Beautifully Tragic
von WitchesOfOz
Kurzbeschreibung
Elphaba und Galinda diskutieren miteinander. Über den Sinn des Lesens, Sarkasmus und einiges andere, bis es Galinda zu viel wird und sie im Bad verschwindet. Dort allerdings gerät sie in eine äußerst missliche Lage, aus der nur Fräulein Elphaba sie befreien kann - mit fatalen Folgen... Gemeinsame Geschichte von FellowOzian und WickedWitchOfTheWest - Virtuelle Cookies für diejenigen, die erraten, wer welchen Absatz geschrieben hat :D
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp
Fiyero Tigelaar/Tiggular
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
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28.02.2013
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Saure Äpfel
Galinda gefror. Sie ließ Elphabas Handgelenk los, das sie zuvor bei dem Versuch ihre Hand sacht auf ihrer Bettdecke abzulegen, ergriffen hatte und wandte sich um.
»Einen Augenblick!«, trällerte Galinda.
Sie biss sich auf die Lippe. Unterschwellig überkam sie Wut. Sie war wütend auf sich selbst, auf ihre Persönlichkeit, darauf, dass es ihr schlicht nicht gelang, die Maske, die Fassade, die Rolle, die sie spielte abzulegen. Sie strich Elphabas Decken glatt und stieß ein hartes Seufzen aus.
»I-Ich bin gleich wieder zurück…«, stotterte Galinda und stieß sich vom Bettrand, wobei ihr nicht entging, dass Elphaba ihren Augen ein kaltes Glänzen verlieh, das vor Zorn nur so strotzte.
»Guten Abend«, begrüßte Galinda ihre Kameradin. Sie kräuselte ihre Lippen zu einem süßen Lächeln und drehte nervös die Finger um ihre goldenen Locken. Die Tür hatte sie bloß einen kleinen Spalt breit geöffnet, sodass sie gut Platz darin hatte um mit einer Schulter am Türrahmen und mit der anderen Schulter an der Türkante lehnen zu können. Milla erwiderte das warme Lächeln ihrer Freundin und verstand dieses beinahe als freundliche Einladung, das Zimmer betreten zu dürfen. Sie wollte schon einen Schritt tun, doch Galinda gebot ihr still zu halten und stehen zu bleiben, indem sie ruckartig ihren Arm erhob und ihn Milla entgegen streckte.
»Was ist?«, fragte Milla etwas ungehalten und zog die Augenbrauen offensichtlich außer sich zusammen.
Galinda holte Luft.
»Ich muss Ihnen leider eine Absage erteilen, Fräulein Milla«, sagte sie, wobei sie ihre eigene Stimme Millas ungehaltenem Ton nachempfand.
»Ach, wieso das?«, gab Milla zurück. Erbost – obgleich sie versuchte, dies zu verbergen – stemmte sie die Hände in die Hüften und sah Galinda schräg an.
»Ich weiß ja, es mag absurd klingen. Und ich könnte ihr den Hals umdrehen dafür. Fräulein Elphaba geht es nicht gut und ich sehe mich verpflichtet, ihr beizustehen. Natürlich, es klingt überaus verlockend, ich würde unheimlich gerne mit Ihnen, Fräulein Pfannee und Fräulein Shenshen einen ruhigen Abend verbringen. Da es die Umstände aber nun mal verhindern… Sie wissen nicht, wie sehr ich lieber fortgehen würde…«
Galinda schloss ihren Redeschwall mit einem theatralischen Seufzen. Millas Brauen senkten sich jedoch noch weiter. Seit wann fühlte Galinda die unbedingte Pflicht, Fräulein Elphaba in Krankheit beizustehen? Doch sie fragte nicht weiter. Dazu war sie zu aufgebracht. Sie ließ die Hände sinken und wandte sich um.
»Nun gut«, sagte sie, mit halbem Fuß schon auf dem Weg zurück in ihre eigene Stube, »Ich werde Fräulein Shenshen und Fräulein Pfannee Bescheid geben, dass Ihnen der Gesundheitszustand Ihrer Stubenkameradin momentan wichtiger ist.« Galinda hatte nicht gewusst, dass Milla ihrer Stimme solche Düsternis verleihen konnte. Sie wollte etwas erwidern, doch sie hielt sich zurück.
»E-Es tut mir wirklich leid«, murmelte sie, was zurück kam war einzig ein verächtliches Schnauben. »Wirklich…« Das hatte Milla nicht mehr gehört. Sie war bereits im benachbarten Korridor verschwunden.
Galinda schloss die Tür und ließ sich dumpf dagegen fallen. Sie seufzte noch einmal. Und noch einmal. Sie wurde die Reue nicht los. Was mochte Milla jetzt bloß von ihr halten? Und was würde sie in ihrer Ungehaltenheit Pfannee und Shenshen erzählen? Galinda schüttelte den Kopf und entschied zunächst, dass sie kein Interesse daran hatte. Sie raffte sich auf und mit geballten Fäusten, um der Flutwelle an grässlichen Gefühlen, die sie überrollte, besser Einhalt gebieten zu können, kehrte sie an die Bettkante ihrer Zimmergenossin zurück.
»Ich finde, Sie sollten etwas zu sich nehmen«, sagte sie, nachdem sie ausgiebig die kantigen, scharfen Gesichtszüge Elphabas studiert hatte. Die schwarzen Schatten unter ihren Augen ließen diese aussehen, als lägen sie tiefer in den Höhlen als sonst und die Wangenknochen traten so spitz aus dem schmalen, grünen Gesicht hervor, dass man meinen könnte, sie schnitten einem bei unachtsamer Berührung die Finger blutig.
»Kann ich Ihnen etwas bringen, Fräulein Elphaba?«, fragte Galinda als ihre Stubenkameradin schwieg. »Oh ja, das würde ich gerne tun! Ich würde in die Kantine gehen und sehen, was man mir dort noch für Sie gibt! Soll ich das, Fräulein Elphaba? Glauben Sie mir, es würde Ihnen bestimmt guttun!«
Galinda unterbrach sich. Sie zog an ihren Fingern – sie war nervös. Und sie wusste, wenn sie nervös war, sollte sie lieber sehen, dass sie still war. Das unkontrollierte Reden konnte sie schnell in unangenehme Situationen bringen. Statt weiter zu sprechen, lächelte Galinda verlegen und sah zu Boden. Sie schwieg und wartete.
Skeptisch beobachtete Elphaba ihre Stubenkameradin, so gut es ihr möglich war. Es war ihr beinahe unheimlich, wie freundlich Galinda sich ihr gegenüber benahm, den ganzen Tag lang schon – als wäre sie tatsächlich um ihr Wohlergehen besorgt. Verzweifelt suchte sie nach dem Haken an der Sache, nach irgendeinem Gewinn, den Galinda aus ihrer Freundlichkeit ziehen konnte, doch ohne Erfolg. Dennoch brachte sie es nicht über sich, ihr Misstrauen abzulegen.
Auf der anderen Seite wusste sie, dass sie keine Alternative hatte. Sie hatte im Grunde genommen seit gestern Mittag nichts mehr gegessen – das Abendessen, das sie hastig hinuntergeschlungen hatte, hatte sie nur wenige Stunden später wieder erbrochen, und heute hatte sie den ganzen Tag lang nichts zu sich genommen außer ein paar Schlucken Tee, die sie ebenfalls nicht bei sich behalten hatte. Sie konnte ihren Körper nicht länger zwingen, ihr zu gehorchen, wenn sie ihm nicht zumindest ein wenig Energie zuführte. Tatsächlich hatte sie auch ein wenig Hunger, ein Teil von ihr wenigstens. Auf der anderen Seite konnte sie sich nicht vorstellen, wirklich etwas zu essen. Sie wusste, dass ihr davon nur erneut übel werden würde, sie wusste es einfach, doch sie wusste auch, dass sie das nicht umgehen konnte. So gab sie schließlich dem Drängen ihrer Mitbewohnerin nach, die tatsächlich froh darüber zu sein schien. Vielleicht war sie aber auch nur erleichtert, Elphabas Gesellschaft eine Weile entfliehen zu können. Vielleicht konnte ja sie selbst auch von Galindas Abwesenheit profitieren. Es war ruhiger im Zimmer, als sie gegangen war, und sie würde die Zeit nutzen und mit ihren Hausaufgaben beginnen.
Galinda konnte ihre Schritte in den Gängen widerhallen hören und bereute, dass sie nicht andere Schuhe angezogen hatte, bevor sie das Zimmer verließ. Zwar würde die Nachtruhe erst in ein paar Stunden beginnen, und es war ihr durchaus erlaubt, sich noch auf den Gängen aufzuhalten, aber dennoch kam sie sich vor, als würde sie etwas Verbotenes tun. Niemand schien hier zu sein – alle nutzten offenbar das gute Wetter aus, das schon bald umschlagen sollte, und waren ausgegangen, sodass Shiz beinahe verlassen schien. Galinda seufzte. Sie bedauerte es doch ein wenig, nicht mit Milla gegangen zu sein – die Abende, die die vier Mädchen oft zusammen verbrachten, waren jedes Mal sehr unterhaltsam. Doch egal, ob die anderen es verstehen würden oder nicht, sie konnte nicht einfach gehen und so tun, als wäre Elphaba nicht krank und erschöpft in ihrem Zimmer – und das, wie sie sich eingestand, ihretwegen. Nein, es war völlig unmöglich. Auch, wenn sie es nicht sehen wollte, Elphaba brauchte Hilfe, und niemand würde sie ihr geben, wenn Galinda es nicht selbst in die Hand nahm. Sie fragte sich, ob Elphaba jemals Unterstützung von irgendjemandem angenommen hatte – und ob es ihr überhaupt jemand angeboten hatte.
Sie war nur noch wenige Schritte von der Kantine entfernt, als ein empörter Ausruf von einem Seitengang her sie innehalten ließ.
»Fräulein Galinda!« Sie schluckte, als sie die Stimme erkannte. Shenshen. Kurz darauf standen ihre Freundinnen vor ihr, alle drei die Hände in die Hüften gestemmt und mit tadelndem Gesichtsausdruck. Es wirkte fast ein wenig albern.
»Ist es wahr?« Pfannee beugte sich vor. »Sie versetzen uns, weil Sie lieber mit einem Salatblatt den Abend verbringen? Und Sie haben ihretwegen sogar Prinz Fiyero aus dem Schlafsaal geworfen?«
Galinda fragte nicht danach, woher Pfannee das wusste. Klatsch verbreitete sich in Shiz schneller, als man »der Wundervolle Zauberer von Oz« sagen konnte. Sie fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg.
»Fräulein Pfannee, ich bitte Sie«, murmelte sie mit beschämt niedergeschlagenen Augen. »Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass ich Ihre Gesellschaft der El- Fräulein Elphabas bei weitem vorziehen würde! Aber mir bleibt keine Wahl – sie fühlt sich nicht wohl, verstehen Sie, und ist aktuell kaum mehr in der Lage, irgendetwas zu erledigen, und, so Leid es mir tut, ich kann sie nicht einfach sich selbst überlassen. Das lässt mein Gewissen nicht zu.«
Pfannee verdrehte die Augen, etwas, was sie in Gegenwart eines Jungen niemals täte. Milla und Shenshen wirkten hin- und hergerissen zwischen Ärger und Verständnis sowie leiser Bewunderung für Galindas Güte. Shenshen trat letztlich einen Schritt auf sie zu.
»Ach, Fräulein Galinda, das ist wirklich unglaublich freundlich von Ihnen, dass Sie sich sogar um jemanden wie sie so reizend kümmern, verstehen Sie uns nicht falsch! Es ist nur, dass Sie durch Ihr Verhalten den Eindruck vermitteln, als wäre ihre Zimmergenossin Ihnen lieber als wir, und, verzeihen Sie, das ist nun wirklich unter Ihrem Niveau...«
Galinda nickte und ignorierte den Drang, Shenshen etwas an den Kopf zu werfen. Aus irgendeinem Grund machten ihre Worte sie extrem wütend. So verabschiedete sie sich mit dem Versprechen, beim nächsten Mal auf jeden Fall wieder dabei zu sein, und wartete, bis die drei außer Sichtweite waren, bevor sie endlich zur Kantine hastete. Hoffentlich war dort noch etwas Essbares zu finden. Nötigenfalls wäre sie ja sogar mit ein paar Äpfeln zufrieden.
Die Kantine war stockfinster. Und ohne jegliche Belichtung oder die Spur einer lebendigen Seele, die sich an den Tischen oder Stühlen zu schaffen machte, wirkte sie bemerkenswert geräumig. Zögernd trat Galinda in die Dunkelheit und kam an den Tresen. Aus der Küche vernahm sie das Plätschern von Wasser und das Klappern und Lärmen aneinanderschlagender, metallener Töpfe. Jemand erledigte den Abwasch. Das Klirren von Besteck, das Rascheln eines Handtuchs, das Klingen von Porzellantellern, die aufeinander gestapelt wurden. Galinda hatte keine Zweifel. Doch ehe sie mit der Absicht, den in der Küche arbeitenden zu sich zu rufen an den Tresen klopfte, ließ sie ihren Blick durch die leere Stube wandern. Die Tische und Stühle waren fein säuberlich gereinigt und gestapelt worden und der lange, schmale Tisch, auf welchem sich normalerweise Schalen mit Obst und Gemüse befanden, war mit einem weißen Tuch verhängt und ebenso völlig leer, wie die ganze Halle. Nirgends sah sie etwas Essbares. Zumindest nichts Genießbares. Galinda hatte sich als Kind oft gefragt, ob nicht im Grunde alles essbar war, was sie umgab und sie hatte immer noch keine Zweifel daran, dass man zur Not auch einfach in eines der hölzernen Tischbeine beißen und es zerkauen und herunterschlucken könnte. Die Frage war bloß, ob es gut schmecken würde. Galinda schüttelte den Kopf. Welch absurde Gedanken! Letztendlich klopfte sie mit den Fingerknöcheln sachte an den hölzernen Tresen und rief ein leises:
»E-Entschuldigung?«
Das Plätschern und Gurgeln des Wassers verklang, eine letzte Gabel – oder ein Löffel, oder ein Messer? – wurde klirrend abgelegt. Eine rundliche, junge Frau trat in den Türrahmen und während sie sich an ihrer weißen Küchenschürze die Hände trocken wischte, schenkte sie Galinda ein warmes, einladendes Lächeln.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte sie herzlich, verschränkte die Hände auf dem Tresen und bettete den Kopf darin.
»Guten Abend, Fräulein«, sagte Galinda und zupfte nervös am Saum ihres seidenen Rocks. »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen?«, fuhr sie in fragendem Tonfall fort.
Die Dame schüttelte so gut es ihr gelang in ihrer Armbeuge den Kopf, nahm ihren Blick dabei jedoch nicht von Galinda. Ihr Starren erschien dieser beinah schon unhöflich und sie fragte sich, ob dieses einfache Küchenmädchen nicht insgeheim nur Galindas vornehme Kleidung bestaunte und versuchte, ihre Eifersucht hinter diesem breiten Grinsen zu verbergen.
»Nein, nein«, ergänzte sie mehr singend als sprechend zu ihrem Kopfschütteln, als ob sie fürchtete, Galinda habe ihre Geste nicht begriffen.
»Gut«, sagte Galinda und blickte zu Boden. Musste sie die Umstände erläutern? Oder reichte es einfach etwas zu essen zu verlangen und es dabei zu belassen? »Ist vielleicht noch ein wenig zu essen übrig?«, fragte sie hoffnungsvoll und sah der Dame bittend in die Augen. Diese hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt. Nun hob sie ihren Kopf von den gefalteten Armen und sah nachdenklich zur Decke.
»Hmm…Nicht, dass ich wüsste…«, murmelte sie. »Es tut mir Leid«, fügte sie hinzu und hob entschuldigend die Schultern.
Galinda wusste, sie musste nun die Notlage schildern. Es half nichts. Wenn sie von dieser Dame verlangen wollte, dass sie die Vorräte bis auf das letzte Korn nach Resten durchstöberte, musste sie wissen, weshalb das Essen so dringend benötigt wurde. Sie holte tief Luft:
»Bitte, Fräulein! Meine Zimmergenossin ist krank und diese Krankheit hat sie sehr geschwächt. Zu den Mahlzeiten war es ihr nicht möglich, etwas zu sich zu nehmen, fragen Sie nicht weiter nach dem Grund… Aber jetzt… Ich bitte Sie, sehen Sie doch, was Sie noch finden können!«
Das Küchenmädchen rieb sich ein weiteres Mal die feuchten Hände an der Schürze. Sie war bereits auf halbem Weg in die Küche, das Gesicht erhellt durch einen Glück verheißenden Gedanken, als sie Galinda plötzlich freudestrahlend verkündete:
»Der Apfelbaum im Obstgarten trägt bereits pralle, reife Früchte! Ich kann Ihnen einige abpflücken, wenn Sie möchten«
Galinda lächelte froh und tat unvermutet einen triumphierenden Sprung:
»Das würden Sie tun?«
Die Dame nickte und entschwand, vermutlich in den Obstgarten. Galinda hörte, wie eine hölzerne Tür sich knarrend öffnete, wie eine Leiter an den dicken Stamm eines Baumes gelehnt wurde, wie die Äste sich dabei schüttelten und die Blätter raschelten und einige Früchte mit dumpfem Knall zu Boden fielen. Darauf folgte eine Weile Stille. Dann hörte sie, wie die Holztür wieder verschlossen und verriegelt wurde, wie feste Schritte durch die Küche polterten und dann vernahm sie ein weiteres Mal das Plätschern und Gurgeln von Wasser. Als die Dame wieder an den Tresen trat, hielt sie Galinda drei Stück glänzende, grüne Äpfel entgegen. Wasser kullerte in dicken Tropfen über die glatte Schale der Äpfel und verlieh ihnen besonders herrlichen Glanz.
»Aber…?« Galinda betrachtete die Äpfel eine Weile prüfend. Konnten sie denn bereits reif genug sein, um auch genießbar zu sein, wenn sie noch deutlich grün waren? »Sie sagten doch, sie wären reif? Warum sind sie denn grün?«, fragte sie die Dame.
Diese packte Galinda am Handgelenk, hob ihre Hände und drückte ihr die Äpfel in die geöffnete Handfläche. Galinda bedachte sie mit einem verdutzten Blick.
»Diese Sorte wird niemals rot werden«, erklärte das Küchenmädchen. »Das sind grüne Äpfel. Sie sind zwar etwas saurer als gewöhnliche Äpfel aber ansonsten werden Sie kaum einen Unterschied bemerken.« Sie schloss ihre Erklärung abermals mit diesem furchtbaren, süffisanten Lächeln. Als ob es nicht schon Unterschied genug wäre, dass grüne Äpfel saurer schmeckten! Galinda zuckte die Schultern. Grüne Äpfel schmeckten saurer, als gewöhnliche rote? Unwillkürlich stellte sie daraus einen Bezug zu Elphaba her.
»Nun…«, stammelte Galinda. »Vielen Dank. Ich weiß Ihre Güte sehr zu schätzen«, sagte sie höflich. »Einen angenehmen Abend.«
Sie drehte sich um und verließ schnell die dunkle Kantine. Nicht einen weiteren Moment wollte sie allein mit dieser unheimlichen Dame verbringen! Beinah im Laufschritt trug sie die nassen, grünen Äpfel in die Stube zurück. Sie war froh, dieses Mal niemandem zu begegnen.
Elphaba hatte den Eindruck, dass ihre Gedanken sich mühsam in ihrem Kopf umherwälzten, wie zäher Schlamm, in dem ein Kind herumwühlte. Sie hatte es irgendwie geschafft, sich wieder von ihrem Bett zu erheben und sich, von einem Hustenanfall geschüttelt, zum Schreibtisch zu schleppen, wo sie sich schwer auf den davor befindlichen Stuhl fallen ließ und wartete, bis das Zimmer aufhörte, sich zu drehen. Jetzt blickte sie mit glasigen Augen auf das Buch über Psychologie, das auf dem Tisch lag, in der Hoffnung, es würde irgendwann einfach nachgeben und ihr verraten, was darin stand. Die Buchstaben verschwammen vor ihren Augen und schaukelten auf und nieder. Sie war noch nicht einmal sicher, ob sie das Buch richtig herum hielt, doch sie hoffte trotzdem, dass die Buchstaben einen Moment lang stillhalten würden, lang genug, damit sie ein paar Fakten herausschreiben konnte.
Als Galinda vorsichtig die Tür zum Schlafsaal öffnete, sorgsam darauf bedacht, keine der großen grünen Kugeln in ihren Händen fallen zu lassen, musste sie sich sehr zurückhalten, um nicht einiges an Verwünschungen auszustoßen, die Elphaba gewiss beeindruckt hätten. Sie hätte sich ja denken können, dass sie nicht auf sie hören würde! Wieso hatte sie sie bloß alleine zurückgelassen?
Fräulein Elphaba saß zusammengesunken auf einem Stuhl. Ihr linker Arm stützte ihren Kopf, der dennoch bedrohlich mit dem Oberkörper zusammen schwankte, die Finger ihrer rechten Hand um eine Feder gekrallt, fest genug, um Galinda befürchten zu lassen, dass sie sie zerbrechen würde. Die Feder bewegte sich langsam und zittrig über ein Blatt Papier, doch die Linien bildeten keine Buchstaben. Es wirkte eher, als würde Elphaba zwar gerne etwas Zusammenhängendes schreiben, könnte sich aber nicht entscheiden, welche Buchstaben die geeignetsten waren.
»Fräulein Elphaba!« Die Angesprochene zuckte zusammen, die Feder fiel mit einem leisen Geräusch auf die Tischplatte. Offenbar hatte sie die Rückkehr ihrer Stubenkameradin nicht bemerkt. Diese legte nun kurzerhand die Äpfel auf ihr eigenes, ordentlich gemachtes Bett und beförderte sowohl Elphabas Feder als auch ihr Buch und ihren Notizblock mit Schwung in eine Ecke, ohne auf den schwachen Protest zu achten, der ihr entgegengebracht wurde.
»Sie kann man ja auch keine Minute alleine lassen, ohne dass Sie irgendetwas anstellen!« Kopfschüttelnd begab sie sich zum Schreibtisch. Elphaba machte Anstalten, sich zu wehren, hatte aber kaum die Kraft, die Augen offen zu halten, und war gezwungen, zuzulassen, dass Galinda ihr aufhalf und sie wieder einmal zu ihrem Bett bugsierte. Dort angekommen, sorgte sie auch gleich dafür, dass Elphaba es möglichst schwer hatte, wieder aufzustehen, indem sie sie unter ihre dünne, graue Decke steckte, so dass sie zwar aufrecht an die Kissen gelehnt da saß, aber nicht einfach ihre Beine wieder auf den Boden schwingen und aufstehen konnte.
»So, und da bleiben Sie jetzt! Wenn Sie nämlich so weitermachen, muss ich Ihnen doch noch eine professionelle Krankenschwester besorgen, und ich werde dafür zu sorgen wissen, dass Sie sich dem fügen!«
Elphaba widersprach nicht einmal mehr, wie Galinda besorgt feststellte. Sie saß nur da, mit flatternden Augenlidern und keuchendem Atem. Sie wirkte völlig unbeteiligt, als Galinda die Äpfel, die sie geholt hatte, schließlich von ihrem Bett aufhob und herüberbrachte.
»Fräulein Elphaba?« Sie sah, wie sich die dunklen Augen zögernd auf sie richteten und sich einigermaßen auf sie fokussierten. Unwillkürlich senkte sie die Stimme. »Entschuldigen Sie, dass ich gerade so ungehalten war... ich mache mir doch nur Sorgen um Sie!« Sie seufzte. »Jedenfalls habe ich Ihnen etwas aus der Kantine mitgebracht... es ist nicht viel, aber etwas anderes stand nicht zur Auswahl«, fügte sie entschuldigend hinzu und streckte die Hand mit einem Apfel darin aus.
Galindas Worte schwammen in ihrem Kopf herum und fügten sich nur langsam zu sinnvollen Sätzen zusammen. Abwesend blickte sie auf das Ding in Galindas Hand. Es war rund, und grün... musste eigentlich immer alles grün sein? Was war das überhaupt?
»M-mögen Sie keine Äpfel?« Galinda wirkte leicht verzweifelt bei dieser Frage, als Elphaba endlich begriff, dass sie wohl reagieren sollte.
»Doch«, murmelte sie leise. Sie wollte die Frucht entgegennehmen, doch als ihr Blick noch einmal darauf fiel, sank ihr Arm mitten in der Bewegung wieder auf die Bettdecke zurück. Die grüne Schale glänzte einladend, und das Licht wurde reflektiert von tausenden winzigen Wassermolekülen, die sich zu Tropfen zusammenfanden und den Apfel hinabrannen. Die ersten nassen Flecken waren bereits auf dem dunklen Stoff aufgetaucht. Elphaba wich zurück, presste sich gegen die Wand, den Blick starr auf die klaren Kristalle gerichtet. Ihr war gar nicht bewusst, wie verwirrt Galinda plötzlich aussah, und erst, als ihre Lunge nach Sauerstoff schrie, merkte sie, dass sie vor Panik den Atem angehalten hatte.