Herren und Frösche
von Sonny
Kurzbeschreibung
Die Kämpfe in Naka sind bereits Jahre her und die damaligen Beteiligten haben sich in einem neuen Leben eingerichtet. Taito Magatsu jedoch hat Ärger, weil sein Herr den Unsterblichen Manji in seinen Reihen haben will. Doch wird sich der Unsterbliche davon überzeugen lassen?
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P16 / Gen
Magatsu
Manji
07.04.2013
07.04.2013
3
9.904
07.04.2013
2.563
3. Kapitel
Als Manji am nächsten Morgen aufwachte und mit finsterem Blick aus der Hütte kam, war Magatsu schon lange wach und grübelte über sein weiteres Vorgehen nach. Er hatte gerade eine annehmbare Lösung gefunden, als sich Manji schwerfällig neben ihm auf den Boden fallen ließ. Der Unsterbliche wirkte reichlich verkatert und griff zuerst nach dem Wasserkrug, den Run zusammen mit etwas Fisch bereitgelegt hatte, bevor er wieder zum Fluss fischen gegangen war. Auch Magatsus gebratenen Frosch hatte der Junge wieder hervorgeholt. Hatte der Frosch jedoch warm schon keinerlei Appetit bei dem Kämpfer verursacht, konnte dieser es kalt schon gar nicht.
Den Krug halb leer vor sich abstellend, stöhnte Manji laut: "Du hast mich gestern ja ganz schön abge-füllt, Grünschnabel." Magstsu wies nicht darauf hin, dass es weniger er selbst als viel mehr Manjis eigener Hang zum Alkohol gewesen war, der ihn zum Reden gebracht hatte. Vermutlich ahnte dieser das eh, so dass Magatsu nur mit den Schultern zuckte. Manji nahm davon kaum Notiz und trank stattdessen wieder einen großen Schluck Wasser, bevor er sein Gegenüber musterte: "Und da ich dir ja nun mein Herz ausgeschüttet habe, kannst du auch ruhig ein bisschen was erzählen, während ich mich erhole." Stöhnend ließ Manji sich auf den Rücken fallen, ließ dem Jüngeren jedoch mit einem bösen Blick spüren, dass es ihm trotz seines Zustandes mit dieser Aufforderung ernst war.
Obwohl die folgende Geschichte wohl Beschäftigung genug sein müsste, schaute Magatsu sich nach etwas um, mit dem er seinen Mund beschäftigen konnte. Der Frosch war dabei wieder keine Option, also griff Magatsu nach einem langen Grashalm in Reichweite und schob ihn sich in den Mund, um auf diesem herum zu kauen. Den Grashalm im Mundwinkel, begann er: "Ich nehme an, du hast mit-bekommen, wie die Geschichte von Itto-Ryu in Naka ausgegangen ist?" Manjis unverbindliches Grunzen konnte alles und nichts bedeuten, daher beschloss der ehemalige Itto-Ryu ganz am Anfang zu beginnen – oder wenn man es aus der Sicht des Schwertschule sah, ganz am Ende. "Nachdem ich mich von dir und den Frauen getrennt hatte, habe ich schon bald Anotsu aufspüren können. Da war Naka bereits von den Truppen der Regierung überschwemmt." Er konnte sich noch gut an Anotsu Gesicht erinnern, als dieser die Niederlage seiner Schwertschule erkannt hatte. Eine Mischung aus Resignation und Stolz, es so weit geschafft zu haben. "Ich solle Makie finden und verschwinden. Das waren seine letzten Worte zu mir. Als ich dann mit ihr aus der Stadt geflohen war, hatte die Regierung ihn und einige unserer Kämpfer bereits exekutiert." Es hatte weh getan, in den Hafen zurückzusehen und zu beobachten, wie seine Kampfgefährten für ihre Ideen hingerichtet wurden. Noch heute, fünfzehn Jahre später, schmerzte ihn dieser Anblick in seiner Erinnerung. Nach tiefem Einatmen zu Beruhigung fuhr Magatsu fort: "Wie ihr haben wir uns daran gemacht, möglichst viel Strecke zwischen uns und Naka zu bringen. Für Makie war das hart. Trotz deines Medikaments war sie noch immer sehr geschwächt und auch wenn ihre Tuberkulose mittlerweile verschwunden ist, hat sie immer noch eine schwache Gesundheit." Er hatte geglaubt, Manji mit dieser Information eine Regung entlocken zu können, doch dieser harrte immer noch stumm neben ihm im Gras aus, die Hand locker um den Krug gelegt. "Niedergelassen haben wir uns dann in einem kleinen Dorf im Norden, wo wir etwas Land bekommen konnten. Erst wollten wir dort nur warten, bis sich die Unruhe in Edo gelegt hatte. Aber irgendwie hat es mich an die angenehmen Teile meiner Kindheit erinnert und so sind wir geblieben. Auch wenn sicher nicht der ideale Ort für Makie ist - weder für ihre Gesundheit noch für ihr Wesen." Die Frau war vor Naka schon eher von melancholischem Gemüt, doch der Verlust des Mannes, der wohl die Liebe ihres Lebens war, hatte sie in eine bis heute anhaltende Traurigkeit gehüllt. "Wie gesagt, es war kein leichtes Leben. Bauern haben nie ein leichtes Leben. Aber die harte Arbeit war so eine Art Buße für mich, sie tat mir gut. Makie kann bis heute nicht wirklich auf dem Feld arbeiten, aber sie stellt immer mal wieder diese Strohsandalen her und verkauft sie auf dem Markt. Wir hätten wohl unser ganzes Leben so weitermachen können." Vor den anderen Dorfbewohnern hatten sie sich als Ehepaar ausgeben und so waren sie im Dorf nur als die kränkliche Ehefrau und ihr umso härter arbeitender Mann bekannt. Wirklich ein Jammer, dass es nicht geklappt hatte. "Als ich vor einigen Jahren vom Markt zurückkam, wurde ein Junge aus einem anderen Dorf gerade von einem Ronin überfallen. Wenn ich unterwegs war, hatte ich immer noch gut versteckt mein Schwert dabei – sonst liegt es irgendwo in der Hütte und kein Menschen bekommt es zu sehen. Ich erteilte dem Ronin eine Lektion und der Junge war vollkommen außer sich. Ich habe ihn versprechen lassen, dass er keinem etwas verrät. Und trotzdem standen am nächsten der Tag die Kämpfer meines heutigen Herren auf meinen Land." Angewidert verzog Magatsu das Gesicht. Nachdem er seinen Herren mit seinem Schwertkünsten beeindruckt hatte und dieser ihm zu sich an den Hof berufen hatte, hatte er dem Jungen genau diese angedeihen lassen. Bei der Erinnerung an dessen überraschtes Gesicht bei Magatsus Besuch musste dieser noch heute grinsen. Als Kämpfer des Landherrn konnte er es sich erlauben, durch die Gegend zu ziehen und die Landbevölkerung zu verprügeln. Es war allerdings auch nur dieses eine Mal gewesen – einer musste dem Jungen jedoch mal klar machen, dass man Versprechen nicht brach.
Etwas überrascht hielt Magatsu in seiner Erzählung inne, als ihm bewusst wurde, dass dieses Ereignis bereits knapp zehn Jahre zurücklag. Seitdem führte er nicht das gewünschte, unauffällige Leben als Bauer, sondern kämpfte für seinen Herrn und bildete dessen Kämpfer aus. Die Erkenntnis dieses Zeitraums und seines jetzigen Alters traf ihn etwas unvermittelt und erst als Manji sich neben ihm ungeduldig räusperte, beendete er seine Erzählung hastig: "Nachdem mein Herr von meinem Kontakt zu dir wusste, schickte er mich los, um dich abzuwerben. Und hier bin ich und warte auf deine Antwort."
Ruhig setzte Manji sich auf und holte seine Pfeife hervor. Mit dessen Kopf klopfte er gegen seine Sohle, ließ ansonsten aber kaum eine Reaktion auf die eben geschilderten Ereignisse erkennen. Kurzum ergriff Magatsu wieder das Wort: "Bleibst du bei deiner Entscheidung?"
Der Unsterbliche führte die Pfeife wieder zum Mund und tat einen Zug, bevor er bedächtig antwortete: "Ich bleibe dabei. Das ist auch besser für alle." Das sah Magatsu auch. Er würde zu seinem Herrn zurückgehen können und Manjis Aufenthaltsort weitergeben. Die Männer seines Herrn würden kommen und nicht ihr Leben verlieren, weil Manji bereits verschwunden war. Nur einer würde nichts von diesem Plan haben. "Außer für Run."
Der Unsterbliche warf ihm einen zweifelnden Blick zu und lachte dann. "Der kommt schon klar. Ist alt genug." Aber das Alter spielte beim Sterben ja auch keine Rolle.
Magatsu ließ jedoch nicht locker: "Und wenn ich einen anderen Plan hätte?"
"Was für einen Plan?" Misstrauisch beäugte Manji sein Gegenüber. Sich daran nicht störend begann der ehemalige Itto-Ryu-Kämpfer den Plan darzulegen, über den er bereits den ganzen Morgen gebrütet hatte: "Ich könnte ihn mitnehmen und am Hof meines Herrn unterbringen. Er ist zwar schon etwas alt, aber durchaus geschickt. Wenn er als Knecht dort anfängt, könnte er es im Rahmen seiner Möglichkeiten dort noch zu etwas bringen." Der Junge würde immerhin ganz unten anfangen müssen, aber möglicherweise könnte er den Jungen sogar etwas in der Kampfkunst unterweisen, wenn er sich nicht allzu ungeschickt anstellte. Bevor er diesen Gedanken jedoch fortführen konnte, lenkte Manji ihn ab, indem dieser in schallendes Gelächter ausbrach: "Im Rahmen seiner Möglichkeiten? Sehr diplomatisch, Magatsu!" Obwohl es ihm sichtlich schwerfiel, wurde Manji dann doch noch ernst: "Aber wieso erzählst du mir das? Du könntest ihn einfach mitnehmen, mich würde es nicht stören. Was springt also für dich dabei heraus, dass du mir dieses Angebot machst?"
Zunächst stumm musterte Magatsu sein Gegenüber prüfend, bevor er dann ernst feststellte: "Du kannst mich nicht täuschen, Manji. Der Junge ist dir nicht egal und für deinen Frieden wäre es gut, wenn der Junge versorgt ist. Für meinen Frieden wäre es gut, dass ich meinem Herrn über deine Weigerung Bericht erstatten kann und er Krieger für deine Festnahme herschicken kann. Noch besser für meinen Frieden wäre es, sie finden dich auch, dann stehe ich nicht so blöd da. Es wäre also ein Tauschhandel: Runs Zukunft gegen ein kleines Gemetzel unter den Männern des Fürsten. Dann kannst du hingehen, wohin du willst und brauchst auch nicht zurückzukehren."
"Nicht schlecht, Magatsu, nicht schlecht." Anerkennend und zugleich nachdenklich schaute Manji ihn an. "Dein Herr hat dich von einem Grünschnabel in einen Mann verwandelt." Obwohl es ihm zutiefst widerstrebte, genoss Magatsu das Lob des anderen Kämpfers. Immerhin dürfte es das erste gewesen sein, das er von Manji je bekommen hatte und entschädigte ihn etwas für die Jahre bei seinem Herrn.
Die nächsten paar Minuten verbrachten die beiden Männer schweigend, jeder seinen Gedanken nachhängend. Auch wenn er sich nicht ganz sicher war, wovon er sich überzeugten wollte, hakte Magatsu dann noch einmal nach: "Es würde dich also nicht stören, wenn ich ihn mitnehme?"
Manji lachte, während er mit seiner Pfeife eine wegwerfende Bewegung vollführte. "Nein, ich hätte ihn eh hier zurückgelassen." Auch wenn es eine mehr als gefühllose Erwiderung war, kam Magatsu nicht umhin zu bemerken: "Aber du hast ihn aufgezogen."
Wieder lachte der Unsterbliche, dieses Mal klang es jedoch bitter: "Aufziehen würde ich das jetzt nicht nennen – ich habe ihn am Leben erhalten und ihm klar gemacht, dass es besser ist, mir nicht zu wiedersprechen." Ebenfalls emotionslos mit den Schultern zuckend entgegnete der ehemalige Itto-Ryu-Kämpfer: "Du hättest ihn ja auch anderweitig unterbringen können. Das hätte dir eine Menge Arbeit erspart."
Kopfschüttelnd schmunzelte Manji über diese Möglichkeit, die für ihn völlig absurd zu klingen schien. "Aber das hätte Rin sicher nicht gewollt."
Entgeistert von dieser Doppelmoral entfuhr dem Kämpfer: "Und ihn jetzt einfach im Stich zu lassen, wäre für sie in Ordnung gewesen, wenn ich nicht gekommen wäre?"
"Sie hätte auch eingesehen, dass es besser für ihn gewesen wäre. Sie wusste ja selbst, dass Unsterbliche kein guter Umgang sind." Erstmals wandte Manji sich ab und starrte zu dem Wald hinüber, wo irgendwo außerhalb ihrer Blicke Rin gegraben war. "Wenn er erst mal herausbekommen hätte, dass ich unsterblich bin, hätte er nie wieder eine Chance auf ein normales Leben gehabt. Bei dir kann er es aber haben. Bei mir wäre ihm nur früher oder später aufgefallen, dass ich nicht älter werde."
Magatsu nickte verstehend. Er war ja selbst überrascht, dass Manji sich in den letzten fünfzehn Jahren überhaupt nicht verändert hatte. Natürlich hätte Run das irgendwann bemerkt – wenn er es mittlerweile nicht sogar schon bemerkt hatte.
"Dann ist alles gesagt." Der Unsterbliche schaute ihn erwartungsvoll an, Magatsu nickte. Er wollte gerade noch etwas sagen, als Manji die Stimme erhob: "Run! Komm her!"
Während Magatsu sich noch schmerzend sein Ohr rieb – immerhin hatte er direkt neben Manji gesessen –, konnte er gleichzeitig schon sehen, wie sich das Gras am Ufer bewegte. Einige Augenblicke später hatte Run bereits die kleine Terrasse mit der Hütte erreicht und schaute Manji abwartend an. Der Junge hatte entweder ein gutes Gehör oder er lauschte den ganzen Tag über auf Manijs Stimme. Beides nahm Magatsu anerkennend zur Kenntnis, beides waren Fähigkeiten, mit denen man gut arbeiten konnte.
Sein zukünftiger Schützling schaute sie immer noch erwartungsvoll an, wirkte jetzt aber etwas nervös, da auch Manji ihn immer noch nachdenklich musterte. Erst als seine Pfeife, von der Magatsu erst jetzt bemerkte, dass der Unsterbliche sie gar nicht angezündet hatte, vom einen Mundwinkel in den anderen wanderte, verkündete er: "Du wirst mit Magatsu fortgehen. Gleich jetzt, pack dein Zeug!"
Entgeistert starrte Run ihn an. "Aber…"
Begleitet von einer barschen Handbewegung fuhr Manji den Jungen an: "Willst du etwa den Rest deines Lebens Fische in einem Fluss fangen, von denen keiner größer als fünf Bu wird? Los jetzt!"
Immer noch überrumpelt ging Run einige Schritte rückwärts, bevor er sich eilig umdrehte und in der Hütte verschwand. Währenddessen wandte sich Magatsu dem Unsterblichen zu: "Du weißt, was zu tun ist, Manji? Bis auf einen kannst du alle töten. Der sollte noch in der Lage sein, zurückzukommen, um Bericht zu erstatten. Dann bist du frei dorthin zu verschwinden, wo immer du auch hinwillst."
"Ich bin ja nicht bescheuert, Magatsu", erwiderte Manji demonstrativ gelangweilt. "Auch wenn ich mittlerweile etwas eingerostet sein könnte – ich weiß schon noch, wie man tötet." Bei den letzten Wörtern senkte Manji die Stimme, er wollte Run bis zum Schluss über seine wahre Natur im Dunkeln lassen.
Ernst nickte Magatsu. "Daran habe ich keinen Moment lang gezweifelt. Eine Waffe muss ich dir ja wohl nicht überlassen, oder?"
Daraufhin grinste Manji, so wie er früher schon immer gegrinst hatte, wenn ein Kampf in Aussicht stand: "Ich bin versorgt." Vermutlich hatte er irgendwo im Wald sein gesamtes Arsenal verborgen, um zu verhindern, dass Run es irgendwann aus Versehen fand.
"Hast du alles?" Fragend blickte Magatsu auf das kleine Bündel herab, das der Junge sich eben schnell geschnürt und nun mit vor der Hütte gebracht hatte. Allzu viel konnte nicht darin sein, aber was hätte man von hier auch mitnehmen sollen. Der Junge nickte stumm, während er betreten im Eingang der Hütte stand, die sein ganzes Leben sein Zuhause dargestellt hatte. Magatsu hatte sich nur kurz an Run gewandt, doch als er sich umdrehte, hatte Manji sich bereits von ihnen entfernt. Kurz hatte er vor, den Unsterblichen aufzuhalten, doch dann wurde ihm klar, dass es nichts mehr zu sagen gab. Also beließ er es dabei, dem ehemaligen Konkurrenten nachzusehen.
"Müsste ich mich nicht beim ihm bedanken?" Auch Run schaute dem Unsterblichen hinterher, wirkte jedoch unschlüssig. Magatsu schüttelte jedoch den Kopf, während er antwortete: "Du schuldest ihm nichts." Er hätte dich ja zum Sterben hier zurückgelassen, fügte der Kämpfer im Geister hinzu, schwieg jedoch wohlweislich. "Bist du dann soweit?" Magatsu hatte sein Bündel bereits wieder geschultert und sich bereits in entgegengesetzter Richtung zum Unsterblichen von Hütte entfernt.
Beklommen nickte Run und wandte sich dann entschlossen von Manji und der Hütte ab, um Magatsu zum Waldrand zu folgen. Als sie dort den Wald betraten, wo Magatsu ihn gestern erst verlassen hatte, schauten beide doch noch einmal zurück. Der Unsterbliche war nur noch vage auf der anderen Seite der Hütte zu erkennen. Vermutlich besucht er das Grab von Rin in den nächsten Tagen noch häufiger, als könnte er sich damit entschädigen, dass er es bald nicht mehr können würde. Aber das ging Magatsu nichts mehr an und er drehte sich entschlossen um, als er bei Run doch noch Tränen in den Augen schimmern sah. Dann wandte der Kämpfer sich endgültig von der Hütte ab.
Dieses Mal würde er sich hoffentlich wirklich für immer von Manji verabschiedet haben. Er wollte gar nicht wissen, was ihm blühte, wenn nicht. Vermutlich würde er den Frosch dann doch noch essen müssen.
FIN 07/04/13
Als Manji am nächsten Morgen aufwachte und mit finsterem Blick aus der Hütte kam, war Magatsu schon lange wach und grübelte über sein weiteres Vorgehen nach. Er hatte gerade eine annehmbare Lösung gefunden, als sich Manji schwerfällig neben ihm auf den Boden fallen ließ. Der Unsterbliche wirkte reichlich verkatert und griff zuerst nach dem Wasserkrug, den Run zusammen mit etwas Fisch bereitgelegt hatte, bevor er wieder zum Fluss fischen gegangen war. Auch Magatsus gebratenen Frosch hatte der Junge wieder hervorgeholt. Hatte der Frosch jedoch warm schon keinerlei Appetit bei dem Kämpfer verursacht, konnte dieser es kalt schon gar nicht.
Den Krug halb leer vor sich abstellend, stöhnte Manji laut: "Du hast mich gestern ja ganz schön abge-füllt, Grünschnabel." Magstsu wies nicht darauf hin, dass es weniger er selbst als viel mehr Manjis eigener Hang zum Alkohol gewesen war, der ihn zum Reden gebracht hatte. Vermutlich ahnte dieser das eh, so dass Magatsu nur mit den Schultern zuckte. Manji nahm davon kaum Notiz und trank stattdessen wieder einen großen Schluck Wasser, bevor er sein Gegenüber musterte: "Und da ich dir ja nun mein Herz ausgeschüttet habe, kannst du auch ruhig ein bisschen was erzählen, während ich mich erhole." Stöhnend ließ Manji sich auf den Rücken fallen, ließ dem Jüngeren jedoch mit einem bösen Blick spüren, dass es ihm trotz seines Zustandes mit dieser Aufforderung ernst war.
Obwohl die folgende Geschichte wohl Beschäftigung genug sein müsste, schaute Magatsu sich nach etwas um, mit dem er seinen Mund beschäftigen konnte. Der Frosch war dabei wieder keine Option, also griff Magatsu nach einem langen Grashalm in Reichweite und schob ihn sich in den Mund, um auf diesem herum zu kauen. Den Grashalm im Mundwinkel, begann er: "Ich nehme an, du hast mit-bekommen, wie die Geschichte von Itto-Ryu in Naka ausgegangen ist?" Manjis unverbindliches Grunzen konnte alles und nichts bedeuten, daher beschloss der ehemalige Itto-Ryu ganz am Anfang zu beginnen – oder wenn man es aus der Sicht des Schwertschule sah, ganz am Ende. "Nachdem ich mich von dir und den Frauen getrennt hatte, habe ich schon bald Anotsu aufspüren können. Da war Naka bereits von den Truppen der Regierung überschwemmt." Er konnte sich noch gut an Anotsu Gesicht erinnern, als dieser die Niederlage seiner Schwertschule erkannt hatte. Eine Mischung aus Resignation und Stolz, es so weit geschafft zu haben. "Ich solle Makie finden und verschwinden. Das waren seine letzten Worte zu mir. Als ich dann mit ihr aus der Stadt geflohen war, hatte die Regierung ihn und einige unserer Kämpfer bereits exekutiert." Es hatte weh getan, in den Hafen zurückzusehen und zu beobachten, wie seine Kampfgefährten für ihre Ideen hingerichtet wurden. Noch heute, fünfzehn Jahre später, schmerzte ihn dieser Anblick in seiner Erinnerung. Nach tiefem Einatmen zu Beruhigung fuhr Magatsu fort: "Wie ihr haben wir uns daran gemacht, möglichst viel Strecke zwischen uns und Naka zu bringen. Für Makie war das hart. Trotz deines Medikaments war sie noch immer sehr geschwächt und auch wenn ihre Tuberkulose mittlerweile verschwunden ist, hat sie immer noch eine schwache Gesundheit." Er hatte geglaubt, Manji mit dieser Information eine Regung entlocken zu können, doch dieser harrte immer noch stumm neben ihm im Gras aus, die Hand locker um den Krug gelegt. "Niedergelassen haben wir uns dann in einem kleinen Dorf im Norden, wo wir etwas Land bekommen konnten. Erst wollten wir dort nur warten, bis sich die Unruhe in Edo gelegt hatte. Aber irgendwie hat es mich an die angenehmen Teile meiner Kindheit erinnert und so sind wir geblieben. Auch wenn sicher nicht der ideale Ort für Makie ist - weder für ihre Gesundheit noch für ihr Wesen." Die Frau war vor Naka schon eher von melancholischem Gemüt, doch der Verlust des Mannes, der wohl die Liebe ihres Lebens war, hatte sie in eine bis heute anhaltende Traurigkeit gehüllt. "Wie gesagt, es war kein leichtes Leben. Bauern haben nie ein leichtes Leben. Aber die harte Arbeit war so eine Art Buße für mich, sie tat mir gut. Makie kann bis heute nicht wirklich auf dem Feld arbeiten, aber sie stellt immer mal wieder diese Strohsandalen her und verkauft sie auf dem Markt. Wir hätten wohl unser ganzes Leben so weitermachen können." Vor den anderen Dorfbewohnern hatten sie sich als Ehepaar ausgeben und so waren sie im Dorf nur als die kränkliche Ehefrau und ihr umso härter arbeitender Mann bekannt. Wirklich ein Jammer, dass es nicht geklappt hatte. "Als ich vor einigen Jahren vom Markt zurückkam, wurde ein Junge aus einem anderen Dorf gerade von einem Ronin überfallen. Wenn ich unterwegs war, hatte ich immer noch gut versteckt mein Schwert dabei – sonst liegt es irgendwo in der Hütte und kein Menschen bekommt es zu sehen. Ich erteilte dem Ronin eine Lektion und der Junge war vollkommen außer sich. Ich habe ihn versprechen lassen, dass er keinem etwas verrät. Und trotzdem standen am nächsten der Tag die Kämpfer meines heutigen Herren auf meinen Land." Angewidert verzog Magatsu das Gesicht. Nachdem er seinen Herren mit seinem Schwertkünsten beeindruckt hatte und dieser ihm zu sich an den Hof berufen hatte, hatte er dem Jungen genau diese angedeihen lassen. Bei der Erinnerung an dessen überraschtes Gesicht bei Magatsus Besuch musste dieser noch heute grinsen. Als Kämpfer des Landherrn konnte er es sich erlauben, durch die Gegend zu ziehen und die Landbevölkerung zu verprügeln. Es war allerdings auch nur dieses eine Mal gewesen – einer musste dem Jungen jedoch mal klar machen, dass man Versprechen nicht brach.
Etwas überrascht hielt Magatsu in seiner Erzählung inne, als ihm bewusst wurde, dass dieses Ereignis bereits knapp zehn Jahre zurücklag. Seitdem führte er nicht das gewünschte, unauffällige Leben als Bauer, sondern kämpfte für seinen Herrn und bildete dessen Kämpfer aus. Die Erkenntnis dieses Zeitraums und seines jetzigen Alters traf ihn etwas unvermittelt und erst als Manji sich neben ihm ungeduldig räusperte, beendete er seine Erzählung hastig: "Nachdem mein Herr von meinem Kontakt zu dir wusste, schickte er mich los, um dich abzuwerben. Und hier bin ich und warte auf deine Antwort."
Ruhig setzte Manji sich auf und holte seine Pfeife hervor. Mit dessen Kopf klopfte er gegen seine Sohle, ließ ansonsten aber kaum eine Reaktion auf die eben geschilderten Ereignisse erkennen. Kurzum ergriff Magatsu wieder das Wort: "Bleibst du bei deiner Entscheidung?"
Der Unsterbliche führte die Pfeife wieder zum Mund und tat einen Zug, bevor er bedächtig antwortete: "Ich bleibe dabei. Das ist auch besser für alle." Das sah Magatsu auch. Er würde zu seinem Herrn zurückgehen können und Manjis Aufenthaltsort weitergeben. Die Männer seines Herrn würden kommen und nicht ihr Leben verlieren, weil Manji bereits verschwunden war. Nur einer würde nichts von diesem Plan haben. "Außer für Run."
Der Unsterbliche warf ihm einen zweifelnden Blick zu und lachte dann. "Der kommt schon klar. Ist alt genug." Aber das Alter spielte beim Sterben ja auch keine Rolle.
Magatsu ließ jedoch nicht locker: "Und wenn ich einen anderen Plan hätte?"
"Was für einen Plan?" Misstrauisch beäugte Manji sein Gegenüber. Sich daran nicht störend begann der ehemalige Itto-Ryu-Kämpfer den Plan darzulegen, über den er bereits den ganzen Morgen gebrütet hatte: "Ich könnte ihn mitnehmen und am Hof meines Herrn unterbringen. Er ist zwar schon etwas alt, aber durchaus geschickt. Wenn er als Knecht dort anfängt, könnte er es im Rahmen seiner Möglichkeiten dort noch zu etwas bringen." Der Junge würde immerhin ganz unten anfangen müssen, aber möglicherweise könnte er den Jungen sogar etwas in der Kampfkunst unterweisen, wenn er sich nicht allzu ungeschickt anstellte. Bevor er diesen Gedanken jedoch fortführen konnte, lenkte Manji ihn ab, indem dieser in schallendes Gelächter ausbrach: "Im Rahmen seiner Möglichkeiten? Sehr diplomatisch, Magatsu!" Obwohl es ihm sichtlich schwerfiel, wurde Manji dann doch noch ernst: "Aber wieso erzählst du mir das? Du könntest ihn einfach mitnehmen, mich würde es nicht stören. Was springt also für dich dabei heraus, dass du mir dieses Angebot machst?"
Zunächst stumm musterte Magatsu sein Gegenüber prüfend, bevor er dann ernst feststellte: "Du kannst mich nicht täuschen, Manji. Der Junge ist dir nicht egal und für deinen Frieden wäre es gut, wenn der Junge versorgt ist. Für meinen Frieden wäre es gut, dass ich meinem Herrn über deine Weigerung Bericht erstatten kann und er Krieger für deine Festnahme herschicken kann. Noch besser für meinen Frieden wäre es, sie finden dich auch, dann stehe ich nicht so blöd da. Es wäre also ein Tauschhandel: Runs Zukunft gegen ein kleines Gemetzel unter den Männern des Fürsten. Dann kannst du hingehen, wohin du willst und brauchst auch nicht zurückzukehren."
"Nicht schlecht, Magatsu, nicht schlecht." Anerkennend und zugleich nachdenklich schaute Manji ihn an. "Dein Herr hat dich von einem Grünschnabel in einen Mann verwandelt." Obwohl es ihm zutiefst widerstrebte, genoss Magatsu das Lob des anderen Kämpfers. Immerhin dürfte es das erste gewesen sein, das er von Manji je bekommen hatte und entschädigte ihn etwas für die Jahre bei seinem Herrn.
Die nächsten paar Minuten verbrachten die beiden Männer schweigend, jeder seinen Gedanken nachhängend. Auch wenn er sich nicht ganz sicher war, wovon er sich überzeugten wollte, hakte Magatsu dann noch einmal nach: "Es würde dich also nicht stören, wenn ich ihn mitnehme?"
Manji lachte, während er mit seiner Pfeife eine wegwerfende Bewegung vollführte. "Nein, ich hätte ihn eh hier zurückgelassen." Auch wenn es eine mehr als gefühllose Erwiderung war, kam Magatsu nicht umhin zu bemerken: "Aber du hast ihn aufgezogen."
Wieder lachte der Unsterbliche, dieses Mal klang es jedoch bitter: "Aufziehen würde ich das jetzt nicht nennen – ich habe ihn am Leben erhalten und ihm klar gemacht, dass es besser ist, mir nicht zu wiedersprechen." Ebenfalls emotionslos mit den Schultern zuckend entgegnete der ehemalige Itto-Ryu-Kämpfer: "Du hättest ihn ja auch anderweitig unterbringen können. Das hätte dir eine Menge Arbeit erspart."
Kopfschüttelnd schmunzelte Manji über diese Möglichkeit, die für ihn völlig absurd zu klingen schien. "Aber das hätte Rin sicher nicht gewollt."
Entgeistert von dieser Doppelmoral entfuhr dem Kämpfer: "Und ihn jetzt einfach im Stich zu lassen, wäre für sie in Ordnung gewesen, wenn ich nicht gekommen wäre?"
"Sie hätte auch eingesehen, dass es besser für ihn gewesen wäre. Sie wusste ja selbst, dass Unsterbliche kein guter Umgang sind." Erstmals wandte Manji sich ab und starrte zu dem Wald hinüber, wo irgendwo außerhalb ihrer Blicke Rin gegraben war. "Wenn er erst mal herausbekommen hätte, dass ich unsterblich bin, hätte er nie wieder eine Chance auf ein normales Leben gehabt. Bei dir kann er es aber haben. Bei mir wäre ihm nur früher oder später aufgefallen, dass ich nicht älter werde."
Magatsu nickte verstehend. Er war ja selbst überrascht, dass Manji sich in den letzten fünfzehn Jahren überhaupt nicht verändert hatte. Natürlich hätte Run das irgendwann bemerkt – wenn er es mittlerweile nicht sogar schon bemerkt hatte.
"Dann ist alles gesagt." Der Unsterbliche schaute ihn erwartungsvoll an, Magatsu nickte. Er wollte gerade noch etwas sagen, als Manji die Stimme erhob: "Run! Komm her!"
Während Magatsu sich noch schmerzend sein Ohr rieb – immerhin hatte er direkt neben Manji gesessen –, konnte er gleichzeitig schon sehen, wie sich das Gras am Ufer bewegte. Einige Augenblicke später hatte Run bereits die kleine Terrasse mit der Hütte erreicht und schaute Manji abwartend an. Der Junge hatte entweder ein gutes Gehör oder er lauschte den ganzen Tag über auf Manijs Stimme. Beides nahm Magatsu anerkennend zur Kenntnis, beides waren Fähigkeiten, mit denen man gut arbeiten konnte.
Sein zukünftiger Schützling schaute sie immer noch erwartungsvoll an, wirkte jetzt aber etwas nervös, da auch Manji ihn immer noch nachdenklich musterte. Erst als seine Pfeife, von der Magatsu erst jetzt bemerkte, dass der Unsterbliche sie gar nicht angezündet hatte, vom einen Mundwinkel in den anderen wanderte, verkündete er: "Du wirst mit Magatsu fortgehen. Gleich jetzt, pack dein Zeug!"
Entgeistert starrte Run ihn an. "Aber…"
Begleitet von einer barschen Handbewegung fuhr Manji den Jungen an: "Willst du etwa den Rest deines Lebens Fische in einem Fluss fangen, von denen keiner größer als fünf Bu wird? Los jetzt!"
Immer noch überrumpelt ging Run einige Schritte rückwärts, bevor er sich eilig umdrehte und in der Hütte verschwand. Währenddessen wandte sich Magatsu dem Unsterblichen zu: "Du weißt, was zu tun ist, Manji? Bis auf einen kannst du alle töten. Der sollte noch in der Lage sein, zurückzukommen, um Bericht zu erstatten. Dann bist du frei dorthin zu verschwinden, wo immer du auch hinwillst."
"Ich bin ja nicht bescheuert, Magatsu", erwiderte Manji demonstrativ gelangweilt. "Auch wenn ich mittlerweile etwas eingerostet sein könnte – ich weiß schon noch, wie man tötet." Bei den letzten Wörtern senkte Manji die Stimme, er wollte Run bis zum Schluss über seine wahre Natur im Dunkeln lassen.
Ernst nickte Magatsu. "Daran habe ich keinen Moment lang gezweifelt. Eine Waffe muss ich dir ja wohl nicht überlassen, oder?"
Daraufhin grinste Manji, so wie er früher schon immer gegrinst hatte, wenn ein Kampf in Aussicht stand: "Ich bin versorgt." Vermutlich hatte er irgendwo im Wald sein gesamtes Arsenal verborgen, um zu verhindern, dass Run es irgendwann aus Versehen fand.
"Hast du alles?" Fragend blickte Magatsu auf das kleine Bündel herab, das der Junge sich eben schnell geschnürt und nun mit vor der Hütte gebracht hatte. Allzu viel konnte nicht darin sein, aber was hätte man von hier auch mitnehmen sollen. Der Junge nickte stumm, während er betreten im Eingang der Hütte stand, die sein ganzes Leben sein Zuhause dargestellt hatte. Magatsu hatte sich nur kurz an Run gewandt, doch als er sich umdrehte, hatte Manji sich bereits von ihnen entfernt. Kurz hatte er vor, den Unsterblichen aufzuhalten, doch dann wurde ihm klar, dass es nichts mehr zu sagen gab. Also beließ er es dabei, dem ehemaligen Konkurrenten nachzusehen.
"Müsste ich mich nicht beim ihm bedanken?" Auch Run schaute dem Unsterblichen hinterher, wirkte jedoch unschlüssig. Magatsu schüttelte jedoch den Kopf, während er antwortete: "Du schuldest ihm nichts." Er hätte dich ja zum Sterben hier zurückgelassen, fügte der Kämpfer im Geister hinzu, schwieg jedoch wohlweislich. "Bist du dann soweit?" Magatsu hatte sein Bündel bereits wieder geschultert und sich bereits in entgegengesetzter Richtung zum Unsterblichen von Hütte entfernt.
Beklommen nickte Run und wandte sich dann entschlossen von Manji und der Hütte ab, um Magatsu zum Waldrand zu folgen. Als sie dort den Wald betraten, wo Magatsu ihn gestern erst verlassen hatte, schauten beide doch noch einmal zurück. Der Unsterbliche war nur noch vage auf der anderen Seite der Hütte zu erkennen. Vermutlich besucht er das Grab von Rin in den nächsten Tagen noch häufiger, als könnte er sich damit entschädigen, dass er es bald nicht mehr können würde. Aber das ging Magatsu nichts mehr an und er drehte sich entschlossen um, als er bei Run doch noch Tränen in den Augen schimmern sah. Dann wandte der Kämpfer sich endgültig von der Hütte ab.
Dieses Mal würde er sich hoffentlich wirklich für immer von Manji verabschiedet haben. Er wollte gar nicht wissen, was ihm blühte, wenn nicht. Vermutlich würde er den Frosch dann doch noch essen müssen.
FIN 07/04/13