Beautifully Tragic
von WitchesOfOz
Kurzbeschreibung
Elphaba und Galinda diskutieren miteinander. Über den Sinn des Lesens, Sarkasmus und einiges andere, bis es Galinda zu viel wird und sie im Bad verschwindet. Dort allerdings gerät sie in eine äußerst missliche Lage, aus der nur Fräulein Elphaba sie befreien kann - mit fatalen Folgen... Gemeinsame Geschichte von FellowOzian und WickedWitchOfTheWest - Virtuelle Cookies für diejenigen, die erraten, wer welchen Absatz geschrieben hat :D
GeschichteDrama, Freundschaft / P16 / Gen
Elphaba Thropp
Fiyero Tigelaar/Tiggular
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
28.02.2013
19.11.2016
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28.02.2013
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Das Prinzip des Sarkasmus
Hastig wandte Galinda den Kopf nach rechts und links, dass ihre Locken dabei flogen und im Licht der sterbenden Sonne blutrot aufflackerten wie glimmende Flammen. Die Absätze ihrer Schuhe schienen dumpf über jeden Schritt, den Galinda tat, zu klagen, und als Galinda in den stillen Korridor kam, war es ihr, als ächzten sie, als sie die kalten Steinfliesen betrat.
Galinda wusste, so spät abends noch in den Gängen und Korridoren der Universität umher zu irren, war ihr nicht erlaubt. Darum sah sie zu, dass sie rasch die Stube erreichte, und unwillkürlich pochten ihre Schuhe noch lauter, als sie ihren Schritt beschleunigte. Unwillkürlich kräuselte ein Lächeln Galindas Lippen. Ach, schön war es gewesen! Mit einem Kichern dachte sie zurück an den Moment, in dem Fiyero seinen Weinbecher wohl etwas zu heftig im Takt der mitreißenden Musik auf den Tisch geschlagen hatte. So heftig und mit solchem Enthusiasmus, dass er auf der Stelle in tausend Scherben zersprungen war. Shenshen, die daneben gestanden hatte, war bei dem erfolgreichen Versuch, einer vorüberfliegenden Glasscherbe auszuweichen, elegant in die umstehenden Stühle gefallen und hatte einige mit schrecklichem Poltern umgestoßen. Wieder lächelte Galinda. Sie wusste ja, wie hoch Fiyero die Musikanten im »Rosigen Pfirsich« pries. Dennoch, es hätte auch weit bessere Wege gegeben, auf denen er ihnen hätte zeigen können, wie sehr er sie schätzte. Im Mindesten hatte Fiyero Galinda mehrmals zum Tanze gebeten und selbst Nessarose und der Munchkinjunge – dessen Namen sie sich schlicht und ergreifend nicht einprägen konnte – Biq waren zumindest versucht gewesen, derartiges wie Tanzschritte zu wagen. Nessarose, das arme Ding, hätte wohl liebend gern selbst mehr getan als einige schwungvolle Drehungen mit ihrem Rollstuhl zu vollführen… Und wie entsetzlich blass sie war! Galinda schüttelte den Kopf.
Schließlich hielt sie vor einer hohen, dunkel getäfelten Tür, auf der eine kunstvoll geschwungene, leuchtend goldene 22 prangte. So wenig rasselnd als nur irgend möglich, zog Galinda ein Lederband aus ihrer Handtasche, an welchem zwei Schlüssel baumelten – einer der beiden war der Ersatzschlüssel zu Pfannees und Millas Stube; für alle Fälle. Sie entriegelte die Tür und drückte sie mit der Schulter auf, während sie den Schlüssel achtlos wieder in die Tiefen ihrer Handtasche warf. Als sie den Kopf hob und abermals die Haare aus der Stirn warf, sah sie ihre Zimmergenossin auf ihrem Bett hocken. Den Rücken gekrümmt, die grünen Finger in starkem Kontrast auf den vergilbten Seiten eines dicken Buches, mit einem porösen Ledereinband, der einen modrigen Geruch ausströmte, den man bis an die Eingangstüre wahrnahm. Erst verzog Galinda das Gesicht, dann schritt sie auf ihre Stubenkameradin zu, die wohl weiterhin vorzog, zu tun, als ob sie Galinda nicht bemerken würde.
»Nein, Fräulein Elphaba!«, rief Galinda spöttisch aus, als sie näher kam und den Titel des Buches erkannte. »Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst! Den ganzen Abend haben Sie nichts besseres zu tun, als ein wohl bereits steinaltes Buch über Biowissenschaften zu lesen? Mit einem Wort, das ist albern – schlicht albern. Es scheint, Sie sind tatsächlich eine eigenbrötlerische Langweilerin! Dass Sie von all der einsamen Leserei nicht irre werden!«
Galinda wandte sich ab und schleuderte ihre Handtasche auf ihr Bett. Nein, ihre Stubenkameradin war es nicht einmal wert betrachtet zu werden...
Elphaba ignorierte ihre gerade hereingekommene Zimmergenossin geflissentlich und las mit konzentriert gerunzelter Stirn den Absatz zu Ende. Dann legte sie sorgfältig ihren Finger auf die Stelle, an der sie innegehalten hatte, und hob langsam den Kopf, um Galinda anzusehen. Die Blondine hatte sich bereits wieder abgewandt und war soeben damit beschäftigt, ihr unbequem aussehendes Schuhwerk auszuziehen. Elphaba verzog den Mund zu einer Art Lächeln und erklärte mit theatralischem Leid in der Stimme:
»Wie Sie so etwas nur sagen können... Fräulein Galinda, ich bin zutiefst beleidigt.«
Galinda fuhr zusammen und drehte sich um, offenbar überrascht, eine Antwort zu erhalten.
»Das war nicht meine Absicht...«, murmelte sie, jedoch so leise, dass man hätte vermuten können, sie hätte es eher sich selbst mitgeteilt als ihrer Stubenkameradin, die nun ihre Hand zwischen die Seiten ihres Buches schob und dieses – vermutlich eine Geste der Höflichkeit – einen Augenblick zuklappte, als sie den Kopf neigte und mit hochgezogenen Brauen erwiderte:
»Das würde ich an Ihrer Stelle jetzt auch behaupten.«
Galinda rutschte auf der Bettkante ein wenig zurück, wobei sie Falten in ihre rosafarbene Tagesdecke schob und drehte den Kopf auf dem Hals so weit herum, dass sie Elphaba nun doch beobachten konnte, die den Kopf sogleich wieder gesenkt hatte, um weiter in ihrem Buch zu lesen.
»Dann ist es also berechtigt...?«, fragte Galinda und hinter ihren Worten verbarg sich beinah ein Anflug von Triumph. Dieser verflog jedoch augenblicklich, als Elphaba mit einem Seufzen ein weiteres Mal aufsah und fragte:
»Was ist berechtigt?«
»Meine Behauptung...?« Galinda war gleichsam irritiert und enttäuscht. War das der Beweis, dass Elphaba ihr kaum zugehört hatte?
Elphaba hob eine Augenbraue.
»Dass es nicht ihre Absicht war?« Galinda nickte, was ihr ein Stirnrunzeln einbrachte. »Das weiß ich nicht. Ich kann Ihre Absichten nicht beurteilen.«
Mit dem verwirrten Blick, den Galinda ihr zuwarf, zufrieden, wollte Elphaba sich wieder ihren Buchstaben zuwenden, doch sie wurde erneut unterbrochen.
»Sie sagten doch, Sie hätten dasselbe gesagt... ich begreife Sie nicht.«
Elphaba seufzte genervt. Wollte dieses Mädchen einfach nur nicht begreifen, was sie meinte?
»Sarkasmus, meine Liebe«, erklärte sie langsam, als würde sie mit einer Fünfjährigen sprechen. »Das Prinzip nennt sich Sarkasmus...«
Nach einer Sekunde hellte Galindas Gesicht sich verstehend auf, nur um im nächsten Moment noch finsterer dreinzublicken als zuvor.
»Ach ja, das Ihnen geläufige Stilmittel, das hatte ich vollkommen vergessen...«
Elphaba neigte skeptisch den Kopf und sah ihre Stubenkameradin unter halb gesenkten Lidern hervor ungläubig an.
»Man sollte nicht glauben, dass Sie es vergessen können, wenn Sie mit mir zusammenleben, aber nun gut. Allerdings ist es nicht das mir geläufige Stilmittel, sondern ein mir geläufiges Stilmittel. Ich verwende es nur oft.«
Galinda schnaubte.
»Schon gut«, sagte sie und tat hierzu eine wegwerfende Gebärde. »Es scheint, wir teilen uns noch nicht lang genug eine Stube, dass mir Zeit geblieben wäre, Ihren Sarkasmus ausgiebig kennen und verstehen zu lernen.«
Als Galinda sich an ihre Füße herab beugte – schlicht um ablenkend mit ihren Zehen zu spielen – fielen ihr sogleich ihre weizenblonden Locken in die Stirn und sie bediente sich diesem Umstand, um sich schwungvoll auf der Bettkante aufzurichten, den Kopf zurück zu werfen, dass ihr Haar in all ihrer Pracht ein Muster aus Goldfäden auf ihren Kopf zeichnete. Fast wäre ihr der Moment entgangen, in dem Elphaba ihr Antwort gab. Ihre Stimme klang leer und ausdruckslos, was daran liegen mochte, dass Elphaba stets den Blick sowie vermutlich auch ihr Konzentrationsvermögen in das Buch gesteckt hatte und gedankenverloren pechschwarze Haarsträhnen um ihre dürren, grünen Finger wickelte.
»Das ist durchaus nicht mein Sarkasmus«, behauptete sie. »Jeder Sarkasmus funktioniert nach demselben Prinzip. Er wird nicht nur von mir praktiziert. Verwendet ihn denn niemand anderes, den Sie kennen?«
Mit halbem Auge blickte Elphaba ein weiteres Mal fort von den Seiten ihrer Lektüre, lediglich um mit hochgezogener, linker Braue unter den Gläsern ihrer Lesebrille heraus zu beobachten, wie Galinda nachdenklich die blitzblauen Pupillen zur Decke drehte.
»Nein...«, meinte sie schließlich. »Nein... Nicht, dass ich wüsste, wenn ich ehrlich bin...«
Kurz legte sie einen Finger an die vollen Lippen, dann verlieh sie ihrem Gesicht einen spöttischen Ausdruck und fügte hinzu:
»Sie sind die einzige Person, die Sarkasmus benutzt, als wären es tägliche Floskeln, wie ›Guten Morgen.‹ oder ›Grüß Oz.‹«
Nun wandte Elphaba ihre Konzentration doch von ihrem Buch ab. Ein Grinsen entblößte ihre strahlend weißen Zähne, die aus ihrem dunklen Gesicht hervorleuchteten.
»Sind Sie sicher, dass Sie es bei den anderen nicht nur ebenso wenig bemerken wie bei mir, und dass diese Sie im Gegensatz zu mir nicht darauf hinweisen?«
Enttäuscht sah sie, dass Galinda nicht darauf einging, dass Elphaba sie gerade scheinbar für unaufmerksam erklärt hatte. Sie fragte nur skeptisch:
»Wann haben Sie denn schon einmal aus dem Munde eines anderen eine sarkastische Antwort gehört...?«
Nun hob Elphaba auch die andere Augenbraue. Diese Frage war wirklich selten dämlich.
»Es sprechen nicht so viele Leute mit mir, dass diese Wahrscheinlichkeit so hoch wäre... zudem würde es keiner tun. Ich bin besser darin als sie.«
Erneut hoben sich ihre Mundwinkel zu einem Grinsen. Dass sie das Prinzip des Sarkasmus besser beherrschte als jeder andere, würde sogar Fräulein Galinda ihr zugestehen, obgleich diese nur ausweichend reagierte.
»Das kann ich nicht beurteilen. Immerhin fehlt es mir an Vergleichsmöglichkeiten...«
»Wenn Sie das sagen.«
Elphaba dachte einen Moment lang über diese Aussage nach. Vergleichsmöglichkeiten... Hatte Galinda wirklich keine Vergleiche zur Verfügung? Das konnte doch nicht sein.
»Wenn Sie wollen, kann ich ja mal auf Ihre Unterhaltungen achten... und darauf, ob jemand Sarkasmus verwendet, den Sie übersehen.«
Nicht, dass sie wirklich damit gerechnet hatte, dass Fräulein Galinda sich einverstanden erklärte... aber das gequälte Lächeln, dass nun auf ihrem Gesicht erschien, befand sie dann doch für etwas übertrieben.
»Das...ist wirklich...nicht...nötig...« Oder war es Verlegenheit? »Dennoch... Ich danke Ihnen für dieses...großzügige Angebot...«
Nein... wohl eher nicht. Elphaba lächelte abschätzig.
»Oh, vielleicht war das gar nicht so großzügig... Vielleicht suche ich nur nach einer Gelegenheit, Ihnen zu zeigen, was Sie alles übersehen oder überhören?«
Nun war es an Galinda, argwöhnisch die Brauen zu heben. Sie verschwanden beinahe unter den wallenden Gebirgen aus Locken, die von einer Seite in Galindas Stirn hingen.
»Vielleicht suchen Sie ja auch nur nach einer Möglichkeit, mich aushorchen zu können...?«
Doch die Grimasse, zu der Elphaba ihr Gesicht verzog, ehe sie sich zu einer weiteren Antwort herabließ, belehrte Galinda eines Besseren.
»Glauben Sie allen Ernstes, Ihre Gespräche über Mode, Schuhe, Jungs und nicht ganz so hübsche Mädchen, über die man lästern kann, sind so interessant für mich?«, erwiderte Elphaba und rang sich ein sanftes Kopfschütteln ab, ehe sie wieder in ihr Buch starrte. Galinda war aufgefallen, dass Elphaba die Worte »nicht ganz so hübsche Mädchen« auffallend betont und bemüht langsam und deutlich ausgesprochen hatte. Natürlich – das würde sie gewiss niemals verstehen, war doch in ihrem Blick jedes Mädchen eine Augenweide, da sie mit Sicherheit wusste, dass sie alle weit hübscher waren als sie; zumindest so, dass sie es ertragen konnten, sich morgens im Spiegel zu sehen. Galinda war nicht entgangen, wie gewissenhaft ihre Zimmergenossin den Badezimmer- und den Flurspiegel des Morgens so gut als möglich mied.
»Was weiß ich denn...?«, sagte Galinda schließlich und versuchte dabei, ihrer Stimme einen gleichgültigen Ausdruck zu verleihen. »Sie behaupten doch immer, ich wüsste nichts!«, fügte sie darauf hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wie sollte ich dann so weit denken können?!« Galinda schnaubte als Geste der Überforderung eine Strähne von ihrer Nasenspitze und wich dem Blick ihrer Stubenkameradin aus, die kurz Luft holte um kühl zu entgegnen:
»Nun, es dürfte Ihnen selbst nicht entgangen sein, dass ich mich für diese Themen eher nicht interessiere, oder?«
Und schon wieder wanderten ihre Brauen auf der grünen Stirn nach oben, wobei diese gleichzeitig Falten schlug. Galinda drehte sich wieder nach Elphaba um.
»Also, welchen Grund hätten Sie dann, meine Gespräche zu verfolgen? Es bringt Ihnen ja doch mehr Schaden, als Nutzen, müssten Sie doch von Themen hören, die Sie nicht im Geringsten interessieren...«, konterte Galinda, löste die Hände aus der verschränkten Position und faltete sie grazil auf dem Schoß.
Zugegeben, das war, besonders für Galinda, ein recht logischer Einwand. Doch so leicht konnte man Elphaba Thropp nicht totreden.
»Das nicht«, gab sie zu. »Aber ich würde mitbekommen, wie viel Sie mitbekommen... vielleicht könnte ich Ihnen Sarkasmus näherbringen und müsste Ihnen irgendwann nicht mehr jedes Mal erklären, wie ich etwas meine?«
Oz, das wäre doch schön. Sie hatte noch nie großen Spaß daran gehabt, jede ihrer Aussagen erläutern zu müssen – das nahm ihnen jede Schärfe, und das war absolut nicht der Sinn der Sache. Unbewusst strich sie bei dieser Vorstellung an den dünnen Buchseiten auf ihrem Schoß entlang, bis sie ein Stechen in ihrem Zeigefinger verspürte. Reflexartig zog sie die Hand zurück und betrachtete genervt den winzigen Schnitt, den ihre Haut aufwies. Hoffentlich hatte sie keinen Blutfleck in das Buch gemacht. Achtlos wischte sie ihren Finger an ihrem dunklen Kleid ab, während Galinda weitersprach.
»Wenn Sie sich ohnehin nur selten mit mir unterhalten...? Oft müssten Sie mir Ihren Sarkasmus also nicht erklären... Und in den wenigen Gesprächen, die wir führen, könnten Sie sich Ihren Sarkasmus ja auch für eine Weile verkneifen, um sich die Erklärungen zu ersparen...«
Vielleicht wollte Galinda es ja gar nicht verstehen? Sicher war das Leben einfacher, wenn man gar nicht bemerkte, wenn Leute abschätzig über einen sprachen... Elphaba seufzte und verdrehte ein bisschen die Augen. Ja, sicher war es einfacher, aber nicht gerade hilfreich. Das musste doch auch Fräulein Galinda verstehen. Elphaba bezweifelte nicht, dass die Blondine mehr verstehen konnte, als es den Anschein hatte – wenn sie es versuchte. Allerdings konnte sie sich nicht erinnern, jemals einen derartigen Versuch bemerkt zu haben.
»Selbst wenn wir nur wenig miteinander sprechen, bisher musste ich Sie jedes Mal darauf hinweisen. Und es dürfte schwer werden, gänzlich darauf zu verzichten... Ich benutze ihn automatisch. Warum auch nicht? Sie sollten sich daran gewöhnen.«
Galindas Antwort klang alles andere als begeistert.
»Wenn Sie von mir verlangen, dass ich mich daran gewöhne, müssen wir uns öfter unterhalten... Wollen wir das? Wollen Sie das?«
Elphaba hob gleichgültig die Schultern und ließ sie wieder fallen. Wenn Galinda lieber darauf verzichten wollte, so war das nicht ihr Problem.
»Dazu habe ich nicht wirklich eine Meinung. Solange Sie mich hin und wieder lesen lassen...?«
Die Reaktion auf diese Aussage war bemerkenswert amüsant. Galindas Augen weiteten sich innerhalb von Sekundenbruchteilen mindestens auf die doppelte Größe und richteten sich in einem Moment der Sprachlosigkeit auf Elphaba.
»Wer hat denn gesagt, dass ich mich mit Ihnen unterhalten möchte...? Sie können meinetwegen lesen, so viel Sie wollen...« Und wieder drehte Galinda ihrer Stubenkameradin den Rücken zu.
»Sie haben gefragt, ob ich das will und ich habe geantwortet«, murmelte Elphaba, offenbar wieder ihrem Buch zugewandt. Sie strich sich eine Strähne hinter das Ohr, die ihrem Zopf entkommen war und sie blätterte raschelnd in ihrem Buch einige Seiten zurück und anschließend wieder an die Stelle, an der sie ihren Finger zwischen die Seiten geklemmt hatte. Nein, das Buch wies keinerlei Blutflecken auf, wie sie erleichtert feststellte und sie steckte kurz den Zeigefinger in den Mund, versucht, dem Blutfluss Einhalt zu gebieten.
»Ob Sie es wollen, kann ich wohl kaum beurteilen, oder?«, fügte sie schließlich hinzu und durchbrach somit die kurze, drückende Stille. »Sie müssen ja nicht«, meinte Elphaba. »Ich werde Sie gewiss nicht zwingen.«
Darauf ließ Galinda ein erleichtertes Schnauben hören, das wohl zugleich ein Kichern sein sollte, womit sie Elphaba deutlich zu machen versuchte, dass sie dies als selbstverständlich angesehen hatte. »Das freut mich«, sagte sie, wobei immer noch ein zweckmäßiges Kichern ihre Stimme erschütterte. »Das heißt, ich darf jetzt ins Badezimmer gehen?« Langsam erhob sich Galinda, blieb aber gleichsam erwartungsvoll wie ungeduldig stehen und wippte auf und nieder, während sie auf Elphabas Antwort wartete:
»Sie hätte auch vorher ins Bad gehen dürfen.« Damit beugte sie sich endgültig vollends in ihr Buch, drückte mit der einen Hand die Seiten auseinander und hielt mit der anderen Hand lange, lose Haarsträhnen im Zaum, die ihr beim Lesen vor die Buchstaben zu fallen drohten.
Galinda wandte sich nun um. Auf einmal schien sie die Sicherheit verlassen zu haben, dass sie vollkommen allein und in Ruhe ihrer abendlichen Pflege nach zu gehen wünschte.
»G-Gut...«, stieß sie zögernd hervor und zögernd, wie ihre Stimme, war auch ihr Schritt, der sich zaghaft der Badezimmertüre näherte. »Dann – Dann gehe ich jetzt... Jawohl...«
Sie tastete nach der Klinke, wobei sie den Blick noch immer Elphaba zugewandt hatte, die aber nun nicht mehr von ihrer Lektüre aufsah, sondern nur ein leises, unkonzentriertes »Tun Sie das« murmelte, das nicht klang, als hätte sie auch nur eine Silbe gehört von dem, was Galinda gesagt hatte. Leicht beleidigt warf sie daraufhin ihre Haare zurück und verschwand verärgert im Bad.
Kaum eine Sekunde später war sie auch schon wieder im Schlafsaal; scheinbar gönnte sie einem nicht einmal eine einzige Sekunde Ruhe. Elphaba weigerte sich strikt, aufzublicken, als Galindas Stimme erneut erklang, hoch und nervtötend wie immer, jetzt allerdings auch ein wenig unsicher. »Also...Ja, ich bin jetzt im Badezimmer... Sie wissen, das Schloss ist kaputt... Darum, vergessen Sie bitte nicht, dass ich im Badezimmer bin... In Ordnung...?«
Ach ja, das Schloss. Das Schloss, dass Galinda selbst zerstört hatte... indem sie mit ihrer gefährlich aussehenden Nagelfeile darin herumgestochert hatte, als die Tür einmal klemmte, wobei ihr nicht aufgefallen war, dass das nicht am Schloss lag, das war nämlich offen gewesen. Und jetzt meinte sie jedes Mal, Elphaba darauf hinweisen zu müssen.
»Für wie vergesslich halten Sie mich?!« Die grüne Studentin stöhnte genervt und war kurz davor, sich ihr Buch an die Stirn zu klatschen, als Galinda immer noch nicht den Mund hielt.
»Verzeihen Sie... Ich fühle mich nur immer etwas...schutzlos ohne das Türschloss... Wir sollten es reparieren lassen!« Schutzlos. Ein verächtliches Schnauben entfleuchte ihr. Wer sollte denn kommen, vor dem sie beschützt werden musste? Es gab an dieser Universität keine wilden Tiere außer den Spinnen, die ohnehin in jedem Raum anzutreffen waren, und auch sonst würde ihr niemand etwas tun. Elphaba seufzte, legte schließlich das Buch doch gänzlich zur Seite – nicht ohne vorher ein Lesezeichen zwischen den Seiten platziert zu haben – und sah ihre Zimmergenossin mit ausdruckslosem Gesicht an.
»Ja, sollten wir. Allerdings werde ich um diese Uhrzeit dafür nicht Madame Akaber aufsuchen. Sie etwa?«, fragte sie vielsagend. Sie wusste, dass Fräulein Galinda ein wenig Angst vor der fischartigen Direkteuse hatte.
Tatsächlich weiteten sich Galindas Augen ein wenig, bei dem Gedanken daran, zu solch später Stunde noch einmal zu Madame Akabers Büro gehen zu müssen und sie darum zu bitten, das Türschloss reparieren zu lassen. Diese wulstigen, jedoch flinken Finger, denen man alles zumuten konnte, die Arme, die bei jeder Bewegung wie klingende Münzen in einem Leinensack klimperten, wenn all die Cloisonnéreifen aneinander schlugen, die sie trug. Diese starren, hellen Augen, die kaum je blinzelten. Galinda zitterte unwillkürlich, sie schüttelte sich und erwiderte:
»I-Ich...Nein...Aber...« Sie schluckte, was sich mehr anfühlte, als kämpfe sie darum eine Faustgroßen Stein herunter zu würgen.
»Ich habe es mir anders überlegt...«, entschied sie schließlich und sie meinte Elphaba leise seufzen gehört zu haben, ignorierte dies jedoch. »Ohne das Türschloss will ich kein Bad nehmen... Es ist, als ob Sie mich beobachten würden... Die Tür könnte ebenso gut sperrangelweit offen stehen...«
Aus genaueren Überlegungen schloss Galinda jedoch, dass sie ihr Schaumbad dringend nötig hatte. Ihr Haar fühlte sich an wie Stroh, als sie prüfend danach griff, eine Locke langzog und sie zurück schnalzen ließ und sie selbst fühlte sich klebrig und schmutzig.
»Was also können wir tun...?«, ergänzte sie schließlich, nachdem sie etwa anderthalb Minuten überlegt hatte, ob sie nun ein Bad nehmen sollte, oder nicht. Doch Elphaba tat nichts weiter als still auf der Kante ihres Bettes auszuharren und die dunklen Augen theatralisch zu verdrehen.
»So spannend sind Sie nicht, dass ich Sie beim Baden beobachten würde... Ich bin ja nicht Boq«, entgegnete sie spöttisch, wobei sie das erste Wort in ihrer Antwort unangenehm in die Länge zog.
»Was wollen Sie denn tun?!«, fragte Elphaba schließlich, als sie erst wenig später zu bemerken schien, dass Galinda ihrer vorhergehenden Aussage noch etwas beigefügt hatte.
Einen Augenblick lang blieb Galinda dankenswerterweise still, doch irgendwie schaffte sie es, sogar dieser Stille einen empörten Klang zu verleihen, als hätte Elphaba etwas äußerst unanständiges gesagt, obgleich sie sich dessen nicht bewusst war.
»Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Ich hatte gehofft, Sie wüssten eine Lösung...«
Lösung wofür?, fragte sich Elphaba zweifelnd. Sie sah das Problem überhaupt nicht. Da Galinda aber auf eine Antwort zu warten schien, resignierte sie und knurrte sarkastisch: »Meine Lösung wäre, dass ich mich hinsetze und lese und Sie ignoriere. Reicht Ihnen das?«
Ihre Stubenkameradin allerdings schien den Sarkasmus erneut entweder nicht zu bemerken oder bewusst zu ignorieren, wobei Elphaba Letzteres mit der Zeit für immer wahrscheinlicher hielt - dass Galinda tatsächlich einfach Gefallen daran fand, ihre zweifelhafte Geduld zu testen. »Nicht wirklich... Vielleicht... Können wir...etwas in die Türklinke klemmen, dass sie sich von außen nicht öffnen lässt...?«
Elphaba schloss die Augen und zählte langsam bis zehn. Nein, sie würde Galinda nicht erschlagen... wie sollte sie all das Blut erklären?
»Nehmen Sie einen Stuhl. Und lassen Sie mich lesen, wenn es nur so unsinnige Themen gibt.«
Vielleicht hatte Galinda schließlich doch die Stimmung ihrer Kommilitonin bemerkt, jedenfalls wirkte sie etwas weniger... galindahaft als zuvor.
»Das ist ein vernünftiger Vorschlag... Dann werde ich nun gehen... Und Sie können lesen...« Langsam machte sie ein paar Schritte auf das Bad zu und murmelte dabei mit einem Seitenblick auf die vielen Bücher in Elphabas Regal:
»Wie immer...«
Elphaba stieß daraufhin ein Seufzen aus, das ihren gesamten Körper erschütterte. Sie zog dabei die Schultern bis an die Ohren, ließ sie wieder fallen, als sie hart Luft ausstieß und ihr Brustkorb blähte sich stark auf, als sie ihn beim Einatmen mit Sauerstoff füllte und er senkte sich wieder ab, als sie die Luft wieder heraus blies.
»Ja«, sagte Elphaba. »Danke. Wie immer, dann sollten Sie sich ja nicht beschweren, oder? Da Sie ja ohnehin nicht mit mir reden wollten.«
Elphaba griff nach ihrem Buch, schob ihre Finger behutsam vor das Lesezeichen und drückte die schweren Seiten fort, die die Seite bedeckten, welche sie gerade lesen wollte.
»Ja...Allerdings!«, rief Galinda plötzlich. »Lesen Sie nur!«
Mit einem energischen Stöhnen schlug sie die hölzerne Badezimmertür mit aller Kraft zu, so heftig, dass das Türschloss aufsprang und einige Schrauben und Muttern klirrend über den Parkettboden kullerten, ehe sie taumelten und in verschiedenen Richtungen zum liegen kamen. Der Knall der Tür, die so heftig ins Schloss fiel, ließ Elphaba erschrocken zusammenzucken. Kurz hob sie den Blick von ihren Buchstaben, gerade so weit, dass sie die geschlossene Tür sehen konnte.
»Kein Grund, so einen Krach zu veranstalten, Fräulein Galinda!«, beschwerte sie sich und entspannte ihre Glieder wieder ein wenig.
Dumpf drang die Antwort ihrer blonden Stubenkameradin durch die Türe zum Badezimmer:
»Oooh, verzeihen Sie!«, rief Galinda aus und sie schnaubte, so laut, dass sie sich sicher sein konnte, dass Elphaba es auch gehört hatte.
Diese lächelte kurz, obwohl sie wusste, dass Galinda sie nicht sah und erwiderte spöttisch:
»Das war schon mal ein guter Anfang in Sachen Sarkasmus!«
Und sie blätterte wieder in ihrem Buch.