Beautifully Tragic
von WitchesOfOz
Kurzbeschreibung
Elphaba und Galinda diskutieren miteinander. Über den Sinn des Lesens, Sarkasmus und einiges andere, bis es Galinda zu viel wird und sie im Bad verschwindet. Dort allerdings gerät sie in eine äußerst missliche Lage, aus der nur Fräulein Elphaba sie befreien kann - mit fatalen Folgen... Gemeinsame Geschichte von FellowOzian und WickedWitchOfTheWest - Virtuelle Cookies für diejenigen, die erraten, wer welchen Absatz geschrieben hat :D
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp
Fiyero Tigelaar/Tiggular
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
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Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser
»Oh!«, rief Galinda erschrocken aus. »Oh, oh, oh!« Sie stürzte sich vom Bett, stolperte rücklings auf ihre eigenen Decken zu und rieb wie von Sinnen die glänzende, grüne Schale des Apfels daran, welchen sie Elphaba zuvor angeboten hatte.
»Wie – Wie dumm von mir! Es tut mir entsetzlich Leid, Fräulein Elphaba! Ver-verzeihen Sie mir bitte! Wie hatte ich das bloß vergessen können? Oh, oh, du lieber Oz, wie unachtsam von mir, wie unnachsichtig!«
Immer noch rieb sie den Apfel an ihrer Bettdecke, sie trocknete ihn länger und gründlicher als gewöhnlich, sie besah ihn sich prüfend und doch schien sie mit dem Ergebnis immer noch nicht zufrieden, denn sie wickelte ihn ein weiteres Mal in den Stoff ihrer Decken und drehte den Apfel in ihren Händen bis er vor trockener Reinheit ein grässliches Quietschen und Ächzen von sich gab.
»Ach, Fräulein Elphaba!«, rief Galinda. »Ich…Ich habe daran nicht gedacht… Wissen Sie, es kam mir vollkommen normal, ganz und gar nicht seltsam oder gar auf irgendeine Weise bedrohlich vor… Äpfel wäscht man nun mal, nachdem man sie abgepflückt hat… Fragen Sie mich nicht nach dem Grund… Wenn ich recht überlege, so weiß ich eigentlich gar keinen sinnvollen Grund dafür… Es wird so gemacht und es wurde immer so gemacht… Ich war mir nicht bewusst, dass es für Sie anders ist --«
Galinda unterbrach sich. Sie spürte, ihr Herz klopfte, als wäre sie auf der Flucht vor einem grässlichen Unhold, der sich an ihr vergreifen wollte und ihre Stimme zitterte, als zupfe jemand an ihren Stimmbändern wie an einer Harfe. Sie sah zu, dass sie den Mund hielt. Die Nervosität ließ sie Gewalt über die Sinnhaftigkeit und Greifbarkeit ihrer Worte verlieren und verleitete sie dazu bloß unzusammenhängende Redeschwalle von sich zu geben, die sie selbst kaum zu bremsen oder zu beherrschen wusste. Schließlich löste sie den Klammergriff um ihre Bettdecke, zog den Apfel daraus hervor, betrachtete ihn wiederum, unterzog ihn der strengen Kontrolle ihrer Blicke, ehe sie ihn mit zitternden Fingern noch einmal Elphaba entgegen streckte.
»Verzeihen Sie mir«, wiederholte sie.
Elphaba hatte sich kaum gerührt. Sie saß immer noch gefaltet, nein, eher zerknüllt wie ein Stück Papier dicht an die Wand gepresst, die Decken an die Brust gezogen und die Augen voll Entsetzen geweitet, in ihrem Bett. Ihr Brustkorb hob und senkte sich rasch, ihre Augenlieder flatterten, doch allmählich kam sie wieder zur Ruhe. Sie sah Galindas Hand, die ihr bebend den grünen Apfel vor das Gesicht hielt und obgleich sie alle Tropfen davon fort gewischt hatte, strahlte die Präsenz der prallen Frucht noch immer Unheil und Gefahr aus. Das Glänzen der Strahlen, die auf der glatten, grünen Schale ein prächtiges Lichtspiel veranstalteten. Der Apfel sah nicht aus, als ob man ihn essen könnte. Eher wie ein hübsches Accessoire, wie Zimmerschmuck, wie eine makellose Porzellanskulptur. Elphaba sog scharf Luft durch die Nase und biss sich auf die Lippe. Das Gefühl der Leere in ihrem Magen peinigte sie unangenehm, dennoch konnte sie sich selbst bei hartnäckigster Anstrengung nicht vorstellen, diesen Apfel, der ihr keineswegs appetitlich erschien nun tatsächlich zu essen. Zwar hatte Galinda ihn trocken gerieben, trotzdem glaubte Elphaba immer noch das kristallene Glänzen der Wassertropfen auf der grell grünen Schale zu sehen. Mit einem Mal quälte sie der Gedanke, in den nassen Apfel beißen zu müssen, das Wasser auf ihre Zunge triefen zu fühlen, das Brennen siedend heiß überall in Rachen und Mundhöhle – sie verzog das Gesicht.
»Fr-Fräulein Galinda…«, flüsterte sie. »Ich – Es… Ich habe keinen Appetit. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe aber…« Elphaba schluckte. Sie schloss die Augen; fest, sodass sie das Bild des nassen, schimmernden Apfels unter ihren Lidern zerdrücken konnte.
Galinda stieß ein Seufzen aus. So sehr sie sich auch gewünscht hätte, es wäre nicht unangebracht gewesen, Fräulein Elphaba den Apfel schlicht in den Mund zu stopfen, wenn nötig selbst ihr Kiefer mit den Händen zu bedienen, um sie zum Kauen und Schlucken zu zwingen, sie musste einsehen, sie konnte Elphaba den Apfel nicht einfach gewaltsam einflößen.
»Wollen Sie nicht --« Sie brach ab, als Elphaba schwach den Kopf schüttelte.
Die Blässe ließ sie aussehen wie eine dem Grabe entstiegene Tote – fast wie eine Wasserleiche, doch Galinda schalt sich für diesen Gedanken. Sie gab auf. Sie legte den Apfel auf Elphabas Nachttisch ab. So nahe an die Kante, dass Elphaba den Apfel auch selbst erreichen konnte, sollte sie sich doch anders entscheiden. Vorsichtig bewegte sie ihre Hand auf Elphabas Gesicht zu. Sie klemmte ihr dem Zopf entkommene Haarsträhnen hinter die Ohren und strich ihr einzelne Haare aus Brauen und Stirn. Der Zopf hatte sich tatsächlich schon beinah aufgelöst. Galinda unterdrückte mühevoll den Reflex, ihrer Stubenkameradin das Haarband, welches den Zopf im Mindesten schlecht und recht in Position hielt, herauszuziehen. Doch trotz ihrer Mühen gelang es ihr nur einen kurzen Augenblick, bevor sie schließlich nach Elphabas seidig glänzendem Haar griff und den Zopf – erstmals ohne Elphabas lautstarken Protest – löste.
Eine Gänsehaut, beginnend von ihrer Schläfe, wo Galindas Hand sie auf dem Weg zu ihren Haaren streifte, zog sich ihren Rücken hinab, und sie erstarrte unwillkürlich zu Stein. Nicht wörtlich natürlich, korrigierte sie sich selbst in Gedanken. Aber sie wagte schlicht nicht mehr, sich zu rühren, während Galinda die traurigen Reste ihres Zopfes aus dem Haarband befreite und ihr ordnend durch die schwarzen Strähnen fuhr.
»Wirklich, Fräulein Elphaba, Ihr Haar ist einfach unglaublich«, murmelte sie dabei und ließ sich gedankenverloren auf dem Bettrand nieder, nur wenige Zentimeter von ihrer Kameradin entfernt. »Sie sollten es nicht immer verstecken...« Zunächst sagte keine der beiden etwas, dann löste Galinda ihren Blick von der seidigen Pracht und hob die Augen zu Elphabas Gesicht, ohne jedoch auch ihre Hände zurückzuziehen. Elphaba hatte die Lider gesenkt und bemühte sich, ihre Atmung unter Kontrolle zu halten.
»Alles in Ordnung?«, fragte Galinda unsicher und stockte in ihrer Bewegung, als sie gerade einen Knoten lösen wollte. »Brauchen Sie etwas? Können Sie atmen...? E-Elphaba?«
Elphaba schluckte trocken. »E-es ist schon gut, Ga- Fräulein Galinda, ich – ich habe nur-«
Mit schräggelegtem Kopf beobachtete Galinda ihre Reaktion, ließ ihre Finger dabei weiter durch ihr Haar wandern, glättete es und bewunderte seine seidige Struktur, während ihre Konzentration dennoch woanders lag. Fräulein Elphaba zitterte am ganzen Leib, und ihr Atem ging zittrig, aber regelmäßig – so regelmäßig, dass Galinda genau wusste, dass Elphaba sich mit aller Macht darauf konzentrierte. Bevor sie sich an ihre Haare gemacht hatte, war es ein völlig unrhythmisches Geräusch gewesen.
Plötzlich hatte Galinda den Eindruck, als hätte ihr jemand einen Hammer übergezogen. Elphaba hatte sich schon zuvor seltsam verhalten, wenn sie ihr auch nur annähernd nahe gekommen war. Aus einem Impuls heraus rutschte sie noch ein bisschen näher heran und zog den reglosen Körper neben ihr an sich, so vorsichtig, als wäre Fräulein Elphaba eine Glasfigur, die bei der geringsten Erschütterung zerbrechen würde. Tatsächlich fühlte es sich für Galinda auch beinahe so an, wobei sie selbst nicht wusste, ob sie sich damit auf Elphabas körperlichen Zustand oder auf den ihrer Seele bezog. Wie lange mochte es her sein, dass jemand das grüne Mädchen in die Arme geschlossen hatte? Sie auch nur ohne Abscheu berührt hatte? Von einer Sekunde auf die andere war ihr die Bedeutung ihrer Handlung bewusst, der Wert ihrer einfachen Geste, Elphaba übers Haar zu streichen. Es war, als hätte man ihr die Augen geöffnet. Nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten, als sie die dünne, zitternde Gestalt ein wenig an sich drückte.
Elphaba rührte sich eine gefühlte Ewigkeit lang nicht, und Galinda fragte sich, ob sie ihr nicht doch etwas Raum lassen sollte – sie schien starr wie ein Brett, und es war nicht mehr auszumachen, ob sie überhaupt noch atmete. Doch gerade, als sie sich entschloss, ihren Griff zu lockern, entspannte Elphaba sich ein wenig, sank ein Stück weit in sich zusammen. Ihr Oberkörper rutschte langsam zur Seite, bis sie sich halb an Galinda anlehnte, mit geschlossenen Augen und nun wieder so unregelmäßig atmend, dass es ebenso Anlass zur Sorge gab wie die erschreckende Gleichmäßigkeit zuvor. Fast schien es, als würde Elphaba selbst gegen Tränen ankämpfen, aber Galinda verwarf diesen Gedanken, während sie dem erschöpften Mädchen sanft und mit bebenden Fingern über den Rücken strich.
Irgendwann richtete Elphaba sich abrupt wieder auf und starrte auf ihre Hände, die in ihrem Schoß lagen, offenbar verlegen und verunsichert. »Entschuldigen Sie, Fräulein Galinda«, murmelte sie und unterdrückte mit abgewandtem Gesicht ein Husten. Galinda schüttelte den Kopf.
»Es gibt nichts zu entschuldigen, Elphaba«, erwiderte sie, bewusst die formelle Anrede außer Acht lassend. Elphaba starrte weiterhin nach unten, als wollte sie ihr Schicksal aus ihren Handlinien ablesen.
Im nächsten Moment beugte sie sich mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht vornüber, wobei eine Hand zu ihrem Magen fuhr. Galinda zog besorgt die Augenbrauen zusammen, doch Elphaba winkte matt ab. »Es ist nichts«, erklärte sie leise und nahm einen zittrigen Atemzug.
»Du... Sie... du musst etwas essen«, entschied Galinda, als sie begriff, wo das Problem lag. Sie selbst hatte einmal eine Diät ausprobiert, die eine Freundin ihr empfohlen hatte, und hatte zweieinhalb Tage lang nichts gegessen, und hatte es erst aufgegeben, als ihr übel wurde vor Hunger. Und Elphabas Tee war ihr zu allem Überfluss gleich wieder hochgekommen... gewiss protestierte ihr Magen nun gegen diese unfreundliche Behandlung.
Mit bestimmendem Gesichtsausdruck legte Galinda Elphaba den Apfel auf den Schoß.
Elphaba schluckte. Sie tat es nicht aus Furcht oder aus Abscheu, sie tat es, um das Brennen in ihrem Magen zu besänftigen gleichsam wohl aus Dankbarkeit, dafür, dass Galinda ihr etwas darbot, das die Schmerzen lindern konnte, die sie innerlich zerrissen, als ob dort nichts als schwarze Leere vorzufinden wäre. Mittlerweile hatte Elphaba selbst beinah den Eindruck, das wäre nicht bloß eine unangebrachte Metapher, sondern die Wahrheit. Sie fühlte sich tatsächlich, als hätte jemand ein Loch in ihren Bauch gerissen. Letzten Endes gab sie nach. Nicht nur dem unangenehmen Druck in ihrem Magen, sondern auch den ebenso bohrenden Blicken ihrer Zimmergenossin, die ihr nun sanft den Apfel entgegen schob.
Galinda sah zu, wie Elphabas Finger sich vorsichtig um den Apfel schlossen. Fast, als fürchtete sie, Galinda hätte noch immer nicht all das Wasser von der Schale gerieben. Mit fürchterlich qualvoller Langsamkeit führte sie die pralle Frucht an ihre Lippen. Ob sie auch wirklich einen Bissen von dem Apfel nahm, konnte Galinda nicht sagen. Sie konnte nur darüber staunen, wie sehr die Farbe des Apfels Elphabas Hautfarbe ähnelte. Als wäre der Apfel nicht bloß in ihre Hand gelegt worden, sondern ein Teil von ihr. Als wäre Elphaba das Motiv eines Gemäldes, ja, als ob der Künstler sie mit Absicht so positioniert hätte, dass das satte Grün des Apfels und das smaragdschillernde Grün ihrer Haut sich zu einem einzigen atemberaubenden Bild ergänzten.
Galinda wusste nicht, wie lange sie bloß unverschämt und fast wie in Trance versetzt gestarrt hatte. Der grüne Apfel war nun mehr ein kläglicher Putzen und Elphaba saß stumm in ihrem Bett und drehte die abgekauten Reste zwischen ihren Fingern. Galinda schüttelte den Kopf und löste sich schließlich aus ihrer Trance. Elphabas Blick war starr. Glasig. Ihre braunen Augen waren glanzlos und sie blinzelte kaum. Das Unterkiefer hatte sie merklich nach vorne geschoben und die Brauen gruben sich in ihren Nasenrücken, so tief hatte sie sie herabgesenkt.
»Was hast du?«, fragte Galinda und nahm Elphaba den Apfel, der kaum mehr als solcher erkennbar war, wieder ab.
Elphaba kniff die Lider fest zusammen und drückte sich die flache Hand in die Magengrube. Sie gab keine Antwort, doch Galinda konnte aus ihrer Grimasse lesen, dass der Schmerz sich wohl durch die Mahlzeit nicht im Geringsten verflüchtigt hatte.
»Schlaf, ja?«, sagte Galinda. »Schlaf. Bitte, lass dich von mir nicht aufhalten. Das letzte, was ich möchte, ist deine Ruhe zu stören. Schlaf einfach. Nimm keine Rücksicht auf mich. Ich werde still sein und mich auch für das Bett herrichten, damit ich keinen Radau mehr veranstalte, wenn du schläfst. Glaub mir,«, sie sah Elphaba tief und bestimmt ins Gesicht, »der Schlaf bringt Genesung. Morgen fühlst du dich besser. Ganz gewiss.«
Damit erhob sich Galinda. Sie zog Elphaba die Decke ans Kinn und strich ihr zärtlich das Haar zurück, das ihr wiederum in die Stirn gefallen war. Sie griff sich das Haarband, ging ins Badezimmer und warf es dort in die kleine, hölzerne Schatulle, in welcher Elphaba ihre wenigen Haarklammern, Haarbänder und Nadeln aufbewahrte. Wobei Galinda bei sorgfältigerer Inspektion fast den Eindruck hatte, die Haarnadeln sähen gefährlich aus. Was fing man bloß damit an?
Als Galinda sich schließlich so bedachtsam als nur irgend möglich zu Bett begab, stellte sie voll innigster Befriedigung fest, dass Elphaba ihrer Erschöpfung schließlich nachgegeben hatte. Sie war in einen ruhigen, seligen Schlaf gesunken, der zwar hie und da von sanftem Husten unterbrochen wurde, sonst aber bestimmt der angenehmste, friedlichste Schlaf war, den Elphaba seit langem gehabt hatte! Wieder schüttelte Galinda über sich selbst den Kopf. Sie hatte sich erneut dabei ertappt, einen sinnlosen Vergleich angestellt zu haben. Immer noch kopfschüttelnd wickelte sie sich in ihre Decken und löschte das Licht.
Lange lag sie wach. Sie beobachtete die Schattenspiele, die das silbrige Mondlicht mit den an den Scheiben herab rinnenden Regentropfen veranstaltete. Die Schatten liefen am Stoff der dunklen, schweren Gardinen um die Wette, vereinten sich, wenn ein Tropfen den anderen eingefangen hatte und sie stoben auseinander, wenn unvermutet zwischen zwei Spielenden ein dritter auftauchte, der eifrig mitmischen wollte. Galinda zählte, wie viele ruhige Atemzüge Elphaba tat, bevor der gewonnene Rhythmus wieder von einem unterdrückten Husten zunichte gemacht wurde. Doch sie wusste nicht, wie oft sie nicht versehentlich einen Atemzug zu viel, oder einen Atemzug zu wenig zählte, sie war viel zu müde, um auf derartige Kleinigkeiten zu achten. Irgendwann meinte sie, zwanzig Atemzüge gezählt zu haben, wusste aber selbst, dass das unmöglich Wirklichkeit sein konnte. Eine Weile grübelte sie noch über die Sinnhaftigkeit ihres Zählungsergebnisses, bevor sie schließlich selbst in einen unruhigen Schlaf fiel, der von schönen, wie grässlichen Träumen bevölkert wurde.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sich, als hätte sie keine halbe Stunde Schlaf bekommen. Sie war fast noch schläfriger als am Abend zuvor, und ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass sie noch einige Zeit liegenbleiben könnte, bevor sie sich fertigmachen musste. Doch sie versagte sich selbst die weitere Ruhe, als sie erkannte, was sie aufgeweckt hatte. Elphaba im gegenüberliegenden Bett begann gerade, sich zu regen. Sie befand sich offenbar noch halb im Schlaf, und ihre Augen waren geschlossen, als sie sich stöhnend in eine sitzende Position stemmte. Galinda tat es ihr nach, wenn auch bedeutend schneller und anmutiger, und tappte noch etwas verschlafen zu ihrer Stubenkameradin hinüber.
»Fräu- Elphaba«, sagte sie und ließ sich auf deren harter Matratze nieder, »Sie- du hast jetzt aber nicht vor, tatsächlich das Bett zu verlassen?« Oz, dass es so schwer sein konnte, sich zwischen zwei Anredeformen zu entscheiden! Nach allem, was passiert war, kam es ihr steif und unpassend vor, formell »Fräulein Elphaba« zu sagen und sie mit »Sie« anzusprechen – es schien ihr, als stünden diese Worte für eine Distanz, die spätestens letzten Abend überwunden worden war. Dennoch, ein »du« wirkte genauso fehl am Platze. Es war so vertraut, so persönlich, beinahe schon freundschaftlich, und Galinda hatte den Eindruck, dass es so weit noch nicht war, noch nicht sein konnte. Immerhin sprach sie nicht einmal mit den Fräuleins Pfannee oder Milla auf diese Weise, und kannte sie diese nicht viel länger und besser als Elphaba? Oder... war das denn der Fall? Galinda war verwirrt. Konnte es denn keine Anredeform geben für das, was zwischen Vertrautsein und Fremdsein stand?
Elphaba war bei Galindas Worten zusammengezuckt und hatte ruckartig die Augen aufgerissen. Als sie sich vor Schreck verschluckte und zu husten begann, schalt sich Galinda innerlich selbst dafür, ihre Mitbewohnerin – Freundin? – derart zu erschrecken, wenn diese noch nicht einmal richtig wach war. Wobei sie ja eigentlich gar nicht wach sein sollte!
Mit langsamen Bewegungen strich sie ihr über den Rücken, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Ihr tatsächlich auf den Rücken zu klopfen, wagte sie nicht. Elphaba schien immer noch nicht weniger zerbrechlich als am Vortag, und sie befürchtete, dass sie es dadurch nur noch schlimmer machen würde. Das Letzte, was sie wollte, war Elphaba noch mehr Schmerzen zuzufügen, als diese ohnehin schon hatte.
»Doch«, erklang schließlich eine heisere, trotzige Stimme. »Es ist halb sechs, und ich werde das Bett durchaus jetzt verlassen.« Galinda war so perplex, dass Elphaba schon einen Fuß auf den Boden gesetzt hatte, bevor sie sie daran hindern konnte. Empört schnappte sie nach Luft.
»Bist du denn von Sinnen?« Elphaba sah sie stirnrunzelnd an, als wunderte sie sich, warum Galinda zu dieser ozlosen Uhrzeit damit beschäftigt war, sie vom Aufstehen abzuhalten. »Du hast doch gesehen, was gestern dabei herauskam! Elphaba, du bist mitten auf dem Gang einfach zusammengebrochen, du warst den ganzen Tag nicht mal imstande, eine Tasse Tee zu trinken! Tee, um Kumbricias Willen! Und du hast Fieber und musst alle fünf Minuten innehalten, weil du keine Luft mehr bekommst, und-« Sie brach ab und unterdrückte ein Schluchzen. Elphaba hielt den Blick noch ein paar Sekunden auf sie gerichtet, dann wandte sie sich ab und quälte sich ganz aus dem Bett.
»Lass es, Galinda«, murmelte sie dabei und streckte die Hand aus, um sich an der Wand abzustützen, als ihre Beine wegknicken wollten. Galinda fragte sich, ob Elphaba bewusst registrierte, wie plötzlich die Anrede so formlos geworden war, oder ob sie sich einfach automatisch anpasste. Jedenfalls schien ihr der Wechsel um einiges leichter zu fallen als Galinda selbst.
Elphaba taumelte mehr, als dass sie ging, zu ihrem Kleiderschrank, der diesen Namen eigentlich gar nicht verdiente. Bis auf eineinhalb Fächer, die mit Kleidern belegt waren, wurde alles andere für die Bücher verwendet, die in Elphabas Regal keinen Platz mehr fanden. Elphaba ignorierte die Bücher für den Moment und suchte mit verzerrtem Gesicht ein paar Klamotten heraus.
»Du kannst gar nicht raus«, erklärte Galinda plötzlich mit erstaunlich entschlossenem Tonfall. Elphaba drehte sich unwillig zu ihr herum, doch die blauen Augen starrten aus dem Fenster. »Es regnet.«
Elphabas Kopf fuhr herum. Tatsächlich. Vor dem Fenster fielen dicke Tropfen tödlichen Nasses aus dem grauen, wolkenverhangenen Himmel. Jetzt fiel ihr auch das Geräusch auf – ein unheilverkündenden Prasseln und Klopfen, als klopfe das Wasser mit tausend Fingern an Fenster und Dächer, um Einlass zu begehren. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab.
Galinda beobachtete Elphabas Reaktion genau. Sie sah, wie ihre Hände stärker zu zittern begannen, und wie dürre grüne Finger sich einen Augenblick lang in den dunklen Stoff eines abgetragenen Kittels gruben. Leise Zufriedenheit schlich sich in ihren Blick. Gewiss würde Elphaba nun Einsicht zeigen; es war völlig unmöglich, dass sie bei diesem Wetter das Gebäude verließ. Nicht, nachdem sie gerade erst derartige Verletzungen davongetragen hatte. Von denen Galinda immer noch nicht genau wusste, wie sie eigentlich zustande gekommen waren... Nun, danach würde sie später fragen. Sie hoffte lediglich, dass Elphaba heute in der Lage sein würde, die Verbrennungen selbst zu behandeln – sie würde ihr, falls nötig, natürlich helfen, aber die Situation war doch für sie beide mehr als unangenehm gewesen.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Elphaba sich entschlossen wieder umdrehte, leise vor sich hinmurmelnd. Vielleicht waren es auch Flüche, Galinda war sich nicht sicher. Jedenfalls fügte sie zu dem kleinen Stapel an Kleidung in ihrem Arm noch ein paar Dinge hinzu – einen etwas dickeren Mantel, lange, feste Wollhandschuhe, die diesmal auch die Finger bedeckten, einen Wollschal... alles in schwarz und grau, natürlich. Aber dieser Umstand kümmerte Galinda ausnahmsweise einmal nicht. Sie stellte sich Elphaba wütend in den Weg, als diese sich auf den Weg zum Bad machte, um sich umzuziehen.
Galinda schob sich ihr in den Weg. Gleichgültig, was sie zu befürchten hatte, gleichgültig, wie sehr ihr vor Elphabas Zorn graute. Sie schob sich ihr in den Weg und sah ihr, die Brauen herabgezogen, streng ins Gesicht. Elphaba trug ihre Brille nicht, weshalb es ihr vermutlich schwerer fallen dürfte, Galindas wüste Grimasse auch zu erkennen, darum schnitt Galinda ihre Grimasse besonders scharf. Sie drückte die Brauen so tief herab, bis sie die sich dabei kräuselnden Stirnfalten an den Augenhöhlenknochen zusammentreffen fühlen konnte und sie stemmte die Arme dreist in die Hüften. Elphaba hielt tatsächlich abrupt inne. Jedoch nur für einen kurzen Augenblick, ehe sie Galinda wie nichts beiseite schubste und das Badezimmer betrat. Wäre eine Tür vorhanden gewesen, so hätte Elphaba sie jetzt wohl verschlossen und sorgfältig verriegelt. So jedoch konnte sie Galinda nicht daran hindern, ihr entrüstet hinterher zu laufen. Erst beobachtete Galinda mit geöffnetem Mund, wie Elphaba ihr Haar in den verletzten Handflächen zu einem Knoten drehte, sich Haarnadeln griff, die sie zwischen die Zähne geschoben hatte, und die Haare damit im wahrsten Sinne des Wortes an ihrem Kopf feststrickte. Doch als Elphaba stumm dazu ansetzte, Galinda schlicht aus dem Badezimmer zu schieben, als wäre sie bloß ein Stuhl, wehrte diese sich heftig, warf Elphabas Hände bestimmt von ihren Schultern und drehte sich zu ihr um. Die Wut entstellte ihr sonst so liebliches Gesicht grässlicher denn je. Sie konnte es nicht glauben! Nein, das musste ein fürchterlicher Albtraum sein, aus dem sie gleich voll Schreck erwachen und dann froh sein würde, alles nur geträumt zu haben! Wie um alles in Oz, wie um Kumbricias Willen, wie um – Wie konnte ein einziger Mensch so starrköpfig, so stur, so eigenwillig, so – Galinda hatte nicht die Macht, in Worte zu fassen, was in ihrem inneren als Ärger, als Fassungslosigkeit tobte und wütete wie ein Orkan. Sie tat einen entschlossenen Schritt und schraubte den Wasserhahn auf. Sogleich floss heißes Wasser schäumend und gurgelnd in die Waschschüssel vor dem Spiegel und ließ Elphaba einen weiten Rückschritt vollführen, der so plötzlich geschah, dass sie sich an ihrem eigenen erschrockenen Stöhnen verschluckte und erst ein ersticktes Husten von sich gab, ehe sie voll Entsetzen und Furcht den dünnen Wasserstrahl anstarrte.
»Du willst wirklich nicht hören! Du willst es nicht begreifen! Ich – Ich fasse es nicht! Das kann doch nicht wahr sein!«
Galinda ließ das Wasser laufen. Nicht zuletzt, damit Elphaba ihr fern blieb – wie sollte sie sie sonst unter ihre Kontrolle zwingen?
»Ich sage es dir noch einmal, ja?« Galinda atmete tief durch. Ein – aus – ein. Als sie glaubte sich wieder im Griff zu haben... »DU – WIRST – HIERBLEIBEN!!!«, entfuhr es ihr. Elphaba kniff die Augen zu engen Schlitzen und zog erschrocken die Schultern an die Ohren. Und noch während sie in dieser Position verweilte, unterdrückte sie unter Anstrengungen ein weiteres, schwaches Husten.
Galindas Finger zitterten. Sie zog sich an die Waschschüsseln heran und griff nach dem Korken und sie verstopfte damit die Öffnung zum Abfluss. Der Korken hing an einer Eisenkette, damit man ihn leichter wieder aus dem Abflussloch entfernen konnte. Sie ließ das Waschbecken sich mit dampfend heißem Wasser füllen, dann drehte sie den Wasserhahn wieder zu. Mit glühenden Augen packte sie Elphabas wollene Handschuhe, ihren Schal, ihre Strümpfe...und warf alles in die gefüllte Waschschüssel.
Elphaba starrte Galinda an und ihr Entsetzen schien sich innerhalb weniger Sekunden massiv gesteigert zu haben. Sie sah ihre Kleidungsstücke – die Handschuhe, den Wollschal, die Strümpfe, die Mütze – im Wasser treiben und sie erschauderte sichtbar, bei dem Gedanken, beispielsweise die Handschuhe in diesem Zustand überstreifen zu müssen. Und zu ihrem Entsetzen gesellte sich Verwirrung, als Galinda mit einem Wimmern die Hände vor das Gesicht schlug.
»Oooh, Elphaba!«, klagte sie. »Es tut mir Leid! Was – Was habe ich bloß getan...?«
Sie sank auf die Knie und nur mit Mühe gelang es ihr ein Schluchzen zu bekämpfen.
»Ich mache mir doch nur Sorgen um dich, Elphab -- Elphie!«
Warum sie gerade jetzt entschieden hatte, dass ihre Stubenkameraden einen Spitznamen benötigte, wusste sie selbst nicht. Sie konnte es sich nicht erklären, wo sie doch zuvor erst Schwierigkeiten damit gehabt hatte, die formelle, höfliche Anrede bleiben zu lassen. Doch als sie aufsah, stand Elphaba mit Zornesfalten im Gesicht über sie gebeugt und sah wütender aus, als Galinda sie in der letzten Zeit jemals erlebt hatte. Vielleicht sogar noch wütender als in dem Augenblick, in dem sie Junker Fiyero die unmöglichsten, grässlichsten Flüche an den Kopf geworfen hatte...