Herren und Frösche
von Sonny
Kurzbeschreibung
Die Kämpfe in Naka sind bereits Jahre her und die damaligen Beteiligten haben sich in einem neuen Leben eingerichtet. Taito Magatsu jedoch hat Ärger, weil sein Herr den Unsterblichen Manji in seinen Reihen haben will. Doch wird sich der Unsterbliche davon überzeugen lassen?
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P16 / Gen
Magatsu
Manji
07.04.2013
07.04.2013
3
9.904
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07.04.2013
3.583
Die Kämpfe in Naka sind bereits Jahre her und die damaligen Beteiligten haben sich in einem neuen Leben eingerichtet. Taito Magatsu jedoch hat Ärger, weil sein Herr den Unsterblichen Manji in seinen Reihen haben will. Doch wird sich der Unsterbliche davon überzeugen lassen?
Disclaimer: Ich habe keinerlei Recht an dem Manga "Blade of the Immortal" und verdiene an dieser Geschichte auch kein Geld.
Zeitraum: Weit nach Abschluss der Geschichte, wobei ich es mir selbst überlassen habe, wer überlebt
Anmerkungen:
1) Die Story wurde geschrieben und hochgeladen, als der 29. Band von BotI noch nicht erschienen war. Daher passt das Ende womöglich nicht mit Samuras Ende zusammen. (Update 21/07/13: Es passt nicht zusammen :D )
2) Die erste BotI-Story auf FF.de mit mehr als einem Kapitel. Da ist man doch etwas stolz.
Herren und Frösche
1. Kapitel
Erleichert atmete Taito Magatsu tief durch, als er Edo endlich hinter sich ließ. Der Stadtrand mochte nicht mehr so schlimm sein wie der Stadtkern, aber die hohen Mauern um die herrschaftlichen Häuser engten ihn ein – vermutlich hatte er sich bereits viel zu sehr an das Landleben gewöhnt. Der Mann, den er suchte, würde bestimmt über seine Stimmung lachen, aber dieser hatte sich ja auch über so gut wie alle Dinge lustig gemacht, die Magatsu sagte - und vor allem über diesen selbst. Eine Stimme in seinem Kopf versichert glaubhaft, dass das bestimmt auch heute noch so sein würde.
Es war lange her, dass Magatsu das letzte Mal in Edo gewesen ist. Doch in der Stadt hatte sich kaum etwas verändert. Auf den Straßen war es noch genauso laut und unruhig, der Gestank auf den Brücken, der von den dreckigen Kanälen hochstieg, raubte einem in unbedachten Momenten immer noch den Atem. Deshalb mochte er das Land so. Dort gab es zwar auch übelriechende Gegenden, aber diese waren nicht so unumgänglich und dichtgedrängt wie hier in Edo.
Er wünschte, er könnte behaupten, sich seit seinem letzten Besuch in dieser Stadt verändert zu haben. Damals war er noch die rechte Hand bei Itto-Ryu gewesen und hatte die Stadt als Kämpfer verlassen. Nun – als er sie wieder betrat – war er immer noch ein Kämpfer, auch wenn er sich zwischendurch bemüht hatte, etwas anders zu sein. Vielleicht konnte Magatsu sich ebenso wenig ändern wie Edo es konnte. Kämpfer blieben Kämpfer, Dreck blieb Dreck.
Diese Tatsache deprimierte ihn und aus diesem Grund war er auch froh, als er endlich das letzte Haus Edos hinter sich gelassen hatte. Er hätte sich die Stadt auch ersparen können, immerhin hatte sein Gasthaus schon am letzten Abend weit außerhalb von Edo gelegen, damit er sich keine Schlafmöglichkeit in der Stadt suchen musste. Bis er die Stadt heute erreicht und durchquert hatte, war die Sonne über ihren Zenit schon lang hinweg gewandert. Die Stadt allerdings ganz zu vermeiden hätte allerdings noch mehr Zeit in Anspruch genommen – ihm wäre es egal gewesen, seinem Herrn wäre dieser Umweg aber bestimmt unangenehm aufgestoßen.
Magatsu war nur ein einziges Mal bei der Hütte am Fluss gewesen und musste sich auf die Erinnerung an damals verlassen, um diese zu finden. Was ihm dabei in die Hände spielte, war die Tatsache, dass sich wie in der Stadt auch hier draußen kaum etwas verändert hatte. Ohne Schwierigkeiten fand Magatsu den Weg über die staubige Straße und als er in einiger Entfernung den Fluss entdeckte, bog er in das kleine Laubwäldchen ab. Natürlich war nicht mal der Ansatz eines Trampelpfades auf dem Waldboden zu erkennen und so musste er sich seinen Weg durch Bäume und Büsche nach Gefühl bahnen. Als er sich schon unsicher war, noch in der richtigen Richtung unterwegs zu sein – oder im richtigen Wald zu sein –, lichtete sich der Wald und Magatsu trat auf die gesuchte Wiese. Der Anblick war ihm auf seltsame Art vertraut, auch wenn er nur ein Mal hier draußen und es da sogar schon dämmerig gewesen war. Zu seiner Rechten floss träge der kleine Fluss entlang, den terrassenartigen Hügel hinauf lief man direkt auf die kleine, schäbige Hütte zu, die der gesuchte Mann hoffentlich noch sein Zuhause nannte. Es war viel Zeit vergangen, seit er damals hier gewesen war, vielleicht hatte er sich mittlerweile eine neue Bleibe gesucht.
Allmählich spürte der Kämpfer die Anstrengungen seiner Wanderung in den Beinen. Das kam in letzter Zeit immer häufiger vor. Er mochte noch der beste Kämpfer am Hof seines Herrn sein, doch an täglichen, stundenlangen Trainingskämpfen nahm er nur noch in Ausnahmefällen teil. Vielleicht war das der Grund dafür, warum er sich bei einem abendlichen Trinkgelange unbedingt mit den jüngeren Kämpfern hatte messen wollen. Und nur deswegen hatte er sich auf den Weg zu dieser Hütte machen müssen.
Ein Blick zum Horizont offenbarte Magatsu, dass die Sonne sich diesem wieder ein gutes Stück genähert hatte. Sollte er hier nicht fündig werde, würde er nach Edo zurückkehren müssen oder müsste im Freien schlafen müssen, was für seinen Rücken nicht sonderlich verlockend klang. Wäre er aber erst mal im Stadtkern, würde er schnell eine Bleibe finden. Lieber wäre es ihm allerdings, wenn er hier direkt finden würde, was er suchte.
Mit einigen Schritten trat er auf die Wiese, doch diese lag friedlich und ungestört in der Sonne. Auch bei der Hütte konnte Magatsu keine Bewegung ausmachen. Während er diese jedoch noch musterte, bemerkte er im Augenwinkel doch eine Bewegung, die ihn instinktiv zum Schwert greifen ließ, bevor er sich zur Seite drehte. Dort hatte sich ein Jungen aufgerichtet, der allem Anschein nach bis eben noch in der spärlichen Uferböschung gesessen hatte. Es war Magatsu schleierhaft, wie er den Jungen übersehen konnte, auch wenn dieser zwar schlaksig, dafür aber recht groß war.
Mit überraschten, großen Augen starrte dieser nun zu Magatsu herüber und dieser nahm schuldbewusst seine Hand von seinem Schwertgriff. Aus seiner Kindheit wusste er, wie angsteinflößend plötzlich auftauchende Samurai sein konnten. Magatsu bemühte sich um ein friedlichen Eindruck und ging auf den Jungen zu, der sich tatsächlich vom Fluss entfernt und scheinbar versuchte, sich zwischen den unbekannten Samurai und die Hütte zu bringen. Magatsu registrierte dies, sprach es jedoch nicht an, als er das Wort an den Junge richtete: "Wohnt hier ein gewisser Manji?" Der Junge schaute ihn einen Moment stumm und ausdruckslos an, bevor er dann mit den Schultern zuckte.
Nur ein guter Beobachter konnte sehen, wie sich dabei die Hand des Jungen um die Angelschnur verkrampft – auch wenn Magatsus Augen auf die Ferne vielleicht nachließen, bei Nahem konnte er die Dinge immer noch genau erkennen. Also wohnt hier wohl ein gewisser Manji – und der Junge kannte ihn. Magatsu nahm diesen noch einmal genauer in Augenschein. Dass der Junge groß und schlaksig war, hatte er bereits erkannt, sein Jimbei war bereits abgetragen und an den Füßen trug er keine Schuhe – nicht einmal Sandalen. Als er dem Jungen ins Gesicht sah, konnte er einen Hauch von Unsicherheit in diesem erkennen, aber keinerlei vertraute Gesichtszüge.
Um den Überraschungseffekt auf seiner Seite zu haben, fragte Magatsu unvermittelt: "Ist er in der Hütte?" Erneut zuckte der Junge nur mit den Schultern, aber seine Augen zuckten kurz zur Seite, in die Richtung der Hütte. Ein Fehler, der Magatsus Plan aufgehen ließ und ihn dazu veranlasste, sich mit einem Lächeln nickend zur Hütte zu wenden. Er hatte bereits den Anstieg der Terrasse erreicht, als der Junge aus seiner Starre erwachte und mit langen Schritten zu ihm aufschloss. Als er Magatsu kurz ins Gesicht schaute, konnte dieser eine gewisse Angst in den Augen des Jungen ausmachen. Dann war der Junge aber auch schon vorbei und eilte vor ihm die Steigung hinauf. Hatte er das Gesicht des Jungen vielleicht schon mal irgendwo gesehen? Magatsu war sich wirklich nicht sicher, er konnte ihn nicht einordnen.
Der Junge hatte vor der Hütte innegehalten und wies für Magatsu mit der Hand auf den Eingang. Zufällig streifte dessen Blick den Türflügel und obwohl er wusste, dass es unmöglich war, glaubte er da noch das Loch zu sehen, in dem der Nagel für Rins Haarring gesteckt hatte. Die Entführung war so lange her, dass das nicht nur wie aus einem vergangenen Leben schien, sondern auch aus einem solchen war. Wieder schaute er dem Jungen ins Gesicht und versuchte dieses Mal irgendwas in dessen Gesicht Rin zuzuordnen, aber es gelang ihm nicht – und sollte da etwas sein, war es wohl lediglich Wunschdenken seinerseits. Noch immer hielt der Junge den Arm hoch, doch statt der Aufforderung Folge zu leisten und die Hütte zu betreten, fragte Magatsu zunächst: "Wie alt bist du, Junge?"
Mit überraschtem Gesichtsausdruck ließ der Junge den Arm sinken und antwortete zögernd: "Fünfzehn." Mit einem Nicken nahm Magatsu sowohl die Antwort als auch die Tatsache, dass der Junge doch sprechen konnte zur Kenntnis und ging dann in die Hütte.
Einen Moment lang kämpften seine Augen mit der schummrigen Dunkelheit, doch dann konnte er sich in der kargen Hütte orientieren. Vor ihm lag ein erwachsener Mann auf einem Lager aus Stroh und Decken, eine Pfeife entspannt in der einen Hand. Als er seinen Augen endgültig wieder trauen konnte, erkannte er in diesem eindeutig Manji. Er hatte zwar schon früher einiges über die Wirkungen von dessen Unsterblichkeit in Erfahrung gebracht, hatte aber bezweifelt, dass Manji tatsächlich auch äußerlich nicht altern würde. Das Gegenteil wurde ihm jetzt klar, der gesuchte Kämpfer sah immer noch aus wie an dem verfluchten Tag, als er diesen das letzte Mal gesehen hatte.
Auf ihn selbst traf das zwar nicht zu – Magatsu wusste, dass die Zeit an ihm nicht spurlos vorbeigegangen war –, aber auch Manji erkannte ihn sofort: "Magatsu." Zu dessen Unwillen klang Manjis Stimme belustigt, als er weiter sprach: "Was führt dich denn her?"
Um nicht mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus zu fallen, erwiderte Magatsu mit schiefem Grinsen: "Darf man nicht mehr alte Freunde besuchen?"
Der Unsterbliche verdrehte die Augen, richtete diese aber anschließend unerbittlich auf den Jungen, der immer noch hinter Magatsu stand. "Hast du ihm etwa gesagt, dass ich hier bin?"
Hastig schüttelte der Junge den Kopf und versteifte sich dabei in seiner ganzen Haltung. "Aber hergeführt hast du ihn, oder wie?", bohrte Manji weiter und richtete sich bereits ein Stück auf seinem Lager auf. Es folgte ein erneutes Kopfschütteln, das sogar noch hastiger war als das Vorherige. Magatsu beschloss einzugreifen, bevor der Junge noch vor Angst sterben würde: "Ich habe ihm keine Wahl gelassen." Das ließ sich zwar unterschiedlich auslegen, aber Manji schien die Antwort zu genügen, da er sich wieder entspannt zurücklehnte. Er zog kurz an seiner Pfeife, nahm dann jedoch mit erwartungsvollem Blick wieder den Jungen ins Visier: "Hast du für heute schon genug gefangen?" Das Gesicht betreten zu Boden gerichtet, schüttelte der Junge den Kopf und reagierte prompt auf Manjis folgende Aufforderung: "Dann mach dich mal wieder an die Arbeit!" In Magatsus Ohren hatte die Aufforderung bei weitem nicht so barsch geklungen, wie die vorherige Befragung, doch trotzdem drehte der Junge sich eilig um und machte sich wieder auf den Weg.
"Und fang gleich ein bisschen mehr, Run! Ich glaube, wir sind heute zu dritt!"
Von seinem Platz nahe der Tür konnte Magatsu zwar sehen, wie der Junge kurz innehielt, sah sonst aber keine weiteren Zeichen des Verstehens bei ihm. Dann war er jedoch endgültig aus Magatsus Blickfeld verschwunden. Run – was für ein eigenartiger Name.
Kurz starrte Magatsu noch auf die Ecke, hinter der der Junge verschwunden war, wandte sich dann jedoch wieder Manji zu, als dieser ihn ansprach: "Die Worte ‚nie wieder‘ haben für mich zwar kaum eine Bedeutung, aber für dich müssten sie doch eigentlich bedeuten, dass ich dich nicht noch mal sehen muss, oder?" Erneut hörte der Kämpfer diesen amüsierten Unterton, doch er überging diesen genauso wie die Anspielungen auf die Unsterblichkeit und die Tatsache, dass sie sich wirklich nie hatten wiedersehen wollen. Stattdessen fragte er nach dem, was ihn im Moment eigentlich viel mehr interessierte: "Wer ist der Junge?"
Desinteressiert schob sich Manji seine Pfeife in den Mundwinkel, zog jedoch vorerst nicht daran, sondern erwiderte träge: "Wer soll er schon sein? Ein Junge, den ich groß gezogen habe." Die Antwort kommentierte Magatsu zunächst mit einem Grinsen, bevor er seinen Gedanken nicht ohne eine gewisse Schadenfreude mit seinem Gegenüber teilte: "Hast wohl einer Frau ein Kind angedreht, was?"
Obwohl Magatsu noch nicht lange in der Hütte war, verdrehte Manji zum wiederholten Mal die Augen. "Er ist ein Findelkind, du Idiot." Wie Magatsu auffiel, schaute der Unsterbliche ihm bei dieser Aussage nicht in die Augen und augenblicklich war ihm klar, dass das nicht die Wahrheit war. Mit der würde Manji aber vermutlich so schnell nicht rausrücken. Einen Versuch war es aber wert, befand Magatsu und hakte deshalb nach: "Das ist deine Erklärung. Und in Wirklichkeit?"
"Ist er ein Findelkind." Auch wenn die Wiederholung die Lüge nicht wahrer machte, konnte Manji ihm dieses Mal immerhin in die Augen schauen und erwiderte Magatsus Blick gelangweilt.
Zweifelnd erwiderte Magatsu ebenfalls diesen Blick. "Und das glaubt dir der Junge?" Der Junge hatte auf Magatsu bislang zwar keinen überaus cleveren Eindruck gemacht, doch selbst noch so schwerfällige und träge Jungen stellten irgendwann die richtigen Fragen.
Manjis anschließender Blick auf ihn war allerdings so unerbittlich, dass selbst Magastu beinahe die Lust zum Nachfragen verging. Der Unsterbliche war sicher nicht sonderlich geduldig bei solchen Fragen und auch Kinder merkten irgendwann, dass sie die falschen Fragen stellten. Und falls es doch noch Fragen geben sollte, hatte Manji immer etwas parat, dass er antworten konnte, so auch jetzt: "Es gibt viele Bauermädchen, die ihren dicken Bauch verstecken und das Ergebnis auf dem Reisfeld zur Welt bringen." Die Antwort klang so lapidar, dass sie beinahe glaubhaft war. Aber eben nur, wenn Magatsu aus einem früheren Leben nicht einfach zu gut wusste, dass das nicht zu dem Unsterblichen passt. "Seit wann bist du denn so großherzig und nimmst Findelkinder auf?" Der Versuch, dieses Mal Manji mit Spott zu begegnen, scheiterte, da dieser ihn weder kommentierte noch ihn vermutlich irgendwie auf sich wirken ließ.
Stattdessen stieß der Unsterbliche nur langsam den Rauch seiner Pfeife aus und stellte übergangslos eine Gegenfrage: "Jetzt sag schon, Magatsu, was willst du wirklich hier? Die Nummer mit den alten Freunden glaube ich dir nicht."
Ebenso wie er ihm die Sache mit den Findelkinder, doch Magatsu schluckte diese Erwiderung herunter, wurde ernst und schaute sich nach einer Sitzgelegenheit in der Hütte um. Fündig wurde er in einem Fass neben der Tür, auf dem er sich kurzentschlossen niederließ. Manji bemerkte seinen ernsthaften Blick, setzte sich auf und hörte schweigend zu, als Magatsu verkündete: "Mein Herr will dich sehen."
Jetzt schlich sich doch wieder ein Hauch von Spott in Manjis Züge. "Dein Herr?" Obwohl sich Magatsu dessen durchaus bewusst war, antwortete er weiterhin ernst: "Ein Fürst in Norden. Er besitzt einiges an Land." Manjis Blick machte ihm klar, dass dieser eine andere Antwort erwartet hatte – oder eine andere hatte provozieren wollen. Dementsprechend trocken fiel dann auch dessen Nachfrage aus: "Und was will deine Herr von mir?"
Unbewusst rutschte Magatsu etwas nervös auf dem Fass herum, doch als er es bemerkte, hielt er inne und antwortete: "Er hat von deinen hundert Morden gehört und will, dass du für ihn kämpfst." Diese Aussage entsprach sogar der Wahrheit.
Nachdenklich starrte Manji durch die Türöffnung ins Freie. "Im Norden sagst du?" Lässig ließ er seine Pfeife vom einen in den anderen Mundwinkel wechseln. "Woher weiß er dann von mir? Ich war noch nie im Norden."
"Ja, nördlich", beantwortet Magatsu zunächst die erste Frage. Dann folgte der Teil, vor dem er sich schon fürchtete, seit er am Hof seines Herrn aufgebrochen war. Dementsprechend zögerlich fiel seine zweite Antwort aus. "Möglicherweise ist es mir herausgerutscht." Er betrachtete intensiv das Innere der Hütte. Da es außer den Schlafstätten, einigen Kisten und dem Fass, auf dem er saß, nicht viel zu sehen gab, fiel sein Blick allerdings nach kurzer Zeit wieder auf Manji. Dessen Gesichtsausdruck schwankte bei kurzem Hinsehen zwischen Belustigung und Unverständnis. Genau das konnte man auch aus der Stimme des Unsterblichen hören, als er aufgebracht fragte: "Wie kann einem denn so einfach rausrutschen, dass man einen Massenmörder kennt? Scheinbar bist du trotz des Alters immer noch so grün wie früher." Das Unverständnis überwog nun eindeutig.
Peinlich berührt kratzte sich Magatsu am Kopf, bevor er zugab: "Vielleicht war ich betrunken." Das Trinkgelage war eine Ausnahme gewesen und er war sich auch sicher, dass sich sowas nie wiederholen würde. Das eine Mal war es jetzt allerdings passiert und er hatte betrunken damit angeben, dass er den Hundert-Mann-Mörder kannte. Seinem Herren war das zu Ohren gekommen und hatte ihn begierig hingeschickt.
Manji verdrehte vielsagend die Augen, kommentierte sein Geständnis zum Glück aber nicht weiter, sondern blieb beim Thema: "Und wenn ich nicht will?"
Beiläufig zuckte Magatsu mit den Schulter, bevor er das in seinen Augen Unausweichliche erklärte: "Dann werde ich ihm die Nachricht überbringen und er wird Männer schicken, um dich zu töten. Die Summe auf deinen Kopf gilt noch immer."
Natürlich hatte Magatsu nicht erwartet, dass der Unsterbliche jetzt zum Wüterich wurde und seinem Ärger Luft machte, da dies nicht Manjis Art war, doch dessen gelassene, beinahe gemächliche Antwort überraschte ihn dann doch. "Das trifft sich, ich wollte eh verschwinden. Dann habe ich jetzt ja noch einen weiteren Grund."
„Was ist der andere?“, fragte Magatsu so erstaunt über diese Eröffnung, dass er jede Zurückhaltung vergaß. Manji jedoch nicht, so dass er die Frage überging und unbeirrt fortfuhr: "Der Junge ist alt genug, um für sich selbst zu sorgen. Ich bin so großzügig und überlasse ihm die Hütte, während ich für immer verschwinde. Also mein ‚für immer‘, nicht deins." Manji grinste sein Gegenüber an, doch er konnte diesen damit nicht über die folgenschwere Entscheidung hinwegtäuschen, die er treffen würde. "Das heißt, er wird allein hier sein, wenn die anderen Männer des Fürsten herkommen?"
"Ja, er hat doch nichts mit denen zu schaffen", begütigte der Unsterbliche mit wegwerfender Handbewegung, die in Magatsus Augen besorgniserregend naiv wirkte. Er konnte doch nicht glauben, dass sich dieses Problem so einfach erledigen würde. Ernst wiedersprach Magatsu dementsprechend: "Manji, wir wissen beide, was für Männer solche Fürsten sind. Glaubst du, dessen Männer werden deine Abwesenheit hinnehmen und den Jungen verschonen? Ich glaube das nicht." Er musste es wissen. Außerdem schien es ihm nicht wahrscheinlich, dass Manjis sich diesem Risiko nicht bewusst war, doch dieser schien tatsächlich noch einen Augenblick darüber nachzudenken. Seine Antwort fiel daraufhin zwar leise, aber entschlossen aus: "Aber ich muss bald weg."
Bevor Magatsu den Inhalt des Satzes für sich erschließen konnte, war Manji bereits aufgestanden. Erst jetzt fiel ihm auf, dass dieser keinerlei Waffen bei sich trug, was für ihn wirklich ungewöhnlich war. Da Manji sich bereits von ihm abgewandt hatte, hielt dieser das Gespräch wohl für beendet und verließ die Hütte. Im warmen Tageslicht richtete Manji gerade seine Yukata, die nicht ganz so schäbig aussah wie die von dem Jungen und immer noch dasselbe Farbmuster aufwies wie früher. Bevor der Unsterblich sich allerdings wohin auch immer auf den Weg machen konnte, hielt Magatsu ihn noch einmal auf: "Manji, wo ist eigentlich Rin?" Er wusste an den Moment denken, als er das Mädchen im Arm gehabt hatte und sie einfach viel zu leicht und schwach gewesen war – so als ob bereits jedes Leben aus ihr gewichen war. Irgendwie wünschte Magatsu sich gerade, dass Rin gleich wohlbehalten um die Ecke kommen würde. Sie hätte es verdient und dann hätte die Geschichte von damals zumindest einige ein gutes Ende gehabt.
Doch Manji half ihm nicht aus seiner Unwissenheit, sondern sagte ohne sich umzudrehen: "Keine Zeit, Magatsu, ich muss zu einer Verabredung. Aber ich grüß' sie von dir."
Skeptisch schaute er dem Unsterblichen hinterher, der sich ohne weitere Worte von der Hütte entfernte. "Komm mir ja wieder, Manji", rief Magatsu dem anderen noch hinterher, während dieser sich bereits dem Waldrand näherte. Zu was für einer Verabredung der wohl wollte? Das würde Magatsu wohl erst herausfinden, wenn er wiederkam – was Manji hoffentlich tat. So blieb dem Kämpfer zunächst nichts anderes übrig, als bei der Hütte zu warten. Vielleicht tauchte ja der Junge…
"Er kommt jedes Mal wieder", erklang dann auf einmal die leise Stimme Runs neben ihm. Magatsu hatte gar nicht mitbekommen, wie dieser sich der Hütte genähert hatte. Doch bevor er auf den Jungen eingehen konnte, schall auch von der anderen Seite noch einmal Manjis Stimme herüber, als hätte dieser den Jungen selbst noch auf diese Entfernung gehört. Auf die Entfernung konnte Magatsu gerade noch erkennen, wie sich der andere Mann im Gehen noch einmal umwandte und den Jungen lautstark anwies: "Run, biete unserem Gast doch einen Frosch an, solange ich weg bin." Wie ertappt richtete sich der Junge überrascht auf und schaute Magatsu fragend an. Der konnte den Blick nur erwidern und fragte sich, ob er das richtig verstanden hatte. "Einen Frosch?"
Nachsatz:
1. Ein Jimbei
2. Eine Yukata
3. In einem mittlerweile nicht mehr auffindbaren japanisch-deutschen Online-Wörterbuch habe "Run" als Übersetzung für "Junge" gefunden. Ob man es einfach so als Name umsetzen kann, weiß ich leider, aber ich hatte mich schon so sehr an den Namen gewöhnt, dass er nun geblieben ist.
Disclaimer: Ich habe keinerlei Recht an dem Manga "Blade of the Immortal" und verdiene an dieser Geschichte auch kein Geld.
Zeitraum: Weit nach Abschluss der Geschichte, wobei ich es mir selbst überlassen habe, wer überlebt
Anmerkungen:
1) Die Story wurde geschrieben und hochgeladen, als der 29. Band von BotI noch nicht erschienen war. Daher passt das Ende womöglich nicht mit Samuras Ende zusammen. (Update 21/07/13: Es passt nicht zusammen :D )
2) Die erste BotI-Story auf FF.de mit mehr als einem Kapitel. Da ist man doch etwas stolz.
Herren und Frösche
1. Kapitel
Erleichert atmete Taito Magatsu tief durch, als er Edo endlich hinter sich ließ. Der Stadtrand mochte nicht mehr so schlimm sein wie der Stadtkern, aber die hohen Mauern um die herrschaftlichen Häuser engten ihn ein – vermutlich hatte er sich bereits viel zu sehr an das Landleben gewöhnt. Der Mann, den er suchte, würde bestimmt über seine Stimmung lachen, aber dieser hatte sich ja auch über so gut wie alle Dinge lustig gemacht, die Magatsu sagte - und vor allem über diesen selbst. Eine Stimme in seinem Kopf versichert glaubhaft, dass das bestimmt auch heute noch so sein würde.
Es war lange her, dass Magatsu das letzte Mal in Edo gewesen ist. Doch in der Stadt hatte sich kaum etwas verändert. Auf den Straßen war es noch genauso laut und unruhig, der Gestank auf den Brücken, der von den dreckigen Kanälen hochstieg, raubte einem in unbedachten Momenten immer noch den Atem. Deshalb mochte er das Land so. Dort gab es zwar auch übelriechende Gegenden, aber diese waren nicht so unumgänglich und dichtgedrängt wie hier in Edo.
Er wünschte, er könnte behaupten, sich seit seinem letzten Besuch in dieser Stadt verändert zu haben. Damals war er noch die rechte Hand bei Itto-Ryu gewesen und hatte die Stadt als Kämpfer verlassen. Nun – als er sie wieder betrat – war er immer noch ein Kämpfer, auch wenn er sich zwischendurch bemüht hatte, etwas anders zu sein. Vielleicht konnte Magatsu sich ebenso wenig ändern wie Edo es konnte. Kämpfer blieben Kämpfer, Dreck blieb Dreck.
Diese Tatsache deprimierte ihn und aus diesem Grund war er auch froh, als er endlich das letzte Haus Edos hinter sich gelassen hatte. Er hätte sich die Stadt auch ersparen können, immerhin hatte sein Gasthaus schon am letzten Abend weit außerhalb von Edo gelegen, damit er sich keine Schlafmöglichkeit in der Stadt suchen musste. Bis er die Stadt heute erreicht und durchquert hatte, war die Sonne über ihren Zenit schon lang hinweg gewandert. Die Stadt allerdings ganz zu vermeiden hätte allerdings noch mehr Zeit in Anspruch genommen – ihm wäre es egal gewesen, seinem Herrn wäre dieser Umweg aber bestimmt unangenehm aufgestoßen.
Magatsu war nur ein einziges Mal bei der Hütte am Fluss gewesen und musste sich auf die Erinnerung an damals verlassen, um diese zu finden. Was ihm dabei in die Hände spielte, war die Tatsache, dass sich wie in der Stadt auch hier draußen kaum etwas verändert hatte. Ohne Schwierigkeiten fand Magatsu den Weg über die staubige Straße und als er in einiger Entfernung den Fluss entdeckte, bog er in das kleine Laubwäldchen ab. Natürlich war nicht mal der Ansatz eines Trampelpfades auf dem Waldboden zu erkennen und so musste er sich seinen Weg durch Bäume und Büsche nach Gefühl bahnen. Als er sich schon unsicher war, noch in der richtigen Richtung unterwegs zu sein – oder im richtigen Wald zu sein –, lichtete sich der Wald und Magatsu trat auf die gesuchte Wiese. Der Anblick war ihm auf seltsame Art vertraut, auch wenn er nur ein Mal hier draußen und es da sogar schon dämmerig gewesen war. Zu seiner Rechten floss träge der kleine Fluss entlang, den terrassenartigen Hügel hinauf lief man direkt auf die kleine, schäbige Hütte zu, die der gesuchte Mann hoffentlich noch sein Zuhause nannte. Es war viel Zeit vergangen, seit er damals hier gewesen war, vielleicht hatte er sich mittlerweile eine neue Bleibe gesucht.
Allmählich spürte der Kämpfer die Anstrengungen seiner Wanderung in den Beinen. Das kam in letzter Zeit immer häufiger vor. Er mochte noch der beste Kämpfer am Hof seines Herrn sein, doch an täglichen, stundenlangen Trainingskämpfen nahm er nur noch in Ausnahmefällen teil. Vielleicht war das der Grund dafür, warum er sich bei einem abendlichen Trinkgelange unbedingt mit den jüngeren Kämpfern hatte messen wollen. Und nur deswegen hatte er sich auf den Weg zu dieser Hütte machen müssen.
Ein Blick zum Horizont offenbarte Magatsu, dass die Sonne sich diesem wieder ein gutes Stück genähert hatte. Sollte er hier nicht fündig werde, würde er nach Edo zurückkehren müssen oder müsste im Freien schlafen müssen, was für seinen Rücken nicht sonderlich verlockend klang. Wäre er aber erst mal im Stadtkern, würde er schnell eine Bleibe finden. Lieber wäre es ihm allerdings, wenn er hier direkt finden würde, was er suchte.
Mit einigen Schritten trat er auf die Wiese, doch diese lag friedlich und ungestört in der Sonne. Auch bei der Hütte konnte Magatsu keine Bewegung ausmachen. Während er diese jedoch noch musterte, bemerkte er im Augenwinkel doch eine Bewegung, die ihn instinktiv zum Schwert greifen ließ, bevor er sich zur Seite drehte. Dort hatte sich ein Jungen aufgerichtet, der allem Anschein nach bis eben noch in der spärlichen Uferböschung gesessen hatte. Es war Magatsu schleierhaft, wie er den Jungen übersehen konnte, auch wenn dieser zwar schlaksig, dafür aber recht groß war.
Mit überraschten, großen Augen starrte dieser nun zu Magatsu herüber und dieser nahm schuldbewusst seine Hand von seinem Schwertgriff. Aus seiner Kindheit wusste er, wie angsteinflößend plötzlich auftauchende Samurai sein konnten. Magatsu bemühte sich um ein friedlichen Eindruck und ging auf den Jungen zu, der sich tatsächlich vom Fluss entfernt und scheinbar versuchte, sich zwischen den unbekannten Samurai und die Hütte zu bringen. Magatsu registrierte dies, sprach es jedoch nicht an, als er das Wort an den Junge richtete: "Wohnt hier ein gewisser Manji?" Der Junge schaute ihn einen Moment stumm und ausdruckslos an, bevor er dann mit den Schultern zuckte.
Nur ein guter Beobachter konnte sehen, wie sich dabei die Hand des Jungen um die Angelschnur verkrampft – auch wenn Magatsus Augen auf die Ferne vielleicht nachließen, bei Nahem konnte er die Dinge immer noch genau erkennen. Also wohnt hier wohl ein gewisser Manji – und der Junge kannte ihn. Magatsu nahm diesen noch einmal genauer in Augenschein. Dass der Junge groß und schlaksig war, hatte er bereits erkannt, sein Jimbei war bereits abgetragen und an den Füßen trug er keine Schuhe – nicht einmal Sandalen. Als er dem Jungen ins Gesicht sah, konnte er einen Hauch von Unsicherheit in diesem erkennen, aber keinerlei vertraute Gesichtszüge.
Um den Überraschungseffekt auf seiner Seite zu haben, fragte Magatsu unvermittelt: "Ist er in der Hütte?" Erneut zuckte der Junge nur mit den Schultern, aber seine Augen zuckten kurz zur Seite, in die Richtung der Hütte. Ein Fehler, der Magatsus Plan aufgehen ließ und ihn dazu veranlasste, sich mit einem Lächeln nickend zur Hütte zu wenden. Er hatte bereits den Anstieg der Terrasse erreicht, als der Junge aus seiner Starre erwachte und mit langen Schritten zu ihm aufschloss. Als er Magatsu kurz ins Gesicht schaute, konnte dieser eine gewisse Angst in den Augen des Jungen ausmachen. Dann war der Junge aber auch schon vorbei und eilte vor ihm die Steigung hinauf. Hatte er das Gesicht des Jungen vielleicht schon mal irgendwo gesehen? Magatsu war sich wirklich nicht sicher, er konnte ihn nicht einordnen.
Der Junge hatte vor der Hütte innegehalten und wies für Magatsu mit der Hand auf den Eingang. Zufällig streifte dessen Blick den Türflügel und obwohl er wusste, dass es unmöglich war, glaubte er da noch das Loch zu sehen, in dem der Nagel für Rins Haarring gesteckt hatte. Die Entführung war so lange her, dass das nicht nur wie aus einem vergangenen Leben schien, sondern auch aus einem solchen war. Wieder schaute er dem Jungen ins Gesicht und versuchte dieses Mal irgendwas in dessen Gesicht Rin zuzuordnen, aber es gelang ihm nicht – und sollte da etwas sein, war es wohl lediglich Wunschdenken seinerseits. Noch immer hielt der Junge den Arm hoch, doch statt der Aufforderung Folge zu leisten und die Hütte zu betreten, fragte Magatsu zunächst: "Wie alt bist du, Junge?"
Mit überraschtem Gesichtsausdruck ließ der Junge den Arm sinken und antwortete zögernd: "Fünfzehn." Mit einem Nicken nahm Magatsu sowohl die Antwort als auch die Tatsache, dass der Junge doch sprechen konnte zur Kenntnis und ging dann in die Hütte.
Einen Moment lang kämpften seine Augen mit der schummrigen Dunkelheit, doch dann konnte er sich in der kargen Hütte orientieren. Vor ihm lag ein erwachsener Mann auf einem Lager aus Stroh und Decken, eine Pfeife entspannt in der einen Hand. Als er seinen Augen endgültig wieder trauen konnte, erkannte er in diesem eindeutig Manji. Er hatte zwar schon früher einiges über die Wirkungen von dessen Unsterblichkeit in Erfahrung gebracht, hatte aber bezweifelt, dass Manji tatsächlich auch äußerlich nicht altern würde. Das Gegenteil wurde ihm jetzt klar, der gesuchte Kämpfer sah immer noch aus wie an dem verfluchten Tag, als er diesen das letzte Mal gesehen hatte.
Auf ihn selbst traf das zwar nicht zu – Magatsu wusste, dass die Zeit an ihm nicht spurlos vorbeigegangen war –, aber auch Manji erkannte ihn sofort: "Magatsu." Zu dessen Unwillen klang Manjis Stimme belustigt, als er weiter sprach: "Was führt dich denn her?"
Um nicht mit der sprichwörtlichen Tür ins Haus zu fallen, erwiderte Magatsu mit schiefem Grinsen: "Darf man nicht mehr alte Freunde besuchen?"
Der Unsterbliche verdrehte die Augen, richtete diese aber anschließend unerbittlich auf den Jungen, der immer noch hinter Magatsu stand. "Hast du ihm etwa gesagt, dass ich hier bin?"
Hastig schüttelte der Junge den Kopf und versteifte sich dabei in seiner ganzen Haltung. "Aber hergeführt hast du ihn, oder wie?", bohrte Manji weiter und richtete sich bereits ein Stück auf seinem Lager auf. Es folgte ein erneutes Kopfschütteln, das sogar noch hastiger war als das Vorherige. Magatsu beschloss einzugreifen, bevor der Junge noch vor Angst sterben würde: "Ich habe ihm keine Wahl gelassen." Das ließ sich zwar unterschiedlich auslegen, aber Manji schien die Antwort zu genügen, da er sich wieder entspannt zurücklehnte. Er zog kurz an seiner Pfeife, nahm dann jedoch mit erwartungsvollem Blick wieder den Jungen ins Visier: "Hast du für heute schon genug gefangen?" Das Gesicht betreten zu Boden gerichtet, schüttelte der Junge den Kopf und reagierte prompt auf Manjis folgende Aufforderung: "Dann mach dich mal wieder an die Arbeit!" In Magatsus Ohren hatte die Aufforderung bei weitem nicht so barsch geklungen, wie die vorherige Befragung, doch trotzdem drehte der Junge sich eilig um und machte sich wieder auf den Weg.
"Und fang gleich ein bisschen mehr, Run! Ich glaube, wir sind heute zu dritt!"
Von seinem Platz nahe der Tür konnte Magatsu zwar sehen, wie der Junge kurz innehielt, sah sonst aber keine weiteren Zeichen des Verstehens bei ihm. Dann war er jedoch endgültig aus Magatsus Blickfeld verschwunden. Run – was für ein eigenartiger Name.
Kurz starrte Magatsu noch auf die Ecke, hinter der der Junge verschwunden war, wandte sich dann jedoch wieder Manji zu, als dieser ihn ansprach: "Die Worte ‚nie wieder‘ haben für mich zwar kaum eine Bedeutung, aber für dich müssten sie doch eigentlich bedeuten, dass ich dich nicht noch mal sehen muss, oder?" Erneut hörte der Kämpfer diesen amüsierten Unterton, doch er überging diesen genauso wie die Anspielungen auf die Unsterblichkeit und die Tatsache, dass sie sich wirklich nie hatten wiedersehen wollen. Stattdessen fragte er nach dem, was ihn im Moment eigentlich viel mehr interessierte: "Wer ist der Junge?"
Desinteressiert schob sich Manji seine Pfeife in den Mundwinkel, zog jedoch vorerst nicht daran, sondern erwiderte träge: "Wer soll er schon sein? Ein Junge, den ich groß gezogen habe." Die Antwort kommentierte Magatsu zunächst mit einem Grinsen, bevor er seinen Gedanken nicht ohne eine gewisse Schadenfreude mit seinem Gegenüber teilte: "Hast wohl einer Frau ein Kind angedreht, was?"
Obwohl Magatsu noch nicht lange in der Hütte war, verdrehte Manji zum wiederholten Mal die Augen. "Er ist ein Findelkind, du Idiot." Wie Magatsu auffiel, schaute der Unsterbliche ihm bei dieser Aussage nicht in die Augen und augenblicklich war ihm klar, dass das nicht die Wahrheit war. Mit der würde Manji aber vermutlich so schnell nicht rausrücken. Einen Versuch war es aber wert, befand Magatsu und hakte deshalb nach: "Das ist deine Erklärung. Und in Wirklichkeit?"
"Ist er ein Findelkind." Auch wenn die Wiederholung die Lüge nicht wahrer machte, konnte Manji ihm dieses Mal immerhin in die Augen schauen und erwiderte Magatsus Blick gelangweilt.
Zweifelnd erwiderte Magatsu ebenfalls diesen Blick. "Und das glaubt dir der Junge?" Der Junge hatte auf Magatsu bislang zwar keinen überaus cleveren Eindruck gemacht, doch selbst noch so schwerfällige und träge Jungen stellten irgendwann die richtigen Fragen.
Manjis anschließender Blick auf ihn war allerdings so unerbittlich, dass selbst Magastu beinahe die Lust zum Nachfragen verging. Der Unsterbliche war sicher nicht sonderlich geduldig bei solchen Fragen und auch Kinder merkten irgendwann, dass sie die falschen Fragen stellten. Und falls es doch noch Fragen geben sollte, hatte Manji immer etwas parat, dass er antworten konnte, so auch jetzt: "Es gibt viele Bauermädchen, die ihren dicken Bauch verstecken und das Ergebnis auf dem Reisfeld zur Welt bringen." Die Antwort klang so lapidar, dass sie beinahe glaubhaft war. Aber eben nur, wenn Magatsu aus einem früheren Leben nicht einfach zu gut wusste, dass das nicht zu dem Unsterblichen passt. "Seit wann bist du denn so großherzig und nimmst Findelkinder auf?" Der Versuch, dieses Mal Manji mit Spott zu begegnen, scheiterte, da dieser ihn weder kommentierte noch ihn vermutlich irgendwie auf sich wirken ließ.
Stattdessen stieß der Unsterbliche nur langsam den Rauch seiner Pfeife aus und stellte übergangslos eine Gegenfrage: "Jetzt sag schon, Magatsu, was willst du wirklich hier? Die Nummer mit den alten Freunden glaube ich dir nicht."
Ebenso wie er ihm die Sache mit den Findelkinder, doch Magatsu schluckte diese Erwiderung herunter, wurde ernst und schaute sich nach einer Sitzgelegenheit in der Hütte um. Fündig wurde er in einem Fass neben der Tür, auf dem er sich kurzentschlossen niederließ. Manji bemerkte seinen ernsthaften Blick, setzte sich auf und hörte schweigend zu, als Magatsu verkündete: "Mein Herr will dich sehen."
Jetzt schlich sich doch wieder ein Hauch von Spott in Manjis Züge. "Dein Herr?" Obwohl sich Magatsu dessen durchaus bewusst war, antwortete er weiterhin ernst: "Ein Fürst in Norden. Er besitzt einiges an Land." Manjis Blick machte ihm klar, dass dieser eine andere Antwort erwartet hatte – oder eine andere hatte provozieren wollen. Dementsprechend trocken fiel dann auch dessen Nachfrage aus: "Und was will deine Herr von mir?"
Unbewusst rutschte Magatsu etwas nervös auf dem Fass herum, doch als er es bemerkte, hielt er inne und antwortete: "Er hat von deinen hundert Morden gehört und will, dass du für ihn kämpfst." Diese Aussage entsprach sogar der Wahrheit.
Nachdenklich starrte Manji durch die Türöffnung ins Freie. "Im Norden sagst du?" Lässig ließ er seine Pfeife vom einen in den anderen Mundwinkel wechseln. "Woher weiß er dann von mir? Ich war noch nie im Norden."
"Ja, nördlich", beantwortet Magatsu zunächst die erste Frage. Dann folgte der Teil, vor dem er sich schon fürchtete, seit er am Hof seines Herrn aufgebrochen war. Dementsprechend zögerlich fiel seine zweite Antwort aus. "Möglicherweise ist es mir herausgerutscht." Er betrachtete intensiv das Innere der Hütte. Da es außer den Schlafstätten, einigen Kisten und dem Fass, auf dem er saß, nicht viel zu sehen gab, fiel sein Blick allerdings nach kurzer Zeit wieder auf Manji. Dessen Gesichtsausdruck schwankte bei kurzem Hinsehen zwischen Belustigung und Unverständnis. Genau das konnte man auch aus der Stimme des Unsterblichen hören, als er aufgebracht fragte: "Wie kann einem denn so einfach rausrutschen, dass man einen Massenmörder kennt? Scheinbar bist du trotz des Alters immer noch so grün wie früher." Das Unverständnis überwog nun eindeutig.
Peinlich berührt kratzte sich Magatsu am Kopf, bevor er zugab: "Vielleicht war ich betrunken." Das Trinkgelage war eine Ausnahme gewesen und er war sich auch sicher, dass sich sowas nie wiederholen würde. Das eine Mal war es jetzt allerdings passiert und er hatte betrunken damit angeben, dass er den Hundert-Mann-Mörder kannte. Seinem Herren war das zu Ohren gekommen und hatte ihn begierig hingeschickt.
Manji verdrehte vielsagend die Augen, kommentierte sein Geständnis zum Glück aber nicht weiter, sondern blieb beim Thema: "Und wenn ich nicht will?"
Beiläufig zuckte Magatsu mit den Schulter, bevor er das in seinen Augen Unausweichliche erklärte: "Dann werde ich ihm die Nachricht überbringen und er wird Männer schicken, um dich zu töten. Die Summe auf deinen Kopf gilt noch immer."
Natürlich hatte Magatsu nicht erwartet, dass der Unsterbliche jetzt zum Wüterich wurde und seinem Ärger Luft machte, da dies nicht Manjis Art war, doch dessen gelassene, beinahe gemächliche Antwort überraschte ihn dann doch. "Das trifft sich, ich wollte eh verschwinden. Dann habe ich jetzt ja noch einen weiteren Grund."
„Was ist der andere?“, fragte Magatsu so erstaunt über diese Eröffnung, dass er jede Zurückhaltung vergaß. Manji jedoch nicht, so dass er die Frage überging und unbeirrt fortfuhr: "Der Junge ist alt genug, um für sich selbst zu sorgen. Ich bin so großzügig und überlasse ihm die Hütte, während ich für immer verschwinde. Also mein ‚für immer‘, nicht deins." Manji grinste sein Gegenüber an, doch er konnte diesen damit nicht über die folgenschwere Entscheidung hinwegtäuschen, die er treffen würde. "Das heißt, er wird allein hier sein, wenn die anderen Männer des Fürsten herkommen?"
"Ja, er hat doch nichts mit denen zu schaffen", begütigte der Unsterbliche mit wegwerfender Handbewegung, die in Magatsus Augen besorgniserregend naiv wirkte. Er konnte doch nicht glauben, dass sich dieses Problem so einfach erledigen würde. Ernst wiedersprach Magatsu dementsprechend: "Manji, wir wissen beide, was für Männer solche Fürsten sind. Glaubst du, dessen Männer werden deine Abwesenheit hinnehmen und den Jungen verschonen? Ich glaube das nicht." Er musste es wissen. Außerdem schien es ihm nicht wahrscheinlich, dass Manjis sich diesem Risiko nicht bewusst war, doch dieser schien tatsächlich noch einen Augenblick darüber nachzudenken. Seine Antwort fiel daraufhin zwar leise, aber entschlossen aus: "Aber ich muss bald weg."
Bevor Magatsu den Inhalt des Satzes für sich erschließen konnte, war Manji bereits aufgestanden. Erst jetzt fiel ihm auf, dass dieser keinerlei Waffen bei sich trug, was für ihn wirklich ungewöhnlich war. Da Manji sich bereits von ihm abgewandt hatte, hielt dieser das Gespräch wohl für beendet und verließ die Hütte. Im warmen Tageslicht richtete Manji gerade seine Yukata, die nicht ganz so schäbig aussah wie die von dem Jungen und immer noch dasselbe Farbmuster aufwies wie früher. Bevor der Unsterblich sich allerdings wohin auch immer auf den Weg machen konnte, hielt Magatsu ihn noch einmal auf: "Manji, wo ist eigentlich Rin?" Er wusste an den Moment denken, als er das Mädchen im Arm gehabt hatte und sie einfach viel zu leicht und schwach gewesen war – so als ob bereits jedes Leben aus ihr gewichen war. Irgendwie wünschte Magatsu sich gerade, dass Rin gleich wohlbehalten um die Ecke kommen würde. Sie hätte es verdient und dann hätte die Geschichte von damals zumindest einige ein gutes Ende gehabt.
Doch Manji half ihm nicht aus seiner Unwissenheit, sondern sagte ohne sich umzudrehen: "Keine Zeit, Magatsu, ich muss zu einer Verabredung. Aber ich grüß' sie von dir."
Skeptisch schaute er dem Unsterblichen hinterher, der sich ohne weitere Worte von der Hütte entfernte. "Komm mir ja wieder, Manji", rief Magatsu dem anderen noch hinterher, während dieser sich bereits dem Waldrand näherte. Zu was für einer Verabredung der wohl wollte? Das würde Magatsu wohl erst herausfinden, wenn er wiederkam – was Manji hoffentlich tat. So blieb dem Kämpfer zunächst nichts anderes übrig, als bei der Hütte zu warten. Vielleicht tauchte ja der Junge…
"Er kommt jedes Mal wieder", erklang dann auf einmal die leise Stimme Runs neben ihm. Magatsu hatte gar nicht mitbekommen, wie dieser sich der Hütte genähert hatte. Doch bevor er auf den Jungen eingehen konnte, schall auch von der anderen Seite noch einmal Manjis Stimme herüber, als hätte dieser den Jungen selbst noch auf diese Entfernung gehört. Auf die Entfernung konnte Magatsu gerade noch erkennen, wie sich der andere Mann im Gehen noch einmal umwandte und den Jungen lautstark anwies: "Run, biete unserem Gast doch einen Frosch an, solange ich weg bin." Wie ertappt richtete sich der Junge überrascht auf und schaute Magatsu fragend an. Der konnte den Blick nur erwidern und fragte sich, ob er das richtig verstanden hatte. "Einen Frosch?"
Nachsatz:
1. Ein Jimbei
2. Eine Yukata
3. In einem mittlerweile nicht mehr auffindbaren japanisch-deutschen Online-Wörterbuch habe "Run" als Übersetzung für "Junge" gefunden. Ob man es einfach so als Name umsetzen kann, weiß ich leider, aber ich hatte mich schon so sehr an den Namen gewöhnt, dass er nun geblieben ist.