwesens sah, ergriff sie etwas die Ehrfurcht und ihr wurde bewusst wer Soval eigentlich war. Ein hoch angesehener Mann mit einer Vergangenheit, die man nur mit dem größten Respekt betrachten konnte. Samel ehrte es zu seinen Kollegin zu zählen und mit ihm arbeiten zu können. Noch mehr ehrte es sie, ihn als Freund zu bezeichnen und mit ihm auch ihre Freizeit zu verbringen. Dass er sie gestern bat seine Frau zu werden, war in Anbetracht dessen, dass sie so effektiv zusammen arbeiteten und so viele gemeinsame Interessen teilten, nur der nächste, logische Schritt. Und sie würde sein Angebot gerne annehmen, wenn er wieder der Soval war, den sie kannte. Sie fand es unlogisch, dass ein Mann in seiner Position und mit seinen Fähigkeiten den Weg zu Emotionen suchte. Er hatte das Kolinar bestanden, allen Emotionen entsagt und versuchte sie dennoch wieder in sein Leben zu integrieren. Sie konnte es noch so logisch angehen, sie fand keine plausiblen Gründe, die seine Ambitionen zu diesem Schritt erklären würden. Doch sie war gewillt ihm ein gewisses Maß an Emotionen zuzugestehen, solange sie nicht so übermäßig waren wie die von heute Nacht, denn damit konnte sie weder umgehen, noch leben und solange er sich noch so emotional gab, würde es keine gemeinsame Zukunft für sie beide geben.

Sie hatte die oberste Stufe erreicht und durchschritt den Vorhof, dann läutete sie. Es dauerte eine ganze Weile bis jemand aufmachte und sie glaubte schon, sie hätte ihn geweckt, denn er wirkte heute Nacht sehr erschöpft und müde auf sie, doch sie irrte sich. Geweckt hatte sie ihn nicht, aber so hatte sie ihn auch noch nicht zu Gesicht bekommen. Völlig Abgekämpft, nasse, durchschwitze Kleidung und offene, ebenfalls nass geschwitzte Haare. Er war außer Atem und völlig verwirrt, weil sie vor der Tür stand.
»Du bist schon da?« Seine Züge zeigten Entsetzen, denn so sollte sie ihn eigentlich nicht zu Gesicht bekommen.
»Ich sagte, ich komme nach dem Mittagsmahl«, war ihre kurze Antwort.
Soval bat sie herein und sah gleichzeitig auf die Uhr. »Ich ahnte nicht, dass wir es schon so spät haben.«
Samel musterte ihn eingehend. »Du hast offenbar weder meditiert, noch geschlafen, kann das sein?« fragte sie dann besorgt.
»Ich hatte es versucht, aber ich bin gescheitert. Darum habe ich trainiert. Es hilft mir meist sehr gut meinen Fokus wieder zu finden.«
»Dann werde ich wieder gehen, damit du zur Ruhe kommst.« Samel wandte sich ab, doch Soval hielt sie auf. Er wollte nicht, dass sie geht. Er genoss ihre Nähe nämlich viel zu sehr.
»Ich bitte dich, bleib! Ich werde mich frisch machen und dann koche ich uns Tee.« Er zwinkerte ihr zu. »Einverstanden?« Sie nickte, wenn auch etwas widerwillig. »Schön, dann nimm bitte Platz in zehn Minuten bin ich wieder bei dir«, damit wandte er sich ab und eilte unter die Dusche. Es war ihm furchtbar peinlich, dass Samel ihn in einem solch derangierten Zustand zu Gesicht bekam, denn es war seiner Absicht überhaupt nicht dienlich. Was würde sie nun von ihm halten? Nun, er hatte nur trainiert, aber sich so zu verausgaben, dass er dabei sogar die Zeit vergaß, zeigte ihr auch wieder nur, wie sehr er die Kontrolle verloren hatte – und er wusste nicht einmal warum. Sein Kampftraining war heute äußerst effektiv, aber auch extrem kräftezehrend. Die Erschöpfung, die sich hätte einstellen müssen, hätte ihm eigentlich den Weg zu seiner geistigen Mitte, zu seinem Fokus, offenlegen müssen, doch außer, dass er sich über sein übliches Maß hinaus quälte, sich überanstrengte, fast schon auf gesundheitsgefährdendem Niveau, geschah nichts. Vielleicht hatte er am Abend mehr Erfolg. Er stieg aus der Dusche und trocknete seinen Körper, dann kämmte er seine Haare und kleidete sich in legere Freizeitkleidung. Samel durfte ruhig sehen, dass auch er sich nicht immer exklusiv und vornehm gab. Auch er war irgendwann einmal privat und das würde er sich auch auf keinen Fall nehmen lassen. Mit einem Lächeln auf den Lippen betrat er anschließend den Wohnraum. »Nun, welchen Tee, darf ich dir anbieten?« fragte er, während er den direkten Weg in die Küche nahm. Er wollte sie auf keinen Fall noch länger warten lassen. Es war schon schlimm genug für ihn, dass er sie annähernd zehn Minuten alleine sitzen ließ.
»Vielleicht, begrüßt du deinen Gast erst einmal, bevor du ihm Tee offerierst«, äußerte Samel scharf und warf ihm einen strengen Blick zu. An Anstand fehlte ihm offenbar noch etwas Praxis, bemerkte sie erstaunt. Das sollte einem Mann mit seiner Erfahrung, vor allem mit seinen diplomatischen Fähigkeiten nicht passieren.
Tatsache aber war, dass Soval das für unnötig hielt - sie war ja schon seit zehn Minuten im Haus und eine Begrüßung daher sinnlos. Allerdings, hatte er heute Nacht schon genug Fehler gemacht, mehr mussten es nicht werden. Also machte er kehrt und kam auf sie zu. »Entschuldige, ich war an deinem leiblichen Wohl mehr interessiert. Es erschien mir wichtiger, weil ich dich warten lassen musste.« Er hielt ihr zwei Finger hin. »Ich grüße dich.« Sie tat es ihm gleich. »Na, welcher Tee darf es jetzt sein?«, fragte er aufmunternd.
»Einen Kräutertee bitte«, antwortete sie höflich.
»Natürlich, vulkanische oder irdische Sorte?« fragte er nun, als er wieder zur Küche ging.
»Die Wahl überlasse ich dir!«, rief Samel ihm nach. Er musste unweigerlich lächeln. So formell wäre Hoshis Antwort sicher nicht ausgefallen und er ertappte sich dabei, dass er ihre Lebhaftigkeit zu vermissen begann. Doch er ignorierte den Gedanken.

Samel sah ihn in der Küche hantieren und beobachtete ihn einen Moment. Sie wusste genau, dass er sich für die irdische Teesorte entscheiden würde. Er hing irgendwie an den Menschen, auch wenn sie seine Zuneigung zu diesem Volk nicht ganz nachvollziehen konnte. Wenn sie solange auf der Erde gelebt hätte wie er, wäre sie wahrscheinlich übersättigt mit irdischem, doch Soval konnte nicht genug bekommen. Kurze Zeit später kam er mit zwei Tassen Tee zurück und setzte sich zu ihr. Sie behielt Recht, es war der irdische Tee. Sein ganz besonderer Kamillentee sogar. Sie wusste darum, doch sie sagte nichts dazu. Soval ertappte sich dabei eine gewisse Enttäuschung wahrzunehmen. Irgendwie hatte er ein paar anerkennende Worte erwarte, obwohl er genau wusste, dass sie dazu niemals etwas äußern würde. Hoshi hätte nicht geschwiegen, ging es ihm durch den Kopf.
Samel begann direkt ein Gespräch. »Deine wöchentlichen Berichte fand ich immer sehr informativ, vielen Dank dafür.«
»Nichts zu danken, ich wusste, dass es dich interessieren würde.« Er zwinkerte. »Ich denke dafür kenne ich dich gut genug.«
»In der Tat.« Sie trank einen Schluck. »Ich war erstaunt zu lesen, wie gut du mit dieser menschlichen Frau ausgekommen bist. Ich fürchtete, dass sie dir zu unlogisch sei und ihre Fülle an Gefühlen dich überfordere. Aber offenbar war es erträglich.«
»Hoshi ist eine phantastische Frau!« sagte Soval begeistert. »Sie ist sehr sorgfältig in ihren Arbeiten, was ich sehr begrüßte. Stets sehr respektvoll, wenn auch etwas unsicher.« Er lachte. »Vor allem mir gegenüber und hoch intelligent. Sie erfasste Zusammenhänge meist schneller als ich und das soll was heißen. Ihr Verständnis für Sprachen ist einfach beispiellos und dafür nahm ich ihre emotionale und etwas ängstliche Natur gerne in Kauf.«
Samel neigte anerkennend den Kopf. »Dann war deine Entscheidung sie Mitzunehmen, ja die Richtige.« Soval nickte. »Du hast mir immer nur von eurer Arbeit geschrieben, wie sah eure Freuzeitgestaltung aus? Habt ihr auch eure Freizeit miteinander geteilt oder waren eure Interessen doch zu unterschiedlich?« wovon sie nämlich ausging. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Menschen Interessen zeigten, die auch einen Vulkanier anregen konnten. Doch sie irrte sich.
»Sicher, wir haben sehr oft unsere Freizeit zusammen verbracht. Vor allem die Abende waren immer recht ansprechend. Wir hören annähernd die gleiche Musik, sie mag sogar einige vulkanische Balladen, wir schätzen beide anregende Gespräche und sie liebt das Tauchen.« Er schmunzelte. »Außerdem war sie an mir sehr interessiert.« Samel sah ihn mit großen Augen an und er musste doch kurz lachen. »Nein«, sagte er dann. »Nicht von mir als Mann, sondern von mir als Vulkanier.« Das was er ihr nun erzählte entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, würde aber dazu beitragen Hoshi in ein besseres Licht zu rücken. Es war ihm durchaus nicht entgangen, dass Samel seiner Kollegin offenbar eine gewisse Antipathie entgegen brachte. »Hoshi war immer bestrebt mehr über uns zu erfahren und ich habe ihr gerne einen Einblick in unsere Kultur und in meinen Glauben gegeben.« Der Einblick in seine Kultur war sogar sehr tief, musste er sich eingestehen, doch er bereute es nicht.
»Das ist sehr löblich, vor allem, wenn man so lange zusammen leben muss«, bemerkte Samel wohlwollend. Sie ließ sich nicht anmerken, dass ihr diese Worte weit weniger gefielen, als sie ihm zeigte. Es war ja schön, dass Soval sich in diesen vier Monaten nicht quälen musste in der Gegenwart dieser Menschenfrau, dennoch spürte sie einen Widerstand gegen Hoshi. Sie wollte es fast schon als Abneigung betiteln. Vielleicht war es besser Zuhause noch einmal zu meditieren, damit sie dieses Gefühl los wurde. Es war unangebracht.
Soval stand kurz auf und ging an seine Tasche, die noch auf der Sitzbank im Esszimmer stand. »Hoshi hat mir übrigens eine Aufzeichnung mitgegeben. Es ist eine Aufführung aus dem frühen einundzwanzigsten Jahrhundert und ich dachte mir, dass wir sie uns bei Gelegenheit einmal anschauen könnten. Es ist ganz opulent. Die Requisiten, die Masken, die Artisten und vor allem die Musik.« Er kam zurück und lehnte sich bei Samel auf den Sessel. »Ich gebe zu, ich bin sehr begeistert von dieser Aufführung und habe sie bereits mehrmals gesehen.« Er hielt ihr ein Datenmodul hin.
Sie sah ihn skeptisch an. »Du hattest aber nicht die Absicht das jetzt mit mir anzuschauen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich denke dazu bin ich heute ein zu schlechter Gastgeber.« Er lachte kurz. »Ich würde wahrscheinlich schlafen, noch bevor der erste Artist auftritt.«
Sie sah ihn konsterniert an. »Das findest du amüsant?« Ein fragender Blick über ihre Schulter traf Soval. Sie empfand das nämlich ganz und gar nicht belustigend, immerhin hat er sich mehr zugemutet, als er verkraften konnte und darüber sollte man gewiss nicht amüsiert sein.
Soval kräuselte die Stirn. »Du erwartest eine Antwort?«
»Hätte ich sonst gefragt?«
»Verzeih, ich dachte die Frage sei rhetorischer Natur. Nein, ich finde es nicht amüsant, aber vielleicht verbirgt sich hinter meinem Lachen die Absicht von der Peinlichkeit abzulenken, dich als schlafender Gastgeber zu beehren.« Die Antwort viel schärfer aus, als er es beabsichtigt hatte.
Doch Samel ging nicht darauf ein. Ihr Ton blieb ruhig und sachlich. »Vielleicht nimmst du deine körperlichen Grenzen das nächste mal ernst, dann muss es gar nicht erst so weit kommen«, konterte sie stattdessen.
Soval richtete sich auf. Sie ging ihm etwas zu weit, das hatte sie weder zu interessieren, noch zu beanstanden. »Ich glaube nicht, dass du bereits in der Position bist, mich in dem Maße zu kritisieren.«
»Du möchtest mich zur Frau und ich bin ein Freund, und allein als solcher, finde ich, steht mir dieses Recht durchaus zu.« Sie sah ihn an. »Soval, ein gewisses Maß an Bindung besteht bereits zwischen uns. Ich sorge mich nur.«
Er wurde augenblicklich fahl im Gesicht. »Bindung?« platzte es aus ihm heraus. »Samel von der Idee nimmst du am besten ganz schnell Abstand.« Diesmal verbarg er seine Emotionen nicht. Er empfand größte Abscheu diesem Thema gegenüber und das durfte Samel ruhig merken.
Samel sah ihn überrascht an und genauso klang sie auch. »Willst du damit sagen, dass du eine Ehe ohne Bindung eingehen würdest?« fragte sie dann erstaunt. Sovals Haltung war sehr unüblich. Eine Bindung band die Ehepartner für den Rest ihres Lebens auf mentaler Ebene aneinander. Sie löste sich erst, wenn einer der Ehepartner verstarb. Es war die gängige Praxis während einer Vermählungszeremonie, vor allem während des Pon Farrs und gehörte dazu, wie die Dunkelheit zur Nacht.
Doch Soval war ganz anderer Meinung und er zeigte deutlich Ärger. »Ich habe es nicht nötig dich mental an mich zu binden, ich liebe dich und ich denke, du hegst auch eine gewisse Zuneigung für mich, auch wenn du sie nicht offen zeigst.« Sie senkte den Kopf und er kniete sich zu ihr, dann nahm er ihre Hände. »Entschuldige meine Aggression, Samel, aber Syrraniten gehen keine Bindungen ein, weil bei ihnen das Herz über die Wahl ihres Partners entscheidet und nicht die Eltern oder deren Logik. Ich möchte mich nicht darüber streiten, denn der Punkt steht für mich unumstößlich fest. Wenn du auf eine Bindung bestehst, kann es für uns keine gemeinsame Zukunft geben.« Soval war fassungslos! Wie konnte es eine Frau geben, die ernsthaft Gefallen an einer solchen Verbindung fand. Mit Eingehen dieses Bündnisses wurde die Frau in gewisser Weise das Eigentum des Mannes. Eine Bindung war für versprochene Vermählungen gedacht, damit die Ehepartner zueinander fanden und beieinander blieben. Sie festigte und sicherte deren Ehe, doch für Syrraniten war eine solche Form der Verbindung unnötig, da sie aus Liebe heirateten. Sie waren aus eigenem Antrieb bestrebt eine Einheit zu bilden und wurden nicht durch ein Eheversprechen dazu gezwungen.
Samel holte tief Luft, um die Anspannung in ihrem Innern zu lösen, dann erfolgte eine Reaktion, die so ehrlich war, dass sie sogar Soval über sie Maßen erstaunte. »Danke«, sagte sie leise und offerierte Soval zwei Finger. Die Geste stellte diesmal keine Begrüßung dar, sie kam einem Kuss gleich.
Soval sah sie erstaunt an, dann erwiderte er ganz liebevoll die Geste, doch er hatte fast schon das Gefühl, dass sie sich am liebsten an ihn gedrückt hätte. Allerdings widerstand er der Versuchung seinem Gefühl nachzugeben. »Ich glaube du bist an einer Bindung genauso wenig interessiert wie ich«, stellte er lediglich fest und hielt nun ihre Hand, statt nur der Finger. »Habe ich recht?«
Sie nickte und sie brauchte einige Momente, bis sie sich dazu entschließen konnte, offen zu sein. »Ich finde es unlogisch!«, entgegnete sie dann ehrlich und man merkte ihr an wie unwohl sie sich bei diesen Worten fühlte. »Zwang wäre bei uns schließlich nicht von Nöten!«, stellte sie anschließend klar. Vielleicht war eine solche Bindung das geistige Gut eines jeden Vulkaniers, doch diese Form der Verbindung wies ihr zu viele Besitzergreifende Aspekte auf. Samel wollte nicht mehr jemandem „gehören“, auch wenn derjenige Soval war. Sie wollte die Freiheit ihrer Gedanken, die ihr mittlerweile gegeben war, nicht wieder aufzugeben. Sie kannte die Bindung, sie wusste was das hieß. Immerhin war sie dreiundvierzig Jahre lang an ihren Mann gebunden gewesen. Malik war ein guter Mann, gütig und weise, aber dennoch waren seine Gedanken immer mit ihr, wachten über sie. Sie war nie alleine, weder in ihren tiefgründigsten Besinnungen, noch in ihren belanglosesten Entscheidungen. Es war normal, es war ihr vulkanisches Erbe, aber es war manchmal auch eine Bürde. Hätte sie erneut geheiratet, hätte sie sich auch ein zweites Mal einer Bindung gefügt, wie es ihre Lehren verlangten. Sie hätte es nie gewagt zu widersprechen. Schließlich war sie in reiner Logik aufgewachsen, wie Soval auch, doch im Gegensatz zu ihm, lebte sie diese bis heute, so gut es ihr ihre Fähigkeiten ermöglichten. Die Verleugnung ihrer vulkanischen Sitten, würde einen direkten Affront gegen ihre Glaubensrichtung und alles wofür Suraks Lehren standen, darstellen. Mit Sovals Einstellung aber, sah das Ganze anders aus und das ließ eine große Last von ihr abfallen.
Soval stand auf und sah sie dann lange an. Sie wirkte tief in Gedanken. »Vielleicht möchtest du dich kurz etwas sammeln? Ich fürchte unser Gespräch hat dich etwas aus der Fassung gebracht.«
»Wenn du mir ein paar Momente der Ruhe einräumen würdest, wäre ich dir sehr dankbar«, stimmte sie zu.
Er wies zu einem Durchgang. »Mein Meditationsraum steht dir immer offen«, damit ging er voraus. Es freute ihn, dass sie dieses Vertrauen zu ihm aufbrachte und ehrlich gestand, dass sie gerade etwas ungeordnet war. »Ich weiß nicht wie du zu meditieren pflegst, aber …«
Ein dankbarer Blick traf ihn. »Ich möchte nur einen Moment alleine sein, Soval und kurz etwas in mich gehen können, das reicht.«
»Nun, dann erwarte ich dich draußen.« Er verließ den Raum wieder.
Samel wartete bis er gegangen war, dann setzte sie sich auf die kleine Bank, die in Mitten des Raumes stand, schloss die Augen und konzentrierte sich. Es war nicht einfach diese Eindrücke zu ordnen, denn sie hatte Soval völlig falsch eingeschätzt. Niemals, hätte sie gedacht, dass er freiwillig auf eine Bindung verzichten würde, noch weniger, dass er sie so rigoros ablehnte. Es verwirrte sie und gleichzeitig war sie erleichtert … und das verwirrte sie noch mehr. Irgendwelche, nicht einzuordnende Empfindungen suchten sich momentan den Weg zu ihrem Geist und darum war sie auch froh, dass Soval ihr die Möglichkeit gab, sich etwas zu sammeln. Emotionen durfte sie nicht zulassen, es war wider ihre Gesinnung und es bereitete ihr zunehmendes Unbehagen.

Fast zwanzig Minuten verbrachte sie alleine in Sovals Meditationsraum. Sie hatte ihre mentale Stabilität wieder erlangt und es ging ihr gut. Nun konnte sie sich auch für weitere Gespräche wieder öffnen. Mit neuer, geistiger Stärke betrat sie den Wohnraum und blieb fast augenblicklich stehen. Ein Blick zur Sitzecke verriet ihr, dass sie für weitere Gespräche wohl zu spät war. Soval lag ausgestreckt auf dem Polster und schlief. Sie erlaubte ihrem Geist ein kurzes, sehr wohlwollendes Schmunzeln, dann griff sie nach einer Decke und deckte ihn zu. Anschließend hinterließ sie ihm eine Nachricht und verließ leise das Haus. Ihr war wichtiger, dass er jetzt ruhte, statt sich mit ihr zu unterhalten.

Es war Abend, als Soval wieder zu sich kam. Er hatte sehr, sehr tief geschlafen und er war furchtbar entsetzt. Wieso lag er schlafend im Wohnraum auf den Polstern? Wer hatte ihn zugedeckt und … wo war Samel? Er rief nach ihr, doch eine Antwort bekam er nicht. Langsam dämmerte es ihm. Er war wohl eingeschlafen, während sie etwas meditierte um sich wieder zu fassen. Er rügte sich für sein schlechtes Benehmen, denn es war extrem unhöflich, einfach einzuschlafen und den Gast zu vernachlässigen. Nun, ändern konnte er es jedenfalls nicht mehr und so nahm er es hin. Vor ihm lag ein Zettel auf dem Tisch, offenbar hatte sie ihm eine Nachricht hinterlassen. Erstaunt griff er danach und las still die Worte: Ich wünsche dir erholsamen Schlaf! Wir sehen uns morgen um die gleiche Zeit. Grüße Samel! Er seufzte, das war also der erste, gemeinsame Tag mit seiner geliebten Samel. Ironisch betrachtet ein absoluter Erfolg. Er erhob sich und betrat die Küche. Vielleicht war es am besten, wenn er jetzt was aß und den Tag dann mit Meditation beendete. Er war zuversichtlich, dass er diesmal mehr Erfolg haben würde, zumal er nun auch ausgeruht war.


Hoshi saß im Shuttle auf dem Weg nach Brasilien. Sie hatte ihre dicke Winterjacke auf den Beinen liegen und spürte, dass ihr das langsam zu warm wurde. Doch in den Transportshuttles war nicht viel Platz und in dem Fach über ihr, waren bereits ihre beiden großen Taschen verstaut. Die Jacke passte da nicht mehr hinein. Ihr übriges Gepäck war schon seit zwei Wochen in Brasilien. Sie seufzte, denn sie wechselte schon zum zweiten Mal die Klimazone. In Kioto herrschte tiefster Winter und sie hatten bitteren Frost. Es war sehr ungewohnt für sie, gerade wenn man aus einem wüstenheißen Klima kam und dann in diese Kälte geworfen wurde. Nun war sie wieder in ein heißes Klima unterwegs. Hoffentlich spielte da ihr Immunsystem mit. Ein Schweißtropfen rann ihr die Beine hinab und kitzelte sie. Etwas genervt wischte sie ihn weg. Noch zehn Minuten, dann waren sie da. Gott, wie sie sich freute, dann hatte das Herumreisen endlich ein Ende. Sie war schon froh als sie in Kioto angekommen war, denn da konnte sie wenigstens schon mal zwei Wochen zur Ruhe kommen. Darüber hinaus lag Kioto auch etwa in der Zeitzone, die sie auf dem Transporter hatten, weswegen sie sich zumindest da nicht umstellen musste, wenn das Klima sie schon forderte. Wegen zwei Stunden machte sie sich keine Sorgen.

Ihre Familie freute sich sehr sie endlich wieder in die Arme schließen zu dürfen und der erste Abend wurde sehr, sehr lang. Hoshi erzählte viel über ihre Expedition und zeigte voller Stolz ihre fantastischen Bilder. Sie hatte die gesamten vier Monate in ihren Aufnahmen festgehalten und es waren annähernd eintausendfünfhundert Bilder. Da gab es zu Hause also einiges einzusortieren, aber da hatte sie ja Zeit im Überfluss. Zum Vorzeigen wählte sie auf dem Flug zur Erde nur etwa zweihundert der repräsentativsten aus und das war absolut ausreichend, wenn auch nicht ganz einfach, denn jedes Bild war etwas besonders. Vor allem die von Soval und ganz besonders das eine von ihr und Ihm, welches er ganz unerwartet in der Höhle machte. Er war dafür hinter sie getreten, hatte sie in den Arm genommen und seinen Kopf fest an den ihren gedrückt, dann fotografierte er sie beide mit ihrer Kamera. Dieses Bild hatte sie sich auf dem Nachhauseweg oft angeschaut und sie fand es immer wieder gleich faszinierend. Auch ihre Familie war begeistert und jeder von ihnen spürte, dass es Hoshi nicht leicht gefallen war, diesen wunderschönen Ort zu verlassen. Natürlich war Hoshi sehr froh, wieder auf der Erde und im Kreise ihrer Lieben zu sein, aber sie fühlte sich unvollständig. Ein Teil ihres Lebens fehlte nun und sie würde ihn nicht mehr zurück gewinnen. Nach ein paar Tagen, als die erste Euphorie über ihre Heimkehr wieder abgeklungen war, stellte sich die Lethargie ein. Die Wirklichkeit hatte sie eingeholt. Ihrer jüngeren Schwester fiel das auch sofort auf. Diese Schwermütigkeit kannte sie von Hoshi nicht. Und sie fand es erstaunlich, wie begeistert sie von Soval sprach. Hoshi machte auch kein Geheimnis daraus, dass sie Soval mittlerweile sehr mochte und ihm sehr viel Respekt entgegenbrachte. Das durfte und das sollte auch jeder wissen, denn damit nahm sie jedem den Wind aus den Segeln, der etwas Abwertendes über ihn sagen wollte, allem voran ihrem Vater. Es viel kein negatives Wort zu Soval. Es zeigte sich bei allen nur ein wenig Verwunderung, weil dieser Mann wohl doch ganz anders war, als man ihn als Botschafter kannte. Doch ihre Schwester spürte, dass da mehr war, denn Hoshis Begeisterung kam aus tiefsten, tiefsten Herzen und sie hieß Liebe. In einer stillen Minute sprach sie Hoshi auch darauf an. Doch sie lachte nur und tat ihre Worte mit: „Was soll ich mit dem alten Mann?“ ab. Genaugenommen, war sie aber furchtbar entsetzt, weil sie es offenbar viel zu viel gezeigt hatte. Ihre Schwester hingegen schwieg lediglich. Sie hatte ihre eigene Meinung und glaubte Hoshi kein Wort. Sie kannte sie nämlich viel zu gut, doch das war Hoshi einerlei. Ihre Schwester sah öfter „Gespenster“ und wenn sie so etwas Abstruses äußerte, wusste sie genau, dass man sie eher auslachen, denn ihr Glauben schenken würde. Ein kleiner Vorteil den sie nun leider ganz schamlos auch ausnutzte. Neben den Vermutungen ihrer Schwester plagten Hoshi aber noch ganz andere Sorgen. Ihr Körper hatte sich in den letzten Wochen verändert und das merklich! Anfangs dachte sie noch, sie hätte durch die zahlreichen Weihnachtsplätzchen nur etwas zugenommen, doch mittlerweile konnte sie sich der Befürchtung nicht mehr erwehren, dass etwas völlig anderes eingetreten war. Ihr Unterleib wölbte sich nämlich sichtbar und ihr kam vor allem in den letzten Tagen sehr oft die Vermutung schwanger zu sein. Sie wusste natürlich, dass das unmöglich war, aber vielleicht war etwas geschehen, das mit ihrem innigen Wunsch nach Soval zusammenhing. Vielleicht reagierte ihr Körper nur wie schwanger, weil sie es sich so sehr wünschte. Eine Angelegenheit, welche sie in Brasilien gleich abklären lassen musste, denn langsam musste sie befürchten, dass es auch anderen auffiel. Bis sie dann Gewissheit hatte, würde sie einfach jedem erzählen, dass sie ein paar Kilo zugenommen hatte. Das reichte sicher aus. Nicht einmal Sylvia würde sie die Wahrheit sagen, denn auch sie durfte nicht erfahren wie nahe sie und Soval sich tatsächlich gekommen waren. Sie war nur froh, dass eine wirkliche Schwangerschaft unmöglich war, denn wenn das eintreffen würde, wüsste sie nicht mehr wie es weiter ging.

Hoshi sah aus dem Fenster des Shuttles und konnte die Küste bereits sehen, gleich würden sie landen. Sie war gespannt ob Sylvia sie wirklich abholen kam, doch sie wusste, dass auf ihre Freundin Verlass war. Sie ließ sie nicht im Stich. Hoshi war noch nicht einmal in die Empfangshalle getreten, da fiel ihr ein blondgelocktes Energiebündel um den Hals – Sylvia, ganz klar. Sie lachte und sie hatte vor lauter Wiedersehensfreude Tränen in den Augen. Doch Hoshi ging es nicht anders. Ohne es eigentlich zu wollen kamen ihr die Tränen und sie weinte erst einmal. Was in diesem Moment alles in ihr vorging konnte sie gar nicht sagen, es war alles auf einmal. Freude, Trauer, das Gefühl jetzt endlich angekommen zu sein und zur Ruhe kommen zu dürfen. Es war vieles und erst einmal genügte es ihr Sylvie im Arm zu halten. Nach einer Weile trennten sie sich wieder und lachten sich an.
»Mann sind wir doofe Hühner, was?« fragte Sylvia und Hoshi nickte lachend. »Hier stehen wir und heulen, statt uns zu freuen.« Sie sah Hoshi an. »Schön dich endlich wieder zu sehen. Wie geht es dir?«
Die Frage war ehrlich gemeint und zum ersten Mal, seit sie wieder auf der Erde war durfte Hoshi diese auch ehrlich beantworten. »Ich bin natürlich froh wieder hier zu sein und körperlich geht es mir auch gut, aber … ich vermisse ihn ganz schrecklich.«
»Ja das glaube ich dir und es ist nachvollziehbar, nachdem was du mir so alles geschrieben hast.« Und nachdem was nicht, dachte sich Hoshi und schmunzelte innerlich. Sylvia sah sie lange an. »Du hast dich verändert.« Hoshi zog eine Grimasse. »Ja, wirklich, dein Gesicht wirkt voller und die Hose sitzt wohl auch etwas enger.« Sie grinste. »Kann Soval so gut kochen?« Vier Monate auf einem Wüstenplaneten und sie nimmt zu. Das musste ihr auch erst mal einer nachmachen.
Hoshi rollte mit den Augen. »Kein weiterer Kommentar, du! Ich hab fünf Kilo zugenommen. Sylvie fünf Kilo! Herrgott, ich weiß nicht mal von was. Wir waren täglich nahezu acht Stunden im Wasser, eigentlich hätten mir Schwimmhäute wachsen sollen, stattdessen bekomme ich die Hose nicht mehr zu!« Sylvia schenkte ihr einen kritischen Blick und Hoshi lenkte ein. »Na ja, okay, Weihnachten war nicht ganz unschuldig«, sagte sie dann kleinlaut. »Aber die Lebkuchen«, schwärmte sie. »Oh Sylvie, die waren aber auch lecker.«
»Ja, die waren von mir. Hat Soval sie mal versucht?« Sie konnte sich denken, dass er als Vulkanier sich sträuben würde und sie behielt Recht.
»Nix hat er probiert, er hat es halsstarrig verschmäht.« Sie sah an sich hinab. »Ich glaube ich weiß auch warum.« Sie tätschelte ihren etwas runderen Bauch und lief mit ihrer Freundin dann zur Empfangshalle hinaus. »Wird Zeit mich auf Diät zu setzen«, betonte sie nochmals und stieg zu Sylvia ins Fahrzeug.
Etwa eine halbe Stunde später kamen sie zu Hause an. Hoshi fürchtete schon, dass Sylvia eine Begrüßungsparty organisiert hatte, doch dem war nicht so und sie war so froh darum. Es war sehr turbulent in den letzten Tagen und sie war für jedes bisschen Ruhe dankbar. Sie stellte ihre Taschen ab und eilte sogleich in die Küche, um sich und ihrer Freundin einen Kaffee zu machen. Sylvia öffnete derweil die hintere Gartentür und das nicht ohne Grund. Es dauerte nur zwei Minuten, dann überfielen Hoshi etwa fünfundzwanzig Mann und drei Kuchen gleichzeitig. Hoshi rutschte das Herz nicht nur in die Hose vor Schreck, sie konnte es unter ihrem Tresen wieder hervorholen, doch sie freute sich sehr, auch wenn sie Sylvia in einer ruhigen Minute dafür noch steinigen würde. Jeder umarmte sie herzlich und begrüßte sie und fast jeder neckte sie, weil sie so offensichtlich zugenommen hatte. Doch Hoshi ließ sie in dem Glauben und beteuerte, dass jetzt, wo sie der normale Alltag wieder hatte, die Kilos sicher auch von alleine wieder runter gingen und wenn sie etwas dafür tat, ging es sicherlich noch schneller. Sie war froh, dass ihr das auch alle abkauften, so musste sie nicht noch mehr Lügen auftischen um überzeugend zu wirken. Lediglich Sylvias Blick im Flughafen machte ihr etwas Angst, denn sie wirkte eher kritisch, denn überrascht. Doch offenbar hatte sie auch diese nun voll und ganz überzeugt.

Gottlob hatten ihre Kollegen erbarmen mit ihr. Sie bleiben nur etwa zwei Stunden und dann ließen sie Hoshi erst einmal ankommen. Sie ahnten wie erschöpft sie sein musste. Nur Sylvia blieb noch und ging ihr etwas zur Hand. »Du deine Schmutzwäsche bring ich gleich ins Badezimmer, ja?« Sylvia war bei Hoshi wie Zuhause und von daher war es für sie völlig normal sich auch um solche Dinge, wie ihre Schmutzwäsche zu kümmern. Sie wollte schließlich, dass ihre Freundin sich so schnell wie möglich wieder Zuhause fühlte, ohne den Druck, dass es noch Arbeiten gab, die erledigt werden mussten und wie ein Damoklesschwert über ihr hingen. Mit den Übersetzungen hatte sie noch genug zu tun.
»Oh das ist lieb, ich setze derweil den Rest der Wäsche weg und zieh mir dann etwas Bequemeres an. Die Hose kneift nämlich etwas.«
»Mach das«, rief Sylvie und trug den Sack Wäsche ins Badezimmer. Keine fünf Minuten später stand sie bei Hoshi wieder im Schlafzimmer. »Sag mal, hast du Neigungen von denen ich nichts weiß, oder wem ist die?« Sie hielt ein paar schwarze Shorts hoch.
Hoshi wandte sich um und begann augenblicklich zu lachen. »Ich glaube, die wird er wohl vermissen.«
Sylvia weitete angetan die Augen. »So dann ist sie wirklich von Soval?«
Hoshi setzte ihre T-Shirts weg und nickte dabei. »Ja ja, er trägt nur schwarze Unterwäsche.«
»Nur schwarz? Lecker, sah bestimmt gut an ihm aus oder?« Hoshi grinste nur vielsagend, sie wusste es noch viel besser. »Und was sucht sie jetzt bei dir?«, neckte Sylvia auf diesen Blick hin.
»Ich wollte ne Erinnerung, was fragst du so blöd.« Sie lachte und kam dann zu ihr. »Nee, natürlich nicht! Lag die bei einigen dunkleren Kleidungstücken?« Sylvia nickte. »Ja, dann hab ich sie einfach übersehen oder für meine kurze, schwarze Hose gehalten. Kommt vor, er wird es überleben.« Insgeheim aber freute sie sich darüber, denn so hatte sie wenigstens etwas persönliches, von ihm. Sie wusste zwar wie albern das klang, aber das war ihr egal. Im Krieg und in der Liebe war alles erlaubt!
Sylvie schien ihre Gedanken zu lesen und begann äußerst frech zu grinsen. »Dann wasche ich sie also nicht, sondern lege sie unter dein Kopfkissen?«
Hoshis Augen wurden groß. »Sylvie, also wirklich!« rief sie dann empört aus. Es war klar, dass sie mit solchen Sprüchen gar nicht umgehen konnte. Doch Sylvia sollte sich täuschen. Hoshi konnte auch anders. »Warum denn unter das Kopfkissen?« fragte sie dann und jetzt war es Sylvia die große Augen bekam, dann lachten sie beide. Ihre Albernheit hatten sie wieder und sie waren froh drum. Das Leben war manchmal ernst genug, darum war es gar nicht so falsch etwas dem Frohsinn übermütig zu frönen. Wer die beiden nicht kannte hielt sie, trotz ihres Alters, sehr schnell für zwei völlig unreife Mädchen. Dass beide aber sehr ernsthaft ihrer Beschäftigung nachgingen und zu den engagiertesten und gebildetsten Pädagogen der Akademie zählten übersah man dabei leicht. Sie gehörten nicht umsonst zu den ausgewählten Kollonisten von Tarsus IV und man hätte sie erst recht nicht mit der Leitung einer Schule betraut, würden ihre charakterlichen Eigenschaften nicht den erforderlichen Kriterien entsprechen.
Sylvia verschwand anschließend wieder im Bad und sortierte die Wäsche zu Ende, während Hoshi den letzten Rest ihrer sauberen Kleidung wegsetzte, danach zog sie sich was Bequemeres an. Ein paar großzügig geschnittene Shorts und ein Top waren nämlich sehr viel angenehmer.

Die beiden Frauen setzten sich hinter in den Garten. Die Abgeschiedenheit hier erlaubte ihnen privatere Unterhaltungen, als vorne auf der Terrasse in deren Nähe der Hauptweg verlief. Schließlich lag es in der Natur der Sache, dass die folgen Gespräche sehr privater Natur sein würden und das war für beide Frauen auch ganz klar vorauszusehen.
Sylvia hatte kurz noch mal ihr Apartment aufgesucht und kam nun mit zwei vollen Champagnergläsern zurück. Hoshi grinste, das konnte ja heiter werden. »Sooo!« Sylvia setzte sich. »Ich habe weder kosten noch Mühen gescheut und habe ein ganz edles Tröpfchen für uns besorgt.« Sie zwinkerte Hoshi zu. »Keine Bange ist nur ein Piccolo – Fläschchen, also mehr wie die beiden Gläser gibt es nicht.«
Hoshi begann zu lachen. »Na ja, das wäre diesmal nicht so schlimm. Heute Abend leistet uns ja kein Vulkanier Gesellschaft der nach zwei Gläsern schon bedenklich angeheitert ist.«
Sylvia weitete die Augen. »Ist nicht wahr.«
Doch Hoshi lachte nickend. »Als hätte er die Flasche alleine geleert. Allerdings Hochachtung an ihn, er hatte sich sehr unter Kontrolle, lediglich die Zunge war etwas lockerer und …« Sie druckste. »Na ja, ab dem Abend waren wir dann per Du.«
»Du duzt Soval?« Ein sehr ungläubiger Blick traf Hoshi und sie nickte zustimmend. »Wow, das hast du mir aber nicht geschrieben.«
»Ich weiß. Ich hielt es nicht für wichtig, außerdem wusste ich nicht, ob es von Dauer sein würde. Daher schwieg ich erst mal und wartete ab«, erklärte Hoshi.
»Nun, dann kannst du dich jetzt zu den Privilegierten zählen, oder?« Hoshi rollte nur mit den Augen und Sylvia lachte, dann hielt sie ihr Glas hoch. »Auf dich, du privilegierte Jungfer und darauf, dass ich dich wieder habe.« Sie lächelten sich zu, dann stießen sie an und tranken einen Schluck. »Wie froh bist du eigentlich wirklich wieder hier zu sein?«
»Ehrlich?« Hoshis Brauen hoben sich und Sylvia ahnte, dass ihr die Antwort weit weniger gefallen würde, als ihrer Freundin. »Wenn man uns für immer und ewig vergessen hätte, wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich wollte nicht gehen, ich wollte bleiben, zusammen mit Soval.«
Ein Lächeln umspielte Sylvias Lippen. »Dass es dich so erwischen würde, hättest du nicht erwartet, was?« Sie empfand große Genugtuung bei dem Satz, vor allem als sie an den Abend zurückdachte, als Hoshi vehement abstritt, dass Soval je ihr Herz berühren könnte.
»Nicht in dem Maße, nein«, gab sie zu und senkte den Kopf. »Es war furchtbar, als er sich verabschiedete, die Tür hinaus ging und das Schiff verließ. Ich habe mir auf dem Flug zur Erde fast die Augen aus dem Kopf geheult, weil er mir so fehlte und noch fehlt.« Sie schluckte und ein Tränchen kullerte über ihre Wange. Wie lange es wohl dauern würde, bis sie über diesen Verlust hinweg war?
»Es ist ja kein Abschied für immer«, sprach Sylvia tröstend, denn sie wusste aus Hoshis Briefen, dass sie alleine wegen des Kir'Sharas noch genügend zu tun hatten. »Ihr arbeitet ja noch ein paar Jahre zusammen.«
»Schon, aber jeder auf seiner Welt. Ich auf der Erde und er auf Vulkan. Wir sprechen uns lediglich über Subraum.« Sie seufzte. »Er hat mir zwar angeboten ihn zu besuchen, aber dann begegne ich seiner Frau und das möchte ich nicht.«
Silvia war wie vom Donner gerührt. »Meinst du wirklich, dass er jetzt schon verheiratet ist?«
»Wenn nicht, stecken sie zumindest schon in den Hochzeitsvorbereitungen.« Hoshi seufzte schwermütig, denn sie wollte davon eigentlich nicht sprechen, doch es war schon notwendig, dass Sylvia davon erfuhr, denn dann hegte sie auch keinen weiteren Verdacht, dass zwischen ihr und Soval etwas gelaufen war. »Samel heißt sie übrigens«, sagte Hoshi dann. »Und sie ist wirklich sehr schön. Das Bild, welches er mir zeigte war es jedenfalls. Er liebt sie sehr, doch sie scheint furchtbar ernst und sie passt so gar nicht zu ihm. Ich fürchte einfach, dass seine wunderbaren Emotionen untergehen, um ihr gerecht zu werden.« Sie hatte Angst, dass seine Liebe zu Samel stärker war, als seine Liebe zur Religion und damit zu seinem wirklichen Selbst, auch wenn er auf Ran'Kashar etwas anderes behauptete.
»Das ist aber dennoch seine Entscheidung.«, gab ihr Sylvia zu bedenken und Hoshis Herz blutete.
»Sicher, aber es tut mir weh, wenn ich darüber nachdenke.« Sie seufzte nochmals und nippte an ihrem Glas. Zeit das Thema zu wechseln, sie wollte sich nicht länger unwohl fühlen. »Nun, du hast recht, es ist seine Entscheidung«, stimmte sie dann zu. »Erzähle - was war hier los, während ich weg war?«
Sylvia erkannte ihre Absicht und reagierte daher völlig unbeeindruckt auf den plötzlichen Themenwechsel. »Tja, deine neue Klasse habe ich kennengelernt. Sechsundzwanzig Schüler und alle sehr wissbegierig. Scheint ein netter Jahrgang zu sein.«
»Oh, ich werde sie bestimmt bald kennen lernen, denn wie ich David kenne setzt er mich hin und wieder ein, wenn Not am Mann ist und da freue ich mich auch drauf, denn sonst fällt mir hier die Decke auf den Kopf.«
»Ja komm nur rüber, wir können dich alle gut gebrauchen.« Sie hob den Zeigefinger. »Oh, bevor ich es vergessen. Das Malcolm mich zwei Wochen lang besucht hat, habe ich dir geschrieben, oder?«
Hoshi nickte. »Zumindest hast du im letzten Brief erwähnt, dass er sich angemeldet hatte.«
»Richtig er kam gleich nach Neujahr und er war ganz enttäuscht, weil du nicht hier warst, aber dafür hatte er ja mich und er hat dich sehr bedauert, weil du mit diesem alten Grießgram von Vulkanier unterwegs sein musstest.« Sie begann zu lachen. »Hat der vielleicht ungläubig geschaut, als ich ihm offenbarte, dass ihr sehr gut miteinander auskommt.«
Eine Hitzewelle durchflutete Hoshis Körper, denn Sylvias loses Mundwerk war oftmals schneller als ihr Verstand. »Ähm, du hast ihm aber nichts von meinen Schwärmereien erzählt, oder?«
»Nein, wo denkst du hin«, platzte es entrüstet aus ihr heraus. »Ich sagte ihm lediglich, dass sich Soval sehr gewandelt hätte und du sogar gerne mit ihm arbeiten würdest.«
Erleichterung was bist du schön!, formten Hoshis Gedanken. »Dann ist ja gut«, sagte sie anschließend laut. Offenbar reagierte Sylvia doch besonnener, als sie es vermute hatte. »Wo hat Malcolm eigentlich geschlafen? Ich war ja jetzt nicht da.«
»Ja bei … bei mir«, äußerte sie etwas kleinlaut, weil sie genau wusste, dass Hoshi darauf was sagen würde und sie behielt Recht.
Mit einem Mal umspielte ein ziemlich freches Schmunzeln Hoshis Lippen und erstaunlicherweise begann sich Sylvia nicht zu verteidigen. Sie blickte lediglich leicht lächelnd unter sich und wirkte ziemlich verlegen. Das kannte Hoshi gar nicht von ihr und es sagte ihr, dass etwas geschehen sein musste, was sie nicht mehr leugnen konnte. »Moment!« sagte sie dann mit einer gewissen Vorahnung. »Ist da etwa mehr zwischen euch gelaufen?« Das war das einzige, was ihre Reaktion erklärt hätte.
»Vielleicht«, gestand Sylvia dann und sah scheu auf. »Ich weiß auch nicht wie es passierte«, sprudelte es nun aus ihr heraus. Schließlich wollte sie es ja unbedingt Hoshi erzählen, auch wenn sie dafür die eine oder andere Bemerkung über sich ergehen lassen müsste. »Aber am ersten gemeinsamen Abend sind wir uns irgendwie näher gekommen und…« Es folgte ein verträumter Blick in die Luft, dann schmunzelte sie angetan. »… es waren jedenfalls zwei sehr schöne Wochen und seit dem stehen wir in regelmäßigem Kontakt«, offenbarte sie und Hoshi kam aus dem Staunen nicht mehr raus. Bemerkungen ließ sie allerdings nicht fallen, denn die konnten zur Folge haben, das Sylvia intensiver auf Soval zu sprechen kam und das wollte sie unter allen Umständen vermeiden … auch wenn es ihr eine diebische Freude bereitet hätte Sylvia jetzt aufzuziehen, weil sie sich immer so gegen Malcolm sträubte. Sie wusste schließlich schon lange, dass sie ein Auge auf ihn geworfen hatte, auch wenn sie es immer abstritt und vorgab, dass sie Sicherheitsleute nicht mochte. Sie waren in ihren Augen alle nur Machos. Vielleicht war es aber auch nur eine Schutzbehauptung, weil er sich ganz offensichtlich mehr für Hoshi zu interessieren schien, als für sie. Und jetzt ganz plötzlich hatte sich das Blatt gewendet. Wozu Hoshis Abwesenheit doch gut war. Vielleicht hätte sie das früher schon machen sollen? »Malcolm möchte übrigens in ein paar Wochen noch mal kommen.« Offenbarte Sylvia dann.
Hoshi zwinkerte ihr zu. »Ich schätze mal, dass ich dann mein Gästezimmer nicht herzurichten brauche, oder?« fragte sie nun und Sylvia lächelte noch immer etwas verlegen.
»Nein«, sagte sie leise. »Mein Schlafzimmer wird wohl genügen.«
»Dann hast du deine Abneigung gegenüber Sicherheitsleuten abgelegt?«
»Na ja, begeistert bin ich noch immer nicht, aber Malcolm hat einfach Charme.«, schwärmte sie sichtlich verliebt.
Hoshi gönnte ihr das Gefühl von ganzen Herzen, denn sie verstand ihre Freundin nur zu gut. »Schon erstaunlich, wie schnell die Herren der Schöpfung einen manchmal um den Finger wickeln, oder?«
Sylvia nickte zustimmend, wohl wissend, dass auch Soval über einen außerordentlichen Charme verfügte und ihn bei Hoshi mit Sicherheit genauso gezielt einsetzte, wie es Malcolm bei ihr tat. Sicherlich konnte sie Malcolm nicht mit Soval vergleichen. Alleine weil dieser viel älter und auch erfahrener war, darüber hinaus spielte er in ihren Augen in einer ganz anderen Liga. Doch Soval war sich seiner Wirkung auf Frauen sicherlich ebenso bewusst, wie Malcolm. Nicht umsonst war Hoshi so verliebt in ihn. Sie sah ihre Freundin an. »Sag mal«, wechselte sie dann das Thema, denn dass sie Malcolm gegenüber jetzt doch weich geworden ist, war ihr schon etwas peinlich. »Hat ein Vulkanier auch Macken? In den vier Monaten ist dir doch bestimmt was aufgefallen, was dich gewundert hat, oder sogar rasend gemacht hat.«
Hoshi hob die Brauen, doch dann lachte sie. Hier wollte wohl auch jemand sehr schnell das Thema wechseln. »Nun, Soval wäre wohl kein eigenständiges Individuum, hätte er keine Macken und manches hat mich auch wahnsinnig gemacht. Allerdings würde ich es nicht „Macken“ nennen. Es sind eher Eigenarten, die ihn mitunter auch ungeheuer interessant machen konnten.« Sie sah kurz unter sich und es zeigte sich Bedauern in ihren Gesichtszügen. »Doch versteh bitte, dass ich davon nichts preisgeben möchte, weil ich vieles als zu persönlich erachte, um es zu offenbaren.« Sylvia hatte Verständnis für ihre Zurückhaltung, auch wenn sie gerne eine paar Insiderfakten erfahren hätte. Eine Sache gab es allerdings, die Hoshi erwähnenswert fand und die sie auch bereits preisgegeben hatte. »Vielleicht kommt seine Leidenschaft fürs Kochen, dem am nächsten, was man als „Eigenart“ bezeichnen könnte. Immerhin hat er mich damit noch am meisten beeindruckt.«
»Ja, mich auch und ich dachte du machst Witze, als du mir das zum ersten Mal geschrieben hast.«
»Nein, es war mein voller Ernst«, versicherte Hoshi. »Aber tröste dich, auch ich dachte er macht Witze, als er mir morgens beim Frühstück offenbarte, dass er die nächsten Tage kochen wolle. Ich habe mich schon verhungern sehen, doch so wahr ich hier sitze: ich hab mich hinterher sehr gerne von seinen Gaumenfreuden verwöhnen lassen. Vor allem seine Salate - Sylvie, zum hineinknien!«
»Hat er dir verraten warum er überhaupt kochen kann oder hast du dich nicht getraut zu fragen?«
»Natürlich hab ich ihn gefragt und er teilte mir mit, dass er bisher immer auf eine Haushaltshilfe verzichtete, weil er es einfach nicht mochte, wenn sich fremde Personen in seinem Haus aufhielten. Er war daher auf seine eigenen, kulinarischen Fähigkeiten angewiesen. Mit einem Schmunzeln erklärte er mir dann, dass er in seinem eigenen Interesse recht schnell das Kochen erlern hatte.« Sylvia gackerte los, das konnte sie sich lebhaft vorstellen, schließlich war es ihr recht ähnlich ergangen. Nur zu ihrem Glück, gab es eine Hoshi, die diese Kunst schon beherrschte. Und diese strich sich nun wohlig über den Bauch. »Er hat wirklich verdammt gut gelernt und er hat auch mir noch einiges beigebracht.«
»Schön, ich engagiere dich. Jetzt wo ich vergeben bin, sollte ich auch ein paar Gerichte zaubern können, denn im Gegensatz zu Soval lässt Malcolm vermutlich sogar Wasser anbrennen. Soll heißen: Von ihm lerne ich jedenfalls nichts.«
»Nun, dann fangen wir doch gleich morgen mit dem Kochkurs an«, schlug Hoshi vor und stieß noch einmal mit ihrer Freundin an.
»Gute Idee«, sagte Sylvia dann lachend. »Du wolltest ja sowieso abnehmen« Hoshi rollte die Augen. So furchtbar würde das Essen schon nicht werden, dafür sorgte sie.
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast