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Beautifully Tragic

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp Fiyero Tigelaar/Tiggular Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
25
90.896
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07.07.2016 2.744
 
Verbannt zu Staub und Wörtern


Avaric fielen ständig die Augen zu. Und er hatte tatsächlich gedacht, die Nacht mit Fräulein Valena wäre an Langeweile nicht zu übertreffen gewesen... Nun ja, der Bibliotheksdienst belehrte ihn eines Besseren. Passenderweise hatte er diesen für gerade diese eine Nacht aufgebrummt bekommen. Wäre Fräulein Valenas Zimmergenossin nicht so früh zurückgekommen, und hätte sie nicht mit ihrem empörten Aufschrei (der, da war Avaric sich sicher, nur deshalb zustande gekommen war, weil sie selbst gerne an Valenas Stelle gewesen wäre) den ganzen Gang aufgeweckt... Nun, unpraktischerweise war es genau der Gang, in dem auch die Gemächer der Schuldirektorin lagen. Hätte er das gewusst, er hätte sich gehütet, auch nur einen Fuß hineinzusetzen... aber so ergab es sich nun einmal, dass er erstens während der Nachtruhe unterwegs war, sich zweitens unerlaubt in den Mädchenschlafsälen aufhielt, und das drittens auch noch in einer sehr eindeutigen und für ihn ungünstigen Position... Jedenfalls hatte er zur Strafe die Pflicht erteilt bekommen, in jeder seiner Freistunden und zudem dreimal pro Woche zwei Stunden nach Unterrichtsschluss in der Bibliothek auszuhelfen – eine öde und nicht im Geringsten unterhaltsame Arbeit. Wenn es sich wenigstens gelohnt hätte... im Nachhinein hätte er vielleicht doch Fräulein Valenas hübscherer Freundin den Vorzug gegeben.
Avaric seufzte. Da er im Moment immerhin alleine hier war, würde es zumindest niemandem auffallen, wenn er einfach wegdämmerte. Als er allerdings gerade seinen Kopf auf irgendeinem dicken, uninteressanten Wälzer niedergelegt hatte, um diesen als Kissen zu benutzen, wurde die Tür mit einem durchdringenden Quietschen aufgestoßen, das lauter war als die Stimme eines ELEFANTEN und ihm jedes Mal durch Mark und Bein ging. Stöhnend hob er den Kopf und blinzelte in Richtung des Eingangs, wo eine dunkle, schmale Silhouette zu erkennen war. Welcher normale Mensch ging denn bitte um diese Uhrzeit in die Bibliothek?!
Als die Gestalt näher getreten war – die Tür schloss sich hinter ihr mit einem ebenso grauenerregenden Geräusch – wurde ihm die Antwort bewusst. Kein normaler Mensch tat das. Ihm hätte gleich klar sein müssen, um wen es sich handelte.
»Hallo, Spargelstange.« Ein verschlagenes Grinsen breitete sich auf seinem attraktiven Gesicht aus, als er sah, wie sie zusammenzuckte und eine Hand nach einem der Regale ausstreckte, wie um sich daran festzuhalten. Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich wieder gefangen hatte, und dann kam sie auf ihn zu. Ihre Schritte sollten wohl forsch und entschlossen wirken, tatsächlich aber hatte er den Eindruck, als stolperte Fräulein Elphaba auf ihrem Weg ein bisschen zu oft.
»Junker Avaric.« Ihre Stimme klang heiser, doch der Sarkasmus war nicht zu überhören. »Mir war gar nicht bewusst, dass Sie den Weg hierher kennen. Oder haben Sie sich womöglich verlaufen?«
Sie hob eine Augenbraue und hustete leicht. Avaric legte den Kopf schief. »Ich wünschte, es wäre so«, seufzte er theatralisch. »Denn hätte ich mich bloß hierher verlaufen, könnte ich aus freien Stücken umkehren und das Weite suchen.«
Avaric sah Elphaba nicht an, während er sprach. Er sah auch sonst nirgendwo hin. Seine Augen glitten ruhelos umher, fixierten keinen bestimmten Punkt. Mal sah er auf die langen Finger, dürr wie Äste, die, in enge Lederhandschuhe gezwängt, auf der Tischplatte lagen, auf welcher zuvor Avarics Kopf zum Ruhen gelegen hatte, mal schweiften seine Pupillen an den rippigen Buchrücken entlang.
»Glauben Sie mir«, sagte er schließlich, »liebend gern wäre ich wieder davongelaufen!«
Elphaba hob nun beide Augenbrauen und ihre Fingerkuppen klopften schnelle Rhythmen auf der hölzernen Tischplatte:
»Was also hält Sie noch hier? Sie hätten längst fortlaufen können!«
Ein Grinsen kräuselte Avarics Lippen. Ein selbstgefälliges, verhöhnendes, unverschämtes Grinsen, das seine Mundwinkel weit auseinanderzog und Reihen perfekt scheinender, weißer Zähne offenbarte.
»Nein«, sagte Avaric und grinste noch breiter. Er sah dabei nicht auf, stattdessen schob er die Finger zwischen den Deckel und die ersten Seiten des vor ihm liegenden Buches, warf den Buchdeckel auf und nieder und fing ihn mit den Daumen wieder auf.
»Ich bin hierher verbannt worden!«, fuhr er fort. »Schauen Sie nicht so!«
Elphaba runzelte die Stirn.
»Verbannt, so so...«, murmelte sie.
Sie bückte sich ein wenig herab zu ihrer Umhängetasche, holte die Bücher heraus, die sie zurückbringen wollte und reichte sie Avaric auf der flachen Hand, als wäre er ein Pferd, welchem sie freundlich einen Apfel anbot.
»Dann können Sie ja diese Bücher für mich entgegennehmen.«
Sie warf ihm ihre Bücher in die dargebotenen Arme und sie kam nicht umhin zu bemerken, dass er unter dem plötzlichen Gewicht zusammensank, ehe er sich mit einem unterdrückten Keuchen wieder aufrichtete, ein Papierkärtchen nach dem anderen aus den Büchern zog und fein säuberlich in einer Reihe auf den Tisch legte, fast als ob es Pokerkarten wären. Er rückte seinen Stuhl zurück, zog eine Schublade auf und entnahm ihr eine kleine, hölzerne Schatulle. Fachmännisch fuhr er mit den Fingern durch die darin enthaltenen Kärtchen, dass es leise raschelte, und legte die übereinstimmenden Kärtchen bedachtsam unter die bereits aufgelegten. Es war beinah wie ein Memory-Spiel: Die Pärchen lagen untereinander. Er überprüfte kurzerhand Leih- und Rückgabedatum, wobei er einen verstohlenen Blick auf Elphabas Beine warf.
»Sagen Sie«, begann Avaric – wieder hatte er dieses unverschämte, dämliche Grinsen auf den Lippen, »was haben Sie da für aberwitzige Wickler um die Beine?« Er stieß ein Glucksen aus. »Wo ich herkomme, sind noch nicht einmal die alten Weiblein so gekleidet!«
Elphaba warf ihre Umhängetasche zurück und ihr glühender Blick schien Avaric zu Asche verbrennen lassen zu wollen.
»Tragen die alten Weiblein denn wo Sie herkommen auch eng geschnürte, geraffte Seidenkleider mit Unterröcken aus Tüllstoff und dazu filigrane Rüschenhandschuhe?«
Avaric schüttelte den Kopf. Er ließ sich tatsächlich auf diese sinnlose Diskussion ein. Elphaba hätte beinahe darüber lächeln können, hätte es sich bei ihrem Gesprächspartner nicht um Avaric gehandelt.
»Nein, das nicht«, sagte Avaric. »Aber im mindesten sehen sie nicht aus wie eine umherziehende Wahrsagerin aus dem Winkus.«
»Haben Sie denn schon einmal eine umherziehende, alte Wahrsagerin aus dem Winkus gesehen?«, fragte Elphaba.
Avaric lachte bloß. »Wenn ich nun sagen würde, dass ich tatsächlich einmal eine gesehen habe«, er legte den Kopf schräg, »würden Sie es mir glauben, Fräulein?«
Elphaba kräuselte die Lippen und hob kurz die Schultern. »Das hängt davon ab, unter welchen Umständen Sie sie gesehen haben wollen«, entschied sie. »Aber, wenn Sie es genau wissen wollen, mir ist ganz gleich, ob ich wie eine Wahrsagerin aussehe, oder wie eine Minenarbeiterin oder Zigeunerin. Es geht um den praktischen Wert der Kleidung, die Zweckmäßigkeit – wovon Sie selbst vermutlich nicht viel verstehen.« Skeptisch betrachtete sie ihn von oben bis unten; tatsächlich schienen seine legeren, kurzen Hosen und das dünne Hemd ob des Regens alles andere als angemessen.
Avaric folgte amüsiert ihrem Blick. »Nun, das kommt auf den Zweck an, meinen Sie nicht auch?« Er ließ die Wimpern flattern, und Elphaba zog irritiert die Augenbrauen zusammen. »Und was ich mit meiner Kleiderwahl bezwecke, weicht doch von Ihren eigenen Zielen etwas ab...«
Elphaba verzog das Gesicht. Gewiss, unter diesem Aspekt betrachtet... »In diesem Fall bin ich froh, dass ich meine Zeit nicht darauf verschwenden muss, meine Kameradinnen zu beeindrucken. Auf diese Art ist man um einiges... wasserfester.«
»Vielleicht sollten Sie tatsächlich einmal darauf Ihre Zeit ›verschwenden‹ statt damit, in langweiligen alten Büchern Ihre erstaunlich lange Nase zu vergraben«, schnaubte Avaric und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ich meine, wenn ich das schon sehe, schlafe ich ein... dieses Psychologiebuch hier hatten Sie ja eine halbe Ewigkeit lang... wofür haben Sie es verwendet, um einen wackelnden Tisch zu stabilisieren?«
Elphaba schnaubte beinahe vor Zorn angesichts dieser offen zur Schau getragenen Ignoranz. »Zufällig, Junker Avaric, gibt es erstaunlicherweise tatsächlich Menschen, die Interesse an anderen Dingen haben als daran, Mädchen aufzureißen!«, knurrte sie, unfähig, sich im Zaum zu halten. Avaric hob spöttisch beide Hände und wich einen halben Schritt zurück.
»Da ist der Wirsing aber am Dampfen«, grinste er, und Elphaba hätte ihn am liebsten mit bloßen Händen erwürgt. Das Blut pochte heiß und wütend durch ihre Adern, und nur die Tatsache, dass sie den Rhythmus in ihrem Kopf spüren konnte wie eine Dschungeltrommel, hielt sie davon ab, einen Mord zu begehen. Wie die Dinge standen, tat sie einen Schritt auf ihr Gegenüber zu, taumelte und stützte sich an der Theke ab.
»Nehmen Sie einfach diese Bücher und tun Sie Ihre Arbeit«, zischte sie mühsam zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Als Avaric mit bedauerndem Seufzen tatsächlich begann, die Kärtchen wieder an ihre angestammten Plätze zurückzustecken, wandte sie sich mit einem Ruck um und steuerte auf den Ausgang zu. Eigentlich hatte sie geplant, noch ein paar andere Bücher mitzunehmen, aber sie würde keinen Augenblick länger als notwendig allein mit Junker Avaric in einem Raum verbringen. Erneut stieg Wut in ihr auf, als sie daran dachte, wie lange er hier wohl alleine herumsitzen mochte, nur mit Büchern zur Gesellschaft... Vor ihrem inneren Auge erschienen ganz grässliche Bilder von herausgerissenen Seiten, Büchern mit gebrochenen Rücken, mit alkoholhaltigen Flecken...
Elphaba zuckte von der Türklinke zurück wie vor einem tropfenden Eiszapfen, als von draußen plötzlich ein Donnerhall ertönte. In der nächsten Sekunde erklang ein Geräusch wie von Kies, der gegen ein Fenster geworfen wurde. Der Wind musste wieder an Kraft gewonnen haben, wenn er den Regen mit so viel Wucht gegen die Tür schleuderte, die doch unter einem Vordach relativ geschützt war... Elphaba erschauderte. Unruhig wog sie ihre Möglichkeiten gegeneinander ab. Sie hatte den Schirm, und ihre Kleidung war dick... dennoch, das prasselnde Wasser draußen ließ sie zittern, und ihre Knie wurden weich bei dem Gedanken, nun vor die Tür treten zu müssen. Widerwillig, als wate sie durch zähen Schlamm, drehte sie sich wieder herum und stakste, ohne in Avarics Richtung zu blicken, zu einem der Regale hinüber. Wahllos zog sie ein Buch daraus hervor und warf einen Blick auf den Einband. Es war eine Art Geschichtsband. Quadlinger Glaubensfragen zu Zeiten der Frühen Ozmas. Besser als nichts.
Als sie sich an einem der hölzernen Tische niederließ und das Buch aufschlagen wollte, musste sie erstmal einen Moment lang die Augen schließen, bis eine Welle von Schwindel und Übelkeit vorübergezogen war. Unwillkürlich presste sie eine Hand auf die Stelle, unter der ihre Lungen verborgen lagen, und rang hustend nach Atem. Als sie aufsah, begegnete sie Avarics Blick, der sie mit einem undefinierbaren Ausdruck ansah.
»Mir scheint, diese uralten Wälzer sind tatsächlich so ungesund, wie ich dachte«, stellte er fest. »All dieser Staub... wie überleben Sie es eigentlich, sie in Ihrem Zimmer stehen zu haben und auch noch tatsächlich darin zu lesen? Oder atmen Sie von Natur aus lieber Staub als Sauerstoff?«
»Wenn das so ist, Junker Avaric«, sagte Elphaba, »wenn Bücher tatsächlich nur aus Staub und Druckerschwärze bestehen, so würde ich entschieden bejahen. Ich gehöre zu jener anscheinend schon vom Aussterben bedrohten Spezies von Menschen, die dem Staub mehr zugetan sind als dem Sauerstoff. Ich könnte meine ›erstaunlich lange Nase‹ tagelang nur in Büchern vergraben. Es gibt nichts Erfüllenderes als den Duft des Pergaments, der Tinte und natürlich des Staubes. Und all das Wissen, all die wundervollen Wörter – auch sie duften.«
Avaric warf die Arme in die Luft und lachte. Er lachte so schallend, so dröhnend, so herzhaft, dass Elphaba befürchtete, er brächte ihren Kopf zum Entzweireißen, er brächte die hohen Regale der Bibliothek zum Umstürzen und die Fensterscheiben zum Zerspringen. Der Hall erschien ihr lauter als das eigentliche Lachen, er vermehrte sich mit dem Gelächter, das Avaric weiterhin ausstieß, schwoll an und einzig das wütende Knurren und Grollen des Donners, das klang wie der hörbar hungrige Magen einer grässlichen Bestie, vermochte das Lachen zu ersticken. Elphaba schüttelte den Kopf. Zum einen, um das fürchterliche Dröhnen loszuwerden, die tausend Stimmen, die in ihrem Kopf unaufhörlich weiterlachten, zum anderen, weil sie sich nicht vorstellen konnte, was Avaric so zum Lachen gebracht hatte. Eher hatte sie das Gefühl, dass es ihn weniger amüsierte, – das, so besann sie sich wenig später, war zudem völlig ausgeschlossen, schließlich war sie es gewesen, die es gesagt hatte und niemals könnte der Stolz des Junker Avaric es zulassen, dass er über eine Äußerung ihrerseits so sehr lachte – sondern er es entweder schlicht lächerlich fand, oder sie zum Narren hielt. Ob es nun das eine oder das andere war, sollte sie nicht weiter kümmern, so entschied sie nur wenig später. Für Sekunden war Junker Avaric tatsächlich still. Was dennoch nicht zu vollkommener Ruhe verhalf, da das herrschende Schweigen wiederum vom energischen Prasseln des Regens und vom tiefen Grollen des Donners zerrissen wurde. Trotz allem nutzte Elphaba die Ruhe, die Wortstille, die Pause in Avarics Redeschwallen – Kumbricia allein wusste, wie lange er schweigen würde. Zwar ließ jeder Blitz, der durch die Stube huschte, sein gleißendes, weißes Licht an den hohen Regalen empor schleuderte und sie schaurig lange Schatten werfen ließ, sie zusammenzucken und mit einem weiteren Husten kämpfen, doch sie hielt die Augen streng in das Buch gerichtet und bemühte sich, nicht ein einziges Mal mehr daraus aufzublicken.

Weiteres wird vermutet, dass die Quadlinger nicht fähig dazu sind, ihre Treue und ihren Gehorsam einzig einer herrschenden Gottheit zu überlassen.
»Sagen Sie, warum lesen Sie nicht im Mindesten etwas Interessanteres? Es gibt hier gewiss – wenn es schon Bücher sein müssen – auch Lesenswerteres, in dem Sie ihre Nase vergraben können.«
Sie haben ihren Ahnenkult, er begleitet sie auf allen Wegen.
»Warum lesen Sie keine Erotikromane? Sie könnten Ihren Geist bereichern und Sie würden nicht länger so steif und öde sein!«
Die Ahnen leben in jedem Baum und jedem Fluss, in allem, was lebendig und in allem, was tot ist.

Elphaba blickte auf. Sie starrte das Regal an, das vor ihr stand, starrte auf die Bücher, die es barg, auf den Staub, dessen Körner sie ganz klar zu Boden rieseln sehen konnte, wenn ein weiterer Blitz weiße Streifen in die Luft schnitt. Sie überflog die Wörter, die sie eben gelesen hatte ein weiteres Mal. Buchstaben, Zeichen – bedeutungslos. Punkt, Beistrich, A – B – C –... Nie war ihr der Inhalt eines Buches so fremd und ohne Zusammenhang erschienen.

Weiteres wird vermutet, – »Wirklich, Fräulein Elphaba, das ist doch -« – dass die Quadlinger nicht fähig dazu sind, »- die Höhe! Gerade habe ich einen Blick auf die Uhr geworfen!« – ihre Treue und ihren Gehorsam einzig einer herrschenden Gottheit zu – »Sie sollten doch längst im Unterricht sein!« – überlassen. Sie haben ihren Ahnenkult, er begleitet sie auf allen Wegen. – »Nun geht es aber zu weit! Sie bleiben dem Unterricht fern, um zu lesen?«

Mit einem protestierenden Ächzen ihres Stuhls erhob Elphaba sich. Fast ein wenig zu abrupt, denn die rasche Bewegung ließ ihre Umgebung tanzen und rotieren und sie schnappte nach Luft und grub ihre ledernen Handschuhe in die Tischplatte, um nicht zu fallen.
»Ich...habe eine Freistunde!«, zischte sie. Sie ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen und schlug wahllos eine Seite in dem Buch auf, das sie eben zu lesen versucht und aufgegeben hatte.
»Und im Gegensatz zu so manch anderem, nutze ich meine Freistunden sinnvoll.«
Schließlich griff sie sich das Buch und verschwand zwischen den Reihen der Bibliotheksregale.

Was wir den »Lurlinismus« bezeichnen, baut auf Legenden. – »Sinnvoll, sinnvoll! Sie benutzen das Wort ›sinnvoll‹ und lassen mich vollkommen im Dunkeln tappen. Können Sie definieren, was Sie als ›sinnvoll‹ erachten? Ich glaube nämlich, das ist eine Frage der Perspektive.« – Sie rühren daher, dass man Erstehungen für die Entklärung allen Seins suchte.

Elphaba stöhnte leise auf und drückte die Hände gegen die Schläfen. Wie bitte? Sie las den Satz erneut:

Sie rühren daher, dass man Erklärungen für die Entstehung allen Seins suchte. – »Wissen Sie, dass das unhöflich ist? Sie müssen mir Antwort geben, wenn ich mit Ihnen rede!« – Wie kommt es, dass heute der Munchkinfluss sein reines Wasser durch die Wälder zieht? Wie kommt es, dass es die Tiere gibt – die wiederum auf welche Weise zu TIEREN wurden?

»Jemand zu Hause?«, fragte Junker Avaric. Elphaba schlug das Buch zu, dass der entsetzliche Knall ihr den Verstand rauben wollte. Sie warf es in ihre Tasche und sie kämpfte, als sie sich hektisch erhob weniger mit dem Gleichgewicht als mehr mit ihrer ungeheuren Wut, die zu bändigen sie mehr Kraft kostete, als die Treppen vom Raumabsatz zur Tür hinab zu steigen. In einer einzigen geraden Linie strebte sie auf die hohe Tür zu. Es wunderte sie beinah selbst, dass sie dabei nicht schnaubte und zischte, wie eine einfahrende Lokomotive oder ein Rennpferd, das am Ende seiner Kräfte stand.
»Fräulein Elphaba? Wohin denn so eilig?«, hörte sie Junker Avaric noch rufen und bevor sie nicht länger im Stande dazu war, das schnaufende Rennpferd namens Temperament zu zügeln, riss sie mit zitternden Fingern an der Türklinke, trat hinaus, ohne sich umzusehen und wartete darauf, dass die Tür endlich wieder ins Schloss fiel und sie gnädigerweise von Avarics gänzlich sinnlosem Geschwafel erlöste.
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