Fire Emblem Thracia 776 - Lensters letzte Nacht
von Hesitias
Kurzbeschreibung
Ein kleiner Oneshot zu Fire Emblem: Thracia 776 (da es für den 5. Teil der Serie keine Unterkategorie gibt hier). In der Geschichte wird Leafs und Fins Flucht aus Schloss Lenster beschrieben.
GeschichteFantasy, Tragödie / P12 / Gen
13.11.2012
13.11.2012
1
2.114
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13.11.2012
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Die Nächte von Lenster Fire Emblem
Thracia 776
Fin blickte mit einem unsicheren Gefühl in die Ferne. Hinter ihm senkte sich die Sonne hinter das Meer, die Schatten des Schlosses wurden lang und so zog sich auch seiner über die Schlossmauern, nicht irgendein Schloss, Schloss Lenster, Sitz von König Cuan von Lenster und der Ort, über den Fin gerade zu wachen hatte.
Wie es wohl Sigurd ging?
Sein König war vor einer Woche zusammen mit seiner Frau, Königin Ethlin, Sigurds Schwester, sowie einem großen Regiment von Lensters stärksten Rittern gen Norden geritten, nach Grandbell. Dort kämpfte Sigurd einen Krieg, dessen Ausgang sich bereits mehrmals überraschenderweise geändert hat. Die letzte Nachricht, besser gesagt: das letzte Gerücht, bezüglich Lord Sigurds Aufenthaltsort waren die Ebenen zwischen Silesia und Barharra.
Er ritt gegen die Hauptstadt.
Einfach so gegen die Hauptstadt, mit einem lächerlich kleinen Regiment an Kriegern zog er gegen die Hauptstadt des Grandbell Imperiums, dem größten Staat auf dem Kontinent. Und dem militärisch Mächtigsten.
Wenn Cuan eins war, dann wohl stürmisch. Vor knapp anderthalb Jahren stürmte er in Fins Quartier und forderte ihn auf, seine Sachen zu packen, es ginge nach Grandbell. Cuans Spitzel saßen überall, er wusste sofort, dass Sigurd in den Krieg zog und als geschworener Blutsbruder und Schwager fühlte er sich verpflichtet, ihm zu helfen.
Und dennoch konnte er nicht bis zum Ende ausharren, Sigurds anfänglicher Versuch, den Frieden zu sichern scheiterte, stattdessen brache in Krieg mit Augustria aus. Dies war der Moment, in dem es für Cuan und Ethlin hieß, sich zurückzuziehen, zusammen mit Fin. Lensters Sicherheit hatte höchste Priorität, vor allem, da König Trabant von Thracia, dem Nachbarland, erneut mit den Säbeln rasselte.
Kurz nach ihrer Ankunft erreichte ihn die Nachricht von Elsthans Tod.
Wenn Cuan in seinem Leben eins nicht hatte, dann viele, denen er sein Leben anvertraute. Um genau zu sein: Drei. Sigurd, Elsthan und Ethlin. Erstere besuchten, zusammen mit ihm, die Ritterschule in Barharra, rissen Frauen auf und lebten ihr jugendliches Leben, bevor sie in ihre Ämter gesetzt worden. Elsthan wurde König von Nodion, einer Graftschaft in Augustria und königlicher Vertrauter sowie oberster General, Sigurd stand Zeit seines Lebens im Schatten seines eigenen Vaters, König Byron und Cuan wurde früh König von Lenster.
Der Wind blies kälter, die Schatten wurden länger. Fin zog sein Hemd zusammen, richtete den Schal und schritt weiter, über die Zinnen.
Wie es Cuan wohl ging?
Was, wenn er nicht zurückkäme?
Was sollte er denn bitteschön Leaf und Altenna sagen, Cuans Kindern?
Fin blickte zu einem Fenster über ihm. Darin brannte Licht, es war Leafs Schlafgemach. Altennas Schlafgemach war dunkel, die Vorhänge zugezogen. Normalerweise müsste Leaf schon längst schlafen, sie könnte ruhig noch ein oder zwei Stunden auf bleiben, immerhin war sie älter als er und wurde bereits als Thronerbin gehändelt. Cuan tat das jedenfalls, auch wenn die Alten am Hof sich den Prinzen an die Spitze wünschten. Cuan ignorierte sie. Er ignorierte immer die Leute, die ihm nicht gefielen.
Nur war Altenna gar nicht anwesend.
Ob er Fin ebenfalls sein Leben anvertrauen würde? Er gehörte zu den Vertrautesten von ihm obgleich er noch in der Ausbildung war. Fin griff nach der Lanze, die ihm Cuan einst schenkte. Sie hing noch immer fest auf seinem Rücken. Eigentlich musste er ihm ja vertrauen, er hatte ihm ja sogar das Königreich anvertraut!
Sein Blick schweifte über die nahe Hauptstadt, Lenster, nach der das Land benannt wurde. Aus den Kaminen stieg Rauch, in den Häusern brannte noch Licht, auf den Straßen herrschte reges Treiben. Und dennoch war die Stimmung seit einigen Tagen gedrückt. Gerüchte vom Krieg, von Verlusten, Angst vor einem Flächenbrand.
Grandbell hatte sich einfach so Verdane und Augustria einverleibt, einfach so. Isaac, mit dem es schon seit einiger Zeit im Krieg lag, drohte ebenfalls zu fallen. Einfach so. Silesias Verteidigung war auf ein Minimum heruntergeprügelt worden und an der Grenze ritten blutlüstern bereits die Ritter des Imperiums.
Die Bergspitzen durchbohrten den Abendhimmel, kohlrabenschwarz wie sie waren. Um die Spitzen kreisten Wyvernreiter, jene geflügelten Krieger aus Thracia, die Fin die größte aller Sorgen bereiten. Sollte eines Tages ein Krieg ausbrechen, so wären die Truppen aus Thracia in dem bergigen Land mehr als nur im Vorteil. Es würde auf ein Massaker herauslaufen.
Dort hinten verlief die Grenze. Gefährlich nah.
Eines der Zimmermädchen rannte außer Atem über die Mauer, ihm entgegen.
"Sir Fin! Sir Fin!" Sie sackte vor ihm auf die Knie.
"Was? Was ist los?" Er wurde nervös. Was war passiert? Hatte er bereits versagt?
"Sie bleibt einfach verschwunden!" Sie fing an zu weinen. "Die Prinzessin ist einfach weg!"
Fin schwieg. Sollte er sagen, dass Ethlin Altenna zur Front mitgenommen hatte? Warum auch immer?
Er kniete nieder, streichelte der Frau über ihr zartes Gesicht, versuchte zu lächeln. Lächeln fiel ihm immer schwer, dabei hatte mal eine Freundin zu ihm gesagt, dass es ihm so gut stünde. Also lächelte Fin gequält. Es sah künstlich aus, glaubte er.
"Die Prinzessin ist..." Er suchte nach den richtigen Worten. "... in Sicherheit."
Sie blickte ihn erlöst an.
"Wirklich?" Ihre Augen leuchteten.
"Ja." Er schluckte. "Ich habe Nachricht erhalten, dass es ihr gut geht. General Conomore hat sie zu sich ins Schloss geholt." Sie blickte ihn fragend an. "Nationale Sicherheit." Und so.. "Im Falle eines Angriffes..."
"Ah! Ich verstehe!" Sie tippte sich an den Kopf. "Aber warum habt Ihr mir das verschwiegen?"
"Es gibt Gründe, tut mir Leid." Lass mich in Ruhe... Sie lächelte gequält. Dann entschuldigte sie sich. Und sie verschwand.
Fin ging rein. Es wurde kalt. Er wollte der Wache das Spähen in die Finsternis überlassen. In der Stadt erloschen die Lichter.
Irgendwann ging der Vollmond auf. Er kam hinter dem Ozean hervor, spiegelte sich darin. Fin empfand es als schön, konnte träumen. Seine Gedanken waren bei Cuan und Ethlin, bei Sigurd und dem Rest des Haufens, der ihm folgte. Er hatte dort Freunde gefunden in den Monaten des Aufenthaltes. Jetzt war er allein.
Unruhig tigerte er durch den Thronsaal. Er wagte es nicht, sich auf den Thron zu setzen, das glich ihm dem Verrate. Und Cuan verraten? Nein, das wollte er nicht.
Die Fackeln knisterten munter, seine Schritte hallten durch die Halle.
Es waren die Sekunden der Ruhe vor dem Sturm, die sich in die Länge zogen, wenn Schweiß auf der Stirn perlte, das Herz rast und man wusste, dass einen etwas erwartete dessen Kraft und Tragweite außerhalb der eigenen Reaktionskräfte lag. Es war dieser Moment, als das Knistern in Fins Ohren verstummte, er nur noch das eigene Blut rauschen hörte und seine Augen panisch nach einem Fluchtpunkt suchten, etwas, um seine Phobie loszuwerden. Dann klangen alle Symptome wieder ab, Fin wollte gerade aufatmen, als es kam.
Eine Explosion.
Von der Decke rieselte Staub.
Verdammt! Fin sprintete los, er musste auf die Mauern, er brauchte einen Überblick. Wieso jetzt? Wieso jetzt? Wieso jetzt?
Die Treppe bäumte sich vor ihm auf. Wut, Verzweiflung, so ziemlich alles, außer Freude, fühlte er gerade. Und die Wendeltreppe zog sich und zog sich. Endlos rauschten die versetzten Steine des Mauerwerks an seinem Kopf vorbe. Dann kam er oben an.
Es herrschte das blanke Chaos. Finn rannte sofort auf die Mauern und zog seine Lanze, um den ersten Angreifer niederzustechen, am Himmel kreisten Wyvernritter und schmissen Brandbomben auf das Schloss.
Fin zog seine Lanze aus der Brust des Angreifers und wurde fast von einem Pfeil getroffen, der an seinem Kopf vorbeisauste. Wo ist der Prinz? Ist er sicher? Er blickte zu seinem Gemachsfenster hoch. Das Licht war aus, die Scheiben waren eingeschlagen. Fins Augen weiteten sich, der Anblick machte ihn regungslos, fast lies er seine Waffe fallen und fast bemerkte er den Angreifer nicht, der sich neben ihm aufbäumte. Im letzten Moment drehte er sich um und rammte nur seinen Ellenbogen in den Bauch des Unbekannten, welcher taumelnd nach hinten stürzte. Fin zog schnell sein Kurzschwert, welches an seinem Gurt stets baumelte und stieß es ihm in den ungeschützten Bereich zwischen Helm und Brustpanzer. Blut spritzte fontänenhaft. Ohne groß nachzudenken, begann er, zum Prinzen zu hasten.
Überall tobten Kämpfe, Bogenschützen versuchten, die Wyvernritter abzuschießen, es gelang den Wenigsten.
Während er rannte, schlug neben ihm ein weiterer Brandsatz ein, Splitter zerfetzten ihm die Ärmel und verpassten ihm kleine Schnittwunden an den Armen und im Gesicht.
Nur noch wenige Meter.
Er stach einen weiteren Angreifer nieder.
Dann kam er am Gemach an, versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war von innen verrammelt, für Fin war das ein Zeichen der Hoffnung. Der Prinz hatte höchste Priorität!
Er sprang einen Meter nach hinten und nahm Anlauf, er musste die Tür aufbrechen. Sein Blick schweifte für eine Sekunde über das brennende Schloss. In der Ferne kam Rauch aus der Stadt. Er biss die Zähne zusammen und rammte sich mit voller Wucht gegen die Tür.
Und wieder.
Und wieder.
Und wieder.
Und wieder.
Ein Brandsatz. Er schlug neben ihm ein, mit einer Hechtrolle zur Seite konnte sich Fin noch retten. Was ihm nach dem Leben trachtete, hatte ihm grade geholfen, denn die Tür war nun aufgesprengt, wenn auch das Loch mit einigen Tritten noch vergrößert werden musste.
Fin rappelte sich auf, seine rechte Schulter schmerzte. Weiter hinten stürmten einige Soldaten zu Fin, es waren die verbliebenen Soldaten, die versuchten, soviel Zeit wie möglich, für die Flucht zu gewinnen. Sie kämpften auf verlorenem Land, verbranntem Land. Ihre Hoffnung lag im Prinzen, welcher in jenem Gemach auf Fin wartete.
Es war noch gut in Schuss, einige Regale waren durch die Erschütterungen umgestürzt, Bücher lagen überall auf dem Boden und in der Ecke kauerte der junge Prinze, in der Hand ein elfenbeinfarbenes Schwert mit goldenem Griff.
"Fin!" Er ließ das Schwert fallen und stolperte in Fins Arme. "Warum?" Leaf weinte, Fin drückte ihn fest an sich.
"Mein Prinz, nehmt Euer Schwert,...", flüsterte er. "... denn wenn ich es nicht schaffe, müsst ihr euch alleine durchschlagen."
"Wohin, Fin?"
"Weg, weg von hier." Leafs Augen wurden glasig, er kniff sie zu, unterdrückte die Tränen und schnappte sich sein Schwert, steckte es in die passende Schwertscheide, hing sie, samt Gürtel um seine Taille und wandte sich an Fin. Jener griff ihn, nahm ihn Huckepack und stürzte heraus. Der stechende Schmerz in seinem Körper wurde stärker. Verdammt! Vor der Tür verteidigten die Soldaten das Zimmer. Als sie Fin mit dem Prinzen im Staub erkannten, bildeten sie um die beiden einen Kreis und rannten mit ihnen die Zinnen entlang. Von oben stürzten Wyvern samt Reiter herunter, einige Soldaten schnappten sie mit ihren bloßen Mäulern weg, andere wurden durch die Wucht und die scharfen Klingen, welche am Zaumzeug der Wyvern hingen, zerfetzt. Leaf schloss die Augen, klammerte sich noch fester an Fin, drückte ihm fast die Luft weg. Fin sagte nichts.
Sie schafften es bis zu den Pferdeställen, dort schnappten sie sich das erste Pferd, setzten Fin hinauf, Leaf vor ihn.
"Danke, Männer."
"Rettet den Prinzen!", keuchte einer. Leaf blickte sich um. Es befanden sich keine weiteren Pferde im Stall, lediglich ein kleines Pony.
"Fin?!" Der Angesprochene gab dem Pferd die Sporen. Leaf begann zu schreien, die Soldaten jubelten, rannten hinterher, winkten ihrem Prinzen. "Fin?! Fin?!? Was passiert mit den guten Männern?!"
"Die kommen nach, mein Prinz!", log er, biss die Zähne zusammen und hielt nach Feinden Ausschau. Doch der Feind lauerte in der Heimat, nicht in der Ferne. Von den Zinnen regneten Pfeile auf sie nieder, der Gegner hatte das Schloss besetzt. Es flogen Steine. Einer traf ihn, ebenso steckte ein Pfeil in seiner Schulter. Der Schmerz betäubte ihn, er fasste alle Kraft zusammen, hielt das Pferd im Galopp.
Hinter ihnen wurde das brennende Schloss kleiner und kleiner.
Leaf saß verstört vor Fin im Sattel und merkte nichts von seinen Schmerzen. Der Regen begann. Er schaute nach oben, der Himmel war sternenklar. Wo kam das Regenwasser her?
Er fasste sich auf die nasse Schulter, blickte die Flüssigkeit an.
Blut.
Leafs Augen wurden klein, glasig. Fin hustete, gab Befehl zum Galopp und preschte durch die Landschaft. Der Prinz blickte nach hinten. Inzwischen wirkte Schloss Lenster wie ein Osterfeuer, so klein war es geworden. Er schwor sich, zurückzukehren.
Er schniefte seinen Rotz hoch, unterdrückte die Träne, welche sich den Weg hervorgekämpft hatte und schloss die Augen.
"Fin...", flüsterte er. Jener nahm dies kaum noch wahr, lauschte jedoch so aufmerksam wie möglich. "Eines Tages, Fin..." Er schniefte. "Eines Tages kehren wir zurück. Und dann rächen wir mein Land!"
Fin rang sich ein müdes Lächeln ab und drehte sich zu Leaf um.
"Sehr wohl, mein Prinz!"
Thracia 776
Fin blickte mit einem unsicheren Gefühl in die Ferne. Hinter ihm senkte sich die Sonne hinter das Meer, die Schatten des Schlosses wurden lang und so zog sich auch seiner über die Schlossmauern, nicht irgendein Schloss, Schloss Lenster, Sitz von König Cuan von Lenster und der Ort, über den Fin gerade zu wachen hatte.
Wie es wohl Sigurd ging?
Sein König war vor einer Woche zusammen mit seiner Frau, Königin Ethlin, Sigurds Schwester, sowie einem großen Regiment von Lensters stärksten Rittern gen Norden geritten, nach Grandbell. Dort kämpfte Sigurd einen Krieg, dessen Ausgang sich bereits mehrmals überraschenderweise geändert hat. Die letzte Nachricht, besser gesagt: das letzte Gerücht, bezüglich Lord Sigurds Aufenthaltsort waren die Ebenen zwischen Silesia und Barharra.
Er ritt gegen die Hauptstadt.
Einfach so gegen die Hauptstadt, mit einem lächerlich kleinen Regiment an Kriegern zog er gegen die Hauptstadt des Grandbell Imperiums, dem größten Staat auf dem Kontinent. Und dem militärisch Mächtigsten.
Wenn Cuan eins war, dann wohl stürmisch. Vor knapp anderthalb Jahren stürmte er in Fins Quartier und forderte ihn auf, seine Sachen zu packen, es ginge nach Grandbell. Cuans Spitzel saßen überall, er wusste sofort, dass Sigurd in den Krieg zog und als geschworener Blutsbruder und Schwager fühlte er sich verpflichtet, ihm zu helfen.
Und dennoch konnte er nicht bis zum Ende ausharren, Sigurds anfänglicher Versuch, den Frieden zu sichern scheiterte, stattdessen brache in Krieg mit Augustria aus. Dies war der Moment, in dem es für Cuan und Ethlin hieß, sich zurückzuziehen, zusammen mit Fin. Lensters Sicherheit hatte höchste Priorität, vor allem, da König Trabant von Thracia, dem Nachbarland, erneut mit den Säbeln rasselte.
Kurz nach ihrer Ankunft erreichte ihn die Nachricht von Elsthans Tod.
Wenn Cuan in seinem Leben eins nicht hatte, dann viele, denen er sein Leben anvertraute. Um genau zu sein: Drei. Sigurd, Elsthan und Ethlin. Erstere besuchten, zusammen mit ihm, die Ritterschule in Barharra, rissen Frauen auf und lebten ihr jugendliches Leben, bevor sie in ihre Ämter gesetzt worden. Elsthan wurde König von Nodion, einer Graftschaft in Augustria und königlicher Vertrauter sowie oberster General, Sigurd stand Zeit seines Lebens im Schatten seines eigenen Vaters, König Byron und Cuan wurde früh König von Lenster.
Der Wind blies kälter, die Schatten wurden länger. Fin zog sein Hemd zusammen, richtete den Schal und schritt weiter, über die Zinnen.
Wie es Cuan wohl ging?
Was, wenn er nicht zurückkäme?
Was sollte er denn bitteschön Leaf und Altenna sagen, Cuans Kindern?
Fin blickte zu einem Fenster über ihm. Darin brannte Licht, es war Leafs Schlafgemach. Altennas Schlafgemach war dunkel, die Vorhänge zugezogen. Normalerweise müsste Leaf schon längst schlafen, sie könnte ruhig noch ein oder zwei Stunden auf bleiben, immerhin war sie älter als er und wurde bereits als Thronerbin gehändelt. Cuan tat das jedenfalls, auch wenn die Alten am Hof sich den Prinzen an die Spitze wünschten. Cuan ignorierte sie. Er ignorierte immer die Leute, die ihm nicht gefielen.
Nur war Altenna gar nicht anwesend.
Ob er Fin ebenfalls sein Leben anvertrauen würde? Er gehörte zu den Vertrautesten von ihm obgleich er noch in der Ausbildung war. Fin griff nach der Lanze, die ihm Cuan einst schenkte. Sie hing noch immer fest auf seinem Rücken. Eigentlich musste er ihm ja vertrauen, er hatte ihm ja sogar das Königreich anvertraut!
Sein Blick schweifte über die nahe Hauptstadt, Lenster, nach der das Land benannt wurde. Aus den Kaminen stieg Rauch, in den Häusern brannte noch Licht, auf den Straßen herrschte reges Treiben. Und dennoch war die Stimmung seit einigen Tagen gedrückt. Gerüchte vom Krieg, von Verlusten, Angst vor einem Flächenbrand.
Grandbell hatte sich einfach so Verdane und Augustria einverleibt, einfach so. Isaac, mit dem es schon seit einiger Zeit im Krieg lag, drohte ebenfalls zu fallen. Einfach so. Silesias Verteidigung war auf ein Minimum heruntergeprügelt worden und an der Grenze ritten blutlüstern bereits die Ritter des Imperiums.
Die Bergspitzen durchbohrten den Abendhimmel, kohlrabenschwarz wie sie waren. Um die Spitzen kreisten Wyvernreiter, jene geflügelten Krieger aus Thracia, die Fin die größte aller Sorgen bereiten. Sollte eines Tages ein Krieg ausbrechen, so wären die Truppen aus Thracia in dem bergigen Land mehr als nur im Vorteil. Es würde auf ein Massaker herauslaufen.
Dort hinten verlief die Grenze. Gefährlich nah.
Eines der Zimmermädchen rannte außer Atem über die Mauer, ihm entgegen.
"Sir Fin! Sir Fin!" Sie sackte vor ihm auf die Knie.
"Was? Was ist los?" Er wurde nervös. Was war passiert? Hatte er bereits versagt?
"Sie bleibt einfach verschwunden!" Sie fing an zu weinen. "Die Prinzessin ist einfach weg!"
Fin schwieg. Sollte er sagen, dass Ethlin Altenna zur Front mitgenommen hatte? Warum auch immer?
Er kniete nieder, streichelte der Frau über ihr zartes Gesicht, versuchte zu lächeln. Lächeln fiel ihm immer schwer, dabei hatte mal eine Freundin zu ihm gesagt, dass es ihm so gut stünde. Also lächelte Fin gequält. Es sah künstlich aus, glaubte er.
"Die Prinzessin ist..." Er suchte nach den richtigen Worten. "... in Sicherheit."
Sie blickte ihn erlöst an.
"Wirklich?" Ihre Augen leuchteten.
"Ja." Er schluckte. "Ich habe Nachricht erhalten, dass es ihr gut geht. General Conomore hat sie zu sich ins Schloss geholt." Sie blickte ihn fragend an. "Nationale Sicherheit." Und so.. "Im Falle eines Angriffes..."
"Ah! Ich verstehe!" Sie tippte sich an den Kopf. "Aber warum habt Ihr mir das verschwiegen?"
"Es gibt Gründe, tut mir Leid." Lass mich in Ruhe... Sie lächelte gequält. Dann entschuldigte sie sich. Und sie verschwand.
Fin ging rein. Es wurde kalt. Er wollte der Wache das Spähen in die Finsternis überlassen. In der Stadt erloschen die Lichter.
Irgendwann ging der Vollmond auf. Er kam hinter dem Ozean hervor, spiegelte sich darin. Fin empfand es als schön, konnte träumen. Seine Gedanken waren bei Cuan und Ethlin, bei Sigurd und dem Rest des Haufens, der ihm folgte. Er hatte dort Freunde gefunden in den Monaten des Aufenthaltes. Jetzt war er allein.
Unruhig tigerte er durch den Thronsaal. Er wagte es nicht, sich auf den Thron zu setzen, das glich ihm dem Verrate. Und Cuan verraten? Nein, das wollte er nicht.
Die Fackeln knisterten munter, seine Schritte hallten durch die Halle.
Es waren die Sekunden der Ruhe vor dem Sturm, die sich in die Länge zogen, wenn Schweiß auf der Stirn perlte, das Herz rast und man wusste, dass einen etwas erwartete dessen Kraft und Tragweite außerhalb der eigenen Reaktionskräfte lag. Es war dieser Moment, als das Knistern in Fins Ohren verstummte, er nur noch das eigene Blut rauschen hörte und seine Augen panisch nach einem Fluchtpunkt suchten, etwas, um seine Phobie loszuwerden. Dann klangen alle Symptome wieder ab, Fin wollte gerade aufatmen, als es kam.
Eine Explosion.
Von der Decke rieselte Staub.
Verdammt! Fin sprintete los, er musste auf die Mauern, er brauchte einen Überblick. Wieso jetzt? Wieso jetzt? Wieso jetzt?
Die Treppe bäumte sich vor ihm auf. Wut, Verzweiflung, so ziemlich alles, außer Freude, fühlte er gerade. Und die Wendeltreppe zog sich und zog sich. Endlos rauschten die versetzten Steine des Mauerwerks an seinem Kopf vorbe. Dann kam er oben an.
Es herrschte das blanke Chaos. Finn rannte sofort auf die Mauern und zog seine Lanze, um den ersten Angreifer niederzustechen, am Himmel kreisten Wyvernritter und schmissen Brandbomben auf das Schloss.
Fin zog seine Lanze aus der Brust des Angreifers und wurde fast von einem Pfeil getroffen, der an seinem Kopf vorbeisauste. Wo ist der Prinz? Ist er sicher? Er blickte zu seinem Gemachsfenster hoch. Das Licht war aus, die Scheiben waren eingeschlagen. Fins Augen weiteten sich, der Anblick machte ihn regungslos, fast lies er seine Waffe fallen und fast bemerkte er den Angreifer nicht, der sich neben ihm aufbäumte. Im letzten Moment drehte er sich um und rammte nur seinen Ellenbogen in den Bauch des Unbekannten, welcher taumelnd nach hinten stürzte. Fin zog schnell sein Kurzschwert, welches an seinem Gurt stets baumelte und stieß es ihm in den ungeschützten Bereich zwischen Helm und Brustpanzer. Blut spritzte fontänenhaft. Ohne groß nachzudenken, begann er, zum Prinzen zu hasten.
Überall tobten Kämpfe, Bogenschützen versuchten, die Wyvernritter abzuschießen, es gelang den Wenigsten.
Während er rannte, schlug neben ihm ein weiterer Brandsatz ein, Splitter zerfetzten ihm die Ärmel und verpassten ihm kleine Schnittwunden an den Armen und im Gesicht.
Nur noch wenige Meter.
Er stach einen weiteren Angreifer nieder.
Dann kam er am Gemach an, versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war von innen verrammelt, für Fin war das ein Zeichen der Hoffnung. Der Prinz hatte höchste Priorität!
Er sprang einen Meter nach hinten und nahm Anlauf, er musste die Tür aufbrechen. Sein Blick schweifte für eine Sekunde über das brennende Schloss. In der Ferne kam Rauch aus der Stadt. Er biss die Zähne zusammen und rammte sich mit voller Wucht gegen die Tür.
Und wieder.
Und wieder.
Und wieder.
Und wieder.
Ein Brandsatz. Er schlug neben ihm ein, mit einer Hechtrolle zur Seite konnte sich Fin noch retten. Was ihm nach dem Leben trachtete, hatte ihm grade geholfen, denn die Tür war nun aufgesprengt, wenn auch das Loch mit einigen Tritten noch vergrößert werden musste.
Fin rappelte sich auf, seine rechte Schulter schmerzte. Weiter hinten stürmten einige Soldaten zu Fin, es waren die verbliebenen Soldaten, die versuchten, soviel Zeit wie möglich, für die Flucht zu gewinnen. Sie kämpften auf verlorenem Land, verbranntem Land. Ihre Hoffnung lag im Prinzen, welcher in jenem Gemach auf Fin wartete.
Es war noch gut in Schuss, einige Regale waren durch die Erschütterungen umgestürzt, Bücher lagen überall auf dem Boden und in der Ecke kauerte der junge Prinze, in der Hand ein elfenbeinfarbenes Schwert mit goldenem Griff.
"Fin!" Er ließ das Schwert fallen und stolperte in Fins Arme. "Warum?" Leaf weinte, Fin drückte ihn fest an sich.
"Mein Prinz, nehmt Euer Schwert,...", flüsterte er. "... denn wenn ich es nicht schaffe, müsst ihr euch alleine durchschlagen."
"Wohin, Fin?"
"Weg, weg von hier." Leafs Augen wurden glasig, er kniff sie zu, unterdrückte die Tränen und schnappte sich sein Schwert, steckte es in die passende Schwertscheide, hing sie, samt Gürtel um seine Taille und wandte sich an Fin. Jener griff ihn, nahm ihn Huckepack und stürzte heraus. Der stechende Schmerz in seinem Körper wurde stärker. Verdammt! Vor der Tür verteidigten die Soldaten das Zimmer. Als sie Fin mit dem Prinzen im Staub erkannten, bildeten sie um die beiden einen Kreis und rannten mit ihnen die Zinnen entlang. Von oben stürzten Wyvern samt Reiter herunter, einige Soldaten schnappten sie mit ihren bloßen Mäulern weg, andere wurden durch die Wucht und die scharfen Klingen, welche am Zaumzeug der Wyvern hingen, zerfetzt. Leaf schloss die Augen, klammerte sich noch fester an Fin, drückte ihm fast die Luft weg. Fin sagte nichts.
Sie schafften es bis zu den Pferdeställen, dort schnappten sie sich das erste Pferd, setzten Fin hinauf, Leaf vor ihn.
"Danke, Männer."
"Rettet den Prinzen!", keuchte einer. Leaf blickte sich um. Es befanden sich keine weiteren Pferde im Stall, lediglich ein kleines Pony.
"Fin?!" Der Angesprochene gab dem Pferd die Sporen. Leaf begann zu schreien, die Soldaten jubelten, rannten hinterher, winkten ihrem Prinzen. "Fin?! Fin?!? Was passiert mit den guten Männern?!"
"Die kommen nach, mein Prinz!", log er, biss die Zähne zusammen und hielt nach Feinden Ausschau. Doch der Feind lauerte in der Heimat, nicht in der Ferne. Von den Zinnen regneten Pfeile auf sie nieder, der Gegner hatte das Schloss besetzt. Es flogen Steine. Einer traf ihn, ebenso steckte ein Pfeil in seiner Schulter. Der Schmerz betäubte ihn, er fasste alle Kraft zusammen, hielt das Pferd im Galopp.
Hinter ihnen wurde das brennende Schloss kleiner und kleiner.
Leaf saß verstört vor Fin im Sattel und merkte nichts von seinen Schmerzen. Der Regen begann. Er schaute nach oben, der Himmel war sternenklar. Wo kam das Regenwasser her?
Er fasste sich auf die nasse Schulter, blickte die Flüssigkeit an.
Blut.
Leafs Augen wurden klein, glasig. Fin hustete, gab Befehl zum Galopp und preschte durch die Landschaft. Der Prinz blickte nach hinten. Inzwischen wirkte Schloss Lenster wie ein Osterfeuer, so klein war es geworden. Er schwor sich, zurückzukehren.
Er schniefte seinen Rotz hoch, unterdrückte die Träne, welche sich den Weg hervorgekämpft hatte und schloss die Augen.
"Fin...", flüsterte er. Jener nahm dies kaum noch wahr, lauschte jedoch so aufmerksam wie möglich. "Eines Tages, Fin..." Er schniefte. "Eines Tages kehren wir zurück. Und dann rächen wir mein Land!"
Fin rang sich ein müdes Lächeln ab und drehte sich zu Leaf um.
"Sehr wohl, mein Prinz!"