Grippeviren, Smoothies & Assassinen
von Manni
Kurzbeschreibung
Shaun hat sich die Grippe eingefangen...von wo, weiß allerdings keiner. Also beschließt Desmond, trotz fehlender Medizinkenntnisse, ein wenig auf ihn aufzupassen und wendet dabei die eine oder andere, etwas unorthodoxe, Methode an...
GeschichteFreundschaft / P12 / Gen
Desmond Miles
Lucy Stillman
Rebecca Crane
Shaun Hastings
24.05.2013
24.05.2013
1
7.984
2
24.05.2013
7.984
Hi :D
Nach langer Zeit hat die Muse mir mal wieder eine kreative Phase gegönnt...und das kleine Werk hier ist daraus entstanden :) Es gibt viel zu wenig gute Fanfics zu Shaun und Desmond, deswegen wollte ich auch mal meinen Beitrag dazu steuern...und das, ohne dass die beiden zu einem Liebespärchen gemacht werden. Als Freunde kann man sie hier vielleicht auch noch nicht bezeichnen, aber allemal als Kollegen ;]
Ich habe die Wohnsituation unserer vier Lieblingsassassinen ein wenig umgeändert...aber ich hoffe, das fällt nicht zu sehr ins Gewicht :)
Nun, ich wünsche allen (Schwarz-)Lesern viel Spaß und freue mich auf Kommentare :D
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Für einen kurzen Moment hatte Desmond das Gefühl, seine Augen arbeiteten nicht mehr richtig. Er blickte sich um, konnte aber nur Schemen erkennen. Er stöhnte.
„Desmond? Kannst du mich hören? Desmond?“
Zuerst drangen nur Bruchstücke an sein Ohr aber nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit war er endlich wieder in der Realität angekommen und konnte die beiden Kolleginnen auch wieder scharf erkennen. Vorsichtig setzte er sich auf, legte eine Hand an die Stirn. Und nickte auch leicht auf die Fragen hin, ob es ihm denn gut ginge und ob er noch wusste, wer er war.
„Du solltest dich ausruhen, Desmond. Du warst schon wieder viel zu lange im Animus. Wir konnten dich kaum lösen.“, erklärte Lucy besorgt.
„Mir geht’s gut. Hab nur Kopfschmerzen, wie immer.“, brummte der Neuzeitassassine gestresst. Mit Rebeccas Hilfe schaffte er es problemlos, sich wieder auf die Beine zu arbeiten und streckte sich. Seine Gelenke knackten protestierend, aber das war er ja inzwischen gewohnt.
„Der Animus ist auf die Dauer echt unbequem. Kann man da nicht irgendwie noch eine Massagematte mit einbauen oder sowas?“
Rebecca legte doch tatsächlich den Kopf schief, überlegend, ob ihr Freund sie gerade verarschen wollte oder nicht. Aber die Idee erschien ihr nicht einmal schlecht.
„Ich denk darüber nach, okay? Das sollte sich eigentlich machen lassen.“
Desmond machte ein paar Schritte vorwärts, blickte sich um. Und merkte erst jetzt, dass irgendetwas anders war als sonst.
„Wo ist Shaun?“, fragte er sofort, den zynischen Kollegen vermissend, der ihn sonst so gern mit einem bösen Spruch über seine physische Ausdauer begrüßte.
„Der ist in seinem Zimmer. Ihm geht’s nicht so gut, er hat sich wohl einen Grippe eingefangen. Wir haben ihn heute Morgen wieder ins Bett geschickt.“, erklärte Rebecca schließlich, die jetzt wieder ihren Platz hinter dem Computer eingenommen hatte und deutete mit dem Kinn ein Nicken in Richtung Ausgang an. Desmond runzelte erstaunt die Stirn.
„Wovon soll man denn hier drinnen bitte die Grippe kriegen?“, murmelte er nur ungläubig vor sich hin, zuckte dann aber die Schultern und verabschiedete sich mit den Worten, sich was zu essen zu holen und dann auch schlafen zu gehen.
Die frische Nachtluft war wirklich angenehm. Es war nicht kalt, aber Desmond fühlte schon nach ein paar Schritten, wie das ständige Pochen in seinem Schädel langsam erträglicher wurde. Er brauchte wohl einfach mehr Bewegung, wenn er nicht jeden gottverdammten Tag mit einem Brummschädel aus dem Animus zurückkommen wollte.
Es war nur ein kleiner Spaziergang von fünf Minuten, bis er schließlich ihr Häuschen erreichte. Sie bewohnten zu viert eines der wenigen noch halbwegs bewohnbaren Originalhäuser aus dem sechzehnten Jahrhundert und Lucy hatte es sogar wieder recht gut hinbekommen in der ersten Woche, einige Stromkabel sorgten dafür, dass sie den mobilen Kühlschrank benutzen konnten und auch ein Schreibtisch für Shauns Laptop war bereitgestellt worden. Der Brite trennte sich ja nur furchtbar ungern von seiner Arbeit, Desmond hatte schon oft genug miterlebt, wie sein Kollege auch mitten in der Nacht auf seiner Liege noch am arbeiten war.
Ansonsten hatten sie dort nur ihre Liegen aufgeschlagen, ein paar Stühle und zwei Sessel auf jeder Etage, einen kleinen Esstisch und sogar die uralte Toilette (obwohl man es eher als ein Plumpsklo bezeichnen sollte, fand Desmond) war wieder funktionstüchtig, nachdem Lucy das Rohr zur Kanalisation wieder frei geschaufelt hatte. Das ehemalige Badezimmer war auch wieder gut hergerichtet mit einer provisorischen Dusche, die ihr Wasser aus den Regentonnen bezog und mit einem uralten Heizsystem anwärmte. Alles in allem war das Häuschen jetzt sogar ganz gemütlich. Er teilte sich mit Shaun die untere Etage und Rebecca und Lucy hatten ihr Lager im oberen Stockwerk aufgeschlagen. Wenn die Frauen natürlich das Bad benutzen wollten, mussten sie schon nach unten kommen, aber das störte niemanden.
Die stickige Luft drang Desmond sofort in die Nase, kaum dass er eintrat. Rasch setzte der Assassine einen Schritt weiter in die Dunkelheit und langte nach dem Lichtschalter, um den Raum zu erleuchten. Und erst in der plötzlichen Helligkeit fand er seinen Kollegen, der am anderen Ende des Raumes auf seiner Liege lag, schlafend, die Decke fast vollständig weggestrampelt.
Routiniert schritt Desmond durch den Raum, holte sich einen Salat und eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Esstisch. Nahm die ersten Bisse und seufzte leise auf.
Mit nachdenklich geschlossenen Augen stützte er den Kopf auf der offenen Handfläche ab, döste müde vor sich hin.
//Hmm…nicht schlafen, erst essen…//, schalt er sich nach wenigen Minuten selbst, nachdem sein Kopf unsanft zur Seite gerutscht und beinahe mit der Tischplatte kollidiert wäre. Er gähnte müde und streckte den Rücken. Schob sich wieder eine gut gefüllte Gabel zwischen die Zähne.
Und erst dann ließ er den Blick schweifen, stoppte schließlich bei seinem kranken Zimmerkameraden.
Shaun trug wie immer sein schwarzes T-Shirt und Boxershorts, aber heute schlief der Brite sehr unruhig. Normalerweise war er ein ruhiger Schläfer, das wusste Desmond, schließlich hatte er selbst nur einen leichten Schlaf und wachte schnell auf, wenn es um ihn herum laut wurde. Aber Shaun schlief normalerweise wie ein Stein und bewegte sich auch genauso wenig bis zum nächsten Morgen. Heute jedoch wälzte sich der Brünette von einer Seite auf die nächste, stöhnte manchmal leise, dann und wann erzitterte sein Körper. Es war wirklich ungewohnt, den anderen so zu sehen.
„Hm…“
Aber Desmond dachte sich eigentlich nichts dabei. Er selbst war soweit er sich erinnern konnte noch nie wirklich schlimm krank gewesen und allein zurechtgekommen war er auch immer. Also würde das bei seinem Kollegen wohl auch so sein.
Rasch beendete er seinen Salat und stürzte auch das Bier herunter, dann entledigte er sich seiner Hose und stieg nur mit T-Shirt und Boxershorts in sein eigenes Bett.
Desmond wusste nicht, zum wievielten Male er in dieser Nacht nun eigentlich schon aufgewacht war. Er war bei den nervtötenden Nebengeräuschen von Shaun irgendwann immer mal wieder eingeschlafen, aber nie für lange.
„Verdammte Scheiße!“
Selten war der Neuzeitassassine wirklich genervt, aber heute war einer der wenigen Tage – bzw. Nächte, wenn man es genau betrachtete, – wo er wirklich Morde begehen könnte, nur um seine Ruhe zu haben. Schnaufend schwang er die Beine aus dem Bett und blickte im schwachen Dämmerlicht der Kerze in der Mitte des Zimmers zu seinem Kollegen herüber.
Die Bettdecke lag inzwischen komplett auf dem Boden. Shaun lag auf dem Rücken und gab bei jedem Atemzug ein leises Röcheln von sich, manchmal hustete er stark im Schlaf, japste dann atemlos nach Luft. Es war ein Elend, ihm zuzuhören.
„Verdammt, du hörst dich an, als wenn du gleich abkratzt!“, brummte Desmond verstimmt. Aber so langsam begann er sich wirklich Sorgen zu machen. Er konnte sich nicht erinnern, dass er je bei Erkältungen mit Atemnot zu kämpfen gehabt hatte, also sollte er vielleicht doch besser mal nachsehen. Nicht, dass Shaun wirklich Hilfe brauchte und er war zu unbedarft, um es überhaupt zu bemerken, obwohl sie sich einen Raum teilten.
Rasch hatte er also die wenigen Meter überwunden und sank neben dem Schlafstatt des Briten in die Knie.
Shaun war weiß wie eine Leiche, das war das erste, was Desmond trotz des schlechten Lichts auffiel. Zwar waren die Wangen des Briten stark gerötet und die Nase ebenso, aber hinter dieser Röte war der kräftig gebaute Mann leichenblass. Und er röchelte, als wenn er kaum Luft bekommen würde.
„Hrm…“
Zögerlich legte Desmond eine Hand auf die durchgeschwitzte Stirn. Sein Blick verdunkelte sich.
„Das Fieber ist ziemlich hoch. Und er schwitzt wie ein Springbrunnen.“
Ein kurzer, abschätzender Blick bestätigte seine Vermutung. Shaun hatte es wohl wirklich richtig übel erwischt. Desmond überlegte, was er wohl machen sollte. Er selbst hatte wenig Erfahrung mit Fieber, aber er wusste, dass er mit Medikamenten und viel Ruhe eigentlich schnell immer wieder gesund geworden war. Also schlich er sich kurz raus auf den kleinen Marktplatz und begann in dem Laster nach dem Medipack zu kramen, wusste er doch, dass dort alle möglichen Medikamente gelagert waren. Und tatsächlich, nach nur wenigen Minuten hatte er die Paracetamol Packung in der Hand und machte sich wieder auf den Rückweg.
//Ah…da fällt mir ein, es soll doch auch helfen, wenn man die Stirn mit nem kalten Lappen kühlt…//
Ja, das war wohl eine gute Idee. Rasch durchsuchte er den Laster nach einer Schale und füllte diese dann mit möglichst kaltem Wasser auf. Ein kleines Handtuch war auch schnell gefunden.
Nachdem er alle Utensilien hatte, setzte er sich wieder neben Shauns Schlafstatt und strich erneut über dessen verschwitzte Stirn. Der Brite zuckte zusammen, ein verschleiertes Paar rehbrauner Augen blickte ihn an. Aber Desmond erkannte sofort, dass der andere ihn nicht wirklich sah. Er fokussierte ihn nicht an. Wahrscheinlich merkte der Brünette in seinem Fieberdelirium nicht einmal, dass er überhaupt wach war.
„Hey, ich hab dir Tabletten mitgebracht. Du solltest eine nehmen, dann geht’s dir bald besser.“, murmelte Desmond, unsicher, wie er den anderen dazu bringen sollte, diese auch einzunehmen. Shaun stöhnte nur leise, schloss wieder die Augen und brach in einen gequälten Hustenkrampf aus. Sofort war Desmond zur Stelle und legte vorsichtig eine Hand unter Shauns Nacken, half dem anderen so, den Kopf etwas anzuheben, um besser Luft zu bekommen. Und es half, der Brünette beruhigte sich bald wieder und atmete stockend weiter.
Und Desmond wusste immer noch nicht weiter. Er brummte leise vor sich hin, unterdrückte ein Gähnen und fasste dann doch den Entschluss, es einfach zu versuchen. Er hoffte nur, dass Shaun sich in diesem geschwächten Zustand nicht an der Tablette verschluckte, das konnte dann nämlich ziemlich böse ausgehen.
Vorsichtig rückte er ein Stück näher an den anderen heran, richtete ihn langsam auf, sodass er einen Oberschenkel hinter den Rücken seines Kollegen stemmen konnte, um ihn so aufrecht zu halten. Er entschied sich dafür, die Tablette am besten im Wasserglas aufzulösen, also zerbiss er sie und mischte die dadurch entstandenen Krümel dem Wasser zu, wartete dann geduldig, bis sich die Medizin zum größten Teil im Wasser aufgelöst hatte.
„Ich geb dir jetzt was zum Trinken, also pass auf, dass du dich nicht verschluckst, okay?“
Desmond fühlte sich ein bisschen, als würde er mit einem kranken Kind reden. Shaun war zwar nicht bei vollem Bewusstsein, aber er schien zu merken, dass er nicht allein war, er nickte leicht und stöhnte. Obwohl er versuchte, die Augen offen zu halten, fielen sie ihm immer wieder zu, sein Kopf sackte ebenfalls immer wieder weg.
In der einen Hand hielt Desmond das Glas, die andere umfasste jetzt sanft Shauns Kinn und hob es an. Bedeutete dem anderen, den Mund ein wenig zu öffnen, damit er ihm das Wasser einflößen konnte. Und obwohl er nicht wirklich damit gerechnet hatte, dass der Kranke reagierte, öffneten sich die Lippen einen Spaltbreit und Desmond half ihm dabei, ohne möglichst viel zu kleckern, das Glas zu leeren. Was auch mit einigen geduldigen Pausen schließlich gelang.
Ebenso vorsichtig ließ Desmond den anderen wieder zurücksinken und half ihm, sich bequemer hinzulegen, dann tauchte er das Tuch ins Wasser und legte es auf Shauns erhitzte Stirn. Der Brite stöhnte wohlig ob der angenehmen Kälte.
„Besser so?“
Ein müdes Nicken war schon Antwort genug. Desmond bemerkte, dass sich ihm bei dem Gedanken daran, dass es dem anderen jetzt hoffentlich bald ein wenig besser gehen würde, ein kleines Lächeln auf die Lippen schlich.
Ein paar Minuten saß Desmond schweigend da, beobachtete den anderen beim Schlafen. Shaun atmete noch nicht wirklich wieder ruhiger, oft genug hustete er unterdrückt, einmal war er kurz davor gewesen, seinen wenigen Mageninhalt wieder zu erbrechen. Desmond konnte die Sorge, die er so langsam fühlte, kaum unterdrücken.
„Du bist total durchgeschwitzt.“, flüsterte er an sich selbst gewandt, hauchzart strichen seine Fingerspitzen über das feuchtnasse schwarze T-Shirt. Shaun bemerkte es nicht. Desmond war sich nicht sicher, ob es nicht besser wäre, dem anderen ein neues T-Shirt anzuziehen. Einerseits konnte er sich denken, dass es unangenehm war, in durchgeschwitzten Klamotten zu schlafen, aber andererseits…
Die Gänsehaut und das leichte Schaudern, das Shauns nackte Oberarme überzog, als Desmonds Atem über den klammen Stoff strich, wischten schließlich sämtliche Argumente, die gegen neue Klamotten sprechen könnten, einfach weg. Rasch war der Assassine auf den Beinen und zog wahllos eines der wenigen T-Shirts aus Shauns Koffer, ohne sich anzuschauen, was er da überhaupt in den Händen hielt.
„Ich schätze, du solltest ihn vorher erst noch trocken wischen, sonst wär deine noble Geste ziemlich kontraproduktiv, oder?“
Der Assassine sah auf, nicht beunruhigt dadurch, dass er Rebeccas Eintreffen nicht bemerkt hatte. Die schwarzhaarige Frau stand am Fuße der Treppe, ein dunkelroter Bademantel verdeckte ihren Schlafanzug. Er nickte nachdenklich.
„Stimmt, da hast du wohl Recht.“
„Warte, ich helfe dir.“
Ohne auf sein Einverständnis zu warten, war sie neben ihm und nahm die Wasserschale in die Hand. Schnappte sich außerdem noch ein zweites, trockenes Handtuch.
Gemeinsam war es kein Problem, den Kranken aus seinem feuchten Oberteil zu bekommen, aber sie mussten immer wieder kurz inne halten, wenn sie das Gefühl hatten, Shaun bekäme nicht mehr genug Luft. Der Ärmste war ziemlich kurzatmig, Rebecca erklärte selbst ohne einen fachmännischen Blick, dass seine Nase wohl verstopft und die Schleimhäute stark angeschwollen waren. Deshalb röchelte der Brite auch so mitleiderregend. Und Desmond nickte anerkennend. Er beschloss, sich demnächst mal etwas schlauer zu machen über solche Krankheiten, damit er demnächst nicht ganz so tölpelhaft versuchte, einem Kranken zu helfen.
„Ich übernehme jetzt wieder. Danke für die Hilfe.“
Sein Ton war emotionslos, aber ein dankbarer Unterton schwang darin mit. Rebecca nickte und verabschiedete sich wieder leise, wies ihn aber darauf hin, dass er sie rufen sollte, wenn er Hilfe brauchte. Und Desmond versprach, daran zu denken.
Eine ganze Weile betrachtete er schweigend den Schlafenden. Shauns Atem ging allmählich etwas regelmäßiger, aber noch nicht wirklich tiefer. Er hoffte, dass die Tabletten zumindest halfen, seine Schleimhäute etwas abzuschwellen, sonst würde er wohl die ganze Nacht lang aufpassen müssen, dass sein Kollege nicht einfach irgendwann erstickte.
Aber vorher galt es, ihm zumindest im Thema Hitze ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Langsam strich er mit dem kühlen Lappen über den flachen Bauch, bemerkte dabei eher nebensächlich, dass der Hacker trotz seiner wenigen Bewegung doch recht durchtrainiert war.
//Wann trainiert der eigentlich? Allein vom Rumsitzen behält man doch niemals eine derart durchtrainierte Figur…//
Eine angenehme Gänsehaut zog sich von den Schultern abwärts bis zum Bund der Boxershorts und von dort aus weiter bis zu den Füßen. Desmond konnte es praktisch beobachten, Shaun seufzte wohlig unter dieser Berührung auf. Es war ihm nicht unangenehm, die nackte Haut seines Kollegen zu berühren. Shaun war ein Mann, und er war krank. Außerdem war er weder hässlich noch irgendwie überwältigend sexy. Er war einfach…Shaun. Also fuhr der Barkeeper mit seiner Arbeit fort, stetig beobachtend, wie der andere sich entspannte.
Und spätestens nachdem die nun etwas gekühlte Haut wieder trocken gerieben worden war, sah Desmond sich vor dem Problem, dem anderen das T-Shirt wieder anziehen zu müssen. Aber er entschied sich dagegen. Stattdessen hob er die Bettdecke wieder auf und breitete sie über dem Schlafenden aus, stopfte die Ränder vorsichtshalber unter die Matratze, damit Shaun sie nicht wieder einfach wegstrampeln konnte.
„Okay, ich hoffe, jetzt schläft er ruhiger“
Ein paar letzte prüfende Blicke, aber nun schlief Shaun wirklich etwas ruhiger. Er röchelte und japste zwar immer noch leicht atemlos, aber Desmond glaubte zu erkennen, dass es bereits etwas besser geworden war.
„Ich schätze, ich leg mich noch ein Weilchen hin.“ Desmond gähnte und streckte sich leicht, hatte aber wirklich vor, noch etwas zu schlafen. Er traute seinem leichten Schlaf so weit, dass er aufwachen würde, sollte Shaun wirklich in gefährliche Atemnot kommen. Und dann würde er ihm helfen können, da war er sich sicher. Also sollte er versuchen, zumindest ein wenig Schlaf zu finden diese Nacht.
Die Nacht verlief soweit verhältnismäßig ruhig. Desmond war wie erwartet mehrmals wach geworden, einmal war er gerade noch rechtzeitig zur Stelle gewesen, als Shaun sich gequält übergeben hatte und ohne seine Unterstützung wahrscheinlich auch daran erstickt wäre, aber sonst gab es in dieser Nacht keine weiteren Zwischenfälle. Zwei weitere Male hatte Desmond dem anderen mit dem kühlen Lappen etwas Entspannung gegönnt, und als auch die Bettdecke hoffnungslos nassgeschwitzt gewesen war, hatte er einfach eine der Ersatzdecken geholt und ausgewechselt.
Und irgendwann kurz vor Sonnenaufgang schließlich war er tief und fest eingeschlafen. Er hatte es im Laufe der Stunden nicht einmal mehr wirklich registriert, aber er hatte nur einschlafen können, weil Shauns Atem sich langsam wieder normalisiert hatte und somit der bis dato unruhige Geräuschpegel legte. Und als die Sonne aufging, schliefen beide Männer wie Babies, wachten nicht einmal auf, als Rebecca und Lucy im Zimmer standen und leise flüsternd überlegten, ob sie denn nun die Weckaktion ausführen sollten oder nicht.
Aber letztendlich entschieden sie sich doch dagegen.
„Es scheint Shaun ja schon wieder besser zu gehen. Und Desmond kann auch mal wieder etwas Schlaf vertragen.“, meinte Lucy noch, bevor sie leise zum Versteck zurückgingen. Sie würden ihre Arbeit weiter erledigen. Und währenddessen drauf warten, dass die beiden Kollegen ihren Schönheitsschlaf beendeten und auch wieder arbeitstüchtig wurden.
Die Hitze war mehr als unangenehm. Shaun stöhnte rau, bewegte sich schwach und wollte die heiße Decke von sich herunter schieben, aber selbst dafür war er zu schwach. Außerdem konnte er sich kaum bewegen. Die Bettdecke hatte sich um ihn gewickelt wie ein Schlafsack.
Ein trockener Reizhusten schlich die ausgetrocknete Kehle hinauf, ließ den Briten gequält husten. Sein ganzer Körper begann zu beben unter der unerwarteten Anstrengung.
Aber dann war da plötzliche eine kühle Hand auf seiner Stirn und eine bekannte Stimme, die ihm beruhigende Worte zuflüsterte. Er seufzte leise.
„Das Fieber ist ein wenig gesunken. Gut.“
Shaun öffnete nicht die Augen, wusste er doch, dass ihm dann nur wieder schwindelig werden würde. Er schmiegte sich genießerisch gegen die kühle Hand, versuchte möglichst flach und gleichmäßig zu atmen. Kümmerte sich nicht darum, an wessen Hand er sich gerade schmiegte. Er wollte nur spüren, dass er nicht allein war. Dass da jemand war, der über ihn wachte.
Die kühle Hand zog sich langsam zurück, aber stattdessen legte sie sich auf seinen Brustkorb, schob die Decke etwas tiefer. Und jetzt spürte er eine kältere, feuchte Erleichterung auf der Stirn. Er wusste, es war ein nasses Tuch. Trotzdem lächelte er leicht, gab ein leises Seufzen von sich.
„Du solltest eine Kleinigkeit essen. Dann kommst du auch schneller wieder auf die Beine.“
Er kannte die Stimme. Wusste, zu wem sie gehörte. Aber in seinem Kopf formte sich weder ein Gesicht noch ein Name. Sein Gehirn lief noch lange nicht wieder klar, aber er wusste, dass da jemand war, den er kannte. Er gab ein vertrauensvolles Nicken von sich, zeigend, dass er die Stimme wahrgenommen hatte. Was die Stimme ihm allerdings gesagt hatte, wusste er schon gar nicht mehr.
Eine kleine Weile war es still um ihn herum. Shaun döste müde vor sich hin, unterdrückte dann und wann ein heiseres Husten, aber die Augen öffnete er trotzdem nicht.
In seinem Kopf herrschte eine angenehme Leere. Sobald er versuchte, an etwas zu denken, wurde die Schwärze in seinem Geist nur noch schwärzer, sein Geist begann sich zu verwirren und er hatte das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Also lag er einfach nur da, dachte an nichts und konzentrierte sich auf die pulsierende Hitze in seinem Körper.
„Hey. Ich hab dir was mitgebracht.“
Da war sie wieder, die Stimme. Eine kalte Hand legte sich an seine Wange, dann hörte er, wie sich sein unsichtbarer Helfer setzte.
„Ich hoffe du magst Smoothies. Mir ist nichts anderes eingefallen, was du sonst essen könntest.“
Ein unsicherer Unterton schwang in der sanften Stimme mit, aber Shaun bemerkte es nicht mal. Er hustete leicht, legte einen zitterigen Arm auf die Augen. Und stöhnte.
„Warte, ich helf dir, dich etwas aufzusetzen.“
Trotz der Vorwarnung zuckte der Kranke erschrocken zusammen, als sich plötzlich zwei kräftige Arme um seinen Oberkörper schlangen und ihn ohne große Schwierigkeiten anhoben. Mit fest zusammengekniffenen Augen, den Kopf kraftlos hängen lassend, klammerte er sich an den weichen Stoff, den er unter seinen Finger fühlen konnte, gab ein hilfloses Wimmern von sich.
„Schscht, alles gut. Ich wollte dich nicht erschrecken. Kannst du allein so sitzen?“
Es dauerte eine gefühlte kleine Ewigkeit, bis die zitternden Hände sich endlich wieder entkrampften und Desmonds Ärmel los ließen. Der Brite sank ohne jeglichen Funken Körperspannung in sich zusammen, blieb aber mit Unterstützung aufrecht sitzen. Ein leises Seufzen ertönte. Dann wieder die Stimme.
„Okay, dann müssen wir es eben so machen. Du solltest den Smoothie trinken, okay? Der ist schön kalt und macht dich satt. Dir sollte es dann eigentlich bald besser gehen.“
Shauns Finger zuckten reflexartig zurück, als etwas Kaltes seine Fingerspitzen berührte. Der Brünette öffnete die Augen einen Spaltbreit, um sehen zu können, was ihn gerade so erschreckt hatte, aber bis auf einen verschwommenen weißen Fleck mit kleinen bunten Flecken drauf erkannte er nichts. Außerdem fühlte er schon, wie sich der heiße Schwindel in seinem Kopf breit machte. Er stöhnte unwohl, die braunen Augen schlossen sich rasch wieder.
„Halt die Packung fest, okay? Das ist nur der Smoothiebecher, aber er ist ziemlich kalt. Also erschreck dich nicht, ja?“
Diesmal schlossen sich die feuchten Handflächen fest um den gereichten Becher. Shaun gab ein stockendes Keuchen von sich, im ersten Moment war ihm die Kälte deutlich unangenehm, dann verzogen sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln.
Die fremde Hand legte sich unter den Becher und bedeutete dem Patienten mit etwas Druck, dass er daraus trinken konnte. Als Shaun den Strohhalm an seinen Lippen bemerkte, saugte er reflexartig daran. Und hustete erschrocken, als sich sein Rachen auf einmal mit einer eiskalten Flüssigkeit füllte.
„Hey, ganz ruhig. Ich sagte doch, das ist ein Smoothie. Du weißt schon, Eis mit Fruchtsäften. Der ist schön kalt, aber das ist bestimmt gut für dich.“
Rasch wurde der Smoothie wieder aus den zitternden Händen genommen und ein feuchter Lappen strich über Shauns Dreitagebart, wischte das danebengegangene Eis weg. Shaun brummte schwerfällig. Der Engländer zitterte inzwischen am ganzen Körper vor Anstrengung, aufrecht sitzen zu müssen und schwitzte inzwischen wieder, als wäre er ein zum Leben erwachter Brunnen. Aber sein unsichtbarer Helfer blieb stur.
Der zweite Versuch klappte diesmal schon viel besser, Desmond erklärte dem anderen jeden noch so kleinen Schritt und nach ein paar zögerlichen Anläufen saugte der Brite gierig an dem Strohhalm, saugte die eisige Flüssigkeit auf, wie ein ausgetrockneter Schwamm.
Aber schon nach der halben Packung war der Kranke am Ende seiner Kräfte und schaffte es ohne Desmonds Unterstützung nicht einmal mehr, den Becher selbst zu halten. Also wurde er sanft wieder auf sein Schlafstatt zurückgelegt, noch einmal mit einem kalten Lappen gesäubert und dann war es wieder Zeit für den erholsamen Schlaf.
Der nicht einmal lange auf sich warten ließ. Es dauerte nur ein paar Sekunden und schon war Shaun in einen erschöpften, inzwischen auch wieder relativ ruhigen Schlaf gefallen.
Desmond seufzte leise. Der Smoothie schmeckte lecker nach Mango und Maracuja. Noch während der Barkeeper seinen Kollegen beim Schlafen beobachtete, schlürfte er den Rest des schon halb weggeschmolzenen Getränks leer, gähnte unterdrückt vor sich hin.
//Na so langsam scheint es ihm ja wieder besser zu gehen…//
Zufrieden stützte er sich mit einem Arm ab, sodass er sich leicht nach hinten lehnen konnte. Und gähnte diesmal laut und langgezogen. Shaun atmete ruhig und langsam, manchmal ging ein unkontrolliertes Zittern durch seinen Körper, aber er schien auf dem Weg der Besserung zu sein.
„Ich sollte wohl mal schauen, was Lucy und Rebecca so machen…“
Die beiden Frauen waren fleißig am arbeiten und blickten erst einige Minuten nach Desmonds Eintreffen im Versteck auf. Rebecca wollte gerade etwas zu ihrer Kollegin sagen, da fiel ihr der Schatten neben dem Animus auf – wann bitte war Desmond denn reingekommen?
„Ihr habt mich echt nicht bemerkt, oder?“
Verwundert blickten die beiden Frauen sich an, schüttelten fast synchron die Köpfe.
„Wir haben auch nicht damit gerechnet, dass du heute noch hier auftauchst.“, gestand Lucy etwas kleinlaut. Verwundert hob der Assassine eine Augenbraue.
„Naja, wir dachten du bleibst bei Shaun und kümmerst dich um ihn.“, erklärte Rebecca auch gleich, als Lucy keine Anstalten dazu machte. Jetzt blickte der Mann in der Runde nur noch verwirrter drein, legte den Kopf schief. Und wartete sichtbar verdutzt auf eine Antwort.
„Du solltest dir auch mal eine Pause gönnen, du warst in der letzten Zeit sowieso immer viel zu lange und viel zu intensiv im Animus. Wenn du dich nicht regelmäßig ausruhst, werden die Nebenwirkungen des Sickereffekts nur noch schlimmer und dann wird es länger dauern, bis du wieder fit genug für die nächste Sitzung bist.“
„Genau, also hau schon ab zu Shaun, wir kommen hier auch ganz gut ohne dich klar.“
Rebecca war diejenige, die sich am schnellsten wieder von ihrem Arbeitsplatz lösen konnte und den Kollegen bestimmt wieder zur Tür rausschob.
Und der Neuzeitassassine stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Kratzte sich verwundert am Kopf.
„Versteh einer diese Frauen…“
Also machte er sich wie befohlen wieder auf den Rückweg in ihre Hütte, um nach seinem kranken Kollegen zu sehen. Und vielleicht, wenn Shaun fit genug war und kein Anlass zur Sorge bestand, konnte er ja mal nach langer Zeit wieder einen kleinen Spaziergang durch Monteriggioni machen. Ein wenig Bewegung konnte schließlich nie schaden. Außerdem hätte er so vielleicht mal die Möglichkeit, auszuprobieren, ob er denn nun endlich auch die Wachtürme erklimmen konnte. Beim letzten Versuch war ihm das noch nicht gelungen.
In Ezios Körper waren die Kletteraktionen immer so überraschend einfach, man musste nicht einmal drüber nachdenken. Er wusste, wenn er klettern wollte und riskante Sprünge ausführen wollte, dann konnte er es auch. Und wenn doch mal was drastisch schief ging – dann gab‘s einfach einen Neustart.
Aber hier war das nicht der Fall. Hier musste er aufpassen, und wenn er sich manche Sachen einfach noch nicht zutraute, dann sollte er sie sein lassen. Oder es nur unter Aufsicht probieren. Schließlich konnte er hier nicht einfach die Unfallszene resetten und es nochmal neu probieren.
Ein atemloses Wimmern begrüßte den Neuzeitassassinen, als er ihr gemeinsames Häuschen betrat. Sofort blickte Desmond alarmiert auf, hastete auf seinen Kollegen zu. Und stockte.
Shaun war scheinbar aus dem Bett gefallen. Der Kranke lag auf dem Bauch neben dem Bett, zur Regungslosigkeit verdammt, unglücklich verwickelt mit der Bettdecke.
„Hey. Was hast du denn jetzt angestellt?“
Mit einem überraschten Schmunzeln auf den Lippen sank Desmond neben seinem Kollegen nieder und strich beruhigend durch dessen schweißfeuchtes Haar, zeigte ihm so, dass jetzt wieder jemand da war. Und Shaun beruhigte sich auch recht schnell wieder, sein Wimmern verstummte, er gab seine Versuche, sich aus der Bettdecke freizukämpfen, auf.
„Achtung, ich wickel dich jetzt wieder raus.“
Es benötigte nur ein paar geschickte Handgriffe, und Shaun war wieder befreit. Der Brünette schnaufte unruhig, zitterte am ganzen Körper. Selbst als Desmonds Hand fest Shauns Schulter umfasste und ihn darauf hinwies, dass er ihn jetzt auf den Arm nehmen und ins Bett zurücklegen würde, wurde das Zittern nicht schwächer.
Und dann fiel es dem Assassinen auch auf.
„Verdammt, dein Fieber ist ja wieder gestiegen. Und trotzdem sind deine Lippen und Fingernägel blau vor Kälte! Mist…“
Hilfesuchend schloss Desmond die Augen, überlegte, was er machen sollte. Er hatte noch nie Schüttelfrost gehabt, aber er hatte mal gehört, dass man den anderen dann möglichst warm halten sollte. Aber sie hatten keine weiteren Decken hier, also konnte er dem anderen nur noch seine eigene Decke überlassen. Und hoffen, dass es reichte.
Vorsichtig legte er beide Arme um den bebenden Körper seines Kollegen und hob ihn achtsam vom Boden auf, lud ihn auf seiner Liege wieder ab. Shauns Zähne begannen zu klappern.
„Hey…“
Rasch holte er die Decke und breitete sie über dem anderen aus. Und wartete.
Als sich Shauns Leid nach mehr als zwanzig Minuten allerdings immer noch nicht gebessert hatte, wusste der Barkeeper nicht mehr, was er machen konnte. Er hatte schon versucht, Shaun etwas Tee einzuflößen, aber in dem unruhigen Zustand war der Brite überhaupt nicht mehr in der Lage, anständig irgendetwas zu trinken, geschweige denn sich überhaupt aufzusetzen. Der arme Kerl zitterte so stark, dass sogar das Bett schon leicht zu wackeln angefangen hatte.
Also blieb nur noch eine einzige Lösung. Aber die gefiel Desmond überhaupt nicht.
„Ach scheiße…“
Irgendwo glaubte er mal gelesen zu haben, dass Fieber, wenn es nicht anständig kuriert wurde, sich zu einer bösen Lungenentzündung entwickeln konnte. Und das konnte und wollte er nicht verantworten. Und während seiner Schulzeit war da mal ein Mädchen gewesen, das hatte in seiner Freizeit unglaublich gern Bücher über Medizin gelesen…und sie hatte ihm irgendwann mal erzählt, dass an dem Klischee, wenn Frau oder Mann in einer Beziehung während einer Grippe Schüttelfrost bekam und der andere Partner mit unter die Bettdecke kletterte, um sie/ihn zu wärmen, durchaus etwas dran war.
Damals hatte Desmond sie immer nur schief angeguckt und den Kopf geschüttelt. Warum verbrachte sie nur ihre Zeit damit, trockene medizinische Wälzer zu lesen, wo andere Kinder in ihrem Alter auf den Fußballplatz gingen oder sich in ihren Cliquen über die neueste Mode unterhielten?
Aber dass ihm diese Erinnerung gerade in dieser Situation kam, war nicht von ungefähr. Er hatte keine anderen Ideen und Shauns leidendes Gesicht sorgte für ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er wollte seinem zynischen Kumpel ja schon irgendwie helfen. Aber deswegen wollte er doch noch lange nicht mit ihm in einem Bett liegen!
„Hrm…“
Grummelnd starrte Desmond auf seine Füße. Shauns atemloses Keuchen ließ sich nicht ausblenden, und auch das leise Wimmern, welches der Brite manchmal von sich gab, war nicht zu überhören.
„Ach scheiße!“
Ruckartig, ohne groß darüber nachzudenken, zog er seinen Pullover aus und schob den anderen ohne Vorwarnung auf die andere Hälfte der Matratze. Shaun stöhnte zitternd. Schnaufte unterdrückt.
//So schlimm kann es doch nicht sein…Augen zu und durch. Wir sind schließlich kein schwules Pärchen oder so, sondern nur Arbeitskollegen ohne einen richtigen Arzt in der Nähe. Also was soll man sonst schon groß machen?//
Widerwillig krabbelte Desmond unter den Deckenhaufen. Ihm widerstrebte die Vorstellung, neben dieser menschlichen Heizung unter zwei dicken Decken liegen zu müssen, aber er hatte keine große Wahl. Entweder er ertrug es, um Shaun zu helfen, oder er trat den Rückzug an und riskierte schlimmstenfalls eine Lungenentzündung.
Aber das würde er nicht tun. Nicht, solange sie keinen Arzt hatten, der in einem solchen Fall eingreifen konnte. Er musste es machen. Also sollte er sich nicht so schlecht dabei fühlen.
„Und wehe du fängst an um dich zu schlagen oder sowas…“
Entgegen seiner harten Worte zog Desmond den anderen dichter zu sich, schlang beide Arme um den bebenden Oberkörper. Shaun zuckte zwar kurz zusammen und versteifte sich für den Bruchteil weniger Sekunden, zitterte dann aber besinnungslos weiter.
Wenigstens war der Barkeeper froh darüber, dass Shaun nichts hiervon mitbekam. Auf dämliche Sprüche hierzu konnte er in Zukunft, wenn der Tee trinkende Brite wieder fit war, nämlich getrost verzichten.
Trotz der unangenehmen Hitze unter dem bebenden Deckenberg war Desmond recht schnell eingeschlafen. Lange hatte er einfach nur dagelegen, beide Arme um seinen Teamkameraden gelegt und hatte auf dessen stockendem Atem gelauscht, der mit der Zeit tiefer und ruhiger geworden war. Dass ihm irgendwann dann doch die Augen zugefallen waren, hatte er nicht einmal mehr bemerkt.
Als Desmond beim nächsten Erwachen die Augen aufschlug, wunderte er sich im ersten Moment darüber, dass er eingeschlafen war. Und gähnte.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster bezeugte, dass die Sonne schon wieder untergegangen war.
//Was zum Teufel- wie lange hab ich geschlafen?!//
Umständlich rappelte der ehemalige Barkeeper sich auf die Ellenbogen hoch, achtete darauf, sich vorsichtig zu bewegen, um den noch immer schlafenden Shaun nicht zu wecken. Ein protestierendes Pochen im Kopf bezeugte mehr als deutlich, dass er viel zu lange geschlafen hatte. Er stöhnte leise.
„Scheiße…“
Mit fest zusammengekniffenen Augen ertrug er den für einen Moment überwältigenden Druck im Schädel, atmete ruhig und gepresst. Entspannte sich erst wieder, als er merkte, dass es besser wurde.
Für Minuten versank er in Schweigen. Richtete sich ohne es wirklich zu bemerken weiter auf, dann blickte er ohne jeglichen Gedanken im Kopf durch die Gegend. Und blieb bei Shaun hängen.
//Na bitte, er sieht schon wieder besser aus. Hat wohl doch geholfen, dass ich mich mit reingelegt hab…aber toll, jetzt bin ich selbst total durchgeschwitzt! Bah!//
Die Nase vor Ekel leicht gerümpft, zupfte der Neuzeitassassine an seinem eigenen T-Shirt herum. Seine Klamotten waren klamm und er fröstelte leicht, als er der Kälte gewahr wurde, die in dem kleinen Raum herrschte. Er sollte baden. Dringend. Und sich neue Sachen anziehen.
//Obwohl Shaun das auch mal ganz gut tun würde…//
Wieder glitt ein nachdenklicher Blick zu dem schlafenden Briten herüber. Shaun schlief jetzt ganz ruhig, er hatte sich auf der Seite zusammengerollt, nur seine Nase und ein rotbrauner Haarschopf lugten noch unter dem Rand der Bettdecke hervor. Er glaubte sogar, ein leises Schnarchen unter der Decke hören zu können. Desmond lächelte leicht.
„Komm mal flott wieder auf die Beine, dann kannst du auch wieder duschen. So langsam stinkst du, alter Teetrinker.“
Mit einem leisen Glucksen arbeitete Desmond sich wieder auf die Füße und verschwand im Badezimmer. Freute sich schon darauf, endlich die durchgeschwitzten Klamotten von seinem erhitzten Körper zu schälen und sich dann eine Weile gemütlich unter den warmen Wasserstrahl stellen zu können.
Und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, irgendwo freute er sich auch schon auf die hoffentlich wieder baldigen Auseinandersetzungen mit seinem Kollegen. Es war irgendwie langweilig, wenn er sich nicht mit Shaun zoffen konnte und ständig seine bösen Sprüche zu hören bekam. Dann fehlte einfach irgendetwas.
Aber andererseits war diese Seite, die er jetzt an seinem Kollegen kennen gelernt hatte, auch mal ganz interessant.
//Wirklich…ich hätte eigentlich auf den Tod nicht geglaubt, dass der Typ so…hilfsbedürftig sein kann. Er wirkt fast schon wie ein kleines Kind, wenn er krank ist. Und das bescheuerte daran ist auch noch – irgendwo ist das fast schon wieder süß. Aber das bind‘ ich dir nicht unter die Nase, du Motznase//
Wieder entfloh Desmond ein kleines Schmunzeln. Ja, er musste wirklich zugeben, dass er diese Seite an Shaun auch irgendwo mochte. Natürlich würde der Earl Grey-liebende Brite wieder anfangen rumzumosern wie üblich, wenn er wieder gesund war, aber bis er wieder soweit erholt war, würde Desmond noch seine Freude daran haben, einen vertrauensvollen, hilfsbedürftigen Shaun pflegen zu dürfen.
//Aber jetzt nichts wie ab unter die Dusche…ich werd hier noch ganz sentimental//
Rasch verteilten sich die Klamotten auf dem steinernen Boden und das Rauschen des Wasserstrahls breitete sich in der Stille des kleinen Badezimmers aus.
Er ließ sich Zeit unter der Dusche, lehnte sich gemütlich an der Duschwand zurück und genoss das warme Wasser, das auf seinen Körper nieder prasselte. An den schlafenden Shaun verschwendete er diesmal keinen Gedanken, wusste er doch, dass der Brite allmählich auf dem Wege der Besserung war und wohl jetzt keinen Aufpasser mehr nötig hatte. Wahrscheinlich war er morgen sogar wieder fit genug, um zu mosern und zu meckern und sich darüber aufzuregen, dass über die Tage, die er flach gelegen hatte, auch die Arbeit zum Stillstand gekommen war.
Innerlich freute Desmond sich sogar darauf. Dann kam mal wieder ein wenig Leben in die Bude, wenn auch nur in den ersten paar Minuten, denn eigentlich war Shaun ein sehr stiller Typ. Wenn man ihn nicht selbst ansprach, redete der Brite kaum von sich aus. Und wenn doch, dann meckerte er eigentlich immer nur an irgendetwas oder irgendwem herum.
//Ich sollte mal schauen, ob ich wieder in den Animus komme…//
Als der Assassine endlich der Meinung war, dass er den Wasserverbrauch genügend ausgeschöpft hatte, schlüpfte er rasch in die zusätzlich bereitgelegten Klamotten und warf noch einen letzten Blick auf den schlafenden Kollegen, ehe er sich wieder zu den Frauen begab, um dem Italien im fünfzehnten Jahrhundert wieder einen Besuch abzustatten.
Das erste, was Shaun auffiel, als er nach langem Schlaf endlich wieder die Augen öffnete, war die allumfassende Dunkelheit um ihn herum. Er blinzelte müde, stöhnte leise. Und hustete schwach.
//Scheiße…krank sein ist doch der größte Dreck überhaupt…//
Schwerfällig kämpfte er sich auf die Unterarme hoch, strampelte die durchgeschwitzte Bettdecke mühsam von sich herunter. In seinem Kopf drehte sich alles. Und sein Hals war so trocken, dass er bei jedem tieferen Atemzug husten musste.
//Wo ist Wasser…//
Es war ein richtiger Kraftakt, sich soweit aufzusetzen, dass er, ohne sofort wieder spannungslos in sich zusammenzusinken, auf seiner Liege sitzen bleiben konnte, erst dann angelte er tastend nach seiner Brille und setzte sie sich auf die Nase. Und blickte sich diesmal genauer um.
Die ruhigen Atemzüge von Desmond hörte er ganz leise am anderen Ende des Raumes. Der Assassine war also da. Und wenn er schlief, musste es doch schon ziemlich spät in der Nacht sein, denn eigentlich kamen sie vor um zwei Uhr nachts nie ins Bett.
Aber der Brite hatte keinen Nerv, sich über derartige Trivialitäten wie die Uhrzeit den Kopf zu zerbrechen und suchte weiter nach einer Wasserflasche. Er fand sie schließlich nach kurzem Suchen direkt neben seiner Liege. Daneben eine Kanne mit inzwischen schon kaltem, aber noch immer wohlriechendem Earl Grey.
//Wer hat mir das hier hingestellt?//
Mit tiefen, gierigen Schlucken leerte der Analytiker die Flasche und unterdrückte mühsam ein leises Rülpsen. Sein Magen rebellierte schmerzhaft gegen die plötzliche Fülle, und auch der Schwindel in seinem Kopf wurde eher schlimmer als besser, also drehte er sich vorsichtig und langsam wieder herum und schloss die Augen. Und war sofort wieder eingeschlafen.
„Desmond, worauf wartest du? Komm endlich, die Arbeit ruft.“
Ungeduldig winkte Rebecca dem Neuzeitassassinen, bedeutete ihm so, sich zu beeilen. Desmond nickte rasch, versicherte sich ein letztes Mal, dass Shaun ruhig und ohne Atemprobleme schlief, erst dann ließ er seinen Teamkameraden wieder allein. Und folgte dem Ruf der Templer, die es zu besiegen galt. Shaun war auf dem Weg der Besserung. Also konnte er sich jetzt auch wieder auf seine Arbeit konzentrieren. Trotzdem hatten sie sich darauf geeinigt, dass immer einer jede Stunde kurz nach Shaun sehen ging, um sicher zu stellen, dass es dem Kranken möglichst an nichts mangelte.
„Morgen ist er bestimmt wieder auf den Beinen und nervt uns. Also lass ihn schlafen, dann haben wir so lange noch unsere Ruhe.“, scherzte Rebecca noch, kurz bevor sie Desmond mit dem Animus verband und sein Bewusstsein wieder nach Italien transferierte.
„Na, ich schätze, er taucht schon früher wieder auf.“, war nur Lucys Kommentar dazu. Und sie sollte sogar Recht behalten. Es dauerte nämlich nur noch ein paar Stunden, dann hörten sie auch schon in der Stille des Raumes schlurfende Schritte und ein ziemlich verschlafen aussehender, blasser Shaun schlappte um die Ecke, mit zerzausten, von der letzten Dusche noch ganz feuchten Haaren und tiefschwarzen Ringen unter den Augen. Aber trotz dass er aussah wie eine wandelnde Leiche, wirkte er schon deutlich fitter als noch vor ein paar Tagen.
„Hey, Shaun. Wie geht’s dir?“
Lucy, die dem Analytiker am nächsten war, stand sofort auf und geleitete den noch etwas wackeligen Kollegen zu ihrem Platz, auf den dieser sich auch sofort erschöpft von dem Spaziergang sinken ließ.
„Hm…besser, schätz ich.“, kam nur die einsilbige Antwort. Shauns rehbraune Augen blickten sich aufmerksam um, blieben einen kurzen an Desmond hängen, der wie üblich weggetreten im Animus saß, schweiften dann weiter zu Rebecca, deren Finger geschäftig über die Tastatur flogen.
„Wie weit seid ihr gekommen?“
Seine Stimme klang rau und kratzig, aber wenigstens hatte er wieder eine Stimme. Als er aufgestanden war, hatte er nicht einen Ton rausgebracht. Erst eine Tasse von dem neu aufgebrühten Tee, der neben seiner Liege gestanden hatte, hatte seine Stimme zurückgebracht. Und die kurze Dusche danach hatte zwar seinem Kreislauf nicht unbedingt gut getan, aber dafür war er jetzt wenigstens wieder sauber. Er wollte lieber gar nicht wissen, wie lange er vollkommen durchgeschwitzt in den gleichen Klamotten geschlafen hatte.
„Hm…schwer zu sagen. Sieh dir den Bericht an, wenn du genaue Infos haben willst. Aber viel hast du nicht verpasst.“
„Hm…“
„Du solltest dich wieder hinlegen. Damit du möglichst bald wieder einsatzbereit bist.“
Eigentlich war der Brite nicht der Typ, der sich gern sagen ließ, was er zu tun und zu lassen hatte, aber diesmal stimmte er seiner Kollegin im Stillen zu. Ob er es sich eingestehen wollte oder nicht, aber seine Beine fühlten sich an wie Pudding und der altbekannte Schwindel kehrte auch wieder zurück, verzerrte sein ohnehin schon etwas eingeschränktes Sichtfeld. Er durfte sich nicht überanstrengen, sonst würde er ganz schnell wieder einen Rückfall erleiden. Das kannte er. Er hatte es schon oft genug erlebt in seinem bisherigen Leben.
„Ich stütze dich, okay?“
Ohne eine Erwiderung ließ Shaun zu, dass Lucy einen Arm um seine Hüfte legte und er schlang selbst einen Arm um ihre Schulter, dann erst, nachdem er wieder fest auf seinen beiden Beinen stand, machten sie sich zurück auf den Weg zu ihrer Unterkunft.
Dort angekommen war der Brite fast schon wieder kurz vor einem Kreislaufkollaps. Schwer atmend ließ er sich auf seine Liege sinken, legte den Kopf in den Nacken und schloss mit einem genervten Stöhnen die Augen. Selbst vor seinen geschlossenen Augenlidern drehte sich noch alles.
„Scheiße…“
„Ruh dich aus, Shaun. Überanstreng dich nicht, hörst du?“
Die besorgten Blicke aus blauen Augen fühlte der Brite fast schon körperlich auf sich ruhen. Er grummelte unwillig und streifte sich umständlich die Schlappen von den Füßen, erst dann griff er erneut nach der Wasserflasche und nahm ein paar tiefe Schlucke.
„Wer stellt mir eigentlich immer den Tee hin?“, wollte er dann doch wissen, als sein Blick wieder einmal auf die Kanne fiel. Lucy blinzelte.
„Desmond. Er hat sich auch die letzten Tage um dich gekümmert.“
„…“
Gedankenversunken legte Shaun sich auf seiner Liege zurück. Lucy brachte ihm eine neue, dünnere Decke und deckte ihn noch damit zu, dann ließ sie ihn mit der Versicherung, dass er sich ganz entspannt und ohne Druck auskurieren sollte, sie kämen auch ohne ihn ganz gut voran, wieder allein und gesellte sich wieder zu Rebecca und Desmond. Und Shaun blieb mit gemischten Gefühlen und einem exquisiten Brummschädel in der Stille zurück.
//Desmond…? Was meint sie, er hat sich die letzten Tage um mich gekümmert? Ging‘s mir wirklich so dreckig, dass er sich um mich kümmern musste? Ich kann mich an nichts erinnern…Mist, ich hätte fragen sollen, wie lange ich außer Gefecht war//
Schwerfällig wälzte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Bettete seinen Kopf auf den angewinkelten Arm. Ein leises Seufzen entfloh seinen spröden Lippen, erschöpft schloss er die Augen. Jetzt erst gestattete er sich die Schwäche, sich einfach fallen zu lassen und ein schlappes Stöhnen von sich zu geben, sich einzugestehen, dass er wohl doch um einiges mehr abgekriegt hatte, als er zuerst dachte. Diese Grippe hatte mit voller Macht zugeschlagen. Und scheinbar war es Desmond zu verdanken, dass er jetzt schon wieder halbwegs auf den Beinen war. Normalerweise war er nämlich, wenn niemand bei ihm war, mindestens zwei Wochen richtig krank, das wusste er noch aus früheren Zeiten, wenn die Grippe ihn manchmal ganze drei Wochen vollkommen aus den Latschen gehauen hatte. Das war häufig zu der Zeit gewesen, wo er direkt seinem Studienabschluss in einer eigenen Wohnung gelebt hatte, weit weg von zu Hause und ohne Möglichkeit, Freunde anzurufen. Aber wenn jemand da war, der ihn mit Medikamenten und heilendem Tee versorgte, wurde er in der Regel schneller wieder gesund. So wie dieses Mal auch.
Er würde sich wohl bei Desmond bedanken müssen. Auch wenn ihm das nicht gefiel.
Wie er den geliebten Kopfschmerz doch vermisst hatte. Desmond schnaubte müde, straffte die Schultern und streckte sich kräftig. Ein schmerzhaftes Ziehen ging durch seinen Schädel, aber er wusste inzwischen, wie er mit diesem künstlich induzierten Kopfschmerz umzugehen hatte. Also beschloss der Assassine, noch eine kleine Runde durch Monteriggioni zu joggen. Und zwar nicht nur über die Straßen, sondern auch gut und gern über Dächer, Zäune, an Mauern entlang…eben ein Parcours, wie er es als Assassine gewohnt war. Dann würden seine Kopfschmerzen sich auch ganz schnell wieder verabschieden.
Die Luft war kalt, aber wohltuend. Er sog ein paar Minuten lang die erfrischende Luft durch die geöffneten Lippen ein, machte ein paar Dehnübungen. Und drehte seine Runde, machte seinen Kopf frei von jeglichen Gedanken. Er dachte nicht darüber nach, dass er wieder eine Chance verpasst hatte, Caesare Borgia zu fangen und zu töten und auch nicht, dass der Zeitdruck wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt schwebte. Er dachte nicht an Leonardo da Vinci, seinen besten Freund im frühzeitlichen Italien, und auch nicht an Shaun, dem es laut Rebecca und Lucy schon so weit wieder besser ging, dass er heute sogar einen kurzen Abstecher ins Versteck gemacht hatte, während er, Desmond, im Animus gewesen war.
Er lief und sprang und rannte einfach nur, bis er fühlte, dass die Steifheit aus seinem Körper wich und auch der Druck im Kopf auf ein erträgliches Pulsieren zurückgegangen war. Also schlug er den Rückweg ein und nicht einmal fünf Minuten später trat er durch die Tür zu ihrer Herberge, lauschte einem Moment den Geräuschen, die in dem Schlafraum, den er sich mit Shaun teilte, zu vernehmen waren.
Es war still. Nur Shauns regelmäßige Atemzüge konnte er hören. Dann und wann knackte oder zischte etwas, aber das war in dem alten Gemäuer nicht ungewöhnlich. Er hatte sich im Laufe der Zeit bereits dran gewöhnt. Also schnappte er sich wie jeden Abend einen Salat und einen Burger aus dem Kühlschrank, wärmte letzteres in der Mikrowelle auf und verschlang es mit Heißhunger. Und legte sich schließlich umgezogen ins Bett.
Er war fast eingeschlafen, döste schon angenehm vor sich hin und verfolgte die Bilder, die im Halbschlaf vor seinen geschlossenen Augenlidern auf und ab tanzten, da vernahm er deutlich die ihm bekannte Stimme von seinem Kollegen.
„Hey, bist du noch wach?“
Leise brummelnd, verstimmt ob der unvermuteten Weckaktion, stemmte der Assassine sich auf die Unterarme und blinzelte in die Dunkelheit. Mehr als ein „Hmmm?“ gab er als Antwort nicht von sich. Aber das schien auch schon zu reichen. Er hörte den anderen sich unter der Decke auf die andere Bettseite wälzen, dann kam ein geflüstertes „Danke, dass du dich um mich gekümmert hast“ und es wurde wieder still.
Ein schmales Lächeln schlich sich auf Desmonds Lippen. Er nickte.
„Gern geschehen“
Diesmal wurde er nicht wieder gestört. Er hatte sich wieder zur Wand gedreht und gelauscht, aber es war nach diesen wenigen Worten still geblieben. Nur wenige Minuten dauerte es, dann gingen Shauns Atemzüge schon wieder tief und gleichmäßig, zeugten davon, dass der Analytiker sich diesmal nicht nur schlafend stellte, sondern wirklich im Traumland weilte. Der Assassine seufzte leise und drehte sich wieder zurück auf den Rücken. Verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte noch, dass er sich jetzt vielleicht doch angewöhnen konnte, auch wenn Shaun nicht mehr krank war, doch weiter regelmäßig Earl Grey aufzubrühen. Er war auf den Geschmack gekommen. Also konnte er damit doch eigentlich nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Kollegen einen Gefallen tun und dafür sorgen, dass der Tee regelmäßig verfügbar war.
Denn schon damit konnte er Shaun zufrieden stellen. Der Brite brauchte nur seinen Laptop und seinen Tee und schon war er friedlich wie ein schnurrendes Kätzchen. Und dass er sich entgegen seines manchmal ziemlich überdimensionalen Stolzes bedankt hatte für die Fürsorge, zauberte Desmond ein entspanntes Lächeln auf die Lippen. Also hatte er es doch hinbekommen, auch ohne irgendwelches Fachwissen und mit ein klein wenig Unterstützung von Rebecca, seinen kranken Kollegen wieder aufzupäppeln. Jetzt würde alles wieder seinen geregelten Gang gehen.
Aber hoffentlich hatte er sich selbst nicht auch angesteckt…
Owari
Nach langer Zeit hat die Muse mir mal wieder eine kreative Phase gegönnt...und das kleine Werk hier ist daraus entstanden :) Es gibt viel zu wenig gute Fanfics zu Shaun und Desmond, deswegen wollte ich auch mal meinen Beitrag dazu steuern...und das, ohne dass die beiden zu einem Liebespärchen gemacht werden. Als Freunde kann man sie hier vielleicht auch noch nicht bezeichnen, aber allemal als Kollegen ;]
Ich habe die Wohnsituation unserer vier Lieblingsassassinen ein wenig umgeändert...aber ich hoffe, das fällt nicht zu sehr ins Gewicht :)
Nun, ich wünsche allen (Schwarz-)Lesern viel Spaß und freue mich auf Kommentare :D
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Für einen kurzen Moment hatte Desmond das Gefühl, seine Augen arbeiteten nicht mehr richtig. Er blickte sich um, konnte aber nur Schemen erkennen. Er stöhnte.
„Desmond? Kannst du mich hören? Desmond?“
Zuerst drangen nur Bruchstücke an sein Ohr aber nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit war er endlich wieder in der Realität angekommen und konnte die beiden Kolleginnen auch wieder scharf erkennen. Vorsichtig setzte er sich auf, legte eine Hand an die Stirn. Und nickte auch leicht auf die Fragen hin, ob es ihm denn gut ginge und ob er noch wusste, wer er war.
„Du solltest dich ausruhen, Desmond. Du warst schon wieder viel zu lange im Animus. Wir konnten dich kaum lösen.“, erklärte Lucy besorgt.
„Mir geht’s gut. Hab nur Kopfschmerzen, wie immer.“, brummte der Neuzeitassassine gestresst. Mit Rebeccas Hilfe schaffte er es problemlos, sich wieder auf die Beine zu arbeiten und streckte sich. Seine Gelenke knackten protestierend, aber das war er ja inzwischen gewohnt.
„Der Animus ist auf die Dauer echt unbequem. Kann man da nicht irgendwie noch eine Massagematte mit einbauen oder sowas?“
Rebecca legte doch tatsächlich den Kopf schief, überlegend, ob ihr Freund sie gerade verarschen wollte oder nicht. Aber die Idee erschien ihr nicht einmal schlecht.
„Ich denk darüber nach, okay? Das sollte sich eigentlich machen lassen.“
Desmond machte ein paar Schritte vorwärts, blickte sich um. Und merkte erst jetzt, dass irgendetwas anders war als sonst.
„Wo ist Shaun?“, fragte er sofort, den zynischen Kollegen vermissend, der ihn sonst so gern mit einem bösen Spruch über seine physische Ausdauer begrüßte.
„Der ist in seinem Zimmer. Ihm geht’s nicht so gut, er hat sich wohl einen Grippe eingefangen. Wir haben ihn heute Morgen wieder ins Bett geschickt.“, erklärte Rebecca schließlich, die jetzt wieder ihren Platz hinter dem Computer eingenommen hatte und deutete mit dem Kinn ein Nicken in Richtung Ausgang an. Desmond runzelte erstaunt die Stirn.
„Wovon soll man denn hier drinnen bitte die Grippe kriegen?“, murmelte er nur ungläubig vor sich hin, zuckte dann aber die Schultern und verabschiedete sich mit den Worten, sich was zu essen zu holen und dann auch schlafen zu gehen.
Die frische Nachtluft war wirklich angenehm. Es war nicht kalt, aber Desmond fühlte schon nach ein paar Schritten, wie das ständige Pochen in seinem Schädel langsam erträglicher wurde. Er brauchte wohl einfach mehr Bewegung, wenn er nicht jeden gottverdammten Tag mit einem Brummschädel aus dem Animus zurückkommen wollte.
Es war nur ein kleiner Spaziergang von fünf Minuten, bis er schließlich ihr Häuschen erreichte. Sie bewohnten zu viert eines der wenigen noch halbwegs bewohnbaren Originalhäuser aus dem sechzehnten Jahrhundert und Lucy hatte es sogar wieder recht gut hinbekommen in der ersten Woche, einige Stromkabel sorgten dafür, dass sie den mobilen Kühlschrank benutzen konnten und auch ein Schreibtisch für Shauns Laptop war bereitgestellt worden. Der Brite trennte sich ja nur furchtbar ungern von seiner Arbeit, Desmond hatte schon oft genug miterlebt, wie sein Kollege auch mitten in der Nacht auf seiner Liege noch am arbeiten war.
Ansonsten hatten sie dort nur ihre Liegen aufgeschlagen, ein paar Stühle und zwei Sessel auf jeder Etage, einen kleinen Esstisch und sogar die uralte Toilette (obwohl man es eher als ein Plumpsklo bezeichnen sollte, fand Desmond) war wieder funktionstüchtig, nachdem Lucy das Rohr zur Kanalisation wieder frei geschaufelt hatte. Das ehemalige Badezimmer war auch wieder gut hergerichtet mit einer provisorischen Dusche, die ihr Wasser aus den Regentonnen bezog und mit einem uralten Heizsystem anwärmte. Alles in allem war das Häuschen jetzt sogar ganz gemütlich. Er teilte sich mit Shaun die untere Etage und Rebecca und Lucy hatten ihr Lager im oberen Stockwerk aufgeschlagen. Wenn die Frauen natürlich das Bad benutzen wollten, mussten sie schon nach unten kommen, aber das störte niemanden.
Die stickige Luft drang Desmond sofort in die Nase, kaum dass er eintrat. Rasch setzte der Assassine einen Schritt weiter in die Dunkelheit und langte nach dem Lichtschalter, um den Raum zu erleuchten. Und erst in der plötzlichen Helligkeit fand er seinen Kollegen, der am anderen Ende des Raumes auf seiner Liege lag, schlafend, die Decke fast vollständig weggestrampelt.
Routiniert schritt Desmond durch den Raum, holte sich einen Salat und eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Esstisch. Nahm die ersten Bisse und seufzte leise auf.
Mit nachdenklich geschlossenen Augen stützte er den Kopf auf der offenen Handfläche ab, döste müde vor sich hin.
//Hmm…nicht schlafen, erst essen…//, schalt er sich nach wenigen Minuten selbst, nachdem sein Kopf unsanft zur Seite gerutscht und beinahe mit der Tischplatte kollidiert wäre. Er gähnte müde und streckte den Rücken. Schob sich wieder eine gut gefüllte Gabel zwischen die Zähne.
Und erst dann ließ er den Blick schweifen, stoppte schließlich bei seinem kranken Zimmerkameraden.
Shaun trug wie immer sein schwarzes T-Shirt und Boxershorts, aber heute schlief der Brite sehr unruhig. Normalerweise war er ein ruhiger Schläfer, das wusste Desmond, schließlich hatte er selbst nur einen leichten Schlaf und wachte schnell auf, wenn es um ihn herum laut wurde. Aber Shaun schlief normalerweise wie ein Stein und bewegte sich auch genauso wenig bis zum nächsten Morgen. Heute jedoch wälzte sich der Brünette von einer Seite auf die nächste, stöhnte manchmal leise, dann und wann erzitterte sein Körper. Es war wirklich ungewohnt, den anderen so zu sehen.
„Hm…“
Aber Desmond dachte sich eigentlich nichts dabei. Er selbst war soweit er sich erinnern konnte noch nie wirklich schlimm krank gewesen und allein zurechtgekommen war er auch immer. Also würde das bei seinem Kollegen wohl auch so sein.
Rasch beendete er seinen Salat und stürzte auch das Bier herunter, dann entledigte er sich seiner Hose und stieg nur mit T-Shirt und Boxershorts in sein eigenes Bett.
Desmond wusste nicht, zum wievielten Male er in dieser Nacht nun eigentlich schon aufgewacht war. Er war bei den nervtötenden Nebengeräuschen von Shaun irgendwann immer mal wieder eingeschlafen, aber nie für lange.
„Verdammte Scheiße!“
Selten war der Neuzeitassassine wirklich genervt, aber heute war einer der wenigen Tage – bzw. Nächte, wenn man es genau betrachtete, – wo er wirklich Morde begehen könnte, nur um seine Ruhe zu haben. Schnaufend schwang er die Beine aus dem Bett und blickte im schwachen Dämmerlicht der Kerze in der Mitte des Zimmers zu seinem Kollegen herüber.
Die Bettdecke lag inzwischen komplett auf dem Boden. Shaun lag auf dem Rücken und gab bei jedem Atemzug ein leises Röcheln von sich, manchmal hustete er stark im Schlaf, japste dann atemlos nach Luft. Es war ein Elend, ihm zuzuhören.
„Verdammt, du hörst dich an, als wenn du gleich abkratzt!“, brummte Desmond verstimmt. Aber so langsam begann er sich wirklich Sorgen zu machen. Er konnte sich nicht erinnern, dass er je bei Erkältungen mit Atemnot zu kämpfen gehabt hatte, also sollte er vielleicht doch besser mal nachsehen. Nicht, dass Shaun wirklich Hilfe brauchte und er war zu unbedarft, um es überhaupt zu bemerken, obwohl sie sich einen Raum teilten.
Rasch hatte er also die wenigen Meter überwunden und sank neben dem Schlafstatt des Briten in die Knie.
Shaun war weiß wie eine Leiche, das war das erste, was Desmond trotz des schlechten Lichts auffiel. Zwar waren die Wangen des Briten stark gerötet und die Nase ebenso, aber hinter dieser Röte war der kräftig gebaute Mann leichenblass. Und er röchelte, als wenn er kaum Luft bekommen würde.
„Hrm…“
Zögerlich legte Desmond eine Hand auf die durchgeschwitzte Stirn. Sein Blick verdunkelte sich.
„Das Fieber ist ziemlich hoch. Und er schwitzt wie ein Springbrunnen.“
Ein kurzer, abschätzender Blick bestätigte seine Vermutung. Shaun hatte es wohl wirklich richtig übel erwischt. Desmond überlegte, was er wohl machen sollte. Er selbst hatte wenig Erfahrung mit Fieber, aber er wusste, dass er mit Medikamenten und viel Ruhe eigentlich schnell immer wieder gesund geworden war. Also schlich er sich kurz raus auf den kleinen Marktplatz und begann in dem Laster nach dem Medipack zu kramen, wusste er doch, dass dort alle möglichen Medikamente gelagert waren. Und tatsächlich, nach nur wenigen Minuten hatte er die Paracetamol Packung in der Hand und machte sich wieder auf den Rückweg.
//Ah…da fällt mir ein, es soll doch auch helfen, wenn man die Stirn mit nem kalten Lappen kühlt…//
Ja, das war wohl eine gute Idee. Rasch durchsuchte er den Laster nach einer Schale und füllte diese dann mit möglichst kaltem Wasser auf. Ein kleines Handtuch war auch schnell gefunden.
Nachdem er alle Utensilien hatte, setzte er sich wieder neben Shauns Schlafstatt und strich erneut über dessen verschwitzte Stirn. Der Brite zuckte zusammen, ein verschleiertes Paar rehbrauner Augen blickte ihn an. Aber Desmond erkannte sofort, dass der andere ihn nicht wirklich sah. Er fokussierte ihn nicht an. Wahrscheinlich merkte der Brünette in seinem Fieberdelirium nicht einmal, dass er überhaupt wach war.
„Hey, ich hab dir Tabletten mitgebracht. Du solltest eine nehmen, dann geht’s dir bald besser.“, murmelte Desmond, unsicher, wie er den anderen dazu bringen sollte, diese auch einzunehmen. Shaun stöhnte nur leise, schloss wieder die Augen und brach in einen gequälten Hustenkrampf aus. Sofort war Desmond zur Stelle und legte vorsichtig eine Hand unter Shauns Nacken, half dem anderen so, den Kopf etwas anzuheben, um besser Luft zu bekommen. Und es half, der Brünette beruhigte sich bald wieder und atmete stockend weiter.
Und Desmond wusste immer noch nicht weiter. Er brummte leise vor sich hin, unterdrückte ein Gähnen und fasste dann doch den Entschluss, es einfach zu versuchen. Er hoffte nur, dass Shaun sich in diesem geschwächten Zustand nicht an der Tablette verschluckte, das konnte dann nämlich ziemlich böse ausgehen.
Vorsichtig rückte er ein Stück näher an den anderen heran, richtete ihn langsam auf, sodass er einen Oberschenkel hinter den Rücken seines Kollegen stemmen konnte, um ihn so aufrecht zu halten. Er entschied sich dafür, die Tablette am besten im Wasserglas aufzulösen, also zerbiss er sie und mischte die dadurch entstandenen Krümel dem Wasser zu, wartete dann geduldig, bis sich die Medizin zum größten Teil im Wasser aufgelöst hatte.
„Ich geb dir jetzt was zum Trinken, also pass auf, dass du dich nicht verschluckst, okay?“
Desmond fühlte sich ein bisschen, als würde er mit einem kranken Kind reden. Shaun war zwar nicht bei vollem Bewusstsein, aber er schien zu merken, dass er nicht allein war, er nickte leicht und stöhnte. Obwohl er versuchte, die Augen offen zu halten, fielen sie ihm immer wieder zu, sein Kopf sackte ebenfalls immer wieder weg.
In der einen Hand hielt Desmond das Glas, die andere umfasste jetzt sanft Shauns Kinn und hob es an. Bedeutete dem anderen, den Mund ein wenig zu öffnen, damit er ihm das Wasser einflößen konnte. Und obwohl er nicht wirklich damit gerechnet hatte, dass der Kranke reagierte, öffneten sich die Lippen einen Spaltbreit und Desmond half ihm dabei, ohne möglichst viel zu kleckern, das Glas zu leeren. Was auch mit einigen geduldigen Pausen schließlich gelang.
Ebenso vorsichtig ließ Desmond den anderen wieder zurücksinken und half ihm, sich bequemer hinzulegen, dann tauchte er das Tuch ins Wasser und legte es auf Shauns erhitzte Stirn. Der Brite stöhnte wohlig ob der angenehmen Kälte.
„Besser so?“
Ein müdes Nicken war schon Antwort genug. Desmond bemerkte, dass sich ihm bei dem Gedanken daran, dass es dem anderen jetzt hoffentlich bald ein wenig besser gehen würde, ein kleines Lächeln auf die Lippen schlich.
Ein paar Minuten saß Desmond schweigend da, beobachtete den anderen beim Schlafen. Shaun atmete noch nicht wirklich wieder ruhiger, oft genug hustete er unterdrückt, einmal war er kurz davor gewesen, seinen wenigen Mageninhalt wieder zu erbrechen. Desmond konnte die Sorge, die er so langsam fühlte, kaum unterdrücken.
„Du bist total durchgeschwitzt.“, flüsterte er an sich selbst gewandt, hauchzart strichen seine Fingerspitzen über das feuchtnasse schwarze T-Shirt. Shaun bemerkte es nicht. Desmond war sich nicht sicher, ob es nicht besser wäre, dem anderen ein neues T-Shirt anzuziehen. Einerseits konnte er sich denken, dass es unangenehm war, in durchgeschwitzten Klamotten zu schlafen, aber andererseits…
Die Gänsehaut und das leichte Schaudern, das Shauns nackte Oberarme überzog, als Desmonds Atem über den klammen Stoff strich, wischten schließlich sämtliche Argumente, die gegen neue Klamotten sprechen könnten, einfach weg. Rasch war der Assassine auf den Beinen und zog wahllos eines der wenigen T-Shirts aus Shauns Koffer, ohne sich anzuschauen, was er da überhaupt in den Händen hielt.
„Ich schätze, du solltest ihn vorher erst noch trocken wischen, sonst wär deine noble Geste ziemlich kontraproduktiv, oder?“
Der Assassine sah auf, nicht beunruhigt dadurch, dass er Rebeccas Eintreffen nicht bemerkt hatte. Die schwarzhaarige Frau stand am Fuße der Treppe, ein dunkelroter Bademantel verdeckte ihren Schlafanzug. Er nickte nachdenklich.
„Stimmt, da hast du wohl Recht.“
„Warte, ich helfe dir.“
Ohne auf sein Einverständnis zu warten, war sie neben ihm und nahm die Wasserschale in die Hand. Schnappte sich außerdem noch ein zweites, trockenes Handtuch.
Gemeinsam war es kein Problem, den Kranken aus seinem feuchten Oberteil zu bekommen, aber sie mussten immer wieder kurz inne halten, wenn sie das Gefühl hatten, Shaun bekäme nicht mehr genug Luft. Der Ärmste war ziemlich kurzatmig, Rebecca erklärte selbst ohne einen fachmännischen Blick, dass seine Nase wohl verstopft und die Schleimhäute stark angeschwollen waren. Deshalb röchelte der Brite auch so mitleiderregend. Und Desmond nickte anerkennend. Er beschloss, sich demnächst mal etwas schlauer zu machen über solche Krankheiten, damit er demnächst nicht ganz so tölpelhaft versuchte, einem Kranken zu helfen.
„Ich übernehme jetzt wieder. Danke für die Hilfe.“
Sein Ton war emotionslos, aber ein dankbarer Unterton schwang darin mit. Rebecca nickte und verabschiedete sich wieder leise, wies ihn aber darauf hin, dass er sie rufen sollte, wenn er Hilfe brauchte. Und Desmond versprach, daran zu denken.
Eine ganze Weile betrachtete er schweigend den Schlafenden. Shauns Atem ging allmählich etwas regelmäßiger, aber noch nicht wirklich tiefer. Er hoffte, dass die Tabletten zumindest halfen, seine Schleimhäute etwas abzuschwellen, sonst würde er wohl die ganze Nacht lang aufpassen müssen, dass sein Kollege nicht einfach irgendwann erstickte.
Aber vorher galt es, ihm zumindest im Thema Hitze ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Langsam strich er mit dem kühlen Lappen über den flachen Bauch, bemerkte dabei eher nebensächlich, dass der Hacker trotz seiner wenigen Bewegung doch recht durchtrainiert war.
//Wann trainiert der eigentlich? Allein vom Rumsitzen behält man doch niemals eine derart durchtrainierte Figur…//
Eine angenehme Gänsehaut zog sich von den Schultern abwärts bis zum Bund der Boxershorts und von dort aus weiter bis zu den Füßen. Desmond konnte es praktisch beobachten, Shaun seufzte wohlig unter dieser Berührung auf. Es war ihm nicht unangenehm, die nackte Haut seines Kollegen zu berühren. Shaun war ein Mann, und er war krank. Außerdem war er weder hässlich noch irgendwie überwältigend sexy. Er war einfach…Shaun. Also fuhr der Barkeeper mit seiner Arbeit fort, stetig beobachtend, wie der andere sich entspannte.
Und spätestens nachdem die nun etwas gekühlte Haut wieder trocken gerieben worden war, sah Desmond sich vor dem Problem, dem anderen das T-Shirt wieder anziehen zu müssen. Aber er entschied sich dagegen. Stattdessen hob er die Bettdecke wieder auf und breitete sie über dem Schlafenden aus, stopfte die Ränder vorsichtshalber unter die Matratze, damit Shaun sie nicht wieder einfach wegstrampeln konnte.
„Okay, ich hoffe, jetzt schläft er ruhiger“
Ein paar letzte prüfende Blicke, aber nun schlief Shaun wirklich etwas ruhiger. Er röchelte und japste zwar immer noch leicht atemlos, aber Desmond glaubte zu erkennen, dass es bereits etwas besser geworden war.
„Ich schätze, ich leg mich noch ein Weilchen hin.“ Desmond gähnte und streckte sich leicht, hatte aber wirklich vor, noch etwas zu schlafen. Er traute seinem leichten Schlaf so weit, dass er aufwachen würde, sollte Shaun wirklich in gefährliche Atemnot kommen. Und dann würde er ihm helfen können, da war er sich sicher. Also sollte er versuchen, zumindest ein wenig Schlaf zu finden diese Nacht.
Die Nacht verlief soweit verhältnismäßig ruhig. Desmond war wie erwartet mehrmals wach geworden, einmal war er gerade noch rechtzeitig zur Stelle gewesen, als Shaun sich gequält übergeben hatte und ohne seine Unterstützung wahrscheinlich auch daran erstickt wäre, aber sonst gab es in dieser Nacht keine weiteren Zwischenfälle. Zwei weitere Male hatte Desmond dem anderen mit dem kühlen Lappen etwas Entspannung gegönnt, und als auch die Bettdecke hoffnungslos nassgeschwitzt gewesen war, hatte er einfach eine der Ersatzdecken geholt und ausgewechselt.
Und irgendwann kurz vor Sonnenaufgang schließlich war er tief und fest eingeschlafen. Er hatte es im Laufe der Stunden nicht einmal mehr wirklich registriert, aber er hatte nur einschlafen können, weil Shauns Atem sich langsam wieder normalisiert hatte und somit der bis dato unruhige Geräuschpegel legte. Und als die Sonne aufging, schliefen beide Männer wie Babies, wachten nicht einmal auf, als Rebecca und Lucy im Zimmer standen und leise flüsternd überlegten, ob sie denn nun die Weckaktion ausführen sollten oder nicht.
Aber letztendlich entschieden sie sich doch dagegen.
„Es scheint Shaun ja schon wieder besser zu gehen. Und Desmond kann auch mal wieder etwas Schlaf vertragen.“, meinte Lucy noch, bevor sie leise zum Versteck zurückgingen. Sie würden ihre Arbeit weiter erledigen. Und währenddessen drauf warten, dass die beiden Kollegen ihren Schönheitsschlaf beendeten und auch wieder arbeitstüchtig wurden.
Die Hitze war mehr als unangenehm. Shaun stöhnte rau, bewegte sich schwach und wollte die heiße Decke von sich herunter schieben, aber selbst dafür war er zu schwach. Außerdem konnte er sich kaum bewegen. Die Bettdecke hatte sich um ihn gewickelt wie ein Schlafsack.
Ein trockener Reizhusten schlich die ausgetrocknete Kehle hinauf, ließ den Briten gequält husten. Sein ganzer Körper begann zu beben unter der unerwarteten Anstrengung.
Aber dann war da plötzliche eine kühle Hand auf seiner Stirn und eine bekannte Stimme, die ihm beruhigende Worte zuflüsterte. Er seufzte leise.
„Das Fieber ist ein wenig gesunken. Gut.“
Shaun öffnete nicht die Augen, wusste er doch, dass ihm dann nur wieder schwindelig werden würde. Er schmiegte sich genießerisch gegen die kühle Hand, versuchte möglichst flach und gleichmäßig zu atmen. Kümmerte sich nicht darum, an wessen Hand er sich gerade schmiegte. Er wollte nur spüren, dass er nicht allein war. Dass da jemand war, der über ihn wachte.
Die kühle Hand zog sich langsam zurück, aber stattdessen legte sie sich auf seinen Brustkorb, schob die Decke etwas tiefer. Und jetzt spürte er eine kältere, feuchte Erleichterung auf der Stirn. Er wusste, es war ein nasses Tuch. Trotzdem lächelte er leicht, gab ein leises Seufzen von sich.
„Du solltest eine Kleinigkeit essen. Dann kommst du auch schneller wieder auf die Beine.“
Er kannte die Stimme. Wusste, zu wem sie gehörte. Aber in seinem Kopf formte sich weder ein Gesicht noch ein Name. Sein Gehirn lief noch lange nicht wieder klar, aber er wusste, dass da jemand war, den er kannte. Er gab ein vertrauensvolles Nicken von sich, zeigend, dass er die Stimme wahrgenommen hatte. Was die Stimme ihm allerdings gesagt hatte, wusste er schon gar nicht mehr.
Eine kleine Weile war es still um ihn herum. Shaun döste müde vor sich hin, unterdrückte dann und wann ein heiseres Husten, aber die Augen öffnete er trotzdem nicht.
In seinem Kopf herrschte eine angenehme Leere. Sobald er versuchte, an etwas zu denken, wurde die Schwärze in seinem Geist nur noch schwärzer, sein Geist begann sich zu verwirren und er hatte das Gefühl, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Also lag er einfach nur da, dachte an nichts und konzentrierte sich auf die pulsierende Hitze in seinem Körper.
„Hey. Ich hab dir was mitgebracht.“
Da war sie wieder, die Stimme. Eine kalte Hand legte sich an seine Wange, dann hörte er, wie sich sein unsichtbarer Helfer setzte.
„Ich hoffe du magst Smoothies. Mir ist nichts anderes eingefallen, was du sonst essen könntest.“
Ein unsicherer Unterton schwang in der sanften Stimme mit, aber Shaun bemerkte es nicht mal. Er hustete leicht, legte einen zitterigen Arm auf die Augen. Und stöhnte.
„Warte, ich helf dir, dich etwas aufzusetzen.“
Trotz der Vorwarnung zuckte der Kranke erschrocken zusammen, als sich plötzlich zwei kräftige Arme um seinen Oberkörper schlangen und ihn ohne große Schwierigkeiten anhoben. Mit fest zusammengekniffenen Augen, den Kopf kraftlos hängen lassend, klammerte er sich an den weichen Stoff, den er unter seinen Finger fühlen konnte, gab ein hilfloses Wimmern von sich.
„Schscht, alles gut. Ich wollte dich nicht erschrecken. Kannst du allein so sitzen?“
Es dauerte eine gefühlte kleine Ewigkeit, bis die zitternden Hände sich endlich wieder entkrampften und Desmonds Ärmel los ließen. Der Brite sank ohne jeglichen Funken Körperspannung in sich zusammen, blieb aber mit Unterstützung aufrecht sitzen. Ein leises Seufzen ertönte. Dann wieder die Stimme.
„Okay, dann müssen wir es eben so machen. Du solltest den Smoothie trinken, okay? Der ist schön kalt und macht dich satt. Dir sollte es dann eigentlich bald besser gehen.“
Shauns Finger zuckten reflexartig zurück, als etwas Kaltes seine Fingerspitzen berührte. Der Brünette öffnete die Augen einen Spaltbreit, um sehen zu können, was ihn gerade so erschreckt hatte, aber bis auf einen verschwommenen weißen Fleck mit kleinen bunten Flecken drauf erkannte er nichts. Außerdem fühlte er schon, wie sich der heiße Schwindel in seinem Kopf breit machte. Er stöhnte unwohl, die braunen Augen schlossen sich rasch wieder.
„Halt die Packung fest, okay? Das ist nur der Smoothiebecher, aber er ist ziemlich kalt. Also erschreck dich nicht, ja?“
Diesmal schlossen sich die feuchten Handflächen fest um den gereichten Becher. Shaun gab ein stockendes Keuchen von sich, im ersten Moment war ihm die Kälte deutlich unangenehm, dann verzogen sich seine Lippen zu einem leichten Lächeln.
Die fremde Hand legte sich unter den Becher und bedeutete dem Patienten mit etwas Druck, dass er daraus trinken konnte. Als Shaun den Strohhalm an seinen Lippen bemerkte, saugte er reflexartig daran. Und hustete erschrocken, als sich sein Rachen auf einmal mit einer eiskalten Flüssigkeit füllte.
„Hey, ganz ruhig. Ich sagte doch, das ist ein Smoothie. Du weißt schon, Eis mit Fruchtsäften. Der ist schön kalt, aber das ist bestimmt gut für dich.“
Rasch wurde der Smoothie wieder aus den zitternden Händen genommen und ein feuchter Lappen strich über Shauns Dreitagebart, wischte das danebengegangene Eis weg. Shaun brummte schwerfällig. Der Engländer zitterte inzwischen am ganzen Körper vor Anstrengung, aufrecht sitzen zu müssen und schwitzte inzwischen wieder, als wäre er ein zum Leben erwachter Brunnen. Aber sein unsichtbarer Helfer blieb stur.
Der zweite Versuch klappte diesmal schon viel besser, Desmond erklärte dem anderen jeden noch so kleinen Schritt und nach ein paar zögerlichen Anläufen saugte der Brite gierig an dem Strohhalm, saugte die eisige Flüssigkeit auf, wie ein ausgetrockneter Schwamm.
Aber schon nach der halben Packung war der Kranke am Ende seiner Kräfte und schaffte es ohne Desmonds Unterstützung nicht einmal mehr, den Becher selbst zu halten. Also wurde er sanft wieder auf sein Schlafstatt zurückgelegt, noch einmal mit einem kalten Lappen gesäubert und dann war es wieder Zeit für den erholsamen Schlaf.
Der nicht einmal lange auf sich warten ließ. Es dauerte nur ein paar Sekunden und schon war Shaun in einen erschöpften, inzwischen auch wieder relativ ruhigen Schlaf gefallen.
Desmond seufzte leise. Der Smoothie schmeckte lecker nach Mango und Maracuja. Noch während der Barkeeper seinen Kollegen beim Schlafen beobachtete, schlürfte er den Rest des schon halb weggeschmolzenen Getränks leer, gähnte unterdrückt vor sich hin.
//Na so langsam scheint es ihm ja wieder besser zu gehen…//
Zufrieden stützte er sich mit einem Arm ab, sodass er sich leicht nach hinten lehnen konnte. Und gähnte diesmal laut und langgezogen. Shaun atmete ruhig und langsam, manchmal ging ein unkontrolliertes Zittern durch seinen Körper, aber er schien auf dem Weg der Besserung zu sein.
„Ich sollte wohl mal schauen, was Lucy und Rebecca so machen…“
Die beiden Frauen waren fleißig am arbeiten und blickten erst einige Minuten nach Desmonds Eintreffen im Versteck auf. Rebecca wollte gerade etwas zu ihrer Kollegin sagen, da fiel ihr der Schatten neben dem Animus auf – wann bitte war Desmond denn reingekommen?
„Ihr habt mich echt nicht bemerkt, oder?“
Verwundert blickten die beiden Frauen sich an, schüttelten fast synchron die Köpfe.
„Wir haben auch nicht damit gerechnet, dass du heute noch hier auftauchst.“, gestand Lucy etwas kleinlaut. Verwundert hob der Assassine eine Augenbraue.
„Naja, wir dachten du bleibst bei Shaun und kümmerst dich um ihn.“, erklärte Rebecca auch gleich, als Lucy keine Anstalten dazu machte. Jetzt blickte der Mann in der Runde nur noch verwirrter drein, legte den Kopf schief. Und wartete sichtbar verdutzt auf eine Antwort.
„Du solltest dir auch mal eine Pause gönnen, du warst in der letzten Zeit sowieso immer viel zu lange und viel zu intensiv im Animus. Wenn du dich nicht regelmäßig ausruhst, werden die Nebenwirkungen des Sickereffekts nur noch schlimmer und dann wird es länger dauern, bis du wieder fit genug für die nächste Sitzung bist.“
„Genau, also hau schon ab zu Shaun, wir kommen hier auch ganz gut ohne dich klar.“
Rebecca war diejenige, die sich am schnellsten wieder von ihrem Arbeitsplatz lösen konnte und den Kollegen bestimmt wieder zur Tür rausschob.
Und der Neuzeitassassine stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Kratzte sich verwundert am Kopf.
„Versteh einer diese Frauen…“
Also machte er sich wie befohlen wieder auf den Rückweg in ihre Hütte, um nach seinem kranken Kollegen zu sehen. Und vielleicht, wenn Shaun fit genug war und kein Anlass zur Sorge bestand, konnte er ja mal nach langer Zeit wieder einen kleinen Spaziergang durch Monteriggioni machen. Ein wenig Bewegung konnte schließlich nie schaden. Außerdem hätte er so vielleicht mal die Möglichkeit, auszuprobieren, ob er denn nun endlich auch die Wachtürme erklimmen konnte. Beim letzten Versuch war ihm das noch nicht gelungen.
In Ezios Körper waren die Kletteraktionen immer so überraschend einfach, man musste nicht einmal drüber nachdenken. Er wusste, wenn er klettern wollte und riskante Sprünge ausführen wollte, dann konnte er es auch. Und wenn doch mal was drastisch schief ging – dann gab‘s einfach einen Neustart.
Aber hier war das nicht der Fall. Hier musste er aufpassen, und wenn er sich manche Sachen einfach noch nicht zutraute, dann sollte er sie sein lassen. Oder es nur unter Aufsicht probieren. Schließlich konnte er hier nicht einfach die Unfallszene resetten und es nochmal neu probieren.
Ein atemloses Wimmern begrüßte den Neuzeitassassinen, als er ihr gemeinsames Häuschen betrat. Sofort blickte Desmond alarmiert auf, hastete auf seinen Kollegen zu. Und stockte.
Shaun war scheinbar aus dem Bett gefallen. Der Kranke lag auf dem Bauch neben dem Bett, zur Regungslosigkeit verdammt, unglücklich verwickelt mit der Bettdecke.
„Hey. Was hast du denn jetzt angestellt?“
Mit einem überraschten Schmunzeln auf den Lippen sank Desmond neben seinem Kollegen nieder und strich beruhigend durch dessen schweißfeuchtes Haar, zeigte ihm so, dass jetzt wieder jemand da war. Und Shaun beruhigte sich auch recht schnell wieder, sein Wimmern verstummte, er gab seine Versuche, sich aus der Bettdecke freizukämpfen, auf.
„Achtung, ich wickel dich jetzt wieder raus.“
Es benötigte nur ein paar geschickte Handgriffe, und Shaun war wieder befreit. Der Brünette schnaufte unruhig, zitterte am ganzen Körper. Selbst als Desmonds Hand fest Shauns Schulter umfasste und ihn darauf hinwies, dass er ihn jetzt auf den Arm nehmen und ins Bett zurücklegen würde, wurde das Zittern nicht schwächer.
Und dann fiel es dem Assassinen auch auf.
„Verdammt, dein Fieber ist ja wieder gestiegen. Und trotzdem sind deine Lippen und Fingernägel blau vor Kälte! Mist…“
Hilfesuchend schloss Desmond die Augen, überlegte, was er machen sollte. Er hatte noch nie Schüttelfrost gehabt, aber er hatte mal gehört, dass man den anderen dann möglichst warm halten sollte. Aber sie hatten keine weiteren Decken hier, also konnte er dem anderen nur noch seine eigene Decke überlassen. Und hoffen, dass es reichte.
Vorsichtig legte er beide Arme um den bebenden Körper seines Kollegen und hob ihn achtsam vom Boden auf, lud ihn auf seiner Liege wieder ab. Shauns Zähne begannen zu klappern.
„Hey…“
Rasch holte er die Decke und breitete sie über dem anderen aus. Und wartete.
Als sich Shauns Leid nach mehr als zwanzig Minuten allerdings immer noch nicht gebessert hatte, wusste der Barkeeper nicht mehr, was er machen konnte. Er hatte schon versucht, Shaun etwas Tee einzuflößen, aber in dem unruhigen Zustand war der Brite überhaupt nicht mehr in der Lage, anständig irgendetwas zu trinken, geschweige denn sich überhaupt aufzusetzen. Der arme Kerl zitterte so stark, dass sogar das Bett schon leicht zu wackeln angefangen hatte.
Also blieb nur noch eine einzige Lösung. Aber die gefiel Desmond überhaupt nicht.
„Ach scheiße…“
Irgendwo glaubte er mal gelesen zu haben, dass Fieber, wenn es nicht anständig kuriert wurde, sich zu einer bösen Lungenentzündung entwickeln konnte. Und das konnte und wollte er nicht verantworten. Und während seiner Schulzeit war da mal ein Mädchen gewesen, das hatte in seiner Freizeit unglaublich gern Bücher über Medizin gelesen…und sie hatte ihm irgendwann mal erzählt, dass an dem Klischee, wenn Frau oder Mann in einer Beziehung während einer Grippe Schüttelfrost bekam und der andere Partner mit unter die Bettdecke kletterte, um sie/ihn zu wärmen, durchaus etwas dran war.
Damals hatte Desmond sie immer nur schief angeguckt und den Kopf geschüttelt. Warum verbrachte sie nur ihre Zeit damit, trockene medizinische Wälzer zu lesen, wo andere Kinder in ihrem Alter auf den Fußballplatz gingen oder sich in ihren Cliquen über die neueste Mode unterhielten?
Aber dass ihm diese Erinnerung gerade in dieser Situation kam, war nicht von ungefähr. Er hatte keine anderen Ideen und Shauns leidendes Gesicht sorgte für ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Er wollte seinem zynischen Kumpel ja schon irgendwie helfen. Aber deswegen wollte er doch noch lange nicht mit ihm in einem Bett liegen!
„Hrm…“
Grummelnd starrte Desmond auf seine Füße. Shauns atemloses Keuchen ließ sich nicht ausblenden, und auch das leise Wimmern, welches der Brite manchmal von sich gab, war nicht zu überhören.
„Ach scheiße!“
Ruckartig, ohne groß darüber nachzudenken, zog er seinen Pullover aus und schob den anderen ohne Vorwarnung auf die andere Hälfte der Matratze. Shaun stöhnte zitternd. Schnaufte unterdrückt.
//So schlimm kann es doch nicht sein…Augen zu und durch. Wir sind schließlich kein schwules Pärchen oder so, sondern nur Arbeitskollegen ohne einen richtigen Arzt in der Nähe. Also was soll man sonst schon groß machen?//
Widerwillig krabbelte Desmond unter den Deckenhaufen. Ihm widerstrebte die Vorstellung, neben dieser menschlichen Heizung unter zwei dicken Decken liegen zu müssen, aber er hatte keine große Wahl. Entweder er ertrug es, um Shaun zu helfen, oder er trat den Rückzug an und riskierte schlimmstenfalls eine Lungenentzündung.
Aber das würde er nicht tun. Nicht, solange sie keinen Arzt hatten, der in einem solchen Fall eingreifen konnte. Er musste es machen. Also sollte er sich nicht so schlecht dabei fühlen.
„Und wehe du fängst an um dich zu schlagen oder sowas…“
Entgegen seiner harten Worte zog Desmond den anderen dichter zu sich, schlang beide Arme um den bebenden Oberkörper. Shaun zuckte zwar kurz zusammen und versteifte sich für den Bruchteil weniger Sekunden, zitterte dann aber besinnungslos weiter.
Wenigstens war der Barkeeper froh darüber, dass Shaun nichts hiervon mitbekam. Auf dämliche Sprüche hierzu konnte er in Zukunft, wenn der Tee trinkende Brite wieder fit war, nämlich getrost verzichten.
Trotz der unangenehmen Hitze unter dem bebenden Deckenberg war Desmond recht schnell eingeschlafen. Lange hatte er einfach nur dagelegen, beide Arme um seinen Teamkameraden gelegt und hatte auf dessen stockendem Atem gelauscht, der mit der Zeit tiefer und ruhiger geworden war. Dass ihm irgendwann dann doch die Augen zugefallen waren, hatte er nicht einmal mehr bemerkt.
Als Desmond beim nächsten Erwachen die Augen aufschlug, wunderte er sich im ersten Moment darüber, dass er eingeschlafen war. Und gähnte.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster bezeugte, dass die Sonne schon wieder untergegangen war.
//Was zum Teufel- wie lange hab ich geschlafen?!//
Umständlich rappelte der ehemalige Barkeeper sich auf die Ellenbogen hoch, achtete darauf, sich vorsichtig zu bewegen, um den noch immer schlafenden Shaun nicht zu wecken. Ein protestierendes Pochen im Kopf bezeugte mehr als deutlich, dass er viel zu lange geschlafen hatte. Er stöhnte leise.
„Scheiße…“
Mit fest zusammengekniffenen Augen ertrug er den für einen Moment überwältigenden Druck im Schädel, atmete ruhig und gepresst. Entspannte sich erst wieder, als er merkte, dass es besser wurde.
Für Minuten versank er in Schweigen. Richtete sich ohne es wirklich zu bemerken weiter auf, dann blickte er ohne jeglichen Gedanken im Kopf durch die Gegend. Und blieb bei Shaun hängen.
//Na bitte, er sieht schon wieder besser aus. Hat wohl doch geholfen, dass ich mich mit reingelegt hab…aber toll, jetzt bin ich selbst total durchgeschwitzt! Bah!//
Die Nase vor Ekel leicht gerümpft, zupfte der Neuzeitassassine an seinem eigenen T-Shirt herum. Seine Klamotten waren klamm und er fröstelte leicht, als er der Kälte gewahr wurde, die in dem kleinen Raum herrschte. Er sollte baden. Dringend. Und sich neue Sachen anziehen.
//Obwohl Shaun das auch mal ganz gut tun würde…//
Wieder glitt ein nachdenklicher Blick zu dem schlafenden Briten herüber. Shaun schlief jetzt ganz ruhig, er hatte sich auf der Seite zusammengerollt, nur seine Nase und ein rotbrauner Haarschopf lugten noch unter dem Rand der Bettdecke hervor. Er glaubte sogar, ein leises Schnarchen unter der Decke hören zu können. Desmond lächelte leicht.
„Komm mal flott wieder auf die Beine, dann kannst du auch wieder duschen. So langsam stinkst du, alter Teetrinker.“
Mit einem leisen Glucksen arbeitete Desmond sich wieder auf die Füße und verschwand im Badezimmer. Freute sich schon darauf, endlich die durchgeschwitzten Klamotten von seinem erhitzten Körper zu schälen und sich dann eine Weile gemütlich unter den warmen Wasserstrahl stellen zu können.
Und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, irgendwo freute er sich auch schon auf die hoffentlich wieder baldigen Auseinandersetzungen mit seinem Kollegen. Es war irgendwie langweilig, wenn er sich nicht mit Shaun zoffen konnte und ständig seine bösen Sprüche zu hören bekam. Dann fehlte einfach irgendetwas.
Aber andererseits war diese Seite, die er jetzt an seinem Kollegen kennen gelernt hatte, auch mal ganz interessant.
//Wirklich…ich hätte eigentlich auf den Tod nicht geglaubt, dass der Typ so…hilfsbedürftig sein kann. Er wirkt fast schon wie ein kleines Kind, wenn er krank ist. Und das bescheuerte daran ist auch noch – irgendwo ist das fast schon wieder süß. Aber das bind‘ ich dir nicht unter die Nase, du Motznase//
Wieder entfloh Desmond ein kleines Schmunzeln. Ja, er musste wirklich zugeben, dass er diese Seite an Shaun auch irgendwo mochte. Natürlich würde der Earl Grey-liebende Brite wieder anfangen rumzumosern wie üblich, wenn er wieder gesund war, aber bis er wieder soweit erholt war, würde Desmond noch seine Freude daran haben, einen vertrauensvollen, hilfsbedürftigen Shaun pflegen zu dürfen.
//Aber jetzt nichts wie ab unter die Dusche…ich werd hier noch ganz sentimental//
Rasch verteilten sich die Klamotten auf dem steinernen Boden und das Rauschen des Wasserstrahls breitete sich in der Stille des kleinen Badezimmers aus.
Er ließ sich Zeit unter der Dusche, lehnte sich gemütlich an der Duschwand zurück und genoss das warme Wasser, das auf seinen Körper nieder prasselte. An den schlafenden Shaun verschwendete er diesmal keinen Gedanken, wusste er doch, dass der Brite allmählich auf dem Wege der Besserung war und wohl jetzt keinen Aufpasser mehr nötig hatte. Wahrscheinlich war er morgen sogar wieder fit genug, um zu mosern und zu meckern und sich darüber aufzuregen, dass über die Tage, die er flach gelegen hatte, auch die Arbeit zum Stillstand gekommen war.
Innerlich freute Desmond sich sogar darauf. Dann kam mal wieder ein wenig Leben in die Bude, wenn auch nur in den ersten paar Minuten, denn eigentlich war Shaun ein sehr stiller Typ. Wenn man ihn nicht selbst ansprach, redete der Brite kaum von sich aus. Und wenn doch, dann meckerte er eigentlich immer nur an irgendetwas oder irgendwem herum.
//Ich sollte mal schauen, ob ich wieder in den Animus komme…//
Als der Assassine endlich der Meinung war, dass er den Wasserverbrauch genügend ausgeschöpft hatte, schlüpfte er rasch in die zusätzlich bereitgelegten Klamotten und warf noch einen letzten Blick auf den schlafenden Kollegen, ehe er sich wieder zu den Frauen begab, um dem Italien im fünfzehnten Jahrhundert wieder einen Besuch abzustatten.
Das erste, was Shaun auffiel, als er nach langem Schlaf endlich wieder die Augen öffnete, war die allumfassende Dunkelheit um ihn herum. Er blinzelte müde, stöhnte leise. Und hustete schwach.
//Scheiße…krank sein ist doch der größte Dreck überhaupt…//
Schwerfällig kämpfte er sich auf die Unterarme hoch, strampelte die durchgeschwitzte Bettdecke mühsam von sich herunter. In seinem Kopf drehte sich alles. Und sein Hals war so trocken, dass er bei jedem tieferen Atemzug husten musste.
//Wo ist Wasser…//
Es war ein richtiger Kraftakt, sich soweit aufzusetzen, dass er, ohne sofort wieder spannungslos in sich zusammenzusinken, auf seiner Liege sitzen bleiben konnte, erst dann angelte er tastend nach seiner Brille und setzte sie sich auf die Nase. Und blickte sich diesmal genauer um.
Die ruhigen Atemzüge von Desmond hörte er ganz leise am anderen Ende des Raumes. Der Assassine war also da. Und wenn er schlief, musste es doch schon ziemlich spät in der Nacht sein, denn eigentlich kamen sie vor um zwei Uhr nachts nie ins Bett.
Aber der Brite hatte keinen Nerv, sich über derartige Trivialitäten wie die Uhrzeit den Kopf zu zerbrechen und suchte weiter nach einer Wasserflasche. Er fand sie schließlich nach kurzem Suchen direkt neben seiner Liege. Daneben eine Kanne mit inzwischen schon kaltem, aber noch immer wohlriechendem Earl Grey.
//Wer hat mir das hier hingestellt?//
Mit tiefen, gierigen Schlucken leerte der Analytiker die Flasche und unterdrückte mühsam ein leises Rülpsen. Sein Magen rebellierte schmerzhaft gegen die plötzliche Fülle, und auch der Schwindel in seinem Kopf wurde eher schlimmer als besser, also drehte er sich vorsichtig und langsam wieder herum und schloss die Augen. Und war sofort wieder eingeschlafen.
„Desmond, worauf wartest du? Komm endlich, die Arbeit ruft.“
Ungeduldig winkte Rebecca dem Neuzeitassassinen, bedeutete ihm so, sich zu beeilen. Desmond nickte rasch, versicherte sich ein letztes Mal, dass Shaun ruhig und ohne Atemprobleme schlief, erst dann ließ er seinen Teamkameraden wieder allein. Und folgte dem Ruf der Templer, die es zu besiegen galt. Shaun war auf dem Weg der Besserung. Also konnte er sich jetzt auch wieder auf seine Arbeit konzentrieren. Trotzdem hatten sie sich darauf geeinigt, dass immer einer jede Stunde kurz nach Shaun sehen ging, um sicher zu stellen, dass es dem Kranken möglichst an nichts mangelte.
„Morgen ist er bestimmt wieder auf den Beinen und nervt uns. Also lass ihn schlafen, dann haben wir so lange noch unsere Ruhe.“, scherzte Rebecca noch, kurz bevor sie Desmond mit dem Animus verband und sein Bewusstsein wieder nach Italien transferierte.
„Na, ich schätze, er taucht schon früher wieder auf.“, war nur Lucys Kommentar dazu. Und sie sollte sogar Recht behalten. Es dauerte nämlich nur noch ein paar Stunden, dann hörten sie auch schon in der Stille des Raumes schlurfende Schritte und ein ziemlich verschlafen aussehender, blasser Shaun schlappte um die Ecke, mit zerzausten, von der letzten Dusche noch ganz feuchten Haaren und tiefschwarzen Ringen unter den Augen. Aber trotz dass er aussah wie eine wandelnde Leiche, wirkte er schon deutlich fitter als noch vor ein paar Tagen.
„Hey, Shaun. Wie geht’s dir?“
Lucy, die dem Analytiker am nächsten war, stand sofort auf und geleitete den noch etwas wackeligen Kollegen zu ihrem Platz, auf den dieser sich auch sofort erschöpft von dem Spaziergang sinken ließ.
„Hm…besser, schätz ich.“, kam nur die einsilbige Antwort. Shauns rehbraune Augen blickten sich aufmerksam um, blieben einen kurzen an Desmond hängen, der wie üblich weggetreten im Animus saß, schweiften dann weiter zu Rebecca, deren Finger geschäftig über die Tastatur flogen.
„Wie weit seid ihr gekommen?“
Seine Stimme klang rau und kratzig, aber wenigstens hatte er wieder eine Stimme. Als er aufgestanden war, hatte er nicht einen Ton rausgebracht. Erst eine Tasse von dem neu aufgebrühten Tee, der neben seiner Liege gestanden hatte, hatte seine Stimme zurückgebracht. Und die kurze Dusche danach hatte zwar seinem Kreislauf nicht unbedingt gut getan, aber dafür war er jetzt wenigstens wieder sauber. Er wollte lieber gar nicht wissen, wie lange er vollkommen durchgeschwitzt in den gleichen Klamotten geschlafen hatte.
„Hm…schwer zu sagen. Sieh dir den Bericht an, wenn du genaue Infos haben willst. Aber viel hast du nicht verpasst.“
„Hm…“
„Du solltest dich wieder hinlegen. Damit du möglichst bald wieder einsatzbereit bist.“
Eigentlich war der Brite nicht der Typ, der sich gern sagen ließ, was er zu tun und zu lassen hatte, aber diesmal stimmte er seiner Kollegin im Stillen zu. Ob er es sich eingestehen wollte oder nicht, aber seine Beine fühlten sich an wie Pudding und der altbekannte Schwindel kehrte auch wieder zurück, verzerrte sein ohnehin schon etwas eingeschränktes Sichtfeld. Er durfte sich nicht überanstrengen, sonst würde er ganz schnell wieder einen Rückfall erleiden. Das kannte er. Er hatte es schon oft genug erlebt in seinem bisherigen Leben.
„Ich stütze dich, okay?“
Ohne eine Erwiderung ließ Shaun zu, dass Lucy einen Arm um seine Hüfte legte und er schlang selbst einen Arm um ihre Schulter, dann erst, nachdem er wieder fest auf seinen beiden Beinen stand, machten sie sich zurück auf den Weg zu ihrer Unterkunft.
Dort angekommen war der Brite fast schon wieder kurz vor einem Kreislaufkollaps. Schwer atmend ließ er sich auf seine Liege sinken, legte den Kopf in den Nacken und schloss mit einem genervten Stöhnen die Augen. Selbst vor seinen geschlossenen Augenlidern drehte sich noch alles.
„Scheiße…“
„Ruh dich aus, Shaun. Überanstreng dich nicht, hörst du?“
Die besorgten Blicke aus blauen Augen fühlte der Brite fast schon körperlich auf sich ruhen. Er grummelte unwillig und streifte sich umständlich die Schlappen von den Füßen, erst dann griff er erneut nach der Wasserflasche und nahm ein paar tiefe Schlucke.
„Wer stellt mir eigentlich immer den Tee hin?“, wollte er dann doch wissen, als sein Blick wieder einmal auf die Kanne fiel. Lucy blinzelte.
„Desmond. Er hat sich auch die letzten Tage um dich gekümmert.“
„…“
Gedankenversunken legte Shaun sich auf seiner Liege zurück. Lucy brachte ihm eine neue, dünnere Decke und deckte ihn noch damit zu, dann ließ sie ihn mit der Versicherung, dass er sich ganz entspannt und ohne Druck auskurieren sollte, sie kämen auch ohne ihn ganz gut voran, wieder allein und gesellte sich wieder zu Rebecca und Desmond. Und Shaun blieb mit gemischten Gefühlen und einem exquisiten Brummschädel in der Stille zurück.
//Desmond…? Was meint sie, er hat sich die letzten Tage um mich gekümmert? Ging‘s mir wirklich so dreckig, dass er sich um mich kümmern musste? Ich kann mich an nichts erinnern…Mist, ich hätte fragen sollen, wie lange ich außer Gefecht war//
Schwerfällig wälzte er sich auf die Seite und schloss die Augen. Bettete seinen Kopf auf den angewinkelten Arm. Ein leises Seufzen entfloh seinen spröden Lippen, erschöpft schloss er die Augen. Jetzt erst gestattete er sich die Schwäche, sich einfach fallen zu lassen und ein schlappes Stöhnen von sich zu geben, sich einzugestehen, dass er wohl doch um einiges mehr abgekriegt hatte, als er zuerst dachte. Diese Grippe hatte mit voller Macht zugeschlagen. Und scheinbar war es Desmond zu verdanken, dass er jetzt schon wieder halbwegs auf den Beinen war. Normalerweise war er nämlich, wenn niemand bei ihm war, mindestens zwei Wochen richtig krank, das wusste er noch aus früheren Zeiten, wenn die Grippe ihn manchmal ganze drei Wochen vollkommen aus den Latschen gehauen hatte. Das war häufig zu der Zeit gewesen, wo er direkt seinem Studienabschluss in einer eigenen Wohnung gelebt hatte, weit weg von zu Hause und ohne Möglichkeit, Freunde anzurufen. Aber wenn jemand da war, der ihn mit Medikamenten und heilendem Tee versorgte, wurde er in der Regel schneller wieder gesund. So wie dieses Mal auch.
Er würde sich wohl bei Desmond bedanken müssen. Auch wenn ihm das nicht gefiel.
Wie er den geliebten Kopfschmerz doch vermisst hatte. Desmond schnaubte müde, straffte die Schultern und streckte sich kräftig. Ein schmerzhaftes Ziehen ging durch seinen Schädel, aber er wusste inzwischen, wie er mit diesem künstlich induzierten Kopfschmerz umzugehen hatte. Also beschloss der Assassine, noch eine kleine Runde durch Monteriggioni zu joggen. Und zwar nicht nur über die Straßen, sondern auch gut und gern über Dächer, Zäune, an Mauern entlang…eben ein Parcours, wie er es als Assassine gewohnt war. Dann würden seine Kopfschmerzen sich auch ganz schnell wieder verabschieden.
Die Luft war kalt, aber wohltuend. Er sog ein paar Minuten lang die erfrischende Luft durch die geöffneten Lippen ein, machte ein paar Dehnübungen. Und drehte seine Runde, machte seinen Kopf frei von jeglichen Gedanken. Er dachte nicht darüber nach, dass er wieder eine Chance verpasst hatte, Caesare Borgia zu fangen und zu töten und auch nicht, dass der Zeitdruck wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt schwebte. Er dachte nicht an Leonardo da Vinci, seinen besten Freund im frühzeitlichen Italien, und auch nicht an Shaun, dem es laut Rebecca und Lucy schon so weit wieder besser ging, dass er heute sogar einen kurzen Abstecher ins Versteck gemacht hatte, während er, Desmond, im Animus gewesen war.
Er lief und sprang und rannte einfach nur, bis er fühlte, dass die Steifheit aus seinem Körper wich und auch der Druck im Kopf auf ein erträgliches Pulsieren zurückgegangen war. Also schlug er den Rückweg ein und nicht einmal fünf Minuten später trat er durch die Tür zu ihrer Herberge, lauschte einem Moment den Geräuschen, die in dem Schlafraum, den er sich mit Shaun teilte, zu vernehmen waren.
Es war still. Nur Shauns regelmäßige Atemzüge konnte er hören. Dann und wann knackte oder zischte etwas, aber das war in dem alten Gemäuer nicht ungewöhnlich. Er hatte sich im Laufe der Zeit bereits dran gewöhnt. Also schnappte er sich wie jeden Abend einen Salat und einen Burger aus dem Kühlschrank, wärmte letzteres in der Mikrowelle auf und verschlang es mit Heißhunger. Und legte sich schließlich umgezogen ins Bett.
Er war fast eingeschlafen, döste schon angenehm vor sich hin und verfolgte die Bilder, die im Halbschlaf vor seinen geschlossenen Augenlidern auf und ab tanzten, da vernahm er deutlich die ihm bekannte Stimme von seinem Kollegen.
„Hey, bist du noch wach?“
Leise brummelnd, verstimmt ob der unvermuteten Weckaktion, stemmte der Assassine sich auf die Unterarme und blinzelte in die Dunkelheit. Mehr als ein „Hmmm?“ gab er als Antwort nicht von sich. Aber das schien auch schon zu reichen. Er hörte den anderen sich unter der Decke auf die andere Bettseite wälzen, dann kam ein geflüstertes „Danke, dass du dich um mich gekümmert hast“ und es wurde wieder still.
Ein schmales Lächeln schlich sich auf Desmonds Lippen. Er nickte.
„Gern geschehen“
Diesmal wurde er nicht wieder gestört. Er hatte sich wieder zur Wand gedreht und gelauscht, aber es war nach diesen wenigen Worten still geblieben. Nur wenige Minuten dauerte es, dann gingen Shauns Atemzüge schon wieder tief und gleichmäßig, zeugten davon, dass der Analytiker sich diesmal nicht nur schlafend stellte, sondern wirklich im Traumland weilte. Der Assassine seufzte leise und drehte sich wieder zurück auf den Rücken. Verschränkte die Arme hinter dem Kopf und dachte noch, dass er sich jetzt vielleicht doch angewöhnen konnte, auch wenn Shaun nicht mehr krank war, doch weiter regelmäßig Earl Grey aufzubrühen. Er war auf den Geschmack gekommen. Also konnte er damit doch eigentlich nicht nur sich selbst, sondern auch seinem Kollegen einen Gefallen tun und dafür sorgen, dass der Tee regelmäßig verfügbar war.
Denn schon damit konnte er Shaun zufrieden stellen. Der Brite brauchte nur seinen Laptop und seinen Tee und schon war er friedlich wie ein schnurrendes Kätzchen. Und dass er sich entgegen seines manchmal ziemlich überdimensionalen Stolzes bedankt hatte für die Fürsorge, zauberte Desmond ein entspanntes Lächeln auf die Lippen. Also hatte er es doch hinbekommen, auch ohne irgendwelches Fachwissen und mit ein klein wenig Unterstützung von Rebecca, seinen kranken Kollegen wieder aufzupäppeln. Jetzt würde alles wieder seinen geregelten Gang gehen.
Aber hoffentlich hatte er sich selbst nicht auch angesteckt…
Owari