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Coincidence

von Kiba21
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P18 / MaleSlash
Katze OC (Own Character) Rhoul
07.08.2012
10.02.2016
44
110.449
18
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07.08.2012 3.161
 
Kapitel 2: Aus der Gosse


Um keine unschönen Gerüchte aufkommen zu lassen, befuhr Raoul den Eos-Tower von der Brücke aus, die das Parkdeck mit einem privaten Aufzug verband, der ihn direkt zu seiner Wohnung in der obersten Etage brachte. Er konnte nicht sagen, ob den Jungen der Luxus, der ihn umgab, in Erstaunen versetzte. Seine Mimik gab nichts von dem Preis, was in ihm vorging, aber zu Raouls Missfallen, hatte er keinerlei Probleme damit seinem Blick standzuhalten. Im Gegenteil, er sah ihm direkt in die Augen.

Ein junges Furniture begrüßte sie bei ihrer Ankunft. „Willkommen zu Hause, Master. Darf ich irgendetwas bringen?“

„Momentan nicht. Ist der Raum vorbereitet?“

„Ja, Master.“ Der junge Mann deutete einen Diener an und fügte hinzu: „Sir Kyle hat angerufen, jedoch keine Nachricht hinterlassen.“

Mit nicht allzu großem Eifer entschied Raoul, sich besser um das zu kümmern, was auch immer Kyle wollte. Mit den Worten: „Bring ihn unter!“ übergab der den jungen Mongrel der Fürsorge seines Furnitures.  

Der Mongrel folgte dem jungen Mann, sich insgeheim über dessen Gehorsamkeit wundernd. Als sie  außer Sichtweite waren, warf ihm das Furniture einen unsicheren Blick zu. Die beiden betrachteten sich, jeder insgeheim wissend, dass der andere ebenso hier gestrandet war und eigentlich nach Ceres gehörte, jeder insgeheim den anderen für sein Aussehen beneidend und dennoch bedauernd. Die Situation hatte eine ganz eigene Ironie. Was schön war, war in Eos angesehen, was angesehen sein sollte, wurde mit Schönheit versehen. Dennoch standen diese beiden jungen Männer hier wegen ihres Aussehens, das ein reines Ergebnis natürlicher Perfektion war. Das Furniture war schlank, fast schon von femininer Gestalt, hatte warme braune Augen und helle Haare, die Raven an Milchkaffee erinnerten. Wäre er aufrecht gegangen, wäre er sicher gut einen Kopf größer als er selbst. Er tat Raven leid.

„Entspann dich, ich mach dir keinen Ärger … jedenfalls heute nicht.“

Die Bemerkung erstaunte den jungen Mann, denn nie hatte sich irgendjemand bemüßigt gefühlt, ihm zu versichern, dass er ihm keinen Ärger machen würden – tatsächlich nahm ihn kaum jemand je war, wenn er nicht gerade Fehler bei seinen Aufgaben machte, oder für Scherze schlecht erzogener Pets herhalten musste. Schließlich war er ein Furniture – ein lebendes Möbelstück, per se unbeachtet, wenn nicht gerade gebraucht und von exakt dem Wert, den einem der Besitzer und vielleicht noch eine Versicherung zubilligten.

„Danke, Sir …?“

„Raven, einfach nur Raven.“

Das Furniture lächelte kurz und antwortete: „Ich bin Janus.“

Raven entspannte sich merklich in der Gegenwart des sanftmütigen jungen Mannes. Er erinnerte sich an ihn aus seiner Zeit in Guardian, was im Grunde bedeutete, dass auch Janus nicht zu den glücklicheren Bewohnern der Einrichtung gehört hatte. Das machte ihn Raven auf merkwürdige Art vertraut und weckte seinen Beschützerinstinkt. Er musste Janus Leben nicht härter zu machen, als nötig.

'Die Zeit mit Katze hat mich wohl weich gemacht' ,dachte er und sagte laut: „Das ist ein antiker Name.“

„Ich … ähm … keine Ahnung.“

„Hast du Angst vor mir?“

Raven schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln, das Janus außerordentlich hinreißend fand. Er wurde rot und räumte schließlich ein: „Ein wenig.“

„Brauchst du nicht.“

Janus führte ihn zu einem Raum am Ende des Flures, der das Appartement säumte.

„Darf ich ihnen ihr Zimmer zeigen, Sir Raven?“

„Raven, kein Sir, kein Sie, einfach Raven. O.K?“

Er bekam keine Antwort, nur einen flehentlichen Blick, als Janus die Tür hinter Raven verriegelte.

~

Allein und eingesperrt …. großartig!

Stunde um Stunde verging, in denen Raven sich selbst überlassen auf dem Bett vor sich hinstarrte. Er war sich der Tatsache bewusst, dass dieser Raum mit einer durchdachten Überwachungstechnologie ausgestattet war und weigerte sich strikt, dem Blondie, sollte er ihn beobachten, auch nur irgendeine Form von Genugtuung zu verschaffen.

Eingesperrt zu sein, machte ihn nervös, so wie alles an seinen Nerven zerrte, das außerhalb seiner Kontrolle lag. Er hasste jeden Moment hier mit jeder Faser seines Körpers, aber die Jahre in Guardian hatten ihn gelehrt, seine Emotionen im Zaum zu halten und so übte er sich in Geduld. Er konnte abwarten, eine lange Zeit, falls es nötig war … unglücklicherweise konnte Raoul das auch.
~~

„Deine neue Anschaffung? Das kann nicht dein Ernst sein.“

Kyle – der zweite Vorsitzende des Tanagura Syndikats lehnte zwanglos im Türrahmen und betrachtete den Bildschirm über Raouls Schulter hinweg. Jedoch nicht mit Abscheu, wie es die Frage hätte vermuten lassen, sondern einer Mischung aus Neugier und Schadenfreude. Von Amtswegen war er Raoul ebenbürtig und auch an Schönheit stand er ihm nicht nach, obwohl man das Aussehen beider kaum vergleichen konnte. Kyle hatte feine, aber harte Züge, die ihm einen arroganten Touch verliehen. Neben Raoul wirkte er fast zart. Gerade jetzt schien er sich gut zu amüsieren.

Janus, der dienstbeflissen auf Anweisungen gewartet hatte, fragte: „Darf ich ihnen etwas bringen, Sir Kyle?“ , als dessen Blick auf ihn fiel.

„Wein und bereite etwas zu essen vor.“

Obwohl Janus mit einem angedeuteten Diener Kyles Anordnung bestätigte, nahm Raoul wohlwollend zur Kenntnis, dass sein junges Furniture erst seine Bestätigung suchte, bevor er der Aufforderung nachkam. Er brachte einen feinen Denovian Altas, Kyles Lieblingswein und machte sich daran, ein paar Wachteln an Weinschaumsauce vorzubereiten, als beide Blondies für den Moment zufrieden gestellt waren. Kyle lud sich quasi täglich ein und Janus war sich nicht sicher, wer mehr unter diesen Besuchen litt – er oder Master Raoul. An den meisten Tagen, galt Raoul sein Bedauern, immerhin konnte er selbst sich in die Tiefen der Küche zurückziehen oder wurde früher oder später entlassen. Wieviel lieber hätte er Zeit mit Raven verbracht, als sich um die Wünsche des penetranten Gastes seines Masters zu kümmern. Aber wen kümmerten schon die Wünsche eines Furnitures.

Kyle lehnte sich zurück, betrachtete mit orchestriertem Interesse das Farbenspiel in seinem Glas, während er mit einem süffisanten Unterton vorbrachte: „Lass mich kurz überlegen. Waren deine Worte nicht: Abschaum von der Straße. Ein männliches Exemplar ohne Erziehung oder angeborene Selbstkontrolle ist nichts als ein Quell von Problemen.“

Das waren in der Tat Raouls Worte gewesen und sie wurden im Vertrauen gesprochen. Es ärgerte ihn, dass selbst intime Gespräche mit Iason bis zu Kyles Ohren gedrungen waren und er fragte sich, wie der andere Blondie davon erfahren hatte. Trotz seiner momentanen Verwirrung antwortet er beiläufig: „Dein Gedächtnis täuscht dich nicht.“

„Ich weiß, dass dein Geschmack ungewöhnlich ist, aber ein Mongrel als Pet ist außergewöhnlich, gerade für dich. Was hast du vor mit so einem?“

„Ich weiß es selbst noch nicht genau.“ Raoul zoomte das Bild des Jungen heran und drehte den Bildschirm zu Kyle, der nun erst vollständig der Tatsache gewahr wurde, dass es sich mit Nichten um irgendeinen spontanen Fang von der Straße bei dem Mongrel handelte. Unmöglich. Während es dem Blondie tatsächlich die Sprache verschlug und er sichtlich blasser ob des Anblicks wurde, erkannte Raoul mit Genugtuung, dass sein Kollege tatsächlich still sein konnte.

„Dir dürfte klar sein, dass ich ihn mit diesem Gesicht nicht so einfach durch Tanaguras Straßen wandern lassen kann.“

Von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus, konnte Raoul die Anwesenheit des Mongrels rechtfertigen. Neugier, zu dessen Befriedigung er mitunter zu unorthodoxen Methoden griff, war ein Teil seines genetisch durchkonstruierten Wesens. Sie war notwendig zur Erfüllung seiner Aufgabe und wenn sie ihm riet, Jasons und Rikis Situation nachzustellen, um ein besseres Verständnis von Jasons irrationaler Besessenheit mit seinem Mongrel zu gewinnen, dann tat er das, hatten Master und Pet doch die gesamte soziale Struktur von ganz Tanagura ins Wanken gebracht. Außerdem war Mimea seine eigene Kreation gewesen. Sollte sich dieser Junge als Nachkomme erweisen, so war die genetische Beschaffenheit der Kreatur von nicht unerheblichem Interesse für Raoul.

Kyle warf ihm einen langen, nachdenklichen Blick zu. Er kannte Raoul gut genug, um zu erkennen, dass es hier um nicht weniger, als dessen Seelenfrieden ging. Es wäre ein leichtes gewesen, den Jungen zu entsorgen und dabei noch Profit aus ihm zu schlagen, aber das passte nicht zu Raoul – er musste immer alles auf seine eigene Art tun, seine eigenen Erkenntnisse gewinnen und dabei kümmerte es ihn nicht, wie andere über seine Methoden dachten.

„Versteh mich nicht falsch, Raoul. Ich bin sicher, dass er ein interessantes Exemplar ist und sicher mehr zu bieten hat, als eine hirnlose Sexpuppe, vielleicht ist er es sogar wert, trainiert zu werden, aber wenn deine … Neugier zu weit geht … nun, ich habe nicht die Absicht, dich Jason in diesen Dingen nachfolgen zu lassen.“

„Das ist auch nicht meine Absicht.“

Obwohl die Antwort Kyle nicht allzu sehr beruhigte, genehmigte er sich doch einen Schluck Wein und lächelte: „In diesem Fall, werde ich mich zurücklehnen und die Show genießen.“

~~

Raven verbrachte den ganzen Tag in seinem Zimmer, ohne dass der Blondie oder Janus auch nur nach ihm gesehen hätten. Er war zu Tode gelangweilt und außerdem hungrig, also blieb er weiterhin auf dem Bett liegen, starrte die Decke an und stahl sich in Gedanken davon.

Raoul seinerseits fragte sich, wie lang es wohl dauern würde, bis dem Jungen der Geduldsfaden riss und er zu einem gewalttätigen Verhalten gegen die Möblierung überging. Das hätte Riki getan. Er beobachtete Raven von der Ungestörtheit seines Schreibtisches aus, veränderte den Winkel der Kamera ab und an und verglich ihn vor seinem geistigen Auge mit Iasons Mongrel. Ohne die Arbeitskleidung, im typischen Slum-Outfit erinnerte er ihn noch mehr an Riki, als ohnehin schon. Er war ungefähr im gleichen Alter und hatte die selbe physische Struktur. Schatten tanzten über die schwarzen Haare und taten ihren Teil dazu, ihm eine Lebendigkeit zu verleihen, die kein Künstlicher je ausgestrahlt hatte. Der Junge mochte nicht die atemberaubende Schönheit eines Blondies besitzen, aber seine blauen Augen waren mit Sicherheit ein Hinkucker. Er berührte eine Seite in Raoul, die sich bis dato nicht gemeldet hatte. Sehr attraktiv.

Als Raoul davon überzeugt war, dass für den Moment keine spontanen Ausbrüche von dem Jungen zu erwarten waren, entspannte er sich und verglich mit mathematischer Präzision Raven mit Riki. Er kam bald an den Punkt, an dem ihm der Bildschirm zu diesem Zweck nicht mehr reichte und  begrüßte es, dass der Mongrel sich irgendwann entschied, eine Dusche zu nehmen. Es schien Raoul der geeignete Zeitpunkt zu sein, sich dem exotischen Wesen unter seinem Dach zu nähern. Er ließ sich von Janus Kleidungsstücke zum Wechseln für den Mongrel bringen und durchquerte das Penthouse.

Raven hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich sorgfältig abzutrocken, sondern sich einfach ein Handtuch um die Hüften gewickelt. Das Wasser auf seiner Haut ließ ihn ausgesprochen anziehend erscheinen. Er sah aus wie ein feuchter Traum aus den Salinas Nebula und selbst der Blondie, der sich in seiner naturgegebenen Abstinenz unempfänglich für sexuelle Reize hielt, bemerkte das. Ravens blaue Augen standen in einem merkwürdigen Kontrast zum dunklen Ton seiner Haut. Er trat näher an den Mongrel heran. Der Junge wich zwar zurück, doch brach er keine Sekunde den Blickkontakt. Jede Faser seines Körpers spannte sich an. Raoul folgte ihm und griff ihn am Arm. Der Junge wehrte sich in dem Versuch, sich aus Raouls eisernem Griff zu winden. An Kraft konnte er mit dem Blondie nicht mithalten, aber seine Beweglichkeit machte es Raoul dennoch schwer, ihn festzuhalten.

„Halt still.“

Raouls Blick wanderte über jeden Zentimeter von Ravens Körper und weckte dabei ein Gefühl von tiefem Unbehagen in dem Jungen. Er hielt verzweifelt an dem Gedanken fest, dass Blondies das nicht taten, als den Stoff von Raouls weißen Handschuhen auf seiner Haut spürte. Sein Unbehagen wuchs schnell an grenzte schon nahe an Panik, als er bemerkte, das Raoul lediglich eine Inspektion seiner Wunden im Sinn hatte. Seine Reaktion blieb dem Blondie nicht verborgen und er empfand eine gewisse Genugtuung ob dessen Unsicherheit. Er streckte Raven seine Hände mit nach oben gerichteten Handflächen entgegen: „Zeig mir deine Hände!“ Raven schluckte, aber legte seine Hände in die des Blondies.

Während Raoul seine Finger genauer untersuchte, begann Raven seinerseits den Blondie zu mustern. Der etwas dunklere Ton seiner blonden Haare, deren sanfte Wellen und die smaragdgrünen Augen waren ausgesprochen ansprechend. Nun, das war jeder Blondie, sie wurden so geschaffen, doch Raouls Schönheit hatte einen wilde Touch, die Raven sehr  ungewöhnlich schien. Was jedoch seine Aufmerksamkeit erregte war der traurige Ausdruck, der Raouls Augen innezuwohnen schien.


„Geschwollen, aber nicht gebrochen.“

Raoul drückte einen Knopf an der Kontrolleinheit seiner metallenen Manschette und rief Janus herbei.

„Versorge seine Wunden, ich erwarte ihn danach im großen Saal.“

Bevor er ging, zog er seine Handschuhe aus und warf sie in den Mülleimer. Eine eindeutige Geste, die Raven innerlich seufzen ließ.

~

„Gib mir einfach die Erste Hilfe Tasche. Ich kann meine Wunden allein versorgen.“

„Bitte, Sir Raven! Es ist meine Aufgabe, mich um ihre Gesundheit zu kümmern.“

„Wirst du bestraft, wenn ich dich nicht lasse?“

Das junge Furniture senkte den Blick und konzentrierte sich auf die Geräte in seiner Hand: „Es ist meine Aufgabe.“

Raven hielt kurz den Atem an, setzte sich aufs Bett und sagte: „Na gut, aber nur, wenn du aufhörst mich zu siezen oder Sir zu nennen.“

Janus deutete ein nicht allzu überzeugtes Nicken an und begann mit zitternden Fingern die offene Haut über Ravens Knöcheln zu schließen.

„Tut es weh?“

„Kaum, man gewohnt sich dran. Wenn mich solche Kleinigkeiten aus der Bahn werfen würden, würde ich es keine drei Wochen in Ceres machen“

„Muss ein schrecklicher Ort sein.“

Raven lachte kurz: „Ein bisschen rau, aber mein Heim. Ich wette so anders als hier ist es in Ceres nicht.“

Janus senkte den Blick. Das war nicht mal so verkehrt. Elite und Pets sahen auf ihn herab. Als Furniture stand er am unteren Ende der Nahrungskette, jeder sah auf ihn herab und anders als Pets wurden Furniture keinesfalls verhätschelt. Bis heute hatte er das in Ordnung gefunden beziehungsweise es bevorzugt, nicht darüber nachzudenken. Es war ohnehin nicht zu ändern. Er fand sogar eine gewisse Erfüllung in seinen Aufgaben und zog Befriedigung aus deren Erledigung. Alles war schließlich besser, als Erinnerungen an zerplatzte Träume. Jedoch Raven so vor sich zu sehen … das erfüllte ihn mit Traurigkeit. Wenn selbst der Eine – der, der entkommen konnte – hier strandete und kaum Herr seines Schicksals war, wie konnte es da Hoffnung für irgendeinen von ihnen geben?

„Fertig, Sir … fertig, Raven.“

„Dank dir.“

Raven, der selbst sehr sensibel für seine Mitmenschen war, nahm die Veränderung in Janus Körpersprache wahr und versuchte, ihn aufzumuntern. Er ergriff mit theatralischer Übertreibung die Kleidungsstücke, die Raoul mitgebracht hatte und erklärte mit gespieltem Ernst: „Ich vermute, dass ich das tragen soll.“

„Mit hoher Gewissheit.“

Nachdem Raven sich angezogen hatte, wofür er dank der merkwürdig angebrachten Schnallen und Verschlüsse an dem Outfit, tatsächlich Janus Hilfe brauchte, begaben sie sich gemeinsam zum großen Saal. Raoul erwartete sie. Er hatte seine formelle Kleidung gegen bequemere Sachen eingetauscht und saß mit einem Data-Pad auf einem großen halbrunden Ledersofa: „Stell sicher, dass wir nicht gestört werden, Janus.“

Der junge Mann deutete einen Diener an und ging. Raven blieb nichts anderes übrig, als  herumzustehen, unsicher darüber, was von ihm erwartet wurde. Er kniff die Augen zusammen, während er sich auf den Blondie konzentrierte: „Was willst du von mir?“

Raoul antwortete nicht, schließlich kannte er die Antwort selbst nicht. Ich wünschte, ich wüsste es. Er warf einen Blick auf den Jungen, studierte dessen Gesicht und versuchte zu ergründen, was in ihm vorging. War es Ärger, den er zeigte oder Trotz? Sicherlich, er sprach ihn nicht allzu respektvoll an, aber auch nicht völlig unhöflich. In der Tat benahm er sich besser, als Raoul bei seiner Ceres-Herkunft erwartet hatte. Der Junge war alles andere als leicht zu lesen. Riki hingegen sah man immer deutlich an, was in ihm vorging. Seine ausdrucksstarken Augen konnten verrieten jede Regung … zumindest in jenem ersten Jahr. Und Riki sprühte vor Arroganz, der er auf jede passende und unpassende Art Ausdruck verlieh. Dieser Junge – sein Sohn – war anders, er verstand es jede Emotion aus seinen Zügen fernzuhalten. War das Katzes Einfluss? War das derselbe Junge, der im Depot das Büro gestürmt hatte?

„Du hast mit Katze zu tun?“

„Offensichtlich.“

„Bist du ihm zugeneigt?“

Raven warf ihm einen verblüfften Blick zu, der Raouls Geisteszustand in Frage zu stellen schien. Das war eine ziemlich persönliche Frage und noch dazu eine, deren Bezug zu seiner jetzigen Situation er beim besten Willen nicht sehen konnte.

„Ich arbeite für ihn.“

Der Blondie überlegte einen kurzen Moment, verschlug die Arme vor der Brust und erklärte: „Ich erwarte absoluten Gehorsam.“

„Ich bin nicht unbedingt der gehorsame Typ und das ist keine Antwort auf meine Frage.“

Ein wohliger Schauer kroch Raoul den Rücken hoch. Kein Blondie konnte einer direkten Herausforderung widerstehen: „Ich bin dir keine Antwort schuldig. Was den Gehorsam betrifft, daran können wir sicher arbeiten.“

„Wie?“

Oh, ein Zyniker. „Je nach dem Grad deines Ungehorsams – Hausarrest, Ketten, Training oder, solltest du dich als besonders stures Exemplar erweisen...“ Er machte eine kurze Pause, um zu sehen, ob der Junge reagierte: „Gehirnwäsche.“

Raven nickte unbeeindruckt und gab Raoul damit erneut das Gefühl, verwirrt und unzufrieden zu sein. Der Bengel wagte es sogar, auf dem Absatz kehrt zu machen und den Weg zum Seitenflügel anzutreten.

„Was denkst du, das du tust?

„Schonmal mit dem Arrest anfangen, bis du mir sagst, was du von mir erwartest.“

„Gut, so sei es. Du wirst früh genug kooperativer sein.“

~~
Der junge Mongrel verbrachte eine unruhige Nacht. Geplagt von Albträumen und vergessen geglaubten Erinnerungen, wälzte er sich hin und her, bevor er schließlich schweißgebadet erwachte und das dringende Bedürfnis nach einer Dusche verspürte. Seine Schläfen pulsierten schmerzhaft, während die Gedanken in seinem Kopf nicht aufhören wollten, ihn zu quälen. Wer hatte je von einem Mongel in Besitz eines Blondies gehört? Selbst die Herkunft der Furniture war ein wohl gehütetes Geheimnis. Gut, Katze stand in Raouls Diensten, aber die Ausnahme bestätigte die Regel und Katze war zuerst ein Furniture gewesen.

Raoul beschäftigten ganz ähnliche Gedanken. Sollte er den Mongrel offiziell registrieren? Die Idee erschien ihm wenig verlockend, aber irgendetwas musste er deshalb tun. Der Junge konnte nicht unregistriert in Eos verbleiben. Er rief die Daten seines medizinischen Scans auf. Raven war ohne jeden Zweifel ein Nachkomme Mimeas und Rikis. Selbst ihre genetische Signatur fand sich sich in unvollständiger Sequenz in seinen Zellen wieder. Er seufzte und übermittelte schließlich Registrierungsdaten für einen experimentellen Typ Pet. Danach wandte er sich wieder den Bildschirmen zu, die den Jungen in seinem kleinen Zimmer zeigten. Mit Erleichterung bemerkte er, dass Raven keine Anzeichen von Gewalttätigkeit zeigte. Das hätte Raoul nach dem Zwischenfall im Warenhaus erwartet. So froh er auch war, war er doch nicht vorbereitet auf dessen Art. Katzes Einfluss? Oh, der Junge war rebellisch, ohne jeden Zweifel, aber seine Rebellionen siedelten auf einem völlig anderen Feld, einem Feld, das Raoul nur allzu gut beherrschte. Einst hatte er voller Überzeugung behauptet, lieber einen Virus zu untersuchen, als einen Mongrel zu zähmen. Doch frustriert von der betäubenden Monotonie seines jetzigen Lebens, änderte er seine Meinung. Der Junge gab ihm die Möglichkeit, seine Erinnerungen aufzuarbeiten. Er gab ihm die Möglichkeit, ihn als Ersatz zu betrachten und für sein eigenes Leid zur Rechenschaft zu ziehen. So lautete es doch, das alte Sprichwort von der Erde, dem längst verdorrten Ursprungsplaneten der ersten Siedler:die Söhne haften für die Sünden der Väter.
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