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Beautifully Tragic

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp Fiyero Tigelaar/Tiggular Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
25
90.896
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19.11.2016 4.146
 
Fieber


Etwas außer Atem stieg Galinda wieder die Treppen hinauf, nachdem sie sich von Fräulein Nessarose verabschiedet und ihr versichert hatte, sie wissen zu lassen, wenn etwas Bedenkliches geschah. Kopfschüttelnd kehrte sie in den Schlafsaal zurück. Es kam ihr vor, als wäre schon lange kein Tag mehr vergangen, ohne dass etwas Bedenkliches geschehen wäre...
Ihr Blick wanderte von der zertrümmerten Teetasse zu Elphaba, die noch immer auf der Bettkante saß, vornübergebeugt und den Kopf in beide Hände gestützt. Zögernd ließ sie sich neben ihr auf der harten Matratze nieder, unsicher, wie sie vorgehen sollte. Sie konnte sich in etwa vorstellen, was sich ereignet hatte, das Fräulein Nessarose so erschrocken und ängstlich zurückließ, aber sie wusste nicht, wie sie ihre Freundin am besten darauf ansprechen sollte.
Elphaba nahm ihr die Entscheidung ab.
»Wenn ich dich f-fragen würde, ob ich aufstehen und... und die Scherben bes-seitigen darf, was w-würdest du wohl sagen...?«, fragte sie dumpf und mit wenig Hoffnung in ihre Hände hinein. Galinda verdrehte die Augen, ohne es selbst zu bemerken.
»Deinem Tonfall nach zu urteilen, weißt du ziemlich genau, was ich darauf antworten würde, Elphie!«
Trotz allem konnte sie ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, als Elphaba den Kopf hob, sie ansah und schwach die Mundwinkel nach oben zog. »Einen V-versuch war es... wert.«
Mit strengem Blick erhob Galinda sich vom Bett und machte sich daran, die Porzellansplitter einzusammeln. Wahrlich, Elphaba war die sturste Person, die sie je kennengelernt hatte.

Nach getaner Arbeit setzte sie sich wieder auf Elphabas Bett, doch die wich ihrem Blick aus und starrte auf den Boden, wo noch immer ein dunkler Fleck zu sehen war. »Das wird w-wohl nicht... mehr herausgehen.«
Galinda zuckte mit den Schultern und seufzte. Sie hatte andere Sorgen als einen Teefleck auf dem Boden. Elphaba versuchte, beiläufig zu wirken, doch auf ihren hellgrünen Wangen hoben sich noch immer deutlich die roten Spuren ihrer Tränen ab, und sie zuckte immer wieder zusammen und schloss stirnrunzelnd die Augen, ehe sie sich wieder in der Gewalt hatte.
»Was ist zwischen dir und Fräulein Nessarose vorgefallen?«, fragte sie schließlich vorsichtig. Elphaba murmelte irgendetwas Unverständliches. Galinda wartete eine Weile und stupste sie schließlich ganz sacht am Ellbogen an. »Nun sag schon...«
»Sie wollte mir eine... eine Krankenschwester h-holen. Ich hab... m-mich geweigert.«
Galinda rieb sich ihre kleine Nasenspitze. Sie hatte selbst darüber nachgedacht, ob sie nicht eine Schwester zu Hilfe holen sollte, während Elphaba mit ihrer kleinen Schwester sprach, doch sie war nicht dazu gekommen. Sie nahm auch an, dass das Gespräch nicht so nüchtern verlaufen war, wie Elphaba es nun darstellte, doch vermutlich würde sie nicht mehr aus ihr herausbekommen. »Nun gut«, sagte sie und erhob sich wieder. »Dann werde ich diese Aufgabe weiterhin übernehmen. Das bedeutet, du legst dich jetzt wieder hin und ruhst dich aus!« Sie warf einen Blick zur Seite, nahm hastig das Tablett von der Matratze und stellte es stattdessen auf den Nachttisch. »Und isst noch etwas...«
Schicksalsergeben ließ Elphaba es zu, dass Galinda ihr half, sich wieder in die Kissen zu lehnen. Möglicherweise hätte sie Nessas Vorschlag doch akzeptieren sollen, denn in ihrer Stubenkameradin hatte sie vermutlich die anstrengendste Krankenschwester aller Zeiten. Nicht einen Augenblick lang hatte sie ihre Ruhe, und ihre Kopfschmerzen hielten sie davon ab, dieser Behandlung zu widersprechen. Stattdessen ließ sie noch über sich ergehen, dass Galinda sie zwang, ein paar Bissen des Erbsenbreis zu schlucken, der inzwischen völlig kalt war und selbst, wenn sie hungrig gewesen wäre, alles andere als gut geschmeckt hätte. Schon nach zwei oder drei Löffeln bekam sie kaum noch etwas herunter, weil es sich anfühlte, als würde jeder Bissen in ihrem Mund aufquellen und sich in Pappe verwandeln. Die Farbe des Essens trug auch nicht gerade zu ihrem Appetit bei, da ihre Fantasie mit den Erbsen die seltsamsten Dinge anzustellen schien. Schließlich gelang es ihr, Galinda abzulenken.
»Wie w-war dein Spaziergang?«
Galinda ließ den Löffel sinken. »Recht... angenehm. Warum fragst du?«
Elphaba verzog das Gesicht und hustete leise. »Darf-f ich das nicht? Du klingst n-nur... nicht sehr überz-zeugend... was ist l-los?«
Galinda seufzte. »Ich habe Fräulein Shenshen getroffen... Sie wollte mich unbedingt dazu überreden, den Nachmittag und Abend mit ihr, Fräulein Milla und Fräulein Pfannee zu verbringen... Vermutlich sind meine Gedanken noch bei ihr, entschuldige. Sie kann recht hartnäckig sein...«
Elphaba hob eine Augenbraue. Vielleicht bot sich hier eine Gelegenheit, tatsächlich einmal Ruhe zu bekommen und selbst zu entscheiden, was sie tun wollte?
»W-willst du damit sagen, dass ...d-dass du sie w-wieder a-abgewiesen hast?«
Zwischen Galindas Augenbrauen erschien für einen Augenblick eine kleine senkrechte Falte, die Verwirrung auszudrücken schien. »Natürlich...?« Es klang eher wie eine Frage als wie eine Antwort auf eine solche. Was wollte Elphaba damit sagen? Gewiss hatte sie Shenshen abgewiesen, der Grund dafür lag doch auf der Hand! Wobei sie, das musste Galinda sich eingestehen, doch gerne ein wenig Zeit mit ihr und den beiden anderen verbracht hätte... aber nein, es war egoistisch von ihr, so zu denken. Wo es Elphaba so schlecht ging, wollte sie mit den Mädchen zusammen sein, die ihrer Stubenkameradin das Leben ohnehin ständig nur schwer machten?!
»Es m-macht mir... nichts a-aus, wenn du et-twas mit deinen.. F-Freundinnen unternehmen m-möchtest«, unterbrach Elphabas heisere Stimme ihre turbulenten Gedanken. Doch sie zögerte.
»Ich weiß nicht... ich möchte dich wirklich ungern allein lassen...«
Mühsam hielt Elphaba sich davon ab, entnervt die Augen zu verdrehen. Galinda war als Krankenpflegerin wahrschlich schwer auszuhalten. »Das... das ist schon in O-Ordnung«, sagte sie mit möglichst ruhiger Stimme und unterdrückte den Hustenreiz, der natürlich gerade jetzt wieder stärker werden musste. »Du l-langweilst dich doch z-zu... Tode h-hier... das ist w-wirklich nicht n-nötig.«
Sie sah, wie Galinda schwankte zwischen Pflichtbewusstsein und dem, worauf sie wirklich Lust hatte, und versuchte, nicht allzu viel Hoffnung in ihren Blick zu legen, um sie nicht misstrauisch zu machen.
»Du versprichst mir, dass du im Bett bleibst?«, fragte Galinda plötzlich. »Dass du diesmal keine Ausflüge unternehmen wirst und dich nicht in Schwierigkeiten bringst...?«
Elphaba wich ihrem Blick aus, um sich von der Sorge darin kein schlechtes Gewissen machen zu lassen. Sie versprach es.

Eine Stunde später war sie allein. Sie hatte fast schon vergessen, wie es war, einmal für sich zu sein, und ein paar Minuten lang kam ihr das Zimmer schrecklich still und leer vor. Dann öffnete sie mit einem Aufseufzen das Buch, das Galinda ihr gebracht hatte, damit sie auch wirklich nicht das Bett verließ, und lehnte sich ein bisschen zurück. Jetzt würde wohl fürs Erste niemand sie stören – Galinda war nicht da, und da sie mit ihren Freundinnen zusammen war, würden diese auch nicht kommen, um nach ihr zu fragen. Elphaba ignorierte das Pochen in ihrem Schädel und vertiefte sich in die Buchstaben.
***

Sie hatte sich um Ruhe bemüht. Sie war tatsächlich kaum ohne ein Glied zu rühren stumm und verdrossen darauf, den Inhalt ihres Buches zu erfassen in ihrem Bett gelegen. Sie hatte sich die Schläfen massiert, hatte Oz und wer oder was auch immer sonst noch für all das verantwortlich war, verflucht und war hin und wieder kurz davor gewesen, wutentbrannt das nervenaufreibende kleine Männchen zu suchen, das ungesehen in der Wand kauerte und sich einen Spaß daraus machte, die Zimmerwände und das Mobiliar an einer Kurbel um sie herum im Kreis zu drehen. Oftmals meinte sie sogar, es schadenfroh lachen zu hören und hätte gewünscht, ihr Blick könne die Wände durchdringen und den Störenfried obendrein zu Asche verglühen lassen. Noch nicht einmal, wenn man in vermeintlicher Ruhe im Bett lag und versuchte, sich wovon auch immer auszuruhen, hatte man wirklich und wahrhaftig seine Ruhe.
Kaum hatte sie festgestellt, dass die absolute, selige Ruhe wohl wirklich der am schwersten zu erreichende Zustand war, bestätigte ein sachtes aber doch bestimmtes Klopfen an der Tür sie in dieser Vermutung. Sie stieß ein wütendes Knurren aus, riss den Kopf herum, was das Männchen in der Wand als weiteren Anlass sah, das Zimmer um sie her zu kurbeln und stemmte sich mühsam in eine sitzende Position.
»Wer? Was?«, fauchte sie.
»Ich bin‘s«, antwortete ihr ein zaghaftes, schüchternes Stimmchen.
»Wer ist ›Ich bin‘s‹?!«, warf Elphaba zurück.
»Junker Fiyero«, flüsterte das Stimmchen.
Fiyero. Elphaba erschrak. Ihr Herz gab ihr einen heftigen, unangenehmen Stich. Vollführte es einen überraschten Freudensprung? Oder wich es in panischer Angst zurück und gebot ihr, dasselbe zu tun?
»W-Was wollen Sie hier?«, fragte sie. Es sollte wohl bissig und tonlos klingen, doch sie konnte nicht verhindern, dass ein sanftes, beinahe gespanntes Zittern sich in ihrer Stimme verbarg.
»I-Ich…« Elphaba konnte sich vorstellen, wie Fiyero da vor der Tür stehen musste. Unentschlossen, ungewiss, mit den Fingern tief im Haaransatz vergraben, an der Lippe kauend, von einem Bein auf das andere tretend. Hin und wieder starrte er bestimmt seine polierten Schuhspitzen an oder verschränkte die Hände ineinander.
»I-Ich…habe Ihnen doch versprochen, dass ich das Türschloss wieder in Ordnung bringe… Oder nicht…?«
Elphaba seufzte. War sie enttäuscht? Hatte sie gehofft, von ihm zu hören, dass er nach ihr sehen wollte, weil er sich nach ihrem Befinden erkundigen wollte; weil er sehen wollte, wie es um sie war? Sie presste die Lippen zusammen, so fest, dass es beinahe schmerzte.
»Nicht nötig, Junker Fiyero. Wirklich. Danke für Ihre Mühen, aber ich denke, Sie müssen das wirklich nicht tun«, sagte sie streng.
Nein. Sie hatte sich nicht nach ihm gesehnt. Er war nur ein weiterer, lästiger Störenfried, der sie um ihre so schwer zu erlangende Ruhe brachte und das Zimmer um sie herum tanzen ließ.
»Nun, dann…«, die erschrockene Enttäuschung war ihm anzuhören, »d-darf ich…wenigstens nach Ihnen sehen?«
Elphaba vernahm ein leichtes Kratzen an der Tür. Hatte er das Ohr an das dunkle Holz gelegt? Oder bloß eine Hand? War er zurückgetreten und hatte dabei die Tür gestreift? Wieder wünschte sie, sie könnte ihn sehen, hinter dieser verfluchten Tür. Ihr Herz klopfte nun in ihrem Rachen und sie spürte, dass ihre Finger unwillkürlich wie in Eiseskälte zu zittern begannen. Er wollte es doch. Er wollte nach ihr sehen. Freute sie sich darüber? Sie schluckte. Sie konnte es nicht sagen, konnte ihre Gefühle nicht deuten. Sie waren eine Mischung aus allem zugleich. Abscheu, Freude, Sehnsucht, Befriedigung, Missbilligung, Zorn, Angst… Elphaba grub die Hände in die Bettdecke. Sie wusste nicht, welches Gefühl sie am stärksten empfand, wusste nicht, welchem sie nachgeben konnte, musste – oder durfte. Sie holte tief Luft und dann sagte sie: »Ich wüsste nicht, warum Sie das sollten, Junker Fiyero. Ich kann mich überdies nicht erinnern, dass Ihnen die Erlaubnis erteilt wurde, die Mädchenschlafsäle aufzusuchen, sei es nun Tag, oder Nacht.«
Wieder seufzte sie. Sie konnte sich Fiyeros Gesicht nahezu hinter der Tür vorstellen, auf dem sich die Enttäuschung nun gewiss ins Unermessliche ausbreitete. Nein. Nein, sie konnte und durfte ihm diese Freude nicht machen. Er wollte bestimmt nicht nur das Schloss wieder in Ordnung bringen. Aber was wollte er dann? Und warum? Elphaba konnte sich nicht vorstellen, dass er etwas für sie empfand. Sie konnte sein Verhalten ebenso wenig deuten, wie ihre eigenen Gefühle. Konnte sie denn wissen, ob seine Sorge und Fürsorge, seine Gesten, seine Zuneigung dahingehend zu interpretieren waren? Konnte sie wissen, was sie von alldem halten sollte und hielt?
Doch noch ehe sie zu einem vernünftigen Schluss gelangen konnte, hörte und sah sie, wie die Tür sich langsam öffnete. Hatte Galinda denn vergessen, sie abzuschließen? Hatte sie sie absichtlich nicht abgeschlossen, dass Elphaba sich nicht fühlte, wie in einer Zelle? Hatte Junker Fiyero Galinda um den Schlüssel gebeten und ihn nach langem Betteln und Bitten schließlich erhalten? Da stand er nun – ohne Schlüssel für die Zimmertür – unsicher, was er tun sollte, bloß einen Schraubenschlüssel in der einen Hand und Schrauben und Schraubenmuttern in verschiedenen Größen in der geschlossenen Faust.
»Sie müssen sich hinlegen, Fräulein Elphaba«, sagte er, es klang tatsächlich besorgt. Er machte einen Schritt auf sie zu, beobachtete, wie sie sofort den Kopf senkte und ihn nicht mehr entsetzt und unverwandt anstarrte und blieb sogleich stehen. Sie sagte kein Wort und kam seiner Bitte nach. Sie konnte nicht anders. Die Sorge in seinem Blick traf sie auf sonderbare, undefinierbare Art und Weise. Dennoch kam sie nicht umhin, ihm noch einen letzten, vernichtenden Blick zuzuwerfen, als er sich letzten Endes doch zur Badezimmertür umwandte, um sich um das lädierte Schloss zu kümmern.

Fiyero rieb den Ärmel über seine Stirn. Er legte die übrig gebliebenen Schraubenmuttern – die zu großen und die zu kleinen – auf dem Waschbeckenrand ab, gerade so, als würde er diesen mit Rosenblättern dekorieren. Dann schob er bestimmt den Schraubenschlüssel in seine Tasche und seufzte tief.
»Puh… Ist das heiß heute«, murmelte er beiläufig. »Man möchte ja meinen, der April behält tatsächlich alle Macht über das Wetter für sich.«
Er hoffte wohl auf eine Antwort, doch Elphaba blieb genauso still, wie all die Zeit über, seit er sich daran gemacht hatte, das Türschloss an der Tür zum Badezimmer zu reparieren. Noch einmal berührte er den Schraubenschlüssel in seiner Tasche, fuhr nur mit dem Finger über das kalte Metall, nur um irgendetwas zu tun, irgendetwas zu berühren und er dachte daran, dass er den Schraubenschlüssel noch am heutigen Tag wieder in die Werkstatt im Zentrum von Shiz zurückbringen musste.
Doch das kümmerte ihn nicht. Nicht im Geringsten.
»Fräulein Elphaba?« Er näherte sich ihr. Still, wie ein jagendes Raubtier und ebenso vorsichtig. Es war ihm, als würde sie zittern, als würden all ihre Gliedmaßen beben, als würde sie sich in ihre Decke wickeln, um der Kälte Einhalt zu gebieten, die scheinbar von ihr Besitz ergriffen hatte. Und dabei war es heute sonnig und heiß, gerade so, als wäre es nicht April, sondern Juni.
»Ist Ihnen kalt?«, fragte Fiyero. Er ging neben dem Bett in die Hocke, legte die Hand in ungestümem Drang auf die Bettkante. Oh, wie gerne hätte er sie gestreichelt, wie gerne hätte er sie gewärmt! Doch er wagte es nicht, wagte weder das eine, noch das andere.
»Sie haben Ihre Arbeit getan, Junker Fiyero«, murmelte Elphaba der Wand entgegen. »Und dafür bin ich Ihnen äußerst dankbar.«
Fiyero lächelte, er streckte seine Hand aus, doch ehe er auch nur mit den Fingerkuppen über ihren Rücken streichen konnte, drehte sie sich so plötzlich um, dass sie einen Moment keuchend inne halten und die Hand an die Stirn pressen musste, ehe sie mit finsterem Blick und eiskaltem, bissigem Ton erwidern konnte:
»Und ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie mich nun wieder alleine lassen würden! Sie sollten gar nicht hier sein!«
Fiyero konnte nicht mehr an sich halten. Er umfasste vorsichtig ihre Oberarme, ihren schmalen Körper, sah sie bestimmt an, sodass sie wieder den Kopf senkte, wieder seinen Blick mied, heftiger zu zittern begann und bang nach Luft schnappte.
»Ist ja gut, Fräulein Elphaba«, sagte er sanft. »Beruhigen Sie sich…«
Er bettete sie behutsam in ihre Kissen, sah, wie sie erschöpft die Lider niederschlug, wie die dichten Wimpern dabei die hohen, kantigen Wangenknochen berührten und er wünschte sich, eben diese Stelle in eben jenem Moment küssen zu können. Doch er befahl sich, es nicht zu tun. Nicht jetzt. Stattdessen beobachtete er, wie ihre Brust sich unregelmäßig hob und senkte, wie sie sich krampfhaft und angespannt um Ruhe bemühte; es schien ihr beinahe Anstrengung zu bereiten, Atem zu schöpfen. Und ihr Gesicht war von roten Linien gezeichnet – als hätte sie jemand äußerst brutal mit einem scharfen Gegenstand gekratzt. Was mochte das zu bedeuten haben? Fiyero hinterfragte es nicht weiter.  
Als er seine Hand auf Elphabas Stirn legte, riss diese ihre Augen erneut auf, sie sog zischend Luft ein und ihre Finger schlugen schwach nach Fiyeros Handgelenk.
»Lassen – Sie – das!«, keuchte sie.
Fiyero zog die Hand zurück. Er ballte sie zur Faust, als wolle er sich selbst damit schlagen, wohin auch immer, nur um sich zu sühnen dafür, dass er sich nicht unter Kontrolle hatte. Elphaba war blass und sie zitterte immer heftiger. Doch ihre Stirn – sie glühte regelrecht, als wäre sie zu lange in der prallen Sonne gelegen und hätte dabei keine Kopfbedeckung getragen. Sie starrte Fiyero mit einer Mischung  aus Wut und Entsetzen an und die Panik in dem tiefen, dunklen See ihrer Augen bereitete ihm beinahe Schmerzen.
»Meinen Sie, dass Sie Fieber haben?«, flüsterte Fiyero und betrachtete gewissenhaft die Bodendielen.
»Wie…k-kommen Sie denn darauf?«, zischte Elphaba. Sie drückte die Fäuste an ihre Schläfen und presste die Lippen zu einer dünnen Linie, um nicht zu schreien und auch nicht zu stöhnen vor Schmerz. Sie hörte, dass Fiyero sich erhob, hörte das Knarren der Dielen, als er sich von ihrem Bett entfernte, wo auch immer hin. Weit weg, so hoffte sie. Weit weg von ihr, von ihrem Bett und ihrer Stube. So weit weg, dass er sie nicht mehr in Verlegenheit bringen konnte, sie in keiner Weise belästigen konnte, keine unangebrachten Fragen stellen konnte; und ihren Kopf nicht zur Raserei bringen konnte.
Doch dann vernahm sie das Plätschern von Wasser und augenblicklich meinte sie, ihr Herz einen Schlag erschrocken pausieren zu fühlen – ein fataler Taktfehler. Als sie darauf wieder das Poltern von Schritten auf dem Parkett hören konnte, die sich ihr unheilvoll und vor allem unaufhaltsam näherten, wollte sie kaum die Hände von Stirn und Augen nehmen – wohl in der Hoffnung, sie schützen zu können – wollte sie sich nicht nach Fiyero umdrehen, um zu sehen, was er zu tun gedachte.
»Sie müssen Ihren Kopf kühlen, Fräulein Elphaba«, sagte er. »Er glüht gerade so, als wären Sie zu nahe an einem Lagerfeuer gesessen.«
Mit einem Mal riss Elphaba die Hände von ihren Augen. Sie sah zu Fiyero auf und als sie den nassen, tropfenden Lappen sah, – oder das Handtuch, sie wusste nicht, was es war, in jedem Fall aber konnte sie sehr wohl sehen, auch ohne erst ihre Brille aufsetzen zu müssen, dass dieser Lappen oder dieses Handtuch unter fließendes, kaltes Wasser gehalten worden war – richtete sie sich auf, als zögen sie Fäden ruckartig empor und presste sich so fest gegen die Wand, dass man meinen könnte, sie versuche sich hindurch zu zwängen.
»N-Nein, Junker Fiyero... sch-schon gut, das…das sollten Sie lassen, das--«
Er unterbrach sie sacht und beugte sich zu ihr, die Augenbrauen verwirrt zusammengezogen, eine dunkle Locke hing ihm wirr in die Stirn:
»Glauben Sie mir, Ihr Kopf ist so heiß, wie eine glimmende Herdplatte, etwas Kühlung kann Sie vielleicht auch von Ihren Kopfschmerzen be--«
»NEIN!«, schrie Elphaba, ihre Stimme war plötzlich ungeheuer laut auch, wenn sie sich immer noch recht mühevoll und heiser durch ihren Rachen kämpfte. Sie zog die Beine an, in ihrem verzweifelten Versuch, noch weiter vor Fiyero zurückzuweichen, in der Wand zu verschwinden, sich darin einzuschließen und nicht wieder heraus zu kommen – niemals.
Fiyero zuckte erschrocken zurück, doch trotz seiner offensichtlichen Verwirrung legte er nun sein Knie auf die Bettkante und versuchte, seinem Gesicht einen bestimmten Ausdruck zu verleihen.
»Bitte, Sie müssen mir glauben--«, setzte er an, doch er wurde ein weiteres Mal hastig unterbrochen:
»Und Sie müssen mir glauben, dass das nicht nötig ist! Bitte bleiben Sie zurück, k-kommen Sie nicht näher – Sie haben ja keine Ahnung, was…was diese Abkühlung bewirken würde! AUFHÖREN!«  
Elphaba rang die Hände und starrte Fiyero keuchend an. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, in ihren Augen schimmerte solche Angst, wie Fiyero sie sein Lebtag noch nicht gesehen hatte. Er trat zurück und blickte verdutzt auf das nasse Handtuch, das er nun so fest hielt in seiner Verblüffung, dass er all das Wasser unwillkürlich daraus heraus drückte, sodass es in großen Tropfen auf den Boden fiel. Er räusperte sich, um die plötzliche Stille zu füllen und trat unruhig einmal von einem Bein auf das andere. Alles, was nun mehr zu hören war, war Elphabas hektischer, unregelmäßiger Atem und das leise Geräusch des Wassers, das aus dem Handtuch auf den Boden tropfte. Als er sah, dass Elphaba bei jedem Tropfen leicht zusammenzuckte, legte Fiyero es langsam über das Ende von Galindas Bett. Er hoffte, dass es die Decken nicht zu sehr ruinieren würde, doch er wollte es lieber nicht an Elphabas Bett hängen, und er wollte es in diesem Moment auch nicht wieder ins Badezimmer bringen. Er wollte Elphaba jetzt nicht alleine lassen.

Elphabas Blick hing noch immer an dem nassen, tropfenden Handtuch. Sie wusste, was Fiyero damit vorgehabt hatte, und sie konnte nicht aufhören, daran zu denken, sich bildlich jede Einzelheit auszumalen. Fast glaubte sie, den Schmerz fühlen zu können, als hätte Fiyero ihr gerade das feuchte Handtuch auf die Stirn gelegt, um sie abzukühlen... keuchend kniff sie die Augen zu und presste sich noch enger an die Wand. Sie konnte das Blut in ihren Ohren rauschen hören, im Takt mit ihrem eigenen Herzschlag und dem Pulsieren hinter ihrer Stirn. Verzweifelt versuchte sie, zur Ruhe zu kommen, doch als sie plötzlich Fiyeros Hand auf ihrem Arm spürte, riss sie erschrocken die Augen auf und verschluckte sich beinahe an ihren hektischen Atemzügen. Reflexartig wollte sie zurückweichen und schlug dabei mit dem Kopf gegen die Wand, die einen weiteren Rückzug verhinderte. Während das Zimmer um sie her sich drehte, sich auszudehnen und dann wieder zusammenzuziehen schien, drang wie aus weiter Ferne Fiyeros samtweiche, besorgte Stimme an ihr Ohr.
»Sch…«, machte er beruhigend. Er pfiff durch die Zähne und plötzlich war er ihr ganz nahe. Alles schien ohne sein Zutun zu geschehen und Elphaba hatte kaum mehr die Zeit, vor seiner sanften Berührung zurückzuweichen. Er streichelte sie und in seinen Armen schien sie leise zu wimmern, ohne den Versuch zu unternehmen seiner väterlichen Fürsorge zu entkommen.
»Was…was haben Sie denn, Fräulein Elphaba?« Seine zärtlichen Worte waren beinahe heilend und sie schloss die Augen, ohne sich dabei jedoch ganz dem sanften Streicheln seiner Hände hinzugeben und sich zu entspannen. Eher presste sie trotzig die Lippen zusammen und rollte hinter geschlossenen Lidern die Augen. Sie seufzte und schwieg.
»Bitte…«, flüsterte Fiyero, »Reden Sie mit mir… Wovor haben Sie solche Angst?«
Elphaba schüttelte den Kopf und hätte sie die Kraft gehabt, sich aus Fiyeros einnehmender Umklammerung zu lösen, so hätte sie das spätestens jetzt getan.
»Nein…«, sagte sie und krallte die Finger in den lockeren Hemdsärmel an Fiyeros Unterarm.
»Bitte«, wiederholte Fiyero und seine Stimme nahm beinahe einen flehenden Ton an. »Oh, Fräulein Elphaba, Sie können es nicht ewig geheim halten! Ich verspreche Ihnen, ich werde es niemandem weiter erzählen, das schwöre ich bei--«
Elphaba unterbrach ihn ungehalten. Sie hatte nicht die Geduld, sich anzuhören, bei wem oder was Junker Fiyero ihr zu schwören gedachte, dass er ihr Geheimnis für sich behalten würde.
»Schön!«, rief sie, »Dann sollen Sie es eben erfahren! Sie werden mir ohnehin nicht glauben!« Ja, vielleicht hoffte sie sogar, dass er sie für verrückt erklären würde. Vielleicht hoffte sie, er möge sie als die eigenartige Einzelgängerin erkennen, die sie war, die sie immer sein würde und insgeheim auch gerne bleiben wollte – ja, um jeden Preis! – und sie endlich mit seiner Sorge um sie verschonen.
Doch in Fiyeros tiefen Augen meinte sie den Grund seiner ehrlichen Seele sehen zu können und plötzlich wusste sie, dass er sie tatsächlich nicht verraten würde. Unter diesen Augen, die sie nun erwartungsvoll und sanft anblickten, hätte sie sogar einen Mord gestehen können. Dennoch blieb ihr Blick kalt, als sie mit bissigem Ton fortfuhr:
»Ich weiß nicht genau, was es ist, ich weiß nicht genau, warum und wer sich eigentlich damit auf meine Kosten amüsiert, aber… Es lässt meine Haut verbrennen – D-Das… Das Wasser meine ich… Es hinterlässt Wunden und Narben… Ich…«
Sie mied Fiyeros Blick. Sie sah ihren Daumen dabei zu, wie sie sich wie von selbst umeinander drehten, zählte stumm die Falten, die ihre Hände in die Bettdecke drückten. Und plötzlich sah sie auf, als Fiyero ihr sagte:
»Das… Das tut mir fürchterlich leid, Fräulein Elphaba… Ich wollte Sie nicht… Ich wollte nicht… Oz der Gerechte, wenn ich das Tuch auf Ihre Stirn ge--«
Elphaba sog scharf Luft ein und wieder unterbrach sie ihn hastig, ehe er zu Ende sprechen konnte:
»Es ist schon gut Junker Fiyero! Kein Grund, sich für Dinge zu entschuldigen, die Sie nicht getan haben! Gehen Sie jetzt besser!«
Fiyero bewegte sich ein wenig zurück, doch er erhob sich nicht vom Boden, stattdessen sah er nach dem Lappen an Galindas Bett, sein Blick war dabei nicht zu deuten. Elphaba hätte selbst, wenn sie ihm ins Gesicht gesehen hätte nicht sagen können, was ihm durch den Kopf ging. Möglicherweise, wollte sie das auch gar nicht wissen. Als er zu einer verwirrten Gegenrede ansetzte, wies sie ihn noch einmal barsch aus dem Zimmer, bis er schließlich gehorchte und ihr im Türrahmen noch flüchtig »Gute Besserung« wünschte. Als er die Tür schließlich geschlossen hatte, sank Elphabas Kopf kraftlos in ihre Hände und sie seufzte erschöpft. In ihr tobte ein Sturm der Gefühle. Plötzlich fühlte sie sich, als habe sie einen entsetzlichen Fehler begangen. Und wie als spöttisches Symbol ihrer eigenen Dummheit hing der triefend nasse Lappen an Galindas Bett und schien sie zu verhöhnen.
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