Beautifully Tragic
von WitchesOfOz
Kurzbeschreibung
Elphaba und Galinda diskutieren miteinander. Über den Sinn des Lesens, Sarkasmus und einiges andere, bis es Galinda zu viel wird und sie im Bad verschwindet. Dort allerdings gerät sie in eine äußerst missliche Lage, aus der nur Fräulein Elphaba sie befreien kann - mit fatalen Folgen... Gemeinsame Geschichte von FellowOzian und WickedWitchOfTheWest - Virtuelle Cookies für diejenigen, die erraten, wer welchen Absatz geschrieben hat :D
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp
Fiyero Tigelaar/Tiggular
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
25
90.896
3
Alle Kapitel
32 Reviews
32 Reviews
Dieses Kapitel
2 Reviews
2 Reviews
23.07.2016
4.580
Wen kümmert der Anstand?
Der Himmel war bedeckt von dunklen, drohenden Wolkentürmen, aus denen es zu hallen schien wie Kanonendonner. Elphaba bereute ihre Entscheidung, kaum dass sie aus der Tür getreten war, aber nun konnte sie nicht mehr umkehren. Avarics unqualifizierte Äußerungen wurden mit jeder Sekunde unerträglicher.
Ein plötzlicher Windstoß fegte ihr beinahe den Regenschirm aus der Hand und riss sie damit effektiv aus ihren fruchtlosen, schlecht gelaunten Gedanken. Mit beiden Händen packte sie den Griff und bemühte sich, ihr Gleichgewicht wieder zu stabilisieren, ohne sich den unbarmherzigen Wassertropfen auszuliefern. Die heftigen Bewegungen, die sie dadurch mit ihren Armen zu vollführen gezwungen war, sandten ein Stechen durch ihren ganzen Körper, und ihr Kleid, auf dem zusätzlich das Gewicht des Mantels lastete, rieb schmerzhaft über die Wunden an ihren Oberarmen. Keuchend und mit tief gesenktem Kopf quälte sie sich Schritt für Schritt weiter vorwärts. Die Fortschritte, die sie machte, waren um einiges langsamer als erhofft. Immer wieder musste sie Pfützen ausweichen, die ihr wie ganze Seen erschienen, um die herumzulaufen sie viel zu viel Zeit benötigte. Und aller Anstrengungen zum Trotz schafften es drei- oder viermal ein paar verirrte Regentropfen, sich unter ihrem Schirm hindurchzumogeln und ihr Gesicht zu treffen, die einzige Stelle, die nicht von dicken Stoffschichten überdeckt war. Ihr kam der Gedanke, dass sie ihren Ausflug so gewiss nicht vor Galinda geheim halten konnte, da diese die winzigen Wunden in ihrem Gesicht kaum übersehen würde. Hoffentlich wurde sie nicht zu wütend – normalerweise würde es sie ja nicht kümmern, aber sie hatte heute einfach nicht mehr die Kraft, sich die mit hoher Stimme vorgetragenen Vorwürfe und Ermahnungen anzuhören.
Sie benötigte mehr als eine halbe Stunde für die nicht mal 300 Meter, die zwischen der Bibliothek und dem Gebäude für die Mädchenschlafsäle lagen.
Mit hastigen Schritten lief Dr. Dillamond den Gang entlang. Madame Akaber hatte ihn zu einer kurzen Besprechung in ihre Räumlichkeiten gebeten. Diese kurze Besprechung hatte die ganze Pause und noch einige Minuten mehr gedauert, weshalb er sich jetzt in der ungünstigen Lage befand, dass er zu spät zu seinem eigenen Unterricht kommen würde.
Seine Hufe klapperten laut auf dem steinernen Untergrund, als er schwungvoll um eine Ecke des Ganges bog. Einige Augenblicke später verstummte das Geräusch, als er trotz des weiteren Zeitverlustes plötzlich stehen blieb.
Der Gang, in dem er sich befand, war ein großer, alter Arkadengang mit hohen, weit ausladenden Glasfenstern, durch die das ungastliche Wetter, das draußen herrschte, gut zu sehen war. An einer der Scheiben am anderen Ende lehnte undeutlich eine schmale, reglose Gestalt. Im nächsten Moment erhellte ein Blitz das Gelände, dicht gefolgt von einem lauten Krachen. Das blendend weiße Licht beleuchtete die Gestalt eine Sekunde lang, bevor wieder alles im Halbdunkel der Öllampen lag. Der ZIEGENBOCK blinzelte ein paar Mal, um wieder klar sehen zu können, doch es war deutlich zu erkennen gewesen, dass die Gestalt offenbar eine junge Frau war, die heftig zusammengezuckt war, als das Blitzlicht sie so unerwartet erfasst hatte.
Als Dr. Dillamond sich eilig daran machte, die Studentin zu erreichen, drang ein leises, keuchendes Husten an sein Ohr. Zusammen mit dem Grünton, den er bereits zuvor im Gesicht des Mädchens gesehen hatte, ergab das für ihn durchaus kein positives Bild.
»Fräulein Elphaba!«
Sie schien ihn nicht zu hören, bemerkte ihn auch dann kaum, als er direkt neben ihr stand und sich mit besorgtem Gesicht über sie beugte. Sie lehnte an der Wand, am Rand des Fensters, und hatte die Augen fast geschlossen. Ihre Atemzüge klangen flach und keuchend, und immer wieder stieß sie ein raues Husten aus, das ihren ganzen Körper schüttelte. Er hatte gehört, dass Madame Akaber Fräulein Elphaba am vorigen Tag aus dem Unterricht geholt hatte, um sie in den Krankenflügel zu bringen, und hatte sich bereits Sorgen um seine beste Schülerin gemacht; vor allem, nachdem sie ja auch schon in seiner Stunde alles andere als gesund gewirkt hatte. Offenbar hatte man sie allerdings nicht im Krankenflügel behalten. Es sah Fräulein Elphaba ähnlich, jegliche Art von Fürsorge zu ignorieren und ungeachtet ihrer Verfassung das Bett zu verlassen, aber diesmal, so fürchtete er, hatte sie sich übernommen.
Ein leiser Schreckenslaut entfuhr ihm, als Fräulein Elphaba aufstöhnte und mit schmerzverzerrtem Gesicht ein paar Zentimeter an der Wand hinunterrutschte.
»Fräulein Elphaba!«, rief er noch einmal. Seine Stimme bebte vor Schreck. Sie bebte ebenso wie die Erde bei jedem fürchterlichen Donnergrollen zu beben schien. Man meinte, die Kieselsteinchen auf und ab springen, die Bäume zittern und somit flüstern und raunen und die Flammen in den Öllampen knistern zu hören.
»Fräulein Elphaba, können Sie mich hören?«, fragte Doktor Dillamond. Er wollte nach der zarten Gestalt fassen, wollte ihren Arm umklammern, wollte sie stützen, wollte verhindern, dass sie zu Boden fiel. Sie hatte die Augen scheinbar geschlossen, die Pupillen waren nach innen gedreht, die Lider flatterten, der Mund stand einen Spalt breit geöffnet. Und wenn der Blitz ihr Gesicht beschattete, gab das ein schauriges Bild. Leichenfahl war Fräulein Elphaba, blassgrün, dürr und unter ihren Augen lagen dunkle Ringe, welche die Augen selbst noch tiefer in ihre Höhlen drückten.
»Hören Sie mich?«, fragte Doktor Dillamond noch einmal, diesmal um eine Spur zu sehr aus der Fassung geraten.
»Um Oz‘ Willen, ja!«, fuhr Elphaba ihn an. »Ich bin nicht taub! Sie brauchen nicht so zu schreien!« Ihre Stimme klang rau und kraftlos.
»Oh, Oz sei Dank!«, rief Doktor Dillamond überschwänglich aus. Er fühlte sich so hilflos. Mit seinen Hufen konnte er sie nicht festhalten, er konnte nicht ihren Arm packen, wenn sie fiel, er konnte sie nicht vor dem harten Sturz bewahren; er konnte sie nicht ergreifen. Zudem musste er sich eingestehen, dass er sich gar nicht so recht traute, sie überhaupt erst anzufassen. Es kam ihm unschicklich vor; falsch. Es gehörte sich nicht, dass ein Professor seine Studentin am Arm fasste, sei es auch in größter Not.
»Was fehlt Ihnen denn, Fräulein Elphaba?«, fragte Doktor Dillamond stattdessen.
»Nichts! Vielen Dank auch! Ich habe alles bei mir! Sie brauchen mir also nicht beim Suchen helfen, dennoch, sehr großzügig von Ihnen!«
Doktor Dillamond wich irritiert zurück. Solche Abweisung; diese abfällige Sprechweise war er von Fräulein Elphaba nicht gewohnt. Doch als sie rau hustete und drohte, auf der Stelle vornüber zu kippen, zwang er sich schließlich mit aller Vorsicht ihren Arm um seine Schultern zu schlingen. Sie stöhnte vor Schmerz und sie presste die Lider zu dünnen, schwarzen Linien, doch sie hielt still, als hätte sie nicht die Kraft, sich zur Wehr zu setzen.
»K-Kommen Sie«, sagte Doktor Dillamond, »Ich werde Sie in den Krankenflügel bringen. Dort sind Sie in jedem Fall am besten auf-«
»Nein«, krächzte Elphaba und unterbrach Doktor Dillamond somit. Sie wollte unter dem Arm ihres Lehrers hindurch tauchen, wollte sich aus seiner Umklammerung befreien, doch alles, was sie zustande brachte, war ein heftiges, trockenes Husten.
Als Fiyero um die Ecke trat, hatte er erwartet, dass bloß sein innerer Protest, der Kampf, den seine Vernunft mit seiner Lust austrug ins Unermessliche ansteigen würde. Er hätte gedacht, dass er sich bloß selbst mehr und mehr für verrückt erklären würde, weil er sich nun tatsächlich dazu herablassen würde, in einen strömenden Regenguss hinauszutreten, durch Donner, Blitz und Sturm zu waten, nur um dem öden Geschichteunterricht beiwohnen zu können. Doch nun blieb er stehen, als wäre er auf der Stelle zu Eis erstarrt und sein Herz rutschte ihm spürbar in unangenehme Tiefen herab. Dort war Fräulein Elphaba. Sie hatte ihre dürren Finger voll Unbehagen in Doktor Dillamonds Pelz gekrallt. Und sie hing mehr notdürftig an ihm, als dass sie stand. Und obwohl sie sich kaum bewegte, schien sie sich wehren zu wollen.
»Was zum -« Fiyero verstummte, als Doktor Dillamond aufsah.
»Junker Fiyero!«, rief er und seine Stimme war mit einem Mal fest und tadelnd. »Nun sind Sie schon wieder zu spät in meinem Unterricht!«
Ein Lächeln spannte Fiyeros Lippen.
»Aber, Sie sind doch selbst zu spät, Doktor«, sagte er. »Sonst wären Sie doch jetzt bei Ihrer Klasse und nicht hier.«
»Lassen Sie dieses dämliche Grinsen!«, schimpfte Doktor Dillamond.
»Was ist mit Fräulein Elphaba?«, fragte Fiyero und als er näher trat, legte er ihr die Hand an die Stirn. Er hätte sie beinah mit einem Zischen zurückgezogen, so heiß war sie, doch er wollte vor Doktor Dillamond die nötige Kühle und Fassung bewahren.
»Lassen Sie mich in Ruhe, Junker Fiyero!«, fauchte Elphaba.
»Überlassen Sie sie mir, Doktor«, sagte Fiyero schließlich, so ruhig und gelassen als nur irgend möglich. »Kümmern Sie sich lieber um Ihre Klasse. Warten Sie nicht auf mich, ich komme nach. Vertrauen Sie mir. Ich weiß, was zu tun ist.«
Doktor Dillamonds Stirnfalten waren mit jedem Satz, den Fiyero gesagt hatte, tiefer geworden. Sollte er ihm denn tatsächlich vertrauen?
»Sie werden sie in den Krankenflügel bringen?«, fragte er und seine Worte trieften vor Zweifel.
»Ich verspreche es.«
»Nein«, krächzte Elphaba.
Doch als Doktor Dillamond sie freigab, fand sie sich kurzerhand in Fiyeros Armen wieder, was er sagte, hörte sie nicht, denn ihr Kopf pochte vor Wut.
Doktor Dillamond beobachtete die beiden noch ein paar Sekunden lang zweifelnd. Fräulein Elphaba kämpfte schwach darum, ihre Beine nicht einfach unter sich einknicken zu lassen, doch sie hing mehr in Junker Fiyeros Armen, als dass sie selbst stand. Der Prinz selbst schien ein wenig Mühe zu haben, die Studentin so zu halten, dass es ihr nicht zu unangenehm wurde, vor allem, da sie bei jeder noch so kleinen Bewegung unwillkürlich das Gesicht verzog. Dennoch, der Blick, mit dem Junker Fiyero sie bedachte, wirkte nicht so sorglos und fröhlich, wie man es von ihm gewohnt war. Im Gegenteil, seine Stirn lag in tiefen Falten und seine Augen schienen eine Besorgnis und Anteilnahme auszustrahlen, die Doktor Dillamond schließlich davon überzeugten, dass er sich wohl tatsächlich gut um sie kümmern würde.
»Ich hoffe, ich kann mich hier auf Sie verlassen«, murmelte er resigniert, bevor er nach einem erneuten Donnerschlag seinen Weg wieder aufnahm. »Ihnen wünsche ich eine gute Besserung«, fügte er an Fräulein Elphaba gewandt hinzu, doch deren Antwort bestand nur aus einer Folge völlig unverständlicher Laute, die alles andere als freundlich zu sein schienen. Kopfschüttelnd trat er hinaus in den Regen, in dem Bewusstsein, dass er sich heute sehr würde bemühen müssen, sich auf seinen eigenen Unterricht zu konzentrieren.
»Fräulein Elphaba?« Fiyeros Stimme war leise und sanft, doch Elphaba zuckte zusammen und keuchte leise, als der Ton an ihren Ohren ankam.
»Lassen Sie mich«, stöhnte sie und versuchte kläglich, sich aus seinem Griff zu befreien. »M-mir geht es g-gut...« Fiyero fing sie reflexartig auf, als sie plötzlich zusammenbrach, nachdem sie sich an ihrem Satz verschluckt hatte. Erneut erklang der grässliche, trockene Husten, der ihn schon beim ersten Mal so erschreckt hatte. Es klang, als würde die Luft sich einen Weg durch eine Atemröhre aus Schmirgelpapier schaben, und Fräulein Elphabas verzerrtes Gesicht zeugte von den Schmerzen, die sie dabei offenkundig erdulden musste.
Er hielt sie im Arm, fast wie ein Bräutigam seine Braut, und spürte, wie ihre schmale Form zitterte und sich aufbäumte, als wollte sie jeden Augenblick aufspringen und davonlaufen. Was gar nicht mal so unwahrscheinlich war, aber das würde er nun definitiv nicht zulassen.
»Das wage ich doch zu bezweifeln, Fräulein Elphaba«, sagte er leise, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte und ihr Körper mit einem erschöpften Stöhnen zurückgesunken war. »Sie sagen ständig, es gehe Ihnen gut, aber langsam müssen Sie doch einsehen, dass das nicht der Fall ist. Sie würden wahrscheinlich noch widersprechen, wenn Sie mit einem Messer in der Brust auf einem Operationstisch liegen würden, nicht wahr?«
»Mischen S-Sie sich nicht in Dinge... ein, die Sie... nichts a-angehen«, keuchte Fräulein Elphaba atemlos. »Und la-lassen Sie mich herunter... w-was Sie da t-tun, ist... unanständig und... un-unangemessen.«
Fiyero schüttelte den Kopf und ging weiter. Seine Schritte waren behutsam; er wollte Fräulein Elphaba möglichst keinen Erschütterungen aussetzen. Sie fühlte sich in seinen Armen an, als wäre sie aus feinstem Glas geblasen.
»Ich bringe Sie in den Krankenflügel«, erklärte er entschieden.
Elphaba versuchte ein weiteres Mal, sich seinen Armen zu entwinden, doch es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Aber sie konnte nicht zulassen, dass er sie in den Krankenflügel brachte! Sie wollte gar nicht daran denken, wie weit sie dort mit ihren Studien hinterherhinken würde. Sie wäre zum Nichtstun verdammt, und dann all die Leute um sie herum, die sie zunächst aufgrund ihrer Hautfarbe begaffen würden, und ihr dann alles mögliche an Fragen stellen würden, was denn passiert sei... Sie würde alle Schmerzen in ganz Oz ertragen, um dem zu entgehen. Und dennoch war Junker Fiyero gerade dabei, sie in genau diese gehasste Situation bringen zu wollen, völlig ahnungslos, wie sehr sie all dies verabscheute! Unwillkürlich ballte sie ihre geschundenen Hände zu Fäusten. Der Stoff der zu kleinen Handschuhe rieb über ihre Handflächen, die sich im Laufe des Tages immer weiter aufgeschürft hatten, doch sie kümmerte sich nicht darum. Heiße Wut brandete in Wellen durch ihren Körper, brachte ihren Kopf zum Pulsieren und ihr Blut zum Kochen und legte sich wie ein roter Schleier vor ihre Augen.
Dass Fräulein Elphaba auf einmal so schweigsam war, erschien Fiyero beinahe noch beunruhigender als ihr standardmäßiger kraftloser Strom an Flüchen. Sie lag still in seinen Armen, nur ihr angestrengter Atem war hörbar neben seinen eigenen, leisen Schritten. Besorgt merkte er, wie heiß sie tatsächlich geworden war. Die Hitze strahlte durch ihre eigenen Klamottenschichten hindurch und ebenso durch sein dünnes Hemd und schien mit jeder Sekunde intensiver. Sie war ja zuvor schon fiebrig gewesen, aber jetzt? Unwillkürlich beschleunigte er seinen Schritt.
Wenige Augenblicke später zog er mit einem leisen Aufschrei seine Hände zurück. Schlagartig wurde ihm klar, dass die Hitze keineswegs von einem Fieber herrührte, oder zumindest nicht ausschließlich. So heiß konnte kein Fieber werden; es fühlte sich an, als hätte er seine Hände in kochendes Wasser getaucht.
Ein leises Poltern, gefolgt von einem gequälten Stöhnen, lenkte seine Aufmerksamkeit von seinen brennenden Händen und Armen ab. Erschrocken merkte er, dass er Fräulein Elphaba in Folge seines Schreckens losgelassen hatte und sie nun nur noch auf einer Seite hielt; sein Arm lag unter ihren Achseln hindurchgeschlungen, während ihre Beine auf den Boden hingen. Hastig bemühte er sich, ihren nun wieder kühleren Körper – wenn auch nicht so kühl, dass es nicht noch besorgniserregend wäre – wieder vollkommen hochzuheben. Die wahnsinnige Hitze war verschwunden, und er fragte sich, ob er nun vollends seinen Verstand verschlampt hatte.
Fräulein Elphaba schlug keuchend die Augen halb auf.
»Wagen Sie es... nicht, mich in... den K-Krankenflügel... zu stecken.«
Fiyero konnte kein Glied rühren. Beinah wäre er umgekehrt, doch dann besann er sich eines Besseren und ging weiter. Er nahm seinen Schritt wieder auf, nun ein bisschen weniger auf Vorsicht bedacht und bald ertappte er sich dabei, wie er regelrecht über den Korridor hastete, da er fürchtete, Fräulein Elphaba würde unvermutet ein weiteres Mal etwas Sonderbares geschehen lassen. Er gestand, dass er ihr in jenem Moment alles zugetraut hätte. Sie hätte ihm Eisenschränke in den Weg schieben können, eine Wand aus lüstern nach ihm greifenden Flammen vor ihm empor steigen lassen können, eine Sintflut auf ihn zu strömen lassen können, die ihn zwang, auf der Stelle Reißaus zu nehmen. Ihre Stimme hatte geklungen, als käme sie von splitterndem Glase, selbst durch all die Mühe hindurch, die es sie kostete klar verständliche Worte auszustoßen. Doch es geschah nichts. Er zügelte sein Tempo mäßig; noch immer geschah nichts. Fräulein Elphaba hatte wohl eingesehen, dass Protest sinnlos war.
»Junker Fiyero!«, knurrte sie plötzlich, dass Fiyero einen Schreckenslaut ausstieß, abbremste und sie beinah ein weiteres Mal fallen gelassen hätte.
»Sie w-werden mich...n-nicht in den Kran-kenf-flügel brin...gen!«, stieß sie hervor und es klang, als müsse sie um ihre Worte ringen. Dabei bedachte sie Fiyero mit einem vernichtenden Blick, der fast ebenso wieder wahnsinnige Hitze ausstrahlte. In ihren Pupillen schienen rot-blaue Flämmchen auf und ab zu tanzen und sie zitterte am ganzen Leib, wobei Fiyero nicht wusste, ob dies der Wut, der Erschöpfung oder der Kälte zuzuschreiben war. Zudem waren Fräulein Elphabas Kleider feucht vom Regen und vom Sturm, der ihr den Regen entgegen geblasen hatte. Sie hatte demnach also Grund genug, zu frieren.
»In Ordnung, ist ja schon gut«, flüsterte Fiyero schließlich. Er fügte sich. Seine eigene Stimme erschien ihm fremd, so heiser war sie plötzlich; sie klang ein wenig höher und ein stetes Tremolo begleitete sie melodiös. »Ich werde Sie nicht in den Krankenflügel bringen.«
Elphaba erwiderte nichts darauf. Sie war wohl zufrieden. Trotz allem gab Fiyero sie nicht frei. Er lief weiter. Weiter, weiter, weiter – bis er an die ihm nur allzu bekannte Tür zu dem Schlafsaal gelangte, den Fräulein Elphaba sich mit Fräulein Galinda teilte. Er kannte jedes noch so tückische Muster in dem dunklen Tafelholz dieser Tür, hatte er immerhin schon des Öfteren fast halbe Stunden in bedächtigen Studien davor verbracht, ehe Fräulein Galinda endlich daraus zum Vorschein gekommen war. Und ebenso war ihm schon oft eben diese Tür vor der verdutzten Nase zugeschlagen worden – am meisten in den vergangenen Tagen, wie er festgestellt hatte.
»Sagen Sie, wo haben Sie denn --«, doch Fiyero unterbrach sich, denn er wollte Fräulein Elphaba die Strapazen ersparen, die es sie kosten würde, ihm zu antworten. Sich bewusst, wie unangemessen und schändlich und unhöflich und rücksichtslos und unschicklich das war, was er tat, – beinah verleitete ihn die gesamte Falschheit allein schon des Gedanken wegen dazu, seine Hand wieder zurück zu ziehen – griff er kurz entschlossen in Fräulein Elphabas Rocktaschen, er tauchte seine Hand in die unendlichen Tiefen, so schien es ihm und tastete nach dem Zimmerschlüssel. Und durch Elphabas gesamten Körper ging ein Ruck, ein heftiger Ruck und sie sog rasch und scharf Luft ein, dass sie fast ein Pfeifen dabei ausstieß. So schwach und erschöpft sie auch anmuten mochte, sie hatte immer noch genügend Kraft um in unbändiger Empörung Fiyeros Hand wegzuschlagen.
»Was fäll-«, sie sprach den Satz nicht zu Ende.
Fiyero hatte sich bereits den Zimmerschlüssel gegriffen und öffnete die Tür. Er trug Elphaba bis ans Ende der leeren Stube, ohne ein Wort zu sagen und legte sie schließlich bedachtsam auf ihrem Bett ab. Stumm kniete er sich nieder, dass seine Gelenke sich dabei bemerkbar machten und ein lautes Knacken von sich gaben, das in der Stille unheilvoll nachklang und er machte sich daran, Elphabas schwere Lederstiefel aufzuschnüren. Er wickelte die Schals von ihren Waden; Schicht für Schicht – und er musste sich fast am Riemen reißen, um dem entblößten, grünen Wadenbein nicht noch einen sanften Kuss aufzudrücken. Er stellte die Stiefel neben dem Bett ab und er schälte die Decke unter Fräulein Elphabas zartem Körper hervor, er zog sie ihr bis an das scharfe Kinn – es hätte die Decke in Stücke schneiden können.
Elphaba schien weit zu verwundert um eine Beschwerde, einen Protest oder einen Fluch von sich zu geben. Sie fragte sich noch immer, was denn nun der Haken an der ganzen Sache war. Gab es etwas, das Junker Fiyero von ihr wollte – eine Mitschrift, eine Hausaufgabe, ein Schulbuch? War das eine Entschuldigung für Was-auch-immer? Er kam langsam auf sie zu und hätte sie es vermocht, wäre sie gänzlich in ihren Kissen versunken. Seine Hände näherten sich ihrem Gesicht, doch ihr Kopf brachte bloß ein reflexartiges Zucken zustande, als Fiyero vorsichtig das Tuch von ihrem Haarschopf streifte, das sie sich am Morgen so gewissenhaft darum geschlungen hatte.
»Sie können ja kaum mehr atmen«, sagte Fiyero und faltete das Tuch auf seinem Schoß zusammen, wobei ein Hauch Röte seine Wangen umspielte. Sehr wohl konnte sie atmen! Sie hatte es besser gekonnt, bevor Junker Fiyero versucht hatte, ihr zu helfen! Seine Finger verirrten sich ein weiteres Mal verbotenerweise in ihr Gesicht, um eine kohlschwarze, lose Haarsträhnte hinter ihr zierliches, grünes Ohr zu streichen. Elphaba hätte gern wieder seine Hand weggeschlagen, doch ihre eigenen Hände waren unter der Bettdecke gefangen. Sie hätte ihn gerne in die Hand gebissen – doch sie konnte ihren Kopf kaum bewegen, so schwer schien er ihr.
Sie war schön. So schön. Eigentümlich schön zwar, aber doch kannte Fiyero kein Gesicht, das sich mit ihrem Gesicht zu vergleichen gelohnt hätte. Noch nicht einmal das von Fräulein Galinda. Zum ersten Mal sah Fiyero den glänzenden, dunklen Haarschopf in all seiner Pracht frei an Elphabas zarten Wangen herab fließen, wie ein schillernder, pechschwarzer Fluss, bestrahlt vom Vollmond. Ihre dichten, langen Wimpern – dicht und dunkel und lang, auch ohne die Hilfe von Make-up – streichelten die hohen Wangenknochen, als sie erschöpft die Augenlider niederschlug. Die Lippen waren schwarz. Und die zarte Haut war grün – wie ein junger, im Frühling wieder zum Leben erwachender Wald. Fiyero nahm sich zusammen. Sonst hätte er ihre Wange gestreichelt. Er zupfte einzig die Decke von ihrer Brust – schon wieder unangemessen, so schalt er sich – und tupfte vorsichtig die nassen Spuren von ihrem Gesicht. Dabei gab sie ein schmerzverzerrtes Stöhnen von sich und verzog das Gesicht zu einer einzigen Maske aus Leid und Qual.
»Lassen...Sie das!«, zischte sie mit fest zusammengepressten Augen. Fiyero ließ die Decke fallen.
»Wieso tun Sie das?«, fragte Elphaba und schenkte ihm einen weiteren, glühend heißen Blick.
Fiyero zuckte die Achseln.
»Ich weiß es nicht...«, antwortete er. Oh, welch ein schändlicher, schändlicher Kerl er nicht war! Er wusste genau, dass er gelogen hatte!
»Was kann ich sonst noch für Sie tun, Fräulein Elphaba?«, fragte er vorsichtig, obwohl er glaubte, die Antwort bereits zu kennen.
»G-gar nichts!« Elphaba hätte ihm am liebsten den Kopf abgerissen, doch Fiyero winkte nur ab.
»Nun zieren Sie sich nicht so«, schalt er sie sanft. »Ich bin sicher, auch Sie wissen, dass der Krankenflügel momentan der geeignetste Aufenthaltsort wäre, und wenn Sie sich schon weigern, diesen aufzusuchen, so werden Sie doch zumindest einen Kompromiss einzugehen wissen? Zumal ich Ihnen ohnehin keine andere Wahl lassen werde.«
Ihre Finger zuckten ohne ihr Zutun mit dem Drang, ihm das entwaffnende Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.
»Es ist K-Kompromiss genug, dass ich... zug-gelassen habe, dass Sie mich hierher... begleitet haben«, knurrte sie heiser.
Mit ihren Augen schien sie ihn erdolchen zu wollen, als würde sie nur darauf warten, dass er sie darauf hinzuweisen versuchte, dass sie zu begleiten und sie zu tragen nicht ganz dasselbe war. Doch Fiyero wusste es besser, als dass er sie in diesem Moment noch weiter aufgeregt hätte. Sie war bleich, der exotische Grünton ihrer Haut hatte einiges seiner gewohnten Leuchtkraft eingebüßt. Er merkte mit schwachem Erstaunen, wie sehr ihn das störte. Er hatte sich an die Farbe gewöhnt und nun, da sie fast schon fehlte, vermisste er sie. Noch immer faszinierte ihn das Gesicht von Galindas Zimmergenossin – daran würde sich wohl nie etwas ändern, auch wenn er es nicht abstoßend fand wie anscheinend die meisten seiner Kameraden – doch er wünschte sich, ihr natürlicher Farbton würde zurückkehren. Mit hellem Gesicht fehlte einfach etwas an ihr, es war, als würde sie vielleicht plötzlich rosafarbene Schleifen oder gerüschte Handtaschen tragen. Es passte einfach irgendwie nicht.
Mit einem leisen Keuchen senkten sich Fräulein Elphabas Augenlider, und er wandte sich erschrocken wieder ganz zu ihr um. Vorsichtig ließ er sich neben ihrem Bett in die Hocke sinken.
»Fräulein Elphaba?«
»Verschwinden... S-Sie...« Falls sie noch irgendetwas anderes hatte sagen wollen, wurde es von einem Husten erstickt. Ohne sich von ihrer offenkundigen Ablehnung verunsichern zu lassen, strich Fiyero ihr eine feuchte Haarsträhne von der Stirn, die nicht nur von den Regentropfen feucht zu sein schien. Dabei fiel ihm auf, dass ihre Haut stellenweise leicht gerötet schien, als hätte sie sie an etwas wund gerieben. Als er vorsichtig mit einer Hand eine solche Stelle berühren wollte, fuhr sie mit einem Zischen zurück und funkelte ihn so wütend an, dass er seine Hand sofort wieder wegnahm. Lange allerdings konnte sie ihren zornigen Gesichtsausdruck nicht aufrechterhalten. Bereits nach wenigen Sekunden zog sie eine schmerzvolle Grimasse und schloss erneut die Augen, heftig nach Atem ringend.
»Lassen Sie mich Ihnen wenigstens ein bisschen helfen«, seufzte er.
Elphaba protestierte kaum mehr, als er ihre Decke noch einmal zurückschlug, um ihr das Luftholen zu erleichtern. Dann riss er die Augen auf. Beinahe hätte er sich vor Frustration die Hand an den Kopf geschlagen, doch sogar er sah ein, dass das wenig hilfreich sein würde. Er hatte Fräulein Elphaba zwar ihrer Stiefel und dicken Beinkleider entledigt... doch dann hatte er sie doch tatsächlich samt ihres schweren, feuchten Mantels ins Bett gelegt und zugedeckt! Es war nicht erstaunlich, dass ihr der Schweiß auf der Stirn stand, obgleich sie zitterte, als würde sie jeden Moment erfrieren. Eher war es ein Wunder, dass sie überhaupt noch atmen konnte.
»Verzeihen Sie!«, murmelte er hastig und mit errötenden Wangen. »Ich hatte gar nicht daran gedacht... Warten Sie, ich helfe Ihnen noch aus dem Mantel!«
Elphaba fühlte, wie eiskalte Hände sie stützten, sie aufrichteten und sie hielten, damit sie nicht wieder zurücksank. Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch dieses eine Mal ließen die Worte sie im Stich, die ihr doch sonst immer so gute Freunde waren. Sie schloss die Lippen wieder, unfähig, auch nur einen Laut über sie hinweg zu zwingen, und saß steif wie ein Brett da, bemüht, ihren Atem einigermaßen ruhig zu halten. Der Erfolg war mäßig, musste sie sich eingestehen, oder eigentlich gar nicht vorhanden; tatsächlich stand sie kurz davor, zu hyperventilieren.
»Glauben Sie, Sie könnten mit meiner Hilfe vielleicht einen Moment aufstehen?«, drang die zaghafte Stimme des Prinzen mit den kalten Händen an ihr Ohr. »Sie können unmöglich diesen Mantel anbehalten, aber in sitzender Position bin ich kaum imstande, ihn zu entfernen...«
Sie hätte gar nichts dagegen, den Mantel anzubehalten. Er mochte feucht sein, doch zumindest war er warm. Das Zimmer musste seit Tagen nicht geheizt worden sein, anders konnte sie sich die unerbittliche Kälte um sie herum nicht erklären. Dennoch fehlte ihr die Kraft, sich zu widersetzen, als Fiyero sie sanft auf die Beine zog. Schwankend und taumelnd hielt sie sich an ihrem Nachttisch fest, den Kopf gesenkt. Mit fest geschlossenen Augen und zusammengepressten Lippen krallte sie ihre Finger, die noch immer in den Handschuhen steckten, in das dunkle Holz und stieß ein qualvolles, würgendes Husten aus, das Fiyero durch Mark und Bein ging. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er Fräulein Elphaba mit bebenden Fingern aus ihrem schweren Mantel geschält hatte, und jedes Mal, wenn sie vor Schmerz zuckte und die Zähne zusammenbiss, war ihm, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. So bald es nur möglich war, half er ihr, sich erneut auf ihrem Bett niederzulassen. Zunächst saß sie nur da, eine Hand auf die Brust gepresst und konzentriert durch den leicht geöffneten Mund lange, zittrige Atemzüge einsaugend.
Unwillkürlich griff Fiyero nach Elphabas freier Hand. Der Handschuh, den sie über ihre knochigen Finger gestreift hatte, schien zu schmal selbst für Elphabas Hände zu sein, und zudem war er nicht die geeignete Kleidung im Schlafsaal. Kurz entschlossen machte er sich daran, das störende Kleidungsstück zu entfernen.
Sobald er es auch nur einen halben Millimeter weit gezogen hatte, stieß Elphaba mit heiserer Stimme einen jähen Schmerzenslaut aus und zog ihre Hand zurück. Da Fiyero mit dieser Reaktion nicht gerechnet hatte, hielt er weiterhin das Leder über ihrem Mittelfinger fest, sodass durch Elphabas hastige Bewegung der Handschuh in seiner Hand zurückblieb. Ein weiteres Wimmern entschlüpfte Elphabas Kehle und sie klemmte sich ihre Hand unter den Oberarm auf der anderen Seite, wie um sie zu verbergen und zu verhindern, dass er ihr noch mehr antat – obgleich er gar nicht wusste, was er eigentlich getan hatte. Vorsichtig, mit fragendem Blick, griff er nach ihrer Hand, um sie zu betrachten. Bei der Gelegenheit würde er auch gleich nach ihrem Puls fühlen. Sie sah aus, als würde sie jeden Augenblick das Bewusstsein verlieren, doch noch hielt sie sich eisern aufrecht.