Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Schwarzfeuer (Bergelfen III)

von SilviaK
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P12 / Gen
09.06.2013
18.06.2013
6
21.967
1
Alle Kapitel
2 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
 
09.06.2013 3.694
 
Felsenspringer achtete kaum auf den Weg. Mehr als einmal blieb er an dornigen Zweigen hängen, riß sich wütend von ihnen los und übersah sogar die frischen Spuren eines Rehrudels, die er normalerweise sofort verfolgt hätte. ‘Warum?’, fragte er sich immer wieder. ‘Warum ausgerechnet sie?’ Er blieb erst stehen, als der dichte Wald lichter wurde. Vor ihm ragte eine kahle Kiefer auf. Ihr Stamm war schwarz, ein Blitz hatte ihn entzweigespalten. Das helle innere Holz war gesplittert, sah aus wie eine Wunde.
Felsenspringer starrte den geborstenen Stamm an. Es stimmte, was sein Vater einmal sagte. Erkennen kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er hatte den Gedanken verdrängt, daß es auch ihn einmal treffen würde. Nie hatte er darüber nachdenken wollen.
Und nun war es geschehen. Schicksal. In einem Aufwallen von Zorn packte Felsenspringer einen abgebrochenen Ast und schleuderte ihn mit aller Kraft zwischen die Bäume. Ein Eichelhäher krächzte empört und flog davon, die Waldtiere mit lauten Rufen vor dem Eindringling warnend.
Seufzend ließ Felsenspringer sich unter dem gespaltenen Stamm der Kiefer nieder und lehnte den Kopf gegen das Holz. Er dachte an Windfeder, um die Fremde aus seinen Gedanken und Gefühlen zu vertreiben, an ihr Lächeln, ihren liebevollen Blick, ihre Wärme, wenn sie fest an ihn geschmiegt schlief. Warum durfte sie es nicht sein?! Windfeder, die beinahe an einem unvollendeten Erkennen zugrunde gegangen wäre, als ihr Seelenpartner starb. Sie waren schon so lange Lebensgefährten, daß er aufgehört hatte, die Sommer zu zählen. Die andere, deren Namen er nicht einmal kannte, hatte kein Recht auf diese Verbindung! Sie gehörte ja nicht einmal zu seinem Stamm!
Felsenspringer wußte, daß dieser Gedanke ungerecht war, schließlich konnte sich niemand den Erkenntnisgefährten aussuchen. Aber er war nicht in der Stimmung, fair zu sein.
Eine Elfe aus seinem eigenen Volk hätte er vielleicht akzeptieren können. Aber dieses schwarzhaarige Wesen? Sie war so anders als Windfeder. Wild wie ein Tier. Er erinnerte sich an die kraftvolle Ausstrahlung, die er im Moment des Erkennens gespürt hatte. Und an die seltsame Fremdheit in ihrem Inneren. Sie glich weder den Gleitern noch den Bergelfen. Es schien ihm fast, als wäre sie dem Wolf, der sie begleitete, näher als den Elfen. Unbehagen beschlich ihn. Nein, er irrte sich, mußte sich irren.
Grimmig starrte er den nadelbedeckten Waldboden an. Er hätte nicht an sie denken sollen. Schon wieder hing ihr Seelenname in seinen Gedanken. Gegen seinen Willen sah er sie vor sich, ihre energisch blitzenden Augen und ihren schlanken, kräftigen Körper. Wieder erwachte in ihm das Verlangen, sie zu berühren. ‘Geh aus meinem Kopf!’, schrie er ihr Bild an, ohne die Lippen zu öffnen, und preßte die Hände gegen die Schläfen.
Aber Hi’en ließ sich nicht aussperren.
Felsenspringer wußte nicht, was er tun sollte. Grübelnd blieb er unter der Kiefer sitzen, während die Sonne über den Baumwipfeln höher stieg. Bei den Bergelfen war es üblich, daß Erkenntnisgefährten als Lebensgefährten zusammenblieben. Und soweit Felsenspringer zurückdenken konnte, hatte es im Stamm keinen Lebensbund gegeben, der durch Erkennen auseinandergerissen wurde. Oft traf es Elfen, die sich schon füreinander entschieden hatten - oder nahm anderen die Entscheidung ab. Man akzeptierte es, lebte damit. Schicksal - eines, das gern angenommen wurde, weil es die Gewißheit für neues Leben in sich barg. Und oft eine besondere Art der Liebe.
Aber Felsenspringer konnte es weder hinnehmen noch dankbar dafür sein. Er wußte, daß Windfeder es nicht ertragen würde. Sie würde es vielleicht versuchen, würde lächeln und sogar freundlich zu der anderen sein, aber im Innersten darunter leiden, sie bei ihm zu sehen. Sie und das Kind, das aus dieser Verbindung entstehen mochte.
Ein erfülltes Erkennen für ihn - und für sie? Wieder die Erinnerung an den Tod, an die Leere, an der sie schon einmal fast zerbrochen war? Daran, daß sie nie selbst ein Kind bekommen konnte, weil ihr Seelenpartner zu früh starb?
Fraglich auch, ob die andere Windfeder akzeptieren würde.
Und er selbst die andere - wollte er doch niemanden außer Windfeder an seiner Seite.

Schwarzfeuer atmete auf, als der Jäger endlich die Lichtung verließ. Ihre Gefühle verwirrten sie, aber sie wollte sich nicht von ihnen überwältigen lassen. Sie bückte sich zu Stürmer, sah, daß er die Augen geschlossen hatte und mühsam atmete. Das Leder begann, sich rot zu färben. Vorsichtig löste Schwarzfeuer den Verband und legte neues Moos auf die Pfeilwunde. Wieder stieg Zorn in ihr auf. Der weiche Laut in ihrem Kopf konnte ihn nicht besänftigen.
‘Und ich glaubte, ich hätte meine Ruhe, wenn ich die Wolfsreiter für eine Weile verlasse’, dachte sie und verzog das Gesicht dabei.
In den letzten Monden war ihr einfach alles und jeder auf die Nerven gegangen. Vor allem Bärenkralle, ihr Anführer. Manchmal verstand sie ihn wirklich nicht. Da verbot er die Jagd in der Nähe des Menschenlagers und regte sich fürchterlich auf, weil sie ihm ein wenig zu nahe gekommen war - und dann brach er nach ein paar Handvoll Traumbeeren zuviel allein dorthin auf, um die Fünffinger gehörig zu ärgern.
Er war zwar ihr Anführer, den sie achten sollte, aber ein Heißblut und ein Spieler. Nicht nur mit den Menschen. Schwarzfeuer hatte ihm klargemacht, daß sie nichts für ihn empfand, unmißverständlich, wie sie dachte. Aber er schien ihre Ablehnung als Herausforderung zu betrachten. Sie hätte sich durch seine Wahl wohl geehrt fühlen sollen. Aber sie begann, sich unwohl zu fühlen, wann immer er in ihrer Nähe war. Irgendwann hatte sie kurz entschlossen ihr Bündel gepackt, Stürmer gerufen und das Lager am Vaterbaum verlassen. Für eine Weile, um Abstand zu gewinnen. Das war wohl auch für ihren werten Anführer das beste. Vielleicht fand er in der Zwischenzeit ein anderes ”Opfer”.
Oder - noch besser - erkannte jemanden.
Schwarzfeuer lachte freudlos. Man sollte vorsichtig sein mit seinen Wünschen, dachte sie zynisch. Manchmal erfüllten sie sich ein wenig anders als erwartet.
Sie blickte auf Stürmer, der langsamer atmete, schlief. Die Sorge um ihren Wolf schaffte es, den Gedanken an die braunen Augen des Jägers zurückzudrängen. Das Moos allein reichte nicht zur Heilung. Sie brauchte das Fieberkraut, das Entzündungen vorbeugte. Mißmutig blinzelte sie in das Tageslicht. Die Nacht war ihre Zeit, nach Sonnenaufgang schlief ihr Volk gewöhnlich. Aber obwohl ihr die Müdigkeit in den Knochen saß und eine seltsame Unruhe in den Gedanken, ging sie noch einmal in den Wald.
Es verging einige Zeit, bis sie Fieberkraut entdeckte. Zurück auf der Lichtung reinigte sie noch einmal Stürmers Wunde, die nicht mehr so stark blutete, und trug das zerriebene Kraut auf. Der Wolf schlief immer noch, er hatte sich während ihrer Abwesenheit nicht bewegt. Schwarzfeuer verspürte nicht einmal Hunger. Sie legte sich neben ihren Wolfsfreund, den Kopf auf das Bündel gebettet, kraulte sein Fell und schloß erschöpft die Augen. Aber jetzt, wo sie auf Ruhe hoffte, tauchte der Jäger wieder in ihren Gedanken auf. Rim ... Der weiche Laut pochte in ihrem Kopf. Schwarzfeuer kniff die Augen zusammen. Da war ihr ja Bärenkralle lieber, dem konnte sie ausweichen, wenn er lästig wurde. Aber dieses Sehnen, das ihr die Eingeweide zusammenzog, war beängstigend unkontrollierbar.
”Nein”, knurrte sie leise. ”Niemand zwingt mich zu etwas, das ich nicht will!”
Aber es dauerte lange, bis sie endlich Schlaf fand.

Lange hatte Felsenspringer unter der gespaltenen Kiefer gesessen, in der Hoffnung, den Gedanken an die fremde Elfe irgendwie aus seinem Kopf verbannen zu können. Aber der ließ ihm einfach keine Ruhe! Mit finsterer Miene entschied der Bergelf sich schließlich, den Heimweg zum Lager anzutreten. Doch seine Füße führten ihn statt dessen wie von selbst zu der Lichtung zurück, auf der er der Schwarzhaarigen begegnet war. Bestimmt war sie noch dort. Unmöglich, daß sie mit ihrem verletzten Begleiter weiterziehen konnte.
Kurz vor dem Waldrand zwang er sich, stehenzubleiben, und blickte durch das dünne Geäst der Sträucher. Die Fremde schlief, eine Hand im Pelz ihres Wolfes vergraben. Auch dieser regte sich nicht. Das Vertrauen und die Nähe zwischen den beiden erstaunte und befremdete den Bergelf zugleich.
Hi’en... sang es in seinem Kopf.
Nein, nicht schon wieder! Felsenspringer biß die Zähen zusammen und wollte sich vom Anblick der Schlafenden losreißen. Aber gleichzeitig verlangte ein Teil von ihm, ihr nahe zu sein. Außerdem wollte er plötzlich gern mehr über sie erfahren.
Felsenspringer befürchtete, daß sein Handeln die Entscheidung, die es zu treffen galt, mehr beschleunigte, als ihm lieb war. Aber da war er schon durch die Sträucher auf die Lichtung getreten. Das Denken folgte seinem Tun zur Zeit mit seltsamer Verzögerung. Leise näherte er sich der Elfe und dem Wolf, sah die entspannten Züge, die schwarzen Locken, die ihr in die Stirn fielen. Keine Spur von Wildheit und Zorn lag jetzt in ihrem Gesicht. Unwillkürlich lächelte er.
Und erstarrte, als der Wolf die Augen öffnete, ihn fixierte, feindselig und kalt. Ein wildes Knurren drang aus seiner Kehle.

Durch Stürmer aufgeschreckt fuhr Schwarzfeuer aus dem Schlaf. So knurrte ihr Wolf nur einen Feind an. Verflucht, gab es hier etwa auch Menschen?! Sie sah im Gegenlicht der Sonne eine große Gestalt, die kaum eine Speerlänge von ihnen entfernt stand, riß das Jagdmesser aus der Lederscheide und schnellte auf sie zu.
Felsenspringer konnte dem raschen Stoß gerade noch ausweichen. Mit hartem Griff umklammerte er ihrem Arm, überrascht und erschrocken zugleich. Er hörte, wie Stürmer drohend knurrte und trotz seiner Verletzung versuchte, auf die Beine zu kommen. Offenbar glaubte er seine Begleiterin in Gefahr.
*Hör auf! Willst du mich umbringen?!*
Schwarzfeuer erstarrte, als sie das unerwartete Senden hörte. Sie hob den Blick zu seinem Gesicht und nahm nun auch den vertrauten Geruch wahr. Der Bogenschütze! Seine Augenbrauen waren leicht zusammengezogen, während er sie ungläubig ansah, ihren Angriff nicht verstand.
Timmorns Blut, beinahe hätte sie ihn verletzt!
Das Messer entglitt Schwarzfeuers Hand und fiel ins Gras. Sie holte tief Atem.
”Du bist aber ganz schön nachtragend”, sagte der Jäger, als er seinen Griff löste und ihren Arm freigab. Ein wenig hastig, als hätte er Angst vor dieser Berührung.
Schwarzfeuer bückte sich, hob ihr Messer auf und schob es in die Scheide zurück, froh da-rüber, dem Blick des Jägers ausweichen zu können, damit er ihre betroffene Miene nicht sah. Das fehlte ja noch - sich bei ihm für etwas entschuldigen zu müssen!
”Ich hielt dich für einen Menschen”, sagte sie knapp, blickte zu ihrem Wolf und befahl ihm, sich niederzulegen. Stürmer sah sie skeptisch an, gehorchte aber und ließ Felsenspringer nicht aus den Augen.
Der Elf hob eine Braue. ”Hey, ich kann nichts dafür, daß ich so groß bin.”
Schwarzfeuers Blick verfinsterte sich, als sie seine leise Belustigung wahrnahm. ”Mach damit keine Scherze! Wenn die Fünffinger dich überraschen bist du tot!”
”Es gibt in diesen Wäldern keine Menschen.”
”Ich würde mich nicht zu sehr darauf verlassen”, knurrte die Elfe, die sich erst in diesem Moment der Schutzlosigkeit bewußt wurde, in der sie eingeschlafen war - mitten auf einer freien Lichtung, und das am hellichten Tag! Bärenkralle hätte sie für ihre Unachtsamkeit kopfüber in einen Baum gehängt. Seit sie in die Augen dieses Fremden geblickt hatte ging alles verquer!
Und jetzt lächelte er auch noch und sagte: ”In meinem Stamm werde ich Felsenspringer gerufen. Und wie ist dein Name?”
”Schwarzfeuer.” Sie kniff ein wenig die Augen zusammen. ”Was suchst du eigentlich schon wieder hier?!” fragte sie scharf, um zu verbergen, daß sie ihre Fassung noch nicht ganz wiedergefunden hatte.
Nun war es Felsenspringer, der verlegen aussah. ”Ich ... wollte wissen, wie es deinem Wolf geht”, antwortete er - nur ein Teil der Wahrheit, wie beide wußten.
”Er lebt, wie du siehst.”
Felsenspringer blickte zu Stürmer hinüber, der ihn aufmerksam beobachtete. Für ihn war er immer noch ein Feind. Felsenspringer war froh, daß der Wolf der Elfe aufs Wort gehorchte. Auf nahe Distanz und nur mit seinem Jagddolch hätte er nicht mit ihm kämpfen wollen. Nein, er wollte es überhaupt nicht. Er hatte schon überlegt, ob es nicht besser wäre, Luchsohr zu Hilfe zu rufen - doch der war im Berglager. Schließlich fragte er doch: ”Wird er es schaffen? Es gibt einen Heiler in meinem Stamm. Ich könnte ihn holen. Er wäre in zwei Tagen hier.”
Schwarzfeuer runzelte die Stirn, überrascht von dem Angebot und der Sorge um Stürmer in seiner Frage. Sie spürte, wie ihr Zorn auf Felsenspringer allmählich nachließ. Nein, er hatte wirklich nicht wissen können, was sie mit ihrem Wolfsfreund verband. Sie vergaß manchmal, daß Wölfe für alle, außer ihrem Stamm, Raubtiere waren, wild und gefährlich. Dann schüttelte sie den Kopf. ”Zwei Tage! Nein. Er braucht ein wenig Ruhe, aber er schafft es allein. Er war schon immer ein Kämpfer.”
Sie senkte eine Hand, um den Wolf zu streicheln, der wieder ruhiger geworden war und nun den Kopf auf die Vorderpfoten legte. Felsenspringer akzeptierte ihre Entscheidung - sie kannte ihren Freund am besten. Und es war ihm nicht unlieb - so mußte er den anderen wenigstens nichts erklären.
Gerade, als er den Blick wieder hob, trafen sich die Augen der beiden Elfen. Dunkelgrün wie Kiefernnadeln waren die ihren, von einem inneren Feuer erfüllt. Ein Feuer, daß in seinen Körper hinüberzugleiten drohte. Ein Kribbeln lief über seine Haut. Felsenspringer spürte, wie ihre Seelen sich einander näherten, die Verbindung vollenden wollten, gegen die sich beide am Morgen gewehrt hatten.
‘Nein! Sie hat kein Recht darauf!’, protestierte eine Stimme in seinem Kopf, während eine andere ihm zuflüsterte, daß es sowieso keinen Sinn hätte, sich dagegen aufzulehnen. Mit äußerster Anstrengung schloß er die Lider, wollte das Feuer, die Wildheit, das Verlangen aus seinem Geist und seinem Körper fernhalten, ehe sie wirklich Einzug in ihn fanden. Er wußte doch, daß es wieder passieren würde! Wieso war er so verrückt gewesen, hierher zurückzukehren?!
Schwarzfeuer kam gar nicht dazu, einen Gedanken zu fassen. Erst umfing sie die Wärme, die seine braunen Augen ausstrahlten, dann zerriß sein Wille im letzten Moment das Band, das zwischen ihnen wachsen wollte.
Aber nicht für lange Zeit, das war so sicher wie der Sonnenuntergang.
Schwarzfeuer zitterte leicht. Ein zweites Mal war sie abgelehnt worden, bevor überhaupt etwas geschah. Nicht, daß sie dieses Erkennen begrüßt hätte! Aber die Abwehr des Jägers verletzte sie auch - obwohl sie fühlte, daß er sich in einem Zwiespalt befand und nicht grundlos auf diese Art reagierte. Sie trat an Stürmers Seite zurück, den Blick finster auf den Elf gerichtet, der langsam die Augen öffnete, selbst am ganzen Körper zitternd. Seine Lippen formten ein lautloses Wort. Bevor er den Blick hastig zur Seite wandte, um einer Wiederholung dessen, was eben beinahe geschehen war, zu entgehen, fing Schwarzfeuer ein Gefühl auf, flüchtig wie das Streifen eines Blattes. Tiefe Zuneigung - doch nicht für sie -, an der er sich festhielt, um dem Ruf ihrer Seelen zu widerstehen.
”Du ... hast eine Gefährtin, richtig?”, fragte sie in plötzlichem Verstehen.
Bestürzung lag in seinem Blick, als er sich bewußt wurde, daß sie genau spürte, was in diesem Moment in ihm vorging. Dann plötzlich aufwallender Zorn. Er wollte sie nicht in seinem Kopf - nicht in seinem Herzen und nicht in seiner Seele!
”Ja, ich habe eine Gefährtin. Schon länger, als du überhaupt auf der Welt bist! Und es paßt mir nicht, daß sich jemand auf diese Art in unser Leben drängt!”
”Und was ist mit dir und meinem Leben?” Trotzig hob Schwarzfeuer den Kopf und funkelte den Jäger an. ”Denkst du etwa, ich hätte dich erwählt? Du hast ja nicht mal einen Wolf!”
Felsenspringers Augen verengten sich. Ihr verächtlicher Tonfall gefiel ihm nicht. Aber ein offenes Senden, nicht sehr weit entfernt, hielt ihn von einer bissigen Antwort ab:
*Felsen! Wo steckst du?*
”Wer ist das?”, fragte die Schwarzhaarige mißtrauisch.
”Ein Freund von mir.”
Sie zog die Oberlippe hoch - wie ein Wolf, der die Zähne fletscht, dachte der Bergelf unwillkürlich. Und wie ein Knurren klang auch ihre Stimme: ”Dann geh doch! Na los, geh zu ihm! Ich bin gespannt, wie lange du es aushältst, dich dem Erkennen zu widersetzen!”
”Länger als du!”, fauchte Felsenspringer, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand zwischen den Sträuchern. Ein zweites Senden seines Freundes wies ihm den Weg. Erst nach mehreren Dutzend Schritten beruhigte er sich langsam und wünschte sich, er hätte am vergangenen Abend genausoviel Blaubeerwein wie Zwei Raben getrunken. Dann wäre er auch erst nach dem Mittag aufgewacht - mit schwerem Kopf zwar, aber ohne Probleme.

Zwei Raben lächelte, als er die Zweige eines Nußstrauches beiseite bog und zu seinem Jagdgefährten trat. Er war etwas älter als sein Freund und einen halben Kopf kleiner - aber das mochte nicht viel heißen, denn Felsenspringer überragte alle in ihrem Stamm.
Zwei Raben stütze sich auf seinen Speer und fuhr sich mit der Hand durch das kurze, schwarze Haar. Sehr munter sah er immer noch nicht aus, obwohl es schon auf Mittag zuging.
”Bist du schon lange wach?”, wollte er wissen. ”Oh je, mir brummt vielleicht der Schädel.” Er grinste, erwartete eine passende Antwort von Felsenspringer, doch der reagierte gereizt: ”Soll ich dich jetzt bemitleiden? Du warst es doch, der gestern abend von Blausterns Getränk nicht genug kriegen konnte.”
Die Erinnerung an die Beinahe-Verbindung mit Schwarzfeuer brannte in Felsenspringers Kopf. Und ihre Worte ärgerten ihn immer noch. Am liebsten hätte er kehrtgemacht, um mit seinen Gedanken allein zu sein. Ihm war weder nach Reden noch nach Scherzen zumute.
Zwei Raben runzelte die Stirn, verwundert über den ungewohnt ruppigen Ton seines Freundes. ”Wo warst du denn die ganze Zeit?”
”Bei der Hirschfährte. Ich habe es dir gesagt, bevor ich losging.”
Zwei Raben versuchte sich zu erinnern, gab es auf und hob die Schultern. ”Dann bin ich wohl wieder eingeschlafen, bevor ich es mir merken konnte. War sicher auch besser so. Ich hätte sonst alles andere getroffen - nur nicht den Hirsch.” Jetzt wurde ihm auch klar, weshalb Felsenspringer mit dieser schlechten Laune herumlief. ”Kein Glück gehabt?”, erkundigte er sich.
Felsenspringer verzog das Gesicht. ”Frag bloß nicht! Ich hätte beinahe einen Wolf ...” Abrupt verstummte er.
”Einen Wolf?” Die Augen des Älteren weiteten sich. ”Du hast ihn nicht erwischt?”
‘Doch, hab ich!’, dachte Felsenspringer. Mit einem unbehaglichen Gefühl erinnerte er sich an den Pfeil in Stürmers Kehle. ”Nein! Er war zu schnell”, antwortete er und starrte dabei die hellbraunen Nüsse zwischen den Blättern an. Wunderbar - nun fing er auch noch an, seinen Freund zu belügen. Aber was sollte er tun? Diese Sache ging nur ihn und Schwarzfeuer etwas an. Er hatte keine Lust, Zwei Raben darüber aufzuklären. Das Durcheinander in seinem Kopf war so schon groß genug.
”Ich hasse Wölfe”, knurrte Zwei Raben, der sich an seine Begegnung mit einem ausgehungerten Tier im letzten Neugrün erinnerte. Nur der gutgezielte Speer ihres Anführers Nachtauge hatte ihn gerettet. ”Aber gegen einen neuen Winterpelz hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Schade.”
‘Bloß gut, daß sie das jetzt nicht gehört hat’, dachte Felsenspringer. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie Schwarzfeuer darauf reagiert hätte - mit beiden Wurfdolchen zugleich.
”Laß uns nach den neuen Fallen sehen, die Klinge ausgelegt hat”, schlug er vor, um Zwei Raben gar nicht erst auf den Gedanken zu bringen, die Lichtung aufzusuchen. ”Bin gespannt, ob sie so viel taugen, wie er behauptet.”
”Er fängt immerhin etwas darin”, sagte Zwei Raben, während er den Speer wieder aufnahm.
Klinge, der Lebensgefährte von Blaustern, der Brennerin, war nicht der Geschickteste, wenn es um die Jagd mit Bogen oder Speer ging. Er baute diese Dinge lieber - oder legte Schlingfallen aus, wie auch vor zwei Tagen, als die beiden Freunde sich von den anderen Jägern trennten, um hier ihr Lager aufzuschlagen. Sie waren so gut im Wildwuchs des Waldes verborgen, daß Zwei Raben und Felsenspringer schon genau hinsehen mußten, um die Stellen wiederzufinden.
Felsenspringer fiel es schwer, sich auf seine Umgebung zu konzentrieren, weil er immer noch die fremde Elfe im Kopf hatte, aber es gelang ihm, sich davon nichts anmerken zu lassen.
In Klinges Fallen hatten sich nur Kleintiere gefangen - zwei Waldhasen und ein grauweißer Erdwühler. Die Bergelfen sammelten die Beute ein, und Felsenspringer bemerkte mißmutig: ”An diese Art zu jagen werde ich mich nie gewöhnen. Ich mag es nicht, nur darauf zu warten, daß sich etwas in die Schlingen verirrt. Ein sicherer Pfeil ist mir lieber.”
Zwei Raben zog die versteckten Riemen der letzten Falle hervor und wickelte sie auf. ”So viel anders ist es im Grunde der Sache gar nicht. Man muß den Weg und die Eigenarten des Wildes kennen. Entweder folgt man ihm und erlegt es mit eigener Hand - oder richtet es so ein, daß es sich selbst fängt.” Er lachte leise. ”Einsammeln geht auf jeden Fall schneller.”
Felsenspringer musterte seinen Freund mit einer Mischung aus Befremden und Überraschung. ”Wirst du jetzt auch noch Fallensteller? Du redest schon fast wie Klinge. Hey, wo ist mein alter Jagdgefährte geblieben?”
”Der steht neben dir. Komm, wir tragen unsere Beute ins Lager, und dann legen wir uns noch einmal auf die Lauer. Das, was wir bis jetzt zusammenhaben, wird sich in den Vorratshöhlen für den Winter etwas mager ausnehmen. Dein Hirsch dazu wäre nicht schlecht.”
Der Hirsch - die Lichtung - Schwarzfeuer!
Felsenspringers Grinsen gefror. Sein Herz begann, schneller zu schlagen. Wie um alles in der Welt sollte er Zwei Raben noch einmal davon abhalten, der Lichtung einen Besuch abzustatten? Und wie - das vor allem - sich selbst?
Der Zufall kam ihm zu Hilfe. Auf dem Rückweg zum Lager kreuzten sie die frische Spur eines Rehrudels. Felsenspringer und Zwei Raben beeilten sich, ihre Beute in den Ästen eines Baumes festzubinden und zu tarnen, dann folgten sie der Fährte. Das war etwas anderes als das Einsammeln von Tieren aus Klinges Fallen, ging es Felsenspringer durch den Kopf. Das eigene Können gab den Ausschlag, nicht nur das Glück. Jäger und Wild waren sich in gewisser Weise ebenbürtig. Beide hatten eine Chance - Treffer oder Flucht.
Das kleine Rudel hatte sich in einen lichten Teil des Waldes zurückgezogen und döste im Halbschatten. Zielsicher trafen Pfeil und Speer. Als zwei der Tiere zusammenbrachen, flohen die übrigen.
”Dein Hirsch hat Glück”, sagte Zwei Raben bedauernd. ”Mehr können wir sowieso nicht tragen.” Sein Blick suchte die Sonne, die sich allmählich den Baumwipfeln zu nähern begann. ”Wir schaffen es noch bis zum Jagdlager, wenn wir uns beeilen. Ich bin neugierig, wieviel die anderen erlegen konnten.”
Felsenspringer stimmte ihm zu. Obwohl es ihm einen schmerzhaften Stich gab, behielt sein Wille die Oberhand. Je weiter er von Schwarzfeuer entfernt war, desto besser. Sie konnte nicht fortziehen, bis ihr Wolfsfreund sich etwas von der Verletzung erholt hatte. Bis morgen, wenn Felsenspringer und Zwei Raben zurückkehrten, würde er Zeit haben, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen, was diese neue Verbindung betraf.
Das hoffte er jedenfalls.
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast