Ningyou
von Holo25
Kurzbeschreibung
[Nurarihyon no Mago] Eigentlich sollte es ein ausgelassener Tag werden, schließlich finden die Feierlichkeiten zur Geburt des dritten Erben im Nura-Anwesen statt. Doch im Gyuuki-Clan treten Meinungsverschiedenheiten auf und während Mezumaru zwischen den Fronten steht, werden er und Gozumaru plötzlich mit einem Youkai konfrontiert, der seine ganz eigenen Pläne für die beiden hat.
GeschichteFreundschaft / P12 / Gen
30.08.2012
27.09.2012
5
8.034
1
30.08.2012
2.305
»Warum müssen wir ihm überhaupt ein Geburtsgeschenk überreichen? Es ist ja nicht so, als wäre schon sicher, dass er eines Tages den Nura-Clan übernehmen würde«, gab Gozumaru unwillig zu bedenken.
»Aber er ist der Sohn von Rihan, warum sollte er den Nura-Clan nicht irgendwann übernehmen?«, erkundigte sich Mezumaru verständnislos, während er neben ihm her trottete.
Gozumaru schnaubte jedoch nur.
»Ein Viertel Youkai, wie stellst du dir das vor?«
»Genug!«, fuhr Gyuuki dazwischen.
Lange Zeit hatte er der Diskussion der beiden stillschweigend gelauscht, doch anscheinend hatte Gozu sich mit der letzten Aussage etwas zu viel herausgenommen. Für Mezumaru kam dieser Umstand nicht überraschend, sein Partner besaß seit jeher ein aufbrausendes Temperament.
»Auch in Nura Rihan fließt Menschenblut und es hat ihm nicht geschadet«, stellte ihr Meister ernst klar.
Natürlich ließ Gozumaru es damit jedoch nicht auf sich bewenden.
»Die Hälfte ist immer noch etwas anderes, als Dreiviertel. Eine solche Menge kann auch der Youkai-Anteil nicht mehr ausgleichen.«
Mezumaru schaute verunsichert zwischen den beiden hin und her, wusste jedoch, dass es das Beste war, sich in derlei Auseinandersetzungen nicht einzumischen. Stattdessen richtete er lieber seine Aufmerksamkeit darauf, ihr Geschenk sicher vor sich herzutragen. Eingeschlagen in ein schlichtes Tuch ruhte eine blühende Chrysantheme in seinen Armen, die dem jungen Erben Glück und ein langes Leben wünschen sollte.
»Wichtig ist nicht, wie viel Youkai Blut durch seine Adern fließt, sondern das, was er daraus machen wird.«
»Was soll man aus dem bisschen schon machen?«, erwiderte er abfällig.
Mezumaru starrte besorgt zu seinem Kameraden, allmählich sollte dieser wirklich besser den Mund halten!
»Ich bin so aufgeregt, es ist schon so lange her, seit wir zuletzt im Haupthaus waren!«, schob er daher notgedrungen mit lauter Stimme ein.
»Ich werde nicht mit dir über ein solches Thema diskutieren, Gozumaru. Ich bin mir sicher, dass Rikuo einen Weg finden wird seine menschliche Seite zu seinem Vorteil zu nutzen.«
»Welche Vorteile kann ein Menschendasein schon bringen?«, die Verachtung in seinem Tonfall hätte Mezumaru nicht einmal überhören können, selbst wenn er es versucht hätte.
Der Youkai schluckte, als würde er sich zwischen diesen zwei Fronten nicht schon unwohl genug in seiner Haut fühlen. Ihm wollte aber auch keine Äußerung einfallen, mit welcher er die gesamte Situation hätte entschärfen können. Natürlich war er in derartigen Dingen noch nie sonderlich gewandt gewesen, aber einfach zuzusehen, wie Gozumaru sich immer weiter in den Schlamassel ritt, lag auch nicht in seiner Absicht.
»Woher nimmst du dir die Frechheit derartig über den Sohn des obersten Befehlshabers zu sprechen?! Ist dir bewusst, dass du damit auch gleichzeitig seinen und meinen Namen beschmutzt?«, brauste ihr Meister zornig auf, sodass nun selbst Gozu unter den harschen Worten zusammenzuckte.
Zum ersten Mal seit Beginn dieser Debatte, hatten sie aufgehört sich dem Anwesen des Nura-Clans zu nähern. Was selbstverständlich auch besser war, niemandem wäre geholfen, würden noch anderen Gozumarus abwertende Worte zu Ohren kommen. Innerlich flehte Mezumaru sein Partner würde es damit endlich auf sich beruhen lassen, doch wenn er ehrlich sein sollte, wusste er bereits wie die ganze Geschichte enden würde. Gozu kämpfte gedanklich sicherlich einmal mehr mit seinem Respekt gegenüber Meister Gyuuki und dem Clan und seiner eigenen Überzeugung. Allerdings würde es seinem Wesen widersprechen jetzt einfach kleinbeizugeben.
»Gozu«, zischte er dem anderen daher beschwörend zu.
»Es ist doch wahr! Wenn der Fluch nicht wäre, würde es ihn überhaupt nicht geben!«
Fassungslos musterte Mezu seinen Kameraden, dass dieser soweit gehen würde, hätte nicht einmal er vermutet. Der große Knall, den er auf diese Aussage hin erwartete, blieb allerdings aus. Besorgt musterte der Youkai den Anführer des Gyuukis-Clans, auf dessen Miene keine Regung auszumachen war.
»Wir werden darüber sprechen, sobald wir zurück auf Mt. Nejireme angekommen sind. Solange wirst du dich vom Hauptsitz des Nura-Clans fernhalten, haben wir uns verstanden?«
Dass Gyuuki seinen Ärger nicht öffentlich zeigte, verwandelte die Situation in etwas weitaus Bedrohliches. Beunruhigt schaute Mezumaru zu ihrem Meister auf.
»Warte hier auf unsere Rückkehr«, ordnete er streng an.
Auf Gozumarus Zügen spiegelten sich Unverständnis und Entsetzen, er schien bereits zu ahnen, dass ihn diesmal eine andere Strafe erwarten würde. Zwar kam es häufiger vor, dass Gozu seine klare Meinung schilderte, doch zollte er Gyuuki stets größten Respekt, diesen schien ihr Anführer in der letzten Aussage jedoch nicht mehr gesehen zu haben. Wie sollte er auch? Nicht einmal Mezumaru, – der kaum einen schlechten Gedanken über seinen Partner hegte, – hatte den kleinsten Funken Achtung in den letzten Worten vernommen.
Ihr Befehlshaber setzte sich wieder in Bewegung und ehe Mezumaru fähig war, etwas zur Verteidigung seines Kameraden vorzutragen oder diesem überhaupt etwas Aufmunterndes zu raunen konnte, durchschnitt Gyuukis Stimme bereits wieder die Stille:
»Komm, Mezumaru!«, befahl er ungeduldig.
Er schluckte schwer, ehe er einen kurzen Blick auf Gozumaru warf – der, wie erstarrt, Gyuukis Rücken fixierte – und anschließend der Aufforderung nachkam. Dass man sie seit geraumer Zeit beobachtete, war in dem allgemeinen Chaos keinem der drei aufgefallen.
Selbst nachdem Meister Gyuuki und Mezumaru längst aus seinem Blickfeld verschwunden waren, gelang es ihm nicht damit aufzuhören den Punkt anzustarren, an welchem er sie zuletzt ausgemacht hatte. Gekränkt verzog er das Gesicht, verharrte einige Sekunden vollkommen regungslos, ehe er zornig mit der Zunge schnalzte.
Hätte er etwa schweigen sollen?! Wer gab ihnen die Gewissheit, dass Rikuo den Nura-Clan nicht zu Grunde richtete, wenn er ihn eines Tages tatsächlich übernehmen sollte? Welcher Youkai würde schon einem Menschen folgen? Und welche Youkai würden einen solchen Befehlshaber dulden?
Diese Fragen durften nicht ignoriert werden! Wäre der Gyuuki-Clan nicht Teil dieser ganzen Misere hätte ihn der Umstand, dass in Rihans Sohn mehr Menschen- als Youkai-Blut floss, kaum gekümmert; doch so würde ihr Clan zwangsläufig mit dem Erben untergehen, sollte sich seine Besetzung als Dritter irgendwann als Fehler herausstellen.
»Welch grausame Vorstellung«, bemerkte eine Frauenstimme mitleidig.
Gozumaru fuhr abrupt herum. Erst in diesem Augenblick, wurde er sich des Nebels gewahr, der den Park umhüllte wie ein dichter Mantel. Die leeren Straßen und die unheimliche Stille, trugen nicht sonderlich dazu bei, um die seltsame Begegnung als etwas Belangloses abzutun. Denn da stand sie, eine junge Frau die ihn mit einem wissenden Blick bedachte. Das dunkle Haar ergoss sich über ihre schmalen Schultern. Ein purpurner Kimono, die Farbe stark verblichen, umhüllte ihren schlanken Leib – dessen gepunktetes Muster, welches eine Blume unterhalb ihrer Taille formte, ihn überraschenderweise an die Edo-Periode erinnerte. Ihre Schritte hallten seltsam verzerrt in seinen Ohren wider.
Gozumarus Körper spannte sich augenblicklich an, als sie wenige Meter vor ihm zum Stehen kam, in einer anmutigen Geste den Kopf schieflegte und ihm ein geheimnisvolles Lächeln schenkte. Ihre roten Augen, zeugten nur zu deutlich von ihrer Natur. Youkai.
»Da schenkst du deinem Clan die Aufmerksamkeit und Sorge die ihm gebührt und dies ist der Dank? Wie herzlos«, stellte sie bedauernd fest.
Ein eigenartiger moschusähnlicher Geruch stach ihm in die Nase, sobald sie die Hand austreckte, um ihn an der Schulter zu berühren. Als plötzlicher Schwindel ihn packte und er einen unsicheren Schritt zurücktaumeln musste, damit er nicht das Gleichgewicht verlor, erkannte er im selben Herzschlag die Ursache. Eiligst fuhren die Finger seiner Linken zu seinem Gesicht und bedeckten Mund und Nase, während seine Rechte nach dem Griff seines Katanas suchte.
Ihre Hand zuckte unter seiner Reaktion hastig zurück, gleichzeitig schlich sich ein entschuldigendes Schmunzeln auf ihre Lippen.
»Verzeih, ich vergesse stets, welche Wirkung meine Nähe bei anderen auslöst.«
Obwohl sich bei ihrem Anblick instinktiv alle seine Nackenhärchen aufstellten, befand er dennoch, dass sie fürs erste keine Gefahr darstellte.
»Wer bist du?«, erkundigte er sich argwöhnisch.
Als habe sie nur auf diese Frage gewartet, neigte sie leicht die Knie für einen ehrerbietigen Knicks.
»Man nennt mich Touki, den Puppen-Youkai, vermutlich wirst du noch nichts von mir gehört haben«, gab sie gelassen preis. »Ich bin auf der Suche nach Youkai, denen es so ergeht wie mir. Die ihre Liebe und Aufopferung denjenigen schenken, die sie nur verraten und im Stich lassen werden.«
Gozumaru zog skeptisch die Brauen hoch.
»Dann hast du dir heute den Falschen ausgesucht«, stellte er deutlich klar.
Nur weil Gyuuki und er nicht einer Meinung waren, bedeutete dies noch lange nicht, dass seine Hingabe für den Clan nicht gewürdigt wurde. Außerdem besaß er in Mezumaru noch immer einen Kameraden, der niemals von seiner Seite weichen würde.
»Tatsächlich«, Erstaunen zeichnete sich auf Toukis Miene ab. Dieser Zustand hielt allerdings keine drei Herzschläge. »Einstmals habe ich ebenfalls gedacht, die Liebe zu meiner Herrin könne durch nichts gebrochen werden, aber wie so viele andere, habe ich mich getäuscht. Solange sie meine Gegenwart benötigte, war ich ihr das Teuerste der Welt, doch sobald sie einen besseren Gefährten fand, bedurfte sie meine Anwesenheit nicht länger.«
»Belästige einen anderen mit deinem Gejammer der Vergangenheit!«, fauchte er sie ungehalten an, bevor sie ihre Erzählung fortsetzen konnte.
Es zeigte sich nur zu deutlich, worauf sie hinaus wollte, allerdings war er niemand der so einfach auf derartige Tricks ansprang.
Touki betrachtete ihn mit schiefgelegtem Haupt. Gozumaru begegnete ihren ausdruckslosen Augen ohne Furcht. Er zählte zu einem der größten Krieger des Gyuuki-Clans, von einer solchen Youkai würde er sich daher gewiss nicht einschüchtern lassen. Dennoch entpuppte sich ihre nächste Handlung selbst für ihn als unvorhersehbar. Von einer Sekunde zur nächsten lagen ihre Lippen an seinem Ohr. Der moschusähnliche Duft stach ihm sofort in die Nase, schien sich in seinem gesamten Körper einzunisten und lähmte seine Glieder. Erschüttert riss er die Lider auf, während ihr warmer Atem gegen seine Haut schlug.
»Auch dich werden sie hintergehen, du wirst es sehen«, prophezeite sie ihm wissend.
So rasch sie gekommen war, so schnell verschwand sie auch wieder. Während die Wirkung ihres Geruchs nur langsam seinen Körper verließ und Gozumaru benommen strauchelte, verschwand ihre Gestalt bereits in den dichten Nebelschwaden. Einzig ein unangenehmes Hämmern blieb in seinem Kopf zurück.
Mezumaru gelang es kaum sich auf die Begrüßung der übrigen Youkai des Nura-Clans zu konzentrieren. Seine Gedanken kreisten weiterhin um die Auseinandersetzung Gyuukis und Gozumarus. Er hatte bereits beschlossen heimlich die Feierlichkeiten zu verlassen, sobald sich ihm eine Gelegenheit bot. Ihm behagte der Gedanke nicht, dass Gozumaru die ganze Zeit allein auf ihre Rückkehr warten musste. Eigentlich gab es zwar keinen Grund sich um den anderen zu sorgen, immerhin war dieser weiteraus stärker als Mezumaru selbst, und dennoch… Vielleicht konnte er Gozu ja dazu überreden in dem späteren Gespräch mit Meister Gyuuki von selbst etwas einzulenken.
Sogleich als sie an der Reihe waren ihr Geschenk zu überreichen straffte er mühsam die Schultern und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen vor sich. Gyuuki hielt vor den Anwesenden eine kurze Rede über die Bedeutung der Chrysantheme und Mezumaru kam seiner Aufgabe gewissenhaft nach und legte ehrerbietig die Blume vor dem Säugling nieder. In den Armen der Mutter und an der Seite des Vaters schien der Junge sich vollkommen sicher zu fühlen und lachte vergnügt, als Mezu den Kopf hob, um den zukünftigen Erben zu betrachten. Rein äußerlich konnte man bereits jetzt erkennen, dass Rikuo mehr nach seiner Mutter als dem Vater schlug. Ein Menschenjunge durch und durch, aber trotz dessen furchtlos im Angesicht all der unterschiedlichen Youkai, die am heutigen Tage das Anwesen des Nura-Clans besuchten, um dem Kind ihre Achtung vor diesem und dem Clan zu bestätigen.
In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, wie richtig Gyuuki mit seinen Worten lag. Dem Kind Schwäche zu unterstellen, bevor es die Möglichkeit erhalten hatte sich zu beweisen, war vollkommen unangebracht. Sie mussten abwarten, was Rikuo mit dem Viertel Youkai-Blut anstellte, das durch seine Adern rann.
Es nahm eine beträchtliche Zeit in Anspruch, bis jeder der anwesenden Clan-Führer dem jungen Erben ein Geburtsgeschenk überreicht hatte, sodass Rikuo die letzten beiden sogar verschlief. Doch nach Aushändigung der unterschiedlichsten Präsente, war der Feierlichkeit selbstverständlich noch nicht beendet. Ein großes Fest, welches bis zum morgigen Tag reichen würde, sollte folgen. Während also Sake ausgeschenkt wurde und die Gäste die Geburt des Kindes auf die Art feierten, wie es in ihrer Sippe so Brauch sein musste, ließ sich Gyuuki an der Seite Nurarihyons nieder.
Mezumaru selbst mied das ausgelassene Treiben, verzog sich in eine Ecke und wartete auf eine günstige Gelegenheit, um die Feier zu verlassen. Sofort nach Beginn bereits zu verschwinden, würde kein gutes Licht auf ihren Clan werfen und kurz vor Ende könnte Meister Gyuuki ihn daran hindern.
Allerdings stellte es sich für ihn beinahe als unmöglich heraus, einen geeigneten Moment abzupassen, zu sehr beunruhigte ihn der heutige Streit, als dass er gelassen auf einen solchen Zeitpunkt warten konnte. Ungeduldig wanderte sein Blick immer wieder nach draußen, doch die Sonne war noch nicht einmal untergangen. Sobald der Horizont sich endlich rötlich färbte und die Sonne gänzlich hinter diesem verschwand und nur noch ein schwaches Leuchten am Himmel erzeugen konnte, hielt Mezumaru es schließlich nicht länger aus. Bedacht darauf, sich unauffällig zu verhalten, ließ er die Räumlichkeiten mit den feiernden Youkai hinter sich, nur um direkt in Nura Rihan hineinzulaufen. Er schluckte erschrocken.
»V…ver… verzeiht mir, o… oberster Befehlshaber!«, stammelte er verunsichert und neigte hastig den Rücken.
»Wo ist dein Partner?«, erkundigte sich sein Gegenüber wenige Wimpernschläge später.
Verstört schaute Mezumaru zu dem hochgewachsenen Youkai auf, der ihn aus einem geöffneten Auge prüfend beobachtete. Und jetzt? Er konnte wohl kaum zugeben, dass Gozumaru nicht hier war, weil er Rikuo nicht als Erben akzeptieren wollte. Aber den Anführer des Nura-Clans zu belügen kam ebenfalls nicht in Frage. Sein Mund fühlte sich unvermittelt furchtbar trocken an.
»Ähm…, er…, er…«, stotterte er gezwungen, indessen überschlugen sich seine Gedanken, als er nach einer Erklärung suchte, die weder alles aussagte, noch als Lüge gewertet werden konnte. »Er und Gyuuki-sama hatten eine kleine… Auseinandersetzung und… und Gozu… er… hat Dinge gesagt, die er nicht hätte sagen sollen«, antwortete er leise.
»Nun, dann hoffe ich, dass die beiden ihre Differenzen bald klären können.«
Verwirrt folgten Mezumarus Augen dem obersten Befehlshaber, als dieser, im Anschluss an jene Aussage, einfach an ihm vorüber schritt.
»Aber er ist der Sohn von Rihan, warum sollte er den Nura-Clan nicht irgendwann übernehmen?«, erkundigte sich Mezumaru verständnislos, während er neben ihm her trottete.
Gozumaru schnaubte jedoch nur.
»Ein Viertel Youkai, wie stellst du dir das vor?«
»Genug!«, fuhr Gyuuki dazwischen.
Lange Zeit hatte er der Diskussion der beiden stillschweigend gelauscht, doch anscheinend hatte Gozu sich mit der letzten Aussage etwas zu viel herausgenommen. Für Mezumaru kam dieser Umstand nicht überraschend, sein Partner besaß seit jeher ein aufbrausendes Temperament.
»Auch in Nura Rihan fließt Menschenblut und es hat ihm nicht geschadet«, stellte ihr Meister ernst klar.
Natürlich ließ Gozumaru es damit jedoch nicht auf sich bewenden.
»Die Hälfte ist immer noch etwas anderes, als Dreiviertel. Eine solche Menge kann auch der Youkai-Anteil nicht mehr ausgleichen.«
Mezumaru schaute verunsichert zwischen den beiden hin und her, wusste jedoch, dass es das Beste war, sich in derlei Auseinandersetzungen nicht einzumischen. Stattdessen richtete er lieber seine Aufmerksamkeit darauf, ihr Geschenk sicher vor sich herzutragen. Eingeschlagen in ein schlichtes Tuch ruhte eine blühende Chrysantheme in seinen Armen, die dem jungen Erben Glück und ein langes Leben wünschen sollte.
»Wichtig ist nicht, wie viel Youkai Blut durch seine Adern fließt, sondern das, was er daraus machen wird.«
»Was soll man aus dem bisschen schon machen?«, erwiderte er abfällig.
Mezumaru starrte besorgt zu seinem Kameraden, allmählich sollte dieser wirklich besser den Mund halten!
»Ich bin so aufgeregt, es ist schon so lange her, seit wir zuletzt im Haupthaus waren!«, schob er daher notgedrungen mit lauter Stimme ein.
»Ich werde nicht mit dir über ein solches Thema diskutieren, Gozumaru. Ich bin mir sicher, dass Rikuo einen Weg finden wird seine menschliche Seite zu seinem Vorteil zu nutzen.«
»Welche Vorteile kann ein Menschendasein schon bringen?«, die Verachtung in seinem Tonfall hätte Mezumaru nicht einmal überhören können, selbst wenn er es versucht hätte.
Der Youkai schluckte, als würde er sich zwischen diesen zwei Fronten nicht schon unwohl genug in seiner Haut fühlen. Ihm wollte aber auch keine Äußerung einfallen, mit welcher er die gesamte Situation hätte entschärfen können. Natürlich war er in derartigen Dingen noch nie sonderlich gewandt gewesen, aber einfach zuzusehen, wie Gozumaru sich immer weiter in den Schlamassel ritt, lag auch nicht in seiner Absicht.
»Woher nimmst du dir die Frechheit derartig über den Sohn des obersten Befehlshabers zu sprechen?! Ist dir bewusst, dass du damit auch gleichzeitig seinen und meinen Namen beschmutzt?«, brauste ihr Meister zornig auf, sodass nun selbst Gozu unter den harschen Worten zusammenzuckte.
Zum ersten Mal seit Beginn dieser Debatte, hatten sie aufgehört sich dem Anwesen des Nura-Clans zu nähern. Was selbstverständlich auch besser war, niemandem wäre geholfen, würden noch anderen Gozumarus abwertende Worte zu Ohren kommen. Innerlich flehte Mezumaru sein Partner würde es damit endlich auf sich beruhen lassen, doch wenn er ehrlich sein sollte, wusste er bereits wie die ganze Geschichte enden würde. Gozu kämpfte gedanklich sicherlich einmal mehr mit seinem Respekt gegenüber Meister Gyuuki und dem Clan und seiner eigenen Überzeugung. Allerdings würde es seinem Wesen widersprechen jetzt einfach kleinbeizugeben.
»Gozu«, zischte er dem anderen daher beschwörend zu.
»Es ist doch wahr! Wenn der Fluch nicht wäre, würde es ihn überhaupt nicht geben!«
Fassungslos musterte Mezu seinen Kameraden, dass dieser soweit gehen würde, hätte nicht einmal er vermutet. Der große Knall, den er auf diese Aussage hin erwartete, blieb allerdings aus. Besorgt musterte der Youkai den Anführer des Gyuukis-Clans, auf dessen Miene keine Regung auszumachen war.
»Wir werden darüber sprechen, sobald wir zurück auf Mt. Nejireme angekommen sind. Solange wirst du dich vom Hauptsitz des Nura-Clans fernhalten, haben wir uns verstanden?«
Dass Gyuuki seinen Ärger nicht öffentlich zeigte, verwandelte die Situation in etwas weitaus Bedrohliches. Beunruhigt schaute Mezumaru zu ihrem Meister auf.
»Warte hier auf unsere Rückkehr«, ordnete er streng an.
Auf Gozumarus Zügen spiegelten sich Unverständnis und Entsetzen, er schien bereits zu ahnen, dass ihn diesmal eine andere Strafe erwarten würde. Zwar kam es häufiger vor, dass Gozu seine klare Meinung schilderte, doch zollte er Gyuuki stets größten Respekt, diesen schien ihr Anführer in der letzten Aussage jedoch nicht mehr gesehen zu haben. Wie sollte er auch? Nicht einmal Mezumaru, – der kaum einen schlechten Gedanken über seinen Partner hegte, – hatte den kleinsten Funken Achtung in den letzten Worten vernommen.
Ihr Befehlshaber setzte sich wieder in Bewegung und ehe Mezumaru fähig war, etwas zur Verteidigung seines Kameraden vorzutragen oder diesem überhaupt etwas Aufmunterndes zu raunen konnte, durchschnitt Gyuukis Stimme bereits wieder die Stille:
»Komm, Mezumaru!«, befahl er ungeduldig.
Er schluckte schwer, ehe er einen kurzen Blick auf Gozumaru warf – der, wie erstarrt, Gyuukis Rücken fixierte – und anschließend der Aufforderung nachkam. Dass man sie seit geraumer Zeit beobachtete, war in dem allgemeinen Chaos keinem der drei aufgefallen.
Selbst nachdem Meister Gyuuki und Mezumaru längst aus seinem Blickfeld verschwunden waren, gelang es ihm nicht damit aufzuhören den Punkt anzustarren, an welchem er sie zuletzt ausgemacht hatte. Gekränkt verzog er das Gesicht, verharrte einige Sekunden vollkommen regungslos, ehe er zornig mit der Zunge schnalzte.
Hätte er etwa schweigen sollen?! Wer gab ihnen die Gewissheit, dass Rikuo den Nura-Clan nicht zu Grunde richtete, wenn er ihn eines Tages tatsächlich übernehmen sollte? Welcher Youkai würde schon einem Menschen folgen? Und welche Youkai würden einen solchen Befehlshaber dulden?
Diese Fragen durften nicht ignoriert werden! Wäre der Gyuuki-Clan nicht Teil dieser ganzen Misere hätte ihn der Umstand, dass in Rihans Sohn mehr Menschen- als Youkai-Blut floss, kaum gekümmert; doch so würde ihr Clan zwangsläufig mit dem Erben untergehen, sollte sich seine Besetzung als Dritter irgendwann als Fehler herausstellen.
»Welch grausame Vorstellung«, bemerkte eine Frauenstimme mitleidig.
Gozumaru fuhr abrupt herum. Erst in diesem Augenblick, wurde er sich des Nebels gewahr, der den Park umhüllte wie ein dichter Mantel. Die leeren Straßen und die unheimliche Stille, trugen nicht sonderlich dazu bei, um die seltsame Begegnung als etwas Belangloses abzutun. Denn da stand sie, eine junge Frau die ihn mit einem wissenden Blick bedachte. Das dunkle Haar ergoss sich über ihre schmalen Schultern. Ein purpurner Kimono, die Farbe stark verblichen, umhüllte ihren schlanken Leib – dessen gepunktetes Muster, welches eine Blume unterhalb ihrer Taille formte, ihn überraschenderweise an die Edo-Periode erinnerte. Ihre Schritte hallten seltsam verzerrt in seinen Ohren wider.
Gozumarus Körper spannte sich augenblicklich an, als sie wenige Meter vor ihm zum Stehen kam, in einer anmutigen Geste den Kopf schieflegte und ihm ein geheimnisvolles Lächeln schenkte. Ihre roten Augen, zeugten nur zu deutlich von ihrer Natur. Youkai.
»Da schenkst du deinem Clan die Aufmerksamkeit und Sorge die ihm gebührt und dies ist der Dank? Wie herzlos«, stellte sie bedauernd fest.
Ein eigenartiger moschusähnlicher Geruch stach ihm in die Nase, sobald sie die Hand austreckte, um ihn an der Schulter zu berühren. Als plötzlicher Schwindel ihn packte und er einen unsicheren Schritt zurücktaumeln musste, damit er nicht das Gleichgewicht verlor, erkannte er im selben Herzschlag die Ursache. Eiligst fuhren die Finger seiner Linken zu seinem Gesicht und bedeckten Mund und Nase, während seine Rechte nach dem Griff seines Katanas suchte.
Ihre Hand zuckte unter seiner Reaktion hastig zurück, gleichzeitig schlich sich ein entschuldigendes Schmunzeln auf ihre Lippen.
»Verzeih, ich vergesse stets, welche Wirkung meine Nähe bei anderen auslöst.«
Obwohl sich bei ihrem Anblick instinktiv alle seine Nackenhärchen aufstellten, befand er dennoch, dass sie fürs erste keine Gefahr darstellte.
»Wer bist du?«, erkundigte er sich argwöhnisch.
Als habe sie nur auf diese Frage gewartet, neigte sie leicht die Knie für einen ehrerbietigen Knicks.
»Man nennt mich Touki, den Puppen-Youkai, vermutlich wirst du noch nichts von mir gehört haben«, gab sie gelassen preis. »Ich bin auf der Suche nach Youkai, denen es so ergeht wie mir. Die ihre Liebe und Aufopferung denjenigen schenken, die sie nur verraten und im Stich lassen werden.«
Gozumaru zog skeptisch die Brauen hoch.
»Dann hast du dir heute den Falschen ausgesucht«, stellte er deutlich klar.
Nur weil Gyuuki und er nicht einer Meinung waren, bedeutete dies noch lange nicht, dass seine Hingabe für den Clan nicht gewürdigt wurde. Außerdem besaß er in Mezumaru noch immer einen Kameraden, der niemals von seiner Seite weichen würde.
»Tatsächlich«, Erstaunen zeichnete sich auf Toukis Miene ab. Dieser Zustand hielt allerdings keine drei Herzschläge. »Einstmals habe ich ebenfalls gedacht, die Liebe zu meiner Herrin könne durch nichts gebrochen werden, aber wie so viele andere, habe ich mich getäuscht. Solange sie meine Gegenwart benötigte, war ich ihr das Teuerste der Welt, doch sobald sie einen besseren Gefährten fand, bedurfte sie meine Anwesenheit nicht länger.«
»Belästige einen anderen mit deinem Gejammer der Vergangenheit!«, fauchte er sie ungehalten an, bevor sie ihre Erzählung fortsetzen konnte.
Es zeigte sich nur zu deutlich, worauf sie hinaus wollte, allerdings war er niemand der so einfach auf derartige Tricks ansprang.
Touki betrachtete ihn mit schiefgelegtem Haupt. Gozumaru begegnete ihren ausdruckslosen Augen ohne Furcht. Er zählte zu einem der größten Krieger des Gyuuki-Clans, von einer solchen Youkai würde er sich daher gewiss nicht einschüchtern lassen. Dennoch entpuppte sich ihre nächste Handlung selbst für ihn als unvorhersehbar. Von einer Sekunde zur nächsten lagen ihre Lippen an seinem Ohr. Der moschusähnliche Duft stach ihm sofort in die Nase, schien sich in seinem gesamten Körper einzunisten und lähmte seine Glieder. Erschüttert riss er die Lider auf, während ihr warmer Atem gegen seine Haut schlug.
»Auch dich werden sie hintergehen, du wirst es sehen«, prophezeite sie ihm wissend.
So rasch sie gekommen war, so schnell verschwand sie auch wieder. Während die Wirkung ihres Geruchs nur langsam seinen Körper verließ und Gozumaru benommen strauchelte, verschwand ihre Gestalt bereits in den dichten Nebelschwaden. Einzig ein unangenehmes Hämmern blieb in seinem Kopf zurück.
Mezumaru gelang es kaum sich auf die Begrüßung der übrigen Youkai des Nura-Clans zu konzentrieren. Seine Gedanken kreisten weiterhin um die Auseinandersetzung Gyuukis und Gozumarus. Er hatte bereits beschlossen heimlich die Feierlichkeiten zu verlassen, sobald sich ihm eine Gelegenheit bot. Ihm behagte der Gedanke nicht, dass Gozumaru die ganze Zeit allein auf ihre Rückkehr warten musste. Eigentlich gab es zwar keinen Grund sich um den anderen zu sorgen, immerhin war dieser weiteraus stärker als Mezumaru selbst, und dennoch… Vielleicht konnte er Gozu ja dazu überreden in dem späteren Gespräch mit Meister Gyuuki von selbst etwas einzulenken.
Sogleich als sie an der Reihe waren ihr Geschenk zu überreichen straffte er mühsam die Schultern und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen vor sich. Gyuuki hielt vor den Anwesenden eine kurze Rede über die Bedeutung der Chrysantheme und Mezumaru kam seiner Aufgabe gewissenhaft nach und legte ehrerbietig die Blume vor dem Säugling nieder. In den Armen der Mutter und an der Seite des Vaters schien der Junge sich vollkommen sicher zu fühlen und lachte vergnügt, als Mezu den Kopf hob, um den zukünftigen Erben zu betrachten. Rein äußerlich konnte man bereits jetzt erkennen, dass Rikuo mehr nach seiner Mutter als dem Vater schlug. Ein Menschenjunge durch und durch, aber trotz dessen furchtlos im Angesicht all der unterschiedlichen Youkai, die am heutigen Tage das Anwesen des Nura-Clans besuchten, um dem Kind ihre Achtung vor diesem und dem Clan zu bestätigen.
In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, wie richtig Gyuuki mit seinen Worten lag. Dem Kind Schwäche zu unterstellen, bevor es die Möglichkeit erhalten hatte sich zu beweisen, war vollkommen unangebracht. Sie mussten abwarten, was Rikuo mit dem Viertel Youkai-Blut anstellte, das durch seine Adern rann.
Es nahm eine beträchtliche Zeit in Anspruch, bis jeder der anwesenden Clan-Führer dem jungen Erben ein Geburtsgeschenk überreicht hatte, sodass Rikuo die letzten beiden sogar verschlief. Doch nach Aushändigung der unterschiedlichsten Präsente, war der Feierlichkeit selbstverständlich noch nicht beendet. Ein großes Fest, welches bis zum morgigen Tag reichen würde, sollte folgen. Während also Sake ausgeschenkt wurde und die Gäste die Geburt des Kindes auf die Art feierten, wie es in ihrer Sippe so Brauch sein musste, ließ sich Gyuuki an der Seite Nurarihyons nieder.
Mezumaru selbst mied das ausgelassene Treiben, verzog sich in eine Ecke und wartete auf eine günstige Gelegenheit, um die Feier zu verlassen. Sofort nach Beginn bereits zu verschwinden, würde kein gutes Licht auf ihren Clan werfen und kurz vor Ende könnte Meister Gyuuki ihn daran hindern.
Allerdings stellte es sich für ihn beinahe als unmöglich heraus, einen geeigneten Moment abzupassen, zu sehr beunruhigte ihn der heutige Streit, als dass er gelassen auf einen solchen Zeitpunkt warten konnte. Ungeduldig wanderte sein Blick immer wieder nach draußen, doch die Sonne war noch nicht einmal untergangen. Sobald der Horizont sich endlich rötlich färbte und die Sonne gänzlich hinter diesem verschwand und nur noch ein schwaches Leuchten am Himmel erzeugen konnte, hielt Mezumaru es schließlich nicht länger aus. Bedacht darauf, sich unauffällig zu verhalten, ließ er die Räumlichkeiten mit den feiernden Youkai hinter sich, nur um direkt in Nura Rihan hineinzulaufen. Er schluckte erschrocken.
»V…ver… verzeiht mir, o… oberster Befehlshaber!«, stammelte er verunsichert und neigte hastig den Rücken.
»Wo ist dein Partner?«, erkundigte sich sein Gegenüber wenige Wimpernschläge später.
Verstört schaute Mezumaru zu dem hochgewachsenen Youkai auf, der ihn aus einem geöffneten Auge prüfend beobachtete. Und jetzt? Er konnte wohl kaum zugeben, dass Gozumaru nicht hier war, weil er Rikuo nicht als Erben akzeptieren wollte. Aber den Anführer des Nura-Clans zu belügen kam ebenfalls nicht in Frage. Sein Mund fühlte sich unvermittelt furchtbar trocken an.
»Ähm…, er…, er…«, stotterte er gezwungen, indessen überschlugen sich seine Gedanken, als er nach einer Erklärung suchte, die weder alles aussagte, noch als Lüge gewertet werden konnte. »Er und Gyuuki-sama hatten eine kleine… Auseinandersetzung und… und Gozu… er… hat Dinge gesagt, die er nicht hätte sagen sollen«, antwortete er leise.
»Nun, dann hoffe ich, dass die beiden ihre Differenzen bald klären können.«
Verwirrt folgten Mezumarus Augen dem obersten Befehlshaber, als dieser, im Anschluss an jene Aussage, einfach an ihm vorüber schritt.