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Flug ins Glück

von Yvaine19
Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte / P16 / Gen
17.12.2012
01.05.2013
40
144.461
10
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17.12.2012 9.109
 
Logan


Das Wasser umspülte unsere Füße und Amelies Hand lag in meiner. Wir spazierten am Strand entlang und sie sagte leise:
„Es ist so unglaublich schön hier.“ Sie blieb stehen und drehte sich zum Horizont. Ihre Augen funkelten im Licht der untergehenden Sonne und sie atmete tief durch. Ich stellte mich hinter sie und umarmte sie. Sie lehnte ihren Kopf an meine Brust und drehte mir das Gesicht zu. Ihre Wangen waren gerötet und sie lächelte mich an.
„Hey, Laufbursche.“
„Hey, Motek.“
Ihr Lächeln war zärtlich und innig und sie küsste mich. Dann sagte sie:
„Danke.“
Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen.
„Wofür?“
„Für alles.“ Sie drehte sich um und legte ihre Hände auf meine Wangen. Sie strich mit den Fingerspitzen über meine Schläfen und küsste mich dann auf die Nase. Meine Hände fuhren leicht über ihre Seiten und ich zog sie so nah an mich heran, wie es im Augenblick möglich war.
„Du musst dich nicht bei mir bedanken. Du nicht. Ich muss mich bei dir bedanken, dass du zu mir gekommen bist und dass du soviel in München für mich zurückgelassen hast.“ Ich räusperte mich und lächelte dann ziemlich unsicher. Ich hatte ihr das schon oft gesagt, aber ich war schon der Meinung, dass ich es ihr nicht oft genug sagen und auch zeigen konnte.
Wie erwartet, färbten sich ihre Wangen rot und sie drückte ihren Kopf an meine Brust. Ihre langen Haare bewegten sich im leichten Wind und ich strich mit dem Finger über ihren Nacken. Sofort verkrampften sich ihre Hände, die an meinem Bauch lagen und sie seufzte leise auf. Es war in der Brandung kaum hörbar, doch ich wusste es. Langsam fuhr ich mit der Fingerspitze über ihren Rücken und ich spürte, dass sie anfing zu zittern.
„Amelie, sieh mich an.“ Meine Stimme klang schief und ich musste mich fast dazu zwingen, dass ich überhaupt einen Ton heraus brachte.
Sie hob den Kopf und sah mich fragend an. Ihre Wangen waren gerötet, zum Glück nicht mehr bleich, und sie sah so schön aus. Sie trug eine knielange Leggins und darüber eine ärmellose lange weiße Tunika, die unter dem Bauch von einem Gürtel gehalten wurde. Sie war wie ich barfuß, unsere Schuhe hatten wir nach der überstürzten Flucht aus dem Restaurant im Auto gelassen.
Seit der Party verbrachten wir wirklich jede Sekunde miteinander und so intensive Gespräche hatten wir noch nie miteinander geführt. Es war wirklich, als hätten wir uns in diesen wenigen Tagen noch besser kennen gelernt. Ich hatte keine Termine mehr im Kopf herumschwirren und für mich zählten im Augenblick wirklich nur noch Amelie und Little L.
Aber trotzdem hatte ich irgendwie das Gefühl, dass mit Amelie etwas nicht stimmte. Ihre Augen waren trübe, doch immer, wenn ich sie darauf ansprach – und ja, ich weiß, dass ich sie fast damit nervte, aber ich machte mir Sorgen – wich sie mir aus und sagte immer wieder, das alles in Ordnung sei. Doch natürlich fiel mir auf, dass sie bei ihrer Mutter öfter über Kopfschmerzen und auch leichte Schmerzen im Unterleib klagte und Manuela sah fast genauso sorgenvoll aus wie ich. Doch als ich Manuela darauf ansprach, meinte sie nur, dass das normal sei, schließlich wäre nächste Woche der voraussichtliche Entbindungstermin und sie wäre jetzt müde und erschöpft.
Ich begleitete sie zum Arzt, doch auch dieser bestätigte, dass alles in Ordnung wäre und dass sich der Körper jetzt schon auf die Geburt einstelle, aber trotzdem – ich hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache.
Sie schlief nachts unruhig – wenn sie denn überhaupt schlief – und ich lag oft wach und hörte ihren rasselnden Atem. Doch sobald sie merkte, dass ich ebenfalls wach war, atmete sie gleichmäßig und flach und ich fühlte mich überflüssig, weil sie meine Hilfe und meine Nähe nicht wollte, etwas, das ich nicht verstand, denn tagsüber war sie das genaue Gegenteil.
Heute hatten wir uns den ganzen Tag nicht gesehen, denn Bernd hatte sich mit Cooper verabredet und Dean, Lucas und ich begleiteten ihn in die Playboy Mansion. Gott, er freute sich wie ein kleines Kind und ich konnte es ja auch verstehen. Ich war schon oft bei Cooper gewesen, wir hatten schon manche Nacht im hauseigenen Kino verbracht und ja, ich war auch schon in der berühmten Grotte gewesen, aber macht euch keine falschen Vorstellungen, es war jetzt nicht so, wie es in der Serie „Girls of the Playboy Mansion“ immer dargestellt wurde – also nicht ganz genauso, also nur annähernd, irgendwie. Aber sagen wir es einfach so: Cooper hatte einmal treffend gesagt: „Wenn du jung bist, möchtest du nach Disney Land! Wenn du älter wirst, willst du zur Playboy Mansion!“ Tja, und das wollte Bernd definitiv! Und als er dann auch noch Hugh Hefner die Hand schütteln durfte, du meine Güte. Er stand kurz vor einem Herzinfarkt. So eine Reaktion hatte ich bisher immer nur erlebt, wenn ich Fans traf!
Amelie war zusammen mit Saskia, Lindsey, meiner Mom und Manuela zu einem Shopping-Trip zum Rodeo Drive gefahren, denn die vier hatten darauf bestanden, dass nun Kleider für unsere Tochter gekauft werden müssten. Amelie hatte nicht sonderlich begeistert ausgesehen, oh Himmel, ihre Augen, aber natürlich hatte sie sich schließlich artig gefügt und sie waren aufgebrochen. Hätte ich doch nur darauf bestanden, dass sie daheim blieb. Doch ich konnte es ja nicht ahnen.
Erst am frühen Abend hatten wir uns alle in einem Restaurant am Strand getroffen und ich war wirklich erschrocken, wie verschwitzt, bleich und erschöpft Amelie aussah, doch sie begrüßte mich mit einem Lächeln und sie küsste mich auf die Wange. Dann schmiegte sie sich so eng an mich, dass ich ihren schnellen Herzschlag und ihre mühsamen Atemzüge spürte und da machte ich kurzen Prozess:
„Das Essen geht auf mich. Seid uns bitte nicht böse, aber wir verschwinden. Amelie ist müde und ich bin es auch.“
Sie wollte natürlich widersprechen, doch ich sah ihr an, dass sie froh war. Die anderen nickten nur und ich erkannte, dass Manuela ebenfalls ein wenig sorgenvoll aussah. Sie stand auf und legte mir eine Hand auf den Arm.
„Logan, bitte, einen Augenblick, ja?“
Amelie sah sie an, ließ sich aber dann schwer atmend auf einen Stuhl sinken.
Ich folge Manuela aus dem Restaurant und sie sah mich flehend an.
„Ich mache mir Sorgen um Amelie. Irgend etwas stimmt doch mit ihr nicht. Hat sie zu dir nichts gesagt?“
Ich musste schlucken und atmete tief durch.
„Nein. Sie sagt mir immer nur, dass alles in Ordnung ist. Ich dachte, du wüsstest etwas. Du hast mir doch gesagt, es wäre normal.“ Ich fuhr mir unruhig durch die Haare und Manuela lächelte schief.
„Sie konnte schon früher nie zugeben, wenn es ihr schlecht ging. Ich glaube, sie braucht dringend Ruhe. Sie hat mir vorhin schon nicht gefallen, aber sie hat immer wieder gesagt, dass alles gut ist.“ Manuelas Blick wurde unglücklich, dann sagte sie leise: „Bring sie nach Hause, ja?“
Ich zögerte kurz, dann gab ich ihr einen Kuss auf die Wange. Sie umarmte mich und zusammen gingen wir zurück ins Restaurant. Wir sahen wohl beide ziemlich merkwürdig aus, denn die anderen unterbrachen ihre Gespräche und sahen uns fragend an. Ich winkte ab und legte Amelie einen Arm um die Schultern und führte ich sie aus dem Restaurant. Draußen atmete sie tief durch und ihr Blick wanderte fast sehnsüchtig zum Strand.
„Gehen wir noch ein wenig spazieren?“ fragte sie leise und legte ihre Hand in meine.
„Bist du sicher?“
„Ja, natürlich. Ich brauche ein wenig frische Luft.“ In Los Angeles von „frischer Luft“ zu sprechen, war schon ein wenig, ähm, merkwürdig, aber sie ließ mich los und ging dann die Stufen zum Parkplatz hinunter. Sie warf ihre Schuhe in den Kofferraum meines Wagens und ich tat es ihr gleich. Dann lief sie zum Wasser.

Wieder erfasste uns eine kleine Welle und ich hielt sie fest, damit sie nicht im Sand hinfiel. Ich verschränkte die Hände hinter ihrem Rücken und sie quietschte leise auf, als ich sie mit den Daumen streichelte. Dann fragte sie:
„Was ist los? Du siehst mich so komisch an. Alles in Ordnung?“
Ob alles in Ordnung war? Das fragte sie MICH?
„Du fragst mich wirklich, ob alles in Ordnung ist?“
„Ja, schon. Du machst dir seit der Babyparty Gedanken.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und sah mir genau in die Augen. „Machst du dir noch immer Vorwürfe, weil du verraten hast, dass wir eine Tochter kriegen?“
„Nein, äh, nein, natürlich nicht, ich ...“ Doch natürlich machte ich mir Vorwürfe, ich war in die dumme Falle der Jungs wie ein Volldepp hinein gestolpert und seit vier Tagen quälten mich die Gewissensbisse.
„Jetzt lügst du mich an.“ Amelies Hände lagen auf meiner Brust und sie umfasste mein Shirt. Eindringlich sah sie mich an. „Logan Wade Lerman, ich möchte das nicht mehr hören, hast du mich verstanden?“ Ich zog die Augenbrauen nach oben, sie hatte den Ton meiner Mutter fast perfekt imitiert und ich sah ihr an, dass sie es wusste. „Es ist alles in Ordnung und ich verbiete dir jetzt, dass du dir darüber Gedanken machst. Es ist passiert und gut ist. Ich … AU!“ Sie sackte in meiner Umarmung zusammen und ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
Automatisch fing ich sie auf und fragte:
„Was? Was ist los?“
Sie griff sich an den Unterleib und atmete tief ein und aus.
„AU, man, nein, was.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und klammerte sich dann an mir fest. Ihr Blick war ängstlich. „Ich … ich weiß nicht, ich … AUA!“ Sie krümmte sich zusammen und ich bewahrte sie gerade noch vor einem Sturz ins Wasser. Ihre Fingernägel drückten sich in meine Brust und sie atmete hektisch ein und aus. „Logan!“ quetschte sie dann zwischen zwei tiefen Atemzügen hervor und ich stammelte nur:
„Was? Amelie, was?“
„Logan, etwas stimmt nicht, ich …“ Wieder sackte sie zusammen und ihr Gesicht war verzerrt. Dann stöhnte sie auf: „Zu früh, das ist zu früh, ich … AUA!“ Sie presste die Lippen zusammen und sie zitterte am ganzen Körper. Sofort fischte ich mein Handy aus der Tasche und bevor sie etwas sagen konnte, hatte ich schon den Notruf gewählt. Ihr Tonfall, als sie meinen Namen, meinen RICHTIGEN Namen nannte, trieb mir eiskalte Schauern über den Rücken.

Ich hatte die gelben Einsatzfahrzeuge der L.A. County Lifeguard Division natürlich schon oft gesehen, aber mit einem gefahren war ich, Gott sei Dank, bisher noch nicht. Doch diesmal hatte ich das zweifelhafte Vergnügen, denn Amelie konnte keinen Schritt mehr laufen und sie klammerte sich panisch an mir fest. Ich hatte sie auf die Arme genommen und stapfte mit ihr Richtung Parkplatz, doch das war nicht wirklich einfach auf dem trockenen Sand und Schweiß stand mir auf der Stirn.
Es befanden sich noch einige verspätete Badegäste am Strand und ein junges Paar rannte auf uns zu.
„Können wir euch helfen?“ Der Mann kam vor mir zum stehen und half mir, Amelie zu stützen. Seine Begleiterin stoppte mitten im Lauf, drehte sich dann um und eilte dann winkend auf einen gelben Jeep der Lifeguard Division zu, der gemächlich durch die Brandung fuhr. Der Fahrer erkannte die Situation anscheinend sofort und gab Gas. Das Pärchen winkte wild und der Wagen hielt direkt vor uns an.
Ich war wie in Trance, ich wusste überhaupt nicht wirklich, was ich tun sollte, doch es bedurfte kaum einer Erklärung, denn Amelie stöhnte mittlerweile vor Schmerzen, doch sie konnte mir auch nicht wirklich sagen, was los war. Zu dritt halfen wir ihr in den Wagen und sie drückte sich eng an mich. Sie hatte die Arme um ihren Leib geschlungen und Schweiß perlte ihr von der Stirn.
„Amelie, bitte, sprich mit mir, was ist los? Sind das die Wehen? Bitte, du musst mit mir sprechen.“ Ich fühlte mich total hilflos und der Rettungsschwimmer drückte noch ein wenig mehr auf das Gaspedal, denn wir erkannten schon den Krankenwagen, der am Parkplatz auf uns wartete.
„Amelie, bitte! Sprich mit mir!“
Sie schüttelte den Kopf. Sie hatte ihre Arme so eng um sich geschlungen, als wollte sie etwas festhalten und ich wusste, dass irgend etwas absolut nicht in Ordnung war. Irgend etwas lief gerade fürchterlich schief und mein Herz begann zu rasen.
„Bitte, fahren Sie schneller!“ fauchte ich den Rettungsschwimmer an und der nickte.
Der Krankenwagen hielt genau neben meinem Wagen und der gelbe Jeep kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Und im gleichen Augenblick kamen auch schon unsere Freunde aus dem Restaurant gelaufen, anscheinend hatten sich uns durch die großen Scheiben gesehen. Manuela schlug die Hände zusammen, als sie Amelie zusammengekrümmt im Wagen kauern sah.
„Schatz, was … was?!“
Zwei Sanitäter und ein Arzt schoben sich an ihr vorbei und der Rettungsschwimmer gab mit knappen Worten weiter, wie und wo er uns gefunden hatte. Amelie vergrub ihr Gesicht an meiner Schulter, ihr Puls raste und sie wimmerte leise.
„Nicht … oh … bitte nicht.“
Ich hielt sie eng umschlungen und sah die Sanitäter fast flehend an.
„Bitte, sie ist schwanger, tun Sie doch irgendwas.“ Ich glaube, ich hatte mich noch niemals so elend und verloren gefühlt.
„Miss? Hören Sie mich? Sir, bitte, lassen Sie sie los.“
Wieder krümmte sie sich vor Schmerzen zusammen und ich biss mir auf die Unterlippe, bis ich den metallischen Blutgeschmack schmeckte. Widerwillig ließ ich sie los und sie kippte in die Arme der Sanitäter, die sie aus dem Wagen heraus bugsierten. Sie wurde in den Krankenwagen gebracht und sofort kümmerte sich der Arzt um sie.
Ich stieg aus und warf meinem Bruder die Autoschlüssel zu.
„Ich fahre mit. Hier.“ Der Sanitäter deutete mir an, wo ich mich hinsetzen konnte und ich kletterte in den Wagen. Ich saß genau hinter ihr und sie streckte mir die Hand entgegen.
„Hey, Laufbursche.“ Sie zitterte noch immer am ganzen Körper und ihre Augen schimmerten fiebrig.
Ich beugte mich über sie und küsste sie auf die verschwitzte Stirn.
„Hey, wird alles gut, okay?“
Fast verzweifelt antwortete sie:
„Das ist zu früh, ich, ich“ wieder stöhnte sie vor Schmerz auf und der Arzt wechselte einen Blick mit mir. Dann fragte er:
„Miss, können Sie mir sagen, wo genau Sie Schmerzen haben?“
Sie rollte sich auf der Liege zusammen und schlang ihre Arme um ihren Leib.
„Bitte, Laufbursche, hilf ihr!“ Und dann verdrehte sie die Augen und sackte zusammen.

Es war die pure Hölle. Der Krankenwagen raste mit Blaulicht und Sirene durch die Stadt und brachte uns ins Cedars-Sinai Medical Center. Dort wurden wir bereits erwartet und Amelie kam sofort auf die Gynäkologie-Station. Ich trabte hinterher, ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte.
Zum Glück war Amelie zu 1000 Prozent genau. Zwar trug sie keine Schuhe, aber sie hatte ihre Tasche dabei, in welcher sich alle ihre Unterlagen befanden. Sogar ihren Mutterpass aus Deutschland trug sie immer bei sich, von ihrer Versicherungskarte und ihrem Ausweis ganz abgesehen. Ich drückte der Krankenschwester auf Rückfrage alles in die Hände und beeilte mich dann wieder, zu den Pflegern aufzuschließen, die durch das Gewirr von Gängen eilten.
Amelie war totenbleich, aber ihre Wangen glänzten fiebrig. Sie hatte die Augen geschlossen, ihre Hände lagen auf ihrem Bauch und ich hätte heulen können, als ich sie ansah. Ihre Lippen bewegten sich zu stummen Worten und ich glaubte, ein „Bitte bitte nicht“ daraus lesen zu können.
„Sir, bitte, Sie müssen hier warten!“ Eine Schwester tauchte neben mir auf und hielt mich gerade noch zurück, als sie Amelie durch eine Tür schoben.
„Was? Nein, ich ...“ Die Tür schloss mit einem Zischen und ich streckte die Hand nach dem Türgriff aus, doch die Schwester sagte mit ruhiger Stimme:
„Sir, bitte. Sie dürfen dort nicht mit hinein. Warten Sie hier. Der Arzt kommt gleich sofort zu Ihnen. Bitte.“ Sie warf mir noch einen Blick zu, dann eilte sie ebenfalls durch die Tür.
Ich ballte die Hände zu Fäusten und stieß einen kurzen verzweifelten Schrei aus. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Im gleichen Moment spürte ich, dass mein Handy in der Tasche vibrierte und ich zog es heraus. Es war meine Mom. Und als ich auf das Telefon starrte, bemerkte ich zum ersten Mal, wie sehr meine Hände zitterten. Es kostete mich mehrere Anläufe, bis ich den Anruf überhaupt entgegen nehmen konnte, dann hob ich das Telefon an mein Ohr.
„Ja, Mom?“
„Logan! Um Gottes Willen, was ist denn los? Wo seid ihr? Welches Krankenhaus?“ Im Hintergrund hörte ich Manuela aufgeregte Stimme und auch Saskia redete irgend etwas.
„Mom … ich … ich weiß es nicht. Wir … sie lassen mich nicht zu ihr … ich … Mom … ich ...“ Ich unterbrach mich selbst, denn ich merkte genau, dass ich keinen vollständigen Satz auf die Reihe brachte.
„Logan, welches Krankenhaus?“ Mom klang ebenfalls aufgeregt und nervös und ich antwortete hektisch:
„Cedars.“
„Wir sind unterwegs. Bleib ruhig, okay. Wir sind gleich bei dir.“ Sie unterbrach die Leitung und ich ließ mich auf einen der harten Stühle fallen. Ich vergrub den Kopf in meinen Händen und schloss die Augen. Doch sofort tauchte Amelies blasses Gesicht vor mir auf. Ich machte mir solche Vorwürfe. Ich hatte doch gesehen, dass es ihr in den letzten Tagen nicht gut ging. Warum hatte ich sie heute morgen überhaupt shoppen gehen lassen? Ich hätte darauf bestehen müssen, dass sie daheim bleibt. Aber nein, shoppen war natürlich wichtig.
„Gott!“ murmelte ich und rieb mit den Handballen über meine Augen, bis es schmerzte. Dann stand ich wieder auf und tigerte unruhig im Gang auf und ab. Mein ganzer Körper kribbelte und ich hielt es keine zwei Sekunden auf der gleichen Stelle auf.
„Warum kommt denn da niemand?“ Ich redete mit mir selbst und es war mir auch egal, dass mich einige Leute, die an mir vorbei gingen, merkwürdig anstarrten. Sollten sie doch starren.
Endlich, nach fast einer dreiviertel Stunde, hörte ich Schritte und Stimmen und dann fiel mir Manuela um den Hals.
„Logan, wo ist sie? Was ist denn los, um Himmels Willen?“ Sie sah mich ängstlich an und auch Bernd, der direkt hinter ihr war, war bleich um die Nase.
„Ich weiß es nicht.“ Ich lächelte gequält und dann tauchte meine Mom mit Lindsey, Saskia und Lucas im Schlepptau auf. Ich machte mich von Manuela los und meine Mom nahm mich in den Arm. Sie strich mir durch die Haare und ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen feucht wurden. „Mom, sie lassen mich nicht zu ihr und es kommt aber auch niemand mehr da raus. Ich, die, die können mich doch nicht einfach ignorieren. Sie … sie brauchen mich doch.“ Meine Stimme kippte und Mom hielt mich einfach nur fest. Dann murmelte sie leise:
„Mach dir keine Sorgen, okay? Es wird schon alles gut gehen. Vielleicht hat sie sich heute überanstrengt, ich ...“
„Ja, genau. Ihr musstet ja unbedingt shoppen gehen!“ Ich machte mich von ihr los und sah sie wütend an.
Meine Mom schwieg kurz, dann antwortete sie:
„Logan, bitte, das hat doch keinen Sinn jetzt, es ...“
„Ach, das hat jetzt keinen Sinn? Wenn ihr etwas zustößt, wenn sie das Baby verliert, wenn ...“ Ich musste schlucken und Tränen stiegen mir in die Augen. „Gott, ich könnte es nicht ertragen, wenn … wenn ...“
Im gleichen Moment legten sich mir zwei Arme um die Schultern und Saskia zog mich ziemlich ruppig an sich, etwas, das noch nie vorgekommen war, weshalb ich im ersten Moment so perplex war, dass ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte.
Sie murmelte an meinem Ohr:
„Hey, Typ, Ami ist stark, da wird schon nix passieren und außerdem hat sie mir ein Patenkind versprochen und sie hält ihre Versprechen, das kannst du mir glauben, da wird schon nichts sein, okay? Also Typ, jetzt halt die Ohren steif, wie gesagt, Ami ist stark und die packt das, und Little L sowieso, denn sie kommt nach ihrer Patentante!“ Dann drückte mir einen ziemlich rabiaten Kuss auf die Wange und ich überlegte einen verrückten Augenblick lang, ob sie mit Dean auch so umsprang. Doch dann wurde mir klar, dass ich das eigentlich überhaupt gar nicht wissen wollte.
Ich atmete tief durch und klopfte ihr dann ein wenig unsicher auf die Schulter.
„Danke, Sas. Das habe ich jetzt gebraucht.“ Ich lächelte ziemlich schief und ich war mir sicher, dass es auch ziemlich gruselig aussehen musste, doch Saskia erwiderte es. Dann ließ sie mich los und räusperte sich.
„Äh, ja, Typ. Und jetzt bilde dir nichts drauf ein, das war jetzt eine einmalige Sache, so eine Umarmung kriegst du nicht nochmal!“ Alle lachten und als mir Saskia dann fast verschmitzt zuzwinkerte, da musste ich ebenfalls kurz grinsen.
Ich habe keine Ahnung, wie lange wir warten mussten. Es fühlte sich an wie Tage und ich wurde immer unruhiger und nervöser, doch endlich wurde die Tür geöffnet und ein Arzt streckte seinen Kopf heraus.
„Mr Lerman?“
Sofort wirbelte ich herum und sah ihn an.
„Ja, ja, das bin ich. Wo ist sie? Was ist los?“
„Sie können mitkommen.“ Er nickte mir freundlich zu und meine Mom legte mir die Hand auf die Schulter.
„Wir warten hier“, sagte sie leise und ich lächelte sie schief an. Dann folgte ich dem Arzt durch die Tür. Kaum dass ich neben ihm war, fragte ich: „Was ist los, Doktor? Können Sie mir irgend etwas sagen? Wie geht es ihr? Was ist mit unserem Baby?“ Meine Hände zitterten unkontrolliert und ich ballte sie zu Fäusten.
Der Arzt drehte mir den Kopf zu und blieb dann stehen. Er räusperte sich und sagte dann mit einem Lächeln:
„Es ist alles in Ordnung. Nur eine Überanstrengung. Zu viel Stress in den letzten Tagen. Dazu die Hitze, da hat Ihre Tochter sich beschwert. Sie möchte so einen Stress nicht haben. Es ist jetzt wirklich wichtig, dass Ms Kruger sich nicht mehr übernimmt. Relaxen, Wellness, ausruhen, viel trinken, so etwas ist wichtig. Vor allem in dieser Hitze.“
Ich zappelte fast ungeduldig hin und her und hätte ihn am liebsten an den Schultern gepackt.
„Wo ist sie? Darf ich zu ihr?“ Jetzt, wo ich wusste, dass es ihr eigentlich gut ging, wollte ich sie nur noch bei mir haben.
„Natürlich.“ Er setzte sich wieder in Bewegung und blieb dann am Ende des Ganges vor einer Tür stehen. „Wir möchten Ms Kruger heute Nacht gerne noch zur Beobachtung hier behalten, aber morgen kann sie wieder nach Hause. Aber denken Sie daran: keine Anstrengung mehr.“
Ich nickte nur und er deutete mit der Hand zur Tür.
„Bitte, Mr. Lerman.“
„Danke.“ Ich sagte es schon, während ich die Türklinke herunter drückte.
Amelie lag in einem Bett am Fenster. Sie war alleine im Zimmer und sie hatte die Augen geschlossen. Doch als sie jetzt die Tür hörte, drehte sie den Kopf in meine Richtung und ein erschöpftes Lächeln zog über ihr Gesicht. Mit zwei Schritten war ich bei ihr und nahm sie in den Arm.
„Gott, Motek, wie geht es dir?“
Eine Infusion steckte in ihrem Handrücken und sie trug einen dieser sehr unschönen Krankenhauskittel. Ihre Haare waren zerzaust und ihre Augen glänzten noch immer ein wenig fiebrig, doch sie sah schon um einiges besser aus als noch vorhin.
„Jetzt wieder gut“, antwortete sie und legte die Arme um meinen Nacken. Ich hielt sie einfach nur fest und ich spürte, wie sie sich an mich schmiegte. Ich setzte mich neben sie auf die Bettkante und sie lehnte sich an mich. Ich strich ihr durch die Haare und sie schloss die Augen. Sie ließ sich von mir liebkosen und ich spürte, dass ihr Puls wieder ruhig und gleichmäßig ging.
„Gott, weißt du überhaupt, was du mir für eine Scheiß-Angst eingejagt hast?“ murmelte ich an ihrem Ohr und sie sah mich an. Da war er wieder. Dieser Blick, der mir durch und durch ging. „Das war furchtbar. Und dann haben sie mich nicht durch diese Tür gelassen. Ich schwöre dir, wenn das noch länger gedauert hätte, dann wäre ich Amok gelaufen.“
Sie lächelte und trotz ihres zerrauften Aussehens hätte sie für mich nicht schöner sein können. Sie drehte sich ein wenig auf die Seite und legte ihren Kopf an meine Brust. Sie strich mit der Hand über meinen Bauch und sagte dann:
„Ich hatte auch Angst. Ich hatte, Angst, dass ich sie verliere.“ Sie musste schlucken und ihre Hand legte sich in meine. „Ich hätte es mir nie verzeihen können, wenn ich sie verloren hätte.“
Ich küsste sie auf die Stirn und sie schloss wieder die Augen. Sie war durch und durch erschöpft und ich sah es ihr an.
„Es ist alles gut, Motek. Ruh' dich aus, ich bleibe bei dir.“
Sie seufzte leise auf und dann spürte ich, dass sie innerhalb von Sekunden einschlief. Ich legte mich halb neben sie auf die Bettkante – gut, dass ich auch keine Schuhe trug – und zog sie eng an mich. Ich zog ihr die Decke über die schmalen Schultern und strich ihr durch die Haare. Mit der anderen Hand angelte ich nach meinem Handy und ich tippte ungeschickt eine Nachricht ein:
<<Ihr geht es gut, sie schläft. Sie soll heute Nacht noch hier bleiben, ich bleibe auch hier. Kommt uns morgen früh bitte abholen. Ihr müsst nicht warten.>>
Es dauerte nur Sekunden, bis eine Antwort von meiner Mom kam:
<<Bist du sicher, dass wir nicht bleiben sollen?>>
<<Der Arzt hat mir gesagt, dass sie dringend Ruhe braucht, es war zu anstrengend für sie. Ich schlafe hier.>>
<<Wenn etwas ist, dann melde dich sofort.>>
<<Mach ich, Mom. Und danke.>>
Ich legte das Handy zur Seite und versuchte, eine halbwegs gemütliche Position zu finden. Es gelang mir nicht, aber es war mir auch egal. Es ging nur um die beiden, nicht um mich.

Ich fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Jede Stunde erschien eine Schwester, die die Infusion erneuerte. Anfangs hatte ich mich jedesmal blitzschnell aus dem Bett gerollt, doch beim dritten Mal hatte die Krankenschwester mich angelächelt und gesagt, dass ich ruhig liegen bleiben könne. Amelie schlief wie ein Stein. Sie bekam nicht mit, dass an ihrem Handrücken herumgewerkelt oder ihre Temperatur gemessen wurde. Erst in den frühen Morgenstunden ging das leichte Fieber zurück und sie atmete ruhig und gleichmäßig.
Ich hielt sie im Arm und sah sie an. Gott, sie war so schön und ich würde niemals müde werden, sie anzuschauen. Vorhin, als sie vor Schmerzen schrie, da zerriss es mir fast das Herz und mir wurde jetzt im Nachhinein bewusst, dass ich eigentlich nur an sie gedacht hatte, nicht an Little L. Ich zog die Augenbrauen zusammen und rutscht ein wenig tiefer in das dünne Kissen.
Sie seufzte leise und ich strich ihr durch die Haare. Dann legte ich meine Hand auf ihren runden Bauch. Die Kleine schien zu schlafen, denn ich spürte keine Bewegung. Auch sehen konnte ich nichts. Mit dem Finger fuhr ich über die Rundung ihres Leibs und sie seufzte ein wenig lauter.
Ich drehte mich ein wenig auf die Seite und etwas drückte mir in den Oberschenkel.
„Autsch“ brummte ich leise und tastete mit der Hand an meiner Jeans entlang. Ich fühlte es sofort und ich atmete tief durch.
Saskias merkwürdig verworrene Rede auf der Party hatte mir mehr zu denken gegeben, als ich es mir jemals vorgestellt hätte. Mein Deutsch war nicht perfekt, es war noch nicht einmal ansatzweise gut, aber die grundlegenden Sachen verstand ich mittlerweile schon und so hatte ich mir den Sinn ihrer Worte doch irgendwie zusammen reimen können und sie hatte etwas gesagt, dass meinen Herzschlag hatte rasen lassen. Und es war wie ein Schlag vor den Kopf gewesen. Und eigentlich hatte ich vorhin am Strand mit Amelie darüber reden wollen, nein, ich hatte reden wollen und ich hatte gehofft, sie würde mir eine Antwort geben.
Ich seufzte leise und ich spürte im gleichen Moment, dass sie sich neben mir regte. Sie drückte ihren Kopf an meine Brust, wie sie es morgens immer tat und ihre Finger gruben sich in meinen Bauch. Dann blinzelte sie zu mir auf. Endlich waren ihre Augen nicht mehr trübe, sondern leuchteten wieder strahlend dunkelblau.
„Hey, Laufbursche.“ Ihre Stimme klang noch immer ein wenig rau und wacklig, aber endlich hatte ich meine kleine süße Amelie wieder.
„Hey.“
Sie setzte sich ein wenig schwerfällig auf und sah sich dann verwundert um.
„Was? Was ist denn los? Wo sind wir denn hier? Was … aua.“ Sie war mit dem Handrücken an der Bettdecke hängen geblieben und die Kanüle hatte sich wohl in ihre Haut gebohrt. Erschrocken hob sie den Arm, doch dann blitzte Erkenntnis in ihren Augen auf. „Das … das war kein Alptraum?“ Sofort legte sie ihre Hände auf ihren Bauch und sah mich an. „Oh Gott, was? Ist alles in Ordnung mit ihr? Ich ...“
„Es ist alles in Ordnung.“ Ich zog sie eng an mich und küsste sie auf die Stirn. Dann sah ich sie eindringlich an. „Amelie Krüger (ja, die Pünktchen auf dem „u“ verliehen meiner Rede jetzt – hoffentlich – mehr Nachdruck), der Arzt hat mir ausdrücklich gesagt, dass du dich mehr ausruhen sollst. KEIN Shopping mehr, KEIN Stress, MEHR trinken, ausruhen, schlafen. Und ich warne dich! Wenn du es nicht machst, dann binde ich dich am Bett fest.“ Ich wusste, dass ich eigentlich unfair war, schließlich war weder die Party noch der Shoppingtrip ihre Idee gewesen, aber vielleicht verstand sie so, dass sie „Nein“ sagen musste. Und ich würde ebenfalls noch ein ernstes Gespräch mit unseren Freunden und Familien führen, denn ich hatte keine Lust, so einen Abend und eine solche Nacht nochmal zu erleben.
Sie sah mich mit großen Augen an, doch dann lächelte sie zärtlich. Sie schmiegte sich an mich und küsste mich auf die Wange.
„Versprochen“ sagte sie und griff nach meiner Hand. Dann grinste sie spitzbübig. „Wobei, die Sache mit dem Festbinden am Bett ...“
Ich zog die Augenbrauen nach oben, dann musste ich ebenfalls grinsen. Ja, meine süße Amelie war wieder da!

Ich achtete jetzt mit Argusaugen auf Amelie, doch eigentlich war mir klar, dass ich mir keine Sorgen machen musste, denn, wie gesagt, von ihr kam weder die Party noch die Schnappsidee mit dem Shoppingtrip. Wir verbrachten die Tage auf der Terrasse und sie wurde immer brauner. Sie sah jetzt wirklich wie ein California Girl aus und sie fühlte sich wohl. Und nachts schlief sie tief und fest. Sie wurde nicht mehr von Schmerzattacken geplagt und wir beide blickten mehr oder weniger unruhig (ich) und entspannt (sie) dem Geburtstermin entgegen.
Wir machten Spaziergänge am Strand und tatsächlich ließen uns unsere Eltern in Ruhe. Okay, es konnte auch daran liegen, dass meine Ansage am Abend nach dem Shoppingdebakel ein wenig, nun ja, ruppig gewesen war, doch alle bestätigten mir, dass sie mir nicht böse seien – es hätte auch jemand etwas anderes behaupten sollen.
Alles war vorbereitet und meine Freunde hatten sich schlapp gelacht, als ich mit Mühe und Not die Halterung für den Kindersitz auf dem Rücksitz meines heißgeliebten Camaro einbaute. Ich war eine technische Null, aber zum Glück war die hundertseitige Anleitung für Vollidioten geschrieben worden und sogar ich bekam es hin. Amelie beobachtete mich mit zusammengezogenen Augenbrauen und sie brummte mehr als einmal:
„Ein viertüriger Wagen wäre jetzt schon von Vorteil!“
Ich gab ihr Recht – aber nur innerlich. Ich würde niemals zugeben, dass mein Camaro nicht das perfekte Familienauto war – was er leider wirklich nicht war. Doch es würde schon funktionieren!
Fünf Tage nach Amelies Krankenhausaufenthalt lagen wir abends im Bett. Ich hatte den Fernseher eingeschaltet und verfolgte nur noch mit glasigen Augen das Spiel der Lakers gegen die Spurs. Amelies Nase steckte in einem Buch und sie war hoch konzentriert, denn ihre Augenbrauen hatten sich zusammengezogen und sie wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. Sie hasste es, dass wir einen Fernseher im Schlafzimmer hatten, aber da hatte ich mich durchgesetzt. Ich musste so oft Bücher, Skripte und Texte lesen, da wollte ich abends gerne ab- und den Fernseher einschalten.
Ich war gerade an der Grenze zum einschlafen und wollte den Sleep Timer programmieren, als Amelie neben mir tief durchatmete. Dann sagte sie vorsichtig:
„Laufbursche!“
Sofort saß ich senkrecht im Bett, etwas an ihrem Tonfall ließ mich sofort hellwach werden.
„Was?“ Ich drehte mich zu ihr um und ich sah, dass ihre Hände auf ihrem Bauch lagen und sie tief ein und ausatmete. Doch diesmal war keine Panik in ihren Gesichtszügen zu erkennen. Sie lächelte schief und griff dann nach meiner Hand. „Wir, ich glaube ...“ Sie zog zischend die Luft ein und ihr Griff um meine Hand wurde fester. Sie lächelte angestrengt. „Äh, ich glaube … oh, du meine Güte!“ Sie biss die Zähne zusammen und ich steckte schon mit dem Oberkörper im Ankleidezimmer, wo ihre Tasche schon seit einer gefühlten Ewigkeit bereit stand, ja, Amelie war auch hier 1000 Prozent.
Ich zog mich in Sekundenschnelle an und half ihr dann aus dem Bett. Und jetzt verstand ich auch, warum sie das hatte mehrmals üben wollen. Sie war strenger als jeder Regisseur, aber jetzt war ich dankbar dafür, denn jeder Handgriff saß und ich wusste sofort, was ich zu tun hatte.
Sie zog sich an und ich nahm sie in den Arm. Ihre Augen leuchteten seltsam und ihre Hand, die auf ihrem Bauch lag, zitterte ein wenig. Doch sie lächelte.
„Ich bin nervös“ sagte sie und ich küsste sie auf die Stirn.
„Frag mich mal“ murmelte ich und verdrehte die Augen. Sie gluckste fröhlich und drückte ihren Kopf leicht an meine Schulter. Dann sagte sie:
„Wir werden Eltern, Laufbursche. Kannst du das glauben?“ Sie schauderte leicht in meinem Arm und ich drückte sie an mich.
„Nein, eigentlich nicht wirklich.“ Ich grinste zittrig. „Aber jetzt ist es wohl zu spät, sich darüber irgend welche Gedanken zu machen, habe ich Recht?“
Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und verzog dann wieder das Gesicht.
„Ouwwwh, ja, das ist definitiv zu spät. Hol den Wagen!“

Ich habe keine Ahnung, wie ich die nächsten Stunden – oder waren es Tage? – überstand. Gütiger Himmel. Ich wusste ja genau, was ich auf mich zukommen würde, Amelie könnte definitiv Karriere in Hollywood machen. Sie hatte sich akribisch auf die Geburt vorbereitet – und mich auch. Sie hatte Recherche betrieben, Informationen gewälzt und Filme angeschaut. Wir hatten die Infoveranstaltungen im Krankenhaus besucht – ich war zum Glück nicht der einzige werdende Vater, der mit grünem Gesicht das Krankenhaus wieder verlassen hatte -, ich hatte sie bei den Vorbereitungskursen begleitet und auch zu Hause hatte sie sich Filme angeschaut, die im Kino wahrscheinlich erst mit einer Altersfreigabe ab 35 zu sehen sein würden. Ich schwöre, Alex' Texas Chainsaw Massacre war ein fröhlicher Familienfilm gegen das, was ich mir hatte anschauen müssen.
Aber trotzdem war es nichts gegen die Realität.
Mir tat es weh, sie so leiden zu sehen, doch ich konnte nichts tun, außer ihr die Stirn abzutupfen und ihre Hand zu halten. Und sie hatte Kräfte, von denen ich nichts geahnt hatte. Nachdem sie mein linkes Handgelenk, welches ja nach dem Bruch sowie noch immer ein wenig instabiler war als das rechte, zum Knacken gebracht hatte, klammerte sie sich an meinem rechten Arm fest und ihre Flugprobleme waren ein Klacks gegen das hier.
Doch sie hielt sich tapfer. Ich hatte ja nun wirklich keine Vergleichsmöglichkeiten, doch auch hier tat sie genau das, was von ihr verlangt wurde und sie war on top und genau. Sie atmete, wenn die Hebamme es ihr sagte, sie presste, wenn es ihr gesagt wurde und sie entspannte sich, wenn es ihr gesagt wurde. Ich hingegen – ich wollte am liebsten sterben und das, ohne dass es mir jemand sagte.
Ich war ein Wrack und ich sank irgendwann hinter ihr zusammen und sie fragte mich wirklich allen Ernstes, ob es mir gut ginge und ob sie etwas für mich tun könne! Halloho?! Ich drückte ihr die Lippen auf die schweißnasse Stirn und sie hob die Hand und legte sie mir auf die Wange. Dann sagte sie leise:
„Wird alles gut, Laufbursche. Bald halten wir sie in den Armen.“
„Ja“, knurrte ich ebenso leise, dass nur sie es hören konnte: „Und dann kriegt sie eine Tracht Prügel, weil sie dich so leiden lässt!“
Sie lachte hell auf und ihre Augen leuchteten wie Sterne. Die Hebamme hob verwirrt den Kopf, als auch ich anfangen musste zu lachen.
„Alles in Ordnung, Amelie?“ fragte sie verwundert und wir nickten nur. Sie schüttelte irritiert den Kopf und murmelte: „Also Lachen bei den Presswehen habe ich auch noch nicht gehört.“
Amelie drehte mir den Kopf zu und sie strich noch immer über meine Wange. Sie hob den Kopf und sagte leise:
„Ich liebe dich.“
Ich beugte mich über sie und nahm ihr Gesicht in beide Hände.
„Ich dich auch.“ Ich küsse sie auf die Lippen und im gleichen Moment stieß sie einen so lauten Schrei aus, dass ich fast vom Stuhl gefallen wäre.
Die Hebammen wuselten aufgeregt um das Bett herum und eine sagte:
„Okay, Amelie, du musst jetzt mithelfen. Gleich haben wir es geschafft. Logan, halt sie.“
Amelie klammerte sich an meinem Arm fest, ihr Gesicht war vor Schmerz und Konzentration verzerrt. Sie ließ mich nicht aus den Augen und ich hatte fast Mühe, ihrem starren Blick stand zu halten. Sie lächelte schief, dann krallte sie sich noch fester an meinen Arm und begann so laut zu schreien, dass es mir in den Ohren dröhnte und mir das Herz in die Hose sackte.
Und zwischen ihre Schreie mischte sich ein neues Geräusch. Ein Geräusch, das mein Herz rasen ließ. Ein schrilles helles Weinen. Und diesmal war ich es, der sich an Amelies Hand festklammerte. Sie keuchte auf, ihre Augen waren geschlossen und ihr Atem ging rasselnd und unregelmäßig.
Und dann sagte die Hebamme mit einem Lachen in der Stimme:
„Herzlichen Glückwunsch! Eine wunderhübsche Tochter.“
Ich zitterte am ganzen Leib und wenn Amelie nicht meine Hand wie einen Anker umfasst hätte, wäre ich wahrscheinlich umgefallen. Die Hebamme trat mit einem Bündel neben uns und sie lächelte. Und dann legte sie Amelie das Bündel in die Arme.
Amelie gab ein ersticktes Wimmern von sich und Tränen stiegen ihr in die Augen.
„Oh mein Gott, oh mein Gott.“ Sie biss sich auf die Lippen und ihr Blick suchte meinen. „Laufbursche, sieh doch. Oh mein Gott.“
Ich konnte es kaum glauben und ich spürte erst jetzt, dass ich weinte.
„Gott, sie, sie, oh Gott.“
Little L. Unsere Little L. Sie hatte schwarze Haare, die ihr schon über die Stirn fielen, eine winzig kleine Stupsnase und ihre Augenpartie war konzentriert zusammengezogen, gerade so, wie Amelie es tat, wenn sie über irgend etwas brütete. Ihre Augen waren noch geschlossen, aber Amelie murmelte mit verzückter Stimme:
„Sie hat deine Augen. Oh Gott, sieh doch. Sie hat deine Augen. Oh. Danke!“
Ich wusste nicht genau, wem sie jetzt eigentlich dankte oder wofür, aber es war mir auch egal, denn in diesem Moment öffnete sie die Augen. Sie waren strahlend blau und Amelie quietschte:
„Deine Augen. Oh Laufbursche, sieh doch!“ Ganz vorsichtig fuhr sie ihr über die Wange und Little L zuckte leicht zusammen. Doch dann zappelte sie und schmiegte sich an Amelie.
Amelie zögerte kurz, doch dann drückte sie ihr einen Kuss auf die Wange. Sie hob den Kopf und sah mich an.
„Hey, du weinst ja.“
Ich konnte überhaupt nichts sagen, ich grinste nur wahrscheinlich ziemlich blöde und ich strich ihr über die verschwitzte Stirn. Dann beugte ich den Kopf und küsste sie auf die Lippen.
Amelie lehnte sich an mich und fragte dann mit einem kleinen Kichern:
„Was ist nun mit der Tracht Prügel?“
Little L gab einige glucksende Geräusche von sich und ich fuhr ihr vorsichtig mit dem Finger über die Nase. Leise sagte ich:
„Du hast deiner Mom ziemliche Schmerzen bereitet, L. Das ist nicht richtig und damit du weißt, dass das falsch war ...“ Ich beuge mich über sie und küsste sie auf die Stirn. Dann legte ich die Arme um Amelie und zog sie an mich. „Gott, Amelie, ich danke dir. Ich danke dir für alles. Für dich, für uns und für sie. Sie ist wunderschön.“
Amelie strich mir durch die Haare. Sie wirkte auf einmal völlig erschöpft und ausgelaugt, aber trotzdem lächelte sie strahlend. Sie wiegte L im Arm und antwortete:
„Ich danke dir.“ Dann fielen ihr die Augen zu.

Die Hebamme schob mich schließlich mit dem Worten: „Eure Familie wartet schon seit Stunden“, aus dem Kreißsaal und ich lehnte mich erst einmal vollkommen erschöpft an die Wand. Ich fühlte mich, als hätte ich zehn Stunts am Stück gedreht und dabei hatte ich ja eigentlich überhaupt nichts getan. Wie musste sich erst Amelie fühlen? Ich fuhr mir durch die Haare und atmete tief durch. Dann ging ich langsam den Gang hinunter zum Wartebereich.
Manuela und Bernd hatten natürlich mitbekommen, dass wir losgefahren waren und sie hatten meine Familie informiert. Und als ich jetzt um die Ecke bog, da musste ich doch grinsen. Sie bemerkten mich nicht sofort. Manuela schlief an Bernds Schulter, der wiederum unruhig seine Hände knetete. Meine Mom lag ebenfalls im Arm meines Dads und schlief tief. Lucas und Lindsey hatten die Köpfe aneinander liegen und brummten ebenfalls beide im Schlaf. Und auch Saskia war da. Sie hatte sich auf einem Stuhl zusammengerollt, ihr Kopf lag auf Deans Schoß, der jetzt den Kopf hob und mich bemerkte. Seine Augen wurden riesengroß und ich konnte wieder ein dümmliches Grinsen nicht unterdrücken.
„Alter?! Man, wie sieht es aus?!“ Deans Schrei hatte wahrscheinlich in einem Radius von 500 m alle aufgeweckt. Saskia fiel fast vom Stuhl und Dean konnte sie gerade noch an der Schulter packen. Auch alle anderen rissen die Köpfe hoch und meine Mom und Manuela fielen mir unisono um den Hals.
„Logan, was ist los? Sag schon!“
Ich legte beiden einen Arm um die Schulter und hielt meinen Blick neutral. Doch ich konnte ihn nicht halten. Sofort fing ich an zu grinsen und ich sah wahrscheinlich so blöde wie noch nie aus.
„Sie ist da, sie … umpf!“
Saskia und Lindsey fielen ebenfalls über mich her, Küsse wurden mir auf alle möglichen Stellen gedrückt und mehrere Hände wuschelten mir durch die Haare. Doch ich lachte nur und ließ es über mich ergehen. Meine Mom  befreite sich schließlich aus dem Menschenknäuel und sah mich an.
„Komm schon, Schatz. Wie geht es Amelie? Wie geht’s dem Baby? Alles in Ordnung? Können wir sie sehen? Oh mein Gott, ich bin so aufgeregt!“
Auch die anderen ließen mich los und sahen mich an. Alle strahlten und ich spürte, dass mir wieder die Augen feucht wurden. Ich räusperte mich und antwortete ein wenig krächzend:
„Alles in Ordnung. Beiden geht es gut. Amelie ist ziemlich geschlaucht, aber es ist alles okay. Sie kommt jetzt auf ihr Zimmer. Ihr könnt gleich zu ihr.“ Ich rieb mir mit den Händen über die Wangen und ich ließ mich auf den harten Besucherstuhl fallen. Und hier hatten sie mehrere Stunden ausgeharrt?
Mein Dad setzte sich neben mich und legte mir einen Arm um die Schulter. Er zog mich ein wenig ruppig an sich und ich blinzelte zu ihm auf. Er war kein Freund großer Worte, das war er noch nie, doch er lächelte mich an und gab mir dann einen Kuss auf die Stirn.
„Ich wünsche euch alles Gute, mein Sohn. Herzlichen Glückwunsch.“
„Danke Dad.“
Auch Bernd klopfte mir auf die Schulter und obwohl ich hundemüde sein müsste, sorgte doch das Adrenalin in meinem Körper dafür, dass ich wie unter Strom stand. Eine Schwester tauchte im Wartebereich auf und sagte:
„Mr Lerman? Sie können mitkommen.“ Wie ein Steh-auf-Männchen sprang ich auf die Füße und meine Mom lächelte mir zu.
„Geh ruhig, wir warten hier. Wir kommen nach.“ Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und eilte der Schwester nach. Wir fuhren einen Stock höher, ich hatte dafür gesorgt, dass Amelie auf die Privatstation kam. Sie hatte sich – natürlich – dagegen gesträubt, aber ich hatte keine Lust, morgen schon Fotos von unserem Baby in der Presse zu sehen. Und deshalb hatte ich mich – hinter ihrem Rücken – durchgesetzt.
Wir mussten durch mehrere Gänge, dann deutete sie auf eine Zimmertür.
„Bitte.“
Ich nickte ihr zu und öffnete die Tür. Das Zimmer war um einiges schöner als das, in dem Amelie vor fünf Tagen gelegen hatte, doch ich hatte nur Augen für sie. Sie trug frische Kleidung und ihre Haare waren zu einem Zopf zusammengefasst. Und sie hielt L im Arm. Mit zwei Schritten war ich bei ihr und sie hob den Kopf.
„Hey.“ Sie lächelte mich an und ich setzte mich neben sie auf die Bettkante. Ich nahm sie in den Arm und sie lehnte den Kopf an meine Schulter. „Sieh doch, wie wunderschön sie ist“, sagte sie leise und sah mich an.
Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und antwortete:
„Sie sieht so aus wie du.“
„Nein, sie hat deine Augen.“
„Aber sie hat deine Nase.“
„Aber …“
L verzog das Gesicht und begann augenblicklich zu quäken. Wir verstummten sofort und Amelie wiegte sie leicht. Sie machte leise Ssscht-ssscht-Geräusche und tatsächlich wurde sie wieder ruhiger. Ls Augen waren weit aufgerissen und sie schien uns genau anzuschauen. Doch dann fielen ihr die Augen zu und sie gluckste zufrieden.
„Willst du sie nehmen?“ fragte Amelie leise und ich zögerte.
„Ich … äh … ich weiß nicht, nachher mache ich etwas kaputt. Du weißt doch, dass ich Springflut immer habe fallen lassen.“
„Du kannst nichts kaputt machen und du wirst sie auch nicht fallen lassen.“ Sie legte mir die Kleine in den Arm und ich saß steif wie ein Brett neben ihr. Doch als L dann die Augen wieder öffnete und mich ansah, da wusste ich sofort, was ich tun musste. Ich wiegte sie ziemlich unbeholfen und Amelie lehnte sich an meine Schulter. „Siehst du.“ Sie küsste mich und ich lächelte schief.
„Amelie, ich ...“
Es wurde leise an die Tür geklopft und meine Mom schob ihren Kopf herein. Zögerlich fragte sie:
„Dürfen wir? Die Schwester hat uns das Zimmer gezeigt?“
Amelie strahlte.
„Ja, natürlich. Kommt rein!“
Innerhalb von Sekunden war das Zimmer voll und alle drängten sich um uns. Manuela fiel Amelie um den Hals und L gluckste bei dem plötzlichen Lärm leise auf. Doch sie blieb ruhig in meinem Arm liegen.
Mom kam neben mich und ihre Augen wurden feucht, als sie mir über die Schulter blickte.
„Oh mein Gott, sie ist wunderschön“, sagte sie leise. „Larry, sieh doch, sie hat Logans Augen.“
Alle schoben sich auf meine Seite und L wurde angeaaaawwwwt und angeoooowwwt, was sie mit stoischer Gelassenheit zur Kenntnis nahm. Nur Saskia stemmte die Hände in die Seiten und sah Amelie an.
„Ami! Jetzt sag schon oder ich werde wahnsinnig, ich halte es nicht mehr aus und du weißt, dass ich normalerweise ein geduldiger und ruhiger Mensch bin, aber langsam aber sicher flippe ich aus, wenn du mir nicht ENDLICH sagst, wie die Kleine heißt. Ich raste aus und laufe hier Amok und das willst du nicht, habe ich Recht?!“
Lindsey stellte sich in gleicher Position neben Saskia und nickte unterstützend mit dem Kopf.
Sofort wurden alle still und sahen uns an. Einzig L blubberte. Ich wechselte einen Blick mit Amelie und sie lächelte. Sie streckte die Hände aus und ich legte ihr L in die Arme. Dann atmete sie tief durch und sagte fast schüchtern:
„Wir wollen euch gerne Leni Elisa vorstellen.“
Saskia quietschte und sie ließ sich auf der anderen Seite neben Amelie fallen.
„Gott, wie süß. Ja, Leni, das hast du dir doch gewünscht. Und, haha, der Name fängt mit L an! Und waaah, Elisa, wie niedlich. Warum hast du mir davon nichts erzählt, das klingt toll, wirklich. Leni Elisa Krüger, ja, das gefällt mir, das ist genehmigt, das nehme ich euch ab, den Namen dürft ihr behalten.“
Auch die anderen stimmten begeistert zu und ich biss mir auf die Unterlippe. Ich zwang mir ein Lächeln ab und zum Glück schien keiner zu bemerken, dass es gestellt war. Selbst Amelie nicht. Und mein Herz machte einen schmerzhaften Sprung.

Sie blieben nicht lange, denn obwohl Amelie es fast Oscar-reif überspielte, sah man ihr doch die pure Erschöpfung an. L wanderte durch alle Arme und nach unzähligen Umarmungen und Küssen waren wir endlich wieder alleine und Amelie atmete tief durch. Sie fuhr sich über die Stirn und lächelte dann schief.
„Puh, du meine Güte, ich“ sie gähnte und die Augen fielen ihr fast zu. L – ich hatte noch ein wenig Probleme, sie wirklich Leni zu nennen – schlief mit geöffnetem Mund in ihrem Arm und ich konnte sie nur anstarren.
„Du musst schlafen, Laufbursche“ sagte Amelie und legte ihre Hand in meine. „Fahr nach Hause, du musst dich ausruhen.“
„Ich ganz sicher nicht. Du hast heute Schwerstarbeit geleistet, du musst schlafen.“ Doch langsam aber sicher sackte auch mein Adrenalinspiegel ab und ich spürte, wie ich müde wurde. Ich strich ihr durch die Haare und räusperte mich dann. Doch bevor ich etwas sagen konnte, fragte Amelie zögernd:
„Gefällt dir der Name wirklich? Du hast vorhin so traurig ausgesehen, ich weiß nicht, dein Blick war so merkwürdig. Gefällt er dir nicht? Dann musst du mit mir reden, ich ...“
„Amelie.“
„... ich weiß das doch nicht, ich hab den einfach vorgeschlagen, weil ich ihn ...“
„Motek!“
„... weil ich ihn schön fand, aber wenn er dir nicht gefällt, dann ...hmpf!“
Ich drückte ihr die Lippen auf den Mund und sie quietschte leise in meinem Kuss. L schreckt auf und gab komisch gurgelnde Geräusche von sich. Doch sofort fielen ihr die Augen wieder zu und sie schlief weiter.
„Amelie, hörst du mir bitte zu?“ Das Adrenalin war wieder da und mein ganzer Körper stand unter Spannung. Sie sah mich verwundert an und sie nickte.
Ich fuhr mir durch die Haare und setzte mich dann auf. Ich hätte es mir denken können, dass sie meinen Blick bemerkt hatte. Wie hatte ich nur glauben können, dass es ihr nicht aufgefallen wäre.
„Amelie, ich … ähm … ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich, nein, … anders … meine Güte, ich hab das doch geprobt, Gott, ich fasse es nicht. Und ich hab jämmerlich versagt, ich hätte mir selbst einen Korb gegeben, aber … oh man.“ Ihr Blick wurde immer irritierter und ich schaffte es kaum, meine Gedanken irgendwie zusammen zu halten und dass, obwohl ich wirklich vor dem Spiegel geprobt hatte. Wirklich. Und ich hatte mir selbst dabei kaum zusehen können. Ich räusperte mich erneut und trotzdem klang meine Stimme merkwürdig schrill, so als stünde ich kurz vor einer Panikattacke – was auch stimmte.
„Hör zu. Ich liebe diesen Namen, er passt zu ihr, er ist wunderschön, genauso schön wie sie und es soll sich jemand wagen, etwas anderes zu behaupten. Und ja, ich höre mich an wie ein schlechtes Drehbuch, ich weiß, aber bitte, lass mich aussprechen, weil es sonst in einer Katastrophe enden wird, weil ich nie wieder den Faden finden werde, gut, ich hatte ich ihn auch noch gar nicht so wirklich und ...“ Ich schnappte nach Luft und Amelies Augen begannen zu leuchten. Ich weiß nicht, ob sie etwas ahnte – was ich mir aber bei meinem furchtbaren Gestammel eigentlich nicht wirklich vorstellen konnte – aber sie sah mich so intensiv an und dann legte sie ihre Hand auf meine Wange. Doch sie schwieg. „Es gibt nur etwas an ihren Namen, das mich stört und ich muss Saskia danken, dass sie mich mit der Nase darauf gestoßen hat – habe ich grade wirklich gesagt, dass ich SASKIA danken muss? Egal.“ Amelie gluckste leise, doch ihre Augen begannen immer mehr zu funkeln und ich wurde mutiger. Ich griff nach ihrer Hand und drückte sie leicht. „Amelie, weißt du, was mich an ihrem Namen stört?“ Sie schüttelte den Kopf und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Mein Herz begann wild zu klopfen und ich atmete tief durch. „Ihr Nachname stört mich.“
Amelie begann unkontrolliert zu zittern und ich biss mir auf die Lippe. Dann stammelte ich weiter:
„Und dein Nachname stört mich. Wirklich, Motek, diese Pünktchen auf dem „u“, nein, das geht nicht. Wirklich nicht. Ich … ich … ach, verdammt.“ Ich stand auf und sank dann vor dem Bett auf die Knie. Amelie wimmerte leise auf. Ihre Hand in meiner zitterte so stark, dass ich ihr beruhigend mit dem Daumen über den Handrücken strich.
„Amelie Krüger, ja, mit „ü“, ich weiß, bitte, du machst mich wahnsinnig. Schon seit drei Jahren. Du machst mich verrückt. Du stellst mein Leben auf den Kopf, du bringst mich aus dem Konzept. Und du machst mich damit verdammt glücklich. Du hast mir das beste Geschenk gemacht, dass mir jemals jemand hätte machen können. Du hast mir L geschenkt – und dich. Ich weiß, dass ich niemals gut machen kann, dass du München hinter dir gelassen hast und dass ich dich auch überhaupt gar nicht verdient habe und dass ich mich gerade anhöre wie Saskia – Grund Gütiger, das ist wirklich gruselig – ähm, aber ...“
Amelie starrte mich an, Tränen liefen ihr über die Wangen und sie lächelte so süß und unschuldig, dass es mir fast das Herz zerriss.
„Laufbursche, was ...“
„Ssscht, bitte, sonst komme ich gar nicht mehr klar.“ Ich atmete tief durch und griff dann in meine Tasche. Ich trug das Kästchen jetzt seit dem Tag nach der Party mit mir herum. Ich hatte nur mit Dean darüber gesprochen und ich musste ihm hoch anrechnen, dass er Saskia nichts verraten hatte. Und er hatte mich begleitet, als ich es besorgt hatte. Er hatte mich in meiner Entscheidung unterstützt und ich wusste, dass es richtig war.
„Amelie, bitte, ich weiß, dass ich dich nicht verdient habe, euch beide nicht. Ich kann auch immer noch nicht fassen, dass wir beide wirklich zusammen sind und dass du damals in Würzburg nach dem ganzen Drama mit den Fotos und auch nach Moms' Vier-Augen-Gespräch – Gott, wie peinlich übrigens – nicht weggelaufen bist. Ich glaube es auch noch immer nicht, dass du mich überhaupt genommen hast, ich muss nur an die furchtbare Frisur denken. Aber ich bin dir so dankbar und ich hoffe, dass du weißt, wie sehr ich dich liebe. Und wie sehr ich L liebe. Motek, bitte, würdest du den wohl tragen wollen?“ Ich klappte den Deckel des Kästchens auf und Amelie wimmerte auf. Sie konnte überhaupt nicht schnell genug aus dem Bett kommen und ich habe keine Ahnung, wie sie es mit L bewerkstelligte, aber sie fiel mir um den Hals. Die Kleine lag sicher zwischen uns und ließ sich von dem Gefühlsausbruch ihrer Mutter nicht stören – typisch Deutsch, würde ich sagen!
„Ja, ja, oh, ja, natürlich will ich den tragen. Oh Laufbursche, ich, du meine Güte, der ist wunderschön, ich ...“ Sie unterbrach sich und ihre Lippen legten sich auf meine. Sie küsste mich so intensiv, so zärtlich, so voller Verlangen und so voller Liebe, dass mir ganz anders wurde. Und als ich ihr dann den Ring über den Finger streifte, da wusste ich, dass wir endlich komplett waren.


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Tja, was soll ich sagen? Es sind also wirklich 40 Kapitel geworden. Unglaublich, ich hätte das niemals gedacht. Und ich hätte auch niemals gedacht, dass es so einen Zuspruch finden würde - ja, ich weiß, dass habe ich schonmal gesagt :O) Und auch für die vielen Klicks und Favs.

Danke schön! Ihr seid echt die Allerbesten und ich hoffe jetzt wirklich, dass alle Unklarheiten beseitigt wurden :O)

Danke Danke Danke
Denise :O)
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