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The other side

von Dunathon
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer, Fantasy / P16 / Gen
14.08.2012
22.10.2013
12
24.463
1
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Dieses Kapitel
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14.08.2012 5.065
 
Raissa wartete am Bahnhof, ein bisschen ungeduldig, denn es war eiskalt, aber sie hatte Sara versprochen, sie abzuholen, wenn die Achtzehnjährige sie schon besuchen kam. Immerhin war es eine ganz schön weite Fahrt mit dem Zug von Lünen bis nach Grünstadt und auch, wenn es noch so kalt war, Raissa wollte ihre Freundin nur ungern einfach so am Bahnhof stehen lassen. Sie war zu Fuß gekommen, durch den frischen Schnee, der letzte Nacht gefallen war. Drei Kilometer über einen schmutzigen Feldweg, der in der Mittagssonne durch den frischen Schnee jedoch etwas unleugbar magisches gehabt hatte. Die Jugendliche hatte ihn heute mit ganz anderen Augen als sonst betrachtet, dabei fuhr sie den Weg während der Schulzeit täglich bis zum Gymnasium, wo sie nach den nächsten Sommerferien in die Oberstufe kommen sollte. Wirklich freuen konnte sie sich darüber nicht, das würde mit Sicherheit ihre härteste Zeit an der Schule werden, auch, wenn sie die schlimmsten Fächer abwählen würde.
Sie seufzte, während sie mit den Händen über ihre Oberarme rubbelte und sich stumm verfluchte, weil sie heute ihr Lieblingsshirt angezogen hatte, schwarz und am Rücken, den Armen und im Aufschnitt wild aufgeschlitzt. Es sah mit Sicherheit verwegen aus, aber für diese Jahreszeit war es ein bisschen kühl und Raissa hatte das Gefühl, als würden ihr beide Arme abfrieren, genau wie die Fingerspitzen. Die Handschuhe, welche die Sechzehnjährige trug, ebenfalls schwarz, aus Leder und mit Nieten, schützten nämlich, ähnlich wie Fahrradhandschuhe, zwar die Hand, aber nicht die jeweils oberen beiden Fingerglieder. Die Hosen und Schuhe wahren schon eher wintertauglich und, wie auch Shirt, Handschuhe und Mütze, schwarz. Raissas Haare waren frisch gefärbt, in einem dunklen Braunton, fast schon schwarz. Im krassen Gegensatz dazu stand ihre Haut, durch die ewige Zeit in ihrem Zimmer relativ hell.

Das Mädchen setzte sich auf eine der Metallbänke und wartete, zehn Minuten, zwanzig, dreißig, aber der Zug kam und kam nicht.... eine volle Stunde später stand sie wieder auf, ging eine Weile auf und ab und schließlich zur Informationsstelle, erstens, weil es dort warm war, und zweitens, weil sie wissen wollte, warum der Zug immer noch nicht angekommen war, obwohl er schon eine volle Stunde Verspätung hatte. Sie öffnete die Glastür und sprach den jungen Mann, der an einem grauen Schreibtisch saß und sie verblüffend an ihren Freund erinnerte, sofort an: „Entschuldigung. Ich warte jetzt schon eine volle Stunde auf den Zug aus Monsheim, aber er ist immer noch nicht angekommen.“ „Oh, das tut mir furchtbar leid, aber wegen eines technischen Fehlers wird der nächste Zug von dort voraussichtlich heute Abend um 20:15 Uhr eintreffen“, erklärte der junge Mann und Raissa nickte dankend, bevor sie sich verabschiedete und zu einem Eiscafé nicht so weit entfernt vom Bahnhof lief, wo sie einen Kaffee nach dem anderen bestellte und bis acht Uhr wartete.
Dann bezahlte Raissa und machte sich relativ gemächlich auf den Weg zurück zum Bahnhof, um auf Saras Ankunft zu warten, schließlich wollte sie ihre Freundin nicht warten lassen, welche wahrscheinlich schon stundenlang im stehenden Zug gesessen und sich gelangweilt hatte, lächerlich, wenn man bedachte, dass dieses letzte Stück von Monsheim nach Grünstadt grade mal 15 Minuten hätte dauern sollen, aus denen letztendlich 6 Stunden und 15 Minuten geworden waren. Die Sechzehnjährige hüpfte von einem Bein aufs andere, sie war noch hibbeliger, als sie es noch vor sechs Stunden gewesen war, was aber wahrscheinlich an den Unmengen an Kaffee gelegen haben dürfte, die sie getrunken hatte, während sie im Café sitzend wartete.
Dann, endlich, kam der Zug an, auf Gleis 7. Raissa rannte die Treppe runter, durch die Unterführung und zwischen Gleis 4 und 7 wieder hoch, ihr Blick wechselte zwischen den drei Zugtüren, bis sie in der mittleren, direkt vor sich, Sara zwischen all den anderen entdeckte. Sie überlegte nicht lange und kaum war die Achtzehnjährige aus dem Zug gestiegen, umarmte Raissa sie auch schon mit festem Griff und breitem Grinsen, bevor sie fragte: „Wie war die Fahrt?“ „Wie wohl“, Sara sah reichlich angepisst aus und klang auch so: „Ich habe sechs Stunden, sechs verfickte Stunden gewartet, bis der blöde Zug abgefahren ist! Wo gibt’s denn so was??“ „Bei der Deutschen Bahn“, antwortete Raissa und nach einem kurzen Moment fingen beide Mädchen an, schallend zu lachen, bevor die ältere fragte: „Hast du mit den Klamotten sechs Stunden hier gewartet, bis der Zug kam?“ „Nö, ich hab mich in’n Eiscafé gesetzt“, entgegnete die Blauäugige mit einem geradezu hämischen Lächeln und man sah Sara an, dass sie zwischen Wut und Belustigung schwankte. Letztendlich kam wohl doch die Wut bei ihr durch. „DU BLÖDES ARSCHLOCH!“, schrie sie der Jüngeren ins Gesicht, begann aber auch im nächsten Moment schon wieder, schallend zu lachen und Raissa stimmte mit ein. Dass alle die beiden anstarrten, kümmerte die Mädchen nicht und sie lachten, bis sie keine Luft mehr bekamen.
„Ich freu mich, dich zu sehen“, sagte Raissa, nachdem sie ein paar mal nach Luft geschnappt hatte, sie hielt sich, genau wie Sara auch, den vor Lachen schmerzenden Bauch, sie atmete noch mal tief durch, bevor sie fortfuhr: „Wir müssen jetzt noch etwa drei Kilometer laufen, bis wir in Albsheim bin, soll ich deine Tasche nehmen?“ „Joa“, entgegnete Sara immer noch kichernd und drückte ihr die etwa 15 kg schwere Tasche in die Hand. Raissa fluchte und gab sich Mühe, das Ding nicht fallen zu lassen, weil sie mit einem viel geringeren Gewicht gerechnet hatte. Sie fragte mit leicht verblüfftem Gesichtsausdruck: „Was hast du denn da drin?? Blei??“ „Vielleicht“, antwortete die ältere grinsend und folgte der dunkelhaarigen, während die mit der Tasche über der Schulter voranging. Nur zu gerne hätte die Gymnasiastin ihr gesagt, dass sie dieses schwere Ding selbst schleppen solle, aber zum einen war Sara der Gast und zum anderen wurde ihr durch das Tragen wenigstens ein bisschen wärmer, wenn auch nicht viel, aber sie war ja selbst schuld, also warum sich beschweren.
Erst beim Feldweg fiel Raissa auf, dass wohl noch mehr Schnee gefallen sein musste, während sie gewartet hatte. Kaum hörte der betonierte Weg, der mit Salz gestreut worden war, auf, begann eine etwa 40 Zentimeter dicke Schneeschicht, noch unberührt und die beiden Mädchen starrten ungläubig darauf. Sara blickte Raissa nach einer Weile völlig fassungslos an. „DA müssen wir durch??“ „Scheint so, leider. Lauf hinter mir, dann wird deine Hose nicht ganz so nass“, brummte die Jüngere, selbst leicht überrascht wegen der Dicke der Schneeschicht. Sie seufzte, bevor sie begann, sich durch den dicken und relativ festen Schnee zu kämpfen, reine Folter, ihre Beine begannen zu schmerzen und nach einer Weile hatte sie auch Atemprobleme wegen der Erkältung, die bei ihr jeden Winter wiederkehrte. Sara hatte es nicht viel leichter, auch sie begann schnell zu keuchen und das leise Fluchen, das am Anfang noch von ihr zu hören war, verstummte schnell, weil ihr die Luft dafür ausging.
Bei dem kleinen Wäldchen am Rand des Weges wurde der Schnee weniger, weil die Äste der Bäume das Meiste davon aufgefangen hatte und nach weniger als drei Metern reduzierte er sich auf angenehme 3 Zentimeter. Sara ging ein bisschen schneller, bis sie wieder neben Raissa lief und fragte noch leicht aus der Puste: „Ist das bei euch oft so??“ „Ne, ehrlich gesagt noch nie“, keuchte die jüngere und beide Mädchen blieben kurz stehen, um wieder zu Kräften zu kommen, sie stützten sich aneinander ab und atmeten tief durch. Dann vernahmen sie ein unheilvolles Knacken direkt über sich, blickten nach oben und sahen einen großen, schweren Ast über ihnen abbrechen, das nächste, was beide spürten, war ein scharfer Schmerz am Kopf und die Welt verschwamm.....

Sara war die erste, die wieder aufwachte, sie lag im Schnee. Unter einem Baum und es war dunkel. Raissa lag neben ihr, so, wie sie wahrscheinlich durch den Sturz gefallen war. So weit alles klar, aber das erste, was nicht stimmen konnte, war, dass die Schienen, rechts neben den beiden, verschwunden waren. Und außerdem waren beide nackt und Saras Tasche war auch weg. Die achtzehnjährige blickte sich hektisch um, die kalte Luft brannte auf ihrer Haut und in ihren Lungen, es war sehr viel kälter, als bevor sie das Bewusstsein verloren hatte. Sie tastete ihren Kopf ab, aber ihre Finger zuckten zurück, als sie an eine dicke, schmerzende und teilweise auch verschorfte Beule stießen. Der Ast, der dort aufgeprallt hatte, war eindeutig schwer gewesen und Raissa hatte eine ähnlich schlimme Verletzung mitten auf der Stirn. Sara holte tief Luft und rief dann, so laut sie eben konnte: „HALLO?? IST HIER JEMAND?? WIR BRAUCHEN HILFE!“ Diese Worte wiederholte Sara immer wieder, bis ihr klar wurde, dass niemand kommen würde, sie und Raissa würden hier elendiglich erfrieren, aber wenigstens würde es die Jüngere nicht mitkriegen, sie war offensichtlich in einer zu tiefen Bewusstlosigkeit, um noch irgendetwas zu bemerken. Sara legte sich zu ihr, um sich wenigstens ein kleines bisschen zu wärmen und ihr fiel auf, dass sie offenbar abgenommen hatte, und Raissa genauso, ganz schön sogar, sie beide hatten geradezu eine Traumfigur. Aber in diesem Moment wäre es Sara gerade recht gewesen, ein bisschen mehr Gewicht drauf zu haben, wenn sie dafür wenigstens nicht ganz so frieren würde.
Ihre Hände, Füße und Lippen waren längst blau und die Finger und Zehen ließen sich kaum noch bewegen. Die Kälte fraß sich immer tiefer in ihren Körper und sie wurde nach und nach immer müder und wollte nur noch einschlafen, aber gerade, als sie diesem Impuls nachgeben wollte, regte sich Raissa. Sie begann sofort, heftig zu zittern, auch ihre Lippen, Hände und Füße waren längst blau gefroren und sie fragte kaum verständlich: „Wo sind wir?“ „Wenn ich das wüsste....“, presste Sara hervor und begann, zu husten, ein heftiger Schmerz machte sich in ihrem Brustkorb breit und sie versuchte, nach Luft zu schnappen. Tränen stiegen ihr durch die heftigen, stechenden Schmerzen in die Augen, welche ihr langsam zufielen, aber im nächsten Moment spürte sie ein heftiges Brennen auf der Wange und war sofort wieder hellwach, Raissa hatte ihr wohl, als sie bemerkte, dass Sara drauf und dran gewesen war, einzuschlafen, eine heftige Ohrfeige zu geben. Sie murmelte mit dünner, heiserer Stimme: „Du darfst nicht einschlafen, sonst wachst du nie mehr auf.... wir müssen weiter, auch, wenn wir keine Ahnung haben, wo wir sind, vielleicht finden wir ja ein Dorf oder so was, von wo aus wir anrufen können....“ Sara nickte schwach und rappelte sich schwankend auf, so schwer es ihr auch fiel, auf den blaugefrorenen Füßen zu stehen, sie half Raissa auf und die beiden Mädchen wankten aufeinander gestützt weiter, kamen aber nur wenige Schritte weit, bevor ihre Beine wieder nachgaben, die Kälte hatte ihnen schon viel zu sehr zugesetzt, als dass sie noch hätten laufen können.
Nach einigen Minuten, die den beiden Mädchen wie Stunden vorkamen, hörten sie ein Knacken links von ihnen, im Unterholz. Raissa flüsterte mit letzter Kraft: „Ist da jemand? Bitte.... wir.... wir brauchen Hilfe....“ Was aus dem Unterholz kam, war sicher nicht menschlich, aber auch kein Tier, es lief auf zwei Beinen, hatte aber eine schuppige, ziemlich helle Haut, perfekte Tarnung im Schnee. Es hatte vier Gliedmaßen, ähnlich einem Menschen, aber es war viel größer, seine Haltung war leicht gebückt und die Hände waren lang und verkrümmt und endeten in rasiermesserscharfen Krallen. Die Augen waren katzengleich und golden und die Stimme, mit der das Wesen sprach, war samtweich und kräftig: „Ihr jämmerlichen kleinen Dinger bettelt um Hilfe, aber niemand wird euch helfen. Es ist keiner weit und breit, der euch helfen wird. Es war leichtsinnig, ohne jeden Geleitschutz hier her zu kommen, noch dazu in der Aufmachung. Obwohl.... nach euren Wunden zu schließen, wurdet ihr wohl eher überfallen. So was wie euch findet man hier selten, zwei so junge, hübsche Mädchen, eure Organe müssen furchtbar zart sein.... und keiner sonst weit und breit, das ist mein Glückstag....“ Das Wesen kicherte leise und die beiden Mädchen klammerten sich zitternd vor Angst aufeinander, während es auf sie zustapfte, langsam und hin und her schwankend wie ein Zombie, immer wieder hoch kichernd. Die Krallen des Monstrums schleiften über den Boden, während es immer näher kam und die beiden Mädchen versuchten, im Schnee so weit wie möglich von ihm weg zu rutschen, bis es schließlich die linke Klaue in Raissas rechtes und die rechte Klaue in Saras linkes Bein schlug. Beide brachten nur noch ein schwaches Wimmern vor Schmerz hervor, während die Klauen durch Haut, Fleisch und Knochen gingen, wie ein heißes Messer durch Butter und sich ihr immer noch warmes Blut über ihre Körper ergoss. Das Wesen zog die beiden so näher an sich heran, wegen der Schmerzen und der Kälte versuchten sie nicht einmal, sich zu wehren, sondern hielten sich nur noch fester aneinander fest, gelähmt vor panischer Angst, während das Ungeheuer mit seiner tiefen, weichen Stimme wisperte: „Welcher von euch soll ich die Organe zuerst aus dem Leib fressen? Ihr seht beide so lecker aus, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Ach, ich fang eben einfach bei euch beiden gleichzeitig an.“
Das Wesen kicherte schon wieder und zog seine Klauen aus den Beinen der beiden Mädchen, um sie gradezu zärtlich voneinander zu trennen, aber im nächsten Moment ergoss sich ein Schwall aus heißem, violettem Blut über die blaugefrorenen Körper der beiden Mädchen, von der Kreatur selbst war nicht mehr viel übrig, die Überreste flogen in alle Richtungen und zum Leidwesen der beiden auch auf sie.
Schockiert und auch leicht angewidert blickten die Mädchen auf die Leichenteile und das heiße Blut, das fast ihre ganzen Körper bedeckte, dann zu der Person, die ihnen ganz offensichtlich soeben das Leben gerettet hatte. Es war eine junge Frau, auf den ersten Blick wahrscheinlich nicht älter als fünfundzwanzig, aber ihre silbernen Augen und der harte, gnadenlose Ausdruck in ihrem Gesicht sagten etwas anderes, sie schien uralt und das war garantiert nicht das erste Leben gewesen, das sie ausgelöscht hatte. Silbernes Haar umspielte ihren Körper, aber man erkannte ohne Zweifel, dass sie spitze, elfenähnliche Ohren hatte. In ihrer rechten Hand lag ein Schwert, so groß wie sie selbst und wahrscheinlich höllisch schwer. Was noch auffiel, war, dass sie das einzige im Umkreis von 5 Metern war, das keinen Spritzer des violetten Bluts abgekriegt hatte, das durch die Gegend gespritzt war. Sie ging zwischen den beiden in die Hocke und fragte mit kühler, harter Stimme: „Wie heißt ihr?“
Raissa zögerte, sie hatte langsam verstanden, dass sie und Sara längst nicht mehr in ihrer Welt waren und sie hatte auch so eine Ahnung, in was für  einer Welt sie gelandet waren und dort wollte sie sicher nicht mit einem seltsamen Namen auffallen, sie schloss die Augen, überlegte noch einen Moment und murmelte leise: „Johanna....“ Sara schien auf den selben Gedanken gekommen zu sein, ein paar Sekunden später stieß sie nämlich, eben so schwer verständlich hervor: „Olivia...“ Die Frau nickte knapp und reinigte ihr Schwert im Schnee, während sie zwischen den Mädchen hin und her blickte und dann zu sprechen begann: „In Ordnung. Ihr hattet Glück, ich jage diesen Yoma schon seit Tagen, ein paar Minuten später und ihr wärt tot gewesen.“ „Ihr Name.... ist Irene... oder?“, fragte Johanna keuchend und mit flatternden Augenlieder und die Frau nickte mit hochgezogenen Augenbrauen, aber statt zu fragen, woher das Mädchen das wusste, legte sie unter dem blutigen, angeschmolzenen Schnee frischen frei und reinigte die Wunden der beiden, so sanft das eben ging.
Sie nahm etwas von dem Schnee in die rechte Hand, hielt Olivias Arm fest und begann damit, diesen abzureiben, das wiederholte sie an ihrem ganzen Körper, um sie wenigstens ein bisschen aufzuwärmen, dann tat sie das selbe bei Johanna und löste ihren Umhang von der Rüstung. Sie nahm beide Mädchen auf die Arme und wickelte sie, so fest das eben ging, in den Stoff, bevor sie sagte: „Ich werde euch nach Pieta bringen, dort kaufe ich euch Kleidung und Essen und werde euch die Herberge bezahlen, aber dann müsst ihr zusehen, wie ihr allein zurecht kommt.“ „Sie.... werden uns.... sicher... nicht.... akzep...tieren....“, stieß Johanna hervor und sowohl Olivia, als auch die Frau blickten sie überrascht an, es war schließlich das ältere der beiden Mädchen, welche die Frage stellte, die unvermeidbar im Raum stand: „Wieso nicht?“ Sie begann wieder zu husten und die jüngere blickte die Fremde mit einer hochgezogenen Augenbraue an, woraufhin diese seufzte: „Sie hat recht. Man wird euch nicht akzeptieren. Ihr seid zwar nur zwei junge, hilflose Mädchen, aber ich werde ihnen die Wahrheit sagen, wo ich euch gefunden habe und sie werden euch unweigerlich für Yoma halten. Ihr kommt mit mir, bis ich das nächste mal jemanden aus der Organisation treffe, dann werdet ihr mit ihm gehen. Man wird euch zu Kriegerinnen machen, wie ich eine bin. Mehr kann ich nicht für euch tun.“ Johanna schnappte nach Luft, in ihr Gesicht trat ein flehender, ängstlicher Ausdruck und Olivia blickte sie immer verwirrter an, sie verstand nicht, was es jetzt noch für ein Problem geben sollte, nachdem sie immerhin gerettet werden würden und ihnen sogar ein Ort angeboten wurde, an dem sie leben konnten, auch, wenn das heißen würde, dass sie wohl Kriegerinnen wie diese Frau werden müssten. Irene dagegen schien zu verstehen, sie blickte Johanna ruhig an und flüsterte leise: „Du scheinst ja ziemlich viel über uns zu wissen, woher musst du mir nicht erzählen. Aber es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ich lasse euch in Pieta auf euch selbst gestellt zurück, oder ich nehme euch mit und man macht euch zu Kriegerinnen.“ „A-a-aber.... wir werden.... dann... doch keine Menschen... mehr sein“, stammelte das Mädchen und nun trat auch in Olivias Gesicht ein schockiert-fassungsloser Ausdruck. Sie hätte sich nie vorstellen können, ihre Menschlichkeit zu verlieren und nun behauptete ihre Freundin, das genau das passieren würde und die Kriegerin nickte sogar ruhig und zustimmend.
Johanna schluckte, sie schien abzuwägen, was schwerer zu überstehen wäre, das aber nicht allein entscheiden zu wollen, sie blickte Olivia unsicher an und flüsterte leise: „Wenn wir in Pieta bleiben, wird das Leben hart, man wird uns mit Steinen bewerfen, verteufeln und uns nicht die geringste Hilfe anbieten.... wenn wir stattdessen zustimmen, dass man uns zu Kriegerinnen macht, wird die Gesellschaft uns ebenfalls ausstoßen, aber... zu sehr fürchten, um uns mit Steinen zu bewerfen.... Die Ausbildung wird lang und hart.... wir werden den Großteil unsrer menschlichen Wesenszüge verlieren und.... Gefahr laufen, im Kampf zu Monstern zu werden, noch schlimmer als dieses Ding, das uns fressen wollte.... und wir werden getrennt sein....“ Olivia schluckte, eine schwere Entscheidung, ausgestoßen so oder so, aber im einen Fall wenigstens noch menschlich und das war ein Pluspunkt für Version 1, aber dann müssten sie vielleicht ewig in dieser Kälte leben und das hörte sich auch nicht nach einem Leben an, in dem man alt wurde. Im zweiten Fall würden sie ihre Menschlichkeit verlieren und sogar Gefahr laufen, selbst zu so grässlichen Kreaturen zu werden, wie dieser Bestie, die sie beide beinahe umgebracht hatte. Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ihre Retterin wieder anfing, zu sprechen: „Es stimmt, keiner der beiden Wege wäre leicht und eine Kriegerin zu sein bringt große Verantwortung mit sich, aber ist es nicht besser, aufrecht in den Untergang zu gehen, als auf Knien zu leben?“ Das ergab Sinn, diese Frau schien furchtbar stolz, und allein schon, sich einen solchen Stolz zu bewahren, ein solches Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten, hörte sich nach einem Grund an, diesen Weg zu wählen. Olivia zögerte nur einen Augenblick, dann nickte sie schwach und Johanna tat es ihr gleich, allerdings noch deutlich unsicherer als ihre Freundin. Sie schien nach wie vor nicht begeistert von diesem Gedanken zu sein, aber zu meinen, dass das wohl immer noch die beste Möglichkeit wäre, zu überleben.
Tagelang lief die Frau mit den beiden Mädchen auf ihren Armen, Rast machte sie nur, damit die beiden ein bisschen was trinken und essen und sich aufwärmen konnten, damit sie nicht noch mehr Erfrierungen davontrugen, sie selbst aß, trank und schlief nicht, während die beiden sich auf ihren Armen ausruhen konnten. Es wirkte alles ein bisschen unwirklich, eine Frau mit zwei jungen Mädchen auf den Armen, welche die meiste Zeit schlafend oder im Halbschlaf verbrachten und schnell ihr Zeitgefühl verloren, weil Irene nur unregelmäßig Rast einlegte und man in dem fast ständigen Schneesturm manchmal nicht einmal bemerkte, dass es Tag geworden war.
Nach mehreren Tagen des ununterbrochenen Fußmarsches stieß die Frau die beiden recht unsanft an, um sie zu wecken, sie stand vor einem riesigen, mit Metall beschlagenen Tor, das offenbar den Eingang zur Stadt Pieta markierte, ein düsterer Ort und mehr ein Bollwerk, als eine einfache Stadt. Links und rechts neben den dreien standen je zwei breitschultrige Wachen mit Lanzen, einem von ihnen fehlte ein Auge und er sah fast so aus, als hätte man ihm das halbe Gesicht vom Schädel gerissen. Die Narbe war schon alt, aber trotzdem flößte er einem mit dieser Wunde eine gewisse Angst ein. Auch die anderen trugen schwere Narben und der einäugige fragte barsch: „Wer sind die Mädchen, Claymore?“ „Ihre Namen tun nichts zur Sache, sie wurden überfallen und ausgeraubt und zu allem Überfluss auch noch von einem Yoma angegriffen, ich werde sie mit mir nehmen, mehr musst du nicht wissen“, entgegnete Irene kühl und hielt die beiden Mädchen beruhigend fest, während sie den Soldaten kühl anblickte, der nur nickte und schwach schluckte, offenbar war diese Erklärung das, womit er am wenigsten gerechnet hätte und auch die anderen traten mit bleichen Gesichtern zurück, beinahe gelähmt vor Angst.
Olivia fragte flüsternd: „Wovor haben die Leute so Angst?“ „Erklär ich euch gleich“, zischte Irene ihr zu und schritt, die beiden Mädchen schützend an sich drückend, durch das Tor, zuerst einmal zu einer dreckigen Spelunke, aus der allerlei Lärm kam. Allerdings nur so lange, bis die Kriegerin die Tür öffnete. Von einer Sekunde auf die andere wurde es totenstill im Schankraum und alle starten die silberhaarige mit ängstlichen Gesichtern an, die Männer und Frauen, allesamt stämmig und manche mit ähnlichen Narben wie die Wächter selbst, teilten sich zu einer Gasse, die zum Wirt führte. Keiner wollte der großen, schlanken Frau im Weg sein oder sie verärgern und allen sah man die Hoffnung an, dass sie schnell wieder verschwinden würde. Langsam und festen Schrittes ging Irene auf den rundlichen kleinen Wirt zu, der versuchte, sich mit einem schmutzigen Tuch den Schweiß von der Stirn zu wischen. Sie blickte ihn kühl an und sagte: „Ich brauche ein Zimmer für drei Personen, wir werden nur eine Nacht bleiben. Und ich hätte gerne den Schlüssel für dieses Zimmer, ich werde nachher für die beiden Mädchen einen dicken Eintopf und etwas Brot holen, außerdem brauchen wir warmes Wasser und ein paar extra Decken.“ Der untersetzte Mann nickte hastig, verschwand durch eine Tür und kam mit einem Schlüssel wieder, er zeigte die Treppe hoch und presste hervor: „Beide Treppen rauf und dann die Tür am Ende des Ganges.“ Die große Frau nickte und bedeutete dem Wirt, ihr den Schlüssel in die Hand zu drücken, dann stieg sie die Treppen rauf und ging zu besagtem Zimmer, die Tür war offen und sie brachte die beiden Mädchen in den hell erleuchteten Raum, wo sie erst Olivia und dann Johanna auf jeweils einem Bett ablegte, sie sagte leise: „Ich werde euch etwas zum Anziehen besorgen, ich bin bald wieder da, ich werde die Tür abschließen, ein paar der Männer unten sahen wenig vertrauenserweckend aus. Ruht euch aus, um eure Erfrierungen kümmern wir uns nachher, sie sind zwar schwer, aber ich denke, es ist noch kein Gewebe abgestorben. Übrigens: Die Leute haben solche Angst, weil eine Kreatur, schlimmer als jeder Yoma, hier ihr Unwesen treibt, die Leute sehen ihn immer mal wieder und manchmal holt er sich einen Stadtbewohner, sein Name ist....“ „Isley aus dem Norden“, ergänzte Johanna mit schwacher Stimme und Irene nickte mit hochgezogener Augenbraue, bevor sie die beiden Mädchen allein ließ.
Olivia setzte sich auf und blickte Johanna an, mit teils verblüfftem, teils neugierigem Gesichtsausdruck, sie fragte: „Woher weißt du das alles??“ „Es.... es mag bescheuert klingen und das auch sein, aber.... wir sind in der Welt von Claymore, einem meiner Lieblingsmangas, bevor die Geschichte beginnt.... Irene, Isley, Yoma, die Organisation.... das alles kenne ich..... Und deswegen will ich auch eigentlich keine Kriegerin werden, die nehmen uns unsre Menschlichkeit.... um ein Übel zu bekämpfen, das sie in die Welt gesetzt haben.....“, erklärte Johanna zitternd und Olivia blickte sie ziemlich schockiert an, nicht wissend, was sie sagen sollte. Dass sie in einer anderen Welt waren, so viel hatte sie schon verstanden, aber in einem Manga zu stecken, an einem Punkt, an dem die Geschichte noch nicht angefangen hat, das hätte sie niemals gedacht. Sie fragte nach einigen Minuten der Stille: „Und.... was machen wir jetzt?“ „Mit Irene mitgehen und uns zu Kriegerinnen machen lassen. Uns bleibt keine Wahl“, entgegnete Johanna und rollte sich unter ihrer Bettdecke zusammen, mit schmerzverzerrtem Gesicht, nach den Tagen der Kälte setzte ihr die plötzliche Wärme zu und bereitete ihr heftige Schmerzen und auch Olivia ging es nicht viel anders, sie spürte am ganzen Körper, vor allem an den Stellen, die nicht in den Umhang eingewickelt waren, einen brennenden und stechenden Schmerz.
Es dauerte eine halbe Stunde, bis Irene wieder rein kam, sie hatte einige Klamotten in den Armen und ihr folgten zwei junge Mädchen, wahrscheinlich die Wirtstöchter, die eine trug eine große Schale mit dampfendem Wasser, in der einige Tücher hingen, und mehrere Decken über dem rechten Arm und die andere hatte ein Tablett mit zwei Schalen mit dickem Eintopf und mehreren Scheiben Brot dabei, sie stellten alles auf den Tisch in der Mitte des Raumes und verließen das Zimmer dann auch schon wieder hastig und mit ängstlichen Blicken zu der silberhaarigen, welche die feste Winterkleidung über einen Stuhl hing und dann zu den beiden Mädchen kam, sie setzte sich zwischen sie auf einen Schemel, in ihrer Hand lag eine kleine grüne Flasche und sie erklärte: „Das ist eine Medizin, sie wird gegen die Krankheiten helfen, die ihr euch höchstwahrscheinlich eingefangen habt. Ich werde nachher eure Wunden ordentlich versorgen. Könnt ihr selbst eine Schüssel und einen Löffel halten, oder muss ich euch füttern?“ „Geht schon....“, murmelte Olivia und setzte sich wieder auf, bevor Irene zu dem Tisch ging, das Tablett nahm und damit wieder zu den beiden Mädchen kam, sie reichte zuerst Olivia eine der beiden Schalen, dann auch Johanna, welche sich zitternd und hustend hoch gequält hatte, und wartete ab, bis die beiden den dicken Eintopf und mehrere Scheiben Brot gegessen hatten, dann nahm sie den Löffel aus der Schüssel, die Olivia ihr wieder gegeben hatte und füllte ihn mit der relativ klaren, leicht grünlichen Medizin. Sie reichte der älteren den Löffel und wartete, bis sie die Arznei mit angeekeltem Gesicht runtergeschluckt hatte, bevor sie auch Johanna einen Löffel voller Medizin gab.
Nachdem auch diese die hellgrüne, klare Flüssigkeit runtergewürgt hatte, holte Irene die Schale mit dem warmen Wasser und den Tüchern und schlug erst einmal bei der Jüngeren die Decke über den Füßen zurück, um diese vorsichtig mit den warmen, feuchten Tüchern einzuwickeln, um sie so langsam zu erwärmen, das selbe tat sie mit den Händen des Mädchens. Dann wiederholte sie den Vorgang regelrecht mechanisch bei Olivia, bevor sie die Wunden der beiden versorgte und verband, danach setzte sie sich an die Wand und lehnte sich dagegen, wobei sie an einer übrig gebliebenen Scheibe Brot herum nagte, das erste, was sie gegessen hatte, seit sie die Mädchen mitnahm. Sie wies die beiden an: „Schlaft jetzt, wir werden morgen in aller Frühe weiter ziehen. Ich werde mich auch eine Weile ausruhen.“ Die Mädchen nickten und schlossen die Augen und nach einer Weile schlief Johanna unruhig ein, aber Olivia lag noch eine ganze Weile wach und sie merkte, dass auch Irene keine Ruhe zu finden schien, die silbernen Augen der Frau waren weit geöffnet und sie blinzelte kein einziges mal, ihr Atem ging unruhig und relativ flach. Ein paar Minuten schwebte die Stille im Raum, wie ein unheilvoller Geist, der die achtzehnjährige zu erdrücken drohte, dann fragte sie leise: „Wie ist es, eine Kriegerin zu sein?“ „Hart. Du hast kaum eine freie Minute, die Organisation schickt dich von einem Ort zum anderen und so was wie Freunde haben die wenigsten von uns. Wir sind einsame Nomaden und entweder, wir erwachen, oder wir sterben irgendwann, aber einen anderen Weg gibt es nicht, der Organisation zu entfliehen. Die meisten von uns fangen schon als kleine Kinder an, sie sind verbittert und wollen Rache für ihre Familie. Wenn du nicht vorher erwachst oder stirbst, fängst du nach und nach an, einen Hass auf die Organisation zu entwickeln, sie nehmen uns unsre Menschlichkeit, körperlich wie seelisch, sie werden auch euch beide prügeln und schinden, bis ihr nur noch leere Hüllen seid. Manche zerbrechen an dieser furchtbaren Ausbildung. Aber ich habe Vertrauen in euch beide, ihr scheint zu wissen, was ihr wollt und das ist sehr wichtig“, erklärte Irene monoton und ohne jede Gefühlsregung im Gesicht, sie lehnte den Kopf an die Wand hinter sich und schloss die Augen. Ganz offensichtlich gehörte die Frau zu denen, welche die Organisation hasste, für das, was man ihr angetan hatte. Sie ballte die schmalen Hände zu Fäusten und biss sichtlich die Zähne zusammen, dann entspannte Irene sich wieder. Sie blickte Olivia an und sagte kühl: „Du scheinst stark zu sein, lass dich nicht von ihnen zerbrechen. Es gibt wenige Kriegerinnen, die das schaffen, aber die sind dann außergewöhnlich. Ihr beiden solltet dazu gehören, ihr solltet trotz dieser Ausbildung noch so etwas wie eine Seele besitzen. Ich arbeite schon Jahrzehnte daran, wieder eine zu entwickeln.“ Olivia nickte, sie verstand, was Irene meinte, das Leben, das sie führte musste ziemlich hart sein. Und ihr und Johanna stand ein ebenso hartes Leben bevor, geprägt von Kampf und Einsamkeit, aber Angst hatte sie davor kaum, sie sah es mehr als Herausforderung, das alles durchzustehen.
Während Olivia der Schlaf übermannte, dachte sie noch an ihre Familie und wann die wohl erfahren würde, dass sie nicht mehr da war, und fragte sich, was sie wohl unternehmen würden, um sie wiederzufinden. Ein bisschen schmerzte es sie, zu wissen, dass sie ihre Familie nicht mehr wiedersehen würde, aber andererseits wartete auf sie hier ein viel geheimnisvolleres Leben, das wahrscheinlich auch sehr viel länger sein würde. Ein Leben voller Abenteuer und Magie, aber auch voller Gefahr. Das jedoch war nur ein kleiner Preis dafür, dass sie hier ein völlig neues Leben anfangen konnte, deutlich aufregender als das, das sie vorher geführt hatte, vielleicht würde sie sogar eine Heldin werden, wer konnte das schon sagen. Und mit diesem Gedanken schloss sie die Augen und dämmerte langsam weg.
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