Beautifully Tragic
von WitchesOfOz
Kurzbeschreibung
Elphaba und Galinda diskutieren miteinander. Über den Sinn des Lesens, Sarkasmus und einiges andere, bis es Galinda zu viel wird und sie im Bad verschwindet. Dort allerdings gerät sie in eine äußerst missliche Lage, aus der nur Fräulein Elphaba sie befreien kann - mit fatalen Folgen... Gemeinsame Geschichte von FellowOzian und WickedWitchOfTheWest - Virtuelle Cookies für diejenigen, die erraten, wer welchen Absatz geschrieben hat :D
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp
Fiyero Tigelaar/Tiggular
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
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28.02.2013
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Mens Sana in Corpore Sano
Galindas Hand harrte etwas länger als nötig auf Elphabas Kopf aus. Und sie strich ihr das Haar aus der Stirn, das schweißnasse Haar; das wundervolle Haar, gesponnen zu seidenen Fäden aus schmutzigem Gold – Nun, sie waren ja schwarz. Langsam ließ Galinda ihre Finger durch die langen, losen Strähnen gleiten, die das Gesicht ihrer Zimmergenossin flankierten, während der – mehr oder weniger – »Rest« ihrer Haarpracht grob in einen Zopf gepfercht an ihrem Rücken herabbaumelte, als sei er das Tauwerk am Segelmast eines Schiffes. Sie stieß ein Seufzen aus, das von einem zittrigen Atemzug unterbrochen wurde, den Elphaba versucht war zu nehmen und ihr Körper neigte sich dabei kurzzeitig nach vorne, doch Galinda drückte sie sogleich zurück in ihre Kissen.
»Er ist weg, Fräulein Elphaba...«, flüsterte Galinda beruhigend. »Und er wird gewiss nicht wiederkommen.« Einen Augenblick beobachtete Galinda Elphabas Brust, die sich unregelmäßig hob und senkte, fast als sei ein Ziehharmonikaspieler aus dem Takt der Musik gefallen und würde nun rasch versuchen, wieder Anschluss an dem Spiel seiner Genossen zu finden.
»Machen Sie sich keine Sorgen...«, murmelte Galinda sachte und ihre Finger glitten Elphabas grünen Oberarm hinab. »Kein Wort werde ich ihm sagen, das schwöre ich bei allem, was mir wert ist!« Galinda mied es bewusst, die Worte »bei allem, was mir heilig ist« zu benutzen, wusste sie doch, dass dieser Schwur Elphaba vermutlich keine Sicherheit zu geben vermochte.
Als Galinda Elphaba erneut in das nach wie vor fahle Gesicht blickte, konnte sie beobachten, wie ihre Stubenkameradin die Zähne zusammenbiss, offenbar versucht, einen Schrei zu unterdrücken. Und sie rutschte dabei an den Kissen herab, die sie stützen, während sie vergeblich versuchte, ihre Position zu wechseln. Bald erkannte Galinda, dass Elphaba ihr etwas mitteilen wollte. Mit der Nasenspitze zeichnete sie Kreise durch die Luft – von welchen ihr offensichtlich wieder etwas schwindelig zu werden schien – die letztlich an dem Ölfläschchen hängen blieben, das auf ihrem Nachttisch stand. Galinda nickte und als sie schwach die Hand danach ausstreckte, reichte sie es ihr. Als Elphaba sie immer noch hilflos ansah und dabei leicht dunkelgrün zu werden schien, erhob sich Galinda plötzlich, als hätte man sie mit einer Nadel in das Hinterteil gestochen.
»Ach – Wissen Sie, Fräulein Elphaba... Ich - Ich habe wirklich noch meine...Arbeit in Literaturgeschichte zu erledigen...«, stotterte sie und stolperte dabei fast über ihre hastig gemurmelten Worte, während sie sich weiter von Elphabas Bett entfernte.
Elphaba hatte nicht die Kraft zu protestieren, als Galinda auf einmal aufsprang und sich überstürzt von ihr entfernte. So undamenhaft hektisch hatte sie sie bisher nur ein einziges Mal erlebt – als eine »riesige Monsterspinne« ihr Bett »erobert« hatte und das neugewonnene Terrain nicht wieder hergeben wollte. Dass diesmal sie selbst das Äquivalent zu der Monsterspinne war, war offensichtlich.
Dennoch... irgendwie hatte sie gehofft, Galinda würde ihr helfen können. Ihr Kopf schien zerspringen zu wollen, als sie den erfolglosen Versuch unternahm, sich wieder etwas aufrechter hinzusetzen, und ein gequälter Laut entfuhr ihr durch die zusammengeschnürte Kehle. Ihr ganzer Körper stand in Flammen, und die Brandherde befanden sich ganz eindeutig in ihren Händen, Oberarmen und Schultern und vor allem im Brustkorb. Dennoch lief ihr ein kalter Schauer nach dem anderen den Rücken hinab, und sie schlotterte wie trockenes Laub im Herbstwind.
Galinda zuckte zusammen, als sie hinter sich einen unterdrückten, halb erstickten Schmerzenslaut vernahm. Ihre Wangen glühten, und ihre Finger flatterten, sodass sie ihre eigene Handschrift nicht mehr lesen konnte. Sie zwang sich dazu, sich nicht zu ihrer Stubenkameradin umzudrehen, auch wenn deren keuchender Atem das ganze Zimmer zu erfüllen schien. Sie konnte Elphaba nicht helfen – Fräulein Elphaba, ermahnte sie sich verzweifelt – sie konnte einfach nicht. Sie wusste noch immer nicht, was genau eigentlich passiert war, aber es bedurfte keiner Erklärung mehr, damit sie begriff, dass es irgendwie am Wasser lag. Elphabas Reaktion auf Galindas Tränen auf ihrem Handgelenk... Sie schluckte. Sie wusste nur zu genau, an welchen Stellen Fräulein Elphaba nass geworden war, und sie wusste nicht, wie sie sich überwinden sollte. Allerdings... es sah auch nicht so aus, als könnte Elphaba sich selbst helfen. Wieder einmal spürte Galinda, wie ihr Tränen in die Augen traten, während sie mit sich haderte.
Elphaba brauchte fast fünf Minuten, bis sie die kleine Flasche überhaupt aufbekommen hatte, und danach war es so schwer, ihre Lungen mit Luft zu füllen, dass ihr rote Ringe vor den Augen tanzten. Ihre halb sitzende, halb liegende Position erschwerte die Sache ungemein, da ihre Luftröhre sich dadurch anfühlte wie zusammengefaltet und in einen engen Raum gestopft. Mit geschlossenen Lidern tupfte sie unter Schmerzen etwas Öl auf ihre Finger, ohne die geringste Ahnung, wie sie es von dort aus auf ihre Verletzungen bringen sollte. Als sie versuchte, ihren Arm ein Stück anzuheben, stieß sie unwillkürlich einen leisen Schrei aus, der in einen weiteren Hustenanfall mündete. Elphaba fragte sich, ob Schwindsüchtige sich genauso fühlten oder ob das noch schlimmer wäre.
Fest entschlossen, einen zweiten Versuch zu wagen, bemerkte sie plötzlich durch den Nebel ihrer Gedanken hindurch eine kleine, heiße Hand, die sanft das Ölfläschchen aus ihrem Griff befreite.
Galindas Hände waren ebenso kalt wie warm. Unter der glänzenden Schicht aus Schweiß, die sich wie morgendlicher Tau auf den Feldern im Rot-gold der aufgehenden Sonne auf ihre Handfläche gelegt hatte, fühlte sie, wie ihre Hände zitterten und sie schienen kalt wie Eis, wenn sie die Finger fest aneinander presste, als wolle sie ihnen die Gelegenheit geben, sich gegenseitig Wärme zu spenden. Starr und gefüllt mit Nervosität blickten die blitzblauen Augen auf das zähe Öl, das im rhythmischen Beben von Galindas Arm tanzte. Sie schien sichtlich um Fassung bemüht. Schließlich versteifte sie ihre Glieder, indem sie einen tiefen Atemzug nahm und für kurze Zeit die Luft anhielt.
»Fräulein Elphaba, bitte bleiben Sie ruhig«, sagte sie beinah beschwörend und sie machte sich ohne eine Warnung an der Decke zu schaffen, die Elphabas Schultern verhüllte. Behutsam schälte sie das raue Material von der grünen Haut ihrer Stubenkameradin und ließ die Decke neben ihr auf der Matratze fallen. Galinda sog scharf Luft ein, als sie die furchtbaren Verletzungen sah, die tiefe dunkle Furchen in Elphabas Schultern gruben, die ihre Haut auftürmten, als sei es eine aufspringende Spalte auf der Kruste des Festlandes – eine einstürzende Schlucht. Galinda schluckte. Sie verspürte selbst ein Stechen in ihrer Schulter, als sie sah, – und sich vor allem traute, es länger und genauer zu betrachten – was sie Elphaba angetan hatte. Tatsächlich sahen diese Wunden aus, als würden sie brennen wie das Fegefeuer der Hölle.
»Diese Arznei wird das Brennen lindern?«, fragte Galinda und drehte das dunkle Fläschchen in ihrer Hand nach links und rechts, offenbar auf der Suche nach einem Etikett. Doch sie fand nichts dergleichen.
»Wie sind Sie darauf gekommen, Fräulein Elphaba...?«, fragte sie, doch bald darauf schalt sie sich im Stillen dafür. Sie erhielt ohnehin keine Antwort.
Stumm träufelte sie etwas Öl auf Elphabas Schultern. Sie überwand diese Hürde mühelos. Allerdings rang sie knapp eine Minute mit sich, bevor sie mit spitzen Fingern die glänzende Flüssigkeit in Elphabas Wunden massierte. Doch kaum hatten ihre Fingerkuppen die blass geschwärzte Haut auch nur gestreift, krümmte Elphaba sich plötzlich mit einem Wimmern vornüber und sie zischte in unbändigem Schmerz und sie wand sich und schüttelte die Beine unter Decke – oder bewegte sie eher zuckend auf und ab, fast so, als seien es Froschschenkel, durch welche man zu Forschungszwecken Strom leitete. Augenblicklich zog Galinda ihre Hand zurück, so weit, dass sie sich damit beinah selbst ins Auge stach und sie bückte sich herab zu Elphaba, fasste ihren Oberarm und beugte sich nah an ihr Ohr. Erst entfloh ihr nichts als erschrockenes, keuchendes Atmen. Doch als sich ihre Stimme wieder in ihrer Gewalt befand, stieß sie heiser hervor:
»A-Alles in Ordnung, Fräulein Elphaba??«
Elphaba stöhnte noch einige Male auf. Sie blieb weit über ihre Knie gebeugt – zusammengelegt wie ein gebügeltes Hemd. Und sie schnappte mehrmals scheinbar vergeblich nach Luft, wobei sie die Lider fest zusammen presste. Und dennoch kamen ihr bei all dem heftigen Druck auf ihre Augen keine Tränen. Die Augenwinkel blieben völlig trocken. Nach einigen Sekunden entspannte Elphaba sich schließlich und Galinda hielt ihr ihren Arm entgegen, damit sie sich daran mühevoll wieder aufrichten konnte.
»Si-sind Sie sicher, dass ich...noch mehr davon auf Ihren Wu-Wunden auftragen soll...?«, fragte Galinda und ihre Stimme vermittelte beinah etwas Hoffnung darauf, dass Elphaba verneinen würde. Doch nein, sie nickte. Und ihre Wangen gewannen dabei wieder an Farbe. Langsam senkte sie ihr spitzes Kinn, sodass es für kurze Zeit auf ihrer Brust zu liegen kam. Und sie hustete erneut, das Galinda erschrocken einen leichten Sprung tat.
Galinda zögerte. Sie sah Elphabas hilflose, dunkle Augen. Und sie hörte das laute, erbärmliche, trockene Husten. Tapfer riss sie sich am Riemen. Sie biss auf ihre Lippe und sie blähte ein weiteres Mal die Nasenlöcher. Dann kletterte sie auf Elphabas Bett. Während sie sich über ihre Stubenkameradin beugte, spürte sie, dass ihre Wangen glühend heiß wurden – nein, ihr ganzer Kopf schien zu glühen.
»Nun gut...«, sagte Galinda und ihre Stimme war wieder kaum mehr, als ein ersticktes Flüstern. »Ich muss Sie nun etwas bitten, das...ich gehofft hatte...Sie...nie in meinem Leben bitten zu müssen...«
Sie brach ab, sie schluckte, sie atmete tief und beruhigend durch die Nase ein und aus.
»Fräulein Elphaba...« Sie biss sich auf die Lippe; fest, stechend, schmerzhaft. »La-Lassen Sie...mich Ihnen he-helfen... Lassen Sie mich... Ihr...«
Galindas Hände zitterten. Galindas Stimme zitterte. Ihre Lippen waren fast wie eine unüberwindbare Barriere. Die Worte wollten die Mauer schlicht nicht bezwingen.
»La-Lassen Sie mich Ihr...Kl-Kleid...öffnen...« Das letzte Wort hatte Galinda kaum mehr als ausgespuckt. Sie sah zur Seite. Sie spürte, ihr Kopf wurde heißer und heißer. Wollte sie das wirklich tun...?
Einige Herzschläge lang rührte Elphaba sich nicht, obwohl sie Galindas Worte sehr wohl verstanden hatte, deutlicher als die meisten anderen Dinge, die zuvor gesagt worden waren. Der letzte Satz schien in großen schwarzen Lettern in ihr Hirn gebrannt. Das Kleid öffnen. An sich war das ja schon schlimm genug – jeden Tag gab sie sich Mühe, so viel wie nur irgend möglich von ihrer abstoßenden grünen Haut vor Blicken zu verbergen. Aber damit war es ja nicht getan. Elphabas Rücken war staubtrocken... der Zustand der Vorderseite war es, der ihr Sorgen bereitete. Musste sie wirklich zulassen, dass Galinda...?
Der Schmerz in ihren Schultern war scharf wie ein glühendes Messer, das mit sadistischer Langsamkeit Linien in ihre Haut ritzte, doch sie wusste, dass er in wenigen Minuten abklingen würde. Zudem wirkte er wie ein plötzlicher Schwall kalter Winterluft auf ihr Denkvermögen: Ihre Gedanken waren klarer, nicht mehr so unzusammenhängend, und auch ihre Lungen nahmen den Sauerstoff wieder bereitwilliger auf.
Nachdem sie ein weiteres Mal erprobt hatte, ob sie ihre Arme nicht vielleicht doch weit genug anheben konnte, und diese Aktion damit geendet hatte, dass ihr einige Sekunden lang schwarz vor Augen wurde und Galinda sie stützen musste, damit sie nicht haltlos vornüberkippte, drehte sie auf ihren versteiften Nackenmuskeln den Kopf ein Stück herum und versuchte, in Galindas unscharf erscheinendes Gesicht zu blicken.
»I-Ich-« Sie unterbrach sich, räusperte sich ein paar Mal und wich Galindas Blick aus. »Es t-tut mir … Leid, F-Fräulein Galinda, ich- ich wü-würde a-auch lieber darauf... verzichten, aber ich- ich-«
Galindas Gesicht schwebte am Rand ihres Sichtfeldes herum und wirkte ein wenig verzweifelt. Elphaba senkte wieder den Kopf und konnte ein leises Husten nicht unterdrücken. Sie fühlte sich wie vertrocknet und völlig ausgelaugt, und dennoch merkte sie, wie sie darüber nachdachte, ob Galinda das wirklich machen musste. Vielleicht würde sie es ja aushalten... bis es von selbst soweit verheilt war, dass sie es alleine behandeln konnte?
Bevor sie diesen Vorschlag äußern konnte, fasste sich Galinda offenbar ein Herz. Wie es schien, hatte sie Elphabas Gestammel als die Zustimmung aufgefasst, die es an sich auch war – sie hatte indirekt ja zugegeben, dass sie es alleine nicht schaffte. Elphaba fühlte, wie kleine, zittrige Hände sich an den Knöpfen zu schaffen machten, die ihr Nachthemd hinten aufwies, und dabei abwechselnd heiße und kalte Schauer durch ihren Leib sandten.
Sie schaffte es irgendwie, einigermaßen ruhig zu atmen, während Galinda ihr vorsichtig das Kleid vom Rücken schälte. Erst als die viel zu kalte Luft völlig unvorbereitet auf ihre entblößte Haut traf, sog sie scharf zwischen zusammengebissenen Zähnen den Atem ein. Galindas Hand hielt inne und strich in winzigen Kreisen über ihr rechtes Schulterblatt, während sie krampfhaft schluckte, um den nächsten Erstickungsanfall zu vermeiden. Ihr Kinn lag noch immer auf ihrer Brust, und sie zögerte, es von dort zu entfernen, hielt es doch das Kleid wenigstens halbwegs in Position. Auch Galinda schreckte offenbar zurück, weiterzumachen. Ihre Hände ruhten beide auf Elphabas Rücken, wenn man das als Ruhen bezeichnen konnte – Elphaba spürte, wie von ihnen sanfte Erschütterungen ausgingen und ihren eigenen Körper durchliefen.
Schließlich bewegten sie sich von der Stelle. Helle, weiße Finger stützen sie vorsichtig und halfen ihr, halb gegen ihren Willen, sich etwas zurückzulehnen. Das Kleid rutschte ein Stück weit herunter und entblößte Elphabas vormals grünes Dekolleté, das jetzt schmerzhaft rötlich und lila gefärbt schien. Reflexartig wollte sie die Hände heben, um sich zu verbergen, ließ sie jedoch sofort mit einem Aufstöhnen wieder sinken und verzog das Gesicht. Galinda zögerte erneut.
Schließlich hielt Elphaba es nicht mehr aus. Sie blickte Galinda aus angstvoll geweiteten Augen an, bedeutete ihr aber kaum merklich, fortzufahren. Als schließlich ihr Kleid nur noch irgendwo um ihre Hüften herumflatterte, fühlte sie sich, als stünde sie nackt im Klassenzimmer vor Doktor Dillamond und sämtlichen anderen Professoren, die sie alle begutachteten, als wäre sie ein ungewöhnliches Insekt. Sie bemühte sich, den Impuls, die Arme zu heben, zu unterdrücken, doch es fiel ihr schwer. Ihr Herz raste, und sie schloss die Augen, als sie den Eindruck bekam, die Wände des Zimmers würden sich auf sie zu bewegen. Ihre Brust hob und senkte sich in raschen, unkontrollierten Atemzügen, und für Galinda sah es aus, als würde ihre Zimmergenossin jeden Moment zu hyperventilieren beginnen. Sie biss sich nervös auf die Lippe und wagte nicht hinzusehen, und das Blut schmeckte metallisch und widerlich in ihrem Mund.
Sie leckte sich die Lippen. Sie leckte mehr von dem grauenhaft schmeckenden Blut und sie spürte, ihre Kehle fühlte sich trocken an, wie leicht entflammbares Herbstlaub. Mittlerweile war ihr selbst fast, als hätte sie einen Strick um den Hals gebunden, der ihr die Atemwege verschnürte. Ihr Blick war strikt in die Mitte des Raumes gerichtet. Die Pupillen wanderten die öd weißen Wandbeläge auf und ab, sie streiften vorbei an der entsetzlichen Verwüstung im Badezimmer, blieben eine Weile an der auf dem Boden liegenden Tür haften, reisten anschließend weiter; sie zogen einen trägen, weiten Kreis durch die Stube und sie hielten inne, als sie die Bettkante erreicht hatten. Galinda schluckte. Ihr Atem ging laut und flatternd, fast unregelmäßiger als der ihrer Zimmergenossin. Und plötzlich erschütterte sie ein Schluchzen. Ihre Schultern sprangen dabei hoch bis an ihre Ohren und sie drückte das Kinn zur Brust, fast als wolle sie vergebens versuchen, ihr rasendes Herz zur Ruhe zu zwingen.
Während sie mit dem Rücken zu Elphaba an der äußersten Kante des Bettes sitzen blieb, tasteten ihre zitternden Finger nach der Hand ihrer Kameradin. Sie lag flach auf dem faltigen, rauen Bettbezug und sie war fürchterlich kalt. Mit den Kuppen der Daumen streichelte Galinda Elphabas Handrücken und sie schluchzte dabei unaufhörlich; wie ein kleines Mädchen. Obgleich Elphaba stumm blieb, konnte Galinda fühlen, dass ihr gequälter Blick in ihrem Rücken stach und, dass ihre Finger ebenso zitterten, wie ihre eigenen.
Mit einem holpernden Atemzug durch die Nase schien Galinda schließlich wieder ein wenig zur Ruhe zu kommen. Sie wollte sich nach Elphaba umdrehen, doch ihr Körper weigerte sich. Sie war nicht fähig dazu, sich zu rühren. Was ihr Verstand ihr sagte, verwehrte ihr Körper entschieden und sie brachte kaum die nötige Stärke auf, dagegen anzukämpfen. Was sie sehen würde, wollte sie nicht sehen. Zugleich war ihr bewusst, wie sehr Elphaba ihre Hilfe benötigte. Sie litt unfassbar. Und Galinda musste dem Einhalt gebieten. Mit einem weiteren Atemzug drückte sie Elphabas Hand, wobei sie die andere zu einer kleinen, roten Faust ballte.
»I-Ich...kann das nicht, Fräulein Elphaba...Es ist entgegen meiner...meiner...Was auch immer! Ich denke, es ist nicht richtig, wenn... Ich denke, ich sollte nicht...Nicht einmal, wenn...« Galinda verstummte. Sie wusste, sie würde nicht bemächtigt sein, den inneren Konflikt, den ihre Vernunft, ihre Moral und ihr Gewissen austrugen, in angemessene Worte zu fassen. Stattdessen seufzte sie nur. Und sie drehte sich nicht um.
Doch als sie sich die Tränen von den Wangen wischte – wie oft hatte sie das mittlerweile schon getan? – kam ihr plötzlich ein Gedanke, der ihre Augen sich für kurze Zeit weiten ließ.
»Mo-Moment...!«, japste sie und erhob sich hektisch.
Elphabas Augen folgten ihrer Stubenkameradin an ihren Schrank. Sie zog dessen Flügel auf und sie bückte sich, um eine Schublade zu öffnen. Hinter der Tür ihres Schrankes verborgen, stülpte sie sich offenbar etwas über. Und als sie die Schranktür wieder schloss, konnte Elphaba erkennen, dass Galinda sich eine – zu ihrem Entsetzen – grell pinke, mit feinen Rüschen und dezenten Blumenmustern verzierte Schlafbrille aufgesetzt hatte. Unbeholfen tastete sie sich durch die Stube, bis ihre Hände ein weiteres Mal Elphabas Bettkante berührten. Sie lächelte zaghaft und ihre Mundwinkel schoben dabei eine weizenblonde Locke nach oben, die ihr über die Wange hing. Auch Elphaba rang sich ein schwaches Schmunzeln ab und als Galinda ihr versuchtes Lächeln wahrnahm, wiederholte sie das ihre noch einmal. Elphaba schien ihren Einfall zu mögen. Bestimmt fühlte sie sich schon jetzt um einiges wohler...
Als Galinda plötzlich zu ihrem Kleiderschrank lief, dachte Elphaba zunächst, sie hätte sich doch wieder anders entschieden. Doch schon nach wenigen Sekunden drehte sie sich wieder um, soweit Elphaba das erkennen konnte, und daraufhin fände sie es mit einem Mal gar nicht so schlimm, wenn sie einfach ohnmächtig werden würde und gar nichts mehr sehen könnte. In Höhe von Galindas Gesicht schwebte ein greller pinkfarbener Farbklecks, der dort normalerweise ganz sicher nicht war und der sich in ihre Netzhaut einbrennen zu wollen schien.
Galinda kam wieder näher, langsam und ein wenig orientierungslos, und da erkannte sie, was dieser Farbklecks eigentlich war. Sie hatte allerdings nicht erwartet, dass Galinda eine Schlafbrille besaß... wobei sie sich eigentlich schon abgewöhnt haben sollte, sich bei diesem Mädchen zu wundern. Ein zögerndes, unsicheres Lächeln lag auf ihren Lippen, und Elphaba konnte nicht verhindern, dass auch ihre Mundwinkel durch ein Schmunzeln nach oben gezogen wurden und sie etwas hören ließ, das fast wie ein Kichern hätte klingen können. Daraufhin lächelte Galinda erneut, etwas strahlender als zuvor.
Tatsächlich fühlte auch Elphaba sich jetzt ein klein wenig wohler, nun, da Galinda sie nicht mehr sah. Sicherlich war es auch für diese einfacher, wenn sie nicht ständig grüne, verbrannte Haut vor den Augen hatte.
Neben ihr begann Galinda, mit den Händen umherzutasten. Elphaba fuhr zusammen, als sie einen Griff um ihre eigene Hand fühlte, zog sie aber doch nicht zurück, als Galinda sie festhielt. Mit der anderen Hand tastete sie weiter, und nach einer Weile begriff Elphaba, dass sie das Nachtkästchen suchte, auf dem das Öl stand; allerdings griff sie dabei über einen halben Meter daneben.
»Mehr nach links.« Elphabas Stimme klang heiser, aber verständlich. Galinda grinste verlegen und bewegte ihre Hand zur Seite, bis sie schließlich die kleine Flasche in der Hand hielt. Vorsichtig zog sie sie zu sich heran und legte den Daumen auf die Öffnung, um nichts zu verschütten. Elphaba hatte keine Ahnung, wo der Verschluss gelandet war.
Die nächsten paar Minuten verbrachten die beiden schweigend. Elphaba konzentrierte sich darauf, trotz ihrer steigenden Anspannung ruhig zu atmen und den immer noch gegenwärtigen Hustenreiz zu unterdrücken, während Galinda ruhelos mit der Flasche herumspielte, bevor sie letztendlich mit einem tiefen, zittrigen Atemzug etwas Öl in ihre Hand gab und diese zögernd dorthin bewegte, wo sie Elphabas Dekolleté vermutete.
Als kleine kühle Finger ihre nackte Haut streiften, presste Elphaba die Augenlider zusammen und biss sich stöhnend auf die Lippen. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte das Brennen sich vervielfacht, und einen Moment lang rang sie nach Atem. Galinda hielt besorgt inne und machte unter ihrer Schlafmaske ein fragendes Gesicht.
»Sch-schon g-g-gut«, krächzte Elphaba, als sie ihre Stimme wieder unter Kontrolle hatte. Galinda fuhr mit zitternden Fingern fort.
Als sie geendet hatte, konnte Elphaba kaum noch sagen, was eigentlich passiert war. Sie erinnerte sich an kühle Finger an Stellen, wo es ihr unangenehm war, weil sie dort nicht hingehörten. Sie erinnerte sich an Schmerzen, die vom Brustkorb ausgehend durch ihren Körper jagten und sie dazu veranlassten, haltlos zu zucken. Sie erinnerte sich an einen oder zwei daraus resultierende nicht enden wollende Hustenanfälle, die ihr den Atem raubten, und daran, wie sehr sie erschrocken war, als Galindas Hand einmal versehentlich etwas tiefer gelandet war als geplant. Als die blitzenden Sterne in ihrem Gesichtsfeld irgendwann verschwanden, konnte sie nicht sagen, wie viel Zeit verstrichen war. Sie war auch zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Ihre Lider waren so schwer... sie fühlte, wie Galinda ihr half, sich zurückzulegen, und war erleichtert, dass sie dennoch einigermaßen atmen konnte. Als eine Decke sanft über sie gebreitet wurde, blickte sie noch einmal auf und sah, dass Galinda ihre Schlafbrille abgelegt hatte, ihre Augen jedoch konzentriert auf Elphabas Gesicht gerichtet waren, bis alle unangenehmen Körperstellen verschwunden waren. Mit einem letzten schwachen Lächeln verschwand sie hastig im Bad.
Galinda hatte den Eindruck, als würde sie vor Fräulein Elphaba fliehen, während sie tatsächlich etwas überhastet ins Badezimmer stürzte und sich das Öl (und, wenn sie ehrlich war, das Gefühl von Elphabas Haut unter ihren Händen) von den Fingern wusch, wobei sie das Chaos bewusst ignorierte. Darum würde sie sich später kümmern.