Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Das Ende vom Tag

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / Gen
02.10.2012
15.10.2012
6
10.786
 
Alle Kapitel
10 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
 
02.10.2012 1.260
 
Wir liegen nebeneinander, und wieder suche ich seinen Blick, suche die brennende Begierde, die uns beide aus dem Alltag heraustreibt, aber es ist vorbei, ich sehe es, die Tränen löschen das Feuer aus, und die graue Welt hat mich wieder. Die Angst hat mich wieder, und ich zittere.

„Sam…“ „Jules!“ Immer wieder hat er meinen Namen gestöhnt, geflüstert, gestammelt, aber nie so wie jetzt. Ich fühle kaum, wie ich mich im Bett, auf das wir es dann doch noch geschafft haben, aufsetze, aber ich fühle seine Hände auf meinem Gesicht, weich und warm, und erst jetzt merke ich, dass ich immer noch weine. Er zieht mich an sich, bis mein Kopf an seiner Brust liegt, ganz vorsichtig, als könnte ich zerbrechen. Und vielleicht tue ich das ja auch noch.

„Es wird alles gut, Jules.“ Wie gerne würde ich ihm glauben. Aber ich kann es nicht. Im Moment kann ich gar nichts mehr glauben, und deshalb will ich nichts hören, ich will nicht auch noch an Sam zweifeln, ich kann es nicht, ich kann nicht mehr. Ich will dieses Gespräch nicht. „Er hat uns an den Henker verkauft“, sage ich hölzern, um das Thema abzuschließen, und er schüttelt den Kopf, so nachdrücklich, dass ich wieder wütend werde, aber ich sage nichts. Wenn Sam mir unbedingt widersprechen muss, bitte. Ich bin müde.

„Er hatte sicher einen Grund.“

„Er ist ein Idiot!“, schießt es jetzt doch aus mir heraus, und ich meine nicht nur Parker damit, sondern auch Dr. Toth, Ed und sogar Sam, der nichts Besseres zu tun hat, als über die Arbeit zu reden. Ich setze mich wieder auf, drehe mich weg. Der Moment der Leidenschaft ist vorbei, verweht, als wäre er nie dagewesen.

„Ich sollte gehen.“

„Ich weiß, dass du sauer bist, Jules. Das bin ich auch.“ Halb angezogen, drehe ich mich noch einmal um.

Er sieht nicht sauer aus. Er sieht vollkommen zufrieden aus, vollkommen zufrieden mit sich und der Welt. Er hat mich auch angelogen.

„Es ist nur… der Chef ist ein Mensch! Er macht auch Fehler. Und dass er eine zweite Meinung haben wollte, ist nicht unbedingt etwas Schlimmes. Dr. Toth ist ein Idiot, und er hatte von Anfang an vor, dieses Team zu ruinieren, aber das konnte der Serge nicht wissen. Und jetzt alles hinzuwerfen, hilft nur Toth, und ich werde ihm nicht helfen! Ich werde es nicht ausnützen, dass wir alle gerade nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht.“

Wo uns der Kopf steht? Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe, Sam Braddock! Wie viel Hirn braucht es, um mir zu sagen, dass du mich auch liebst?

„Ist ja schön, dass du ihn verteidigst, Sam, aber ich habe Besseres zu tun.“

Was auch immer das sein sollte.

Ich gehe zur Tür, jetzt wütender denn je. Und verwirrter. Sams Wärme fehlt mir jetzt schon, aber als ich ihn im Spiegel betrachte, liegt er immer noch im Bett, als wäre alles in Ordnung. Nur seine Augen reden, sie schreien sogar, aber ich will sie nicht hören.

Ich wollte Klarheit, einfach nur Klarheit, ich wollte, dass du mir sagst, dass du mich liebst, und dass wir es versuchen sollen! Sag es! Sag es, bevor ich zerbreche!

„Jules, glaub nicht, ich würde dich nicht lieben!“ Das ist so verkorkst, dass ich mich noch einmal umdrehe. Noch ein letztes Mal. Vielleicht sind wir heute einfach alle verrückt.

„Was willst du, Sam? Was willst du von mir?“ Er zuckt zusammen, weil meine Stimme so müde klingt.

„Ich will, dass du glücklich bist“, flüstert er und kommt mir entgegen, „Jules, ich will einfach nur, dass du glücklich bist. Ich liebe dich“, er bleibt stehen, wunderschön und warm und mit diesem strahlenden Lächeln, das meinen Tag jedes Mal retten kann. „Ich liebe dich seit dem ersten Tag. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, und ich werde es auch nicht mehr tun. Das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass du den Chef noch nie „Parker“ genannt hast. Du liebst ihn, Jules! Wenn…“

„Mein Gott, Sam, lass es!“ Ich versuche, ernst zu bleiben, aber da ist ein hysterisches, trockenes Lachen hinten in meiner Kehle, das herauswill. „Du musst mich nicht analysieren, das hat heute schon ein renommierter Militärpsychologe gemacht. Und gerufen wurde er von einem Mann, den ich geliebt habe, ja. Weil ich ihm vertraut habe.“ Sam schließt ergeben die Augen, als ich wieder lauter werde, weil ich es immer noch nicht fassen kann: „Jeden Tag vertrauen wir ihm unser Leben an, Sam, und dabei vertraut er sich selbst nicht genug, um dieses Team zu leiten! Er lässt uns in Gefahren laufen und glaubt nicht daran, dass er uns da wieder rausholen kann! Er bringt mein Team in Gefahr, Sam!“ Ich breche ab, als mir klar wird, was ich gerade gesagt habe. Ich habe meinen Boss des schlimmsten Verbrechens angeklagt, dass es gibt. Ich habe ihm vorgeworfen, „mein“ Team zu gefährden. Dabei ist es nicht mein Team. Es ist Eds Team, unser Team. Parkers Team.

Wieso hat er das getan? Was soll ich denn jetzt noch glauben?

Die letzte Frage flüstere ich vor mich hin, den Blick auf den Boden gerichtet. Sam hat Recht. Jetzt durchzudrehen, hilft nur Dr. Toth. Ich kann nichts tun. Das Team zerbricht, und ich kann nichts tun.

„Dass ich dich liebe.“ Ich schaue auf und Sam geht den letzten Schritt und nimmt mich in die Arme, und jetzt fühle ich, wie ich zerbreche, wie ich zusammenbreche unter diesem Tag, unter meinen Gefühlen, unter diesem ewigen Versteckspiel. Ich falle und lasse mich auffangen von einem Mann, der mich mehr liebt, als ich verdiene.

Unsere Körper passen perfekt zusammen. Ich bin klein, sogar für eine Frau, aber wir sind trotzdem wie füreinander geformt. Es gibt keinen Raum und keine Zeit zwischen uns, wenn Sam mich umarmt, da sind nur wir, und das ist das größte Geschenk, das mir das Leben machen kann.

„Entschuldige“, murmele ich, aber er schüttelt nur den Kopf und hält mich weiter, bis ich mich beruhige. Hinter meinem Ohr ist mein Haar feucht, und erst jetzt merke ich, dass auch Sam weint. Also halte ich ihn, bis er sich beruhigt, und langsam wird mir klar, dass er Recht hat.

Ich kann nicht Parker… ich kann nicht dem Chef die Schuld an allem geben. Ich kann ihm auch nicht verzeihen, nicht das, aber Sam hat Recht. Ich darf diesem Widerling – ja, ich meine Toth – nicht helfen, das Team zu zerstören. Ich muss an dem festhalten, was bleibt.

An Sam. Widerstandslos lasse ich mich zur Couch führen, und das leise Bedauern darüber, dass es nicht das Bett ist, verschwindet, als ich das zarte Funkeln in seinen Augen sehe. Ein Funkeln der Hoffnung ist es, das ich erst wahrgenommen habe, als wir zusammen waren. Einmal mehr an diesem Tag erlaube ich mir, in Sams Augen zu versinken, ich warte, bis der Funke überspringt, der auch mir sagt, es ist genug.

Es ist genug.

Woher der Gedanke genau kommt, weiß ich nicht. Aber er ist da, und ich spüre Sams Erleichterung, als er das Leuchten jetzt wohl auch in meinen Augen sieht.

Ich muss das Team retten. Irgendwo da draußen gibt es Hilfe, und die muss ich finden. Ich werde mein Team nicht im Stich lassen.

Ist das eine Art von Mutterinstinkt? Dass ich meine Jungs beschützen will, so wie sie immer wieder ihren Ritterinstinkt haben?

Spielt das überhaupt eine Rolle? Ich muss etwas tun.

Immer noch liegt Sams Hand in meiner, und ich küsse sie, stumm, weil ich keine Worte mehr finde für das, was er mir bedeutet. Sam lächelt. „Constable Callaghan?“

„Okay. Retten wir das Team!“
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast