Flüssiges Feuer
von FellowOzian
Kurzbeschreibung
Winter. Eine glänzende, weiße Pracht umgibt die Universität Glizz. Die Studenten scheinen über diese Umstände sehr erfreut - nur eine zeigt sich eher abweisend...
GeschichteFreundschaft / P12 / Gen
Elphaba Thropp
Glinda/Galinda Upland of the Upper Uplands
31.12.2012
31.12.2012
1
2.174
31.12.2012
2.174
AN: Zu meiner Verteidigung sei gesagt: Ich kenne weder Buch noch Musical. Sollte diese Geschichte Umstände, Ortsbeschreibungen, Ausdrücke oder eigenartige Handlungen der Hauptpersonen enthalten, habt Gnade und seht mit Verständnis über sie hinweg!
Ich wünsche alljenen, die diese Geschichte lesen viel Spaß und bedanke mich aufrichtig für ihr Interesse!
Wie froh war ich, als ich mich im Verborgenen wusste. Verborgen vor dem Schnee, der draußen fiel. Unzählige weiße Flocken segelten vor dem Fenster zu Boden, unschuldig und sanft; sie wussten nicht, welch tödliche Gefahr sie für mich waren. Sie sahen auch – so musste ich insgeheim zugeben – ganz und gar überhaupt nicht gefährlich aus. So weich, als könne man mit ihnen ein Daunenkissen füllen, so leicht, als unterschieden sie sich nicht von der sie umgebenden kalten Luft. Vielleicht waren sie ja sogar leichter als diese? Bekanntlich ist kalte Luft ja schwerer, als warme Luft, die eher Wasserdampf gleicht. Wasser; schon wieder verirrte es sich in meine Gedanken. Niemand hier wusste von meinem akuten Problem, das Wasser für mich darstellte. Niemand wusste, dass ich auf Wasser reagierte, wie andere – nun, am besten vergleichen lässt es sich wohl mit der vernichtenden Wirkung von Feuer. Steht ein Mensch im Feuer, so verbrennen die Flammen seinen Leib, als würden sie ihn verzehren. Ähnlich reagiert mein Körper auf Wasser. Stünde ich also unter der Dusche, so würde ich an Ort und Stelle elendig zu Grunde gehen. Nun ja, ich bin ja nicht lebensmüde…
»Ooooh!«, ertönte plötzlich ein überraschter Aufschrei. »Seht nur, es schneit!«
Ach, wirklich? Das hätte ihnen aber auch schon reichlich früher auffallen können! Nach und nach ging ein verträumtes Raunen durch die Bänke, woraufhin ich jedem, der es wagte, seinen Kopf mir zuzuwenden, einen verachtenden Blick zuwarf. Nein, ich würde nicht mit ihnen den langsam fallenden Schnee beraunen! Wenn sie nur wüssten, so ging es mir durch den Kopf. Wieder wurden mir einerseits neugierige und andererseits fast schon angewiderte Blicke zugewandt. Vielleicht dachten sie, ich würde mich einsam fühlen, so ohne einen zweiten an meiner Seite, der mit mir staunend die zarten Flöckchen betrachten könnte, doch ich sah gar nicht hin. Und ich ignorierte auch sorgfältig ihre Blicke. Vielleicht drückten sie ja gar kein Mitleid aus, sondern lediglich Abscheu, so sagte ich mir. Wer interessiert sich schon für die Gefühle der merkwürdigen, strebsamen Mitschülerin, die am Rande der Klasse vollkommen allein in der Dunkelheit sitzt und wie besessen ihre Notizen macht? Bestimmt sahen sie mich nur meiner Haut wegen an, so, wie sie es immer taten. Elphaba, keine Sorge, alles ist normal, es ist wie immer. Sie sehen auf deine grünen, flinken Finger, die fest die Feder umklammern und mit ihrer kaum entzifferbaren Schnellschrift schwungvolle Buchstaben auf das Papier zeichnen.
Kaum hatte ich den eben begonnen Satz zu Ende geschrieben, rasselte die Pausenglocke und ein entspanntes, ja fast erleichtertes Seufzen war im Klassenraum zu hören. Plötzlich war ich von Stimmengewirr umgeben, als man die in der letzten Pause beendeten Gespräche wieder aufnahm und fröhlich schwatzend seine Mappen und Stifte zusammen suchte. Unbeteiligt nahm ich meinen Block zur Hand, schraubte die Feder zu und erhob mich, um mit hastigen, weiten Schritten auf den Korridor hinaus zu eilen. Im Aufbrechen warf ich Galinda einen flüchtigen Blick zu. Doch die schien mich gar nicht wahrzunehmen, denn sie genoss die Aufmerksamkeit, die ihr von ihren Freunden stets entgegen gebracht wurde.
»Lasst uns nach draußen gehen und Schneeflocken jagen!«, trällerte sie frohen Mutes.
Bestimmt nicht, dachte ich. Wo hatte sie bloß ihre Gedanken? Hoch in den Wolken, so wie es schien. Bevor mich noch irgendjemand – was höchst unwahrscheinlich erschien, als ich genauer darüber nachsann – fragte, ob ich Lust hatte, Galinda und ihre tölpeligen Freundinnen und Freunde nach draußen zu begleiten, strebte ich schnell auf den Gang hinaus, in Richtung des nächsten Klassenzimmers. Ein Glück, dass ich dafür im Schutz des Schulgebäudes bleiben konnte und nicht in das beinahe geschäftige Schneetreiben hinaus musste. Hätte ich jetzt Geschichtsunterricht, so müsste ich über den Schulhof in das Nebengebäude gehen. Doch ich stellte freudig fest, dass ich – Lurline sei Dank – das Hauptgebäude bis zum Abend nicht mehr verlassen musste.
Zum Stundenläuten beobachtete ich beiläufig, wie langsam die Schüler im Klassenraum für Zauberei eintrudelten. Während sie lebhaft schwatzten, schweiften ihre Blicke doch immer wieder durch den Raum und blieben für kurze Zeit an mir hängen. Ich hütete mich, resigniert zurück zu blicken, so hielt ich den Kopf lieber strikt gesenkt, als würde ich uninteressiert an allem, was rund um mich vorging, in meinen Notizen stöbern. Plötzlich spürte ich einen kühlen Luftzug und als ich aufsah, blickte ich mit leichtem Schrecken direkt in Galindas strahlendes Gesicht. Sie hatte ihren Platz neben mir auf der Schulbank eingenommen – zu meinem Leidwesen bestand Madame Akaber darauf, dass wir im Zaubereiunterricht die Bank teilten – und lächelte mich an; die Backen gerötet von der winterlichen Kälte. Sie trug noch ihren höchst vornehm wirkenden, weißen Pelzmantel und hatte etwas in ihrer behandschuhten Hand, was ich sogleich mit purem Entsetzen als Schnee erkannte. Instinktiv wich ich ein Stück vor Galinda zurück und beobachtete mit wohl etwas zu sehr geweiteten Augen, wie der Schnee in der Wärme des Klassenzimmers zu schmelzen begann und sich in Wasser verwandelte. Unheilvoll fielen die nassen Tropfen vor meiner schwarzen Stiefelspitze auf den Boden.
»Elphie, schau, ich dachte mir, wo du doch schon nicht draußen warst, bringe ich dir einfach ein wenig Schnee mit, damit du auch etwas davon hast!«, sagte sie honigsüß.
»Danke sehr...«, erwiderte ich – wohl mit Abscheu und negativer Überraschung im Untergrund, denn ihr Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Das Lächeln verschwand und wich Enttäuschung.
»Freust du dich denn gar nicht?«, fragte Galinda.
»Doch, doch...«, gab ich zögernd zur Antwort; vielleicht ein wenig zu zögernd.
Ich verfolgte Galindas bedächtige Handbewegungen genau, als sie den schmelzenden Schneeball mitten zwischen ihre Tasche und meinen Notizblock auf den hölzernen Tisch legte um sich den Pelzmantel von den Schultern zu streifen. Starrend beobachtete ich, wie das Wasser langsam eine unheilschwangere Pfütze rund um den Schneeball bildete.
»Galinda,...wü-würdest du das bitte nicht hier auf den Tisch legen?«, fragte ich sie, wobei es mir nur schwer gelang die wachsende Panik in meiner Stimme zu verbergen. Doch sie schien mich entweder nicht gehört zu haben, oder mich absichtlich zu ignorieren.
»Oh schade, er schmilzt ja schon...«, sagte sie nur.
Als sie Anstalten machte, das Wasser über den Tisch zu wischen, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten:
»Bleib damit bloß fort von mir!«, entfuhr es mir panisch.
»Aber Elphie, was hast du denn, das ist doch nur Schnee«, lächelte Galinda süßsauer.
Mir war wohl bewusst, wie angespannt und versteift meine Haltung war, wie prüfend und starr mein Blick auf dem Rinnsal lag, das um den Schneeball herum über den Tisch lief. Als Galinda spielerisch ein wenig von dem Wasser in meine Richtung spritzte, zuckte ich instinktiv zurück. Mein Herz raste wie verrückt, denn, wer weiß, wenn zu viel von dem Wasser meine Haut berührte, konnte ich dann – ?
»Galinda, lass das bitte...«, bat ich sie, jedoch ohne Erfolg, denn sie kicherte lediglich.
»Elphie?« Ihr Tonfall missfiel mir gewaltig. »Hast du etwa Angst, nass zu werden?«, fragte sie.
Ich unterließ es zu bejahen, hatte ich doch das Gefühl, sie würde mich noch eher nass spritzen, wenn sie wusste, dass es mir ganz und gar nicht gefallen würde. Wo blieb Madame Akaber bloß wieder so lange? Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sie sich verspätete, aber bei Ozma, konnte sie nicht ausnahmsweise einmal pünktlich erscheinen? Heute? Dann hätte sie Galinda untersagen können, den Tisch mit Wasser zu beschmieren – und ich wäre gerettet gewesen. So musste ich entsetzt beobachten, wie das Wasser meinen grünen Fingern immer näher kam. Bald konnte ich nicht mehr zurückweichen… Einerseits wünschte ich, Galinda würde wissen, welcher Gefahr sie mich aussetzte, andererseits wäre es mir über alle Maße unangenehm gewesen, sie darauf anzusprechen. Sie musste ozverdammt nicht alles wissen!
»Galinda...«, versuchte ich es ein weiteres Mal. »Würdest du bitte damit aufhören?«
Vergeblich. Und diesmal hatte dieses »vergeblich« sogar noch schlimmere Folgen. Lächelnd holte Galinda aus und stieß mit ihrer Handfläche in die glänzende Pfütze, die der Schneeball zurückgelassen hatte. Unaufhaltsam fegten die Tropfen durch die Luft und trafen ihr Ziel. Binnen Sekunden fraß sich das kalte Wasser erbarmungslos in die grüne Haut meines Handrückens und hinterließ entsetzliche, rote Blasen, die sich stark von meiner Hautfarbe abhoben. Es waren Wunden, die aussahen, als hätten Flammen sie verursacht. Auch meinen Arm benetzte das Wasser, denn es hatte den schwarzen Ärmel meines Kleides befeuchtet. Ich stöhnte laut auf; zu laut. Auf der Stelle wurde es still. Man beobachtete mich, wie ich lauthals und ungehemmt fluchend die eine Hand auf die verletzte andere Hand drückte. Entsetzt starrte Galinda mich an, doch alles, was ich zurückgab, war ein vernichtender, glühender Blick. Dann rannte ich von aller Augen verfolgt aus dem Klassenzimmer.
Ich stöhnte erneut auf vor Schmerz, als mein heilendes Öl, mit welchem ich pflegte derartige Wunden zu behandeln, sich in meine verletzte Haut grub. Ich beobachtete, wie es einen schimmernden Film über der gereizten Stelle bildete und wartete auf die heilende Wirkung. Der Schmerz war kaum zu ertragen. Während ich tapfer an meiner Lippe kaute um mich von dem unerträglichen Brennen abzulenken, klopfte es plötzlich sachte an der Tür. Ich verhielt mich ruhig. Wer immer das auch war, er sollte mich so nicht sehen. Als ich längere Zeit keine Anstalten machte, mich vom Badewannenrand zu erheben und die Tür zu öffnen, trat der draußen Wartende schließlich selbst ein. Hatte ich etwa nicht abgeschlossen?
»Elphaba?« Es war Galindas Stimme. Sie klang ein wenig besorgt. Zurecht!
»Du hast deine Tasche vergessen...«
Mit einem Ächzen ließ Galinda die Tasche vor mir zu Boden fallen und entspannte untergründig seufzend ihre Schultern. Mir war, als hätte ich sie knacken gehört. Ja, liebe Galinda, meine Tasche war schwer.
»Danke«, sagte ich knapp.
Zögernd trat Galinda auf mich zu und als ich mir ihrer prüfenden Blicke bewusst wurde, sah ich mürrisch zu Boden und drehte den verletzten Handrücken um, sodass mein Schoß die gerötete Stelle versteckte.
»Elphie, kann ich...?«, setzte sie an. »Lässt du mich...?«
»Nein«, antwortete ich stumpf, noch bevor sie den Satz beendet hatte.
»Bitte«, flehte sie. Sie fasste mit ihren zarten Fingern nach meinem Handgelenk, um achtsam meine Hand umzudrehen, doch ich zog sie zurück. Als ich den Blick wieder hob, sah ich ihre glänzenden Augen, ihr liebliches Gesicht, das zu einer traurigen Grimasse verzerrt war. Das war ihre Art zu betteln. Doch nein, ich würde nicht nachgeben.
»Wie soll ich dir denn helfen, wenn ich nicht...«
»Ich sagte ›Nein‹!«, unterbrach ich sie, wollte schon aufstehen, doch sie packte mit einer unberechenbaren und überraschend flinken Bewegung mein Handgelenk und hielt sich meine verbrannte, grüne Haut genau unter die Nase. Ich konnte beobachten, wie sich ihre Augen vor Entsetzen immer mehr weiteten.
»Ist es sehr schlimm?«, fragte sie und für kurze Zeit glaubte ich, tatsächlich Mitgefühl in ihrer Stimme zu erkennen. Doch wenig später schalt ich mich für diese Vermutung. Warum sollte Galinda für jemanden wie mich Mitleid empfinden? Was fand sie plötzlich an mir? Ich jedenfalls hatte nicht das Geringste für sie übrig! Wer hatte ihr eigentlich erlaubt, mich »Elphie« zu nennen?
»Oh, Elphie...«
Kann ihr um Oz Willen jemand verbieten, meinen Namen derart zu verstümmeln?
»Ich hatte ja keine Ahnung...«
»Ist schon gut«, sagte ich hastig. Meine Stimme überschlug sich beinahe im Sprechen.
»Ich hätte das nie getan, wenn ich, gewusst hätte, dass…«
Erregt vor Wut zog ich meine Hand rasch aus ihrer Umklammerung und verbarg sie unter meinem langen, schwarzen Haar.
»Ich glaube, du gehst jetzt besser!«, herrschte ich sie an.
Doch sie blieb. Ich musste zugeben, ein wenig überraschte mich dies, schließlich war diesem Tonfall und diesem vernichtenden Blick noch nie jemand widerstanden.
»Ich nehme an, Madame Akaber schickt dich, um dich bei mir zu entschuldigen?«, mutmaßte ich.
»Nein...«, antwortete Galinda.
Zugegeben, das überraschte mich noch mehr.
»Der Unterricht ist vorbei. Sie hat dich vermisst, Elphaba. Es war ihr ein Rätsel, wohin du verschwunden warst. Keiner hat etwas gesagt. Vielleicht solltest du sie aufklären.«
Das hatte ich nicht vor.
»Ich brauche deine Entschuldigung nicht«, knurrte ich.
Insgeheim hoffte ich, sie dadurch vertreiben zu können. Voll Hass starrte ich sie an. Immerhin war es ihr Verdienst, dass nun die gesamte Zaubereiklasse von meiner eigenartigen Reaktion auf Wasser Bescheid wusste. Und es würde nicht lange dauern, dann würde ganz Glizz davon wissen. Und die Folgen würde ich gewiss auch bald spüren. Kurz verirrte sich das Bild eines vollkommen aufgedunsenen, geröteten Körpers vor mein inneres Auge. Elphaba, hör auf, so zu denken!, schalt ich mich lautlos.
»Es tut mir Leid«, murmelte Galinda plötzlich. Und ich spürte, sie meinte es ernst. Ihre Entschuldigung schien wahrhaft von Herzen zu kommen.
»Tut es noch weh?«, fragte sie mich.
Ich nickte. War ich beschämt?
»In Zukunft werde ich es vermeiden, dich mit Wasser zu bespritzen.«
Ich blickte sie drohend an.
»Das will ich dir geraten haben!«, rief ich.
Sie lächelte und noch während ich mich fragte, was sie dazu veranlasste, zwang ich mich plötzlich auch zu einem höflichen Lächeln. Seit wann war ich höflich? Oz, ich verstand mich selbst nicht mehr!
Ich wünsche alljenen, die diese Geschichte lesen viel Spaß und bedanke mich aufrichtig für ihr Interesse!
***
Flüssiges Feuer
Wie froh war ich, als ich mich im Verborgenen wusste. Verborgen vor dem Schnee, der draußen fiel. Unzählige weiße Flocken segelten vor dem Fenster zu Boden, unschuldig und sanft; sie wussten nicht, welch tödliche Gefahr sie für mich waren. Sie sahen auch – so musste ich insgeheim zugeben – ganz und gar überhaupt nicht gefährlich aus. So weich, als könne man mit ihnen ein Daunenkissen füllen, so leicht, als unterschieden sie sich nicht von der sie umgebenden kalten Luft. Vielleicht waren sie ja sogar leichter als diese? Bekanntlich ist kalte Luft ja schwerer, als warme Luft, die eher Wasserdampf gleicht. Wasser; schon wieder verirrte es sich in meine Gedanken. Niemand hier wusste von meinem akuten Problem, das Wasser für mich darstellte. Niemand wusste, dass ich auf Wasser reagierte, wie andere – nun, am besten vergleichen lässt es sich wohl mit der vernichtenden Wirkung von Feuer. Steht ein Mensch im Feuer, so verbrennen die Flammen seinen Leib, als würden sie ihn verzehren. Ähnlich reagiert mein Körper auf Wasser. Stünde ich also unter der Dusche, so würde ich an Ort und Stelle elendig zu Grunde gehen. Nun ja, ich bin ja nicht lebensmüde…
»Ooooh!«, ertönte plötzlich ein überraschter Aufschrei. »Seht nur, es schneit!«
Ach, wirklich? Das hätte ihnen aber auch schon reichlich früher auffallen können! Nach und nach ging ein verträumtes Raunen durch die Bänke, woraufhin ich jedem, der es wagte, seinen Kopf mir zuzuwenden, einen verachtenden Blick zuwarf. Nein, ich würde nicht mit ihnen den langsam fallenden Schnee beraunen! Wenn sie nur wüssten, so ging es mir durch den Kopf. Wieder wurden mir einerseits neugierige und andererseits fast schon angewiderte Blicke zugewandt. Vielleicht dachten sie, ich würde mich einsam fühlen, so ohne einen zweiten an meiner Seite, der mit mir staunend die zarten Flöckchen betrachten könnte, doch ich sah gar nicht hin. Und ich ignorierte auch sorgfältig ihre Blicke. Vielleicht drückten sie ja gar kein Mitleid aus, sondern lediglich Abscheu, so sagte ich mir. Wer interessiert sich schon für die Gefühle der merkwürdigen, strebsamen Mitschülerin, die am Rande der Klasse vollkommen allein in der Dunkelheit sitzt und wie besessen ihre Notizen macht? Bestimmt sahen sie mich nur meiner Haut wegen an, so, wie sie es immer taten. Elphaba, keine Sorge, alles ist normal, es ist wie immer. Sie sehen auf deine grünen, flinken Finger, die fest die Feder umklammern und mit ihrer kaum entzifferbaren Schnellschrift schwungvolle Buchstaben auf das Papier zeichnen.
Kaum hatte ich den eben begonnen Satz zu Ende geschrieben, rasselte die Pausenglocke und ein entspanntes, ja fast erleichtertes Seufzen war im Klassenraum zu hören. Plötzlich war ich von Stimmengewirr umgeben, als man die in der letzten Pause beendeten Gespräche wieder aufnahm und fröhlich schwatzend seine Mappen und Stifte zusammen suchte. Unbeteiligt nahm ich meinen Block zur Hand, schraubte die Feder zu und erhob mich, um mit hastigen, weiten Schritten auf den Korridor hinaus zu eilen. Im Aufbrechen warf ich Galinda einen flüchtigen Blick zu. Doch die schien mich gar nicht wahrzunehmen, denn sie genoss die Aufmerksamkeit, die ihr von ihren Freunden stets entgegen gebracht wurde.
»Lasst uns nach draußen gehen und Schneeflocken jagen!«, trällerte sie frohen Mutes.
Bestimmt nicht, dachte ich. Wo hatte sie bloß ihre Gedanken? Hoch in den Wolken, so wie es schien. Bevor mich noch irgendjemand – was höchst unwahrscheinlich erschien, als ich genauer darüber nachsann – fragte, ob ich Lust hatte, Galinda und ihre tölpeligen Freundinnen und Freunde nach draußen zu begleiten, strebte ich schnell auf den Gang hinaus, in Richtung des nächsten Klassenzimmers. Ein Glück, dass ich dafür im Schutz des Schulgebäudes bleiben konnte und nicht in das beinahe geschäftige Schneetreiben hinaus musste. Hätte ich jetzt Geschichtsunterricht, so müsste ich über den Schulhof in das Nebengebäude gehen. Doch ich stellte freudig fest, dass ich – Lurline sei Dank – das Hauptgebäude bis zum Abend nicht mehr verlassen musste.
Zum Stundenläuten beobachtete ich beiläufig, wie langsam die Schüler im Klassenraum für Zauberei eintrudelten. Während sie lebhaft schwatzten, schweiften ihre Blicke doch immer wieder durch den Raum und blieben für kurze Zeit an mir hängen. Ich hütete mich, resigniert zurück zu blicken, so hielt ich den Kopf lieber strikt gesenkt, als würde ich uninteressiert an allem, was rund um mich vorging, in meinen Notizen stöbern. Plötzlich spürte ich einen kühlen Luftzug und als ich aufsah, blickte ich mit leichtem Schrecken direkt in Galindas strahlendes Gesicht. Sie hatte ihren Platz neben mir auf der Schulbank eingenommen – zu meinem Leidwesen bestand Madame Akaber darauf, dass wir im Zaubereiunterricht die Bank teilten – und lächelte mich an; die Backen gerötet von der winterlichen Kälte. Sie trug noch ihren höchst vornehm wirkenden, weißen Pelzmantel und hatte etwas in ihrer behandschuhten Hand, was ich sogleich mit purem Entsetzen als Schnee erkannte. Instinktiv wich ich ein Stück vor Galinda zurück und beobachtete mit wohl etwas zu sehr geweiteten Augen, wie der Schnee in der Wärme des Klassenzimmers zu schmelzen begann und sich in Wasser verwandelte. Unheilvoll fielen die nassen Tropfen vor meiner schwarzen Stiefelspitze auf den Boden.
»Elphie, schau, ich dachte mir, wo du doch schon nicht draußen warst, bringe ich dir einfach ein wenig Schnee mit, damit du auch etwas davon hast!«, sagte sie honigsüß.
»Danke sehr...«, erwiderte ich – wohl mit Abscheu und negativer Überraschung im Untergrund, denn ihr Gesichtsausdruck veränderte sich schlagartig. Das Lächeln verschwand und wich Enttäuschung.
»Freust du dich denn gar nicht?«, fragte Galinda.
»Doch, doch...«, gab ich zögernd zur Antwort; vielleicht ein wenig zu zögernd.
Ich verfolgte Galindas bedächtige Handbewegungen genau, als sie den schmelzenden Schneeball mitten zwischen ihre Tasche und meinen Notizblock auf den hölzernen Tisch legte um sich den Pelzmantel von den Schultern zu streifen. Starrend beobachtete ich, wie das Wasser langsam eine unheilschwangere Pfütze rund um den Schneeball bildete.
»Galinda,...wü-würdest du das bitte nicht hier auf den Tisch legen?«, fragte ich sie, wobei es mir nur schwer gelang die wachsende Panik in meiner Stimme zu verbergen. Doch sie schien mich entweder nicht gehört zu haben, oder mich absichtlich zu ignorieren.
»Oh schade, er schmilzt ja schon...«, sagte sie nur.
Als sie Anstalten machte, das Wasser über den Tisch zu wischen, konnte ich mich nicht mehr zurückhalten:
»Bleib damit bloß fort von mir!«, entfuhr es mir panisch.
»Aber Elphie, was hast du denn, das ist doch nur Schnee«, lächelte Galinda süßsauer.
Mir war wohl bewusst, wie angespannt und versteift meine Haltung war, wie prüfend und starr mein Blick auf dem Rinnsal lag, das um den Schneeball herum über den Tisch lief. Als Galinda spielerisch ein wenig von dem Wasser in meine Richtung spritzte, zuckte ich instinktiv zurück. Mein Herz raste wie verrückt, denn, wer weiß, wenn zu viel von dem Wasser meine Haut berührte, konnte ich dann – ?
»Galinda, lass das bitte...«, bat ich sie, jedoch ohne Erfolg, denn sie kicherte lediglich.
»Elphie?« Ihr Tonfall missfiel mir gewaltig. »Hast du etwa Angst, nass zu werden?«, fragte sie.
Ich unterließ es zu bejahen, hatte ich doch das Gefühl, sie würde mich noch eher nass spritzen, wenn sie wusste, dass es mir ganz und gar nicht gefallen würde. Wo blieb Madame Akaber bloß wieder so lange? Es wäre ja nicht das erste Mal, dass sie sich verspätete, aber bei Ozma, konnte sie nicht ausnahmsweise einmal pünktlich erscheinen? Heute? Dann hätte sie Galinda untersagen können, den Tisch mit Wasser zu beschmieren – und ich wäre gerettet gewesen. So musste ich entsetzt beobachten, wie das Wasser meinen grünen Fingern immer näher kam. Bald konnte ich nicht mehr zurückweichen… Einerseits wünschte ich, Galinda würde wissen, welcher Gefahr sie mich aussetzte, andererseits wäre es mir über alle Maße unangenehm gewesen, sie darauf anzusprechen. Sie musste ozverdammt nicht alles wissen!
»Galinda...«, versuchte ich es ein weiteres Mal. »Würdest du bitte damit aufhören?«
Vergeblich. Und diesmal hatte dieses »vergeblich« sogar noch schlimmere Folgen. Lächelnd holte Galinda aus und stieß mit ihrer Handfläche in die glänzende Pfütze, die der Schneeball zurückgelassen hatte. Unaufhaltsam fegten die Tropfen durch die Luft und trafen ihr Ziel. Binnen Sekunden fraß sich das kalte Wasser erbarmungslos in die grüne Haut meines Handrückens und hinterließ entsetzliche, rote Blasen, die sich stark von meiner Hautfarbe abhoben. Es waren Wunden, die aussahen, als hätten Flammen sie verursacht. Auch meinen Arm benetzte das Wasser, denn es hatte den schwarzen Ärmel meines Kleides befeuchtet. Ich stöhnte laut auf; zu laut. Auf der Stelle wurde es still. Man beobachtete mich, wie ich lauthals und ungehemmt fluchend die eine Hand auf die verletzte andere Hand drückte. Entsetzt starrte Galinda mich an, doch alles, was ich zurückgab, war ein vernichtender, glühender Blick. Dann rannte ich von aller Augen verfolgt aus dem Klassenzimmer.
Ich stöhnte erneut auf vor Schmerz, als mein heilendes Öl, mit welchem ich pflegte derartige Wunden zu behandeln, sich in meine verletzte Haut grub. Ich beobachtete, wie es einen schimmernden Film über der gereizten Stelle bildete und wartete auf die heilende Wirkung. Der Schmerz war kaum zu ertragen. Während ich tapfer an meiner Lippe kaute um mich von dem unerträglichen Brennen abzulenken, klopfte es plötzlich sachte an der Tür. Ich verhielt mich ruhig. Wer immer das auch war, er sollte mich so nicht sehen. Als ich längere Zeit keine Anstalten machte, mich vom Badewannenrand zu erheben und die Tür zu öffnen, trat der draußen Wartende schließlich selbst ein. Hatte ich etwa nicht abgeschlossen?
»Elphaba?« Es war Galindas Stimme. Sie klang ein wenig besorgt. Zurecht!
»Du hast deine Tasche vergessen...«
Mit einem Ächzen ließ Galinda die Tasche vor mir zu Boden fallen und entspannte untergründig seufzend ihre Schultern. Mir war, als hätte ich sie knacken gehört. Ja, liebe Galinda, meine Tasche war schwer.
»Danke«, sagte ich knapp.
Zögernd trat Galinda auf mich zu und als ich mir ihrer prüfenden Blicke bewusst wurde, sah ich mürrisch zu Boden und drehte den verletzten Handrücken um, sodass mein Schoß die gerötete Stelle versteckte.
»Elphie, kann ich...?«, setzte sie an. »Lässt du mich...?«
»Nein«, antwortete ich stumpf, noch bevor sie den Satz beendet hatte.
»Bitte«, flehte sie. Sie fasste mit ihren zarten Fingern nach meinem Handgelenk, um achtsam meine Hand umzudrehen, doch ich zog sie zurück. Als ich den Blick wieder hob, sah ich ihre glänzenden Augen, ihr liebliches Gesicht, das zu einer traurigen Grimasse verzerrt war. Das war ihre Art zu betteln. Doch nein, ich würde nicht nachgeben.
»Wie soll ich dir denn helfen, wenn ich nicht...«
»Ich sagte ›Nein‹!«, unterbrach ich sie, wollte schon aufstehen, doch sie packte mit einer unberechenbaren und überraschend flinken Bewegung mein Handgelenk und hielt sich meine verbrannte, grüne Haut genau unter die Nase. Ich konnte beobachten, wie sich ihre Augen vor Entsetzen immer mehr weiteten.
»Ist es sehr schlimm?«, fragte sie und für kurze Zeit glaubte ich, tatsächlich Mitgefühl in ihrer Stimme zu erkennen. Doch wenig später schalt ich mich für diese Vermutung. Warum sollte Galinda für jemanden wie mich Mitleid empfinden? Was fand sie plötzlich an mir? Ich jedenfalls hatte nicht das Geringste für sie übrig! Wer hatte ihr eigentlich erlaubt, mich »Elphie« zu nennen?
»Oh, Elphie...«
Kann ihr um Oz Willen jemand verbieten, meinen Namen derart zu verstümmeln?
»Ich hatte ja keine Ahnung...«
»Ist schon gut«, sagte ich hastig. Meine Stimme überschlug sich beinahe im Sprechen.
»Ich hätte das nie getan, wenn ich, gewusst hätte, dass…«
Erregt vor Wut zog ich meine Hand rasch aus ihrer Umklammerung und verbarg sie unter meinem langen, schwarzen Haar.
»Ich glaube, du gehst jetzt besser!«, herrschte ich sie an.
Doch sie blieb. Ich musste zugeben, ein wenig überraschte mich dies, schließlich war diesem Tonfall und diesem vernichtenden Blick noch nie jemand widerstanden.
»Ich nehme an, Madame Akaber schickt dich, um dich bei mir zu entschuldigen?«, mutmaßte ich.
»Nein...«, antwortete Galinda.
Zugegeben, das überraschte mich noch mehr.
»Der Unterricht ist vorbei. Sie hat dich vermisst, Elphaba. Es war ihr ein Rätsel, wohin du verschwunden warst. Keiner hat etwas gesagt. Vielleicht solltest du sie aufklären.«
Das hatte ich nicht vor.
»Ich brauche deine Entschuldigung nicht«, knurrte ich.
Insgeheim hoffte ich, sie dadurch vertreiben zu können. Voll Hass starrte ich sie an. Immerhin war es ihr Verdienst, dass nun die gesamte Zaubereiklasse von meiner eigenartigen Reaktion auf Wasser Bescheid wusste. Und es würde nicht lange dauern, dann würde ganz Glizz davon wissen. Und die Folgen würde ich gewiss auch bald spüren. Kurz verirrte sich das Bild eines vollkommen aufgedunsenen, geröteten Körpers vor mein inneres Auge. Elphaba, hör auf, so zu denken!, schalt ich mich lautlos.
»Es tut mir Leid«, murmelte Galinda plötzlich. Und ich spürte, sie meinte es ernst. Ihre Entschuldigung schien wahrhaft von Herzen zu kommen.
»Tut es noch weh?«, fragte sie mich.
Ich nickte. War ich beschämt?
»In Zukunft werde ich es vermeiden, dich mit Wasser zu bespritzen.«
Ich blickte sie drohend an.
»Das will ich dir geraten haben!«, rief ich.
Sie lächelte und noch während ich mich fragte, was sie dazu veranlasste, zwang ich mich plötzlich auch zu einem höflichen Lächeln. Seit wann war ich höflich? Oz, ich verstand mich selbst nicht mehr!