Beautifully Tragic
von WitchesOfOz
Kurzbeschreibung
Elphaba und Galinda diskutieren miteinander. Über den Sinn des Lesens, Sarkasmus und einiges andere, bis es Galinda zu viel wird und sie im Bad verschwindet. Dort allerdings gerät sie in eine äußerst missliche Lage, aus der nur Fräulein Elphaba sie befreien kann - mit fatalen Folgen... Gemeinsame Geschichte von FellowOzian und WickedWitchOfTheWest - Virtuelle Cookies für diejenigen, die erraten, wer welchen Absatz geschrieben hat :D
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp
Fiyero Tigelaar/Tiggular
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
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Ich will ja nur dein Bestes
Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen. Sie vereinten sich, tauchten ineinander, verschmolzen, als seien es nur schwarze Tintenflecken. Dumpfer Kopfschmerz kündigte sich an, in ihrer Stirn rauschte das Blut und es pochte dabei, es pulsierte ungewöhnlich laut durch ihren gesamten Kopf. Nessarose gab das Lernen auf. Sie konnte sich beim besten Willen keine Jahreszahl mehr merken, keinen Namen, keinen Titel, kein Kunstwerk. Sie schloss das Buch und stützte die Ellenbogen darauf, wobei sie sich mit den Daumen die Schläfen rieb und mit den Zeigefingern über die müden, brennenden Augen strich.
Als Madame Akaber mit wehenden Röcken, klimperndem Schmuck und einem Türzuknallen in ihre Gemächer gerauscht kam, stieß Nessarose erschrocken ihre Aufzeichnungen vom Tisch. Das Buch landete auf den grobgemaserten Holzdielen und ihre Notizen schwebten durch den Raum wie befreite, weiße Tauben und landeten völlig willkürlich unter dem Bett, auf dem reich bestickten Teppich und vor den Schuhspitzen der Direktorin. Mit einem genervten Schnauben und einem Stöhnen der Anstrengung wegen, sich von solcher Höhe zu Boden herabbücken zu müssen, griff Madame Akaber unbeholfen nach dem Zettel, der ihr zu Füßen lag und richtete sich mit einem weiteren Seufzen wieder auf. Wortlos reichte sie Nessarose ihr Blatt und machte sich mit schlecht kaschiertem Ärger daran, die restlichen Zettel aufzusammeln.
»Es tut mir Leid, Madame«, sagte Nessarose, als Madame Akaber ihr den Rücken zudrehte, um sich umständlich vor dem Bett herab zu bücken und nach dem Zettel zu tasten, der in die Dunkelheit darunter geglitten war.
Madame Akaber gab ein wütendes Murmeln von sich, aus dem sich erahnen ließ, dass Nessarose sie unfreiwillig davon abhielt, wichtige Arbeiten zu erledigen, die nur schwer einen Augenblick warten konnten. Als sie sich wieder Nessarose zuwandte, um ihr das Blatt zu reichen, gelang es ihr nur schwer, ihr Missfallen zu verbergen.
Elphaba wäre um mich gestoben, wie ein Wirbelwind und hätte unter jeder Teppichfalte und in jeder Bodenspalte nachgesehen, ob mir noch ein Notizblatt fehlt. Und dann hätte sie sich im Mindesten ein Dutzend Mal dafür entschuldigt, mich erschreckt zu haben.
Nessarose schürzte die Lippen. Sie kaute voll Unbehagen daran und als Madame Akaber ihr mit einem Knurren das Buch in die Hand drückte, das sie vom Tisch gestoßen hatte, bedachte sie Nessarose mit einem glühenden Blick, der sie im Stummen für ihre Ungeschicktheit schalt. Immer noch ohne ein Wort zu sprechen, eilte Madame Akaber in ihre Schreibstube und ließ Nessarose in ihrer Schuld zurück. Nessarose seufzte und betrachtete das Buch eine Weile still, ehe sie es auf den Tisch legte und den schweren, schmerzenden Kopf in die Hände fallen ließ.
»Ihnen auch einen guten Abend, Madame«, murmelte sie.
Nessarose wandte sich um, wobei ihr Kopf der heftigen Bewegung zufolge aufschrie und sie einen Moment die Augen zusammenkneifen musste. Sie war allein in ihrem Schmerz. Sie hätte sich gerne auf ihr Bett gelegt, hätte sich gern in ihren Kissen vergraben und den Schmerz in ihnen erstickt, doch sie konnte sich ohne fremde Hilfe nicht aus ihrem Rollstuhl erheben. Sie hörte Madame Akaber in ihrer Schreibstube Verwünschungen murmeln und fluchen, dreimal lag ihr ein Hilferuf auf der Zunge und jedes Mal schluckte sie ihn herunter. Ihr Blick fiel auf die Standuhr. Kurz nach halb elf.
Elphaba hätte längst auf die Uhr geschaut, sie sieht ohnehin beinah alle halbe Stunde auf die Uhr. Sie hätte mir streng meine Bücher entrissen, hätte ich mich dazu entschieden, noch weiter zu lernen und hätte beteuert, ich müsse mich ausruhen, denn wer gewissenhaft und gut lernen will, der braucht auch Pausen – Ach, wie oft sie das sagte! Und dann hätte sie mich ohnehin zu Bett gebracht; zu Bett gebracht, wie ein kleines Mädchen.
»Madame?« Nessaroses Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Noch während sie sich fragte, wie ihr so jemand zu Hilfe kommen sollte, wenn sie nicht den Mut besaß, in angemessener Lautstärke darum zu bitten, kam Madame Akaber mit einem strapazierten Seufzen aus der Verbindungstür gerauscht und baute sich mit einem süßsauren »Was gibt es, mein Kind?« vor ihr auf.
»Ich habe Kopfschmerzen«, sagte Nessarose, wobei sie den Blick der Direktorin gewissenhaft mied. »Das lange Lernen bekommt mir nicht. Ich würde mich gerne etwas zur Ruhe legen«
Madame Akaber sah einen Moment zur großen Standuhr hin und als sie Nessarose ein weiteres Mal in das blasse Gesicht sah und diese es wagte, zurückzublicken, war es, als lägen all ihre Hast und all ihre Eile plötzlich weit hinter ihr.
»Nein, wie spät es schon ist!«, rief sie aus. »Wo bin ich nur mit meinen Gedanken?« Sie stemmte, offenbar entsetzt über sich selbst, die Hände in ihre breiten Hüften.
»Entschuldigen Sie mich, Fräulein Nessarose, ich fürchte, der Ärger und die Unannehmlichkeiten des heutigen Tages, haben mich das Wesentliche völlig vergessen lassen!«
Nessarose schien in ihrer Überraschung keine angemessenen Worte zu finden, weshalb sie besser daran tat, zu schweigen. Und Madame Akaber zog sich den Stuhl heran, der neben dem massiven Eichhaarschrank bereit stand und setzte sich darauf. Der Stuhl ersparte ihr das Bücken, was ihr in ihren ausladenden Röcken und in ihrem eng geschnürten Mieder außerordentlich schwer fiel. Dann streifte sie Nessarose mit eigentümlicher Umständlichkeit die Schuhe ab, wobei es Nessarose nur schwer gelang, das Gesicht nicht im Schmerz zu verzerren. Jede zu kräftige Erschütterung, jedes zu unwirsche Ziehen ließ ein Stechen durch ihre Gelenke gleiten.
Elphaba hatte Hände, zart wie Blütenblätter. Die Direktorin hat massige Hände, kalt wie Eis, rau wie nicht gefeiltes Holz. Elphaba war behutsam und zärtlich zu mir. Die Direktorin ist beinah grob in ihrer unverschämten Eile.
Der Prozess des Umkleidens ging schnell und Routinegemäß von statten. Währenddessen wurde kein einziges Wort gesprochen. Erst als Madame Akaber Nessarose schließlich den Saum ihrer Decke reichte, damit sie sich darin wärmen konnte, sagte sie:
»Haben Sie im Übrigen bereits Nachricht erhalten, dass es Ihrer Schwester alles andere als gut gehen soll?«
Nessarose richtete sich in ihren Kissen auf, sodass sie sich mit dem Rücken ans Bettende lehnen konnte.
»Nein. Was fehlt ihr denn?« Ihr Herz hatte schneller zu schlagen begonnen und in Gedanken konnte sie nicht anders, als sich darüber zu wundern. Zwar kannte sie Elphaba kaum ohne die Kopfschmerzen, die sie Tagein, Tagaus begleiteten, zwar hatte sie nie auch nur einen einzigen Tag erlebt, an dem Elphaba nicht von Übelkeit oder Magenkrämpfen geplagt wurde, trotzdem hatte sie ebenso noch nie erlebt, dass Elphaba sich darüber beschwert hätte. Sie sah die Schmerzen als Anteil ihres Lebens und nahm sie als solche hin. Sie kannte es kaum anders. Was also konnte anderen den Anschein geben, sie fühle sich nicht wohl?
»Offenbar ist, was auch immer ihr fehlt, Grund genug, vom Unterricht fern zu bleiben«, sagte Madame Akaber und dem fügte sie bissig hinzu: »Meine Lehrkräfte sind geradezu außer sich!«, wobei man nicht sagen konnte, ob der bissige Ton den Professoren galt, oder Elphaba.
Nessarose erschrak und wurde noch kreidebleicher, als ohnehin schon. Es musste wahrhaft fürchterlich sein! Ansonsten ließe Elphaba sich niemals zur Ruhe überzeugen. Nein, nicht ihre Elphaba! Nicht die Elphaba, die sie kannte.
»Sie ist gestern bei mir gewesen«, sagte Nessarose ruhig, mehr zu sich selbst, als zu Madame Akaber und plötzlich tat es ihr fürchterlich leid, dass sie so garstig zu ihrer Schwester gewesen war. »Sie hat sich seltsam verhalten. Etwas in ihrem Gesicht war nicht wie sonst, etwas in der Art, wie sie sich bewegte und in dem Ton ihrer Stimme… Ich hätte bemerken müssen, dass etwas nicht stimmte…« Eine Weile schwieg Nessarose, versuchte ihre siedenden Schuldgefühle stumm in ihrem Inneren zu ersticken. Schließlich hob sie den Kopf und fragte:
»Haben Sie eine Ahnung, wo sie sich aufhält, Madame?«
Madame Akaber erhob sich rasch vom Bettrand, dass ihre Locken zitterten und ihr Schmuck klimperte, wie der Schellenkranz einer Straßentänzerin. Bereits auf halbem Weg zurück in ihre Schreibstube sagte sie:
»Nach allem, was ich weiß, müsste sie im Krankenflügel sein. Ich selbst habe sie dorthin gebracht.«
Nessarose war, als müsste ihr Herz vor Schreck in ihrer Brust zerspringen. Wie um dies zu verhindern, griffen ihre Hände danach und sie hielt einen Moment den Atem an. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, wie schrecklich Elphabas Zustand sein musste, schrecklich genug, um sie im Krankenflügel zu behalten. Krankenflügel. Das Wort hallte in ihren Gedanken, wie der schrille Ton einer angeschlagenen Stimmgabel. Es klang so entsetzlich. Nessarose ließ sich in ihre Kissen sinken, wobei sie den Beschluss fasste, ihrer Schwester gleich am folgenden Tag einen Besuch abzustatten.
***
Morgenstund‘ hat Gold im Mund. Wie oft hatte Nessa schon gehört, dass Madame Akaber ebendiesen Satz einem Schüler gepredigt hatte, der zu spät und unausgeschlafen zum Unterricht erschienen war? Offenbar hielt sie das für alle wichtig außer für sich selbst, stellte Nessarose wieder einmal fest, während sie im Bett lag, dem Ticken der Standuhr lauschte und darauf wartete, dass Madame Akaber sich endlich aus ihrem Bett erhob. Es war jedes Wochenende das gleiche Spiel... Nessa wachte gewohnheitsmäßig eher früh auf, wenn auch nicht annähernd so früh wie ihre Schwester, die man oft bereits vor sechs umherlaufen hörte – wenn man denn selbst um diese Uhrzeit auf war. Madame Akaber jedoch erwachte samstags tatsächlich oft erst gegen zehn oder sogar elf Uhr, und Nessa war gezwungen, im Bett liegen zu bleiben und zu warten. Die Rektorin zu wecken, hätte sie niemals gewagt.
Und so wartete sie auch heute, bis Madame Akaber sich irgendwann dazu herabließ, nach ihrem Schützling zu sehen. Sie vermied jeden Augenkontakt, während sie sich beim Ankleiden helfen ließ, und war froh, als sie schließlich einigermaßen angenehm in ihrem Rollstuhl positioniert war und die blassen, fleischigen Hände nicht mehr an sich spüren musste.
»Haben Sie irgendwelche Pläne für den heutigen Tag, Fräulein Nessarose?« Madame Akaber stellte die Frage beiläufig und ohne sie anzusehen. Nessa, die gerade unschlüssig aus dem Fenster gesehen und überlegt hatte, wie sie ein Gespräch mit Elphaba beginnen konnte, drehte sich um.
»Nun, ich...« Sie hielt inne. Etwas in ihr sträubte sich dagegen, Madame Akaber von ihrem eigentlichen Vorhaben zu erzählen. »Nicht wirklich... nur, dass ich hinausgehen werde, jetzt, da der Regen fürs erste aufgehört zu haben scheint. Vielleicht gehe ich auch in die Bibliothek, oder... oder sehe, ob ich Fräulein Galinda irgendwo auftreiben kann...« Sie warf Madame Akaber einen kurzen Blick zu, doch diese schien in den Anblick einiger Papiere vertieft und nickte nur abwesend. Nessa fühlte, wie eine Gänsehaut ihre Arme hinaufkroch. Mit einem hastigen Gruß öffnete sie, ohne auf Hilfe zu warten, so schnell wie möglich die Tür und rollte auf den Gang hinaus.
Nachdem sie beinahe eine halbe Stunde lang zögernd auf den Wegen herumgerollt war, verlangte sie ihren Armmuskeln schließlich fast deren gesamte Kraft ab, als sie aus dem Krankenflügel kam. Sie war nur leicht überrascht gewesen, ihre Schwester dort nicht angetroffen zu haben; dennoch, wenn Elphaba dem Unterricht fernblieb, musste es etwas Ernstes sein. Leise keuchend bewegte sie ihren Rollstuhl wieder in Richtung des Wohntraktes. Wenn Elphaba bei ihr wäre, hätte sie den verfluchten Rollstuhl schieben können, für sie war das so viel einfacher als für Nessa. Aber Elphaba war nicht da. Dieses eine Mal war sie diejenige, der es nicht gut ging, egal wie sehr Nessa es andersherum gewohnt war.
Vor der Eingangstür hielt sie inne. Sie hatte den Schlüssel in der Hand und richtete ihren Blick darauf, doch sie sah ihn gar nicht wirklich. Soeben war ihr wieder eingefallen, warum sie nicht einfach zu Elphaba ins Zimmer hatte ziehen können... Elphabas Zimmer lag im ersten Stock. In ihrem Rollstuhl hatte sie keine Chance, die Treppen zu erklimmen. Unschlüssig blieb sie einige Minuten auf der Stelle stehen, um zu überlegen, was sie tun konnte. Vielleicht würde Elphaba ja irgendwann selbst hinausgehen, um in die Bibliothek zu gehen? Aber nein, gewiss würde sie das nicht... Wenn sie nicht einmal den Unterricht besucht hatte... Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als nach einem der anderen Mädchen zu suchen, das ihr helfen konnte, die Treppen zu bezwingen.
Sie hatte sich bereits wieder ein paar Meter von der Tür entfernt, als hinter ihr plötzlich Schritte laut wurden. »Fräulein Nessarose!« Sie drehte sich um und erblickte Galinda, die mit hastigem Schritt aus der anderen Richtung auf das Gebäude zuging und ihr winkte, während sie mit der anderen Hand ein kleines Tablett balancierte. Erleichtert rollte Nessa sich wieder zurück und kam kurz nach Galinda an ihrem Ausgangspunkt an.
»Guten Tag«, lächelte Galinda etwas außer Atem. Nessa lächelte zurück und erwiderte den Gruß. »Fräulein Galinda...« Sie zögerte nur kurz. »Könnte ich Sie wohl um einen Gefallen bitten? Ich würde gern meine Schwester besuchen.« Galinda runzelte leicht die Stirn, und Nessa hielt inne. »Sie ist in Ihrem Zimmer, nehme ich an?«, fragte sie unsicher. War sie vielleicht doch bereits wieder auf den Beinen?
Aber nein, Fräulein Galinda nickte. »Ja, das ist sie... und das sollte sie auch bleiben, wenn sie es nicht mit mir zu tun bekommen will«, fügte sie murmelnd hinzu. Nessa konnte sich ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen, wurde aber sogleich wieder ernst.
»Ich habe gehört, dass es ihr nicht gutgeht... Madame Akaber war der Meinung, sie sei im Krankenflügel. Nicht, dass es mich wundert, wenn sie das nicht ist...«
Galinda schnaubte leise. »Allerdings... nun...« Sie biss sich auf die Lippe. Sie wusste nicht, ob Elphaba viel davon halten würde, ihre Schwester zu sehen... andererseits konnte sie Nessa nicht guten Gewissens den Eintritt verwehren.
Etwa zehn Minuten später waren beide wohlbehalten die Treppen hinaufgekommen, auch wenn Galinda ein wenig außer Atem war. Sie hatte zunächst das Tablett hinaufgebracht und vor die Tür gestellt, bevor sie zurückgekehrt war, um Nessa mit beiden Händen behilflich sein zu können. Es hatte sich als komplizierter erwiesen, als sie vermutet hätte, und sie fragte sich, wie Elphaba in solchen Fällen wohl vorging.
Nessa bedankte sich verlegen bei Galinda und senkte dann nervös den Kopf. »Fräulein Galinda, eines noch... ich... ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn ich kurz mit meiner Schwester... alleine sprechen dürfte?« Es klang wie eine Frage. Nessa biss sich auf die Lippen.
Sie wirkte so unschuldig... Galinda fragte sich, ob Elphabas Schwester einfach so war oder ob sie bewusst diese kleinen Gesten tat, die sie rein wie ein Kind wirken ließen. Sie dachte ein paar Sekunden lang über ihre Antwort nach, zweifelnd, ob all das ihrer Freundin wohl recht wäre. Andererseits schien Elphaba so gut wie nie etwas recht zu sein.
»Natürlich, Fräulein Nessarose«, meinte sie letztlich. »Ich werde in der Zwischenzeit vielleicht einen Spaziergang machen oder dergleichen, damit Sie privat mit El- mit Fräulein Elphaba sprechen können... Könnten Sie ihr nur womöglich das hier geben?« Sie hielt Nessa das Tablett hin, und diese nahm es entgegen und stellte es umsichtig auf ihrem Schoß ab. Eine Tasse Mineraltee befand sich darauf und ein Teller mit einer winzigen Portion Erbsenbrei. Ihr wurde bewusst, dass sie wohl länger gebraucht hatte als gedacht, wenn in der Kantine bereits das Mittagessen serviert wurde. »Ich habe es für Fräulein Elphaba aus der Kantine geschmuggelt«, gab Galinda leicht errötend zu. Sie hatte das gleiche Küchenmädchen um Hilfe gebeten, das ihr vor wenigen Tagen auch die Äpfel für Elphaba gegeben hatte, und hoffte sehr, dass ihr dafür kein Ärger ins Haus stand. »Ich würde Sie nur bitten...« Sie seufzte und warf Fräulein Nessarose einen flehenden Blick zu. »Verstehen Sie, Ihrer Schwester geht es tatsächlich alles andere als gut – nein, bitte, fragen Sie mich nicht, was ihr fehlt, das kann sie gewiss besser erklären als ich! – jedenfalls, können Sie dafür sorgen, dass sie zumindest ein wenig davon isst? Und dass sie sich möglichst nicht zu sehr aufregt...?«
Galindas Finger spielten unruhig mit dem Saum ihres Kleids, während sie Nessas verwirrtes Gesicht beobachtete. Sie wusste in ihrer Gegenwart nichts mit sich anzufangen und wollte eigentlich nur zurück zu Elphaba, bevor diese wieder irgendetwas anstellte... Nur mit Mühe hatte sie sie heute Morgen davon abhalten können, ihre Hausaufgaben im Bett machen zu wollen. Hoffentlich würde Nessa den Ernst der Situation begreifen, dachte sie, als sie schließlich langsam über das Gelände schlenderte. Und hoffentlich würde sie nicht allzu vielen ihrer Freundinnen begegnen.
Elphaba lag mit halb geschlossenen Augen im Bett und gab sich größte Mühe, gleichmäßig zu atmen und die dabei entstehenden Schmerzen zu ignorieren. Galinda würde jeden Augenblick zurückkehren, und wenn sie sie dann wieder einmal hustend und halb erstickt vorfinden würde... Nein, darauf konnte sie wahrlich verzichten.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken. Sie schaffte es gerade noch, sich nicht zu verschlucken, dennoch entkam ihr ein einzelnes ersticktes Husten. Galinda hatte einen Schlüssel, wofür sollte sie klopfen? Vermutlich war es nur eine von Galindas Freundinnen. Elphaba schloss die Augen und stellte sich tot. Irgendwann würde wer auch immer vor der Tür stand schon weggehen.
Nessarose runzelte leicht die Stirn, als auf ihr Klopfen hin keine Reaktion erkennbar war. Sie beugte sich vor, um dem dunklen Holz näher zu sein, hinter dem Elphaba verborgen war, und lauschte. Galinda hatte ihr versichert, Elphaba müsse noch im Zimmer sein... Wusste Galinda, wie wenig Elphaba auf das gab, was man von ihr verlangte, was gut für sie war? Womöglich war sie doch aus dem Raum geschlüpft... aber nein, Nessa war sich sicher, hinter der geschlossenen Tür leise Geräusche zu hören. Entschlossen hob sie die Hand und schlug erneut ihre Knöchel gegen das Holz.
»Elphaba? Hier ist Nessa! Bist du da...?« Sie wartete und versuchte, über ihren eigenen Herzschlag hinweg etwas zu hören. Ein Rascheln, dann ein unterdrücktes Husten, das sich nicht allzu angenehm anhörte, und schließlich Schritte, die quälend langsam näher kamen und ein- oder zweimal stolperten, bevor sich die Tür öffnete.
»Hallo, Nessa.« Nessa sah ihre Schwester an und bekam kein Wort heraus. Noch nie hatte sie Elphaba in einem solchen Zustand gesehen, und sie wollte sie auch nie wieder so sehen müssen. Ihre Stimme klang rau und heiser, und auf die beiden Worte, die sie ihr zur Begrüßung dargebracht hatte, folgte ein heftiges, halb unterdrücktes Husten. Unter den Augen, die tief in ihren Höhlen verborgen schienen, lagen beinah schwarze Schatten, die die ohnehin prominenten Wangenknochen noch stärker hervorstehen ließen. Ihr Gesicht war aschfahl und ihre Hände zitterten, als sie zögernd beiseitetrat, um Nessa einzulassen, wobei sie leicht vornübergebeugt schien. Sie hielt den Türknauf in eisernem Griff, als müsste sie sich daran festhalten, um nicht zu fallen.
Stumm beobachtete Nessa, wie Elphaba mit unsicherem Schritt auf ihr Bett zu taumelte und sich mit verzerrtem Gesicht darauf niederließ, bevor sie von einem würgenden Hustenanfall geschüttelt wurde, der sie keuchend und außer Atem zurückließ. Nun wusste sie, warum sie im Krankenflügel sein sollte.
»Fabala«, flüsterte sie, als könnte allein die Kraft ihrer Stimme ihrer Schwester Schaden zufügen. Als sie aufsah, bemerkte Nessa rote Linien auf ihren Wangen, und ihr Herz zog sich zusammen. Sie wartete, bis Elphaba im Bett zum Liegen gekommen war – mehr oder weniger zumindest, da sie beinahe aufrecht in den Kissen saß – bevor sie auf sie zu kam und das Tablett auf den Nachttisch stellte. »Fräulein Galinda gab mir das... sie hat es für dich aus der Kantine geholt.«
Elphaba nickte. »Danke.« Sie blickte auf das Tablett, konnte sich aber offenbar nicht überwinden, danach zu greifen und lächelte nur schwach. Nessa verlor die Geduld.
»Elphaba, was ist passiert? Was ist los mit dir? Hast du... hast du geweint?« Ihre großen Augen beobachteten besorgt ihre Reaktion. Elphaba schien sich größte Mühe zu geben, stark zu wirken, unverletzlich, doch dafür kannte Nessa sie zu gut.
»Es ist nichts«, murmelte sie und drehte den Kopf zur Seite, als ein Husten in ihrer Kehle aufstieg. »Nur... nur eine E-Erkältung.« Nessa stieß unwirsch die Luft aus.
»Versuch nicht, mir weiszumachen, es sei nichts, Elphaba.« In ihrer Stimme stritten sich Ärger und schwesterliche Sorge um die Oberhand. Elphaba weigerte sich, sie anzusehen, doch Nessa betrachtete sie nur umso genauer. Die Blässe hob die roten Spuren auf ihren Wangen noch hervor, egal, wo sie hinsah, Nessa konnte kaum etwas anderes sehen, und es machte ihr Angst. Sie konnte sich nicht erinnern, ihre Schwester je weinen gesehen zu haben, und wenn sie derartige Wunden aufwies, musste es sich um etwas Schlimmes handeln.
»Bitte, Fabala«, murmelte sie mit flehender Stimme. Sie fühlte sich vollkommen überfordert, noch nie war es nötig gewesen, dass sie sich um Elphaba kümmerte... normalerweise war es umgekehrt. »Bitte, sag mir, was los ist... ist etwas passiert, bist du... hat dir jemand wehgetan?«
Elphaba sah in die großen, feuchten Augen ihrer kleinen Schwester und spielte unruhig mit ihrer Bettdecke herum. Sie konnte ihr nicht sagen, was geschehen war... wenn sie ihr vom heutigen Tag erzählte, musste sie erklären, was ihr Vater getan hatte, und das brachte sie nicht übers Herz. Sie würde Nessa ohnehin nicht überzeugen können... Vor ihr war er fast immer ein vorbildlicher Vater geworden. Sie liebte ihn, dachte Elphaba bitter und zog die Augenbrauen zusammen.
»Es ist nicht wichtig, Nessie«, flüsterte sie heiser und warf ihr einen Blick zu. »Wirklich. Niemand... n-niemand hat mir etwas angetan.« Zumindest nicht in letzter Zeit.
Nessarose biss sich auf die Lippe. Sie wusste, es war unmöglich, etwas aus Elphaba herauszubekommen, wenn diese nicht sprechen wollte... aber sie machte sich Gedanken um sie. Besorgt sah sie, wie Elphaba sich plötzlich abwandte und das Gesicht in ihrem Kissen vergrub, wobei ein keuchendes, angestrengtes Husten hörbar wurde. Mit gerunzelter Stirn wechselte Nessa schließlich das Thema.
»Madame Akaber meinte gestern, du wärst im Krankenflügel... doch als ich dort nachsah, warst du nicht da. Die Schwester sagte mir, du seist gewiss auch nie da gewesen!« Elphaba schickte ihr einen wütenden Blick entgegen.
»Sie wollte mich in den Krankenflügel bringen«, sagte sie bemüht ruhig, »aber ich konnte sie schließlich von der Unnötigkeit einer solchen Aktion überzeugen – was allerdings auch nicht mehr verhindern konnte, dass ich die letzte Vorlesung verpasste.« Sie drehte sich zur Seite und erstickte ein Husten in ihrer Armbeuge. Nessa legte die Stirn in Falten. »Jedenfalls scheint der verehrten Direktöse das Erinnerungsvermögen zu versagen, wenn sie der Meinung ist, mich in den Krankenflügel verfrachtet zu haben.«
Nessa antwortete nicht. Ihr Blick, mit dem sie ihre Gedanken ebenso gut verstecken konnte, wie ihre Schwester es stets tat, ruhte auf Elphaba, sodass diese fast den Eindruck erhielt, bis aufs Innerste durchleuchtet zu werden. Schließlich rollte sie sich ein Stück vorwärts und kam neben Elphabas Bett zum Stehen. »Ich weiß nicht, was geschehen ist«, sagte sie leise, »aber ich glaube, Madame Akaber hatte in diesem Fall Recht... lass mich dir zumindest eine Krankenschwester holen!«
Elphaba zitterte, als Nessa die Finger auf ihre legte. Die Berührung war kalt; ihre Finger waren kalt, der Raum war kalt. Nessas zarte Hände glitten liebkosend und sacht Elphabas nackten Arm herab und sie griff instinktiv nach ihrer Decke, um sich damit zu verhüllen. Nessa wandte ihren Rollstuhl wieder um, den Blick weiterhin auf ihre Schwester gerichtet. Elphaba war starr und sie hatte sich in ihrer üblichen, gefalteten Position auf der Bettkante zusammengekauert und musterte den Boden, die Decke fest um sich geschlungen. Nessa konnte ihr nicht in die Augen sehen, konnte nicht sehen, ob sie nun guthieß, was sie gesagt hatte, ob sie sich dem fügte, oder ob sie zornbebend nach einem Widerspruch suchte. Als Elphaba weiterhin stumm blieb und bloß die Nägel fest in ihr Knie bohrte, drehte Nessa ihren Rollstuhl behände in Richtung der Tür.
»Also gut«, sagte sie. »Ich denke, es ist das beste, wenn ich nun--« Sie hatte sich kaum auf einige Meter der Tür nähern können, da war Elphaba auch schon so hektisch aufgesprungen, dass sie einen erstickten Schmerzenslaut zwischen den Lippen zerdrücken musste, und dass sie in ihrer Eile beinahe über ihre Decke gestolpert und der Länge nach auf das Parkett gefallen wäre. Sie stellte sich Nessa in den Weg, außer Atem von den zwei heftigen Sprüngen, die sie vollführt hatte, die Decke um die Schultern geschlungen wie ein Cape und ehe Nessa ihrem Hindernis entschlossen ausweichen konnte, warf Elphaba sich vor ihrer Schwester auf die Knie und ergriff deren Hand.
»Nein, Nessa bitte, du weißt nicht, was du da tust!« Ihre Augen hatten einen merkwürdigen Glanz, als sie zu ihr aufblickte und die grüne Haut schien binnen Sekunden noch grüner geworden zu sein. Als könne Elphaba sich nicht entscheiden, ob sie nun wütend war oder verzweifelt; vermutlich war sie ohnehin beides. Sie konnte es kaum ertragen, ihrer Schwester ins Gesicht zu sehen. Sie wollte sie nicht anflehen, sie wollte nicht bitten und ebenso wenig wollte sie ihr erklären, was sich zugetragen hatte. Nessa würde es ohnehin nicht begreifen. Und sie würde darin bloß einen weiteren Grund sehen, ärztliche Hilfe herbeischaffen zu müssen. Als wolle sie Elphabas Vermutungen bestätigen, verfinsterte sich Nessaroses Ausdruck mit einem Mal, auch wenn sie bestimmt nicht gar so einschüchternd dreinblicken konnte, wie sie gerne gewirkt hätte.
»Und ob ich das weiß! Oz, Elphaba!« Nessarose entriss Elphaba ihre Hand, wobei sie spürte, dass die Handflächen ihrer Schwester eigenartig rau waren, und sie hielt sie erhoben, als wolle sie Elphaba schlagen und sie beugte sich in ihrem Rollstuhl so weit vor, dass Elphaba sich auf dem Boden etwas zurücklehnen musste, damit ihre Nasenspitzen sich nicht berührten. »Sieh dich doch an!«, rief sie aus. »Du kannst dich ja kaum mehr auf den Beinen halten! Elphaba, was hast du bloß getan? Was hast du getan?« Nessa senkte ihre Hand in ihren Schoß und tastete wieder nach der ihrer Schwester. Sie sah ihr in die dunklen Augen, in das ausdruckslose Gesicht, das plötzlich wieder blassgrün und von Schatten umwoben war. Die roten Linien auf ihren Wangen zeichneten tiefe Furchen in ihre Haut, tiefe Gräben; als hätte sie der Strom eines Flusses in eine Gebirgskette gegraben. Elphaba presste die Lippen zusammen. Sie entzog ihre Hände dem Griff ihrer Schwester und erhob sich, die Decke mit einer Hand um sich schlingend.
»Für Ärzte bin ich nichts, als ein wissenschaftliches Phänomen«, sagte sie. »Sie werden nicht mehr loskommen von mir. Sie werden mich eher erforschen, als mich zu pflegen. Sie werden mich mit unangebrachten Fragen überhäufen, mit Fragen, deren Antworten sie mir ohnehin nicht glauben würden, wenn ich sie denn überdies gebe!« Sie knirschte mit den Zähnen und sie ballte die Hände zu festen Fäusten, die sie aber sogleich wieder mit einem leisen, schmerzerfüllten Zischen öffnete. »Ich weiß gut selbst, wie ich wieder auf die Beine komme! Und ich weiß es am besten, besser als irgendein fanatischer Quacksalber!«
Nessa sah Elphaba an, als verstünde sie kaum ein Wort. Sie schüttelte andächtig und so ruhig als nur irgend möglich den Kopf und seufzte.
»Aber… Elphaba… Irgendjemand… muss dir doch helfen!«
Elphaba verzog das Gesicht, was ihren Zügen die Ernsthaftigkeit und die Überzeugung nahm und erstickte ein Hüsteln in ihrer Faust, das ihr für kurze Zeit unangenehm in der Kehle gebrannt hatte.
»Ich… b-brauche niemanden«, stieß sie hervor. »Ich brauche keine Aufsichtsperson und keine zweifelhafte Hilfe von jemandem, der geblendet ist von dem fanatischen Wahn seiner Faszination!«
Ihr Ton war bissig und das letzte Wort spuckte sie aus, als wäre es ein Schluck zu heiße Suppe. Sie taumelte, als der Raum sich plötzlich um sie zu drehen begann. Elphaba bemühte sich krampfhaft um festen Stand als sie bemerkte, dass ihre Beine zitterten. Sie beschwerten sich wohl, dass sie bereits so lange ihr Gewicht hatten tragen müssen. Nun versuchten sie ihr zu zeigen, dass sie zu viel von ihnen verlangte. Sie keuchte leise ob den Mühen sich aufrecht zu halten und den damit einhergehenden Schmerzen.
»E-Elphaba…?« Nessarose packte den Unterarm ihrer Schwester und zwang sie somit, ihr ins Gesicht zu sehen. Ihre Augen vermittelten Sorge. Sie zog sanft an Elphabas Arm und bewegte sie vorsichtig in Richtung ihres Bettes.
»V-Vielleicht solltest du dich etwas…hinlegen…« Ihr Herz vollführte einen unangenehm Sprung, als sie sich an Fräulein Galindas Worte erinnerte: »U-Und dich…nicht zu sehr aufregen…«
So sehr es Nessarose auch missfiel, dass Elphaba nun diejenige war, um die es sich zu kümmern galt, dass Elphaba diejenige war, deren Gesundheitszustand es nicht zuließ, dass man sie sich selbst überlassen konnte, sie versuchte getrost ihr Missbehagen und ihre Unsicherheit zurückzudrängen und nun ihrer Schwester zur Seite zu stehen und sie zu unterstützen. Im Gegenzug dafür, dass sie immer für mich da gewesen ist, sagte sie sich. Sie nahm sich zusammen und drückte Elphaba zaghaft auf ihre Matratze. Sie griff sich erneut das Tablett, das Fräulein Galinda ihr für Elphaba gegeben hatte. Das Tablett mit dem nun kalten Erbsenbrei und dem bestimmt ebenso abgekühlten Mineraltee.
»Fräulein Galinda hat mir das gegeben…mit der Anweisung, ich solle dafür sorgen, dass du zumindest etwas davon isst…«
Als Elphaba bloß unbeteiligt auf das Häufchen grünen Brei starrte und keinerlei Anstalten machte, sich zu rühren, stellte Nessarose ihr etwas ungehalten das Tablett auf den Schoß.
»Elphaba, nun sei nicht stur! Du bist schwach… Du musst etwas zu dir nehmen!«
Elphaba knurrte, offensichtlich mit den Nerven am Ende und griff widerwillig nach der Teetasse. Sie schlang ihre Hände darum, als hoffte sie, sie würde ihr im mindesten noch ein wenig Wärme spenden und ihre Arme zitterten leicht, als sie die Tasse an ihre Lippen führte. Kaum hatte sie zwei Schlucke Tee geschlürft, glitt ihr die Tasse plötzlich aus der Hand und zerschellte klirrend auf dem Parkett. Der Inhalt ergoss sich über den Boden und die Flüssigkeit breitete sich in den Bodenspalten und in den Maserungen des dunklen Eichhaarholzes aus. Erst verzog sie nur das Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse und ihre Unterlippe bebte, als kämpfe sie mit den Tränen. Dann krümmte sie sich vornüber und hustete aus Leibeskräften.
Nessarose erschrak. Kurz tat sie nichts weiter als bloß dem grässlichen Husten ihrer Schwester zu lauschen. Es erschütterte sie, ging ihr durch Mark und Bein, lähmte und entsetzte sie. Es entsetzte sie so sehr, dass sie eine halbe Minute lang völlig außer Gefecht gesetzt schien. Sie starrte sie an, bis sie sich instinktiv einen kräftigen Ruck gab und ihrer Schwester vorsichtig die Hand auf dem Rücken auflegte.
»Elphaba, sieh mich an! Was hast du? Was ist bloß los?« Sie schaffte es kaum, die Panik aus ihrer Stimme zu verbannen. »E-Elphaba, d-du bist ja ganz blass…«
Sie ging dazu über, ihrer Schwester das Schulterblatt zu massieren, bis sie sanft darauf einklopfte, wobei sie das zärtliche Tätscheln dem Rhythmus ihres Herzens nachempfand. Ihre Stimme jedoch geriet langsam außer Kontrolle, als sie auf Elphaba einredete und gleichzeitig versuchte, das entsetzliche, trockene Husten zu übertönen:
»Du bekommst keine Luft! Du musst atmen, hörst du? Elphaba, bitte, schau zu mir, schau mir in die Augen! Ozverdammt…HÖR AUF!!«
Elphabas Hustenanfall endete in einem letzten, leisen Hüsteln. Nessarose starrte sie immer noch an, die Hand ruhte noch auf Elphabas Rücken, die jetzt keuchend nach Atem rang. Nessarose stand das Entsetzen immer noch ins Gesicht geschrieben und sie war noch blasser als gewöhnlich. Galinda hätte sie wohl nun mit einem Gespenst verglichen, denn ebenso sah sie aus. Sie presste sich eine Hand auf den Mund, als sie sich ihres Ausbruchs und des darin enthaltenen Fluchs bewusst wurde, gleichzeitig versuchte sie, den leisen Aufschrei zu ersticken, den ihr Schrecken zurückgelassen hatte.
Elphaba blinzelte einige Male, bis ihr Gesichtsfeld sich wieder stabilisiert hatte und sie mehr erkennen konnte als nur verschwommene Konturen. Nessaroses Gesicht tauchte wieder vor ihr auf, eine einzige verschreckte Grimasse. Elphaba schluckte mühsam und tastete nach der Hand ihrer Schwester, die nicht schwer auf ihrem Rücken lag, und zog sie sacht von ihrem Mund weg. Nessas Finger fühlten sich heiß an wie glühende Kohlen, doch sie drückte sie trotzdem sanft.
»Ist sch- schon gut«, murmelte sie mit matter Stimme.
Nessa schüttelte mechanisch den Kopf und sagte: »Fabala, was... was war das, was... was hast du...?« Sie verstummte, und Elphaba senkte den Blick.
»Entschuldige, ich w-wollte dich n-nicht... ersch-erschrecken...«
»Erschrecken«, wiederholte Nessa tonlos und entzog Elphaba ihre Hand, um sie um die Armlehne ihres Rollstuhls zu legen, an der sie sich festhielt, als hinge ihr Leben davon ab. »Elphaba, das...« Sie suchte nach Worten.
»Ich werde die Krankenschwester benachrichtigen«, erklärte sie schließlich bestimmt. Elphaba hob ruckartig den Kopf.
»Nessie...«
»Nein. Sag nichts. Das kannst du nun wirklich nicht mehr schönreden. Fabala, ich habe dich noch nie in einem solchen Zustand gesehen, das ist-«
»Nessa!« Nessarose verstummte, als Elphabas heiseres Fauchen erklang. Innerhalb von Sekunden waren ihre Wangen nicht mehr leichenblass, sondern vielmehr dunkelgrün, und sie verzog das Gesicht, als litte sie unter einer unbarmherzigen Migräne, doch ihre Augen waren fest auf ihre Schwester gerichtet. »Es geht mir gut, oder zumindest wird es mir bald wieder gut gehen, auch ohne sogenannte ›ärztliche Hilfe‹! Am schnellsten geht es mir besser, wenn man mich einfach in Ru-«
»Hör doch auf, dir das einzureden! Egal, was es genau ist, worunter du leidest, es ist ernst, und wenn ich einer-«
»Nessa, ich sag es dir, du wirst überhaupt niemanden holen! Niemand braucht irgendetwas zu erfahren, weil es nämlich von selbst vorbeigehen wird, und Gnade mir Oz, aber wenn du eine Krankenschwester holst, dann... dann-«
»Oz, ich begreif dich nicht!« In einer Mischung aus hilflosem Zorn und Verzweiflung warf Nessa die Arme in die Luft und funkelte ihre Schwester an, die erschrocken ein Stück zurückgewichen war und nun sichtlich darum kämpfte, ein neuerliches Husten zu unterdrücken. »Aber bitte – du sollst deinen Willen haben! Dann regelst du eben alles, wie du es für richtig hältst... aber ich hatte dich für vernünftiger gehalten!«
Ein paar Sekunden lang funkelte Elphaba ebenso wütend zurück, dann drehte Nessa mit ärgerlichem Schnauben ihren Stuhl herum und rollte auf die Tür zu, doch anstatt sie zu öffnen, blieb sie davor stehen. Sie würde auf Fräulein Galinda warten müssen, um die Treppen hinunterzugelangen, denn Elphaba war ganz offensichtlich nicht in der Verfassung, ihr zu helfen.
Während Elphaba noch überlegte, ob sie es wohl schaffte, Nessa wie sonst in ihrem Stuhl die Treppen hinunter zu tragen, und ob Nessa ihr dann glauben würde, dass es ihr einigermaßen gut ging, ließ ein Klopfen an der Tür, und gleich darauf das Geräusch eines Schlüssels, der im Schloss gedreht wurde, alle beide zusammenfahren. Nessa rollte ein Stück zur Seite, um nicht von der Tür erschlagen zu werden, deren schloss jetzt aufschnappte. Zögernd trat Fräulein Galinda ins Zimmer. Besorgt blieb sie stehen, als sie die Scherben der Teetasse auf dem Boden bemerkte.
»Oh... ich... störe ich...? ich wusste nicht, wie lange-« Nessa unterbrach sie.
»Sie stören nicht, Fräulein Galinda, machen Sie sich keine Gedanken.« Galinda hörte das leichte Zittern in ihrer Stimme und sah sie mit fragenden Augen an, doch Fräulein Nessarose wich ihrem Blick aus. »Ich denke, ich werde nun gehen... Könnten Sie... vielleicht... wegen der Treppen...?«
»Was... o-oh! Ja, natürlich! Verzeihen Sie meine Gedankenlosigkeit, natürlich werde ich Ihnen helfen!«
»Tschüss, Nessie«, murmelte Elphaba, als diese zur Tür hinausrollte. Galinda folgte ihr, nachdem sie Elphaba versichert hatte, in ein paar Minuten zurück zu sein.